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«DAS SCHWEISST ZUSAMMEN – FÜR IMMER»
2 Cupsiege, 6 Meistertitel, 20 Saisons: Beat Gerber hat beim SCB Spuren für die Ewigkeit hinterlassen. Der 40-Jährige spricht über das abrupte Ende, «ziemlich beeindruckende» Zahlen und einen speziellen Gratulanten.
Beat Gerber entschwindet in die Erinnerung – zurück an jenen Sonntagabend, der mit dem Tor von Biels Mike Künzle anderthalb Sekunden vor Ablauf der regulären Spielzeit «Bidus» Abschied als Eishockeyprofi markieren sollte. Am 2. April 2023 empfängt der SCB den EHC Biel zum sechsten Spiel der Playoff-Viertelfinal-Serie. Normalerweise tritt Gerber vor dem Warm-up als letzter Spieler aufs Eis – und beim offiziellen Einlauf ändert die Reihenfolge, pflegt der Verteidiger als erster Feldspieler in die PostFinance Arena zu kommen. Doch an diesem Abend wird das Ritual durchbrochen. Gerber muss die Partie im grauen Hoodie von aussen verfolgen. Probleme mit der Bandscheibe hindern ihn am Einsatz. Der untere Rücken bereitet dem 40-Jährigen seit längerem Probleme. Wenn einer auf die Zähne beissen kann, dann er, «Bidu», von Ex-SCB-Sportchef Sven Leuenberger einst als «Krieger» bezeichnet. Doch dieses Mal sind die
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Schmerzen zu stark. Gerber kann sich kaum bücken und Schuhe schnüren. Eine Schmerzspritze soll Abhilfe schaffen – doch die Besserung tritt nicht im erhofften Mass ein. Noch lässt der Rücken die Rückkehr nicht zu. Gerber hofft auf ein Comeback im Halbfinal, blickt auf die Uhr, 3:3, wenige Sekunden vor Schluss ist der SCB in Puckbesitz. Nicht nur Gerber rechnet mit der Verlängerung. Dann, Scheibenverlust, eine letzte Chance für Biel, Künzle, 3:4, auf der Matchuhr verbleiben anderthalb Sekunden. Und für Gerber wird alles dunkel. Nach dem abrupten Ende melden sich die Emotionen mit Verzögerung. Als sich in der Garderobe die Spieler tröpfchenweise erheben und Gerber zu seiner Karriere gratulieren, wird es emotional.
Beim SCB von 2003 bis 2023 1105 Spiele
34 Tore, 114 Assists, 148 Punkte Schweizer Meister 2003/04, 2009/10, 2012/13, 2015/16, 2016/17 und 2018/19
Cupsieger 2015 und 2021
«Mit einigen Spielern habe ich extrem viel erlebt. Das schweisst zusammen», sagt Gerber. «Für immer.»
Büne Hubers Dank, Martin Steineggers Werben
Drei Tage nach dem Aus sitzt Gerber in der verlassenen SCB-Garderobe. Er packt seine Tasche, räumt den Spind, zieht das Namenstäfelchen aus der
Halterung. Nach 24 Jahren in der höchsten Liga, 20 davon in Bern, ist Schluss mit Profieishockey. «Eine Riesenerfahrung, eine grosse Lebensschule» sei es gewesen, sagt Gerber. Zahlreiche Gratulationen hat er in der Zwischenzeit erhalten. Herausheben möchte er keine – zumindest nicht von Gratulanten aus dem Sport. «Aber dass zum Beispiel Büne Huber geschrieben und sich als SCBFan für alles bedankt hat, was ich für den Club geleistet hätte, das hat mich berührt.»
