HARALD SCHEICHER
HARALD SCHEICHER
INHALT
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Grußwort Rudolf Leopold
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Einleitung Wieland Schmied
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TAFELN
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Zu meinen Bildern
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Meine Identitäten
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Biografisches
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Impressum
Zwei Sonnenblumen, 2002, 100 x 120
Grußwort
Ich habe Harald Scheicher, den Enkel Werner Bergs, 1992 anlässlich einer Ausstellung von Werken seines Großvaters in der Kärntner Landesgalerie kennen gelernt. Meine Frau und ich besuchten ihn anschließend in Völkermarkt, um uns von ihm, dem Verwalter des künstlerischen Nachlasses von Werner Berg, weitere Arbeiten dieses Künstlers zeigen zu lassen. Es blieb nicht bei diesem einen Besuch und bald bemerkte ich, dass Harald Scheicher selbst malte und ließ mir auch seine Bilder zeigen. Einiges seiner damaligen Produktion war noch unausgegoren, doch in manchen auch sehr frühen Bildern von ihm erkannte ich eine bemerkenswerte Originalität. Ich erwarb sechs davon für meine Sammlung. In den folgenden Jahren, wann immer mich mein Weg nach Kärnten führte, besuchte ich auch Harald Scheicher, um seine neuesten Bilder zu sehen. Neben seinem Arztberuf ist er ein durchaus fleißiger Maler – allein die Quantität seiner Hervorbringungen – jährlich entstehen etwa 40 bis 50 Werke – braucht den Vergleich mit anderen Schaffenden nicht zu scheuen. So wuchs der Bestand seiner Werke in meiner Sammlung mit den Jahren auf 33 an. Gelegentlich wechselte ich ein bereits erstandenes Werk gegen eine der neueren Fassungen desselben Motivs – so bei den Schilfbildern, der Birke am Ufer der Drau, oder seinen großformatigen Panoramen. Von seinen frühesten Arbeiten aus der Schulzeit bis zu letzten Werken aus 2007 umfasst meine Sammlung nahezu alle seiner von ihm oft wiederholten Motivgruppen: die Sonnenblumen, die Flusslandschaften, die Schilfbilder, den verfallenden Stadl, ein Selbstporträt, den herbstlichen Mais, den Waldteich, die Bäume, die Gebirgslandschaft bei der Koschuta und in den Julischen Alpen, die Diexer Landschaft an den Südhängen der Saualpe und auch eines seiner Blumenbilder. Schon diese Aufzählung zeigt, auf was sich Harald Scheichers Werk konzentriert: die eingehende und einfühlsame Darstellung bestimmter, von ihm immer wieder aufgesuchter Gegenden und Motive. Hier entwickelt er eine Fähigkeit, bestimmte Farb- und Lichtkonstellationen einzufangen und in ihren Valeurs abzustufen, die manche seiner großformatigen Blumenbilder, seiner Gebirgsbäche und Akte vermissen lassen. Was mich überdies beeindruckt, ist der durch keine akademische Ausbildung verbogene, unmittelbar sinnlich erfassende Zugang des Malers zu seinen Motiven. Da wir beide Mediziner sind, muss ich im Verfolgen seines konsequenten Weges manchmal auch an meine eigene Jugend denken, an die ungestüme Begeisterung für große Malerei, die mich plötzlich beim ersten Besuch des Wiener Kunsthistorischen Museums überfiel und mich zeitlebens nicht mehr losließ. Rudolf Leopold
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Mohn und Iris, 2008, 100 x 120
Einleitung Über die Bilder von Harald Scheicher
Die Behauptung, dass Harald Scheicher ein bedeutender zeitgenössischer Maler ist – jedenfalls mehr als eine ungewöhnliche künstlerische Begabung – stellt gewiss für die nationale wie internationale Kunstszene eine Überraschung dar. Auf jeden Fall bedarf sie der Begründung und Erläuterung. Dies umso mehr, als Harald Scheicher nicht im Mainstream der allgemeinen künstlerischen Entwicklung liegt, aus einer abseits gelegenen Provinz stammt und eigensinnig dort bleiben will, und nicht zuletzt eine erfolgreiche Arztpraxis betreibt. Das sind gleich drei gravierende Handicaps, welche die Wahrnehmung der Kunsteigenschaft der Werke von Harald Scheicher durch die gegenwärtige Kunstszene erheblich erschweren. Im Folgenden soll auf diese drei Punkte – und weitere zwei -, die wir nicht umsonst als „gravierende Handicaps“ bezeichnen, näher eingegangen werden. Da ist einmal der offenbare Tatbestand, dass dieses Werk sich der Erfassung und Wiedergabe der heimatlichen Landschaft (und ihrer Blumenwelt) verschrieben hat (gelegentliche Ausflüge in Porträts dem Künstler nahe stehender Personen haben eher privaten Charakter). Kunsthistorisch ist ein solches Bestreben um die vorvergangene Jahrhundertwende anzusiedeln, in die Jahrzehnte unmittelbar vor und nach 1900, also um die Jahre etwa von 1870 bis 1930, bis die auch in Kunstdingen schreckliche Diktatur der Naziherrschaft zumindest im Herzen Europas den Entwicklungsgang der Kunstgeschichte zum Stillstand brachte. Aber ist eine ernsthafte malerische Auseinandersetzung mit dem Thema Landschaft heute wirk-
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Dunkle Felder, 1985, 65 x 75
lich nicht mehr möglich? Ist die Natur als Vorbild der Kunst – so wie sie sich dem Augenschein darbietet – nicht mehr akzeptabel? Gilt nicht vielmehr (nicht erst seit heute) der Grundsatz „Anything goes“? Ist diese von der Philosophie ausgegebene Devise nicht auch für die bildende Kunst relevant (und von deren Vertretern anerkannt worden)? Auch wenn man geneigt ist, solche Fragen positiv zu beantworten und der Entfaltung der heutigen Kunstszene größtmöglichen Spielraum zuzuerkennen, bleiben noch einige Schwierigkeiten in der Wahrnehmung der Ergebnisse des malerischen Bemühens von Harald Scheicher als legitime Zeugnisse zeitgenössischer Kunstübung. Von den spezifischen Qualitäten der Malerei Harald Scheichers soll später und abschließend gesprochen werden. Hier ist nur die Rede von ihrem Ort innerhalb der anerkannten Kunst unserer Tage, von ihrer Aktualität. Die zeitgenössische Kunst – das, was wir mit gutem Recht als solche ansehen – besitzt weitgehend experimentellen Charakter. Ein anderes – und vielleicht treffenderes – Adjektiv zu ihrer Kennzeichnung lautet „innovativ“. Es wäre müßig leugnen zu wollen, dass die Werke von Beuys bis Warhol, von Merz bis Kounellis, von Twombly bis Tapies, von Rainer bis Ringel, von Attersee bis Spoerri, von Brus bis Nitsch – um etwas willkürlich nur diese Namen zu nennen – nicht nur als Ausdruck einer bestimmten Haltung, sondern auch (und gerade) durch die in ihnen (in diesen Werken) erkennbar werdende veränderte – eben „neue“ – Sichtweise der Welt nicht ungemein zu faszinieren vermöchten. Alle diese Namen stehen unzweifelhaft (wie manche andere) als Synonyme für große Kunst. Trotzdem sind Zweifel anzumelden, wenn im Umkehrschluss von einem ihrer Protagonisten der Anspruch in die Welt gesetzt wird, dass Malerei (und noch dazu eine bewusst gegenständlich orientierte Malerei!) heute nur noch als eine Art „Hausmusik“ in privatem Kreis betrieben werden könne (und dort gefälligst auch zu bleiben habe). Das erscheint mehr als eine seltsame Ansicht, die nicht unwidersprochen passieren soll. Dem ist die Behauptung entgegenzuhalten: die Malerei lebt! Toni Stooss, der Direktor des Salzburger Rupertinums, hat einmal die Kunst der Malerei den „notorischen Lazarus der jüngeren Kunstgeschichte“ genannt. Ein treffendes Wort! Wer die Kunstszene in den letzten vier oder fünf Jahrzehnten beobachtet hat, konnte mitbekommen, wie die Malerei mehrfach offiziell beerdigt wurde, ihren angeblichen Tod aber stets in bester Kondition überlebt hat. Immer noch hat sich die Malerei gerade für jüngere Künstler als das komplexeste, reizvollste, wirkungsstärkste Medium erwiesen, durch welches sie sich mit der Welt, wie sie ist, auseinandersetzen können. Dafür ließen sich viele Beispiele nennen – von Peter Doig bis zu Herbert Brandl und Hubert Scheibl. Ein weiteres Beispiel scheint mir Harald Scheicher
zu liefern. Ich empfinde das, was er macht, nicht nur als mutig (weil er einen ganz eigenen Weg geht und nur scheinbar einem ausgetretenen, traditionellen Pfad folgt), sondern ebenso als aktuell. Doch darüber, wie schon gesagt, mehr am Schluss meiner Betrachtungen. Ein weiteres Handicap der Position Harald Scheichers ist zu nennen. Der Künstler hält sich in und mit seiner Arbeit nicht nur abseits des Mainstreams der Moderne (und Postmoderne) auf, er hat sich auch für sein Zuhausesein in einem abseits der neueren Kunstentwicklung gelegenen Winkel entschieden. Liegt Wien schon ein wenig abseits der Zentren der Moderne, so macht es das Unterkärntner Völkermarkt vollends schwierig wahrzunehmen, was sich hier in Dingen der Kunst ereignet. Gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst ist die zumindest zeitweilige Präsenz des Künstlers bzw. der Künstlerin in den Metropolen so wichtig: hier lebt (wenigstens zu einem wesentlichen Teil) sein bzw. ihr Publikum. Hier sind die Medien, die Kritiker, die Sammler zu Hause. Und hier müssen die Originale (und die bildende Kunst lebt von der Anschauung der Originale) ausgestellt werden, in den Museen, Galerien, Ateliers zu sehen sein. Aus der Provinz zu stammen ist keine Schande. Aber wie verhält es sich mit dem Entschluss, in ihr zu bleiben? Und noch mehr: wie verhält es sich mit dem Entschluss, die heimische Umgebung – eben das, was wir leichthin Provinz nennen – zum ausschließlichen Thema der eigenen Kunst zu wählen? Steht das nicht im Widerspruch zu nahezu jeder Künstlerbiographie, die wir kennen? Peter Handke, im wenige Kilometer von Völkermarkt entfernten Dorf Griffen (jetzt eine etablierte Marktgemeinde) geboren (wo seine Mutter begraben liegt), hat den Ort seiner Herkunft schon relativ früh verlassen. Und es ist eine bleibende Trennung daraus geworden, die sein Werk für viele Gedankengänge geöffnet hat. Arnold Stadler, der deutsche Dichter und Büchnerpreisträger des Jahres 1999, sagt: „In literarischen Dingen, das ist für mich eine Schlüsselerkenntnis, gibt es keine Provinz, sondern nur Welt.“ Das Gleiche gilt für die Werke der bildenden Kunst. In ihr existiert nicht die Provinz, sondern die Welt. Das gilt für die Bilder Scheichers genauso wie für die Prosa Stadlers. Größe ist keine Frage der Maßverhältnisse des angeschauten Gegenstandes, sondern der Art und Weise der Anschauung (und Darstellung). Und noch einmal Stadler: „Glück ist nur eine Hälfte, die Wahrheit aber ist das Ganze.“ Der dritte Punkt – oder Einwand, das dritte Handicap – ist der wichtigste. Es ist Scheichers nie verschwiegene Doppelexistenz als Arzt und als Maler – oder andersherum: als Maler und Arzt. Wie sollte er auch den doppelten Beruf verschweigen wollen! Man kann sagen, das ist bewundernswert, wenn einer ein guter
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Mais, 2003, 140 x 85
