Josef Hindels 1938: Aus der Vergangenheit lernen
Ă–sterreichs Weg vom Austrofaschismus zur Nazi-Barbarei
1938 Sozialistische Jugend www.sjoe.at
Josef Hindels – 1938: Aus der Vergangenheit lernen Österreichs Weg vom Austrofaschismus zur Nazi-Barbarei Die vorliegende Broschüre „1938: Aus der Vergangenheit lernen“ von Josef Hindels wurde anlässlich des 70. Jahrestags des „Anschlusses“ Österreichs an Nazideutschland als historisches Dokument neu aufgelegt. Seit der Erstfassung der Broschüre kam es im Zuge wissenschaftlichen Fortschritts zu einer Neubeurteilung der Ereignisse um den 12. März 1938, sodass wir manche Textteile im Sinne des heutigen Wissensstands abgeändert haben. Die Sozialistische Jugend als Herausgeberin dieser Neuauflage bewertet einige Stellen des Originaltextes politisch anders, weshalb wir diese im politischen und historischen Verständnis der Sozialistischen Jugend abgeändert haben. Wir haben aber versucht, möglichst nah am Originaltext zu bleiben und die Änderungen so gering als möglich zu halten, damit die Broschüre ihrem Anspruch als historisches Dokument gerecht wird. Veränderte Textteile wurden mit kursiver Schrift herausgehoben und mit einem alphabetischen Index markiert, damit die Originalfassung von Josef Hindels im Anhang der Broschüre leicht zu finden ist.
Als Ergänzung zum Originaltext wurden zwei zusätzliche Kapitel für die Neuauflage hinzugefügt. Das erste Kapitel behandelt die „Entnazifizierung“ nach 1945 und die gesellschaftliche Integration ehemaliger Nationalsozialisten in Österreich. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Entwicklung des Rechtsextremismus in Österreich nach 1945 mit Schwerpunkt auf die Geschichte der FPÖ. Die vorliegende Broschüre wurde auch sprachlich überarbeitet, vor allem in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Durch die geschlechtergerechte Formulierung soll darauf hingewiesen werden, dass Geschichte von Männern und Frauen gemacht wird, was in den herkömmlichen (rein männlichen) Formulierungen untergeht. Frauen werden dort bestenfalls mitgedacht, es geht aber darum, ihren Anteil und sie selbst sichtbar zu machen. Wenn von faschistischen Akteuren die Rede ist, wurden Frauen bewusst ausgeklammert, da Frauen in faschistischen Bewegungen und Systemen nie Schlüsselrollen besetzten. Der Faschismus war u.a. durch eine stark antifeministische Haltung gekennzeichnet, das heißt, dass vor allem Männer eine aktive Rolle spielten und Frauen zur Passivität gezwungen waren.
Die Redaktion
Impressum Medieninhaber: Trotzdem Verlag GmbH, Amtshausgasse 4, 1050 Wien Verlagspostamt: 1050 Wien, Erscheinungsort Wien Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich, Amtshausgasse 4, 1050 Wien Redaktionelle Betreuung der Neuauflage: Wolfdietrich Hansen, Philipp Lindner, Wolfgang Moitzi, Illo Ortner Autoren: „Entnazifizierung“: Ludwig Dvorak, „Rechtsextremismus“: Philipp Lindner Layout: Claudia Kojeder
Herzlichen Dank an alle Hilfestellungen, insbesondere an den Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer-Innen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen. Und besonderen Dank auch an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) für die freundliche Bereitstellung des Bildmaterials. „powered by BMGFJ, gem. § 7 Abs. 2 B-JFG“
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Die Redaktion – Impressum
Danke
Inhalt Vorwort – Warum noch darüber reden..................................................4 Zur Person Josef Hindels .....................................................................6
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Den jungen AntifaschistInnen gewidmet...............................................7
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Am Anfang war der Hass gegen die Republik .......................................8
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Österreichischer Faschismus .............................................................10
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Starhembergs Erinnerungen ..............................................................14
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Geheimer Briefwechsel Mussolini – Dollfuß .......................................16
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Die Rolle Horthyungarns ....................................................................19
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Auf der Dollfußstraße in den Abgrund .................................................22
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Der gescheiterte Naziputsch – kein Ruhmesblatt des Ständestaates ..26
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Der Hitler-Schuschnigg-Pakt – ein Verhängnis für Österreich .............28
10 Auferstehung der gekreuzigten ArbeiterInnenbewegung.....................30 11 Schuschniggs Kapitulation vor Hitler ..................................................32 12 JublerInnen und Opfer .......................................................................34 13 Die neue Gefahr von rechts ................................................................37 Zusatzkapitel: Entnazifizierung und Schlussstrich nach 1945 ...........40 Zusatzkapitel: Rechtsextremismus in Österreich nach 1945 .............44 Anmerkungen ....................................................................................50
Inhalt
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Vorwort Der Weg zum Heldenplatz – damit die Geschichte nicht vergessen wird…
Wolfgang Moitzi Verbandsvorsitzender der Sozialistischen Jugend Österreich
Warum noch darüber reden oder über die Lebendigkeit von Geschichte Am 12. März 2008 jährt sich der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich zum siebzigsten Mal. Doch nicht nur bei diesem „historischen Jahrestag“ kommt von bürgerlicher/konservativer Seite immer wieder der Ruf nach dem Ziehen eines endgültigen Schlussstrichs unter das dunkelste Kapitel der Geschichte Europas und Österreichs. Warum müssen wir uns mit der Geschichte im Allgemeinen und dem Faschismus im Speziellen beschäftigen, und warum ist es noch immer wichtig die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Faschismus aufzuzeigen? Es gibt viele Gründe, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen: Historische Erkenntnisse sind unabdingbar für das Verständnis und die Erklärung unserer derzeitigen Gesellschaft und Gegenwart. Geschichte zeigt auf, dass sie nicht – wie von konservativer Seite behauptet – eine schicksalhafte zufällige Abfolge von „Naturgesetzen“ ist, sondern, dass Menschen die Gesellschaft und die Welt bewusst nach ihren Interessen gestalten. Deshalb hat Geschichte auch immer die Funktion, Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben, und dient somit einem konkreten Zweck für die Gegenwart.
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Vorwort
Nach dem Rücktritt des austrofaschistischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg in den Abendstunden des 11. März 1938 besetzten Nationalsozialisten in ganz Österreich binnen kurzer Zeit alle wichtigen Ämter, und schon am 12. März marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Mit dem am 13. März 1938 verlautbarten „Verfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ war der Anschluss de facto vollzogen. Während sich ÖsterreicherInnen bis vor wenigen Jahren als erstes Opfer des Nationalsozialismus sahen, gibt es mittlerweile einen breiten Konsens in der österreichischen Bevölkerung, dass tausende von ihnen an vorderster Front für die menschenverachtenden Ziele des Nationalsozialismus gekämpft haben und so maßgebend an den Verbrechen des Naziregimes beteiligt waren. Jedoch ist der Anschluss an Nazideutschland und die darauf folgenden Verbrechen nicht vom Himmel gefallen. Die christlichsoziale Partei versuchte bis 1934 – und ab 1935/36 wieder – sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren und mit deren Hilfe den „revolutionären Schutt“ und die gesamte ArbeiterInnenbewegung zu zerstören, was ihnen mit dem 12. Februar 1934 letztlich gelang. Doch anstatt endgültig mit den plumpen Geschichtslügen der Zweiten Republik aufzuhören und die Geschichte getreu ihrer Wahrheit darzustellen, propagiert die ÖVP noch immer die These der geteilten Schuld am Ende der Demokratie und versucht, Engelbert Dollfuß als Widerstandskämpfer gegen die Nazis und Mann der Mitte darzustellen, wie zum Beispiel ein Zitat vom ehemaligen Salzburger ÖVP Landeshauptmann Schausberger beweist: „Damals ging es um den Bestand des österreichischen Staates und nicht um die Frage, ob jetzt wirklich demokratisch regiert wird oder nicht.“ Auch 75 Jahre nach der Ausschaltung des Parlaments und dem damit eingeführten „Ständestaat“, versucht die ÖVP die Diktatur zwischen 1933 und 1938 zu verharmlosen und die Verfolgungen gegenüber politischen GegnerInnen wie auch den schon damals vorhandenen Antisemitismus klein zu reden. Vielmehr war der „Stän-
destaat“ nicht das von der ÖVP propagierte „Abwehrprojekt gegen den Nationalsozialismus“, sondern eine geistige und gesellschaftliche Vorbereitung auf den Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich. Viel zu lange hat die Sozialdemokratie sich aktiv an dieser Geschichtsfälschung beteiligt und vergessen, dass es SozialistInnen waren, die der Monarchie ein Grab schaufelten und die Demokratie in Österreich erkämpft hatten. Deshalb muss es unser Auftrag sein, auch die eigene Geschichte zu kennen und aus dieser zu lernen. Gerade weil die Sozialdemokratie ein Opfer des Austrofaschismus war, ist es für sie eine Notwendigkeit, aus der Vergangenheit die richtigen Schlüsse zu ziehen: Etwa, dass ein sich Schmücken mit bürgerlichen Ideen oder dass der Glaube mit der ÖVP eine fortschrittliche Politik machen zu können, zum Scheitern verurteilt ist und eine Illusion bleibt. Aus diesen Gründen ist ein verstärktes Geschichtsbewusstsein und eine verstärkte Bildungsarbeit innerhalb der Sozialdemokratie notwendig, um aus den Fehlern der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen.
Wehret den Anfängen! „Der Faschismus erstrebt die zügelloseste Ausbeutung der Massen, tritt aber mit einer raffinierten antikapitalistischen Demagogie an sie heran. Aber welche Maske der Faschismus auch aufsetzen, in welcher Form auch auftreten und auf welchem Wege auch immer er zur Macht gelangen mag: Der Faschismus - das ist die grausamste Offensive des Kapitals gegen die werktätigen Massen... das ist der zügelloseste Chauvinismus und Raubkrieg... das ist der schlimmste Feind der Arbeiterklasse und aller Werktätigen!“ (Georgi Dimitroff)
nicht mehr funktionsfähig ansahen, um die arbeitenden Massen weiter zu unterdrücken, verhalfen dem Faschismus in weiten Teilen Europas an die Macht. Sie kämpften gegen die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung, welche die Feinde der jungen Republik als „revolutionären Schutt“ bezeichneten. Wie wahr ist auch die Aussage Erich Frieds: „Ein Antifaschist, der nur Antifaschist ist, ist kein Antifaschist!“ Wenn wir die Fehler der Zwischenkriegszeit nicht noch einmal machen wollen und „aus der Vergangenheit lernen wollen“, müssen wir die Tatsache, dass Antifaschismus zugleich immer das kapitalistische Wirtschaftssystem ablehnen muss, weiter laut und mutig aussprechen. Denn gerade die sozialen Missstände der Ersten Republik, aber auch die soziale Lage vieler Menschen heute, verhalf und verhilft den FaschistInnen und Rechtsextremen mit antikapitalistischer Rhetorik zu neuen Chancen, die Macht zu ergreifen und eine Politik zu betreiben, welche gegen die Interessen der arbeitenden Menschen gerichtet ist. In diesem Sinne soll die neu aufgelegte Broschüre „1938: Aus der Vergangenheit lernen“ von Josef Hindels, die als historisches Dokument und als Einstieg zum Thema gedacht ist – neben den bereits veröffentlichen Broschüren der Sozialistischen Jugend zum Thema Faschismus und Rechtsextremismus – die Bildungsarbeit in der Sozialistischen Jugend und das Geschichtsbewusstsein von jungen SozialistInnen stärken. Denn Wissen, Argumente und ein gemeinsames und entschlossenes Handeln wird auch in Zukunft nötig sein, wenn wir den Kampf für eine wirklich gerechte – eine sozialistische Welt – weiterkämpfen wollen. Wolfgang Moitzi
Niemand kann heute behaupten, der Faschismus sei Gegenstand eines lediglich historischen Interesses. Nur wenn wir die Gefahren, die Ursachen und die Triebkräfte, die dem Faschismus zu Grunde liegen – also die Interessen des Kapitals in Phasen kapitalismusimmanenter Krisen und durch sie hervorgerufene sozialer Spannungen – erkennen, können wir wirksam gegen Faschismus kämpfen. Denn die Kluft zwischen Beherrschten und Herrschenden, zwischen Arm und Reich, hat immer unterschiedliche, sich widersprechende Interessen zur Folge. Während die Unterdrückten nach Gerechtigkeit streben, versuchen die Unterdrücker die Ungleichheit mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten. Denn die KapitalistInnen, die die bürgerliche Demokratie als
Verbandsvorsitzender der Sozialistischen Jugend Österreich
Vorwort
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Zur Person Josef Hindels Josef Hindels absolvierte eine kaufmännische Lehre und wurde bald Mitglied des „Zentralvereines der kaufmännischen Angestellten Österreichs“. Schon früh trat Hindels gegen Antisemitismus und Fremdenhass auf und wurde wegen seiner Gesinnung mehrmals verhaftet, so etwa 1933 wegen der Teilnahme an einer Demonstration. 1937 flüchtete Josef Hindels in die Tschechoslowakei, später nach Norwegen und 1941 mit Hilfe der norwegischen Widerstandsbewegung nach Schweden, wo er sich einer Gruppe österreichischer Freigewerkschafter anschloss. 1946 kehrte er unter dem Namen „Karl Popper“ nach Wien zurück. Hindels war von 1946 bis 1951 Schulungs- und Bildungssekretär der Sozialistischen Jugend Österreich. Von 1951 bis 1970 war Hindels Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten und Redakteur des Gewerkschaftsorgans „Der Privatangestellte“. Ab 1970 war er im Verlag des ÖGB und auch als freier Publizist tätig. Hindels war stellvertretender Vorsitzender des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus und blieb bis zu seinem Tode im Jahr 1990 ein unbeugsamer Mahner.
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Josef Hindels, 1916 – 19
Deutschen Wehrmacht 1940 nach Einmarsch der d, Flucht nach run erg einige Wochen im Unt Schweden eit bei Sozialistischer 1940 – 1946 Vortragstätigk eit in einer Gruppe Jugend Schwedens, Mitarb after in Schweden und österreichischer Gewerksch in Schweden ng Österreichische Vereinigu unter dem Namen „Karl 1946 Rückkehr nach Wien es richtigen Namens sein e Popper“, Wiederannahm Bildungssekretär der 1946 – 1951 Schulungs- und ichs erre Öst end Sozialistischen Jug r der Gewerkschaft 1951 – 1970 Zentralsekretä akteur des GewerkRed und n llte der Privatangeste ngestellte“ schaftsorgans „Der Privata erliche Haft des ÖGB und als 1936 Ende April bis Juli neu Ab 1970 Tätigkeit im Verlag der Vorsitzender des lowakische Republik; freier Publizist, Stellvertreten 1937 Flucht in die Tschechos itskämpfer und Opfer ihe rl Popper“ Bundes Sozialistischer Fre Annahme des Namens „Ka s der RKÖ des Faschismus Aufbau des Auslandszentrum „Professor“ en; Mitarbeit im 1976 Verleihung des Titels 1939 Ausreise nach Norweg alen Arbeiterfront Krankheit in Wien Sekretariat der Internation 10. 2. 1990 nach längerer ) (IAF g gegen den Krie gestorben RKÖ den von 1939/40 Trennung
n, Mitglied Sozialis10. 1. 1916 in Wien gebore igung sozialistischer tischer Wanderbund, Verein Mittelschüler Wien ischer Jugend1930/31 Mitglied Kommunist verband e Lehre 1930 – 1933 kaufmännisch Zentralvereins der des ppe Mitglied Jugendgru en Österreichs; kaufmännischen Angestellt opposition (RGO) Revolutionäre Gewerkschafts en Teilnahme an 1933 erste Verhaftung weg einer Demonstration d Revolutionäre 1935/36 Gründungsmitglie Ö) (RK Kommunisten Österreichs
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Zur Person Josef Hindels
Den jungen AntifaschistInnen gewidmet Diese Schrift wurde 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschlanda geschrieben. In diesem halben Jahrhundert hat es in der Welt und im eigenen Land tiefgreifende Wandlungen gegeben. Neue Generationen sind herangewachsen, die das Grauen des Faschismus nicht selbst erlebt haben: Es gibt nur mehr wenige Frauen und Männer, die aus persönlichem Erleben Zeugnis ablegen können über die Zeit ohne Gnade. Dazu gehören die sozialistischen FreiheitskämpferInnen. Sie haben seit der Gründung ihres Bundes im Jahr 1947 stets davor gewarnt, einen „Schlussstrich“ zu ziehen, die Vergangenheit zu verdrängen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das wollten viele nicht hören. Auch Prominente hielten sich die Ohren zu. Oft wurden die sozialistischen FreiheitskämpferInnen als VeteranInnen verspottet, die in der Vergangenheit stecken geblieben sind, die Gefahren sehen, die es heute nicht mehr gibt. Seit der Bundespräsidentenwahl 1986 geben aber nicht wenige, die gestern noch spotteten, den sozialistischen FreiheitskämperInnen Recht: Sie mussten schaudernd erkennen, dass die faschistische Vergangenheit nicht tot ist, sondern tiefe Spuren in der Gegenwart hinterlassen hat. Die Unbelehrbaren sind unter uns, die Gefahr von rechts kann nicht mehr geleugnet werden. Zwischen dieser und der faschistischen Vergangenheit besteht ein Zusammenhang: Nicht von ungefähr sprechen die Unbelehrbaren von der „Pflichterfüllung“ im Hitlerkrieg und behaupten, von den damals begangenen Verbrechen, falls sie diese nicht bestreiten, nichts gesehen, gehört, geahnt zu haben. Aktueller denn je sind daher die Worte Erich Kästners: „Das schlechte Gedächtnis ist eine Folge des schlechten Gewissens. Vergangenheit, die unbewältigt, gleicht einem ruhelosen Gespenst. Dass wir die Schlafmütze über Augen und Ohren ziehen, hilft nichts. Die Vergangenheit muss reden, und wir müssen zuhören…“ Aber es kommt auch darauf an, die ganze Wahrheit über die Vergangenheit zu sagen, Geschichtslügen entschieden entgegenzutreten. Das gilt vor allem für die von konservativer Seite verbreiteten Geschichtslügen, die der Reinwaschung des Austrofaschismus dienen. Die sozialistischen FreiheitskämpferInnen haben beide faschistische Diktaturen im Widerstand erlebt. Sie haben nie den Fehler begangen, das autrofaschistische Regime
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mit der Schreckensherrschaft der braunen Massenmörder gleichzusetzen. Sie wissen und haben es oft gesagt, dass der Hitlerfaschismus der brutalste unter allen Faschismen war, die von ihm begangenen Verbrechen mit anderen Verbrechen nicht verglichen werden können. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass der Austrofaschismus Hitler den Weg nach Österreich geebnet hat: Indem Dollfuß die große, traditionsreiche ArbeiterInnenbewegung unseres Landes im Februar 1934 blutig niederwerfen und entrechten ließ, leistete er den Nazis, die ihn im gleichen Jahr ermordeten, wertvolle Schützenhilfe: Die Dollfußstrasse führte in den Abgrund der Nazibarbarei. Österreichs Unabhängigkeit hätte nur gemeinsam mit der ArbeiterInnenbewegung, die dazu bereit war, gegen den Naziaggressor verteidigt werden können. Schuschniggs würdelose Kapitulation vor Hitler war nicht unvermeidlich, sondern das Ergebnis der austrofaschistischen Politik. Im Kampf gegen die neue Gefahr von rechts sind die historischen Lehren der Vergangenheit von größter Bedeutung. Obwohl sich die Geschichte nicht mechanisch wiederholt, kann aus ihr viel für die Zukunft gelernt werden. Aber gibt es im Österreich der Zweiten Republik die Bereitschaft zu diesem Lernprozess? Sprechen wir es offen aus: An dieser Bereitschaft hat es jahrelang gefehlt. Das opportunistische Buhlen um Nazistimmen war manchen wichtiger als das Lernen aus der Vergangenheit. In diesem Klima konnten sich die Unbelehrbaren sammeln und zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Auch die Auseinandersetzung mit der verhängnisvollen Rolle des Austrofaschismus wurde aus Rücksicht auf die ÖVP, in deren Klubräumen im Parlament das Bild von Engelbert Dollfuß zu finden ist, nicht so geführt, wie das notwendig gewesen wäre. Aber das ist nur die eine, beunruhigende Seite der Entwicklung in der Zweiten Republik. Wir dürfen die andere, die positive Seite nicht übersehen: Es gibt junge AntifaschistInnen, die den Freiheitskampf weiterführen, die aus der Vergangenheit, die sie studieren, gelernt haben. Sie werden bald jene Aufgaben übernehmen, die heute noch die sozialistischen FreiheitskämpferInnen erfüllen. Diesen jungen AntifaschistInnen ist die vorliegende Schrift gewidmet.
Den jungen AntifaschistInnen gewidmet
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Am Anfang war der Hass gegen die Republik Anschluss an Deutschland ein. Auch die österreichische Sozialdemokratie hatte in ihrem Parteiprogramm einen Passus für einen Anschluss an die deutsche Demokratie. Als Hitler 1933 zur Macht kam, wurde diese Anschlussforderung aus dem Programm gestrichen und durch ein Bekenntnis zur Unabhängigkeit Österreichs ersetzt. Der Unglaube an die Lebensfähigkeit Österreichs ist später als tragischer Irrtum erkannt worden. Haben doch auch andere kleine Länder, wie die Schweiz und Schweden, bewiesen, dass die Lebensfähigkeit nicht von der Größe des Staatsgebiets abhängt. So schädlich dieser Unglaube an Österreichs Lebensfähigkeit auch war, an ihm ist die Erste Republik nicht zerbrochen. Entscheidend waren soziale Gegensätze, die von konservativer Geschichtsschreibung verschleiert werden.
Am 12. November 1918 wurde in Wien die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Vor allem die ArbeiterInnenbewegung feierte das Ende der Habsburgermonarchie.
Nach einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen stellen junge Menschen oft die Frage: „Wie konnte das geschehen?“ Die ihnen gegebene Antwort: „Es wurde nicht rechtzeitig den Anfängen gewehrt“, entspricht der geschichtlichen Wahrheit, aber sie bedarf der Ergänzung. Österreichs Geschichte hat nicht im März 1938 begonnen, als die Deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschierte und der Anschluss an Hitlerdeutschland vollzogen wurdeb. Was damals geschehen ist, hängt unlösbar mit der Tragödie der Ersten Republik zusammen, die hier nur kurz skizziert werden kann. Als nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg der habsburgische Vielvölkerstaat zerfiel, blieb das kleine Österreich übrig. Es befand sich in einer katastrophalen Wirtschaftslage, abgeschnitten von seinen wichtigsten Industrien und Rohstoffquellen, außenpolitisch isoliert. Die Mehrheit der ÖsterreicherInnen, aufgewachsen in einem großen Reich, konnte sich das Leben in einem bettelarmen Kleinstaat nicht vorstellen. Sie hielt Österreich für wirtschaftlich lebensunfähig und trat daher, beeinflusst durch deutschnationale Traditionen, für den
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Österreich wurde am 12. November 1918 eine demokratische Republik. Die Habsburger wurden verjagt, ihr Vermögen beschlagnahmt, die Adelstitel abgeschafft. Und die Gründung dieser Republik war eng verbunden mit dem sozialen Aufstieg der ArbeiterInnen und Angestellten, mit der Schaffung einer vorbildlichen Sozialgesetzgebung. Das kleine, arme, ausgeblutete Österreich gehörte in der Zwischenkriegszeit zu den sozial fortschrittlichsten Staaten Europas. Sozialgesetze, die später selbstverständlich waren, hatten damals den Charakter revolutionärer Errungenschaften. Das faszinierende Aufbauwerk des „Roten Wien“ wurde zu einem Begriff des internationalen Sozialismus. Die sozialen Reformen, die das Elend der kapitalistischen Ausbeutung nicht abschaffen konnten, aber das Leben
Das Rote Wien wurde Anfang der 20er Jahre zu einem international beachteten Begriff für soziale Reformen. Hier: Ein Gemeindebau mit Kinderfreibad im Hof.
Am Anfang war der Hass gegen die Republik
der arbeitenden Menschen erleichterten, wurden im „Roten Wien“ durch harte Besteuerung der Reichen finanziert. Das Geld wurde dort geholt, wo es in großen Summen vorhanden war. Österreichs ArbeiterInnen und Angestellte waren daher durchdrungen von republikanischer Gesinnung. Die Republik – das war für sie nicht nur ein frei gewähltes Parlament und in der Verfassung verankerte Freiheitsrechte. Die Republik – das bedeutete auch den gesetzlichen Achtstundentag, den Anspruch auf Urlaub, den MieterInnenschutz, das BetriebsrätInnengesetz. Es war kein Zufall, dass an jenem 12. November, der damals Staatsfeiertag war, die ArbeiterInnenbewegung in großen Kundgebungen ein Bekenntnis zur Republik ablegte. Bald nach Ausrufung der Republik standen diese Kundgebungen aber auch im Zeichen der Entschlossenheit, sie zu verteidigen, ihren Sturz nicht zuzulassen. Wer bedrohte bereits in den zwanziger Jahren die Republik und die sozialen Errungenschaften, die auf ihrem Boden geschaffen worden waren? Die Antwort, belegt durch viele Dokumente, lautet: Diese Gefahr kam von rechts.
Das böse Wort vom „Revolutionären Schutt“
Otto Bauer – Vordenker des Austromarxismus. Seine zögerliche Haltung nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 enttäuschte viele SozialdemokratInnen.