Gerber erwähnt, die 20 Jahre beim SCB seien «sehr schnell vorbeigegangen. Meine erste Saison hier 2003/04 ist jedenfalls in guter Erinnerung.» Doch die Geschichte des Eishockeyspielers Beat Gerber beginnt um einiges früher. In Heimenschwand geht er zur Schule, absolviert im Betrieb des Vaters eine Schreinerlehre. Seine zweite Passion gilt dem Eishockey. Auf der Natureisbahn Oberlangenegg bestreitet er die ersten Partien, wechselt danach runter
Travis Roche
Colin Gerber
6 Saisons Teamkollege von Beat Gerber: «Ich war auf dem Sprung in die erste Mannschaft, als ich einmal wegen einem Wehwehchen beim Physio auf dem Tisch lag. Dann kam Bidu in den Raum und überreichte mir symbolisch ein Hölzchen. Sein Kommentar dazu: ‹Du musst noch lernen zu beissen.› Dieses Beissen habe ich auch von Bidu gelernt. Und diese Erkenntnis nehme ich mit für meine Karriere.» nach Langnau zum Eishockey-Zugpferd des Emmentals. Beim SCL entwickelt er sich zum NLA-Stammverteidiger. Gemeinsam mit Steve Hirschi gelingt «Bidu» der Sprung ins Nationalteam. Dort trifft er auf SCB-Captain Martin Steinegger. Dieser bearbeitet ihn und redet auf ihn ein, er solle doch zum SCB wechseln. Im Sommer 2003 erfolgt «Bidus» Transfer nach Bern — der Rest ist SCB-Clubgeschichte.
Gleich in seiner ersten Saison in Bern wird Gerber mit der Mannschaft Schweizermeister. Fünf Meistertitel und zwei
2008 bis 2014 mit Gerber beim SCB: «Beedoooo Bono! So nannten Brett McLean und ich Bidu Gerber. Beedoooo liebte Biertrinken, und er liebte es, zu lachen. Es kann keinen Menschen geben, der einmal mit Bidu im Team gespielt hat und ihn nicht mag. Die Art, wie er spielt, sein überragendes Grinsen und Lachen werden mich für immer begleiten. Ein toller Mitspieler, ein toller Freund. Er hat seinen Platz als Legende in Berns Geschichte zementiert.»
Cupsiege sollten hinzukommen. «Diese Titel machen mich sehr stolz», sagt Gerber. «Wir hatten in den Meisterjahren immer gute Teams. Aber das allein reicht nicht, du musst den Schritt ganz nach vorne dann auch machen.»
Gerbers Abwehrpartner wechseln in all den Jahren immer wieder, seine Rolle hingegen bleibt dieselbe. Er hält Martin Steinegger ebenso den Rücken frei wie später Roman Josi und Travis Roche. Offensiv tritt er kaum in Erscheinung. «Meine Stärke als Spieler war, dass ich wusste, was ich konnte. Und dies habe ich zu 100 Prozent umgesetzt. Ich liebte es, meinem Partner in der Abwehr den Puck zu spielen und anschliessend für ihn abzusichern.»
Rekorde auf Clubebene, Vorlage für Ambühl
Gerber erlebt manchen Wandel mit, auf wie neben dem Eis. In seinen ersten Jahren wird im Teambus beispielsweise fleissig gejasst. Mittlerweile sind Smartphone und Kopfhörer bei den
Bidus Best-of
Die speziellste Saison
2015/16. Unvorstellbare Hochs und Tiefs, die Playoffs auf Biegen und Brechen erreicht, dann zum Titel marschiert.
Der grösste Erfolg
Die sechs Meistertitel. Ich will keinen rauspicken. Jeder hat seine Geschichte.
Die grösste Enttäuschung
Das Gegentor im siebten Finalspiel 2012 gegen die ZSC Lions 2,5 Sekunden vor Schluss der regulären Spielzeit.
Der speziellste Mitspieler
Simon Gamache hatte komische Rituale und trug immer ein Kopftuchdas siehst du selten in Eishockey-Garderoben. Trotzdem würde ich Tristan Scherwey als speziellsten Mitspieler nehmen. Wir haben auf und neben dem Eis viel erlebt und jeden «Schissdräck» zusammen gemacht. Er ist speziell auf eine positive Art.
Der schwierigste Mitspieler
Todd Elik war in Langnau manchmal anstrengend, hat aber alles für den Sieg gemacht. Ähnlich verhielt es sich mit Chris DiDomenico in Bern.