Arzt und ein guter Künstler (oder Dichter, wie Benn, wie Céline, wie Döblin usw.) sein will. Aber man kann aus dieser Doppelexistenz auch einen Einwand ableiten gegen jeden einzelnen der ausgeübten Berufe, weil sich der Künstler (oder die Künstlerin) diesem nicht ausschließlich widmet. Was mag das für ein Arzt sein, der nicht 100 Prozent seiner Zeit in seiner Praxis und an der Seite seiner Patienten verbringt – und analog: was ist das für ein Maler … Was ist der Einsatz für eine Sache, für einen Beruf wert, wenn sie nicht ausschließlich erfolgt, wenn nicht alle Zeit für sie aufgewendet wird? Gerade die Kunstwelt ist in diesen Dingen sehr sensibel und erwartet vom Künstler, dass er sein ganzes Leben, seine gesamte Existenz an sein Künstlertum hingibt, von morgens früh bis spätabends (und wenn nötig auch nachts). Ähnliches gilt in der Literatur, wenngleich man hier eher – den Einkommensverhältnissen entsprechend – die Tatsache eines „Brotberufs“ hinnimmt, ohne deshalb am Rang der dichterischen Produktion Zweifel zu artikulieren. Gottfried Benn, zeitlebens in Berlin als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten tätig, sprach in einem Essay von einem Doppelleben. Mehr als die wirtschaftliche Sicherung einer „normalen“ Existenz (und seinem ärztlichen Engagement) lieferte ihm der gewählte Beruf dabei nicht nur Erfahrungen, sondern erwies sich als Garant der Unabhängigkeit des Künstlers (von Verlagen, Zeitschriften, der Presse). Das Moment finanzieller Unabhängigkeit, insbesondere von der Bindung an eine bestimmte Galerie – und deren Forderungen – spielte auch für Harald Scheicher eine entscheidende Rolle. Hierin sah und sieht er den Sinn einer Doppelexistenz als Arzt und Künstler. Dabei bedeutet Arzt zu sein für ihn alles andere als nur die Annahme eines „Brotberufs“, den es aus Pflichterfüllung zu übernehmen galt. Auch dazu soll in der abschließenden Würdigung des malerischen Werkes von Harald Scheicher noch ein Wort gesagt werden. Wahrscheinlich muss noch ein vierter Punkt, ein viertes Handicap genannt werden, wenn von Harald Scheicher und seiner Arbeit die Rede ist. Harald Scheicher stammt aus einer Künstlerfamilie. Er ist der Enkel eines bekannten Malers (und überdies dessen Nachlassverwalter und als Ideengeber für die Verwaltung des diesem Maler gewidmeten Museums verantwortlich). Auch das könnte ein Pluspunkt sein, der für die künstlerische Existenz Harald Scheichers spricht. Aber es wird oft als Negativum gegen den Künstler ins Spiel gebracht, wird mit einer abschätzigen Geste vorgetragen. Nun ließe sich zum Ausgleich das Wort von Thomas Bernhard „Die Großväter sind die Lehrmeister“ anführen, hätte Thomas Bernhard hier nicht eine persönliche Erfahrung als allgemeingültigen Glaubenssatz verkündet, wie er das wiederholt
getan hat – was der Überzeugungskraft seiner Thesen einen gewissen Abbruch tut. Im Falle von Thomas Bernhard übertrifft das eigene schriftstellerische Werk das seines Großvaters außerdem in solchem Maße, dass noch niemand es mit diesem verglichen hat. Anders verhält es sich im Fall von Harald Scheicher und Werner Berg: der liebenswürdige Künstler würde es weit von sich weisen, die eigene Arbeit mit dem Werk seines Großvaters verglichen zu sehen, wie er es als Unterstellung ansieht, sich mit diesem messen zu wollen. Doch legt eine eingehende Betrachtung von Harald Scheichers Bildern es nahe, in ihnen in einzelnen Aspekten – z. B. in der Wahl der Motive – eine Fortsetzung des Werkes von Werner Berg zu erkennen. Leicht ließe sich den genannten vier Handicaps noch ein fünftes hinzufügen: Die Liebenswürdigkeit des Künstlers (in seiner Malerei und in seinem persönlichen Auftreten). Gerade diese Eigenschaft des Künstlers hat dazu geführt, dass sein Werk leicht unterschätzt wird. Ein Künstler hat nach allgemeiner und weit verbreiteter Laienüberzeugung abweisend, verschlossen, unzugänglich zu sein, jedenfalls nicht liebenswürdig oder entgegenkommend. Das gehört nach der genannten Laienüberzeugung zum authentischen Kern seines Wesens. Dabei ist es in der Regel erst der wachsende Ruhm (und die mit ihm verbundenen unausweichlichen Begleiterscheinungen des Erfolges), der den anfänglich liebenswürdigen und weltoffenen Künstler (wenn er sich von unzähligen Scheinwerfern angestrahlt fühlt) abweisend und unzugänglich erscheinen lässt. Aus allen diesen angeführten Punkten lassen sich also Argumente gewinnen, die gegen die Bilder von Harald Scheicher in Stellung gebracht werden können. So gewichtig sie auch sein mögen: Harald Scheicher hat sie einfach ignoriert. Seine Art des Umgangs mit ihnen war: sich gar nicht erst auf sie einzulassen. Er hat die Eigenheit seiner künstlerischen Intentionen als gegeben hingenommen und sich nicht um die Meinungen anderer gekümmert. Und er hat gemalt. In jeder Minute, die ihm seine anderen Verpflichtungen dafür Zeit ließen. Harald Scheicher hat sich viele Gedanken über das Malen – und seine spezifischen Bedingungen – gemacht. Man sieht es seinen Bildern nicht an: doch viele Überlegungen sind in sie eingegangen und liegen ihnen zugrunde. Harald Scheicher, der künstlerische Autodidakt, kennt die Kunstgeschichte, kennt die Malerei der von ihm immer wieder genannten Vertreter. Gerne gesteht er Einflüsse zu. Alles, was er gesehen hat, kann einen solchen Einfluss bedeuten. So ist die Anstrengung so manchen Vorbildes in die eigene Arbeit eingegangen. Harald Scheicher kann, so meine ich, auch in seinen Bildern die Berufung zum Arzt nicht verleugnen. Besonders sein wiederholter Versuch,
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Rosental mit Gupf, 2007, 100 x 120
eine Beziehung zu Henri Matisse herzustellen, macht das deutlich. Von einem Arzt erwarten wir zuallererst eine Art positiver Ausstrahlung. Wir erwarten von ihm, dass er Optimismus verbreitet, dass er jedem seiner Patienten das Gefühl vermittelt, als Individuum ernst genommen und verstanden zu werden. Und eben diese Eigenschaft spricht aus den Gemälden von Harald Scheicher, ganz gleich ob es sich um seine Landschaftsansichten, meist gewaltigen Panoramen, oder um eines seiner Blumenstücke handelt, um die welkenden Sonnenblumen oder den blühenden Mohn oder Phlox. (Auch den Mais vor der Ernte möchte ich hier dazurechnen – obgleich er sich dem Abernten entziehen will, erscheint er nie abweisend. Nicht zu vergessen die winterlichen kahlen Bäume, die den Betrachter aus ihrer Existenz nicht ausschließen. Wie anders sahen die winterlichen kahlen Bäume mit ihren abgebrochenen Ästen bei Werner Berg aus – dort deuteten sie auf das Ende eines ausgeschrittenen Lebensweges.) Neben Matisse, dessen Einfluss im Stillleben von 1987 (Seite 43) überdeutlich sichtbar ist, müssen noch drei große Namen aus der Kunstgeschichte genannt werden, drei Künstler, die Harald Scheicher Orientierung gaben oder ihm Vorbilder geliefert haben. Mit der Nennung dieser Namen ist ein großer Anspruch verbunden. Harald Scheicher weiß das und versucht ihm gerecht zu werden. Nie erwähnt er diese Namen anders als mit dem Ausdruck großer Verehrung. Zuerst muss Vincent van Gogh genannt werden. Harald Scheicher sieht die Welt nüchterner als van Gogh, ekstatische Stimmungen sind ihm fremd – in seinen Bildern sind jedenfalls ihre Spuren nicht zu finden. Er greift nicht den leidenschaftlichen Pinselgestus auf, mit dem Vincent in Saint Rémy sich die Ölbäume rund um seine Krankenanstalt aneignete, sondern zeigt sich eher inspiriert von den Darstellungen der Felder um Arles (Seiten 214 und 215: „Feld mit Mohn und Hadn“ und „Mohnwiese“, beide Bilder 2009). Zu nennen wäre auch noch ein liebevoll gesehener Blütenzweig wie die „Apfelblüten“ von 2002. (Seite 101) Vor allem bedeutet der Umstand Harald Scheicher viel, dass Vincent van Gogh stets das Vorbild der Natur (oder eines Kunstwerkes von fremder Hand) als Modell vor Augen haben musste, um arbeiten zu können. Sonst war er, wie er seinem Bruder Theo schrieb, verloren. An zweiter Stelle ist Georgia O’Keeffe zu erwähnen, deren übergroße Blumenbilder Harald Scheicher beeindruckt haben müssen. Zwar fehlt den Bildern Harald Scheichers die Dimension des Bedrohlichen, die den erotisch aufgeladenen Blütenblättern der O’Keeffe zuweilen eignet (und ihre Blumen zu fleischfressenden Pflanzen mutieren lässt), aber das Vorbild der amerikanischen Künstlerin ist offensichtlich. (z. B. „Mohn“ Seiten 95, 104, 127 bis 130, „Magnolien“ Seite
100, „Iris“ Seite 102, „Mohn und Iris“ Seiten 103 und 105 usw.). Und drittens muss hier der Hinweis auf Oskar Kokoschka und seine an der Salzburger Sommerakademie in den Jahren 1953 bis 1963 etablierte „Schule des Sehens“ stehen. Harald Scheicher war zwar zu jung, um jemals einen der Kurse von Oskar Kokoschka zu besuchen. Aber ihre Intentionen haben ihn berührt. Die Kunst des Sehens zu vermitteln – das strebte Oskar Kokoschka an. Sehen lernen, das war es, was er auf der Festung Hohensalzburg lehren wollte. Die Wirklichkeit neu und anders als gewohnheitsmäßig anzuschauen, uns neue Augen zu verleihen, mit denen wir wahrnehmen sollten, was wir zuvor nicht wahrgenommen hatten. Schönheit in der Natur zu bemerken, die gar nicht verborgen ist, die offen zu Tage liegt – und die uns dennoch entgeht. Sehen lehren! Eben dieses Ziel verfolgt auch Harald Scheicher in und mit seinen Bildern. Wie schön ein Stück Landschaft sein kann, das wir ständig vor Augen haben – und ihren Charakter doch nicht wahrnehmen! In dreifacher Hinsicht erscheint mir die Entwicklung der Malerei Harald Scheichers bemerkenswert. Da ist einmal die konsequente Beschränkung der Palette, also die immer bewusster angewendete Farbgebung, die Konzentration auf einige wenige Farben, die in der Malerei immer unabhängiger werden vom in der Natur gesehenen Vorbild. Ganz abgesehen davon, dass die naiven Elemente der frühen Bilder auch bei Scheicher ihren besonderen Reiz besitzen – die ursprüngliche Naivität, über die jeder Künstler mit dem allmählichen Bewusstwerden des eigenen Tuns und den in diesem schlummernden Möglichkeiten zwangsläufig hinauswächst, ist kaum zu ersetzen – Fortschritt ist Fortschritt. Eine Farbgebung, die nur auf den inneren Zusammenhalt des Bildes achtet (und darum die Farbskala beschränkt) ist ohne Zweifel als Fortschritt zu werten. Ich denke dabei an eine Malerei wie den „Stausee“ von 2009 (Seite 225). Hier ist der Fortschritt offensichtlich. In die gleiche Richtung gehen – gewissermaßen als Stationen auf diesem Weg – Bilder wie „Draulandschaft“ von 1985 (Seite 47), die „Nebellandschaft“ von 1992 (Seite 57), das Gemälde „März“ von 1997 (Seiten 60/61) und die „Nebelsonne“ aus dem Jahr 2000 (Seite 85). Doch ist zu beachten, wie sehr hier das Naturvorbild den Intentionen des Malers entgegen kommt. Eine in Nebel gehüllte Landschaft verlangt in der künstlerischen Wiedergabe geradezu nach einer Zurücknahme der Farbigkeit, will man ihr auch nur halbwegs gerecht werden. Aber es müssen auch andere Gemälde genannt werden, die in die entgegengesetzte Richtung zielen und wahre Farborgien produzieren wie – auf Seite 45 – der „Winterabend durch Windschutzscheibe“ aus dem Jahr 1988, auf Seite 164 der
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BaumkrĂźppel, 2005, 150 x 50, Sammlung Leopold Wien
„Winterabend in Diex“ (2005), „Nach Sonnenuntergang“ (2004, auf Seite 167) oder ein Bild mit dem gleichen Titel aus 2006 (Seite 184).
sie wirken zu schnell gemacht, als gälte es in aller Eile die verschwindenden Gegenstände festzuhalten.