Die entscheidenden Schichten des BürgerInnentums und der GroßgrundbesitzerInnen, die Offiziere der ehemaligen kaiserlichen Armee, aber auch Teile der Bauernund Bäuerinnenschaft und des KleinbürgerInnentums, die unter deutschnationalem und klerikalem Einfluss standen, haben die Republik nie geliebt. Viele von ihnen hassten und verabscheuten sie seit ihrer Gründung, warteten auf ihren Sturz. Von 1918 bis 1920 gab es eine Koalitionsregierung von SozialdemokratInnen und Christlichsozialen, der großen Partei des österreichischen Konservativismus. Damals
war der bürgerliche Koalitionspartner zu weitgehenden sozialen Konzessionen bereit und trug auch seine antirepublikanische Gesinnung nicht offen zur Schau. Zu groß war die Angst vor der revolutionären Welle, die, ausgelöst von der russischen Oktoberrevolution, Europa erschütterte. Als diese Welle 1920 abebbte und in Österreich die Koalition scheiterte, begann der offene Kampf des konservativen Lagers gegen die Republik und die sozialen Errungenschaften. Es wurde das böse Wort vom „Revolutionären Schutt“ geprägt, der weggeräumt werden muss. Darunter verstand man alle in der Republik verwirklichten sozialen Errungenschaften, für die die ArbeiterInnenbewegung jahrzehntelang einen opferreichen Kampf geführt hatte. Das hatte es doch, so wurde argumentiert, in der „guten alten Zeit“ vor der Ausrufung der Republik nicht gegeben. In der ersten Zeit nach dem Sturz der Monarchie war das österreichische BesitzbürgerInnentum von einer Weltuntergangsstimmung erfüllt, die sich auch in der Literatur widerspiegelte. Otto Bauer, der große Denker des Austromarxismus, hat in seinem Buch: „Die österreichische Revolution“1 diese Stimmung verzweifelter BesitzbürgerInnen am Beispiel eines Romans beschrieben. Wir lesen da unter anderem: „In dieser Stimmung schrieb Karl Hans Strobl seinen phantastischen Roman „Gespenster im Sumpf“. Da ist Wien in Hungersnot und Bürgerkrieg zugrunde gegangen. Die Bevölkerung ist ausgestorben, die Häuser sind zerfallen, Ratten hausen in den Trümmern. Im Trümmermeer treiben sich noch ein paar Menschen herum; sie nennen sich Staatssekretäre, und ein Mann namens Laufer, der sich Staatskanzler nennt, ist der Führer der Bande. Zuweilen gelingt es ihnen, eine reiche Amerikanerin, die neugierig die Trümmer der zerfallenen Stadt besichtigt, zu fangen und Lösegeld für ihre Befreiung zu fordern; das nennen sie Vermögensabgabe. Am Rande der Stadt aber hausen in Erdhöhlen noch vertierte Menschen; unter ihnen geht die Sage, dass einst in ihrer Mitte mächtige Dämonen gelebt haben, die man Betriebsräte genannt hat ...“ Anstelle dieser Verzweiflung trat 1920 der Kampf gegen den „Revolutionären Schutt“. Um zu verhindern, dass jenes Horrorgebilde Wirklichkeit wird, das in dem von Otto Bauer zitierten Roman beschrieben wurde, müsse
Am Anfang war der Hass gegen die Republik
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endlich mit allem Schluss gemacht werden, was sozialen Fortschritt zum Inhalt hatte. Die Antwort auf die im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen von jungen Menschen gestellte Frage: „Wie konnte das geschehen?“ lautet daher: „Am Anfang war der Hass gegen die Republik.“
Die beiden Lager Ein liberales, die Republik bejahendes BürgerInnentum gab es in Österreich als gesellschaftlichen Faktor nicht. Einzelne Persönlichkeiten, die liberale Gedankengänge vertraten, meist handelte es sich um jüdische BildungsbürgerInnen, waren in ihrer eigenen Klasse isoliert. Sie konnten auf das Geschehen in der Ersten Republik keinen Einfluss nehmen, ihnen wurde vorgeworfen, sie seien nicht „bodenständig“. Dieses Fehlen eines liberalen BürgerInnentums war für die Entwicklung der Ersten Republik, für das Entstehen des Austro- und Nazifaschismus von größter Bedeutung. Manche HistorikerInnen vertreten die auch von einflussreichen Medien verbreitete These: Das Unglück bestand darin, dass im Österreich der Zwischenkriegszeit zwei Lager, das konservative und das sozialistische, entstanden, die unfähig waren, einen Ausgleich zu finden. Das „Lagerdenken“ habe vernünftige Kompromisse verhin-
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Wir haben es hier mit einer typischen Halbwahrheit zu tun: Es hat die beiden Lager und das Lagerdenken tatsächlich gegeben. Aber entscheidend sind doch die Inhalte dieser beiden Lager: Die einen wollten die demokratische Republik zerstören, die anderen waren entschlossen diese zu verteidigen. Machen wir uns den Unterschied zwischen den Lagern an einem nichtpolitischen Beispiel klar: In das Haus einer Familie dringt eine Räuberbande ein. Die Überfallenen setzen sich zur Wehr, sie bilden gegen die Räuberbande ein „Lager“. Aber es ist doch unmöglich, die Räuber und die Überfallenen auf eine Stufe zu stellen, beiden „Lagerdenken“ vorzuwerfen. Das sozialdemokratische Lager, das sich ohne Vorbehalte zur demokratischen Republik bekannte und die sozialen Errungenschaften nicht preisgeben wollte, hat nur in Notwehr gehandelt. Wir werden noch zu zeigen haben, dass diese Notwehr viel zu spät einsetzte. Nicht zuletzt deshalb, weil das rote Lager dem Land die Schrekken eines BürgerInnenkrieges ersparen wollte. Nichts ist daher unsinniger, als beide Lager gleich zu setzen.
Österreichischer Faschismus Der aus Italien kommende Begriff Faschismus war im Österreich der Zwischenkriegszeit kein Fremdwort. Hatte doch bereits 1922 im benachbarten Italien der Faschismus unter Benito Mussolini eine blutige Diktatur errichtet. Italienische Flüchtlinge, die in Österreich Asyl fanden, berichteten, was Faschismus ist: Sie schilderten, wie alle demokratischen Organisationen, die gesamte ArbeiterInnenbewegung, brutal zerschlagen wurden. Es wurde eine Herrschaft des Terrors gegen alle Andersdenkenden errichtet. Viele dieser Flüchtlinge waren selbst in den faschistischen Gefängnissen gewesen, hatten Misshandlungen, Demütigungen und Folter erlebt, das Grauen des Faschismus kennengelernt. Und viele ihrer KampfgefährtInnen gehörten zu den Todesopfern faschistischer Gewalt. Der italienische Faschismus, der erste in Europa, übte auf entscheidende Teile des öster-
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dert und letztlich zum BürgerInnenkrieg geführt. Daraus wird dann die Schlussfolgerung gezogen, es dürfe in Österreich nie wieder zwei feindliche Lager und ein unversöhnliches Lagerdenken geben.
Österreichischer Faschismus
reichischen BesitzbürgerInnentmus eine faszinierende Wirkung aus. Da gab es also in einem Nachbarland ein neues politisches Regime, das alles verwirklicht hatte, von dem die österreichischen Konservativen träumten: Die glühend verhassten Gewerkschaften waren zerschlagen, die Linksparteien verboten, das Parlament entmachtet, Sozialgesetze aufgehoben. Alle Macht konzentrierte sich in den Händen der Faschistischen Partei, hinter der entscheidende Kräfte des Kapitals standen. Der „Revolutionäre Schutt“ wurde weggeräumt, ohne dass sich die ArbeiterInnen und Angestellten dagegen wehren konnten. Warum, so fragten sich immer mehr BesitzbürgerInnen, GroßgrundbesitzerInnen, ehemalige Offiziere der kaiserlichen Armee, sollte der Faschismus nicht auch in
ter auch Austro- oder Klerikalfaschismus genannt), der sich nach Italien orientierte, aber auch deutschnationale und nazistische Züge aufwies. Die österreichische ArbeiterInnenbewegung empfand Ekel und Abscheu vor der Gewaltherrschaft des Faschismus in Italien. Sie half den Flüchtlingen, organisierte Solidaritätsaktionen für die im Lande kämpfenden AntifaschistInnen. Aber zunächst wurde – und das war ein schwerer Fehler – der Faschismus als spezifisch italienische Erscheinung betrachtet und daher unterschätzt. Viele konnten sich eine faschistische Diktatur in Österreich oder Deutschland nicht vorstellen. Erst später wurde der internationale Charakter der faschistischen Gefahr, der enge Zusammenhang mit der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus erkannt.
Rede des italienischen Diktators Benito Mussolini. Benito Mussolini, Gründer des Partito Nazionale Fascista (PNF), ergriff im Oktober 1922 in Italien die Macht.
Österreich möglich sein? Es würde sich auch im eigenen Land, so hofften sie, ein Duce (=Führer) wie Mussolini finden, der die KleinbürgerInnen begeistert, der Teile der Jugend mitreißt. Allerdings setzte eine solche Entwicklung voraus, dass die große ArbeiterInnenbewegung des Landes niedergeworfen, entrechtet wird. Seit dem Beginn der zwanziger Jahre wächst im österreichischen BürgerInnentum der Hang zum Faschismus. Daran änderte auch die rücksichtslose Unterdrückung der deutschsprachigen SüdtirolerInnen durch die italienischen Faschisten nichts. Konservative PolitikerInnen fuhren zu Besuch ins faschistische Italien. Nach ihrer Rückkehr berichteten sie begeistert, dass Mussolini „Ordnung geschaffen“ habe: Die Strassen seien sauber, die Züge verkehren pünktlich, Streiks sind verboten, Betriebsräte gibt es nicht, die zerschlagenen Gewerkschaften können keine die Wirtschaft belastenden Forderungen stellen. Die konservativen PolitikerInnen hatten lediglich „vergessen“, die Gefängnisse, Lager und Folterkeller des italienischen Faschismus zu besuchen. Auch die Unterdrückung in Südtirol bemerkten sie nicht. Für sie war, zumindest bis zum Aufstieg des deutschen Nazismus, die faschistische Diktatur in Italien die einzige Alternative zur glühend gehassten Republik im eigenen Land. Es entstand damals ein österreichischer Faschismus (spä-
Der Hang zum Faschismus war in Österreich nicht auf konservative PolitikerInnen beschränkt. Es gab ihn auch bei Industriellen, Bankiers, Kaufleuten, GroßgrundbesitzerInnen. Sie waren überzeugt, dass nur die eiserne Faust einer faschistischen Diktatur sie vor der sogenannten Begehrlichkeit der Gewerkschaften, den Sozialgesetzen und der großen Sozialdemokratie befreien könnte. Sie sehnten sich nach einem „starken Mann“, der sich über die Spielregeln der Demokratie hinwegsetzt, für den die Verfassung nur ein Fetzen Papier ist. Und es gab diesen Hang zum Faschismus auch bei nicht geringen Teilen des KleinbürgerInnentums, der Bauern- und Bäuerinnenschaft, der bürgerlichen Intelligenz. HandwerkerInnen und Kaufleute, die in Not gerieten, AkademikerInnen, die keinen Posten fanden, ehemalige SparerInnen, die ihre Ersparnisse in der Inflation verloren hatten, Bauern und Bäuerinnen, die unter der Verschuldung litten, um den Besitz ihrer Höfe zitterten – sie alle waren radikalisiert, erkannten aber nicht die gesellschaftlichen, im kapitalistischen System begründeten Ursachen ihrer Not. Die weitverbreitete Korruption trug dazu bei, die Sehnsucht nach einer radikalen Änderung entstehen zu lassen. Und der Faschismus versprach diese radikale Änderung, wobei er gleichzeitig an die Vorurteile und niedrigsten Instinkte kleinbürgerlicher Massen appellierte: an den Juden- und Jüdinnen- und Fremdenhass.
Das Versagen des Kapitalismus Diese Entwicklung ging in einer Zeit vor sich, in der Wirtschafts- und Währungskrisen zu Alltagsereignissen wurden, die als Geißel der Massenarbeitslosigkeit ein Heer
Österreichischer Faschismus
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von Verzweifelten schuf, die nichts zu verlieren hatten. Das Versagen des kapitalistischen Gesellschaftssystems bestätigte die Voraussagung der marxistischen Theorie, wurde aber von vielen nicht erkannt.
Arbeitslosigkeit war eines der Hauptprobleme der Ersten Republik. Soziale und wirtschaftliche Not führte zu Verelendung breiter Bevölkerungsschichten und politischer Polarisierung.
Dieses Versagen des Kapitalismus nahm im Österreich der Zwischenkriegszeit dramatische Formen an: Die Zusammenbrüche der Banken führten zu immer neuen Betriebsschließungen, einem ständigen Wachsen der Arbeitslosigkeit. Wer arbeitslos wurde, hatte keine Chance, wieder zu einem Arbeitsplatz zu kommen. Sie gehörten nach einiger Zeit zu den „Ausgesteuerten“, die nicht einmal Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung hatten. Verzweifelte Arbeitslose beherrschten als BettlerInnen und MusikantInnen das Straßenbild, täglich gab es Selbstmorde von Menschen, die den Fluch der Arbeitslosigkeit nicht länger ertragen konnten. Bevor sie aus dem Leben schieden, wurden sie noch von den konservativen Medien als „Sozialschmarotzer“ beschimpft, die nicht arbeiten wollen. In dieser Atmosphäre wirtschaftlicher Not und sozialer Unsicherheit erstarkte der Faschismus in Österreich. Faschistische Wehrverbände, die bereits anfangs der zwanziger Jahre unter dem Vorwand des Grenzschutzes gebildet worden waren, bildeten das Rückgrat der faschistischen Bewegung. Die Angehörigen dieser Wehrverbände waren vor allem junge Bauern und demoralisierte Arbeitslose, die gekauft wurden und die Bezeichnung „Fünfschillingsmandeln“ erhielten. Kommandiert wurden die Wehrverbände, deren stärkster die Heimwehr war, von ehemaligen Offizieren der kaiserlichen Armee,
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unter ihnen auch weit rechts stehende Studenten, die am ersten Weltkrieg als Kadetten teilgenommen hatten. Der Historiker F. L. Carsten2 analysiert in seinem Buch über den Faschismus in Österreich diese Wehrverbände. Es heißt unter anderem: „Während die Massen der Heimwehrmitglieder aus der Bauernschaft kamen, waren auch zwei andere soziale Gruppen stark vertreten: Studenten und Offiziere; und viele Studenten der Nachkriegsjahre waren im Krieg Offiziere oder Kadetten gewesen. In der Steiermark wurde die Position Dr. Pfrimers wesentlich stärker, als sich ihm die Studentenbataillone aus Graz und Leoben unterstellten; sie bildeten das radikalste Element unter den Heimwehren. Ihr Grazer Führer war Rauter, der im Krieg Oberleutnant gewesen war. Wie er selbst später schrieb, war es dem Einfluss der Studenten zuzuschreiben, dass die Standarten das Hakenkreuz und die Farben Schwarz-WeißRot zeigten. Ihre Ziele waren: „Kampf gegen Marxismus, bürgerliche Demokratie, Schaffung eines autoritären Staates und der Anschluss an das Reich“. Der Steirische Heimatschutz hatte eine „antisemitische Basis“ und den Mitgliedern wurde verboten, einer politischen Partei anzugehören... Viele Offiziere und Unteroffiziere der alten Armee andererseits fanden es unmöglich, sich aufs Zivilleben umzustellen oder einen Beruf zu finden, der ihren sozialen Ansprüchen entsprach. Die Heimwehren und Frontkämpferverbände, ebenso wie die deutschen Freikorps, gaben ihnen eine Stellung, wie sie sie beanspruchen konnten; dort herrschten die gleiche Atmosphäre und Mentalität wie in der früheren Armee. Dort konnten sie den Kampf gegen den „Feind“ fortsetzen, ob dieser nun aus Jugoslawen oder aus „Roten“ bestand. Im Juni 1920 konnte der britische diplomatische Vertreter aus Wien berichten: „Es besteht kein Zweifel, dass die Bauern, die schon seit längerem bewaffnet waren, in Tirol und der Steiermark in reguläre Einheiten zusammengefasst werden, um einem möglichen Angriff bewaffneter Arbeiter Widerstand zu leisten oder sie vielleicht anzugreifen. Kurz, es scheint, als würden Vorbereitungen zum Bürgerkrieg getroffen ...“
Aufmarsch der Heimwehr
Aus der Untersuchung des Historikers F. L. Carsten geht vor allem eine Erkenntnis hervor, die auch von anderen HistorikerInnen bestätigt wird: Die Grenzen zwischen Austro- und Nazifaschismus waren in den Anfängen des österreichischen Faschismus fließend. Dass Heimwehrfaschisten den Hut mit dem Hahnenschwanz trugen, aber gleichzeitig das Hakenkreuz zur Schau stellten, war keine Seltenheit. Nicht wenige Heimwehrführer haben, wie Fürst Starhemberg, an Naziaktionen teilgenommen und mit Hitler engen Kontakt gehabt.
Jede faschistische Forderung wurde im Namen der „Soldatengeneration“ erhoben, die, wie die Sprecher der Heimwehrfaschisten erklärten, nicht länger diffamiert und wegen ihres Fronteinsatzes für die Heimat geschmäht werden dürfe. Wenn es um die „Soldatengeneration“ ging, unterschieden sich die Reden von Austro- und Nazifaschisten nicht, sie waren austauschbar. Beide beschimpften FriedensfreundInnen, die die Parole „Nie wieder Krieg!“ geprägt hatten, als VerräterInnen und Feiglinge. Beide sahen im „Soldat sein“ den Ausdruck echter Männlichkeit.
Erst später gab es zwischen Austro- und Nazifaschismus tiefreichende Differenzen. Die einen orientierten sich in die Richtung des italienischen Faschismus, die anderen wollten ein Großdeutschland unter Hitler. Gemeinsam war beiden Faschismen der Hass gegen die Demokratie und ArbeiterInnenbewegung. Die „Vernichtung des Marxismus“ gehörte zu ihren lautstark verkündeten Zielen, „die Roten“, wie SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen und KommunistInnen genannt wurden, waren für beide der Hauptfeind. Mit Recht weist F. L. Carsten darauf hin, dass die Ideologie des österreichischen Faschismus stark geprägt wurde vom sogenannten Frontgeist der Soldatengeneration. Bei allen Heimwehrverbänden wurden Orden aus dem Weltkrieg getragen. Und in den Reden erklang das Hohelied auf die Tapferkeit österreichischer und deutscher Soldaten, die durch den „Dolchstoß“, der von MarxistInnen, Juden und Jüdinnen und Freimaurern 1918 geführt worden war, um den Sieg, den sie angeblich auf dem Schlachtfeld errungen hatten, betrogen worden waren.
Wegen des Auerhahnstoßes, den sie an ihre Hüte steckten, wurden die Heimwehrmänner im Volksmund „Hahnenschwanzler“ genannt.
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Starhembergs Erinnerungen Als Kronzeuge für die Entwicklung und das Wesen des österreichischen Faschismus spielt Fürst Ernst Rüdiger von Starhemberg eine wichtige Rolle. Dieser Angehörige der altösterreichischen Hocharistokratie, ständig verschuldeter Besitzer von Schlössern und Gütern, ist aus der Geschichte der österreichischen Heimwehr, die maßgeblich an der Zerstörung der Demokratie beteiligt war, nicht wegzudenken. Zwischen Austro- und Nazifaschismus ständig schwankend, entschied sich Starhemberg letztlich für die österreichische Spielart des Faschismus, welche die volle Unterstützung der römisch-katholischen Kirche genoss und auch Beziehungen zum Haus Habsburg unterhielt. Nach dem Einmarsch Hitlerdeutschlands in Österreichc entschloss sich der Heimwehrfürst zur Emigration in die USA. Dort veröffentlichte er seine Erinnerungen. Unabhängig von seinen Motiven sind diese Erinnerungen ein zeitgeschichtliches Dokument von kaum zu überschätzendem Wert. Sie erschienen 1942 unter dem Titel: „Between Hitler and Mussolini“ („Zwischen Hitler und Mussolini“). Dieser Buchtitel ist gut gewählt: Er charakterisiert das Schwanken des Austrofaschismus zwischen der italienischen und der deutschen Diktatur3. Über die Ereignisse, die zum 12. Februar 1934, zur blutigen Niederschlagung der österreichischen ArbeiterInnenbewegung geführt haben, stellt der emigrierte Heimwehrführer unter anderem fest: „Aber ohne Rücksicht auf die möglichen politischen Konsequenzen fuhr Minister Fey auf den Republikanischen Schutzbund wie ein Blitz aus heiterem Himmel nieder und begann mit der Waffensuche. Diese unprovozierte Maßnahme wirkte unvermeidlicherweise wie eine Herausforderung. Und um die Herausforderung zu verschärfen, informierte er den Wiener Heimatschutz am Abend vor der Waffensuche über bevorstehende entscheidende Ereignisse, indem er sagte: ’Morgen werden wir reinen Tisch machen’.“ Starhemberg gibt also zu, dass Fey, der damals in der Heimwehr das Sagen hatte, als Minister die blutige Konfrontation mit dem Republikanischen Schutzbund provoziert hat. Vorher stellt er noch fest, dass die sozial-
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demokratischen Führer nicht den Wunsch hatten, einen Zusammenstoß herbeizuführen. Alle Austrofaschisten haben damals behauptet, Öster-
Der Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg (hier: 2. von links) spielte eine wesentliche Rolle im Austrofaschismus, u.a. wegen seinen Kontakten zu deutschen und italienischen Faschisten.
reich sei von der „bolschewistischen Gefahr“ bedroht, die abgewehrt werden müsse. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dieser „bolschewistischen Gefahr“ um eine Erfindung gehandelt hat, die von den eigenen Plänen des faschistischen Staatsstreichs ablenken sollte. Starhemberg gibt dazu folgende Erklärung ab: „In der Vergangenheit mag es eine bolschewistische Gefahr in Österreich gegeben haben oder, besser gesagt, die Gefahr des Versuches einer Revolution der radikalen Sozialisten. Aber zu unserer Zeit konnte davon keine Rede mehr sein. Selbst die radikalsten Führer hätten sich nichts davon träumen lassen, eine Revolte gegen den Staat zu unternehmen oder eine sozialistische Diktatur aufzurichten. Von 1930 an betrachtete ich den Republikanischen Schutzbund als die geringere Gefahr, verglichen mit dem Nationalsozialismus. Schon aus diesem Grund konnte ich unmöglich einen bewaffneten Kampf mit der Linken wünschen.“ Was Starhemberg sagt, entspricht der Wahrheit, bedarf aber einer Ergänzung: Er selbst und alle anderen Führer des österreichischen Faschismus haben das Märchen
von der „bolschewistischen Gefahr“ verbreitet und so getan, als müssten sie Österreich für das christliche Abendland retten. Die von Hitler real ausgehende Gefahr für die Selbstständigkeit Österreichs wurde von den Austrofaschisten lange geleugnet. Für sie waren immer „die Roten“ die Hauptgefahr. Sie protzten mit ihrem Antimarxismus, der weitgehend mit dem Antimarxismus der Nazis übereinstimmte. Starhemberg verurteilt dann in seinen Erinnerungen die Hinrichtungen von Schutzbündlern, die rücksichtslose Verfolgung der besiegten SozialdemokratInnen. Er spricht die Vermutung aus, dass diese Maßnahmen von Nazis durchgesetzt wurden, die den Austrofaschismus unterwanderten. Sie wollten damit erreichen, dass verbitterte Schutzbündler und SozialdemokratInnen ins Lager Hitlers getrieben werden. Diese Vermutung dürfte teilweise stimmen. Nur muss man hinzufügen: Starhemberg selbst hat keinen Finger gerührt, um diesen Terror gegen die Unterlegenen zu unterbinden. Er trägt daher für alles, was damals der Austrofaschismus im Kampf gegen die ArbeiterInnenbewegung anrichtete, zumindest Mitverantwortung. Die Heimwehr, die von Prälat Ignaz Seipel, dem Bundeskanzler des konservativen Bürgerblocks, wiederholt als „unwiderstehliche Volksbewegung“ gepriesen wurde, hat Starhemberg, der zu ihren Führern gehörte, besonders gut gekannt. In seinen Erinnerungen gibt er folgende Definition dieser Bewegung: „Der Heimatschutz bestand aus Leuten, die meistens aus den Reihen der Arbeitslosen kamen und von beschäftigungslosen Exoffizieren und Unteroffizieren geführt wurden. In einem gewissen Maße war es eine Prätorianergarde, die bereit war, wem immer zu folgen, wenn man ihr nur möglichst viel dafür zahlte.“ Starhemberg berichtet auch über die engen Kontakte, die er mit deutschen Naziführern hatte. Aber schließlich entschied er sich für die italienischen Faschisten. Und dafür liefert er in seinen Erinnnerungen die folgende Begründung: „Während dieser Periode war ich natürlich in ständiger Fühlung mit dem Vertrauensmann, zu dem Mussolini mich empfohlen hatte [wahrscheinlich war es Mussolinis Spionagechef Moreale, J.H.], und hielt ihn über den Gang der Ereignisse auf dem Laufenden. Im Juni 1932
fuhr ich mit Dollfuß‘ Zustimmung nach Rom und wurde vom Duce aufs Freundlichste empfangen. Mussolini fragte: „Was brauchen Sie? Wenn es nur irgend möglich ist, sollen Sie es haben.“ „Ich brauche Geld, ich brauche Waffen und ich brauche Ihre diplomatische Unterstützung.“ Mussolini nickte mir aufmunternd zu und ich setzte fort: „Ich brauche Geld für die Propaganda ... Dafür können die österreichischen Industriellen aus eigener Kraft nicht genügend große Fonds aufbringen. Sie gaben uns gerade so viel, um ihr Gesicht zu wahren.“ Mussolini hatte aufmerksam zugehört: „Ich begreife, dass Propaganda eine Menge Geld kostet. Aber wozu brauchen Sie Waffen? Glauben Sie, dass es einen Bürgerkrieg in Österreich geben wird?“ ... Ich behandelte die Waffenfrage noch einmal. Mussolini wollte wissen: „Wird Dollfuß zustimmen, dass ich Ihnen Gewehre gebe?“ Ich erwiderte, dass ich nicht darum gebeten hätte, wenn ich nicht seine Zustimmung hätte. „Glauben Sie, dass Dollfuß, falls es notwendig wird, den Kampf auch außerhalb des Parlaments aufnehmen wird?“ – „Ich bin überzeugt davon. Er ist, wie ich Ihnen gesagt habe, ein Frontsoldat und betrachtet sein Kanzleramt als eine Mission, die ihm von der Vorsehung anvertraut worden ist.“ Das gefiel dem Duce: „Sagen Sie Dollfuß, er kann auf meine Hilfe rechnen. Er soll sich sobald als möglich mit mir in Verbindung setzen. Sagen Sie ihm, er soll mich in Italien besuchen!“ Aus den Erinnerungen von Starhemberg ergeben sich die für die Tragödie der Ersten Republik Österreich entscheidenden Tatsachen: > Der Heimwehrfürst hat von Benito Mussolini Geld und Waffen für die faschistischen Wehrverbände verlangt und auch bekommen. > Von dieser landesverräterischen Aktion, die der Vorbereitung des BürgerInnenkrieges diente, war Bundeskanzler Dollfuß informiert, und er hat sie gebilligt. > Starhemberg bestätigt, was später dokumentarisch belegt werden konnte, dass die österreichischen Industriellen die faschistischen Wehrverbände mit Geld unterstützten. Aber die Summen reichten nicht aus, daher war die ausländische, vor allem italienische Unterstützung von großer Bedeutung.