Der witzigste Mitspieler Gian-Andrea Randegger.
Der unangenehmste Gegenspieler
Yves Sarault. Er war in Bern, ging dann nach Davos und war sehr unangenehm. Stand Sarault auf dem Eis, musstest du den Kopf immer oben haben. Bei ihm wusstest du nie, was kommt.
Der beste Trainer
Kari Jalonen. Kari hatte die Mannschaft im Griff. Es gab eine Linie, seine Linie, an dieser musstest du dich orientieren.
Der schlechteste Trainer
Alan Haworth war ein hervorragender Spieler, aber als Trainer nicht mein Fall.
Das schönstes Tor
Da kann ich mich an keines erinnern. Es gab auch wenige (lacht).
Das wichtigstes Tor
In den Playoffs 2017 in Lugano.
Der beste Jasspartner
Marco Bührer. Leider hat uns Guy Boucher später das Jassen im Teamcar verboten – zumindest auf der Hinreise.
Der schlechteste Jasspartner
Am meisten Geld haben Marco Bührer und ich gegen Roland Gerber und seinen Jasspartner gewonnen. Ich weiss nicht mehr, ob es Philippe Furrer war.
Die Lieblingsanekdote
Es gibt etliche, die ich nicht mehr weiss. Und etliche, die ich nicht erzählen darf oder will. Spontan erinnere ich mich daran, wie wir im letzten Frühling auf die Teamreise nach London gingen. Abflug via Genf. Niemand dachte daran, dass für Reisen nach Grossbritannien die ID nicht mehr genügt. Gut zehn Spieler, ich inklusive, hatten den Pass nicht dabei. Also gings zurück nach Bern, Pass holen, danach mit dem Zug nach Zürich und mit viel Verspätung und Umwegen doch noch nach London.
Sven Leuenberger
Während zehn Jahren Sportchef beim SCB: «Bidu verkörpert Bern. Was man über den Berner sagt, trifft grösstenteils auch auf Bidu zu: Gemütlich, zielstrebig, im ersten Moment nicht sehr weltoffen, aber hat er dich ins Herz geschlossen, dann richtig. Beeindruckend ist Bidus Clubtreue. Und entscheidend ist dieses Unermüdliche, das Unnachgiebige, das Bodenständige, der Wille, jeden Tag alles zu geben. All das verkörpert Bidu. Und all das möchte das Berner Publikum sehen. Auf diese Weise widerspiegelt Bidu nicht nur als Mensch, sondern auch als Spieler den Berner!»
Larry Huras
SCB-Meistertrainer 2010:
«Im Frühling 2005 traf ich zwei Verteidiger namens Gerber in meinem Trainerbüro in Lugano. Der eine Gerber war gross, selbstbewusst, machte einen tollen Eindruck. Der andere Gerber war kleiner, ruhig, nervös. Ich dachte, das habe mit fehlendem Selbstvertrauen zu tun. Ralph Krueger war ein grosser Fan von Lukas Gerber. Er empfahl mir, ihn zu verpflichten. Ted Snell, mein langjähriger Assistent, kannte Bidu aus Langnau und schwärmte von seinem Charakter. Den sah ich nicht im Gespräch, deshalb holte ich Lukas Gerber. Er war ein harter Arbeiter. Aber Lukas hat ein normales, menschliches Herz. Bidu hat das Herz eines Grizzlybären. An diesem Tag lernte ich etwas: Um den wahren Charakter eines Menschen zu entdecken, musst du tiefer schauen. Bidu ist das perfekte Beispiel eines Spielers mit durchschnittlichem Talent, der durch harte Arbeit Überdurchschnittliches erreicht. Ich erhielt eine zweite Chance, mit Bidu zu arbeiten. Nur schon um ihn herum zu sein, machte mich in Bern zu einem besseren Trainer.»
Spielern Usus. Die direkte Kommunikation gehe immer mehr verloren, man spreche heute weniger miteinander, sagt Gerber. Bedauern schwingt mit. Er galt und gilt zwar nicht als grosser Kommunikator, ist aber einer, der den Austausch innerhalb des Teams enorm geschätzt, ja geliebt hat. «Am wenigsten fehlen wird mir am Profileben das Sommertraining – und am meisten fehlen werden mir die Emotionen und all die Erlebnisse, die du mit den Mitspielern teilen kannst.»