Kann die Natur kitschig sein? Manche empfinden ein Übermaß an Schönheit, wie es zuweilen der Abendhimmel über einer Landschaft anbietet, als „Kitsch“. Etwas ist „zu schön um wahr zu sein“ – und die Wahrheit (oder was wir für Wahrheit halten) steht seit längerem höher im Kurs als das Ideal der Schönheit. Eine folgenreiche Tagung im Jahr 1968 sprach – das „Naturschöne“ und das „Kunstschöne“ dabei vermengend – von „den nicht mehr schönen Künsten“.
Schließlich darf, wenn man das Werk von Harald Scheicher würdigen soll, die konsequent durchgehaltene – aber keineswegs ausschließlich verfolgte – Entwicklung hin zum Aussparen immer größerer Flächen nicht unerwähnt bleiben. Immer bedeutendere Partien der ungrundierten Leinwand bleiben unbemalt. Nur ein paar Bleistift-Striche deuten mitunter an, was auf ihnen stehen könnte, würden sie die Leinwand nicht roh und unbearbeitet darbieten. Als Beispiele können genannt werden: der „Montasch bei aufziehendem Nebel“ und die „Draulandschaft im Dezember“ von 2005, der „Michaelergraben“ und die „Kahlen Bäume“ von 2006 (reproduziert auf den Seiten 172 bis 177). Ein solches Freilassen oder Aussparen wichtiger Bildpartien resultiert nicht bloß aus dem beschränkten Zeitrahmen, der dem Künstler zur Verfügung steht. Es stellt vielmehr eine bewusste künstlerische Entscheidung dar. Muss wirklich alles gezeigt werden? Genügt nicht schon die Andeutung? Sagt das Fragment einer Landschaft nicht mitunter mehr? Ist der Betrachter nicht aufgerufen, das Bild durch eigene Anschauung zu ergänzen? Kann das Ergebnis einer solchen Ergänzung nicht jede künstlerische Realisierung übertreffen? Wie sonst ist der Grundsatz (den schon die Japaner kannten, und dem der Architekt Mies van der Rohe ein Leben lang folgte) in der Malerei zu verwirklichen, als durch Aussparen des Überflüssigen: „Weniger ist mehr“.
Die Natur überrascht uns gerne mit einem Sonnenuntergang und einem roten Himmel, wie wir ihn nur von Ansichtskarten zu kennen meinen. Emil Nolde (den wir auch in die Liste der Vorbilder Scheichers aufnehmen können) hat sich nicht gescheut, die Wolkenformationen des Abendhimmels über der norddeutschen Tiefebene mit all ihren Farben und Verfärbungen zu malen. Er fürchtete solche Bilder nicht. Harald Scheicher folgt ihm darin. Er weicht keiner Berührung mit dem aus, was ihm die Stimmungen der Natur zu den verschiedenen Tageszeiten anbieten. Er glaubt: ein Künstler, der sich ganz der Natur zuwendet, braucht den Verdacht nicht zu fürchten, in die Nähe dieser Art eines sogenannten „Kitsches“ zu geraten. Harald Scheicher hat wiederholt betont, dass ihm die Landschaft (durch den Wechsel der Beleuchtung, die Veränderung von Licht und Schatten) nur ein „Zeitfenster“ von maximal vier Stunden bietet, ihr Abbild festzuhalten. (Wer denkt dabei nicht an Claude Monet und seine 1894 im Mehrstundentakt entstandenen Ansichten der Kathedrale von Rouen, die der Maler in wechselndem Tageslicht festgehalten hat.) Aus dieser Äußerung Scheichers dürfen wir einen doppelten Willen zur Dokumentation entnehmen. Einmal geht es Scheicher um die Überlieferung eines Stückes gesehener Wirklichkeit (ob es sich um ein landschaftliches Panorama oder um ein paar nebeneinander stehende Blumen handelt), andererseits um die Dokumentation des in diesem Zeitraum realisierten Vorgangs der Malerei selbst. (Harald Scheicher ändert später im Atelier nichts mehr an dem, was er vor dem Modell, vor seinem „Motiv“ gemalt hat.) Wir dürfen aus dieser Entscheidung, nur in einem bestimmten Zeitrahmen draußen im Freien als Künstler tätig zu sein, einerseits die unbedingte Treue zum gewählten Gegenstand erkennen, andererseits das sich ergebende Resultat als ein „Protokoll der Malerei“ auffassen. Was ist der Malerei möglich, in einer begrenzten Zeitspanne, von der Welt festzuhalten? Durch den Entschluss zur zeitlichen Beschränkung wird – so meine ich – gleichzeitig das Prozesshafte der Malerei betont, wie ihr Ergebnis – das Bild – formal aufgewertet. Doch ist der Nachteil der zeitlichen Beschränkung an manchen Bildern Scheichers abzulesen:
Nicht nur das Aussparen nicht unwesentlicher Bildpartien und ihr ostentatives Freibleiben – sie zu ergänzen und zu vollenden bleibt eine Angelegenheit des Betrachters – halte ich für ein wichtiges Prinzip der Kunst Harald Scheichers. Am meisten beeindruckt mich das Faktum, dass er seine Bilder von allen Zügen des Kleinlichen, des Anekdotischen, des Überflüssigen freigehalten hat. Nicht zuletzt darum halte ich Harald Scheicher für einen Maler, der Wichtiges zu sagen hat. Wieland Schmied
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Sella Nevea, 2005, 90 x 150
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TAFELN
Gasse in Mali Losinj, 1975, 30 x 22
Gasse in Mali Losinj, 1975, 37 x 37, Sammlung Leopold Wien
Mit 13 Jahren habe ich zu malen begonnen. Vorher hatte mich das gar nicht interessiert. Plötzlich war das Bedürfnis da, intensiv, anfangs meist aus der Phantasie, zu malen und zu zeichnen. Das hörte nicht mehr auf. Bald interessierten mich verschiedene Vorlagen, Fotos aus Büchern und Zeitschriften, die ich mit Pastell und Ölkreide expressiv verfremdet wiedergab und ich begann bei meinen Streifzügen durch die Landschaft Bleistiftskizzen zu machen, nach denen ich später Holzschnitte und Linolschnitte anfertigte. Unzählige Blätter entstanden. Schon
bald drängte es mich, mit Ölfarben zu malen, anfangs auf Karton oder Faserplatte, kurz darauf jedoch schon auf selbst grundierter Leinwand. Vor allem interessierte und beeindruckte mich der Expressionismus. Schiele, Kirchner, Chagall, Klee, der frühe Kandinsky, dessen Arbeiten aus Murnau die beiden hier abgebildeten Darstellungen einer Gasse in Losinj beeinflussten. Ich war dort auf Urlaub und hatte meine Malutensilien mit. Ich durchstreifte die Gassen, fuhr mit Motorboot und Malsachen in einsame Buchten und war im Hinterland auf Feldwegen unterwegs.
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Waldteich, 1977, 80 x 100
Durch meinen Freund Jakob Demus, mit dem ich gemeinsame Malausflüge und Bergtouren unternahm, wurde ich auf eine andere Art des Naturstudiums aufmerksam – das Erarbeiten eines Motivs ohne expressive Verfremdung. Jakob schwärmte von Cézanne, Monet, Boeckl. Bis dahin hatte es für mich nur den Expressionismus gegeben. In naiver Direktheit hatte ich alles, was mir auffiel, mich bedrängte, in grellen Farben unbekümmert zu Papier gebracht. Nun eröffnete sich mir eine andere Welt: Stillleben, Steinbrüche, Baumstudien, die Abstufungen von Braun- oder Grüntönen und deren Modulierung durch die Malfarbe.
Im Sommer 1976 kaufte ich ein Monatsticket der Bahn für Italien. Ich fuhr nach Apulien, anschließend nach Sizilien, letztlich kreuz und quer durch das Land, die Nachtzüge als willkommene Schlafgelegenheit nützend. Voll jugendlichem Idealismus besuchte ich manche „festa dell’unita“. Auf einem dieser Feste erwarb ich an einem Bücherstand ein großartiges Fotobuch von Herbert List, „Napoli“, das mich zu zahlreichen Bildern anregte.
Schlafender Obdachloser, 1976, 45 x 75
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Träumender Knabe, 1977, 95 x 45
Schreibender, 1978, 60 x 85
Als Kinder wuchsen wir mit der Kunst meines Großvaters, des Malers Werner Berg, den ich sehr verehrte, auf. Seine Suche nach Einfachheit, seine Betonung der Flächigkeit der Malerei, seine oft schweren, dunklen Stimmungen, seine Überhöhung der Farbigkeit bestimmten von Beginn an meine Vorstellungen von einem „Bild“.
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Das schwarze Schloss, 1979, 95 x 75
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Sonnenblume vor Atelierfenster, 1978, 100 x 40
Welke Sonnenblumen, 1978, 85 x 60, Sammlung Leopold Wien
Meine Geschwister und ich hatten eine sehr schöne und glückliche Kindheit. Unsere Eltern ließen uns nahezu jeden Freiraum. Wir verbrachten sehr viel Zeit unter freiem Himmel – im Wald, auf Wiesen, an Bächen, auf Sportplätzen – mit einer Schar von Freunden. Meine Jugend jedoch verlief anders als die vieler früherer Freunde. Ich war immer in irgendein Mädchen abgöttisch verliebt, jedoch meist ohne Erfolg. Düster, träumerisch und schwermütig war meine Stimmungslage, die sich in meinen Bildern niederschlug. Ich las viel und war ein
exzellenter Schüler, der zu Hause nie lernen musste. Viel wichtiger als die Schule, die mir stets leicht fiel, war das Malen. Damals wollte ich Volksschullehrer werden, um neben dem Beruf genügend Zeit für die Malerei zu finden. Eher zufällig entschloss ich mich erst im Sommer nach der Matura zum Medizinstudium. 1979 erkrankte mein Vater schwer und ich schloss mein Studium mit großer Energie zügig ab, um danach seine Praxis für Allgemeinmedizin in Völkermarkt übernehmen zu können.
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Schafskรถpfe, 1981, 35 x 45
Goyas Stillleben mit Fleisch- oder Lachsstücken beeindruckten mich. Ich besorgte mir bei unserem Fleischer ganze Schweinsköpfe, Schafsköpfe und einen Kuhschädel, die in Variationen auf meinen Bildern immer wieder auftauchten. Daneben porträtierte ich in erdig schweren Farben meine Freunde und Geschwister. Mit 18 Jahren hatte ich ein eigenes Auto, in dem ich meine Feldstaffelei und meine Malkoffer transportierte. Ich erkundete meine Unterkärntner Umgebung auf vielen Fahrten. So fand ich am Fuße des Altbergs dieses interessante Kalkwerk, von dem ich zwei Bilder malte.
Kalkwerk, 1981, 75 x 95
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Sandbänke nach Gewitter, 1982, 55 x 55
Steinbruch, 1982, 55 x 75
Im September 1981 starb mein Großvater, Werner Berg. In den Jahren vor seinem Tod war ich fast zu seinem Privatsekretär geworden. Er hatte mit mir viel über seine eigene Kunst, andere Künstler, einzelne Bilder und die Vorbereitung einzelner seiner Ausstellungen gesprochen. Ich durfte ihm beim Ordnen seiner Sachen helfen. Da er selbst nicht Auto fuhr, ließ er sich von mir gerne von einer Skizziergelegenheit oder einem Zusammentreffen mit Sammlern oder Freunden abholen. In seinem Testament verfügte er, dass ich seinen künstlerischen Nachlass verwalten solle. Er vererbte mir auch sein ganzes Malgerät – plötzlich verfügte ich über Pinsel, Farben und Leinwände bester Qualität in Hülle und Fülle. Schon zuvor,
zu Beginn meiner Maltätigkeit mit 14 Jahren, hatte ich von meinem Großvater Staffelei, Farben und ein Buch über Maltechnik, den „Dörner“, geschenkt bekommen. „Opa“, wie ich ihn stets nannte, hatte mein Malen immer – und wie ich heute erst weiß, sehr eingehend – verfolgt – mit einer gewissen Mischung aus Bewunderung, die er nur anderen gegenüber äußerte und von der ich erst viele Jahre nach seinem Tod erfuhr, und einer Skepsis, die er mich deutlich spüren ließ. Den Zwischentönen der Dämmerung, die er so meisterhaft beherrschte, versuchte auch ich nachzuspüren. Ich lebte in der Welt der Kunst und die verschiedensten Eindrücke wirkten gleichzeitig stark auf mich ein.