Starhembergs Erinnerungen
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An einer anderen Stelle seiner Erinnerungen bestätigt Starhemberg, dass sein Eintritt in die Regierung, es handelte sich um das Kabinett Vaugoin, ausschließlich der Vorbereitung des faschistischen Staatsstreichs diente. Es heißt da unter anderem: „Ich gestehe offen, dass ich in das Kabinett Vaugoin mit der Absicht eintrat, einen Staatsstreich zuwege zu bringen. Die Neuwahlen interessierten mich sehr wenig, denn ich war überzeugt, dass sie wenig oder gar nichts an der parlamentarischen Situation ändern und die Geschicke Österreichs nicht innerhalb des Parlaments entschieden werden würden.
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Obwohl ich vorhatte, für einen Staatsstreich zu arbeiten, wollte ich gleichzeitig loyal gegenüber Vaugoin bleiben und den Staatsstreich mit seiner Mitarbeit und der der Armee durchführen.“ Bezeichnend ist Starhembergs Bemerkung über Neuwahlen, die wenig oder gar nichts an der parlamentarischen Situation ändern. Wie alle anderen Austrofaschisten wusste Starhemberg, dass die große Sozialdemokratie, die von Wahl zu Wahl stärker wurde, mit der Waffe des Stimmzettels nicht besiegt werden konnte. Daher wurde mit ausländischer Hilfe der faschistische Staatsstreich vorbereitet.
Geheimer Briefwechsel Mussolini – Dollfuß Die engen Beziehungen zwischen Dollfuß und Mussolini waren in Österreich bereits vor dem Staatsstreich bekannt. Aber es gab keine dokumentarischen Unterlagen über den konkreten Inhalt dieser Beziehungen. Das ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges anders geworden. Seither liegt der geheime Briefwechsel Mussolini – Dollfuß vor, und kein/e HistorikerIn hat die Echtheit dieses zeitgeschichtlichen Dokuments bezweifelt. Wie ist es dazu gekommen?
deckten, gab es auch zeitgeschichtlich interessierte Persönlichkeiten. Unter ihnen den amerikanischen Universitätsprofessor Paul R. Sweet, der in den Aktenbündeln diesen brisanten Briefwechsel entdeckte. Sweet veröffentlichte einige der von ihm abgeschriebenen und ins Englische übersetzten Briefe mit einer geschichtswissenschaftlichen Einleitung als Anhang eines Buches, das der österreichische Sozialist Julius Braunthal unter dem Titel „The Tragedy of Austria“ („Die Tragödie Österreichs“) in London herausbrachte. Der Briefwechsel Mussolini – Dollfuß erschien später auch in Österreich, in deutscher Sprache4. Der damalige Parteivorsitzende der SPÖ, Dr. Adolf Schärf, charakterisierte die Rolle, die Dollfuß, Starhemberg und Konsorten gespielt haben und die vom Briefwechsel Mussolini – Dollfuß dokumentiert wird, im Vorwort folgendermaßen:
Am 19./20. August 1933 traf Dollfuß mit Mussolini in Riccione zusammen. Mussolini unterstützte das austrofaschistische Regime mit Waffenlieferungen und Geld.
Während des Krieges wurden die Bestände des österreichischen Staatsarchivs in den Westen des Landes gebracht und in einem Bergwerk versteckt. Unter den amerikanischen Befreiern, die diese Bestände ent-
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„Dollfuß, der während seiner Regierung und während der Zeit der Regierung Schuschnigg der Bevölkerung Österreichs als Patriot hingestellt wurde, erscheint in der Beleuchtung der Dokumente ganz anders. Der Paragraph 58 des österreichischen Strafgesetzes sagt: „Das Verbrechen des Hochverrates begeht, wer etwas unternimmt ... b) was auf eine gewaltsame Veränderung der Regierungsform oder c) ... auf die Herbeiführung oder Vergrößerung einer Gefahr
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für den Staat von außen oder einer Empörung oder eines Bürgerkrieges im Inneren angelegt wäre ...“ Dieses Verbrechen haben Dollfuß und seine Helfershelfer nach dem Inhalt ihrer eigenen Briefe begangen.“ Schärf hat später so harte Worte über den Austrofaschismus kaum mehr verwendet. In den langen Jahren der Koalition wurde aus Rücksichtnahme auf den konservativen Koalitionspartner die Auseinandersetzung mit den austrofaschistischen Wegbereitern der Nazibarbarei zurückgestellt. Zu den Geschichtslügen über Dollfuß gehört auch die Behauptung, die von ihm verfügte Ausschaltung des Parlaments im März 1933 sei nur erfolgt, weil die drei Präsidenten ihre Funktionen zurücklegten und daher die Volksvertretung funktionsunfähig machten. In Wirklichkeit war dieser Vorfall nur ein Vorwand, um im Sinne des „Korneuburger Eides“, dem sich Dollfuß verpflichtet fühlte, die parlamentarische Demokratie zu zerstören. Am 18. Mai 1930 gab es im niederösterreichischen Korneuburg eine Tagung der Heimwehren, an der auch führende Politiker der regierenden Christlichsozialen Partei teilnahmen. Es wurde ein Programm beschlossen, das unter dem Namen „Korneuburger Eid“ in die Geschichte einging, weil die Teilnehmer auf dieses Programm einen Eid leisteten. Sein Inhalt war unmissverständlich faschistisch. Der wichtigste Satz lautete: „Wir verwerfen den demokratischen Parlamentarismus ...“ Der Korneuburger Eid war auch eine Antwort auf den 15. Juli 19275. Damals hatten erregte ArbeiterInnenmassen spontan gegen den Freispruch faschistischer Mörder in Wien demonstriert. Die Polizei schoss in die unbewaffnete Menge, es gab 89 Tote und viele Verwundete. Der Bundeskanzler und Prälat Ignaz Seipel prägte damals die schauerliche Devise: „Keine Milde!“ In Korneuburg wurde bei Gott geschworen, auf diesem „Keine Milde“Weg fortzufahren, bis die Demokratie beseitigt ist. Wie sehr das faschistische Italien auf die Zerstörung der Demokratie in Österreich Einfluss nahm, beweist der geheime Briefwechsel Mussolini – Dollfuß. Wer den Untergang der Ersten Republik verstehen will, sollte diesen Briefwechsel aufmerksam lesen. Wir müssen uns mit wenigen Auszügen begnügen. In einem Brief, datiert: Rom, 1. Juli 1933, schreibt Mussolini unter anderen an seinen Freund Dollfuß:
Am 18. Mai 1930 legten die Heimwehren den „Korneuburger Eid“ ab, der eine klare Absage an den demokratischen Parlamentarismus zum Inhalt hatte.
„Ich bin auch froh zu wissen, dass die Heimwehren, auf die Eure Exzellenz wie ich es immer geglaubt habe, hauptsächlich zählen sollten, ihrer Aufgabe gut entsprechen und sich vollkommen in die Politik, die Eure Exzellenz entwickeln, eingefügt haben. Das Interesse, mit welchem ich die Lage in Österreich verfolge, gestattet mir, Ihnen einige meiner Ideen über die zukünftige Entwicklung der Campagne auseinanderzusetzen, und dies auch in Beziehung auf die Hilfe, welche unser Land Österreich gewährt. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass Eure Exzellenz gegen die verbrecherischen Attentate, die in letzter Zeit in Österreich verübt und den Nationalsozialisten angelastet worden sind, in der energischsten Weise reagiert und die notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, selbst wenn es, falls nötig – und ich würde wünschen, dass man es vermeiden könnte -, auch zum Belagerungszustand kommen sollte.
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Ich bin indes der Ansicht, dass gerade weil Eure Exzellenz gezwungen sind, diese strenge polizeiliche Aktion durchzuführen, sich die Notwendigkeit in diesem Augenblick mehr denn je aufdrängt, ein Programm von effektiven und wesentlichen internen Reformen in entschieden faschistischem Sinne durchzuführen.“ Mussolini beschäftigt sich dann mit den immer bedrohlicher werdenden Aktivitäten der Nazis in Österreich und vertritt die Auffassung, diese Gefahr könne nur abgewendet werden, wenn Österreich konsequent den Weg des eigenen Faschismus beschreite. Wir lesen da unter anderem: „Wenn anstatt dessen auch weiterhin der Sozialdemokratischen Partei gegenüber mit Nachsicht vorgegangen wird, so erscheint mir die viel größere und konkretere Gefahr zu entstehen, dass damit den Nazis die Waffe des Antimarxismus in die Hand gegeben und ihnen gestattet wird, sich in einem gegebenen Moment als Retter der Lage aufzuspielen. Dass diese Waffe, die gefürchtetste, in ihren Händen sich abstumpfe und der Nazismus daher aus Österreich ganz und gar verschwinde, hängt von Eurer Exzellenz ab.
wäre, wenn ich mit meiner mehr als zehnjährigen Erfahrung mit dem faschistischen Regime in Italien Österreich bei der Lösung der verwickelten Lage, in der es sich heute befindet, nützlich sein könnte.“ Um den Nazis den Wind aus den Segeln zu nehmen, soll also Dollfuß beweisen, dass er der bessere Antimarxist ist, der es fertigbringt, auch die große österreichische Sozialdemokratie zu zerschlagen.
Dollfuß war kein Patriot Wäre Dollfuß jener patriotische Freiheitsheld gewesen, als den ihn die Dollfußlegende darzustellen versucht, hätte er dem Diktator Mussolini geantwortet: Österreich ist ein souveräner Staat und lässt sich nicht von Rom vorschreiben, was es zu tun hat. Und als österreichischer Patriot hätte er hinzufügen müssen: Die Unabhängigkeit Österreichs kann gegen die drohende Gefahr der Naziaggression nur gemeinsam mit der Sozialdemokratie verteidigt werden und nicht im Zeichen des Antimarxismus.
Ich bin überzeugt davon, dass, sobald Eure Exzellenz, an alle gesunden nationalen Kräfte Österreichs appellierend, der Sozialdemokratischen Partei in ihrer Felsenfestung Wien einen Schlag versetzen und Ihre Säuberungsaktion auf alle Zentren ausdehnen würde, die im Gegensatz zum Autoritätsprinzip des Staates zersetzende Tendenzen verfolgen, dann auch viele, die heute in den Reihen der Nazis tätig sind, in den Kreis der nationalen Front herübergezogen werden würden.“ Und dann drängt Mussolini, sich schamlos in die inneren Angelegenheiten Österreichs einmischend, auf die Zerschlagung der von den italienischen Faschisten gehassten Sozialdemokratie. Dollfuß wird gerügt, weil er sich noch nicht entschlossen habe, zum entscheidenden Schlag gegen die größte Partei der Republik auszuholen. Mussolinis Worte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Hier die wesentlichen Sätze: „Ich bin überzeugt, dass Eure Exzellenz den Freimut meiner Bemerkungen billigen werden, und ich versichere Ihnen, dass ich sehr froh
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Dollfuß am 11. September 1933 bei seiner programmatischen Rede am Wiener Trabrennplatz, in der er die Errichtung eines autoritären, »christlichen Ständestaates« ankündigte.
Aber davon findet sich in den Briefen von Dollfuß an Mussolini kein Wort. In einem Brief des österreichischen Bundeskanzlers, datiert vom 22. Juli 1933, heißt es neben vielen Komplimenten an den Diktator in Rom, unter anderem: „Die Regierung hält unerschütterlich an ihrem dahin gehenden Ziele fest, die marxistische Mentalität, marxistische Formen und Organi-
Geheimer Briefwechsel Mussolini – Dollfuß
sationen zu überwinden und diese durch einen über den Klassen stehenden Staatspatriotismus und durch berufsständischen Aufbau unter weitgehender Ingredienz einer mit starker Autorität ausgestatteten Regierung zu ersetzen. In dieser Beziehung sind wir auch fest entschlossen, sobald es die Verhältnisse zulassen, den Marxisten ihre Machtposition, die sie noch in Händen haben, zu nehmen. Gegenwärtig sind wir darauf bedacht, ihnen die finanziellen Mittel, die sie sich durch ihren übermächtigen Einfluss in der Gemeinde Wien verschafft haben, recht einschneidend zu verringern.“ Und an einer anderen Stelle des Dollfußbriefes an Mussolini lesen wir: „Die „Vaterländische Front“ wird auf dem Führerprinzip aufgebaut, Führer der Front bin ich selbst. Die „Vaterländische Front“ bezweckt den überparteilichen Zusammenschluss aller heimattreuen Österreicher zur friedlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung eines freien, selbstständigen österreichischen Staates. Die Aufnahme in die „Front“ ist daher selbstverständlich auch an das Verbot der Zugehörigkeit zu einer Klassen- und Kulturkampf verfecht-
enden Organisation sowie an die Verpflichtung geknüpft, alles beizutragen, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Angehörigen der „Front“ zu vermeiden und gegebenenfalls überbrücken zu helfen. Diese letztere Bedingung sowie der überparteiliche Charakter der „Front“ schließen jede Parteipolitik innerhalb der „Front“ aus, ebenso wie auch jeder Angehörige der „Front“ nicht als Angehöriger einer Partei, sondern als Patriot seinen Beitritt zu vollziehen und sich in der „Front“ zu betätigen hat. Der Ausschluss von Verfechtern des Klassen- und Kulturkampfes schließt naturgemäß auch die Aufnahme von Sozialdemokraten und Kommunisten aus. Eine höchst anerkennenswerte Unterstützung bei der Entdeckung auf Festigung heimattreuer Gesinnung in der Bevölkerung finde ich bei den Heimwehren und ihren Führern. Mein Verhältnis zu diesen ist, wie Eurer Exzellenz bereits bekannt, ein ausgezeichnetes, und ich freue mich, sagen zu können, dass meine Absichten bei den Exponenten dieser Bewegung vollem Verständnis und loyaler Unterstützung begegnen.“ Der Hinweis von Dollfuß auf seine „mündlichen Darlegungen“ bezieht sich auf die Begegnung mit Mussolini in Rom, wo die Errichtung der austrofaschistischen Diktatur besprochen wurde.
Die Rolle Horthyungarns In Ungarn wurde 1919 die Sowjetrepublik unter Béla Kun von der Gegenrevolution gestürzt. Das kommunistische Regime wurde nicht durch eine bürgerliche Demokratie ersetzt, sondern ein grausames Terrorregime von rechts, an dessen Spitze der berüchtigte Admiral Horthy stand, unterdrückte das ungarische Volk. Zwischen Österreich und Horthyungarn waren die Beziehungen gespannt. Dabei spielte die Bedrohung des Burgenlandes durch die ungarische Reaktion eine wesentliche Rolle. Hinzu kam, dass viele Ungarn, die vom Horthyregime verfolgt wurden, in Österreich als Flüchtlinge Zuflucht fanden. Sie informierten über den blutigen Terror
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im Nachbarland. Aber während die österreichische ArbeiterInnenbewegung mit diesen Flüchtlingen solidarisch war, gab es enge Beziehungen der konservativen Regierung und der faschistischen Wehrverbände, insbesondere der Heimwehr, zu den Machthabern in Budapest. Der ungarische Historiker Lajos Kerekes hat bei der Durchsicht des Aktenmaterials des Budapester Außenministeriums eine Reihe von Akten gefunden, welche die Rolle Horthyungarns bei der Unterstützung des österreichischen Faschismus dokumentarisch belegen6. Aus der Fülle des von ihm publizierten Materials kann hier nur weniges zitiert werden. Die Lektüre der Dokumentation
Die Rolle Horthyungarns
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Nach dem „Schandurteil von Schattendorf“ kommt es in ganz Österreich zu spontanen Streiks und Demonstrationen. In Wien wurde am 15. Juli 1927 der Justizpalast – als Symbol eines Rechtssystems, das Arbeitende als Menschen zweiter Klasse behandelt – angezündet. Die Polizei schoss in die unbewaffnete Menge, wodurch über 80 Menschen ums Leben kamen und hunderte verletzt wurden.
von Lajos Kerekes ist jedem und jeder zu empfehlen, der/die erfahren will, wie durch die Zerstörung der Demokratie mit ausländischer Hilfe in Österreich der Weg für Hitler geebnet wurde. Aus den Akten, die Kerekes im Original veröffentlicht, erfahren wir unter anderem: „Schon beim Treffen in Mailand wurde vereinbart, dass Italien die zur Stärkung der Heimwehr notwendige finanzielle Unterstützung und Waffenhilfe leisten, die ungarische Regierung aber – beziehungsweise Ministerpräsident Graf Bethlen selbst – als Vermittler die politische Lenkung der Bewegung übernehmen werde. Diese Rollenverteilung entsprang der Überlegung, dass die ungarische Regierungskrise seit 1919 in ständiger Fühlung mit der österreichischen äußersten Rechten standen und so durch ihre persönlichen Verbindungen die Entwicklung des innenpolitischen Geschehens in Österreich besser beeinflussen konnten als die Italiener.“ Von den vielen Einzelheiten über die Zusammenarbeit zwischen Heimwehr und Horthyungarn, die Kerekes dokumentiert, sei hier nur eine angeführt: „Einer der steirischen Heimwehrführer, Ferdinand von Pantz, hatte am 16. Mai 1928 über den Wiener ungarischen Gesandtschaftsrat Waldemar
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Die Rolle Horthyungarns
Alth ein Memorandum an die ungarische Regierung gerichtet, in dem er seine Ansichten über die innenpolitische Lage in Österreich darlegt und um finanzielle Unterstützung zur Stärkung der steirischen Heimwehr ersucht hatte. In dieser Denkschrift kritisierte er die Seipel-Regierung auf das Schärfste, weil sie dem immer mehr zunehmenden Einfluss der Sozialdemokraten gegenüber nicht den notwendigen Widerstand zeige. „Dass die Regierung Seipel damals (am 15. Juli 1927) nicht daranging, den Sieg über die Austromarxisten auszunützen, den Nationalrat aufzulösen, die Rädelsführer der verdienten Strafe zuzuführen und endlich Ordnung zu schaffen, belastet sie mit schwerer Schuld vor der Geschichte und vor Europa.“ Die Kritik des Heimwehrfaschisten an der Regierung Seipel ist typisch: Ihr wird vorgeworfen, dass sie nach dem 15. Juli 1927 nicht das getan hat, was dann im Februar 1934 die Regierung Dollfuß tatsächlich getan hat: Blutige Niederwerfung der Sozialdemokratie, Errichtung der austrofaschistischen Diktatur. Über die Verhandlungen, die der ungarische Regierungschef Gömbös 1933 in Italien über die Entwicklung in Österreich führte, geht aus den Akten folgendes hervor: „Darauf unterstrich Gömbös erneut die Notwendigkeit, in Österreich einer Regierung an
die Macht zu verhelfen, die ehrlich zur engen Zusammenarbeit mit Italien und Ungarn bereit sei. Er schilderte schließlich die militärische Lage Österreichs und das Kräfteverhältnis zwischen den bewaffneten Organisationen. ’Wir einigten uns gemeinsam, die Heimwehr und das österreichische Heer zur positiven organisatorischen Arbeit anzuregen, damit der österreichischen Regierung zur Durchführung ihres Willens eine entsprechende Brachialgewalt zur Verfügung steht.’“ Mussolini erklärte in diesem Zusammenhang, er werde schon jetzt alles unternehmen, damit Ungarn und Österreich genügend Waffen erhielten, er habe den zuständigen Generälen bereits die Anweisung erteilt, aus den Beutebeständen an österreichisch-ungarischem Material aus dem Weltkrieg so viel wie nur möglich zu überlassen. Der Abtransport sei Sache der militärischen Sachverständigen; auf jeden Fall sei sehr viel Umsicht und Vorsicht am Platze, damit daraus kein internationaler Skandal entstehe.“ Von hohem zeitgeschichtlichen Wert sind auch die Aktenvermerke über die Vorgänge vor dem 12. Februar 1934 in Österreich. Da heißt es unter anderem: „Am 4. Februar, also acht Tage vor dem Ausbruch des Kampfes, wandte sich Emil Fey mit der dringenden Bitte an den ungarischen Generalstab, 1,5 Millionen Ogivalpatronen zur Gewährleistung der Alarmbereitschaft der aus Weltkriegsbeständen bewaffneten Heimwehreinheiten zur Verfügung zu stellen. (Inzwischen waren die österreichischen Waffenfabriken auf die Produktion von spitzer Gewehrmunition für die modernen Waffen übergegangen.) Mit der Vorbereitung und der Durchführung des Transportes beauftragte Fey den Direktor der Hirtenberger Waffenfabrik, Mandl, der mit dem ungarischen Verteidigungsministerium Verbindung aufnahm und erreichte, dass die gewünschte Sendung am 6. Februar auf österreichischem Gebiet eintraf.“ Fey hatte in einer Rede angekündigt, dass nun „ganze Arbeit“ geleistet werden wird. Dass sich vor dem Februarkampf der eng mit Dollfuß liierte Fey mit
konkreten Wünschen für Waffenlieferungen an Horthys Ungarn wandte, wirft ein bezeichnendes Licht auf den „österreichischen Patriotismus“ der Austrofaschisten.
Mit Antimarxismus gegen die braune Welle Einen tiefen Einblick in die Geisteshaltung der österreichischen Konservativen, deren stärkste Kraft die christlich-soziale Partei war, gewähren auch die Protokolle des Klubvorstands der christlich-sozialen Partei 1932-347. Sie spiegeln den Faschisierungsprozess im konservativen Lager wider, der letztlich eine Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs gegen Hitlerdeutschland unmöglich machte. Da wurde beispielsweise bei einer Sitzung, die am 23. März 1933 stattfand, über die beunruhigende Aktivität der österreichischen Nazis gesprochen. Bundeskanzler Dollfuß sagt dazu laut Protokoll: „Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi versprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin gemildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber machen, nur dann wird es gelingen, einen Großteil der Sozi-Mitglieder beizubringen, dass sie keine Macht mehr haben und werden weggehen von den Sozi. Daher den Schutzbund auflösen, weil ich glaube, dass die Sozi nicht das Äußerste wagen werden. Und selbst wenn Druck mit dem Generalstreik. Wir stehen heute noch unter dem Druck der Marxisten.“ An der sprachlichen Schwäche dieser Aussagen dürfte nicht das Protokoll schuld sein. Aber eines ist klar ersichtlich: Bundeskanzler Dollfuß wollte der „braunen Welle“, die Österreich tödlich bedrohte, begegnen, indem er, wie Hitler in Deutschland, einen Angriff gegen den Marxismus vorbereitete. Und dieser Dollfuß soll, wie die Geschichtslügen behaupten, ein österreichischer Freiheitsheld gewesen sein? Eine der besten Darstellungen über die Persönlichkeit Dollfuß‘ hat Ernst Karl Winter gegeben, ein katholischer Gelehrter, der nach dem 12. Februar 1934 versucht hat, die ArbeiterInnenschaft mit dem „Ständestaat“ zu versöhnen. Nach dem Tod des Bundeskanzlers, den die Nazimörder am 25. Juli 1934 hilflos verbluten ließen, schrieb Winter in den „Wiener Politischen Blättern“8:
Die Rolle Horthyungarns
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„Im Bewusstsein der Verantwortung, die dem Versuch einer wissenschaftlichen Durchdringung politischer Bereiche auferlegt ist, möchte ich mich nicht vor dem Bekenntnis scheuen, dass der tragische Tod des Kanzlers meine kritische Überzeugung von der intellektuellen und moralischen Untragbarkeit seines Unterfangens vom 7. März 1933 aufs neue bestätigt hat. Ich sehe im 25. Juli die Sühne für den Weg vom 7. März 1933 bis zum 12. Februar 1934. Der Kanzler war, wie ich von allem Anfang an hier behauptet habe, blind und taub für die Mahnung zur Verständigung.