Gerber sagt, er sei stolz auf das Erreichte. 1270 Spiele in der höchsten Liga, das sei eine «Riesenzahl». Wer sie durch die 24 Saisons rechnet, erhält einen Schnitt von 53 Spielen pro Jahr – «das ist ziemlich beeindruckend. Mein Körper hat lange mitgemacht, doch in den letzten Jahren spürte ich die Belastung zunehmend.» Auf SCB-Ebene hat Gerber mehrere Bestmarken gesetzt. Mit 20 Saisons im Club liegt er vor David Jobin (19 Jahre), und sechs Meisterschaften hat in der Clubhistorie kein anderer Spieler ge- wonnen. Den ligaweiten Rekord von 1270 National-League-Partien werde er wohl nicht ewig behalten, mutmasst Gerber. Sein erster Verfolger Andres Ambühl hat den Vertrag in Davos unlängst um zwei Saisons verlängert. «Wenn ich sehe, mit welcher Energie er seine Kurven auf dem Eis zieht, muss auch nach diesen zwei Jahren nicht Schluss sein. ‹Büeli› wird die Marke mit grosser Wahrscheinlichkeit überbieten. Sollte er das schaffen, ich würde es ihm gönnen.»
Rennvelo statt Ferrari, Handwerk statt Trainer
So abrupt Gerbers Karriere mit dem Tor von Mike Künzle anderthalb Sekunden vor Schluss auch geendet hat: Er hatte sich während Monaten auf den Moment vorbereitet. Seine Frau und er hätten häufig über die Zeit nach dem Profisport diskutiert. Die Rückkehr in den Schreinerberuf in den Betrieb seines Bruders war zu Beginn ein Thema. «Aber ich bin seit Jahrzehnten weg aus diesem Job.
308 PLUG-IN HYBRID
Auch die Schreinerarbeit hat sich verändert und ist weit entfernt von dem, was ich einst erlernt hatte.» Der Wunsch, im Eishockey zu bleiben, wurde immer grösser. Aber nicht nur der Eishockeyprofi Gerber, auch der Mensch Gerber vermag sich einzuschätzen. Er sagt: «Das Trainersein war kein Thema. Ich bin kommunikativ zu wenig gut für den Trainerjob, könnte aus diesem Grund weder ein Junioren- noch ein Amateurteam vernünftig führen.»
Künftig vereint Gerber beim SCB seine Passion fürs Eishockey und fürs Handwerk: Er hat im Mai seine Aufgabe als Materialchef der ersten Mannschaft in Angriff genommen. Auch der Sport soll nicht zu kurz kommen, wobei Gerber künftig nicht mehr auf dem Eis, sondern vermehrt auf dem Rennvelo unterwegs sein wird. Seinen Ferrari übrigens hat er im vergangenen August verkauft. «Ich hatte den Wagen zehn Jahre lang. Nun kommt eine neue Zeit.»
Auf ebendiese Zeit freut sich Beat Gerber. «Dass ich die Leidenschaft und das Herzblut für den SCB weiterhin ausleben kann – einfach in einer neuen Aufgabe –ist sehr speziell und ein unglaublich grosser Pluspunkt.»
Tristan Scherwey
14 Saisons lang mit Gerber beim SCB: «Mit 18 kam ich nach Bern. Als ich zum ersten Mal in der Garderobe der ersten Mannschaft sass, kam Bidu rein. Er hat mich weder beachtet noch gegrüsst. So begann unsere Reise. Wir haben unglaublich viele spezielle Momente erlebt: schöne, weniger schöne, emotionale, amüsante. Von Bidu habe ich gelernt, was es bedeutet, als Erster zu kommen und als Letzter zu gehen – ob im Eishockey oder anderswo. Das wurde zu meiner DNA. Ich werde die gemeinsame Zeit nie vergessen.»