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Abstrakte Herbstlandschaft, 1983, 45 x 75
Durch das zeitaufwändige Medizinstudium kam es zu monatelangen Malpausen, danach setzte mein Malen jeweils völlig neu ein. Andere Dinge waren mir inzwischen bedeutsam geworden. Ein Künstler, den ich nie zu bewundern aufhörte, trat in mein Gesichtsfeld: Nicolas de Staël. Sein aus der Abstraktion kommender Zugang zur Darstellung von Landschaft und Stillleben beeindruckte mich sehr, wie auch die Strahlkraft seiner Farben. Ich versuchte, meine Landschaft nicht mehr vor der Natur zu malen oder zu skizzieren, sondern aus der Erinnerung neu entstehen zu lassen, das Gesehene und Erlebte auf geometrische Grundformen zurückzuführen.
Ende April und es regnet, 1984, 63 x 89
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Draulandschaft, 1985, 35 x 45
Herbstfelder, 1983, 45 x 75
F체r einige Jahre arbeitete ich nicht direkt vor dem Motiv, sondern skizzierte nur kurz im Freien die Linien und notierte mir die wichtigsten Farben, wie etwa den schmalen, hellgr체n aufleuchtenden Grasstreifen. Die Wolkenstimmungen, die von ihren subtilen Ver채nderungen in der Spiegelung der Wasserfl채che nur durch ein schmales Landschaftsband und helle Lichtreflexe getrennt sind, bestimmen viele meiner Draubilder, die sich oft nur in kleinen Einzelheiten unterscheiden.
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Rosen, 1985, 55 x 35
Kleine Landschaft, 1983, 35 x 55
Von den Blumenbildern meines Großvaters fasziniert, waren es auch für mich immer wieder Blumen, die mich zum Malen anregten. Ich hatte als Jugendlicher einmal ein B-Movie gesehen, dessen Handlung in Paris spielte: ein Maler stattete aus Verliebtheit das große, prächtige Stiegenhaus seiner Freundin mit Blumenbildern aus. Zufällig war mir dabei ein Leitthema meines späteren Schaffens klar geworden: Bilder haben für mich eine schmückende, verschönernde, den jeweiligen Wohn- und Lebensbereich erweiternde Funktion. Das hat nur scheinbar mit dem viel verachteten „Behübschen“ zu tun. Jedes Bild, mit dem wir uns umgeben, kann unserem Leben Freude und zusätzliche Dimension geben.
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Im Jänner 1983 besuchte ich mit meinen Eltern die große Matisse-Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Der Eindruck war gewaltig und prägte mein Malen für viele Jahre. Ich besorgte mir alles, was an Büchern zu Matisse erschienen war, freute mich, wenn ich eines seiner Bilder in den Museen fand. „Die offene Fenstertür“ von 1914 war mir Höhe- und Schlusspunkt der Malerei.
Amaryllis, 1983, 35 x 55
Stillleben, 1985, 120 x 75
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Durch viele Jahre fuhr ich mit meinen Schwestern regelmäßig zum Jazzfest nach Saalfelden. Die Musiker im Licht der farbigen Scheinwerfer hielt ich in zahlreichen Skizzen fest, woraus in den Wochen danach viele Bilder entstanden. Angeregt durch Nicolas de Staëls Bilder von Fußballspielern im „Parc des Princes“ versuchte ich, nicht Details der Figuren und Szenerie zu erfassen, sondern geometrische Grundformen herauszuarbeiten.
Jazzsänger in Saalfelden, 1985, 35 x 55
Winterabend durch Windschutzscheibe, 1988, 100 x 90
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Blätter im Herbst, 1985, 75 x 95
Draulandschaft, 1985, 75 x 95
Immer wieder ging ich zum Malen an die Ufer der Drau, die bei Völkermarkt aufgestaut ist. Die Widerspiegelung des Himmels im Wasser, die Bäume und Sträucher am Ufer, die Sandbänke und Seitenarme wurden zu einem Hauptthema meiner Malerei.
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Astern und Zinnien, 1990, 95 x 75
Unser Garten, 1986, 75 x 65
Ich malte unseren sommerlichen Garten mit der Wand und dem Fenster des Nachbarhauses. Der Garten meines Elternhauses war von meiner Mutter und unserer Haushälterin Vevi als Bauerngarten mit den verschiedensten farbprächtigen Blumen angelegt worden.
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Wintermorgen, 1994, 100 x 90
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Schilf und Nebelsonne, 1991, 100 x 120
Schilf, 1995, 120 x 140
Zu dieser Zeit entdeckte ich das Schilf am Rande des Stausees für meine Bildwelt, es wurde zu einem immer wieder variierten Hauptthema der folgenden Jahre. In der kalten Jahreszeit beherrscht der Nebel die Stimmung der Landschaft. Nur mühsam dringt die Sonne durch. Umso prächtiger ist dann der Lichtglanz in den sich auflösenden Nebelschwaden.
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Frischer Schnee, 1994, 90 x 100
Verschneites Maisstoppelfeld, 1994, 100 x 120
In der Landschaftsdarstellung faszinierte mich immer das Aufspüren von Strukturen. Die nach dem Mähen des Maisfelds verbleibenden Stoppeln beleben die weiße Weite der Winterlandschaft mit ihren sich perspektivisch verlierenden Linien. Die sich staffelnden Hügelkuppen nahe Diex gliedern das Erscheinungsbild der Landschaft mit ihrem rhythmischen Wechsel von bewaldeten Stellen und verschneiten Wiesenhängen.
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Mais, 1995, 100 x 90
Die Gegend um den Stausee verbleibt in den Wintermonaten oft wochenlang im Nebel, der alle Farben auslĂśschen kann. Die kleine schwarze, von einer bewachsenen Sandbank gebildete Insel vor dem gegenĂźberliegenden Ufer wird dann zu einem Monument der Einsamkeit und Trauer.
Nebellandschaft, 1992, 100 x 120
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Von der so genannten Ruhstatt aus, einer Anhöhe nahe Völkermarkt, eröffnet sich ein weiter Blick über die Felderlandschaft des Vordergrundes zur Drau hin, die im durch die Wolken brechenden Licht aufblitzt. Hinter den näheren Hügelketten bilden die ferneren Karawanken den Horizont.
Märzlandschaft, 1993, 90 x 100, Sammlung Leopold Wien
Winterabend, 1992, 100 x 120
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März, 1997, 100 x 160
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TrĂźber Wintertag, 1997, 100 x 90
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Herbst, 1998, 90 x 100, Sammlung Leopold Wien
1992 lernte ich den Sammler Prof. Dr. Rudolf Leopold kennen. Neben den Bildern und Holzschnitten meines Großvaters, Werner Berg, interessierte er sich auch für meine Arbeit und hat bei wiederholten Besuchen in Kärnten eine größere Zahl meiner Bilder erworben. Kaum jemand betrachtet Bilder wie er – sofort das Wesentliche erfassend, Schwächen gnadenlos aufzeigend. Die Gespräche mit ihm über Kunst, Künstler und meine eigene Arbeit wurden für mich inspirierend und prägend.
Iris und Flieder, 1998, 90 x 100, Sammlung Leopold Wien
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Herbstabend, 1997, 95 x 140
Karawankenkette, 1996, 100 x 140
Ich versuchte das Charakteristische bestimmter Naturstimmungen in überhöhten Farben möglichst rasch zu erfassen, bevor alles wieder ganz anders aussah. Auch für größere Formate benötigte ich kaum mehr als eine Stunde reine Malzeit. Doch selbst in dieser Stunde konnte sich enorm viel ändern. Das ist es, was meiner Meinung nach die Malerei von der Fotografie unterscheidet: während das Foto einen Sekundenbruchteil festhält, ist Malerei immer prozesshaft: zwangsläufig verdichten sich mehrere Eindrücke im Bild. Dieses wird dabei gleich einem Graphen zum dokumentierenden Objekt dieser Veränderungen, zu einer Spur von Zeit.
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Waldteich im Winter, 1996, 80 x 65
Waldteich im Winter, 1996, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Bei dem kleinen Waldteich nahe Völkermarkt hatte ich schon in meiner Gymnasialzeit meine Naturstudien begonnen. Später wurde er mir wiederholt zum Bildmotiv, meist in Abstufungen von Grüntönen, hier eher außergewöhnlich in den spärlichen Farben des Dezembers.
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Spätsommerabend, 1997, 100 x 120
Am liebsten verbrachte ich meine freie Zeit in der Gegend der Drau – nicht nur zum Malen. Gerne unternahm ich allein, mit meiner Familie oder mit Freunden ausgedehnte Spaziergänge auf den Dämmen des Stausees. Zusammen mit meinen Söhnen fuhr ich mit dem Rad unzählige Male den wunderschönen Drau-Radweg entlang, der durch ganz Kärnten führt.
Drau mit Obir, 1997, 120 x 140, Sammlung Leopold Wien
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Ich hatte ein kompositorisches Grundgerüst entdeckt, das bis heute viele meiner Landschaften bestimmt: vor die horizontalen Linien der Hintergrundlandschaft schiebt sich im Vordergrund ein Gitterwerk aus Vertikalen und Schrägen – Äste, Blätter, Baumstämme, später Schilf oder Gräser. Besonders reizvoll wird dies am Wasser, wenn die Uferlinie und der Spiegelungseffekt der Hintergrundlandschaft die horizontalen Schichten bereichern und die perspektivische Wirkung auslöschen.
Waldteich, 1998, 100 x 120
Schilf im Sommer, 1997, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Die Bilder aus den neunziger Jahren konnte ich in zwei großen, meiner Arbeit gewidmeten Ausstellungen im Schloss Wasserhofen bei Kühnsdorf zeigen. Gleich einer Messvorrichtung für Sinneseindrücke erschien mir das Malen damals: der Prozess des Malvorgangs war für mich wichtig, nämlich wie aus Farbflecken das Bild als aufzeichnende Summe des ganzen Vorgangs entsteht.
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Für meine Bilder verwendete ich nun immer öfter die ungrundierte Seite der Leinwand. Das reine Leinen sog die Farben in sich auf, die Grenzen der Farbfelder wurden weniger hart. Der naturfarbene Grund ließ die Farben organischer zusammenwachsen als das scharf leuchtende Weiß der fertigen Grundierung. Der Farbauftrag konnte wiederholt während der Arbeit verdichtet werden – so ließen sich bestimmte Stellen besser aus ihrer diffus gehaltenen Umgebung hervorheben.
Schilf, 1997, 95 x 120
Föhnsturm, 1997, 75 x 120
Da ich meine Landschaften nie im Atelier malte, fuhr ich, der Jahreszeit entsprechend ausgerüstet, mit meinem ganzen Malwerkzeug im Auto zu jenen Punkten, die mir zuvor schon bei Wanderungen oder Radtouren aufgefallen waren. Dabei gab es bevorzugte Stellen, wie die große Schilfgruppe vor einem damals verlassenen Haus bei Neudenstein oder eine Stelle nahe unserem Almhaus bei Diex, wo der Blick über die Hügelkette der letzten Ausläufer der Saualpe über das oft im Nebel liegende Jauntal bis zu der Kette der Karawanken und Steiner Alpen reicht. Vielleicht findet jeder Maler im Leben einige wenige solcher Orte, deren Besonderheit auf geheimnisvolle Weise seine innere Stimmung spiegelt.