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Nichts von dem, was diese Blätter in den Verfassungskämpfen 1933 gesagt haben, kann heute zurückgenommen werden. Im Gegenteil: der 25. Juli hat es erst ganz erhärtet, dass unsere Mahnungen und Ratschläge tief berechtigt waren. Hätte Dollfuß (und hätten mehr noch seine Freunde selbst gegen seinen Willen!) auf uns gehört und unsere Vorschläge zur Lösung der Verfassungskrise angenommen, es wären diesem Land die beiden Katastrophen vom 12. Februar und vom 25. Juli 1934 erspart geblieben.“
Auf der Dollfußstraße in den Abgrund genommene Auflösung des Parlaments im März 1933 versetzte dem Kampfwillen der ArbeiterInnenbewegung einen schweren Schlag. In den Februartagen hat daher nur eine Minderheit der Schutzbündler einen heroischen, aber militärisch aussichtslosen Kampf zur Verteidigung der Demokratie geführt. Die Niederlage war aber nicht bloß eine Folge der bewaffneten Übermacht des Gegners, der auch schwere Waffen einsetzte. Entscheidend war das Versagen des Generalstreiks, eine Folge der durch das ständige Zurückweichen eingetretenen Demoralisierung breiter Schichten der arbeitenden Bevölkerung. Der Republikanische Schutzbund (hier: Schutzbund Meidling, Wien) wurde 1923 als Schutz vor faschistischen Terrorgruppen gegründet. Den Heimwehren war der Schutzbund trotz Bewaffnung weit unterlegen.
Im Februar 1934 wurde, wie Starhemberg in seinen Erinnerungen feststellt, der Republikanische Schutzbund zum Kampf gegen eine militärische Übermacht von der Regierung Dollfuß provoziert. Die Wehrorganisation der österreichischen Sozialdemokratie, die seit ihrer Gründung im Jahre 1923 stets eine defensive Haltung eingenommen hatte, war bereits vor den Kämpfen, die von Linz ihren Anfang nahmen, geschwächt und zermürbt. Das ständige Zurückweichen der Sozialdemokratischen Partei, die dem Land die Schrecken des BürgerInnenkrieges ersparen wollte, hatte viele Schutzbündler in die Resignation getrieben. Vor allem die kampflos hin-
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Über die Februarkämpfe gibt es umfassende Literatur, die viele hier nicht erwähnte Einzelheiten enthält9. Auch der Gegner wurde vom persönlichen Mut der Schutzbündler tief beeindruckt. Die von den Standesgerichten zum Tode Verurteilten haben sich auch angesichts des Galgens zu ihrer sozialistischen Gesinnung bekannt. Trotz der militärischen Niederlage war der Februarkampf nicht vergeblich, sondern ein Fanal für den faschistischen Widerstand in Europa. Zum ersten Mal hatte es einen bewaffneten Kampf gegen den Faschismus gegeben. Nach der Niederlage des Republikanischen Schutzbundes wurde, wie von Mussolini mit Dollfuß in dem zitierten Briefwechsel vereinbart worden war, die austrofaschistische Diktatur errichtet. Sie nannte sich „Christlicher deutscher Staatenbund“, wobei der deut-
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Grenzen. Sie haben ihren militärisch geschlagenen Gegner verfolgt, gedemütigt, wo immer es dazu eine Möglichkeit gab. Tausende Menschen, die an den Kämpfen nicht beteiligt waren, verloren ihre Arbeitsplätze nur deshalb, weil sie Mitglieder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei – der stärksten Partei des Landes – gewesen waren. Gewählte FunktionärInnen wurden aus ihren Ämtern vertrieben und durch Austrofaschisten, die nie gewählt worden waren und denen in der Regel auch die fachlichen Qualifikationen fehlten, ersetzt.
Toter vor dem durch Artillerietreffer weitgehend zerstörten Schlinger-Hof in Wien-Floridsdorf.
sche Charakter Österreichs – im Hinblick auf Hitlerdeutschland und die Nazis im eigenen Land – besonders betont wurde.
Das Vermögen aller sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen wurde, soweit es nicht ins Ausland gerettet werden konnte, von den austrofaschistischen Siegern gestohlen. Anstelle der freien Gewerkschaften, die das Vertrauen der großen Mehrheit der ArbeiterInnen und Angestellten besaßen, wurde eine regierungshörige „Einheitsgewerkschaft“ (EG) geschaffen, die den Namen Gewerkschaft nicht verdiente. Auch die Kammer für ArbeiterInnen und Angestellte wurde gleichgeschaltet.
Konservative Kreise haben wiederholt behauptet, dieser Staatenbund sei zwar autoritär, aber nicht faschistisch gewesen. Der Faschismus war in der Zwischenkriegszeit keine einheitliche Erscheinung, sondern es gab beachtliche Unterschiede zwischen den Faschismen. Aber es gibt auch gemeinsame Merkmale: Die Zerschlagung der parlamentarischen Demokratie, das Meinungsmonopol der Herrschenden, die rücksichtslose Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung, die Aufhebung der Grundsätze des Rechtsstaates, die Gleichschaltung der Presse. Diese Merkmale des Faschismus waren im Ständestaat gegeben. Die StaatsbürgerInnen konnten wegen ihrer Gesinnung ohne Verletzung eines geltenden Gesetzes bestraft werden. Es war möglich, sie ohne Gerichtsverfahren im austrofaschistischen Konzentrationslager, dem sogenannten „Anhaltelager“ Wöllersdorf, beliebig lange festzuhalten. Die Hinrichtungen von Schutzbündlern unterstrichen den faschistischen Charakter des „christlichen deutschen Ständestaates“. Dass sich unter diesen Hingerichteten auch der schwer verwundete Schutzbündler Münichreiter befand, der auf der Tragbahre zum Galgen gebracht wurde, beweist, wie heuchlerisch das Gerede der Austrofaschisten von christlicher Nächstenliebe war. Ihr Hass gegen die ArbeiterInnenbewegung kannte keine
Anhaltelager Wöllersdorf. Hunderte SozialistInnen, KommunistInnen und auch NationalsozialistInnen wurden ohne gerichtliche Urteile monatelang in Wöllersdorf und anderen Anhaltelagern der Regierung festgehalten.
Eine christliche Stimme über den „Ständestaat“ Der faschistische Charakter des Ständestaates ist auch von Persönlichkeiten des katholischen Lagers, insbesondere der christlichen ArbeiterInnenbewegung, die versuchten, auf dem Boden dieses Staates eine legale Opposition zu entwickeln, zugegeben worden. Hier sei lediglich auf eine bemerkenswerte Schrift von Ludwig Reichhold verwiesen, der zum Kreis des christlichen ArbeiterInnenführers Leopold Kunschak gehörte10. Auf die Frage, ob es unter Dollfuß und Schuschnigg Faschismus gegeben hat, antwortet dieser christliche Zeuge der Zeit:
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„Um keine Missverständlichkeiten aufkommen zu lassen, soll gleich gesagt werden, was davon waschechter Faschismus gewesen ist: Die Beseitigung der Parteien nach dem 12. Februar 1934, die zwangsweise Auflösung der Sozialdemokratischen Partei und die etwas weniger zwangsweise Auflösung der Christlichsozialen Partei sowie jene der Großdeutschen Partei – das war selbstverständlich Faschismus. Die Schaffung einer politischen Monopolorganisation, der Vaterländischen Front, zuerst Sammelbecken der sogenannten vaterländischen Organisationen, später eine Partei, der nur noch Einzelmitglieder angehören konnten, womit auch die „vaterländischen Organisationen“ auf den Aussterbeetat gesetzt wurden – das war nicht weniger Faschismus. Die Auflösung der sozialistischen freien Gewerkschaften, deren Zusammenspiel mit der Sozialdemokratischen Partei am 12. Februar 1934 so wenig funktioniert hat, dass der angestrebte Generalstreik, dessen Trägerinnen die freien Gewerkschaften sein mussten, zu einem beinahe totalen Versager geworden ist – auch das war natürlich Faschismus. Die Einrichtung einer gewerkschaftlichen Monopolorganisation des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, die der Aufsicht des Sozialministeriums unterstellt wurde, deren Funktionäre nicht gewählt sondern bestellt wurden und die notabene noch mit öffentlich-rechtlichem Charakter ausgestattet wurde, wenn auch die Mitgliedschaft freiwillig war – das war abermals Faschismus. Die zwangsweise Einführung einer verfassungsmäßig verankerten berufsständischen Ordnung, die den Menschen nicht mehr als Staatsbürger mit der Totalität seiner Interessen, sondern nur noch als Angehörigen eines Berufszweiges zur Kenntnis nahm, während sie ihn von der Mitbestimmung in allen übrigen Belangen ausschloss – auch das war waschechter Faschismus. Die Rolle der Heimwehr als Einpeitscher dieser staatlichen Neuordnung, einer Heimwehr, die im Sinne des Korneuburger Eides „nach der Macht im Staate“ griff, im Sinne Othmar Spanns einen eigenen „Staatsstand“ ins Leben rufen wollte, sich ausdrücklich als Mitglied
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der faschistischen Bewegung deklarierte und ausgedehnte Beziehungen zum „Duce“ unterhielt – das war erst recht waschechter Faschismus. Das alles als „Christlichen Ständestaat“ zu bezeichnen und damit an die edelsten Gefühle, an die erhabensten Überlieferungen und an das soziale Gewissen des österreichischen Volkes zu appellieren, war daher ein starkes Stück.“ Auch konservative HistorikerInnen und ÖVP-PolitikerInnen können diese Aussage des christlichen Gewerkschafters Ludwig Reichhold nicht widerlegen. Aber sie werden nicht müde zu beteuern: War der „Ständestaat“ auch nicht demokratisch, so ist er doch ein Bollwerk des österreichischen Patriotismus gegen die Nazigefahr gewesen. Aber auch das ist eine Geschichtslüge. Es gab im Ständestaat einiged, die Österreichs Unabhängigkeit gegen die Nazibarbarei verteidigen wollten, gemeinsam mit der in die Illegalität gedrängten ArbeiterInnenbewegung. Aber diese GegnerInnen des Anschlussese, zu denen auch der vorher zitierte Ernst Karl Winter und sein Kreis gehörten, konnten sich gegen die austrofaschistische Staatsführung nicht durchsetzen. Sie blieben isoliert.
Klerikaler Antisemitismus Der Aufstieg der Partei Hitlers in Deutschland und ihr Einfluss in Österreich sind unvorstellbar ohne die zügellose Hetze der Nazis gegen Juden und Jüdinnen. Wer die drohende Nazigefahr wirksam bekämpfen wollte, musste daher einen kompromisslosen Kampf gegen den Antisemitismus führen. Er/sie durfte den Judenund JüdinnenhasserInnen keine Konzessionen machen, sondern ihre über die jüdischen MitbürgerInnen verbreiteten Lügen entlarven. Ist das im „christlichen, deutschen Ständestaat“ geschehen? Die dokumentarisch zu belegende Antwort lautet: Der Austrofaschismus, unterstützt von der Hierarchie der römisch-katholischen Kirche, hat an die jahrhundertealte, bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition des klerikalen Antisemitismus angeknüpft und damit den Nazis Schützenhilfe geleistet. Dieser hausgemachte Antisemitismus, der sich auf den populären christlichsozialen Bürgermeister Karl Lueger ebenso berufen konnte wie auf den christlichen ArbeiterInnenführer Leopold Kunschak, hat im Geistesleben Österreich unermesslichen Schaden angerichtet. Die Juden und Jüdinnen wurden von klerikaler Seite als „Christusmörder“ diffamiert. Selbst die unfassbare Lüge von jüdischen Ritualmorden an christlichen Kin-
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dern spielte im klerikalen Antisemitismus eine wesentliche Rolle. Nun gab es neben dem Juden- und Jüdinnenhass der Klerikalen bereits im alten Österreich den Juden- und Jüdinnenhass der Alldeutschen, deren Repräsentant der berüchtigte Ritter von Schönerer war. Die „Schönerianer“ warfen den Juden und Jüdinnen nicht ihre Religion, sondern ihre „Rasse“ vor, wobei sie vieles vorwegnahmen, das später von der Nazipropaganda im Namen der braunen Rassenlehre verkündet wurde. Aber auch der klerikale Antisemitismus war in Österreich nicht frei von rassistischen Momenten. Typisch dafür war das eigenartige Verhalten zu getauften Juden und Jüdinnen. Ihr Übergang zum ChristInnentum wurde zwar begrüßt, aber sie galten zunächst weiter als Angehörige einer minderwertigen Rasse. Die Taufe allein war nach Meinung der klerikalen AntisemitInnen zuwenig. Es galt, den „Inneren Juden“ zu überwinden, alles Jüdische abzustreifen. Franz Josef Grobauer11 zitiert in seiner bemerkenswerten Studie eine Rede des einflussreichen Jesuitenpater Bilchmaier über das Thema: „Der Christ und der Jude“. Seine wichtigste These lautet: der getaufte Jude, die getaufte Jüdin müsse noch lange an sich arbeiten, um sein oder ihr Juden- und Jüdinnentum, das rassisch bedingt ist, zu überwinden. Pater Bilchmaier billigte daher allen christlichen Organisationen das Recht auf den „Arierparagraphen“ zu, der sich auch gegen getaufte Juden und Jüdinnen richtete. Er betonte in Übereinstimmung mit den alldeutschen AntisemitInnen und VorläuferInnen der Nazis die Bedeutung der „jüdischen Rassenmerkmale“. Die Juden und Jüdinnen waren bis zum Anschluss an Hitlerdeutschlandf im März 1938 aus dem Geistesleben Österreichs nicht wegzudenken. Das galt für den habsburgischen Vielvölkerstaat ebenso wie für die Erste Republik. Ihre Leistungen in den Bereichen Medizin, Physik, Philosophie, Psychoanalyse, Literatur, Musik, Publizistik sind bemerkenswert und international anerkannt. Der klerikale Antisemitismus bezeichnete diesen Anteil der Jüdinnen und Juden am Geistesleben Österreichs als Ausdruck einer das bodenständige Volk gefährdenden „Verjudung“. Dieser klerikale Antisemitismus war daher seinem Wesen nach reaktionär, geistes- und kulturfeindlich. Er appellierte an die dümmsten Vorurteile und Ressentiments des SpießbürgerInnentums. Aus der Fülle der Beispiele sei hier nur eines angeführt: Als die Uraufführung von Arthur Schnitzlers
„Reigen“ anfangs der zwanziger Jahre in Wien zu antisemitischen Ausschreitungen führte, gab es darüber im Parlament eine stürmische Debatte. Nur die SozialdemokratInnen verteidigten Schnitzler gegen die antisemistischen Angriffe der Klerikalen aus den Reihen der Christlichsozialen. Wie die „Reichspost“ vom 14. Jänner 1921 berichtet, hielt der damalige christlichsoziale Abgeordnete, Ignaz Seipel, der später Bundeskanzler des Bürgerblocks wurde, in einer Versammlung des Katholischen Volksbundes eine Rede, in der er Schnitzlers Theaterstück als ein „Schmutzwerk aus der Feder eines jüdischen Autors“ bezeichnete und wütende Angriffe gegen das „üble Judentum“ richtete. Es gelte, das bodenständige, christliche Volk vor dem jüdischen Einfluss zu schützen. Diese Geisteshaltung einer muffigen Sexualmoral (Schnitzler hat im „Reigen“ die Sexualität nicht als Tabu betrachtet), verbunden mit einem rabiaten Antisemitismus, war typisch für die christlichsoziale Partei und nach dem Februar 1934 auch für den „Ständestaat“. Schon aus diesem Grund konnte der „Ständestaat“ kein Bollwerk gegen den Nazismus sein. Viele literarische Werke, die von den Nazis verbrannt wurden, waren bereits von den Austrofaschisten als Ausdruck „jüdischer Zersetzung“ angeprangert worden. Der klerikale Antisemitismus wurde von großen Teilen der kirchlichen Hierarchie getragen, er prägte das Denken kleinbürgerlicher und bäuerlicher Schichten12. Dabei spielten die wirtschaftlichen Momente eine wesentliche Rolle. Die Ideologen und Propagandisten des klerikalen Antisemitismus warfen den Juden und Jüdinnen neben fehlender Moral und volksfremdem Verhalten vor allem vor, dass sie im Handel, in den Banken, in fast allen Wirtschaftsbereichen dominieren und die christlichen Kaufleute, Gewerbetreibenden, Bauern und Bäuerinnen durch ihre Geschäftspraktiken ruinieren. Es wurde auch an die Neidgefühle christlicher Ärzte, Rechtsanwälte, PublizistInnen appelliert, denen eingeredet wurde, „der Jude“ habe sie verdrängt, verhindere ihren beruflichen Aufstieg, er sei an allem, was sie bedrückt, schuld. Als die Nazis nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschlandg mit ihrer zügellosen, antisemitischen Hetze den Mord an den Juden und Jüdinnen vorbereiteten, benützten sie, wenn auch in ihrer Sprache, die gleichen Klischees vom bösen Juden und der bösen Jüdin, die die armen ChristInnen (jetzt hieß es „Arier“) betrügen und ausplündern.
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Der gescheiterte Naziputsch – kein Ruhmesblatt des Ständestaates 29. Juli 1934 treffend das Versagen des austrofaschistischen Regimes in der Auseinandersetzung mit dem Naziputsch. Wir zitieren eine bezeichnende Stelle:
25. Juli 1934 – Verhaftung eines nationalsozialistischen Putschisten, der in das Gebäude des Rundfunksenders RAVAG eingedrungen war.
Die AdvokatInnen des Austrofaschismus, die es im konservativen Lager noch immer gibt, können die Fakten über den klerikalen Antisemitismus im Ständestaat nicht leugnen. Aber sie verweisen auf den gescheiterten Naziputsch im Juli 1934. Damals haben die österreichischen Nazis versucht, durch einen Putsch die Macht zu erobern, wurden aber von der Exekutive des Ständestaates daran gehindert. Dollfuß, der im Bundeskanzleramt von den Naziputschisten ermordet wurde, wird zum Märtyrer des österreichischen Freiheitskampfes ernannt, wobei so getan wird, als habe es einen Februar 1934 nie gegeben. Es gilt, diese Legende mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Der Naziputsch im Juli 1934 war, wie aus allen vorliegenden Dokumenten hervorgeht, nur möglich, weil der Ständestaat, vor allem seine Exekutive, von Nazis unterwandert war. Nicht wenige hohe Beamte und Offiziere gehörten der illegalen NSDAP an oder besorgten als „Nationalbetonte“ deren Geschäfte. Es gab in diesem Ständestaat kaum einen Entscheidungsträger, zu dessen Familie nicht Nazis, illegale und getarnte, gehörten. Oft waren die Väter Austrofaschisten, die Söhne und Töchter Nazis. Die illegale „Arbeiter-Zeitung“ der Revolutionären Sozialisten (RS) schilderte in ihrer Ausgabe vom
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„Am hellichten Tage konnten sich 160 Hakenkreuzler in einer Schule versammeln, in Offiziers-, Soldaten- und Heimwehruniformen einkleiden und bewaffnen – die „beste Polizei der Welt“ hat nichts davon bemerkt! Sie war gerade mit Massenverhaftungen von Sozialisten beschäftigt! Am hellichten Tag konnten Putschisten in das Bundeskanzleramt eindringen, die Minister verhaften, den Bundeskanzler killen – die Militärwache, von einem Offizier kommandiert, die ständig im Bundeskanzleramt liegt, hat nicht den geringsten Versuch von Widerstand unternommen! Der Hauptschuldige an dem Zustand, in dem heute Österreich lebt, Engelbert Dollfuß, hat seine Taten mit dem Leben bezahlt. In vermessenem Übermut hat sich Dollfuß unterfangen, das österreichische Volk seiner Gewaltherrschaft zu unterwerfen, die von der ungeheuren Mehrheit des Volkes mit wildem Hass abgelehnt wurde. In vermessenem Übermut hat er geglaubt, er könne sich alles, alles erlauben, nur weil er über ein paar Batterien verfügte. Er ist, um sich nur an der Herrschaft zu halten, in Strömen von Blut gewatet. Er hat alle Eide gebrochen, alles Recht zerstört, alle Menschenwürde mit Füßen getreten, Zehntausender Lebensmöglichkeiten und Lebensglück zerstört, Zehntausende vor die Wahl gestellt, ihre Gesinnung zu verleugnen oder ihr Brot zu verlieren. Er hat unsere Besten morden, hängen, einkerkern lassen. Seine letzte Regierungstat war, dass er Josef Gerl, unseren jungen Helden, zum Galgen geschickt hat. Nun hat ihn die Rache erreicht. Nur geheuchelte Tränen fließen an dieser Bahre.
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Aber die anderen Würdenträger der faschistischen Diktatur? Sie hat ein noch viel schlimmeres Schicksal getroffen. Sie haben ihr Leben gerettet, aber ihre Ehre verloren! Da ist Fey, der Theresienritter, der Held vom Februar. Oh, damals ist er tapfer gewesen, als er sich unter dem Schutz der Kanonen in Sicherheit wusste! Da ist er in einen Gemeindebau gekommen, wo nicht ein bewaffneter Mann war, und hat Arbeiterfrauen, Arbeitermütter „rote Huren“ geschimpft. Jetzt, da die Nazi ihm die Pistole an die Brust setzen, ist ihm der Mut vergangen. Er, der immer betont hat, die „Staatsautorität“ müsse unbedingt und um jeden Preis gegen jedermann gewahrt werden, er, der hundertmal geschrien hat, man dürfe mit Rebellen nicht „packeln“, er ist an diesem 25. Juli zweimal zitternd auf den Balkon des Bundeskanzleramts getreten, um die angesammelten Polizeikräfte zu bitten, sie mögen doch um Gotteswillen die Putschisten nicht angreifen, weil sonst sein wertvolles Leben gefährdet werden könnte! Da ist Starhemberg, der Vizekanzler, der Stellvertreter des „Führers“, der Kommandant der bewaffneten Faschistenarmeen. Er war zur Erholung am Lido, als sein Kanzler gekillt wurde. Er wollte eigentlich am Donnerstag nach Wien fliegen, als er die Nachricht von dem Putsch hörte. Aber das Wetter war zu schlecht. Bei schlechtem Wetter ist ein Flug gefährlich. Der Held hat den Flug daher auf den nächsten Tag verschoben. Wenn es regnet, wird die Konterrevolution in den Saal verlegt.
mit dem italienischen Verbündeten nicht riskieren konnte – 1934 hatte die deutsche Aufrüstung erst begonnen – ließ er mit dem ihm eigenen Zynismus die österreichischen Nazis im Stich.13 Innenpolitisch war die Haltung der ArbeiterInnenbewegung von entscheidender Bedeutung: Die Nazis hatten gehofft, die geschlagenen Schutzbündler, die zutiefst verbitterten SozialdemokratInnen, alle Opfer der Februarereignisse, würden ihren Putsch unterstützen, um mit den Austrofaschisten abzurechnen. Aber diese Hoffnung erwies sich als Illusion: Kein Roter und keine Rote war bereit, den braunen Faschisten zu helfen, obwohl die Versuchung nicht gering war. Damals hätte Schuschnigg, der an die Stelle des ermordeten Dollfuß trat, die große Chance gehabt, gemeinsam mit der ArbeiterInnenbewegung eine breite österreichische Abwehrfront gegen die durch den gescheiterten Putsch geschwächten Nazis zu bilden. Aber er war dazu nicht bereit. Er hoffte weiter auf die Unterstützung des faschistischen Italien und nahm Kurs auf ein verhängnisvolles Arrangement mit Hitler. Der Ständestaat wurde auch nach der Niederlage der braunen Putschisten kein Bollwerk gegen den Nazismus.
Da ist der Schuschnigg, der stolze Heerführer der ostmärkischen Sturmscharen. Er hat im Namen der starken „autoritären“ Regierung mit den Putschisten, mit den Mördern seines Kanzlers, verhandelt. Er hat sich selbst so weit erniedrigt, die Vermittlung des deutschen Gesandten in den Verhandlungen mit den Putschisten anzunehmen!“ Dass der Naziputsch trotz des Versagens der Austrofaschisten scheiterte, hatte zwei Ursachen, eine außenpolitische und eine innenpolitische. Damals war das faschistische Italien noch nicht bereit, Österreich Hitlerdeutschland zu opfern. Daher konzentrierte Mussolini Truppen an der Brennergrenze. Da Hitler einen Bruch
Nachdem es den Putschisten – in Bundesheer- und Polizeiuniformen gekleidet – gelungen war, in das Bundeskanzleramt einzudringen, wurde Bundeskanzler Dollfuß während eines Schusswechsels getroffen und erlag wenig später seinen Verletzungen.
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Der Hitler-Schuschnigg-Pakt – ein Verhängnis für Österreich Im gleichen Jahr fand ein großer, auch im Ausland stark beachteter Prozess gegen Revolutionäre Sozialisten (RS) statt. Die Angeklagten, unter ihnen der Student Bruno Kreisky, wurden zu Anklägern gegen den Austro- und Nazifaschismus. Sie wiesen in ihren Reden darauf hin, dass Österreichs ArbeiterInnenbewegung die Rückgabe der ihr 1934 geraubten demokratischen Rechte fordert, um mit ganzer Kraft Österreich gegen Hitler verteidigen zu können. Aus diesen Reden ging klar hervor: Trotz allem Unrecht, das Österreichs ArbeiterInnen vom Austrofaschismus angetan wurde, sind sie entschlossen, gemeinsam mit anderen GegnerInnenh dem Naziaggressor entgegenzutreten.
Das tödliche Zusatzprotokoll
Bundeskanzler Schuschnigg beim Bundesappell der Vaterländischen Front am 18. Oktober 1937.
