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Kriegsgefahr im südchinesischen Meer
Der Konflikt zwischen China und den USA und ihren Verbündeten verschärft sich rasant. Drei Ereignisse dieses Jahr waren dafür beispielhaft: Der Aufbruch des deutschen Kriegsschiffes Fregatte „Bayern“ in das südchinesische Meer und die Rede von Antònio Guterres vor der UN-Vollversammlung: „Wir stehen am Abgrund und bewegen uns in die falsche Richtung.“ Angesichts der „größten Kaskade von Krisen“ sei die Welt nie bedrohter, aber auch nie gespaltener gewesen. Während ich dies schreibe, eskaliert der Konflikt um Taiwan.
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Ökonomische Entwicklung Chinas
China ist 2001 der Welthandelsorganisation beigetreten. In den USA bestand damals die Hoffnung, China als neuen Markt und seine billigen Arbeitskräfte problemlos in das globale Systems einzugliedern, nachdem Francis Fukuyama 1989 in seinem Essay das „Ende der Geschichte“ verkündet hatte. „Fünf Jahre lang blickten Washington und Brüssel zufrieden auf die Entwicklungen (…) Doch dann wendete sich das Blatt. Aus dem gehorsamen Schüler wurde ein ernsthafter Konkurrent.“ (Sven Hilbig, Alle gegen China, „Blätter“ 02/21)
Die Regierung in Peking setzte sich 2006 ambitionierte Ziele und schuf Innovationskapazitäten, um selbst Spitzentechnologien herzustellen. Während die USA unter Trump aus den Handelsabkommen TTIP und TPP ausgestiegen sind, ist mit Beteiligung Chinas 2020 im asiatisch-pazifischen Raum die mit Abstand größte Freihandelszone der Welt entstanden.
Chinas Aufstieg zeigt sich auch in der Realwirtschaft. 2013 überholte China die USA als weltweit größter Warenhändler. Inzwischen ist – kaufkraftbereinigt – China die größte Volkswirtschaft mit rund 24 Billionen US-Dollar im Jahr 2020, zum Vergleich USA: 21 Billionen US-Dollar.
Die Möglichkeit des Krieges
„Die Führungen Chinas und der Vereinigten Staaten sind sicherlich nicht darauf aus, Krieg miteinander zu führen“, so Michael T. Klare in den „Blättern“ 05/21. „Allerdings sind beide Lager durchaus entschlossen, ihre Kriegsführungsbereitschaft für den Fall, dass man sie herausfordert, unter Beweis zu stellen … Auf diese Weise sorgen beide Seiten dafür, dass ein Kriegsausbruch, so wenig beabsichtigt er sein mag, immer wahrscheinlicher wird.“ Klare zieht eine Analogie zum Verhalten der Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg und endet mit einer Metapher aus der Spieltheorie: „So spielen die Führungen in Peking und Washington gerade ein game of chicken [...], das gefährlicher nicht sein könnte.“
Schon 2017 waren Planung und Vorbereitung eines Krieges in den Streitkräften beider Staaten weit fortgeschritten, schrieb Chas W. Freeman in den „Blättern“ 09/17. „Entlang der chinesischen Grenzen stehen US-Streitkräfte auf vorgeschobenen Posten (…) US-amerikanisches Militär patrouilliert demonstrativ im Luftraum und in den Gewässern, die an China angrenzen.“ China dagegen strebe die Schaffung militärisch haltbarer Seegrenzen und die Reintegration Taiwans an.
„In der politischen Elite und im Offizierskorps der Vereinigten Staaten ist die Besorgnis über den Schaden, den ein Nuklearschlag im Zielgebiet anrichten kann, und über die Vergeltungsmaßnahmen, die er provoziert, einer Art ‚Nuklearamnesie‘ gewichen.“
Strategische Entscheidungen und militärische Aufrüstung
Als Wendepunkt und Beginn des von den USA ausgerufenen „Systemkonflikts“ sieht Uwe Hoering („Blätter“ 05/21) die Finanzkrise 2008, „aus der die USA geschwächt und China gestärkt hervorgingen“. Seitdem würde Washington zunehmend konfrontativ reagieren. In den letzten drei Jahren ist dieser Konflikt prägend für die internationalen Beziehungen geworden, in den USA hat er das Paradigma „Kampf gegen den Terrorismus“ abgelöst. Die NATO spricht seit Dezember 2019 von der „Herausforderung“ durch China.