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Stausee, 1998, 75 x 95
Prof. Leopold erinnerten meine Schilfbilder an die Gedichte Lenaus, die er mir aus der Erinnerung vortrug. Für mich ergab das schräg in die Nebel- und Wolkenfelder einfallende Licht der Herbst- oder Wintersonne eine unendliche Fülle von aufzuspürenden Farben, die ich vor dem Motiv stehend festhielt. Nie habe ich an einem Bild später im Atelier weitergemalt, da dies meiner Auffassung vom prozesshaften Charakter des Malvorgangs widersprochen hätte: das Ergebnis des „Aufzeichnungsvorgangs“ interessierte, nicht ein so oder auch ganz anders aussehen könnendes Bild.
Schilf im November, 1996, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
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Reife Sonnenblumen, 2000, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Sonnenblumen, 1998, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Eines meiner immer wiederkehrenden Bildthemen sind die Sonnenblumen, ein kunstgeschichtlich seit Van Gogh sehr besetztes Motiv, das vielen durch die zahlreichen Wiederholungen späterer Adepten völlig abgenützt erscheint. Auch mein Großvater, Werner Berg, hatte die Sonnenblumen in vielen Bildern auf dem Feld wachsend dargestellt. Mir waren meist nicht die prächtigen, hellgelben Farben der voll blühenden Sonnenblumen Ausgangspunkt für Bilder, sondern die reifen braunen Teller und die oftmals schon vertrockneten Blätter.
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Alte Weide, 2000, 150 x 50, Sammlung Leopold Wien
Letzte Blätter, 2000, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Der Spätherbst gleicht meiner inneren Stimmungslage, auch die Struktur, die Verteilung der letzten an den Weiden hängenden Blätter fordert meinen Gestaltungswillen. Während im Gegenlicht die Blätter goldgelb und rötlich aufleuchten, erinnert ihre Caput-mortuum-Farbe im Nebel an Vergänglichkeit und Sterben. Gleichzeitig weisen die wilde Energie der gebogenen Äste, die zuckenden Furchen der Stämme schon auf späteres neues Erwachen hin.
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Bunte Blätter, 2000, 120 x 100
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Schilf im Nebel, 1997, 100 x 120
Nebelsonne, 2000, 120 x 40
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Schilf, 2000, 100 x 120
Birke bei der Drau, 2002, 100 x 120
Beim Radfahren entdeckte ich diese Birke am Ufer eines Seitenarmes der Drau. Wie verwundet wirkt sie mit ihrer von dunklen Aufsprengungen durchbrochenen weißen Rinde. Die Kurven der zarten Äste vermitteln zwischen dem vertikal ragenden Stamm und den Linien der Hügelkuppen der Hintergrundlandschaft.
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Auf einer Fahrt in das Hochtal von Zell fand ich am Rande der Straße eine verfallende Sägemühle. Die Reste ihrer jeder Witterung trotzenden Konstruktion standen im reizvollen Gegensatz zur Wildheit des Wasserfalls. Der aus dem Gebirgsmassiv der Koschuta gespeiste Freibach wurde in den kommenden Jahren zu einer meiner bevorzugten Malstellen. Da ich, vom Malen zurückgekehrt, am einzelnen Bild keine Änderungen mehr vornahm, reizte es mich umso mehr, dasselbe Motiv in einer Fülle von Variationen abzuwandeln – solange bis meine Entwicklung mir andere Aufgaben vorgab.
Herbstlandschaft mit Obir, 2001, 60 x 120
Freibach, 2001, 120 x 140
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Oft fuhr ich mit dem Auto über Eisenkappel zum Paulitschsattel an der Grenze zu Slowenien. Über die Vellacher Kotschna, einem wunderbaren Talschluss, geht der Blick zur Kette der Steiner Alpen, deren Gipfel hier in späten Schnee gehüllt sind, während tiefer schon üppiges Grün die Wälder färbt.
Steiner Alpen, 2000, 100 x 140
Verfallender Stadl, 2000, 110 x 140
Am Rande der Straร e zum Seebergsattel steht ein jahrhundertealter, verfallender Stadl. Trotz zahlreicher Lรถcher im Schindeldach leistet seine eindrucksvoll freiliegende Konstruktion dem vรถlligen Verfall Widerstand. Auch dieser Stadl wurde nun zu einem meiner oft abgewandelten Motive.
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Sonnenblumen, 2002, 75 x 120
Zwei Sonnenblumen, 2000, 110 x 140
Ich durchwandere stundenlang ein Sonnenblumenfeld, um die geeignete Stelle zum Malen zu finden. Die reifen Teller erscheinen mir wie Gesichter in ihrem kommunizierenden Zueinander. Wie ein der Unbill der Welt trotzendes Paar kÜnnen zwei Sonnenblumen dastehen, oder wie Warlords in der Rßstung ihrer Blätter.
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Dahlien, 2001, 100 x 60
Mohn, 2001, 100 x 120
Eines meiner Hauptthemen sind die Mohnblüten. Wie die Sonnenblumen erscheinen sie mir als verletzlich prächtige Individuen in ihrem Zueinander. Jeder Regen kann ihre Blüten zerstören und ihr leuchtendes helles Zinnoberrot verwaschen. Umso schöner kann die Frühlingssonne ihre Rippen färben und das raumgreifende Ausbreiten der fächerförmigen Blütenblätter betonen.
95
Verfallender Stadl, 2001, 110 x 140
Die Schindellücken bildeten ein reizvolles Muster, das von den Linien der freiliegenden Balkenkonstruktion überlagert wurde. Ich erinnerte mich an Schieles Aquarell eines abgebrannten Stadls und Egger-Lienz’ Darstellungen von Blockhäusern und Stallinnenansichten.
Rinka, 2001, 110 x 140
Die Rinka, ein Gipfel in den Steiner Alpen, bildete einst die Grenze zwischen den Kronländern Kärnten, Krain und Steiermark. Die drei Zacken des Gipfels heißen daher „koroška“, „štijarska“ und „krajnska“ Rinka. Ein Maler, dessen Werk mich im Erfassen der Bergwelt stets sehr beeindruckt, ist Ferdinand Hodler.
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Apfelblüte, 2002, 120 x 100
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Magnolie, 2002, 140 x 85
Apfelblütenzweig, 2002, 60 x 120
Die dunkle Magnolie in unserem Garten habe ich mit 14 Jahren erstmals gemalt. Jedes Jahr im Frühling beeindruckten ihre sich öffnenden Blütenkelche mich neu. Wie zart und verletzlich sind ihre Blütenblätter und gleichzeitig spitz und wehrhaft wie Lanzen, außen von dunkelstem sinnlichem Purpurrot und innen von unschuldigem Weiß – eine Explosion geballter, entfesselter Energie.
101
Iris, 2001, 75 x 95
Bei der Darstellung von Mohn und Iris faszinierte mich das Zusammentreffen zweier disharmonischer Farben. Das Zinnoberrot der Mohnblßte und ihr karminroter Hintergrund stehen im Gegensatz zur rosa-lila Irisblßte und ihrem violetten Hintergrund. Ich dachte an zwei Menschen, die zusammen sind, sich nahe sind und dennoch durch unvereinbare Gegensätze getrennt bleiben.
Mohn und Iris, 2002, 100 x 120
103
Mohn, 2002, 100 x 120
Mohn und Iris, 2002, 100 x 120
105
Im Hochtal von Zell, das nach Süden hin von der langen Felsenkette der Koschuta abgeschlossen wird, werden die steilen Wiesen noch gemäht oder von Schafen beweidet. Der schräge Lichteinfall der schon tiefer stehenden Herbstsonne akzentuiert deren Schattenpartien und lässt so Mulden, Geländekanten und Einschnitte markant hervortreten.
Zell Koschuta, 2001, 95 x 140, Sammlung Leopold Wien
Zell Koschuta, 2001, 120 x 140, Sammlung Leopold Wien
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Zwei Sonnenblumen, 2002, 100 x 120
Sonnenblumen, 2002, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Die sich windenden, spitzen, den Fruchtstand in anarchischem Tanz umgebenden Blätter der reifen Sonnenblumen faszinierten mich weit mehr als deren strahlendgelbe, nun verdorrte Vorgänger. Mit ihren großen, teils schon angebräunten, in wilden Buckeln sich werfenden Blättern am Stamm wurden die Pflanzen mir zum Sinnbild eines vom Schicksal gebeutelten Individuums, gebeugt und doch voll wehrhaften Willens.
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Im Winter, wenn das Tal im Nebel liegt, fahre ich immer wieder zum Malen nach Diex. Mit meinen Augen verfolge ich die runden HĂźgelkuppen, deren WaldstĂźcke in wechselvollem Rhythmus von verschneiten Almwiesen unterbrochen werden, die Dunst- oder Nebelfelder im Tal, die Kette der sich in BlautĂśnen staffelnden Berge im Hintergrund.
Winterlandschaft bei Diex, 2002, 60 x 120
Verfallender Stadl im Schnee, 2002, 110 x 140
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Herbstlandschaft bei Neudenstein, 2002, 40 x 120, Sammlung Leopold Wien
Kirschblüte und Koschuta, 2003, 120 x 140
Die Baumblüte ist für mich eine Hochzeit des Malens. Bei Zell-Pfarre blüht alles später. Das Weiß der Kirschblüten auf den bemoosten knorrigen Ästen wiederholt sich abgewandelt in den Schneefeldern der Karren des Felsmassivs, die Kurven der Äste nehmen den Rhythmus der Bergsilhouette auf, schwingen sich in die Höhe, während die Felsenmassen steil abfallen.
113
Schneereste, 2002, 75 x 120
Einem freiliegenden Gerippe gleich zeichnen die Schneereste Wölbungen und Krümmungen der Hügelkuppen bei Diex.
Im VorfrĂźhling stehen die ockerbraunen Wiesen in Kontrast zu den noch schneebedeckten blauweiĂ&#x;en Berggipfeln. Die Morgensonne schafft Licht- und Schattenpartien und betont die Tektonik der Landschaft.
Zell Koschuta, 2002, 75 x 120
115
Aufziehender Schneefall, 2003, 50 x 140
Ich hatte dieses Bild bei noch blauem Himmel zu malen begonnen – nur ein schmales Wolkenband verhüllte bereits die Berggipfel – als plötzlich von Westen her zunehmend Schneewolken aufzogen und es immer heftiger zu schneien begann, so dass ich die Arbeit vorzeitig beenden musste. Das verbleibende Bild dokumentiert die Stimmung des Wetterwechsels. Der Leinengrund verbindet die schon bemalten Stellen harmonisch mit den noch unbemalten; der als skizzenhafte Bildanlage verbleibende Vordergrund kontrastiert mit den dichter ausgearbeiteten Partien ober- und unterhalb des in den letzten Sonnenstrahlen aufleuchtenden Nebelmeeres.
Schneeloser Winter, 2002, 100 x 120
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Birke am See, 2003, 120 x 100
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Tief verschneiter Wald, 2003, 120 x 140
Verfallender Stadl im Winternebel, 2003, 120 x 150, Sammlung Leopold Wien
121
Karawankenkette, 2003, 50 x 140
Das wie ein Kardiogramm bei Kammerflimmern sich ausdehnende Gebirgspanorama, das durch das Nebelmeer von der zuckenden Begrenzung der Hügelkette im Vordergrund getrennt ist, lässt die Landschaft sich um die Horizontlinie konzentrieren. Dies konnte ich klarer herausarbeiten, indem ich den Himmel darüber und den gleichförmigen Wald darunter gar nicht malte. In vielen meiner Bilder, entwickelt sich das Motiv aus der unbehandelten Leinwand, von der weite Flächen unbemalt bleiben, ähnlich wie andere Künstler im Aquarell oder bei Zeichnungen vorgehen. Mir ist es wichtig, nicht alles „vollmalen“ zu müssen, der Blick kann sich auf die wesentlichen Teile des Motivs richten.
Diex, Winterabend, 2000, 40 x 120
Diex, Winterabend, 2003, 40 x 120
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Apfelblüte, 2003, 120 x 100
Blühender Apfelbaum, 2003, 50 x 150
Van Gogh, Hokusai und Hiroshige sind die Künstler, denen ich mich besonders zur Zeit der Baumblüte verbunden fühle. Besonders reizvoll finde ich die Apfelblüten – tiefrot als Knospen, leichtrosa im sich öffnenden Zustand und strahlend weiß als entfaltete Blüten.