Nach dem gescheiterten Naziputsch versuchte die Regierung Schuschnigg dem eigenen Volk und der Welt einzureden, sie sei gestärkt und werde erfolgreich einen Zweifrontenkampf gegen Rote und Nazis führen. In Wirklichkeit konnte davon keine Rede sein. Der Niedergang des austrofaschistischen Regimes, das die große Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hatte, war nicht aufzuhalten. Bald begann Schuschnigg unter dem Druck Hitlers, aber auch auf Drängen Mussolinis, ein Arrangement mit den Nazis vorzubereiten. In den Betrieben haben damals die Organisationen der illegalen ArbeiterInnenbewegung, Revolutionäre SozialistInnen, KommunistInnen und Freie Gewerkschaften gegen diese verhängnisvolle Politik Schuschniggs protestiert, Unterschriften gesammelt und versucht, eine überparteiliche Abwehrfront gegen den Naziaggressor zu schaffen, wobei auch legale Positionen in der Einheitsgewerkschaft (EG) geschickt ausgenutzt wurden. Aber diese Aktion für die Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs, die auch Teile der christlichen ArbeiterInnenbewegung erfasste, konnte den Pakt zwischen Hitler und Schuschnigg im Juli 1936 nicht verhindern, der später als Todesurteil für Österreich bezeichnet wurde.
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Im Juliabkommen 1936 verpflichtete sich Hitler i die Unabhängigkeit Österreichs anzuerkennen. Wie der amerikanische Historiker Charles A. Gulick mit Recht aufzeigt, war der Text dieses Paktes aber von geringer Bedeutung.14 Entscheidend war, dass in dem nicht veröffentlichten Zusatzprotokoll Schuschnigg den österreichischen Nazis große Konzessionen machte, die mit der Unabhängigkeit Österreichs unvereinbar waren, die die Kapitulation vor Hitlerdeutschland vorbereiteten. Sogenannte Nationalbetonte, die sich später als fanatische Nazis erweisen sollten, durften sich in der „Vaterländischen Front“ legal betätigen, erhielten in der Regierung Positionen. Das Land wurde mit Nazizeitungen überschwemmt, während die von illegalen Nazis durchsetzte Polizei des Ständestaates Jagd auf die VerbreiterInnen illegaler Publikationen der ArbeiterInnenbewegung machte. Wer diese illegalen Publikationen, die im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands gesammelt wurden, heute nachliest, wird feststellen: Es gibt keine Publikationen, in der nicht die von Hitlerdeutschland drohende Gefahr für die Unabhängigkeit Österreichs hervorgehoben und zum Kampf gegen die Nazibarbarei aufgerufen wird. Bei aller Kritik an den Terrormethoden des austrofaschistischen Regimes sah die illegale ArbeiterInnenbewegung in Hitler den Hauptfeind. Das Regime Schuschnigg hatte auch aus wirtschaftlichen Gründen keine Chance gegen die Nazis. Im Österreich des „Ständestaates“ gab es Not, Elend, Massenarbeitslosig-
Der Hitler-Schuschnigg-Pakt – ein Verhängnis für Österreich
keit. In Hitlerdeutschland führte das fieberhafte Rüsten für den Zweiten Weltkrieg zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Das Schlagwort: „Hitler schafft Arbeit“ fand auch unter den verzweifelten Arbeitslosen in Österreich eine nicht zu unterschätzende Resonanz. Dass die hitlerische Arbeitsbeschaffung ausschließlich der Vorbereitung des Krieges diente, durfte das Regime Schuschniggs nicht sagen, weil sich Österreich im Juliabkommen 1936 verpflichtet hatte, als „deutscher Staat“ auch die Außenpolitik Hitlerdeutschlands zu unterstützen. Nur in den illegalen Zeitungen der unterdrückten ArbeiterInnenbewegung wurde diese Wahrheit ausgesprochen und stets von neuem darauf hingewiesen, dass Hitler den Krieg will, ihn systematisch durch die Aufrüstung vorbereitet und daher seine Arbeitsbeschaffung dem Völkermord dient. Als 1936 in Spanien die faschistischen Generäle unter Franco gegen die Republik putschten, wobei sie von Hitler und Mussolini massiv unterstützt wurden, stand der „Ständestaat“ auf der Seite der Putschisten. Österreichs Ehre wurde von jenen SozialistInnen und KommunistInnen gerettet, die in den Reihen der Internationalen Brigaden für die spanische Republik kämpften. Auch am Beispiel Spaniens wurde aller Welt klar gemacht, dass das Österreich des Ständestaates zum Lager des internationalen Faschismus gehörte.
Mahnende Denkschrift Im Mai 1937 sprach eine Delegation von Betriebsvertrauenspersonen bei Bundeskanzler Schuschnigg vor. Sie überreichte ihm eine Denkschrift, die eine dringende Mahnung zum Inhalt hatte.15 Es heißt in diesem zeitgeschichtlichen Dokument unter anderem: „ ... der Kampf um die Erhaltung eines freien, selbstständigen und unabhängigen Österreich ist in ein entscheidendes Stadium getreten. Die Gefahren, die Österreich bedrohen, sind bedenklich angewachsen. Aber die Unabhängigkeit Österreichs kann auf die Dauer nicht auf außenpolitischen Garantien beruhen. Am allerwenigsten durch eine Außenpolitik, die Österreich letzten Endes den Machtinteressen der faschistischen Großmächte überantwortet. Deutlicher denn je zeigt sich die Notwendigkeit, im Lande selbst die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass sich das österreichische Volk in seiner Mehrheit zu dem einheitlichen Willen zusammenschließt, die Unabhängigkeit und Freiheit seines Vaterlandes gegen jedermann und mit allen Mitteln zu verteidigen. Dazu aber bestehen derzeit nicht die organisatorischen und politischen Voraussetzungen. Nur Organisationen, in denen die Arbeiter wirklich frei und unabhängig sind, in denen sie ihre Vertrauensmänner selbst wählen und kontrollieren, können eine wirksame aktive Abwehr gegen den Nationalsozialismus bilden, der heute Österreich am meisten bedroht. Jeder andere Versuch als das Zusammenwirken mit der Arbeiterschaft muss nach unserer Meinung scheitern. Insbesondere der Versuch, Österreich durch eine Restauration der Habsburger zu retten. Ein solcher Versuch würde die außenpolitischen Gefahren verstärken und die innenpolitischen Schwierigkeiten steigern. Die Arbeiter und Angestellten können jedoch nur dann in die Reihen der Verteidigung Österreichs wirksam eingegliedert werden, wenn ihnen in allen wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen volles Selbstbestimmungsrecht gewährt wird.“ Der Hinweis auf die Pläne für eine Restauration der Habsburger kam nicht von ungefähr. Es gab innerhalb des Austrofaschismus monarchistische Kräfte, die von Schuschnigg gefördert wurden. Dass ein Habsburger/ eine Habsburgerin in der Wiener Hofburg keine Alternative zur Bedrohung durch Hitlerdeutschland sein konnte, versteht sich von selbst. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wollte von dem Kaiserhaus, das den Ersten Weltkrieg mitverschuldet hatte, nichts wissen. Auch bei den slawischen Nachbarvölkern, TschechInnen, SlowakInnen, JugoslawInnen, gab es eine ebenso tiefe wie berechtigte Aversion gegen die Habsburger, die diese Völker jahrhundertelang unterdrückt hatten. Die Denkschrift wurde von Hunderttausenden, ungeachtet des Polizeiterrors, unterzeichnet. Über diese Unterschriftenaktion durfte die Presse des Ständestaates nicht berichten, aber sie fand in den ausländischen Medien eine starke Resonanz. Und sie bereitete geistig jene historische BetriebsrätInnenkonferenz vor, die unmittelbar vor dem Einmarsch Hitlers in Österreichj in Wien-Floridsdorf stattfand.
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Auferstehung der gekreuzigten ArbeiterInnenbewegung Ein Teilnehmer dieser Konferenz, der sozialistische Journalist Friedrich Scheu schrieb später in seinen Erinnerungen:16 „Man hatte in dieser großen Versammlung das Gefühl, die Diktatur der letzten Jahre sei nur ein böser Traum gewesen. Die freie österreichische Arbeiterbewegung war wieder da, lebend und zuversichtlich, als ob sie nie zerschlagen oder unterdrückt worden wäre.“
Am 7. März 1938 beschloss eine Vertrauensleutekonferenz der illegalen Arbeiterorganisationen in Floridsdorf die Unterstützung des Kampfs um die österreichische Unabhängigkeit.
Zum Jahreswechsel 1937/1938 verstärkten sich die Angriffe Hitlerdeutschlands gegen Österreich, obwohl Schuschnigg ständig vor den österreichischen Nazis zurückwich, ihnen eine Konzession nach der anderen machte. Im Frühjahr wurde es zur Gewissheit: Hitler plant einen entscheidenden Schlag gegen Österreich, wenn er damit rechnen kann, dass es dagegen keinen ernst zu nehmenden Widerstand gibt. Am 7. März 1938 fand im traditionsreichen Floridsdorfer Arbeiterheim in Wien eine Konferenz der Vertrauenspersonen aus den Betrieben statt, die von der Bundesleitung der illegalen freien Gewerkschaften organisiert wurde. Da die meisten TeilnehmerInnen noch vor dem Februar 1934 demokratisch gewählte BetriebsrätInnen waren, sprach man in Österreich und im Ausland von der „Floridsdorfer Betriebsrätekonferenz“. Sie gehörte zu jenen Ereignissen, die aus der Geschichte Österreichs nicht wegzudenken sind, die aber von der konservativen Geschichtsschreibung verschwiegen werden. Diese BetriebsrätInnenkonferenz beweist, dass es in Österreich durchaus – wenn auch geringen - Widerstand gegen den „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland gegeben hat.k
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Aus der Literatur über das Ende Österreichs geht hervor, dass diese Konferenz der letzte Lichtblick war, bevor sich die Nacht der Nazibarbarei über das Land senkte. Und diese Konferenz hat bewiesen, dass die Kapitulation Schuschniggs vor Hitlerdeutschland kein zwangsläufiges Schicksal war. Sie wurde nur unvermeidlich, weil die Machthaber des Ständestaates die Stimme dieser Konferenz, die legitimiert war, für die ArbeiterInnenbewegung zu sprechen, nicht hörten, nicht hören wollten. Es ist in dieser Schrift nicht möglich, die vielen Kommentare aus der einschlägigen Literatur zu zitieren. Wir wollen uns auf den Kommentar des sozialistischen und freigewerkschaftlichen Publizisten Otto Leichter beschränken, der an der Vorbereitung der Konferenz maßgeblich beteiligt war und auch zu den TeilnehmerInnen gehörte. Er schreibt unter anderem: „Von allem Anfang an war den Teilnehmern klar, dass man an einem historischen Wendepunkt stehe, dass dies die erste freie Arbeiterzusammenkunft in Österreich seit dem 12. Februar 1934 war, die nicht an geheimen Plätzen oder im Walde tagte, und dass sie an die beiden großen Vertrauensmännerkonferenzen anknüpfte, die vor der Zerstörung der freien Arbeiterorganisationen Ende Jänner und Anfang Februar 1934 stattgefunden hatten, von denen allerdings die zweite sofort nach Beginn von der Polizei aufgelöst worden war. Es war ein Wiedersehen der Vertrauensleute, die, unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und verschiedenen Gewerkschaften angehörend, einander fast vier Jahre lang nicht gesehen hatten, jedenfalls nicht in einer Versammlung. Es war ein Wiedersehen der Vertrauensleute mit
Auferstehung der gekreuzigten ArbeiterInnenbewegung
ArbeiterInnen und Angestellte einer Wiener Textilfabrik demonstrieren für die Unabhängigkeit Österreichs.
vielen ihrer früheren Gewerkschaftsfunktionäre, die in der Illegalität nur mit einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Vertrauensmännern regelmäßig Kontakt halten konnten.
und eindeutig Stellung zu nehmen, ohne sich über die Widerstandsfähigkeit des SchuschniggRegimes irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Der Ernst der Lage war jedermann klar.“
Es war ein Wiedersehen von „Illegalen“, die lange in Haft gewesen und zum Teil erst nach der „Berchtesgadener Amnestie“, die – neben den Nazis – auch die Freigewerkschafter, Sozialisten und Kommunisten berücksichtigte, in Freiheit gesetzt worden waren und keinen Augenblick versäumten, gerade in dieser Zeit politischer Hochspannung ihre Tätigkeit wiederaufzunehmen.
Auf der Konferenz hielt Friedrich Hillegeist, Vorsitzender der illegalen Angestellengewerkschaft und Mitglied des Bundesvorstandes der illegalen freien Gewerkschaften, das Hauptreferat. Die Grundgedanken dieses Referates lassen sich verkürzt so wiedergeben:
Es war ein Wiedersehen mit vielen Vertrauensleuten, die sich in den Kontakten mit den Illegalen eine gewisse Beschränkung auferlegt hatten und nur bei Tagungen oder Versammlungen von „Legalitikern“ gesehen wurden. Es war eine, wenn auch nur einen Abend lang dauernde Wiederauferstehung der 1934 gekreuzigten Arbeiterbewegung, ein großes Aufleuchten, bevor sich die Nacht des Dritten Reiches auf die österreichische Arbeiterbewegung niedersenkte. Aber die großen Gefühlsbewegungen, welche die Vertrauensmännerversammlung in Floridsdorf vom ersten Augenblick an durchflutete, hinderte sie nicht daran, sehr nüchtern, klar
Nur freie Menschen werden und können bereit sein, auch für die Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs mit ganzer Kraft zu kämpfen. Hitler will Österreich überfallen – aber noch ist es nicht zu spät, es gilt, den arbeitenden Menschen die ihnen geraubten demokratischen Rechte zurückzugeben, um gemeinsam Österreich gegen Hitler zu verteidigen. Und zu dieser gemeinsamen Verteidigung Österreichs gegen Hitler bekannte sich auf Vorschlag von Friedrich Hillegeist die Floridsdorfer BetriebsrätInnenkonferenz. Aber Schuschnigg gab keine Antwort. Er hatte panische Angst vor den Massen des arbeitenden Volks. Außerdem fürchtete er, dass ein Bündnis mit diesen Massen ihn die Unterstützung Mussolinis kosten würde, die er in Wirklichkeit verloren hatte, weil der durch den Krieg gegen Abessinien geschwächte italienische Faschismus bereit war, Österreich Hilter zu überlassen, den Ständestaat abzuschreiben.
Auferstehung der gekreuzigten ArbeiterInnenbewegung
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Schuschniggs Kapitulation vor Hitler Am 12. Februar 1938 hatte Hitler Schuschnigg jenes Ultimatum gestellt, das den Überfall auf Österreich vorbereitete. Die Regierung des Ständestaates verschwieg der Bevölkerung den Ernst der Situation. Für die illegale ArbeiterInnenbewegung, die sich der tödlichen Bedrohung bewusst war, hatte es auch symbolische Bedeutung, dass dieses Ultimatum an einem 12. Februar gestellt wurde, vier Jahre nach der blutigen Niederwerfung des Republikanischen Schutzbundes. Die Dollfußstraße hatte in den Abgrund geführt.
Sagen. Unter seinem Schutz konnten sich die Nazis legal formieren, Bekenntnisse zu Hitlerdeutschland ablegen, das Hakenkreuz offen tragen, die Parole: „Juda verrecke!“ lautstark verkünden. Die Polizei verhielt sich passiv, der Zerfall des Ständestaates hatte begonnen.
Schuschnigg erfüllte die wesentlichen Inhalte des Ultimatums. Bei Aufrechterhaltung der formalen Unabhängigkeit Österreichs wurde das Land von den österreichischen Nazis und den „nationalbetonten“ Erfüllungsgehilfen Hitlers in der Regierung fast gleichgeschaltet. Aber Hitler war das zuwenig. Er forderte die totale Gleichschaltung. Als Schuschnigg in letzter Verzweiflung eine Volksabstimmung anordnete, bei der alle ÖsterreicherInnen, die ein unabhängiges Österreich wollen, mit „Ja“ stimmen sollten, erklärten die illegalen ArbeiterInnenorganisationen: Wir fordern unsere AnhängerInnen auf – trotz Schuschnigg – mit „Ja“ für Österreich zu stimmen. Karl Hans Sailer vom Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten wurde beauftragt, in einer Rundfunkrede dieses „Ja“ politisch zu begründen. Galt es doch, den vielen Menschen, die das austrofaschistische Regime verabscheuten, zu erklären, dass es jetzt darauf ankomme, der Weltöffentlichkeit klarzumachen, dass die Mehrheit der ÖsterreicherInnen nicht zu Nazideutschland will. Bevor Karl Hans Sailer diese Rede halten konnte, hatte Hitler von Schuschnigg die Absetzung der Volksabstimmung verlangt. Schuschnigg beugte sich auch dieser Erpressung. In Wien und anderen österreichischen Städten kam es noch zu Antinazikundgebungen, an denen SozialistInnen, KommunistInnen, GewerkschafterInnen, aber auch Angehörige christlicher Organisationen teilnahmen. Eine klassenübergreifende Bewegung für ein unabhängiges Österreich schien zu entstehen.l Aber es war zu spät. In der Regierung hatte Seyß-Inquart, der später zum Henker des holländischen Volkes werden sollte, das
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Schuschniggs Kapitulation vor Hitler
12. März 1938: Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich. Hier: Öffnung eines Grenzbalkens.
Aber auch damit war Hitler nicht zufrieden: Er befahl den Truppen der Wehrmacht und der Waffen-SS, die österreichische Grenze zu überschreiten. Am 12. März 1938 wurde die österreichische Grenze von der deutschen Wehrmacht überschritten, und so begann der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. Der „Anschluss“ stellt sich als dreifache Machtübernahme dar: 1. als massive militärische Drohung durch den Einmarsch der Wehrmacht, begleitet von einer noch früher einsetzenden Polizeiaktion von Himmlers Gestapo; 2. als Machtübernahme von einheimischen Nationalsozialisten und SympathisantInnen, die sich bereits in niedrigeren wie auch höheren Positionen des Ständestaates befanden; und 3. als demonstrative Machtübernahme „von unten“ durch bedrohlich wirkende Straßendemonstrationen, offene Aufmärsche von bislang verbotenen Parteiformationen und symbolische Aktionen.
15. März 1938: Zehntausende Menschen bejubeln den Einmarsch Hitlers am Wiener Heldenplatz.
Der Propaganda kam hierbei eine besondere Schlüsselrolle zu. Ihre Wirksamkeit ergab sich aus dem Zusammenfließen von Inszenierung und Faszination. Propaganda ersetzte reale Macht, wo sie noch nicht ausgeübt werden konnte, sie übertönte massive Interventionen aus dem Ausland, schüchterte politische GegnerInnen ein und weckte Hoffnungen bei den AnhängerInnen, sodass bei der Volksabstimmung, die zugleich auch die „Wahl zum Großdeutschen Reichstag“ war und sowohl in Österreich als auch im „Altreich“ durchgeführt wurde, 99 Prozent Ja-Stimmen brachte. Auch wenn man Manipulation und eine vorhergegangene Verhaftungswelle miteinrechnet, hat mit den offiziell 99 Prozent, sicher ein hoher Bevölkerungsanteil überzeugt mit “Ja” zum “Anschluss” gestimmt. Die Bourgeoisie, die Spitze der Kirche und auch Teile der Sozialdemokratie (wie Karl Renner) taten das ebenfalls. Sodass die „Lebenslüge der Zweiten Republik“, dass Österreich nur ein Opfer Nazideutschlands war, sehr leicht widerlegt werden kann. Die Tatsache, dass schon am 15. März 1938 Hunderttausende Hitler am Wiener Heldenplatz zujubelten, lässt die „Opferfassade“ Österreichs weiter gehörig bröckeln.m
Schuschnigg und das „deutsche Blut“ Schuschniggs Kapitulation vor dem nazideutschen Aggressor war ein Akt der Würdelosigkeit. Der Kanzler des Ständestaates begründete seinen Befehl an das
Bundesheer, keinen Widerstand zu leisten, vor allem damit, dass kein „deutsches Blut“ fließen dürfe. Damit vollzog er auch eine ideologische Kapitulation. Er bediente sich in seiner letzten Rede an das österreichische Volk der Sprache des braunen Rassismus, er kapitulierte vor dem Blutmythos der Nazis. Konnte ein österreichischer Kanzler tiefer sinken? War Schuschniggs Kapitulation, abgesehen von ihrer Würdelosigkeit, wegen der militärischen Überlegenheit Hitlerdeutschlands unvermeidlich? Blieb ihm nichts anderes übrig? Vieles spricht dafür, dass ein Widerstand im März 1938 möglich gewesen wäre. Das Bundesheer verfügte über einen Plan, der zumindest einen symbolischen Widerstand vorsah, dessen Verwirklichung Schuschnigg aber verhinderte. Dieser Widerstand des Bundesheeres hätte aller Voraussicht nach zu Demonstrationen und Streiks geführt, alle antinazistischen Kräfte des Landes mobilisiert. Und er hätte der Weltöffentlichkeit klar gemacht: Dass Teile der ÖsterreicherInnen nicht zu Hitlerdeutschland wollten, sie sind bereit für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Die kampflose Kapitulation Schuschniggs hat dem internationalen Ansehen Österreichs schweren Schaden zugefügt.n Auch Jahrzehnte nach dem Anschluss wurde international eine Diskussion über die Rolle Österreichs geführt. Es setzte sich langsam aber stetig die Überzeugung durch, dass Österreich sowohl Opfer als auch Täter war. Was ist dazu aus der Sicht österreichischer AntifaschistInnen zu sagen?
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JublerInnen und Opfer
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In aller Welt sind Bilder bekannt, die den Jubel bei der Besetzung Österreichs durch die Naziwehrmacht zeigen. Am bekanntesten ist das Bild vom Wiener Heldenplatz, wo die Massen Hitler bejubeln, der die Vereinigung Österreichs mit Deutschland o verkündet. Keines dieser Bilder ist gefälscht. Es hat diesen Jubel tatsächlich gegeben. Die JublerInnen repräsentieren zwar nicht „das gesamte österreichische Volk“, aber es kann davon ausgegangen werden, dass eine deutliche Mehrheit hinter Hitler und der NSDAP standen, oder zumindest keinen Widerstand leisteten.
sprache konnte zur Einlieferung ins Konzentrationslager führen. Später wurden Angehörige dieser Minderheiten deportiert, wobei viele den Tod fanden. Jene, die sich der Deportation entziehen konnten, haben – was vor allem für die SlowenInnen zutrifft – im Krieg als PartisanInnen einen wesentlichen Beitrag zur Befreiung Österreichs von der nazideutschen Gewaltherrschaft geleistet. Fielen sie vor der Befreiung in die Hände der Nazis, bedeutete dies den sicheren Tod.
Mit dem “Anschluss” setzte sofort die Diskriminierung und Verfolgung politischer GegnerInnen ein.p Die Nazis mussten nach ihrem Einmarsch jedoch keine einzige ArbeiterInnenorganisation auflösen. Die Schmutzarbeit hatten Dollfuß und Schuschnigg vier Jahre vorher besorgt. Sie konnten es sich sogar leisten, Straßenbahner, Feuerwehrleute und andere ArbeiterInnen des öffentlichen Dienstes, die im Februar 1934 von den AustrofaschistInnen entlassen worden waren, wieder einzustellen.
Grauenhafte Formen nahm die Verfolgung von Juden und Jüdinnen an. Bereits während des Einmarsches der Naziwehrmacht begann das Martyrium von Menschen, die nach der nazistischen Rassenlehre unabhängig von ihrem Religionsbekenntnis als Jüdinnen und Juden galten. Sie wurden zum Freiwild des antisemitischen Mobs, konnten straflos beraubt, gedemütigt, misshandelt, getötet werden. Gegen Juden und Jüdinnen war alles erlaubt, auch gegen Frauen, Greise, Kinder, Invalide.
Aber neben den JublerInnen gab es auch ein anderes, ein verfolgtes Österreich. Dazu gehörten SozialistInnen, KommunistInnen, GewerkschafterInnen, Konservative und ChristInnen, die wegen ihrer antinazistischen Gesinnung verhaftet wurden und mit den ersten Transporten in die Konzentrationslager kamen. Es ist kein Zufall, dass sich im ersten dieser Transporte Friedrich Hillegeist befand, der auf der Floridsdorfer BetriebsrätInnenkonferenz das Hauptreferat gehalten und zum Widerstand gegen Hitlerdeutschland aufgerufen hatte.
Jede Jüdin und jeder Jude hatte nach dem Überfall auf Österreich ihre oder seine Menschenwürde verloren, war hilflos den braunen Peinigern und Mördern ausgeliefert. Nicht wenige Menschen jüdischer Herkunft flüchteten, solange das noch möglich war, ins Ausland, andere flüchteten in den Selbstmord. Was sich damals in Österreich, vor allem in Wien, wo es die größte Zahl von Jüdinnen und Juden gab, ereignete, sollte für immer als unauslöschliche Schande empfunden werden. Aus jüdischen Männern und Frauen wurden sogenannte „Reibpartien“ gebildet. Sie erhielten den Befehl, antinazistische Parolen auf den Straßen und von den Hauswänden abzuwaschen. Oft musste diese Arbeit mit Zahnbürsten verrichtet werden, wobei die Arbeitenden geschlagen, mit Fußtritten traktiert, verhöhnt, bespuckt wurden.
Es gab eine teuflische Doppelstrategie der Nazis gegenüber der ArbeiterInnenbewegung: Während um die Gunst ehemaliger SozialdemokratInnen, FreigewerkschafterInnen und Schutzbündler gebuhlt wurde, kamen FunktionärInnen, die sich offen gegen den braunen Faschismus exponiert hatten, nach der Verhaftung durch die Gestapo ins Konzentrationslager. Zu den Verfolgten gehörten auch die Angehörigen slawischer Minderheiten, vor allem Wiener TschechInnen und Kärntner SlowenInnen. Sie wurden diskriminiert, ihre Schulen geschlossen, die Kultur- und Sportorganisationen verboten. Der Gebrauch der slawischen Mutter-
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Der Fluch des Antisemitismus
Die Organisatoren dieser sadistischen Prozesse waren Funktionäre der Nazipartei, der SA, der SS und der Hitlerjugend. Aber es darf nicht aus falscher Scham verschwiegen werden, dass auch Teile der Bevölkerung, die nicht den NS-Organisationen angehörten, an diesen grausamen Misshandlungen teilnahmen, die Hilflose als „Saujuden“ beschimpften, oft auch in deren Wohnungen eindrangen, um dort zu plündern.