125
Mohn, 2003, 120 x 100
127
GroĂ&#x;er Mohn, 2003, 150 x 120
Mohn, 2003, 140 x 85
129
Iris und Mohn sind für mich die sinnlichsten Blüten – geheimnisvoll ihre Mitte verbergend und weit sich berauscht öffnend. Oft male ich meine Bilder nicht ganz aus, lasse einen Teil der ungrundierten Leinwand frei stehen, durch den so erzielten Eindruck des Unvollendeten dem Betrachter Gelegenheit bietend, das Bild für sich zu vollenden.
Mohn, 2004, 100 x 120
Dunkle Iris, 2003, 140 x 95
131
Mais, 2003, 120 x 100
133
Zwei Sonnenblumen, 2003, 75 x 95
Beim Malen in der Landschaft suche ich mir möglichst uneinsehbare Plätze, wo man frei von Störungen arbeiten kann. Ich brauche die Ruhe, Dinge zu prüfen, zu korrigieren, um dann wieder zügig weiter arbeiten zu können. Ich habe für das Erfassen einer Landschaftsstimmung nur ein schmales Zeitfenster zur Verfügung. Durch meinen Beruf als Arzt kann ich meist nicht am nächsten Tag wiederkommen und zur gleichen Zeit weitermalen. Auch die Natur verändert sich andauernd, nicht nur das Wetter wechselt – nicht selten hat mich eine trübe Wolkenstimmung begeistert und am nächsten Tag herrschte strahlender Sonnenschein.
Schilf im Herbst, 2003, 75 x 120
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Steinbruch, 2003, 140 x 120
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Reifer Mais, 2003, 140 x 95, Sammlung Leopold Wien
Blühender Baumkrüppel, 2006, 90 x 150
Ein letztes Mal noch blühte der verdorrte Apfelbaum nahe Diex. Einige wenige kleinere Äste trugen spärliche Blüten, während der Rest seiner Krone kahl in den Himmel ragte. Das scharfe Grün des sich schon ausbreitenden Mooses stand im Gegensatz zum modrigen Rot der wie Wunden anmutenden Bruchstellen der Äste.
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Am Rande eines verbreiterten Waldweges fand ich die zur Seite geschobenen Baumwurzeln und geborstenen Stämme im Schnee liegen. Die hellen Ockertöne des noch vitalen Holzes kontrastierten mit dem bräunlichen Rot der bereits vermoderten Stämme und dem fahlen, grauen Olivgrün der freiliegenden Wurzeln. Als ich tags darauf dieselbe Stelle nochmals malen wollte, hatte der Föhn das umhüllende Weiß des Schnees weggetaut.
Baumstrünke im Schnee, 2002, 100 x 120
BaumstrĂźnke im Winter, 2002, 120 x 100
141
Drau und Skarbin, 2003, 120 x 100
143
Das Reifen und Welken der Sonnenblumen ist niemals unwiderrufliches Sterben, sondern auch Zeichen eines Neubeginns. Die Fruchtteller tragen mit ihren Kernen das Leben weiter.
Sonnenblumen, 2003, 40 x 120
Sonnenblumen, 2004, 100 x 120
145
Welke Sonnenblume, 2003, 120 x 60
Herbstastern, 2005, 90 x 150
Unser Garten liegt hoch über der Drau, das Gelände fällt steil ab und an der Geländekante blühen im Herbst üppig die Astern, ihre schweren Stände nach allen Richtungen neigend.
147
Birken im Schnee, 2004, 120 x 75
Schilf, 2004, 100 x 120
Während den Wanderer die bunte Farbenpracht eines Landstrichs erfreut, sind mir als Maler jene Situationen ein Gewinn, in denen oft nur ein einziger, schwacher Farbkontrast die monochrome Abstufung bereichert.
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Welke Sonnenblumen, 2004, 120 x 100
Skarbin bei der Vellachmündung, 2003, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
Der Drau-Radweg führt an den Felsstürzen des Skarbins vorbei. Besonders schön ist die Stelle, wo die Vellach in die Drau mündet. Oft fuhr ich zum Malen dorthin. Schon mein Großvater, Werner Berg, hatte diese Stelle gemalt und 1935 auch Herbert Boeckl, als er die Sommermonate in der Nähe des Rutarhofes verbrachte. Von Boeckl stammt auch eine Ansicht des Skarbins von der Anhöhe über Gallizien, die mir beim Malen durch den Kopf ging.
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Julier vom Dobratsch aus, 2004, 40 x 120
Kärnten wird im Süden von beeindruckenden Bergketten begrenzt. Ich liebe jene Stellen, die den Blick weit schweifen lassen, den Rhythmus der Felsmassive aufnehmend. Kurz vor Sonnenuntergang erstrahlt die Bergwelt in den prächtigsten rötlichen Farben, während die Schattenpartien bereits in blauen Tönen liegen, die in herber Kühle die Rottöne umgeben.
Mangart von Cocau aus, 2004, 40 x 120, Sammlung Leopold Wien
Nebelmeer im Jauntal, 2004, 50 x 140
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Frischer Schnee, 2005, 90 x 90
Zum Malen im Winter hatte ich mir Fischerstiefel aus Neopren besorgt. Ich trug warme Schihosen und einen alten Anorak. So konnte ich mit meinen Malsachen auch im tief verschneiten Lärchenwald hinter unserem Haus in Diex arbeiten. Schwer lastend bog der frische Schnee einen Fichtenast vor den mächtigen Lärchenstamm. Ich liebe den Wintermorgen nach einem Schneefall, bevor Sonne und Wind die Äste vom frischen Schnee befreien.
Diex, Wintermorgen, 2005, 75 x 120
155
Im Winter verbringe ich oft mehrere Monate in unserem Haus in Diex. Der Blick geht weit über die Karawanken hinweg bis zu den mächtigen Gipfeln der Julischen Alpen. Diese sind im Dezember bereits tief verschneit, während die noch schneelosen Almwiesen in wärmsten GoldOcker-Tönen in der Sonne glänzen.
Diex, Schneefall, 2005, 75 x 120
Landschaft bei Diex, 2004, 90 x 90, Sammlung Leopold Wien
157
Kahler Baum im Jänner, 2005, 150 x 90
Birke zu Ostern, 2004, 150 x 50
159
Dezembermorgen, 2004, 40 x 120
Im Winter lassen die ersten Strahlen der Sonne nur die höchsten Gipfel der Berge aufleuchten, während alles ringsum noch im diffusen Dämmer liegt. Wie am Zifferblatt einer Uhr kann man die Zeit an den Veränderungen der Beleuchtung der Bergwelt kontinuierlich und exakt ablesen. Die von Osten bis Nordwesten den tiefen Horizont bildende Bergkette ist auch eine Jahreszeitenuhr, – die Gipfel, hinter denen die Sonne versinkt, zeigen den Monat an.
Diex, Wintermorgen, 2004, 50 x 150
Verschneite Lärchenhalt, 2005, 40 x 120
161
Bäume im März, 2005, 100 x 120
Birke bei der Drau, 2005, 150 x 90, Sammlung Leopold Wien
163
Winterabend in Diex, 2005, 90 x 150
Winterlandschaft bei der Drau, 2004, 90 x 150, Sammlung Leopold Wien
165
Winterabend, 2005, 50 x 150
Die Winterabende in Diex sind oft von fast außerweltlicher Farbigkeit. Nach ihrem Untergang färbt die schon hinter dem Horizont liegende Sonne den Himmel noch für Stunden in langsam verglimmenden glühenden Spektralfarben, während hoch oben im bereits tiefen Nachtblau der Abendstern leuchtet.
Nach Sonnenuntergang, 2004, 95 x 75
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Draulandschaft, Spätherbst, 2005, 90 x 150, Sammlung Leopold Wien
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Apfelblütenzweig, 2006, 75 x 120
Malen im Freien ist für mich stets Festhalten von Veränderung. Das Bild ist Resultat der Differenz der Bedingungen zu Malbeginn bis zu jenen bei Malende. Die Schatten wandern, am Morgen klar gezeichnete Formen verschwinden gegen Mittag schon im Dunst, während der Nachmittag die Hell-Dunkel-Wirkung durch die nun im Westen stehende Sonne völlig umkehrt. So stehen mir bei dieser Vorgangsweise etwa vier Stunden für die Fertigstellung des Bildes zur Verfügung. Dies erfordert zügiges, konzentriertes Arbeiten.
Bauerngarten beim Mangart, 2004, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
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Michaelergraben, 2006, 90 x 150
Um den mir wichtigen Bildteil wie eine eigene organische Masse herauszuarbeiten, ließ ich anstelle des relativ eintönigen Himmels und auch der weiten Flächen der Wiesen im Vordergrund die Leinwand frei . Ich hatte ein ähnliches Vorgehen an einer Reihe von kolorierten Zeichnungen Schieles studiert und versuchte es auf meine Weise im großformatigen Ölbild umzusetzen.
Im Spätherbst prägt das tiefe Rostrot der Buchenwälder die Farbigkeit der Julischen Alpen. Die Morgensonne akzentuiert die Formen, rötlich leuchtende Felswände von tiefblauen Schatten trennend.
Herbstlandschaft beim Predilpass, 2005, 100 x 120, Sammlung Leopold Wien
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Montasch, aufziehender Nebel, 2005, 90 x 150
Ich fuhr über den Predilpass nach Slowenien, die Alpenstraße hoch auf den Mangart hinauf. Von dort eröffnet sich ein herrlicher Weitblick über die Sella Nevea hinweg zum Montasch. Ich hatte bei strahlend blauem Himmel zu malen begonnen, als plötzlich vom Tal her dicke Nebelschwaden aufstiegen und in kurzer Zeit alles verhüllten.
Kahle Bäume, 2006, 100 x 120
175
2005, 90 x 150, Sammlung Leopold Wien
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Viele Künstler wandeln wenige Grundthemen, Grundmotive in zahlreichen Variationen ab. Die enorme, zu jeder Zeit verfügbare Bilderflut, der wir heute ausgesetzt sind, lässt dies vergessen. Ich denke nicht nur an Morandi mit seinen Flaschen und Dosen, an Giacometti mit seinen gelängten Figuren, an Cézannes Fülle von Apfelstillleben. Das repetitive Behandeln desselben Motivs, der sich dabei ergebende serielle Charakter, scheint eine Besonderheit des keinem Auftraggeber mehr verpflichteten, nur aus innerem Bedürfnis kommenden Gestaltens.
Diex im Winter, 2006, 50 x 150
Birke bei der Drau, 2007, 120 x 75
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Skarbin 2006, 50 x 150
Von meinem Großvater Werner Berg habe ich die Vorliebe für gelängte Formate übernommen. So gibt es die vielen extremen Querformate, die der Schilderung des weiten, sich um die Horizontlinie konzentrierenden Panoramas der Bergketten, Hügeln und Wiesen meiner Umgebung entgegenkommen. Im Jauntal stehen die horizontal weit sich ausspannenden Felder in reizvollem Kontrast zur vertikalen Schichtung der Bergketten im Hintergrund.
Felder bei Neudenstein, 2005, 40 x 120
Herbstlandschaft bei Neudenstein, 2006, 50 x 150
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Michaelergraben, blühende Kirschbäume, 2007, 90 x 150
Nach einem langen Winter färbt das ersehnte frische, in der Ferne ins Blaue wechselnde Grün die Almwiesen. Die Kirschbäume sind noch nicht ganz erblüht, die harten braunen Hüllen ihrer Knospen lassen erstes, später strahlendes Weiß erkennen. Waldstücke und Zäune gliedern in abwechslungsreichen Linien die Landschaft.
Bäume mit erstem Grßn, 2007, 90 x 150
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Nach Sonnenuntergang, 2006, 65 x 75
Den Abendhimmel nach Sonnenuntergang malte ich aus der Erinnerung. Nur flüchtig hatte ich die große dunkle Wolkenform skizziert. So sehr das Malen aus der Erinnerung die Flächen stärker und großzügiger hervortreten lässt, das Bild durch das Fehlen zu vieler sonst festgehaltener Einzelheiten beruhigt, so fremd ist es mir doch im Grunde. Ich brauche den ständigen Wechsel des Blickes zwischen Motiv und Leinwand. Malen ist für mich das Nachspüren der Bedingungen unseres Sehens von Welt, deren in Wahrheit verhülltes Wesen uns nur in der stets wechselnden Erscheinung fassbar wird.
Mohn und Iris, 2006, 120 x 75
185
Dahlien, 2006, 75 x 95
Freibach, 2006, 100 x 120
Eine über viele Jahre gehende Serie meiner Bilder widmet sich dem Wasser der Gebirgsbäche. Oft ging ich mit meinen Fischerstiefeln in die Trögerner Klamm, die Hudaja Jama oder zum Freibach, der bei der verfallenen Sägemühle zahlreiche kleine Wasserfälle und stromschnellenartige Strudel bietet. Sein türkisgrünes klares Wasser ist von goldbraunen Stellen unterbrochen, wenn die Steine des Grundes seicht unter der Oberfläche glänzen.
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Lilien, 2006, 95 x 75
Meine Blumenstücke sind mit Absicht dekorativ. Ich denke an den Ausspruch Matisse’, ein gutes Bild solle wie ein Lehnstuhl sein, der den müden Arbeiter aufnimmt.
Mohn und Iris, 2006, 95 x 75
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Sonnenblumen, 2006, 120 x 60, Stadtgemeinde Bleiburg
Zwei Sonnenblumen, 2006, 80 x 100
Bildausschnitte wie bei den japanischen Holzschnitten mit ihrer extremen Nahsicht und dem kompositorischen Einsatz der Bildschrägen versuche ich in der Natur aufzuspüren. Mit Daumen und Zeigefinger bilde ich vor meinen Augen einen Rahmen, der mir bei der Bildsuche hilft, das Motiv aus seiner Umgebung zu lösen, die Eigenheiten des jeweiligen Bildaufbaus zu erfassen, die Gefahr eintöniger Partien aufzuspüren. Besonders bei den Blumenbildern versuchte ich durch Anschneiden von Blättern, Heranrücken der Blüten an den Bildrand die Lebendigkeit, Individualität und Monumentalität der Blüten zu betonen.
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Iris, 2006, 75 x 45
Wasserfall, Freibach, 2006, 140 x 95
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Reife Sonnenblumen, 2006, 65 x 75
Das Motiv entwickelt sich aus dem diffusen Ton der unbehandelten Leinwand, als ob in einem Murmeln plötzlich einzelne Sätze hörbar werden, Bedeutung annehmen, um dann wieder ins allgemeine Murmeln zurückzusinken.
Reife Sonnenblumen 2006, 100 x 120
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Im Herbst 2006 hielt ich mich auf den Spuren der Neuland-KĂźnstler, mit denen mein GroĂ&#x;vater, Werner Berg, ausgedehnte Wanderungen unternommen hatte, mehrmals im Lungau auf und malte von hĂśher gelegenen Wiesen aus diese beiden Panoramen.
Der Lungau von Tamsweg aus, 2006, 90 x 150
Im Lungau, 2006, 100 x 120
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Winterlandschaft mit Obir, 2006, 50 x 150, Stadtgemeinde Völkermarkt
Das Jauntal liegt in den Wintermonaten meist im Nebel, während in Diex strahlender Sonnenschein herrscht. Wie Inseln ragen einzelne Hügelkuppen aus dem Nebelmeer.
Diex, 2006, 50 x 150
Nebelmeer, 2007, 50 x 150
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Mohn, 2007, 45 x 75
Die Blumen bieten mir Gelegenheit, die sonst in der Natur nicht vorkommenden reinen Farben zu verwenden. Mir gefallen der Rhythmus der BlĂźten, ihre verschiedenen Farben vor den dunklen Schattenpartien.
Pfingstrosen, 2007, 55 x 75
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Sp채ter Schnee, 2005, 90 x 150
Oft ist der Fr체hling schon weit fortgeschritten, wenn in der Bergkette der Koschuta noch reichlich Schnee f채llt. Die hellgr체nen Wiesen kontrastieren mit den schneebedeckten Karren und der grauen Wand von Felsen und Wolken.
Freibach, 2007, 100 x 120
203
So sehr mich die menschliche Figur interessierte, so selten fand ich jemanden, der das stundenlange Modellsitzen auf sich nahm. Ich lehne es ab, nach Fotos zu arbeiten, da die Momentaufnahme des Fotos meiner prozesshaften Auffassung von Malerei als dem Erfassen des Motivs in der Zeit widerspricht.
Nils und Leon, 2007, 100 x 120
Papa, lesend, 2007, 55 x 75, Stadtgemeinde Völkermarkt
Mein Vater ist am 30. August 2009 in seinem 91. Lebensjahr gestorben. Zwei Jahre zuvor, als dieses Bild entstand, war er noch unglaublich vital, ständig lesend, sich für alles interessierend. Dass er nach einer Augenoperation für einige Tage Ruhe geben musste, ermöglichte erst dieses Porträt, denn er war ständig unterwegs, wanderte, besuchte Konzerte, war auf Reisen. Er verfolgte meine Malerei mit Freude und Interesse und liebte es, Besucher durch meinen Schaustall zu führen, ein großes Tennengebäude, das ich zur Präsentation und Lagerung meiner Bilder 2003 adaptiert hatte.
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Sonnenblumen, 2007, 100 x 120
Auf einem Stück Brachland wuchsen neben Kürbissen und Judenkirschen Sonnenblumen in lockeren Gruppen oder einzeln. Anders als sonst in den Nutzfeldern konnten sie sich dabei frei entfalten und mehr denn je erschienen sie mir wie Individuen mit persönlichem, eigenem Schicksal – vom Wind geknickt, gebeugt, mit zerrissenen Blättern – verletzt, in der Einsamkeit ihre Größe bewahrend.
GroĂ&#x;e Sonnenblume, 2007, 150 x 90, Sammlung Leopold Wien
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Im unteren Rosental f채llt der H체gelzug der Sattnitz in steilen Konglomeratfelsen zum Fluss hin ab. Im Herbst f채rben sich die Buchenw채lder in leuchtenden Farben.
Drau, Rosental, 2007, 100 x 120
Herbst bei der Drau, 2007, 120 x 100
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Magnolien, 2009, 100 x 120
Lรถwenzahn und Vergissmeinnicht, 2008, 75 x 55
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Phlox, 2009, 55 x 35
Flieder, 2009, 120 x 100
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Durch die zunehmende Verbreitung biologischer Landwirtschaft lassen sich vermehrt Feldstreifen finden, in denen die verschiedensten Wildblumen und Nutzpflanzen durcheinander wachsen. Dies fĂźhrt zu seltsamen Farbkontrasten, wie dem Zinnoberrot des Mohns mit dem violettroten Buchweizen.
Feld mit Mohn und Hadn, 2009, 100 x 120
Mohnwiese, 2009, 100 x 120
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Wenn ich auf weißgrundierter Leinwand arbeite, verdünne ich die Ölfarbe meist stark mit Terpentin, der Farbauftrag gleicht eher dem eines Aquarells, der weiße Grund kann durchscheinend in die Gestaltung miteinbezogen werden.
Narzissen und Tulpen, 2009, 40 x 120
Iris, 2009, 80 x 100
Die Irisblüten mit ihren auskragenden Blättern und den kräftigen, von rippenartigen Strukturen gestützten zarten Gewölben haben einen nahezu architektonischen und doch äußerst individuellen Aufbau. Wie in einem Porträt können Charakterzüge herausgearbeitet werden. Beim Malen der Blumen bemerkte ich, dass diese niemals stillstehen, sondern sich im Tagesverlauf je nach Sonnenstand, drehen, öffnen, bewegen.
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Lilie, 2009, 120 x 100
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Von der Anhöhe über Gallizien öffnet sich über die Drauauen bei Möchling hinweg ein weiter Blick über das Jauntal bis zur Saualpe als dessen nördlicher Grenze. Durch das steil zur Ebene hin abfallende Gelände gibt es in Südkärnten manche solcher Stellen, wo sich die weite Landschaft wie in der Vogelperspektive darbietet.
Drauauen bei Möchling, 2009, 75 x 120
Felder und Steinbruch, 2009, 120 x 100
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Phlox, 2009, 75 x 35
Magnolie, 2009, 80 x 100
Die Blütenblätter der Magnolien verrenken und winden sich in grotesker Weise. Sie erinnern mich dabei an einzelne Menschen in ihrer ständigen Suche und dem Streben nach Glück. Von einem zum anderen Moment kann der Wind die Blütenblätter hinweg treiben, und ihre Schönheit verfliegt.
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Von meinem Ateliergebäude, dem Schaustall, überblickt man den Stausee der Drau mit Karawankenkette, Obir und Steiner Alpen im Hintergrund. Das schräg einfallende Licht betont die Staffelung der Wälder, Hügel und Bergketten. Die oft dramatischen Farbspiele der Wolken spiegeln sich im Wasser, in dem einzelne, durch leichten Wind hervorgerufene unruhigere Stellen in hellen Streifen aufblitzen.
Stausee mit Wolken, 2009, 80 x 100
Stausee, 2009, 100 x 120
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Wildwuchernder Garten, 2009, 90 x 150
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Sonnenblumenfeld, 2009, 65 x 80
Sonnenblumen, 2009, 100 x 120
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Reife Sonnenblumen, 2009, 100 x 120
Ein Sturm hat die oft von mir gemalte Weide am Waldteich gebrochen, dunkle Äste stützen ihre von Moos überwucherte Krone wie Pfähle im Wasser, in dem gelb ein Algenteppich aufleuchtet. Das Aufspüren eines solchen Motivs ist ein Glücksfall, der sich manchmal ganz unvermittelt einstellt und sofort die Bildgestaltung fordert. Wie alles wirkliche Glück ist er selten und kann nicht erzwungen werden. Die mühsame Suche bleibt oft ohne Ergebnis und die Erscheinung ist Geschenk.