Später ist im Ausland die Frage gestellt worden: Warum hat es in anderen europäischen Ländern, die auch von der Naziwehrmacht besetzt wurden und wo es ebenfalls Jüdinnen- und Judenverfolgung gab, eine solche aktive Teilnahme von Teilen der Bevölkerung an der Peinigung von Juden und Jüdinnen nicht gegeben? Dafür gibt es eine geschichtliche Erklärung: Weil es in Österreich eine jahrhundertealte Tradition des Antisemitismus gibt. Vor allem der klerikale Antisemitismus hat wichtige Vorarbeit für die Gräuel geleistet, die nach dem Einmarsch Hitlerdeutschlands in Österreich gegen die Juden und Jüdinnen begangen wurden. Die Jüdinnen und Juden, die öffentlich misshandelt wurden, sind vorher als „zersetzende jüdische Elemente“ von Luegers und Seipels an den Pranger gestellt, der Verachtung preisgegeben worden. Das von der römischkatholischen Kirche verbreitete Lügenmärchen von jüdischen Ritualmorden an christlichen Kindern war für viele, die damals Juden und Jüdinnen misshandelt haben, eine moralische Rechtfertigung ihrer Handlungsweise. Schließlich waren die Jüdinnen und Juden, wie oft von den Kanzeln der Kirche verkündet worden ist, auch die MörderInnen von Jesus Christus. Warum sollte es eine Sünde sein, Christus-Mörder zu misshandeln?
Der Massenmord an Juden und Jüdinnen Was den Juden und Jüdinnen angetan wurde, erfuhr auch das westliche Ausland durch Berichte der eigenen KorrespondentInnen und der jüdischen Flüchtlinge. Aber die Resonanz war bestürzend schwach. Die Einwanderung für Juden und Jüdinnen wurde erschwert, es kam vor, dass Flüchtlinge abgewiesen, den Nazischergen ausgeliefert wurden. Der Aufschrei der Empörung, den viele erhofft hatten, blieb im Westen aus. Warum? Die Ursache ist darin zu suchen, dass es damals im Westen starke Kräfte vor allem im konservativen BesitzbürgerInnentum gab, die ein Arrangement mit Hitler vorbereiteten. Dazu ist es schließlich auch gekommen: Das Abkommen von München hat zwar nicht, wie von Paris und London behauptet wurde, den Frieden gerettet, aber die Tschechoslowakei Hitler geopfert und ihn zu weiteren Aggressionen ermuntert. Als in Frankreich eine Regierung der Volksfront entstand, die eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit und andere soziale Reformen verwirklichte, konnte man in der großbürgerlich-konservativen Presse lesen, Hitler sei besser als die Volksfront. Besonders gelobt wurde er, weil es
Im November 1938 wurden in der „Reichskristallnacht“ hunderte Synagogen zerstört und jüdische Geschäfte geplündert. Hier: der zerstörte Pazmaniten-Tempel in Wien-Leopoldstadt.
ihm gelungen war, die Gewerkschaften zu zerschlagen, Lohnbewegungen zu verhindern, die Profite der UnternehmerInnen zu erhöhen, die an der Aufrüstung glänzend verdienten. Hitler wurde vom westlichen BesitzbürgerInnentum als Retter vor dem Kommunismus gefeiert. Über die Verfolgung von Juden und Jüdinnen, die in Österreich am schlimmsten war, aber auch im sogenannten „Altreich“, wie Deutschland im Nazijargon hieß, sich ständig verschärfte, gab es in den konservativen Kreisen des Westens eine heuchlerische Sprachregelung: Man bedauerte das Furchtbare, das den Jüdinnen und Juden angetan wurde, fügte aber beschwichtigend hinzu, es handle sich um „Übergriffe untergeordneter Organe“. Bald werde unter dem Einfluss von gemäßigten Militär- und Wirtschaftskreisen mit diesen „Übergriffen“ Schluss gemacht werden. Das genaue Gegenteil dieser Voraussage ist eingetreten: Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden wurde immer grausamer. Sie erreichte im November 1938, in der sogenannten „Reichskristallnacht“, einen dramatischen Höhepunkt: Die Synagogen wurden niedergebrannt, die jüdischen Geschäfte geplündert und „arisiert“. Alle Menschen jüdischer Herkunft verloren ihre Arbeitsplätze, wurden ebenso Demütigungen wie kleinlichen Schikanen ausgesetzt: Juden und Jüdinnen war es verboten, Haustiere und Radioapparate zu besitzen. Sie durften öffentliche Verkehrsmittel nicht oder nur in eingeschränkter Form benützen. Auf Parkbänken, die „nur für Arier“ bezeichnet waren, durften sie nicht sitzen.
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Jüdischen ÄrztInnen war es untersagt, „arische“ PatientInnen zu behandeln. In den Schulen wurden jüdische Kinder zunächst diskriminiert, dann durften sie am Unterricht nicht mehr teilnehmen. Schließlich wurden die Jüdinnen und Juden gezwungen, den gelben „Judenstern“ zu tragen. Ihre Einkäufe durften sie nur zu besonders ungünstigen Zeiten tätigen, der Kontakt zwischen Juden und Jüdinnen und sogenannten ArierInnen war für beide Seiten mit Gefahr verbunden. Alle jüdischen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen – unter ihnen international angesehene Persönlichkeiten – hatten strengstes Betätigungsverbot. Die meisten wurden in Konzentrationslager gebracht oder zur Emigration gezwungen. Diese Liste antijüdischer Maßnahmen ist weit davon entfernt, vollständig zu sein. Aber sie beweist, dass die Jüdinnen- und Judenverfolgung zunächst in der Öffentlichkeit vor sich ging und daher niemand, der oder die damals gelebt hat, behaupten kann, er oder sie habe davon nichts gewusst. Nur das letzte Kapitel der Jüdinnen- und Judenverfolgung galt als „geheime Reichssache“: Die Jüdinnen und Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert und dort systematisch ermordet. Die am häufigsten angewandte Methode des Jüdinnen- und Judenmordes war das Ersticken in der Gaskammer. Die Leichen der Ermordeten wurden dann in den Krematorien verbrannt. Unter den sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die auf diese Weise von den Nazis, die den Juden- und Jüdinnenmord industrialisiert hatten (Verwendung von Haaren und Goldzähnen der Ermordeten), umgebracht wurden, befanden sich auch die ÖsterreicherInnen jüdischer Herkunft. Nur wenige haben das große Morden überlebt. Diese ZeugInnen der Zeit, gezeichnet von den Leiden der KZ-Haft, sprechen heute für die Toten. Was sie zu sagen haben, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Das Vermächtnis der Toten zu erfüllen, verpflichtet die Lebenden, jede Regung des Antisemitismus rechtzeitig zu bekämpfen.17
Österreichs WiderstandskämpferInnen Es gab im Österreich der NS-Zeit Frauen und Männer, die Widerstand geleistet haben. Der österreichische Widerstand ist ein Teil des europäischen Widerstandes gegen den Versuch der braunen Machthaber, Europa in ein riesiges Konzentrationslager zu verwandeln. In der Nazisprache hieß das: „Neuordnung Europas“. Österreichs WiderstandskämpferInnen kamen aus
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allen Klassen und Schichten des Volkes, sie hatten unterschiedliche politische Meinungen. Die einen kamen aus der ArbeiterInnenbewegung, waren Revolutionäre SozialistInnen, KommunistInnen und GewerkschafterInnen. Sie hatten auch die austrofaschistische Diktatur bekämpft, ständig vor der braunen Gefahr gewarnt, die der Ständestaat nicht abwehren konnte. Die anderen kamen aus dem bürgerlichen und bäuerlichen Milieu, unter ihnen gab es Konservative, gläubige ChristInnen, MonarchistInnen, ehemalige TrägerInnen des austrofaschistischen Regimes. Was diese WiderstandskämpferInnen einte, war die Entschlossenheit, die Nazibarbarei zu bekämpfen, für Österreichs Freiheit Widerstand zu leisten. Die zwischen ihnen bestehenden Meinungsunterschiede wurden nicht geleugnet, aber sie stellten das Gemeinsame in den Vordergrund. Hinzu kam, dass sich bei allen ein starkes Österreichbewusstsein entwickelt hatte, das es früher kaum gab. Die Gewaltherrschaft der Nazis wurde auch als Unterdrückung der österreichischen Nation empfunden. Die WiderstandskämpferInnen konnten sich nur in kleinen Gruppen sammeln, unterlagen den Regeln der Konspiration, blieben im Dunkeln. Daher entstand zunächst im Ausland die falsche Meinung, in Österreich gäbe es keinen Widerstand, alle ÖsterreicherInnen seien für Hitler oder hätten sich zumindest mit der Besetzung ihres Landes abgefunden. In Wirklichkeit repräsentierten die WiderstandskämpferInnen, deren Aktivitäten dokumentiert sind, das andere Österreich. Sie haben im Kampf gegen die Nazibarbarei große Leistungen erbracht, die von fast allen HistorikerInnen anerkannt werden. Auf sie berief sich nach der Befreiung das offizielle Österreich im Ringen um den Staatsvertrag. Die 2700 ÖsterreicherInnen, die als aktive WiderstandskämpferInnen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, sind, ebenso wie die vielen anderen, die in den Gefängnissen und Konzentrationslagern ihr Leben verloren, MärtyrerInnen des österreichischen Freiheitskampfes. Ihr Widerstand gegen Hitler wurde wiederholt als Ehrenrettung für Österreich bezeichnet. Und diese Ehrenrettung war schon deshalb von Bedeutung, weil unter den braunen KriegsverbrecherInnen und MassenmörderInnen der Prozentsatz der ÖsterreicherInnen bestürzend hoch war. Die WiderstandskämpferInnen haben nach dem „Anschluss“ Österreichs q erklärt: „Hitler bedeutet Krieg“.
Als diese Einschätzung 1939 durch Hitlers Angriff auf Polen bestätigt wurde, erklärten sie in Flugblättern, deren Herstellung und Verbreitung nur unter Einsatz des Lebens möglich war: Dieser Hitlerkrieg bedeutet daher für österreichische Wehrmachtsangehörige: Widerstand leisten, die Niederlage Hitlerdeutschlands beschleunigen, für Österreichs Unabhängigkeit kämpfen. Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes können jene Gestapo- und Gerichtsakten studiert werden, aus denen hervorgeht, wie kühn und vielfältig die Aktionen österreichischer WiderstandskämpferInnen waren. Diese Männer und Frauen, die ihr Leben für Österreichs Freiheit geopfert haben, verdienen es, auch in der Gegenwart nicht vergessen zu werden. Aus den Stimmungsberichten der Gestapo über die Lage in der
„Ostmark“ ergibt sich eine Erkenntnis: Außer den WiderstandskämpferInnen, die eine kleine Minderheit waren, leisteten viele ÖsterreicherInnen, vor allem gegen Ende des Krieges, passiven Widerstand. Dazu gehörte, wie die Gestapo registrierte, das „Miesmachen“, das ständige „Gerede über Versorgungsmängel“ etc. Die WiderstandskämpferInnen waren daher nicht isoliert, sondern brachten auch die Stimmung von Schichten zum Ausdruck, die den offenen Widerstand nicht wagten, aber alles versuchten, um die braune Herrschaft zu schwächen, die Niederlage Hitlers zu beschleunigen.18 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass es bis zur Befreiung österreichische Nazis gab, die an den „Endsieg“ glaubten oder zu glauben vorgaben, und bereit waren, jeden Mordbefehl auszuführen. Manche haben noch wenige Stunden bevor die alliierten Truppen das Land befreiten, Morde an WiderstandskämpferInnen verübt.
Die neue Gefahr von rechts Nach der Befreiung Europas von der Schreckensherrschaft Hitlerdeutschlands 1945 haben viele EuropäerInnen, auch ÖsterreicherInnen, gehofft, dass es nie wieder Faschismus, nie wieder eine Gefahr von rechts geben wird. Aber diese Hoffung erwies sich als Illusion. Es gibt die Gefahr von rechts und Ansätze eines neuen Faschismus bei uns und auch in anderen Ländern. Wie ist diese zutiefst beunruhigende Erscheinung zu erklären? Die wesentliche Ursache ist darin zu suchen, dass die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, auf deren Boden der Faschismus entstand, nicht mit ihm beseitigt wurde. Sie hat sich zwar in manchen Bereichen gewandelt, aber ihr Wesen ist unverändert geblieben. Einen krisenfreien Kapitalismus kann es nicht geben. Es gibt daher in allen kapitalistischen Ländern Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit, Armut, Spannungen, Konflikte, die einen günstigen Nährboden für eine neue Gefahr von rechts bedeuten. Vor allem werden bei wachsender Arbeitslosigkeit Rassismus, Antisemitismus, AusländerInnenhass gefördert, weil sie die Funktion erfüllen, von den wirklichen Ursachen abzulenken, Sündenböcke zu finden, an denen die Wut und Enttäuschung abreagiert werden können.
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Aber die Gefahr von rechts nimmt in den einzelnen Ländern unterschiedliche Formen an, die historisch bedingt sind. In Österreich knüpfen Rassismus, Antisemitismus und AusländerInnenhass an die nicht aufgearbeitete faschistische Vergangenheit an. Es rächt sich bitter, dass in der Zweiten Republik würdelos um Nazistimmen gebuhlt wurde. Um diese Stimmen zu gewinnen, wurde über die grausamen Verbrechen, die in der NS-Zeit unter maßgeblicher Beteiligung österreichischer Nazis begangen wurden, nicht oder nur selten gesprochen. Massenmorde wurden mit „Befehlsnotstand“ oder „Pflichterfüllung“ gerechtfertigt. In diesem Klima konnten sich die Unbelehrbaren sammeln, Naziorden tragen, Nazilieder singen, die WiderstandskämpferInnen diffamieren. Das Land wurde überschwemmt mit Nazibüchern, neonazistischen Publikationen und Landserheften. In einem Wiener Boulevardblatt mit Massenauflage konnte eine „Judenserie“ erscheinen, die an die niedrigsten Instinkte des Antisemitismus appellierte. Viele wagten es nicht, dagegen aufzutreten, weil sie den Einfluss des Boulevardblattes fürchteten.
Die neue Gefahr von rechts
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Es wurde in den Jahren nach der Befreiung auch nichts unternommen, um jene ÖsterreicherInnen, unter ihnen weltberühmte WissenschafterInnen und KünstlerInnen, in die Heimat zurückzuholen, die im März 1938 von der Nazibarbarei ins Exil getrieben wurden. Die EmigrantInnen, die dennoch zurückkehrten, wurden in der Regel schlecht behandelt, als ob die Emigration eine unehrenhafte Handlung gewesen wäre. Ehemalige KZ-Häftlinge, die das Grauen der Konzentrationslager erlebt hatten, wurden von prominenten PolitikerInnen ermahnt, endlich aufzuhören, über „diese Dinge, die doch der Vergangenheit angehören“, zu sprechen. „Die Leute“, so wurde argumentiert, wollen das nicht mehr hören, sie verlangen, dass ein Schlussstrich gezogen wird. „Die Leute“, die das verlangten, waren vor allem belastete Nazis.
Schleichender Faschismus Die neue Gefahr von rechts geht nicht nur von Neonazigruppen und rechtsextremistischen Organisationen aus, die im Sinne der Verfassung und der geltenden Gesetze verboten werden müssten.19 Es gibt in Österreich der Zweiten Republik auch einen schleichenden Faschismus, der die demokratischen Parteien unterwandert. Immer wieder kommt es vor, dass bekannte PolitikerInnen aus den Reihen der Konservativen antisemitische Exzesse verteidigen oder selbst antisemitische Erklärungen abgeben. Da wird von der „ehrlosen Gesellschaft“ einer jüdischen Organisation geredet oder augenzwinkernd von „gewissen Kreisen“, die im Ausland die Presse beherrschen. Nach der Welle des Antisemitismus, die während der Bundespräsidentenwahl 1986 ausgelöst wurde, sagte der Dichter Erich Fried20 in einer viel beachteten Rede: „Aller angebliche Schimpf, der Österreich angetan worden sein soll, ist nichts gegen den Schimpf, den von allen guten Geistern verlassene Österreicher sich selbst und unserem Land antun.“ Die neue Gefahr von rechts hat zu einer österreichischen Unkultur geführt, die jedem und jeder kultivierten ÖsterreicherIn die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. Da werden große KünstlerInnen, die unkonventionelle Wege beschreiten, verhöhnt und bedroht. Ein muffiger Provinzialismus lehnt alles ab, was SpießerInnen nicht begreifen. Und es ist kein Zufall, dass diese Attacken besonders heftig sind, wenn es sich um KünstlerInnen
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jüdischer Herkunft handelt. Das Angebot an den bedeutenden Regisseur Tabori, er möge seine Stücke in einer Bedürfnisanstalt inszenieren, war kein Ausrutscher. Es drückt – um beim Bild von Bedürfnisanstalten zu bleiben – jene stinkende-reaktionäre Gesinnung aus, die zur Gefahr von rechts gehört. An den Stammtischen der Ewiggestrigen, aber auch in manchen Schulen werden ständig widerwärtige Judenund Jüdinnenwitze erzählt. Manche dieser Witze sind sogar in Schulbüchern zu finden. Sie haben fast immer den Juden- und Jüdinnenmord zum Inhalt, über den sich die Witzeerzähler und ihre ZuhörerInnen köstlich amüsieren. Vor allem den Vorgang des Vergasens finden sie belustigend. Dieser Jüdinnen- und Judenhass ist, wir wiederholen es, ein Erbe des klerikalen und des nazistischen Antisemitismus. Obwohl die Zahl der in Österreich lebenden Jüdinnen und Juden gering ist, wird er konserviert. Aber es gibt auch AnitsemitInnen, die ständig behaupten, keine zu sein. Sie wollen angeblich das Aufkommen antisemitischer Gefühle verhindern, aber um das erreichen zu können, müssen die Jüdinnen und Juden brav, loyal und schweigsam sein. Wer es etwa wagt, an seine oder ihre in der NS-Zeit ermordeten Angehörigen zu erinnern, verhält sich ungehörig, provoziert den Antisemitismus. Diese WarnerInnen vor dem Antisemitismus sind im Grunde ihres Herzen bösartige AntisemitInnen, die jedem Juden und jeder Jüdin einen Maulkorb umhängen möchten. In dieser Atmosphäre gibt es auch einen wachsenden AusländerInnenhass, der sich vor allem gegen jugoslawische und türkische ArbeiterInnen richtet, die angeblich den ÖsterreicherInnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Hinzu kommt die gehässige Haltung gegenüber der slowenischen Minderheit. Bescheidene, dem Staatsvertrag entsprechende Forderungen der SlowenInnen werden als Gefahr für das „deutsche Kärnten“ hingestellt, die Opfer slowenischer WiderstandskämpferInnen im Kampf gegen die Nazibarbarei mit keinem Wort erwähnt. Bei den Veranstaltungen der Kameradschaftsbünde und an vielen Stammtischen wird der Hitlerkrieg als „unser“ Krieg bezeichnet, den „wir“ leider verloren haben. Die Gefahr von rechts, die hier nur an wenigen Beispielen illustriert wurde, darf nicht unterschätzt werden. Aber es ist auch falsch, zu resignieren, zu fürchten, die Schrecken des Faschismus würden sich wiederholen. Dieser Pessimismus ist durch nichts gerechtfertigt. Gibt
es doch gegen die Gefahr von rechts und die Ansätze eines neuen Faschismus ein wirksames Mittel: einen kämpferischen Antifaschismus, die Schaffung einer demokratischen Gegenöffentlichkeit. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sollte daher offensiv geführt werden, eng verknüpft mit den Aufgaben der Gegenwart und den Perspektiven der Zukunft: Die AntifaschistInnen dürfen sich nicht in ein VeteranInneneck drängen lassen, sondern müssen zu allen aktuellen Fragen aus antifaschistischer Sicht Stellung nehmen.
Die außenpolitische Lage vereinfacht die antifaschistische Aktivität. Österreich ist ein immerwährend-neutrales Land, das zur Abrüstung und Entspannung einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Je stärker sich unser Land im Friedenskampf engagiert, desto eher wird das Gift der faschistischen Ideologie, des Antisemitismus und AusländerInnenhasses aus den Köpfen und Gefühlen der Menschen entfernt werden. In einem Österreich, das sich seiner Funktion als Brücke zwischen Ost und West bewusst ist, gibt es keinen Platz für alte und neue FaschistInnen.
Die neue Gefahr von rechts
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Entnazifizierung und Schlussstrich in Österreich 1945-1955 Dass Österreich in erster Linie ein Opfer Hitlers gewesen war, war jahrzehntelang ein gesellschaftlicher Konsens, an dem nicht gerührt wurde. Erst 1991 sprach ein österreichischer Regierungschef, Bundeskanzler Franz Vranitzky aus, dass ÖsterreicherInnen nicht nur Opfer, sondern auch TäterInnen des NS-Regimes gewesen waren und brach so mit dem jahrzehntelang vom offiziellen Österreich gepflegten Opfermythos. Die große Beteiligung von Österreichern an NS-Verbrechen ist mittlerweile historisch dokumentiert und geht weit über das Bejubeln des „Anschlusses“ am Heldenplatz 1938 hinaus. Neben der überdurchschnittlichen Repräsentanz in Einheiten, die am Massenmord der Nazis beteiligt waren, zeigte sich die Unterstützung vieler ÖsterreicherInnen für das neue Regime auch in den exorbitanten Mitgliederzahlen der NSDAP in „der Ostmark“. Anders als das jahrzehntelange Verdrängen dieser TäterInnendimension vermuten lassen würde, gab es aber auch in Österreich bemerkenswerte Ansätze einer strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern. Doch die Tätigkeit dieser „Volksgerichte“ passte recht bald nicht mehr so richtig ins Bild des Nachkriegsösterreich, in dem man sich als „erstes Opfer“ Hitlers verstand, und in dem die Parteien spätestens vor den Nationalratswahlen 1949 in einen offenen Wettlauf um die insgesamt 700.000 ehemaligen NSDAP-Mitglieder eintraten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über Instrumente und Verlauf der Entnazifizierung und die Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten in die österreichische Gesellschaft gegeben werden.
Die Befreiung und der Beginn des Opfermythos Noch während die Kämpfe zur Befreiung Wiens im April 1945 in vollem Gange waren, begannen VertreterInnen von SPÖ, ÖVP und KPÖ die Wiederaufnahme ihrer legalen Tätigkeit vorzubereiten. Mitte April konstituierten sich provisorische Parteivorstände und nahmen – mit wohlwollender Billigung durch die Rote Armee – Verhandlungen über die Bildung einer Provisorischen Regierung auf. Am 27. April 1945 veröffentlichten die Vorstände von SPÖ, ÖVP und KPÖ eine „Unabhängigkeitserklärung“. Darin wurde zunächst proklamiert, dass „die demokratische
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Die Provisorische Regierung der 2. Republik; die Minister v.l.n.r.: Schumy, Böhm, Heinl, Zimmermann, Fischer, Koplenig, Figl, Renner, Schärf, Honner, Gerö, Kraus, Raab.
Republik Österreich... wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 wiedereinzurichten ist.“ Der Anschluss wurde für „null und nichtig“ erklärt. Die Begründung dafür bot bereits alle wesentlichen Anknüpfungspunkte, mit denen Österreich in weiterer Folge eine Mitverantwortung für die Verbrechen der Nazis weitgehend leugnen sollte. In der Unabhängigkeitsdeklaration erklärten die Parteien, dass Hitler-Deutschland „kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat.“ Gerade in den ersten Wochen und Monaten der Republik spielte der „antifaschistische Konsens“ jedoch eine wesentliche politische Rolle. Er machte die Zerschlagung der NS-Strukturen und die strafrechtliche Verfolgung der TäterInnen zu einem allgemeinen Anliegen, sodass darin (noch) kein Widerspruch zur „Opferrolle“ Österreichs gesehen wurde. Auch wenn die Ausmaße der Nazi-Verbrechen nicht in vollem Ausmaß bekannt waren, war die dringende Notwendigkeit, die TäterInnen für das unfassbare Unrecht hart zu bestrafen (noch) unumstritten. Neben den Entnazifizierungs-Maßnahmen
Entnazifizierung und Schlussstrich in Österreich 1945-1955
der Alliierten, die führende österreichische Nazi-Größen verhafteten und internierten, ging auch die junge Republik unmittelbar nach 1945 daran, die große Masse von NSTäterInnen zu erfassen und strafrechtlich zu verfolgen.
Die Instrumente der Entnazifizierung – das Verbotsgesetz Am 30. April setzte der neue Staatskanzler Karl Renner ein Komitee aller drei Parteien an, die damit beauftragt wurden, ein Verbotsgesetz (VG) auszuarbeiten. Es wurde am 8. Mai 1945 als Bundesverfassungsgesetz beschlossen und erlangte nach seiner Bestätigung durch den Alliierten Rat am 10. Oktober im gesamten Bundesgebiet - und nicht wie zuvor nur in der sowjetischen Besatzungszone – Gültigkeit. Das Verbotsgesetz verfügte die Auflösung der NSDAP und ihrer Gliederungen, verbot ihre Neubildung und bedrohte eine weitere Betätigung mit der Todesstrafe. Von gravierender politischer Bedeutung war die Registrierungspflicht aller Mitglieder der NSDAP und ihrer Wehrverbände (z.B. die SA oder die SS). Die Unterlassung der Registrierung wurde unter Strafe gestellt. Die Betätigung als „Illegaler“, also die Mitgliedschaft zwischen Juli 1933, als die NSDAP in Österreich verboten wurde, und dem 12. März 1938, wurde ebenso unter Strafe gestellt. Die Taten derjenigen „Illegalen“, deren „Tat vorläufig nicht verfolgt wird“, sollten aus dem Staatsdienst entlassen werden. Schärfer sollte gegen jene Illegalen vorgegangen werden, die „besonders schimpfliche Handlungen“ oder solche „die den Gesetzen der Menschlichkeit widersprechen“ zu verantworten hatten. Mehrere Formulierungen im ursprünglichen Gesetz, vor allem aber seine Novellierung im Jahre 1947 und in späteren Jahren, schufen Schlupflöcher, durch die zahlreiche TäterInnen schlüpfen konnten, und auf die im späteren Zusammenhang einzugehen sein wird. Auch wenn sein Formalismus in der Nachbetrachtung gelegentlich für Kritik sorgt, war das Verbotsgesetz aber jedenfalls ein sehr strenges Gesetz, mit dem die neuentstandene Republik ihre Entschlossenheit demonstrieren wollte, Nazi-TäterInnen zu bestrafen.
Die Instrumente der Entnazifizierung – das Kriegsverbrechergesetz Im Juni folgte dem Verbotsgesetz das Kriegsverbrechergesetz (KVG). Darin wurden zunächst hohe Funk-
tionäre des NS-Regimes allein aufgrund ihrer Funktion zu Kriegsverbrechern erklärt, die mit dem Tode zu bestrafen waren (davon machten die Volksgerichte in keinem einzigen Fall Gebrauch). Auch der Hochverrat am österreichischen Volk wurde – ebenso wie im Verbotsgesetz – mit der Todesstrafe bedroht. Unter Strafe gestellt wurden darüber hinaus Handlungen gegen Kriegsgegner und die Zivilbevölkerung anderer Länder, die „den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit“ widersprachen, Kriegshetzerei, Quälerein und Misshandlungen, Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde. Der Strafrahmen reichte bei den unterschiedlichen Tatbeständen von Vermögensentzug und 5-jähriger Freiheitsstrafe bis hin zur Todesstrafe.
Die Instrumente der Entnazifizierung – die Volksgerichte Die Verfahren nach dem Verbots- und dem Kriegsverbrechergesetz sollten vor den Volksgerichten durchgeführt werden. Diese bestanden aus zwei Berufsrichtern und drei LaienrichterInnen, letztere wurden – um zu verhindern, dass Nazis als LaienrichterInnen berufen werden – bis 1946 auf Vorschlag der Parteien ausgewählt. Gegen Urteile der Volksgerichte waren keine ordentlichen Rechtsmittel zulässig, die Mindeststrafe im Fall eines Schuldspruchs nach dem VG war 10 Jahre, die Höchststrafe die Todesstrafe, Urteile waren sofort zu vollstrecken. Ziel dieser Bestimmungen war ursprünglich eine rechtsstaatskonforme, aber dennoch zügige Aburteilung der TäterInnen. Schwierigkeiten sollten der Wirksamkeit der Volksgerichte - neben der fragwürdigen Auslegung unklarer gesetzlicher Bestimmungen und den Milderungen in den Folgejahren – vor allem die personelle Situation in der Justiz machen. Für die Verfahren wurden nur solche Staatsanwälte und Richter herangezogen, die als völlig unbelastet galten, was angesichts des starken Rückhalts der Nazis im juristischen Staatsdienst Probleme aufwarf.
Die Verfahren vor den Volksgerichten In den zehn Jahren ihrer Existenz wurden 137.000 Verfahren vor den Volksgerichten eingeleitet, 80 % davon in den ersten drei Jahren. Insgesamt wurden ca. 23.500 Verfahren mit einem Urteil abgeschlossen, ca. 13.500 davon endeten mit einem Schuldspruch. Die Volksgerichte verurteilten 43 Nazi-Verbrecher zum Tode, von denen 30 auch vollstreckt wurden. Deutlich nachvollziehbar war bei den historischen Untersuchungen der
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Verfahren vor den Volksgerichten – sowohl in der Zahl der Prozesse, als auch in der Härte der Urteile – der politische und gesellschaftliche Stimmungswandel in Österreich in den ersten Nachkriegsjahren. Während vor allem im ersten Jahr die Gerichte hart urteilten, fanden von 1947/48 an bis 1955 immer mehr außerordentliche Milderungsgründe rechtliches Gehör, wurden Verfahren neu aufgerollt und mit Freisprüchen oder zumindest milderen Strafen abgeschlossen, oder wurden die Rechtsfolgen von Verurteilungen nachgesehen. Letzteres hatte vor allem die Bedeutung, die Pensionszahlungen verurteilter Nazi-Beamter zu sichern und eingezogenes Vermögen wieder zu erstatten. Mit einer Novelle des VG (NS-Gesetz 1947) war dafür die rechtliche Grundlage bestätigt bzw. gestärkt worden. Zudem erfolgte eine Einteilung in „Belastete“, also NSDAP-Mitglieder, die sich durch ihre Funktion oder Handlungen hervorgetan hatten, und die „Minderbelasteten“, „einfache Parteimitglieder“, die rund 90 % der Registrierten ausmachten. Immer häufiger wurde auch vom § 27 des Verbotsgesetz Gebrauch gemacht, der es erlaubte, Nazis, die ihre NSDAP-Mitgliedschaft „niemals missbraucht“ hatten und die noch vor Kriegsende eine „positive Einstellung zur Republik Österreich“ gezeigt hatten, ausnahmsweise nicht zu registrieren und zu belangen. Diese als Ausnahmeparagraph für einzelne Fälle gedachte Bestimmung wurde in immer stärkerem Ausmaß genutzt, um politische und persönliche Gefälligkeiten zu erweisen und auch Nazi-VerbrecherInnen reinzuwaschen. Von besonderer Bedeutung waren die Beschwerdekommissionen, bei denen man gegen eine „falsche Einstufung“ als „Belastete/r“ berufen konnte oder als „Minderbelastete/r“ überhaupt entregistriert werden konnte. Amnestiegesetze taten das Übrige, um ehemalige NationalsozialistInnen zu rehabilitieren und in höchste Funktionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu reintegrieren.
Die politische Dimension der „Entnazifizierung“ und der Reintegration von Ex-Nazis War die Entnazifizierung unmittelbar nach 1945 auch ein Anliegen der Alliierten gewesen, ließ das Interesse, v.a. der West-Alliierten, an der Entnazifizierung mit dem Beginn und der Intensität des „Kalten Kriegs“ spürbar nach. Auch in Österreich zerstörte der „Kalte Krieg“ rasch den „antifaschistischen Konsens“ und machte einem ausgeprägten
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Adolf Schärf (2. von links) beim Maiaufmarsch der SPÖ, 1947.
Antikommunismus Platz. Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Stimmungswandel der österreichischen Parteien, v.a. auch der SPÖ, allein darauf zurückzuführen. Während die ÖVP schon vor den Dezember-Wahlen 1945 eine „liberalere Haltung“ zur NS-Frage eingenommen hatte, änderte die Sozialistische Partei im Gefolge ihrer Wahlniederlage – die ÖVP erhielt die absolute Mandatsmehrheit im Nationalrat – ihre Haltung in der NS-Frage durchaus markant. Während zwar schon bis dahin Staatskanzler Renner und Parteivorsitzender Schärf vor allzu „harten Maßnahmen“ gewarnt hatten, hatte die Mehrheit des Parteivorstandes eine harte Haltung eingenommen und z.B. den Ausschluss aller NSDAP-Mitglieder, also auch der „Minderbelasteten“, von den Wahlen 1945 durchgesetzt. Nach der Dezember-Niederlage wich diese Haltung aber immer stärker der Ansicht, man müsse die „Minderbelasteten“ gewinnen und in die Partei integrieren. Inoffiziell wurde aber sehr bald klar, dass damit auch die „Belasteten“ mitgemeint waren. Vor allem angesichts des von der SPÖ neugewonnen Einflusses in der öffentlichen Verwaltung und den verstaatlichten Unternehmen stellte sich nämlich die Frage, mit welchem qualifizierten Personal diese Posten zu besetzen waren. Während die ÖVP wie in der Ersten Republik und während des Ständestaates problemlos auf ihre Kaderschmiede des Cartellverbandes zurückgreifen konnte, war das sozialdemokratische intellektuelle Potenzial durch die Naziherrschaft bedeutend geschrumpft. Sozialistische ÄrztInnen, JuristInnen und AkademikerInnen waren in der Ersten Republik zu einem großen Teil Juden und Jüdinnen gewesen, für die die Sozialdemokratie angesichts der antisemitischen Programmatik der Deutschnationalen wie der Christlich-Sozialen, die einzig logische Partei gewesen war.
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Nach 1945 war diese Gruppe nahezu vollständig in den Konzentrationslagern ermordet oder im Exil. Die Parteispitze nach 1945 um Schärf, Helmer und Renner zeigte aus verschiedenen Gründen wenig Interesse an einer Rückholung dieser EmigrantInnen, in vielen Fällen behinderten sie sogar aktiv eine Heimkehr. Eine wesentliche Rolle dabei dürfte wohl auch der Umstand gespielt haben, dass viele dieser EmigrantInnen in der Ersten Republik der Politik des „Austromarxismus“ verbunden gewesen waren und jedenfalls wesentlich weiter links standen als die „alten Rechten“, die nach 1945 in der Partei das Ruder an sich gezogen hatten. So kam dem neugegründeten „Bund Sozialistischer Akademiker“ (BSA) sehr rasch die Aufgabe zu, ehemalige Nazis zu organisieren und als sozialistische Einsprengsel in den von der ÖVP dominierten – und wieder mit treuen Dienern des Austrofaschismus besetzten – Staatsapparat zu integrieren. Ganz allgemein setzte aber bereits ab 1946 ein Wettlauf aller Parteien um die Minderbelasteten ein. Deutlich spürbar wird das in den politischen Erinnerungen von ÖVP-Obmann Julius Raab, SPÖ-Vorsitzendem Adolf Schärf aber auch dem führenden KPÖ-Funktionär Ernst Fischer. Darin benennen sie jeweils Proponenten der jeweils anderen Parteien, die 1945 die Scharfmacher beim Verbotsgesetz gewesen seien und nehmen für sich jeweils in Anspruch von Anfang an die Reintegration der „unschuldigen Mitläufer“, die z.B. Ernst Fischer mit 500.000 bezifferte, betrieben zu haben. Bereits im Februar 1946 warnte der steirische SPÖLandeshauptmannstellverteter Marhold, dass ein schärferes Vorgehen gegen Ex-Nazis zur Folge hätte, dass alle Sozialisten in den „oberen drei Rangstufen“ entfernt werden müssten. Während die SPÖ in der Steiermark mehrere tausend „Minderbelastete“ bei der Entregistrierung geholfen hatte, wähnte sich Schärf noch im Nachteil, denn in Niederösterreich habe ÖVP-Kanzler Figl 20.000-30.000 Entregistrierungen vornehmen lassen. Zweifellos muss an dieser Stelle eingeräumt werden, dass die große Zahl an Mitgliedern der NSDAP und ihrer Nebengliederungen, an Kriegsteilnehmern, SS- und SA-Mitgliedern – in Summe handelte es sich dabei um geschätzte 1,2 Mio. Menschen, also rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung – die Frage der Reintegration der Minderbelasteten als tatsächliche Notwendigkeit erscheinen lässt. Kritikwürdig dabei erscheint aber vor allem, dass die Wiedereingliederung „unschuldiger Mit-
läufer“ in eine demokratische Gesellschaft allen Parteien als Anlass diente, auch Belastete, also NS-Funktionäre und NS-TäterInnen in ihre Reihen bzw. in die Reihen ihrer Nebenorganisationen aufzunehmen und eine wirkungsvolle juristische Verfolgung bzw. eine historische Aufarbeitung von NS-Verbrechen zu behindern. Für SozialistInnen besonders verwerflich ist selbstverständlich die Herangehensweise der SPÖ nach 1945, lieber in den Wettstreit um ehemalige NationalsozialistInnen für die Besetzung von hoher Funktionen einzutreten, als linke und jüdische EmigrantInnen zurückzuholen. In einer vom BSA im Jahr 2005 herausgegebenen aufsehenerregenden Studie über die Rolle des BSA bei der Reintegration von Ex-Nazis, wurde das Überschreiten der selbstgezogenen Grenzen eindrucksvoll dokumentiert. Hatte man 1948 zunächst als Richtlinie ausgegeben, Minderbelastete nicht für Funktionen zuzulassen und Belasteten die Mitgliedschaft überhaupt zu verweigern, wich man aus machtpolitischem Kalkül sehr rasch davon ab.
Schlussstrich statt Aufarbeitung Bereits vor den Nationalratswahlen 1949, bei denen die „Minderbelasteten“ bereits wieder zur Wahl zugelassen waren, hatten die demokratischen Parteien begonnen, einen Wettbewerb um ehemalige Nazis zu führen. 1949 trat mit der Wahlpartei der Unabhängigen, dem Vorläufer der FPÖ, aber auch erstmals eine vierte Partei an, die sich offen als Sammelbecken für Ex-Nazis profilierte. Ihr gutes Abschneiden verstärkte den bereits vorher bestehenden Trend der Milde bei der Verfolgung von NSVerbrechen. Neben dem zahlenmäßigen Rückgang der Verfahren und der wachsenden Milde der Urteile nahm die Erlassung der Urteilsfolgen deutlich zu. Das Klima, das das Nachkriegsösterreich die weiteren Jahrzehnte prägen sollte, war bereits spürbar. Die Volksgerichte wurden 1955, nach dem Abzug der Alliierten, aufgelöst, das Kriegsverbrechergesetz 1957 abgeschafft. Die lange Nichtbeachtung der Tätigkeit der Volksgerichte ist dennoch absolut unangebracht. Zum einen werden in der entsprechenden Gesetzgebung und in den Verfahren die positiven Ansätze der antifaschistischen Kräfte, die NS-Verbrechen nach 1945 juristisch zu verfolgen, sichtbar. Zum anderen spiegeln sie aber auch die gesellschaftlichen Probleme – von der schonenden Behandlung der NS-Juristen durch ihre Ex-Kollegen bis hin zu einem Klima des Schlussstrichs – und die politischen Vorbehalte gegenüber dieser Strafverfolgung wieder.
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Die Aufarbeitung dieser Teile der österreichischen Geschichte hat sich in den letzten zehn Jahren spürbar intensiviert. Wichtige Beiträge dazu haben der BSA und auch die SPÖ auch dadurch geleistet, dass sie ihre Rolle in diesem skandalösen Umgang Österreichs mit „seinen Tätern“ wissenschaftlich aufarbeiten ließen. Ein ähnliches Projekt der ÖVP, das neben ihrer Rolle bei der Reintegration von Ex-Nazis auch den Beitrag, den der Austrofaschismus zur Machtübernahme der Nazis geleistet hat umfassen müsste, steht nach wie vor aus. Gerade nach dem jahrzehntelangen Schweigen über die TäterInnendimension Österreichs, ist die weitere kritische Aufarbeitung dieses Themas dringend geboten. Sie war die Grundlage für großes Unrecht, das die Republik nach 1945 an Opfern des Nationalsozialismus, an politischen EmigrantInnen, an beraubten jüdischen MitbürgerInnen und ihren ermordeten Verwandten sowie an den Deserteuren der deutschen Wehrmacht begangen hatte. Neben der versäumten Rückholung der Vertriebenen verweigerte die Republik jahrzehntelang ernsthafte Versuche für eine zumindest symbolische Entschädigung. Und auch die naheliegende Erkenntnis, die der Staatsanwalt Mayer-Maly bereits in einem Volksgerichtsprozess am 29. Jänner 1946 formulierte, hat sich im offiziellen Österreich bis heute nicht voll-
ständig durchgesetzt: „Ein Deserteuer der deutschen Wehrmacht war kein Fahnenflüchtling, sondern ein Österreicher, der sich weigerte, gegen sein Vaterland für fremde Interessen zu kämpfen.“ Die Affäre um den BZÖ-Bundesrat Kampl, der im Jahr 2005 mit der Schlagzeile „Deserteure sind Kameradenmörder“ tagelang die Medien beschäftigte, zeigt ebenso wie die noch immer ausständige symbolhafte strafrechtliche Rehabilitierung, wie tagesaktuell der Kampf um die Deutungshoheit auch dieses Teils der Geschichte ist. Diese Auseinandersetzung zu führen ist keine historische, sondern eine wichtige politische Herausforderung.
Der BSA veröffentlichte 2005 eine wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Rolle bei der gesellschaftlichen Integration ehemaliger Nationalsozialisten.
Rechtsextremismus in Österreich nach 1945 „Daham statt Islam“, „Stopp der Überfremdung“, „Wien darf nicht Istanbul werden“ – rassistische und anti-islamische Slogans wie diese begleiten seit einigen Jahren die politische Kultur in Österreich. Solche Forderungen, die nicht von irgendwelchen kleinen Randgruppen aufgestellt werden, sondern von einer ehemaligen Regierungspartei, zeugen von einem Aufschwung, den rechtsextremes Gedankengut in den letzten Jahren verzeichnet. Zahlreiche Neugründungen von rechtsextremen Organisationen, ein weiterer Rechtsruck in der FPÖ und ihren Vorfeldorganisationen, rechte Burschenschafter in Spitzenfunktionen der Republik – der Rechtsextremismus in Österreich äußert sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Formen. Eine Schlussfolgerung kann jedenfalls daraus gezogen werden: Der Rechtsextremismus kann nicht, wie in der (medialen) Öffentlichkeit oft
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transportiert wird, nur am Rand der Gesellschaft verortet werden, sondern „entspringt“ der „Mitte“ der Gesellschaft, die den Rechtsextremismus hervorbringt und auf die er ebenso Einfluss ausübt. Dass es sich bei Rechtsextremismus um kein Randphänomen handelt, zeigt sich insbesondere beim Rassismus, der sich in ausländerfeindlichen Parolen auf Stammtischen und auf der Straße bis hin zu institutionellem Rassismus in der Asylgesetzgebung äußert und somit einen Konsens breiter Bevölkerungsgruppen und Parteien darstellt. Rechtsextremismus lässt sich somit nicht auf grölende Skinheads und schlagende, ewiggestrige Burschenschafter reduzieren, sondern sitzt tiefer in der Gesellschaft als oft vorgegeben wird. Nichtsdestotrotz ist es notwendig, rechtsextreme Ideologie von gemäßigt rechten Ideen abzugrenzen, obgleich diese
Rechtsextremismus in Österreich nach 1945
Ähnlichkeiten aufweisen. Zentral ist in diesem Zusammenhang die sorgfältige Analyse von Organisationen, Publikationen und Akteuren hinsichtlich ihrer Nähe zum Rechtsextremismus, um sie schließlich abgrenzen und verorten zu können. [Hinweis: Für eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sei an dieser Stelle an die 2006 von der SJÖ herausgegebene Broschüre „Rechtsextremismus“ verwiesen, die näher auf die Definition von Rechtsextremismus, die Strategien der extremen Rechten und mögliche Gegenstrategien eingeht. Die Broschüre ist kostenlos im Webshop der SJÖ auf www.sjoe. at erhältlich.] Wie im vorigen Beitrag dieser Broschüre bereits kurz dargelegt wurde, weist der Rechtsextremismus in Österreich eine lange Tradition und Kontinuität auf, die nach der Unabhängigkeit Österreichs dadurch begünstigt wurde, dass der in der Gesellschaft tief sitzende Rassismus und Antisemitismus nicht aufgearbeitet wurde, und rechtsextreme Ideen nach der Zerschlagung des „Dritten Reichs“ somit unbehelligt in organisierter Form weiter Bestand haben konnten.
dem deutschnationalen Flügel die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) heraus. Den Führungskader der neu gegründeten FPÖ bildeten zum Teil schwer belastete ehemalige Nationalsozialisten wie der erste Parteiobmann Anton Reinthaller, der früher SS-Brigadeführer und Mitglied der Landesleitung der NSDAP in Österreich war. 1958 löste Friedrich Peter Reinthaller an der Parteispitze ab, was als Zeichen von Kontinuität gesehen wurde (Peter war Angehöriger der berüchtigten I. SSInfanteriebrigade). Doch es kam anders: Peter bemühte sich der FPÖ ein liberales Image zu verpassen, um aus dem politischen Abseits heraustreten zu können. Ende der 60er Jahre verließ ein rechtsextremer Kern aus Unzufriedenheit über den liberalen Kurs der Parteispitze die FPÖ und schloss sich der von Norbert Burger neu gegründeten Nationaldemokratischen Partei (NDP) an. Über Burgers gute Verbindungen zum Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) – Burger war deren Mitbegründer – konnten die „Nationalen“ aber weiterhin gute Kontakte zur FPÖ unterhalten.
Der folgende Beitrag soll einen kurzen Überblick über die Geschichte des österreichischen Rechtsextremismus nach 1945 liefern – von etablierten Organisationen des Rechtsextremismus wie die FPÖ und Burschenschaften bis zu aktuell tätigen Organisationen in der (Halb)Illegalität wie der Bund Freier Jugend (BFJ) oder das Blood&Honour-Netzwerk.
Vom Verband der Unabhängigen bis zur Strache-FPÖ – eine kurze Geschichte der Freiheitlichen Nach der Lockerung des Verbotsgesetzes von 1945 und der De-facto-Amnestierung von NS-TäterInnen kam es bereits 1948 zur Parteigründung des Verband der Unabhängigen (VdU), der als Auffangbecken für „Ehemalige“ (NSDAP-Mitglieder) das so genannte „Dritte Lager“ wieder formierte. Zeitgleich gründeten sich verschiedene Organisationen, die ein breites Spektrum zwischen Neonazismus und kulturellem Deutschnationalismus abdeckten, wie beispielsweise die Kameradschaft IV, ein Zusammenschluss ehemaliger (Waffen-)SS-Männer. Nach einem Richtungsstreit zwischen Liberalen und Deutschnationalen im VdU 1955/56 bildete sich aus
NDP-Chef Norbert Burger, Mitbegründer des Ring Freiheitlicher Studenten, bei einer Wahlveranstaltung 1980.
Burgers „Nationale“ zeichneten sich durch extreme Gewaltbereitschaft aus: sie stiegen 1960 in den „Südtiroler Freiheitskampf“ (Verharmlosung für terroristische Anschläge) ein, welcher mehr als 20 Todesopfer forderte. 1980 kandidierte Norbert Burger bei den Bundespräsidentschaftswahlen und konnte einen Achtungserfolg von 140.000 Stimmen (3,2 %) erzielen. Acht Jahre später wurde Burgers NDP behördlich nach dem Verbotsgesetz aufgelöst.
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In der FPÖ kam es schließlich 1986 zu einem entscheidenden Wendepunkt: Am Innsbrucker Parteitag wurde die liberale Führung vom „nationalen“ Flügel um Jörg Haider gestürzt. Die Machtübernahme und Kür Haiders zum Parteiobmann wurde vor allem von Burschenschaftern organisiert, auf welche im nächsten Kapitel noch näher eingegangen wird. Die Machtübernahme Haiders hatte enormen Einfluss auf die gesamte rechtsextreme Szene in Österreich, welche in den 70er Jahren immer mehr zersplitterte. Haiders nationaler Kurs sorgte für einen Strategiewandel der Rechtsextremen. Viele rechtsextreme (zum Teil illegale) Organisationen wie die von Gottfried Küssel 1986 gegründete Volkstreue Außerparlamentarische Opposition (VAPO) gaben aufgrund wachsenden behördlichen Drucks die Parole vor: „Rein in die Legalität!“. Öffentliches Auftreten sollte vermieden werden und der Weg in die FPÖ bzw. deren Vorfeldorganisationen (z.B. Burschenschaften) sollte gesucht werden. Jörg Haider beeindruckte in der Szene vor allem durch seinen unverhohlenen Rechtsextremismus und seine Sympathie für ehemalige NS-SympathisantInnen. Unvergessen bleiben seine Aussagen zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ des Dritten Reichs und seine Lobesrede vor ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS in Krumpendorf 1995 („Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.“)
Haider vermochte Ende der 80er Jahre den desolaten Zustand der politischen Kultur in Österreich und die schrittweise Aushöhlung des Wohlfahrtsstaates für seine Agitation zu nutzen. Haider sah sich als „Anwalt der kleinen Leute“ und rückte vor allem die „Ausländerfrage“ ins Zentrum seiner Agitation, welche schließlich im Ausländervolksbegehren 1993 gipfelte. Die beiden Großparteien ÖVP und SPÖ setzten dem ausländerfeindlichen Kurs der FPÖ wenig entgegen und übernahmen trotz personeller Ausgrenzung freiheitliche Inhalte und Forderungen. Die Rolle der beiden Großparteien am Aufstieg Haiders kann gar nicht überschätzt werden. (Vgl. Schiedel, Heribert 2007: Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft, Wien.) Nach dem Wahlerfolg der FPÖ von 1999 und dem Regierungseintritt 2000 kam es zu einem heftigen Richtungsstreit zwischen einem neoliberalen, pragmatischen Flügel um Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser und dem völkischnationalen Mehrheitsflügel, der schließlich 2002 bei einem Sonderparteitag in Knittelfeld eskalierte. Die Parteiführung um Riess-Passer trat schließlich aus der FPÖ-Regierungsmannschaft aus, und die FPÖ wurde bei den darauf folgenden Wahlen empfindlich geschwächt. Die innerparteilichen Querelen führten 2005 zur Gründung des Bündnisses Zukunft Österreich (BZÖ), das von Haider unterstützt wurde und in das die gesamte ehemalige FPÖ-Regierungsmannschaft übertrat. In der FPÖ blieb schließlich der deutschnationale Flügel übrig, die Parteiführung übernahm der Wiener FPÖ-Obmann und Mitglied der Burschenschaft Vandalia Heinz-Christian Strache. Strache machte vor allem durch seine Reden beim so genannten „Totengedenken“ zum 8. Mai 1945 und seine Anti-AusländerWahlkämpfe in Wien auf sich aufmerksam. 2007 geriet Strache ins Kreuzfeuer der Kritik, als Fotos auftauchten, die ihn bei Wehrsport-ähnlichen Übungen zeigten. Seine Bekanntschaft zu dem 1990 gestorbenen Gründer der NDP Norbert Burger soll an dieser Stelle auch nicht verschwiegen werden.