Weiden am Waldteich, 2009, 100 x 120
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Sonnenblumen und Obir, 2009, 50 x 150
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Meine Identitäten
You can like the life you’re living, you can live the life you like … Mit 18 Jahren, nach der Matura, wollte ich mit einer Freundin den Sommer in Italien verbringen. Ich hatte kein Geld und beabsichtigte, mich als Straßenmaler durchzuschlagen. Irgendwer würde meine Bilder schon kaufen. Ich fühlte mich als Maler, der auf irgendeine Weise das Auslangen finden würde. Meine Mutter hat besorgt gegen dieses Projekt opponiert und es ist letztlich nicht zustande gekommen. Ich habe Medizin studiert und bin seit Dezember 1987 als Kassenarzt für Allgemeinmedizin in Völkermarkt tätig. Dies finanziert mein Leben, ermöglicht mir, neben der Zeit, die ich mit meiner Familie, mit meinen drei Söhnen verbringe, meinen Neigungen und Interessen nachzugehen. Die Malerei ist mein Lebensinhalt. Durch meine Tätigkeit als Arzt fördere ich als mein eigener Mäzen mein Leben als Maler (wie andere Künstler das ihre durch eine Professur etwa). Der Beruf des Arztes wiederum ist mir Garantie für die Verankerung meiner Gedanken, Empfindungen und Bestrebungen in der Wirklichkeit. Als ich 15 Jahre alt war, verbrachte ich einige Ferientage bei meinem Freund Jakob Demus und seinen Eltern in deren Sommerhaus in Millstatt. Jakob war ein Jahr älter als ich. Er und seine Eltern wussten damals schon genau, was er einmal werden würde – ein Maler, ein Künstler. Seine Mutter fragte mich nach meinen Zielen und ich antwortete, meinen damaligen Plänen entsprechend, ich wolle Volksschullehrer werden, um mit dem so geregelten Einkommen und der vielen freien Zeit, die Basis für mein Malerleben zu schaffen. „Jakob ist nicht so feige“ antwortete seine Mutter, „er wird lieber vom kargen Brot des Künstlers nagen.“ War es Feigheit des Malers, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, mit all ihren Annehmlichkeiten, mit einem schönen Haus, Kindern, Sommerreisen und Winterfreuden beim Schi- und Snowboardfahren. Man kann es sicher so sehen. Ist es eine Lebenslüge des Arztes, der an die 100 Patienten pro Tag betreut und sich deren Sorgen
und Leiden annehmen soll, in eine PhantasieExistenz als Künstler zu flüchten? Schon in den letzten Lebensjahren meines Großvaters, des Malers Werner Berg, konnte ich ihm geschätzter Helfer in vielen seiner Angelegenheiten sein – das reichte vom Chauffeur und Boten bis zum Privatsekretär. Seit seinem Tod im September 1981 verwalte ich den umfangreichen künstlerischen Nachlass, rechtlich gesehen ein äußerst komplizierter, unteilbarer Gemeinschaftsbesitz. 1984 organisierte ich eine große Werner Berg Ausstellungsreihe in Klagenfurt, Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck, in Ljubljana, Wiesbaden und Wuppertal. Das umfangreiche, Leben und Werk erstmals dokumentierende Katalogbuch dazu habe ich im letzten Jahr meines Medizinstudiums vorbereitet und herausgegeben. Als Kurator des Werner Berg Museums in Bleiburg bin ich seit 1982 für die jährlich wechselnden Sonderausstellungen verantwortlich. Ich betreute die Herausgabe des Werkverzeichnisses der Gemälde und Holzschnitte, sowie zahlreiche Kataloge zum Werk Werner Bergs. In dieser Funktion lernte ich viele, das österreichische und auch internationale Kunstgeschehen prägende Persönlichkeiten kennen, durfte mit ihnen Projekte erarbeiten und interessante Gespräche führen. Nie habe ich dabei erwähnt, dass auch ich male. Ich wollte weder den Anschein erwecken, die Umstände ausnutzend ungebührlich auf meine eigene Produktion hinzuweisen, noch die Rezeption des Werkes Werner Bergs durch die Vorstellung meiner Bilder irritieren. Mein Großvater erwähnte von seinem Jugendfreund, dem Dichter Curt Sachsse, mit dem zusammen er seine Existenz als Bauer auf dem Rutarhof aufgebaut hatte, der den Hof nach wenigen gemeinsamen Jahren im Zwist verlassen und wenig später seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte, dieser, Curt Sachsse, habe zu viele Neigungen und Talente gehabt und dabei keine Prioritäten setzen können, sich nicht für etwas ganz entscheiden können. Ist dies auch mein Problem, habe auch ich mich in meinem Leben
„verzettelt“, durch Tätigkeiten in zu vielen Bereichen nicht zu meinem eigentlichen Ziel finden können? Ich sehe mich nicht als gespaltene Existenz. Mein Leben hätte ganz anders verlaufen können. Ich hätte Prioritäten anders setzen können und wäre zu anderen Zielen gelangt. Der Weg, den ich ging, ermöglichte mir jedoch, immer auf der Suche zu sein und vieles zu finden. Ich glaube, trotz aller Einschränkungen durch Lebensumstände und Verpflichtungen, Unabhängigkeit erreicht zu haben. Als Maler stehe ich weit abseits der gängigen Strömungen. Durch meine Tätigkeit als Arzt bin ich den Lebensumständen der Menschen meiner Umgebung verbunden, durch meine naturwissenschaftliche Ausbildung einer strengen Schule klaren Denkens verpflichtet. Die vielen Kontakte zum Kunstbetrieb, die der Einsatz für das Werk meines Großvaters mit sich bringt, ermöglichen mir Einblick in dessen Ablauf. So zu malen, wie ich es tue, resultiert nicht aus mangelnder Kenntnis oder geografischer Abgeschiedenheit, sondern ist freie Willensentscheidung. Es ist der Kern meiner Existenz. Wenn ich persönlich aufgefordert würde zu gewichten, so bin ich zuerst Maler, auch wenn diese Tätigkeit, was die Sicherung der Lebensumstände betrifft, nur Liebhaberei ist. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die mein Beruf als Arzt mit sich bringt, ermöglicht mir auch meine Ehrenämter im Kunstbetrieb. Ich kann es mir leisten, die Frage zu vernachlässigen, was etwas einbringt. „Man lernt die anonyme Diktatur des Geldes nicht als oberste Instanz anzuerkennen“, schrieb mein Großvater. Leben ist für mich Einheit von Werden und Vergehen, es zeigt sich in der Erscheinung, die ich aufzuspüren suche, für die ich offen sein will. Mir selbst bedeutet Malen Klären des Erlebens. Weder die Realität als solche vorzuführen noch den erkenntnistheoretischen Umgang mit ihr aufzuzeigen ist Aufgabe meiner Bilder – den Vorgang des Erlebens sinnlich mitteilend wenden diese sich einem Gegenüber zu.
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Mohn, hoch, 2009, 150 x 50
Biografisches Ich wurde am 4. Dezember 1959 in Klagenfurt geboren. Mein Vater, Dr. Harald Scheicher, war praktischer Arzt in Völkermarkt, meine Mutter Hildegard, geb. Berg, Volksschullehrerin. Nach meiner Geburt hat meine Mutter ihren Beruf aufgegeben und half fortan meinem Vater in seiner Praxis. Zusammen mit meinen drei jüngeren Schwestern, Hemma, Helga und Haldis erlebte ich eine unbeschwerte, schöne Kindheit. Meine Eltern ließen uns jeden erdenklichen Freiraum und führten uns ganz selbstverständlich zu Malerei, Musik und Literatur. Oft waren wir auf dem Bauernhof meines Großvaters, des Malers Werner Berg, zu Gast, dessen Werk mich schon sehr früh beeindruckte, obwohl ich mich verweigerte, als er mich einmal malen wollte. Stets wichtig war meinen Eltern – und ist es mir auch heute noch – die sportliche Betätigung im Freien, das Schifahren, Wandern, Schwimmen. Nach der Volksschule besuchte ich das Völkermarkter Gymnasium, wo ich 1978 maturierte. Da die Schule mir leicht fiel, hatte ich sehr viel Zeit für alle erdenklichen anderen Aktivitäten. Neben Streifzügen und Unternehmungen mit meinen Freunden las ich mich durch die Weltliteratur und fing mit etwa 13 Jahren zu malen und zeichnen an. In den letzten Jahren meiner Schulzeit konnte ich meine Bilder bereits in ersten Ausstellungen zeigen. Ich dachte daran, die Akademie in Wien zu besuchen und daneben meinen Lebensunterhalt als Volksschullehrer zu verdienen. Mit 14 Jahren hatte ich von einer Wahltante, die mich förderte und verwöhnte, ein Haus und Auto geerbt – die Basis für eine bescheiden sichere Existenz wäre gegeben gewesen. Doch immer fragwürdiger erschien mir das zeitgenössische Kunstschaffen – und das, obwohl ich mit 14 Jahren bereits Aktions- und Konzeptkunst praktiziert hatte – ich hatte diese Phase mit dem Entschluss beendet, mich in einen leeren Raum zu setzen und mein Kunstwerk nur zu denken, um mich so der Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb zu entziehen. Ein Endpunkt war damit erreicht und was an Tätigkeit folgte, musste für mich zurück zum „Bild“ führen. Die mir eigene Unsicherheit, die mich den Berufsweg eines Künstlers nicht weiter gehen ließ, lag wohl auch daran, dass mir in diesen Jahren der seelische Halt einer erfüllten Liebesbeziehung fehlte. Das ließ mein Streben unruhig in alle Richtungen schnellen und ich entschloss mich letztlich doch, wie mein Vater, Arzt zu werden. Das Medizinstudium absolvierte ich in der kürzest möglichen Zeit. Ich hatte es 1979 in Wien begonnen, wo ich mich sehr wohl fühlte. 1981, nach dem Tod meines Großvaters, Werner Berg, wechselte ich, um öfter in Kärnten sein zu können, nach Graz, wo ich 1984 promovierte.
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Selbst, 2002, 55 x 75
Ich war meinem Großvater in seinen letzten Jahren sehr nahe gestanden und er hatte verfügt, dass ich seinen umfangreichen künstlerischen Nachlass verwalten solle. Meine Aufgabe dabei war in den folgenden Jahren die archivarische Erfassung seines Werkes, die Vorbereitung von Ausstellungen, die Herausgabe von Büchern und Katalogen. Seit 1982 betreue ich auch als ehrenamtlicher Kurator das ihm gewidmete Museum in Bleiburg, wofür mich die Stadt Bleiburg 2007 zu ihrem Ehrenbürger ernannte. Meine Zeit als Turnusarzt verbrachte ich 1984 bis 1986 im Krankenhaus St. Veit und 1987 im Krankenhaus Klagenfurt. Seit Dezember 1987 bin ich als allgemeinmedizinischer Kassenarzt in Völkermarkt tätig. 1986 lernte ich meine spätere Frau Nadja kennen, wir heirateten im Dezember 1987. 1988 kam unser Sohn Julian zur Welt, 1991 dann unser zweiter Sohn Leon. 1990 baute ich für meine Familie ein schönes, geräumiges Haus neben meinem Elternhaus. Mein unstetes, anarchisches Wesen war wohl mit all diesem bürgerlichen Glück nicht zufrieden und so kam es 1991 zur Scheidung. Ich hatte meine neue Partnerin, Git, bei ihrer Arbeit als Pflegehelferin kennen gelernt und wir wurden für viele Jahre ein Paar. 1995 kam unser Sohn Nils zur Welt. Trotz dieser von außen kompliziert erscheinenden persönlichen Verhältnisse unternehme ich mit meinen Kindern sehr viel und sie bereichern mein Leben. Die Jahre seit ihrer Geburt sind mir im Rückblick nur durch die unterschiedlichen Ziele der Sommerurlaube, die wir gemeinsam verbrachten, zu gliedern. Denn im Gegensatz zur ganz in die Vergangenheit gerichteten Beschäftigung mit dem Werk meines Großvaters, lebe ich selbst vollkommen in der Gegenwart und blicke kaum zurück – weder wehmütig noch glücklich. Die seit 1991 vergangene Zeit ist mir im Erinnern schwer in Abschnitte zu entwirren, lediglich meine wenigen Ausbruchsversuche aus einem vorgegebenen und selbst gewählten Lebensrahmen schaffen Zäsuren. Seit 2008, ein Jahr nun schon, lebe ich allein, doch in gutem Kontakt zu meinen Familien. 2003 adaptierte ich ein großes, frei stehendes Tennengebäude aus dem Besitz unserer Familie als Lager und Ausstellungsraum für meine Bilder: den SCHAUSTALL. Im vergangenen Jahr erweiterte ich die mir dort zur Verfügung stehende Fläche und richtete mir ein beheizbares Winteratelier ein – mit herrlichem Blick über Drau und Jauntal hinweg bis zur Bergkette der Karawanken. 2001 war mit 66 Jahren meine Mutter gestorben, die in ihren letzten Lebensjahren unendlich schwer an der Alzheimerschen Krankheit gelitten hatte. Am 30. August dieses Jahres starb mein Vater, er hatte gerade im März seinen 90. Geburtstag gefeiert. Der Verlust der Eltern ist ein Lebenseinschnitt, der mich zum Bilanzziehen auffordert, zur Zusammenschau des bisher Gewesenen.
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Impressum
Fotos und Redaktion: Harald Scheicher Grafik und Druckvorstufe: ONOFRE – GrafikDesignAgentur Lektorat: Nani Frosch Eine Produktion der Reihe SCHAUSTALL Kreuzberglstrasse 18 9100 Völkermarkt harald@scheicher.cc Vertrieb: GALERIE MAGNET, Buch und Kunst, 9100 Völkermarkt © 2009 Harald Scheicher ISBN: 978-3-901758-22-5
Umschlag: Föhnsturm, 1997, 75 x 120 Frontispiz: Selbst, 1980, 45 x 45, Sammlung Leopold Wien Seite 4: Iris, 2003, 140 x 90 Die beiden Bilder auf den Seiten 22 und 23 sind in Öl auf Karton ausgeführt, das Bild Seite 24 in Öl auf Hartfaserplatte, sämtliche anderen abgebildeten Werke Öl auf Leinwand. Die Maßangaben erfolgen in cm, Höhe x Breite. Druck und Bindung: Printer Trento Printed in Italy
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Die Behauptung, dass Harald Scheicher ein bedeutender zeitgenössischer Maler ist – jedenfalls mehr als eine ungewöhnliche künstlerische Begabung – stellt gewiss für die nationale wie internationale Kunstszene eine Überraschung dar. Auf jeden Fall bedarf sie der Begründung und Erläuterung. Dies umso mehr, als Harald Scheicher nicht im Mainstream der allgemeinen künstlerischen Entwicklung liegt, aus einer abseits gelegenen Provinz stammt und eigensinnig dort bleiben will, und nicht zuletzt eine erfolgreiche Arztpraxis betreibt. Wieland Schmied