Die FPÖ und ihre Rekrutierungsbasis Deutschnationale Burschenschaften – der akademische Rechtsextremismus
Medienaktion der SJÖ anlässlich der Abspaltung des BZÖ.
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Wie oben erwähnt waren es vor allem deutschnationale Burschenschafter, die Haider 1986 an die Parteiführung der FPÖ hievten. Schlagende Verbindungen bzw.
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„völkische Korporationen“ bilden seit jeher eine Rekrutierungsbasis der FPÖ. Von den derzeitig 19 männlichen FPÖ-Abgeordneten sind 15 in Studentenverbindungen politisch sozialisiert worden. Zur politischen Betätigung vieler deutschnationaler Burschenschaften stellte das Innenministerium 1999 in einem Bericht fest, „dass von mehreren österreichischen Burschenschaften ein unterschwelliger und verklausulierter Rechtsextremismus ausginge. Die Agitation dieser Studentenverbindungen lasse auch den Versuch erkennen, auf Umwegen eine gewisse Akzeptanz für nationalsozialistisches Gedankengut zu schaffen.“ Auf Drängen der FPÖ entschloss sich die schwarz-blaue Bundesregierung, die Aktivitäten der Burschenschaften nicht mehr länger zu dokumentieren. Den Mittelpunkt im Selbstverständnis von deutschnationalen Burschenschaften, die sich erstmals 1817 in Deutschland gründeten, bildet ein völkisches Menschen- und Weltbild. Die damaligen Burschenschaften setzten der Idee der Nation als politische Willensgemeinschaft das „Volk“ als natürliche Abstammungsgemeinschaft entgegen. Schon damals definierten die Korporierten ihr „Deutsches Volk“ in Abgrenzung zum Judentum. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in den im Dachverband der Deutschen Burschenschaften in Österreich der „Arierparagraph“ eingeführt, der Juden aufgrund ihrer „ererbten Rasseeigenschaften“ ausschloss (dieser Paragraph wurde auch nach 1945 verteidigt). Schon lange vor dem Nationalsozialismus lehnten die Burschenschaften die Gleichsetzung von Staats- und Volksgrenzen ab. Diese Anschauung lebt bis heute in vielen Burschenschaften weiter. 1938 lösten sich die österreichischen Burschenschaften feierlich auf und gliederten sich als Kameradschaften in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund ein. Deutschnationale Burschenschafter sehen heute den 8. Mai 1945 als „Tag der totalen Niederlage“. Viele NSVerbrecher werden in den Burschenschaften als „Alte Herren“ in Ehren gehalten. 1987 schlug der Dachverband Deutsche Burschenschaften in Österreich sogar Rudolf Hess zum Friedensnobelpreis vor. Als rechtsextreme Burschenschaft gilt vor allem die aB! Olympia, wegen der 1996, als sie den Vorsitz des Dachverbandes übernahm, gemäßigtere Burschenschaften aus diesem austraten. Man kann also nicht alle Burschenschaften als rechtsextrem ansehen, sondern muss diese nach ihren Publikationen und Mitgliedern beurteilen.
Burschenschaften haben heutzutage nicht mehr dieselbe Bedeutung wie in ihrer Hochblüte, auch für die FPÖ spielen andere Kaderschmieden wie der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) nunmehr eine größere Rolle. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ging durch beide „Schulen“ – er war RFJ-Bundesobmann und ist „Alter Herr“ der schlagenden Pennalen Burschenschaft Vandalia. Der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) – Rechtsextreme vor der Tür der FPÖ Die Jugendorganisation der FPÖ erlebte 2003 einen gehörigen Rechtsruck als im Sommer rechtsextreme Kräfte rund um den Wiener Gemeinderat Johann Gudenus die Führung übernahmen. Dieser Rechtsruck wurde auch in der deutschen rechtsextremen Szene wohlwollend aufgenommen: im Organ der NPD „Deutsche Stimme“ wurde die Übernahme von Gudenus als Sieg der „Vertreter des authentisch nationalen Flügels“ begrüßt. Der Rechtsruck lässt sich vor allem in zahlreichen Wortmeldungen von RFJ-Funktionären beobachten. RFJ-Obmann Johann Gudenus sprach 2004 etwa von einer einsetzenden „Umvolkung“ – ein Begriff, der von den Nazis geprägt wurde. Der steirische RFJ-Obmann Michael Winter berichtete im RFJ-Blatt tangente (1/07), wie „sich Türken in Hessen an Tieren, in Graz aber an Mädchen vergehen“. Als Schlussfolgerung legte Winter dem Grazer Bürgermeister nahe, „als Sofortmaßnahme gegen muslimisch-türkische Vergewaltigungen eine Schafherde im Stadtpark grasen“ zu lassen. An einigen Funktionären des RFJ lässt sich auch eine Verbindung der Jung-Freiheitlichen zur neonazistischen Szene feststellen. Vor allem rund um die Aberkennung des Ehrengrabes für den Nazi-Fliegerhelden Walter Nowotny wurde diese deutlich. Nachdem eine Kundgebung zu Ehren Nowotnys von den Behörden aufgrund ihres neonazistischen Charakters untersagt wurde, übernahm der RFJ die Organisation und Mobilisierung. Zahlreiche Burschenschafter, FPÖ-Politiker und Anhänger neonazistischer Organisationen folgten dem RFJ-Aufruf, für den sich vor allem der RFJ-Funktionär Clemens Otten verantwortlich zeichnete. Dieser trat noch 2002 als Verantwortlicher für eine neonazistische Kundgebung am Wiener Heldenplatz in Erscheinung, ehe er ein Jahr später als RFJ-Bundesvorstandsmitglied und Autor der tangente im FPÖ-Umfeld auftauchte.
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Anfang 2007 wurde eine weitere personelle Überschneidung zwischen RFJ und der Neonazi-Szene publik: Der damalige stellvertretende RFJ-Bezirksobmann Andreas Retschitzegger veröffentlichte Fotos, die ihn als Teilnehmer bei Veranstaltungen des neonazistischen Bundes freier Jugend (BFJ) zeigten. Auf diese vor allem in Oberösterreich tätige „Organisation“ wird im Folgenden noch näher eingegangen.
Aktuell tätige rechtsextreme Organisationen Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP) und Bund Freier Jugend (BFJ) Der AFP lässt sich dem Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums zufolge eine „ausgeprägte Affinität zum Nationalsozialismus“ nachsagen. Die AFP ist heute eine der zentralen Organisationen des österreichischen Rechtsextremismus, vor allem aufgrund ihrer guten Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen im Ausland. Die AFP ist formell als Partei organisiert, tritt jedoch nicht bei Wahlen an (sie ruft regelmäßig für die FPÖ auf). Das zentrale Organ der AFP ist die Zeitschrift „Kommentare zum Zeitgeschehen“, in der immer wieder Beiträge mit revisionistischer und neonazistischer Ausrichtung veröffentlicht werden. Einmal jährlich im Oktober findet die so genannte „Politische Akademie“ statt, bei der bereits namhafte Neonazis wie Andreas Thierry, Herbert Schweiger („Chefideologe“ der deutschen Neonazi-Szene) oder Gottfried Küssel als Referenten bzw. Gäste begrüßt werden konnten. Der aus Österreich stammende Thierry ist mittlerweile stv. NPD-Landesvorsitzender in BadenWürttemberg, Küssel ist wie oben bereits erwähnt als Gründer der VAPO eine der zentralen Personen im österreichischen Rechtsextremismus. Die AFP verfügt sogar über ein eigenes AFP-Heim in Wien-Ottakring, in dem 1992 die neonazistische Wehrsporttruppe Trenck inkl. Waffenfunde ausgehoben wurde. Der Bund Freier Jugend (BFJ) kann als Jugendorganisation der AFP betrachtet werden und ist seit Anfang 2003 vor allem in Oberösterreich aktiv. Die neonazistische Gruppe existiert gar nicht nach dem Vereinsrecht und kann daher behördlich auch nicht verboten werden. In ihrer Zeitschrift Jugend Echo wurde die NS-Nähe des BFJ erstmals richtig deutlich. Offen betrauert der BFJ darin „das Ende des Deutschen Reiches“. Weiters ist darin zu lesen, dass mit dem Nationalsozialismus eine
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„passende und völkisch-geprägte Kultur“ und die „gewachsene Volksgemeinschaft“ untergegangen seien. In einem Gutachten von Verfassungsjuristen Prof. Heinz Mayer wird deshalb festgestellt, dass der BFJ in seinen Publikationen mehrmals gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen hat. Die Behörden reagierten trotz dieser einschlägigen Publikationen nur sehr zögerlich, sodass der BFJ auch öffentlich in Form von Demonstrationen und „Stadtrundgängen“ (u.a. in Steyr 2006) auftreten konnte. Mit wachsendem behördlichem Druck wurden Veranstaltungen des BFJ (bzw. der Aktion Sichere Zukunft (ASZ) – unter diesem Namen versuchte der BFJ Demos anzumelden) vermehrt untersagt, wodurch der BFJ einerseits auf Demos in Deutschland auswich und andererseits spontane Flugblattverteilaktionen im Zentralraum Linz organisierte. 2007 wurde der jährlich vom BFJ (bzw. eines von ihm vorgeschobenem Komitees) veranstaltete „Tag der volkstreuen Jugend“ von der Polizei aufgelöst, und durch die dort gewonnen Erkenntnisse konnten drei führende BFJ-Kader wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das NS-Verbotsgesetz verhaftet werden.
BFJ-Logo mit der Kornblume, dem Zeichen der illegalen Nazis vor 1938.
Der BFJ konnte bereits mehrere Kader der rechtsextremen Szene wie Günter Rehak, Gottfried Küssel und Andreas Thierry bei seinen Veranstaltungen begrüßen. Anders wie das im Folgenden vorgestellte Blood&Honour-Netzwerk legt der BFJ Wert auf Kaderbildung durch „völkische Jugendarbeit“ und vermeidet Kontakt zu Skinheads, da diese vom BFJ als stigmatisiert wahrgenommen werden und deshalb Gefahr laufen würden, die Bevölkerung abzuschrecken. Blood & Honour Das bekannteste überregionale Netzwerk von neonazistischen Skinheads ist das von Ian Stuart Donaldson (Skrewdriver) gegründete Blood&Honour-Netz. Dieses Neonazi-Netzwerk vermischt NS-Ideologie mit jugendlicher Skinhead-Subkultur. Das Netzwerk beitreibt einen mittlerweile fast bis zur Industrie gewachsenen Vertrieb
Rechtsextremismus in Österreich nach 1945
von Nazi-Rockmusik, Fanzines und Kleidungsstücken. Durch die Vermischung von Jugendkultur-Elementen und Nazi-Ideologie geht von Blood&Honour eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus, vor allem auch wegen der hohen Gewaltbereitschaft der in Blood&Honour organisierten Skinheads.
Rechtsextremismus gestern und heute Dieses Zusatzkapitel zu Josef Hindels’ Broschüre steht ganz im Zeichen des Titels „1938 – aus der Vergangenheit lernen“. Wie eingangs bereits erwähnt, zählt rechtsextremes Gedankengut auch heute nicht zu einer Randerscheinung in unserer Gesellschaft. Rassismus und Antisemitismus sind weit verbreitete und tief sitzende Denkmuster in der österreichischen Gesellschaft. Und Rechtsextremismus findet sich nicht nur in (halb) illegalen Organisationen von frustrierten Jugendlichen oder ewiggestrigen, unbelehrbaren Burschenschaftern sondern auch und vor allem in etablierten Organisationen wie der FPÖ. Den Schwerpunkt dieses Abschnittes bildet daher auch die Geschichte der FPÖ nach 1945, weil sich hier die Kontinuität von Personen und Inhalten des Rechtsextremismus am deutlichsten offenbart. Als Auffangbecken für „Ehemalige“ gegründet hat sich die FPÖ in ihrer Geschichte von Richtungskämpfen schließlich als eine Partei der „Nationalen“ konsolidiert. Kontakte freiheitlicher Funktionäre zu neonazistischen Organisationen belegen die Offenheit der FPÖ und ihrer Vorfeldorganisationen zum rechten Rand.
Das Logo von Blood&Honour
In Österreich traten Nazi-Skins unter dem Blood&HonourLabel erstmals 1997 in Erscheinung. Sektionen von Blood&Honour konnten sich in Vorarlberg und Oberösterreich etablieren, während die Polizei in Wien diese Versuche relativ rasch unterbinden konnte. Vor allem in Oberösterreich gelang es den Blood&Honour-Skins größere Veranstaltungen zu organisieren – u.a. 2003 ein Konzert im Bezirk Gmunden mit fast 1000 Neonazis. In den letzten Jahren gelang es den Nazi-Skinheads aufgrund des wachsenden polizeilichen Druck nicht mehr, so große Veranstaltungen aufzuziehen. Über regionale Zusammenschlüsse kamen die B&Hs bisher nicht hinaus, würde man damit auch der Polizei eine Angriffsfläche bieten. Vielmehr wird versucht, kurzfristige Aktionen in kleineren Gruppierungen dezentral zu organisieren. Die „neue Rechte“ setzt hier nicht auf starre Strukturen, sondern auf den „führerlosen Widerstand“. Gerade die verstärkte Nutzung des Internets zur Vernetzung macht es den Behörden schwierig, rechtzeitig zu reagieren. Obwohl die genauen Veranstaltungsorte erst wenige Stunden vorher bekannt gegeben werden, ist es so möglich hunderte Skinheads zu mobilisieren.
Johann Gudenus, RFJ-Bundesobmann, meinte 2004 in einem Interview: „Das interessiert mich eigentlich nicht, was die Nazis gemacht haben. Das ist eine Epoche, die lange vor meiner Zeit ist. Reden wir lieber von heute und morgen.“ Dem ist zu entgegnen: Wenn wir von heute und morgen reden wollen, müssen wir auch darüber reden, was die Nazis gemacht haben. Denn nur wenn wir niemals vergessen, können wir aus der Vergangenheit lernen. Jene, die die Vergangenheit vergessen machen und rechtsextremes Gedankengut salonfähig machen wollen, müssen von Anfang an bekämpft werden. Dazu soll diese Broschüre einen Beitrag leisten - indem sie die Vergangenheit aufarbeitet und auf aktuelle Tendenzen aufmerksam macht.
Rechtsextremismus in Österreich nach 1945
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Anmerkungen 1
Otto Bauer: Die österreichische Revolution, Wien 1923
2
F. L. Carsten: Faschismus in Österreich, München 1977
3
Siehe dazu: Jaques Hannak: Der Fürst, der sein Land verkaufte. Aus den Erinnerungen Ernst Rüdiger Starhembergs, Wien 1949
4
Geheimer Briefwechsel Mussolini – Dollfuß. Mit einem Vorwort von Vizekanzler Adolf Schärf. Erläuternder Text von Karl Hans Sailer, Anhang: aus den Memoiren Starhembergs, Wien 1949
5
50
Siehe dazu unter anderem: Josef Hindels: 15. Juli 1927. Erinnerung und Mahnung, Wien 1987
6
Lajos Kerkes: Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr. Wien – Frankfurt – Zürich 1966
7
Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte: Protokolle des Klubvorstandes der christlich-sozialen Partei 1932 – 1934. Herausgegeben von Walter Goldinger, Wien 1980
8
Zitiert nach: Heinrich Schneidmadl: Über Dollfuß zu Hitler. Wien 1964
9
Siehe dazu unter anderem: Der 12. Februar 1934. Ursachen – Fakten – Folgen. Wissenschaftliches Symposium des Dr.-Karl-Renner-Institutes, Wien 1984
13
Siehe dazu die von den Nazis später herausgebrachte geheime Dokumentation: Bericht der Historischen Kommission Reichsführer SS: Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten. 1965 wurde diese Nazidokumentation, die die Ursachen für das Scheitern des Putsches aufdeckt, in Buchform herausgebracht mit einer Vorbemerkung von Herbert Steiner und einer Einleitung von Ludwig Jedlicka. Wien – Frankfurt – Zürich 1965
14
Charles A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler, Wien 1976
15
Theodor Heinisch: Österreichs Arbeiter für die Unabhängigkeit 1934 – 1945, Wien 1968
16
Zur Literatur über die Floridsdorfer Betriebsrätekonferenz siehe unter anderem: Friedrich Scheu: Der Weg ins Ungewisse, Wien – München – Zürich 1972 Otto Leichter: Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund, Wien 1963 Josef Hindels: Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934 – 1945, Wien 1976
17
Siehe dazu u. a.: Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden – die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1961 Jörg Friedrich – Jörg Wollenberg: Licht in den Schatten der Vergangenheit, Frankfurt/Main – Berlin 1987
18
Hermann Mitteräcker: Kampf und Opfer für Österreich – ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Widerstands 1938 – 1945, Wien 1963 Herbert Steiner: Zum Tode verurteilt – Österreicher gegen Hitler, Wien 1964
10
Ludwig Reichhold: Opposition gegen den autoritären Staat. Christlicher Antifaschismus 1934 – 1938, Wien 1964
11
Franz Josef Grobauer: Kirche – Ketzer – Klerikale, Wien 1983
19
Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, Wien 1979
12
Zum klerikalen Antisemitismus, siehe unter anderem: Anton Pelinka: Stand oder Klasse? Wien – München – Zürich 1972
20
Erich Fried: Nicht verdrängen – nicht gewöhnen. Texte zum Thema Österreich, Wien 1987
Anmerkungen
Veränderte Textstellen in der Originalfassung von Josef Hindels: a) Überfall Hitlerdeutschlands auf Österreich b) als Hitlerdeutschland das Land überfiel und es von der europäischen Landkarte löschte c) Überfall Hitlerdeutschlands auf Österreich d) PatriotInnen e) PatriotInnen f) Überfall Hitlerdeutschlands g) Überfall Hitlerdeutschlands auf Österreich h) PatriotInnen i) – ein typisches Beispiel der nordischen List der Nazis – j) Überfall Hitlerdeutschlands auf Österreich k) Diese BetriebsrätInnenkonferenz passt nicht in das Bild vom „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland. Beweist sie doch, dass es diesen „Anschluss“ nicht gegeben hat. l) Eine klassenübergreifende Bewegung des österreichischen Patriotismus schien zu entstehen
gewesen, die Komödie eines friedlichen Anschlusses von der Regierung Seyß-Inquart inszenieren zu lassen? Dafür gibt es nur eine Erklärung: Hitler fürchtete, dass sich bei der Volksabstimmung die Mehrheit für ein unabhängiges Österreich aussprechen wird. Und er hatte Angst vor großen Massenbewegungen gegen die Nazis, die in Ansätzen bereits vorhanden waren und unter Führung der ArbeiterInnenorganisationen standen. Weil er dieses Risiko nicht eingehen wollte, ließ er das Land vor der Volksabstimmung, die dann von den Nazis im April 1938 veranstaltet wurde, militärisch besetzen. Kam doch mit den Besatzungstruppen auch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ins Land, die den braunen Terror organisierte. n) Die ÖsterreicherInnen wollen nicht zu Hitlerdeutschland, sie sind bereit, für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. […] sie hat Hitler geholfen, die Lüge zu verbreiten, es habe sich um einen Anschluss des deutschen Österreich an Großdeutschland gehandelt, der von den ÖsterreicherInnen gewünscht wurde. Diese Nazilüge ist von Teilen der Weltöffentlichkeit geglaubt worden, und sie spielt auch nach Jahrzehnten eine Rolle, wenn im Ausland über beunruhigende Vorfälle in Österreich (wie bei der Bundespräsidentenwahl 1986) diskutiert wird. Es wird dann behauptet, Österreich habe die Besetzung durch Hitlerdeutschland bejubelt, es gehöre daher nicht zu den Opfern, sondern zu den Tätern. o) … der die Auslöschung Österreichs verkündet.
m) Österreich wurde am 12. März 1938 besetzt, annektiert, von der europäischen Landkarte gelöscht. Was damals geschah, hatte mit einem Anschluss nicht das Geringste zu tun. Es handelte sich um einen brutalen, das Völkerrecht verletzenden Gewaltakt Hitlerdeutschlands gegen Österreich. Wer heute noch immer von einem Anschluss spricht, wiederholt, bewusst oder unbewusst, eine Lüge der Nazipropaganda. Die historische Wahrheit kann nicht oft genug wiederholt werden: Österreich hat sich niemals Deutschland „angeschlossen“. Es wurde gewaltsam seiner Souveränität beraubt, von den Okkupanten zur „Ostmark“ degradiert. Völlig zu Recht wird es daher als das erste Opfer der imperialistischen Expansion Hitlerdeutschlands in Europa bezeichnet. Aber warum hat Hitler am 12. März 1938 die militärische Besetzung befohlen? Wäre es nicht klüger
p) Aber die JublerInnen repräsentieren nicht „das österreichische Volk“, sondern eine, allerdings starke und militante Minderheit. Es waren die österreichischen Nazis, die ihren Sieg feierten und sich dabei auch auf MitläuferInnen, deren Zahl nicht gering war, stützen konnten. Diese MitäuferInnen bestanden aus OpportunistInnen vom Typus des „Herrn Karl“, aus verzweifelten Arbeitslosen, die auf einen Arbeitsplatz hofften, aus Verirrten, die der Hass gegen den Austrofaschismus ins braune Lager getrieben hatte. Es darf auch nicht übersehen werden, dass Österreich im März 1938 keine Demokratie war, sondern unter einer vom Volk verachteten Diktatur lebte. q) … nach dem Überfall auf Österreich.
Anmerkungen
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DEN RECHTEN N E G I E Z E N H Ä Z DIE Netzwerk k GEGEN R Rechts ht – Ei Eine IInitiative iti ti dder SJÖ Rechtsextreme und Neonazis marschieren wieder. Das Schlimme daran: Die Öffentlichkeit bekommt – wenn überhaupt – ‚nur’ die Spitze des Eisberges zu Gesicht. Rechtes Gedankengut droht so wieder salonfähig zu werden.
Warum gegen rechts aktiv werden? Sind rechtsradikale Gewalttaten nicht ohnehin nur „unpolitische Lausbubenstreiche“? NEIN! Die zunehmende rechte Gewalt in vielen Teilen Österreichs, wird leider oft verharmlost und nicht als das begriffen was sie schlussendlich ist, Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln. Wenn Rechtsradikale und Neonazis Gewalt anwenden ist das Teil ihrer politischen Strategie und nicht einfach nur Ausdruck von Langeweile. Kein Fußbreit den Faschisten! Sind MigrantInnen nicht sowieso selbst schuld daran, dass sie keiner mag? NEIN! Wer einen Sündenbock braucht um gesellschaftliche oder persönliche Probleme zu erklären hat in erster Linie ein Problem mit sich selbst. Wir wehren uns gegen rechte Ausländerhetze und lassen uns nicht durch Hautfarbe oder Herkunft auseinanderdividieren. Soll man die Vergangenheit nicht endlich ruhen lassen? NEIN! „Das Vergessen des Bösen ist die Aufforderung zu seiner Wiederholung“ steht auf der Gedenktafel der Sozialistischen Jugend im ehemaligen KZ Mauthausen. Angesichts der Tatsache, dass einige noch immer – oder auch schon wieder – nicht aus der Geschichte gelernt haben, kann es für uns kein Vergessen geben.
Willst du selbst gegen Rechts aktiv werden? Dann bist du im NETZWERK GEGEN RECHTS der SJÖ genau richtig. Das Netzwerk gegen Rechts ist, was du daraus machst. Es wurde von der Sozialistischen Jugend ins Leben gerufen, um zusammen Aktivitäten gegen Rechts durchzuführen und junge Leute mit gemeinsamen Interessen, nämlich den Kampf gegen Rechts zu vernetzen. Wir bieten im Rahmen des Netzwerkes zahlreiche verschiedene Angebote: Workshops, Gespräche mit ZeitzeugInnen, Exkursionen, Filme, Ausstellungen, Aktionstage und Aktivitäten an deiner Schule.
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Faschismus-Lied des Geschichtslehrers Heut’ fahrn wir in der Geisterbahn, Kinder heut’ ist der Faschismus dran. Ich zeig euch im Seelengekröse Des Menschen das schlummernde Böse, das schicksalsartig erwacht und boxt sich brutal an die Macht, mit Heil und Heul und Donnerkeil, und mit Ka-Zet und Henkerbeil, mit Bierkrug, Weltkrieg und Gas, das ist vorüber, merkt euch das. Hitler war ein böser Mann, doch baute er die Autobahn. Dracula und Frankenstein Sind daneben lieb und klein.
Mancher stramme SS-Mann Kämpft heut’ gegen politischen Streß an. Und mancher Herr vom Blutgericht Auch heute noch sein Urteil spricht. Hitler war ein böser Mann, doch baute er die Autobahn. Dracula und Frankenstein Sind daneben lieb und klein. Und war wer einst ein Hitlerpimpf Dann gilt das heute nicht mehr als Schimpf, im Gegenteil, bei einer Wahl gewinnt er Stimmen – national. Breitet den Mantel der Vergessenheit Über die Jahre der Besessenheit. Schwamm drüber, Ende dieser Stunde. Das war ein Stückchen Heimatkunde. (aus: „Proletenpassion“. Text: Heinz R. Unger)
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Manch der heut’ auf die Pfanne haut, Hätt’ sich das damals nicht getraut. Im übrigen ist es uns peinlich, drum sind beim Verzeihen wir nicht kleinlich.