Im Zentrum der militärischen Provokationen und der Drohgebärden liegt das südchinesische Meer. Hier „kollidiert der ame-
USA 778,232
CHINA 252,304 138 WEITERE STAATEN 446,562
INDIEN 72,887
RUSSLAND 61,712 UK 59,238 SÜDKOREA 45,735 JAPAN 49,148 FRANKREICH 52,747 DEUTSCHLAND 52,764 SAUDI-ARABIEN 57,519
rikanische Anspruch auf freien Zugang zu den Weltmeeren mit dem chinesischen Bestreben, eine Sicherheitszone zu errichten und die amerikanische Interventionsfähigkeit zu konterkarieren.“ Der Konflikt habe auch eine nukleare Dimension: „China scheint dieses Meer im Sinne einer geschützten Bastion für nuklear bewaffnete U-Boote auszubauen, mit denen das Land die Zweitschlagfähigkeit gegenüber den USA sicherstellen will.“ (SWP Berlin 2020)
Michael Paul und Marco Overhaas sehen ein klassisches Sicherheitsdilemma: „Das individuelle Streben nach mehr Sicherheit erzeugt am Ende mehr Unsicherheit auf beiden Seiten.“ Die USA würden sich in der Defensive sehen, weil China als „revisionistische Macht“ die Dominanz der USA zurückdrängen wolle. China sei bis heute geprägt durch die „historische Erfahrung der Verwundbarkeit und das ‚Jahrhundert der Demütigungen‘ (1840-1949)“. Zwar hätte China in Zahlen die größte Kriegsmarine der Welt, aber erst „lange nach Abschluss der chinesischen Rüstungsvorhaben 2035 dürfte China auf hoher See und im komplexen Betrieb [...] mit den USA gleichziehen.“
Zur nuklearen Komponente: „China verfolgt offiziell eine Politik, die auf die Option eines Erstschlags verzichtet. Angesichts der amerikanischen Raketenabwehr und des Ausbaus konventioneller Waffen [...] fürchtet Peking jedoch, seine Zweitschlagfähigkeit zu verlieren“. Die Autoren schließen: „Statt auf Rüstungskontrolle setzten die USA in erster Linie darauf, ihre eigenen Optionen zu flexibilisieren. Damit steigt die Gefahr eines Wettrüstens.“ (SWP Berlin 2020)
Nach SIPRI-Daten betrugen die Militärausgaben im Jahr 2020 in den USA 778 Milliarden Dollar, in China 252 Milliarden Dollar. Die Zahl der Atomwaffen gibt SIPRI mit 5.550 für die USA und 350 für China zum Zeitpunkt Januar 2021 an.
„Klimaopfer statt Kriegsmacht“
„Viel war in Washington in den vergangenen Monaten von Chinas stetig wachsenden Kapazitäten bei Luftwaffe, Flotte und Raketen die Rede [...] Jedoch berücksichtigt keine dieser Einschätzungen, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Chinas Sicherheit haben wird.“ Schon jetzt würden die zunehmend schwereren Auswirkungen der Klimakrise Regierungen zwingen, militärische Einheiten unter anderem zur Brandbekämpfung und Katastrophenhilfe einzusetzen, meint der Politikwissenschaftler Michael T. Klare.
Die Überflutung der 6,7-Millionen-Einwohner-Stadt Zhengzhou habe die Baumängel der „Neuen Städte“ bloßgelegt – betonierte Millionenmetropolen mit Straßen, Häusern und Fabriken. China sei auch wegen zahlreicher Dämme und Wasserreservoire durch Starkregen verwundbar. Die dicht bevölkerte nordchinesische Ebene könnte Ende des Jahrhunderts wegen extremer Hitze unbewohnbar werden. Der Meeresspiegel steige an den chinesischen Küsten schneller als im globalen Durchschnitt. („Blätter“ 10/21)
Fazit
Die USA, China und Europa sind die drei Hauptverursacher der Klimakrise und müssen kooperieren, um die Welt auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen. Gerade wenn sich Konflikte ergeben, ist das Gespräch der Weg, diese zu lösen. Wir erwarten daher von der neuen Bundesregierung, dass sie in der Konfrontation zwischen den USA und China auf einer diplomatischen Lösung besteht und sich aktiv um eine vermittelnde Rolle bemüht, statt die Marine zu entsenden.
Die Darstellungen beruhen auf Angaben von SIPRI, mehreren Beiträgen der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und Beiträgen der SWP-Studie von „Strategische Rivalität zwischen USA und China“ (2020).
Alle Quellen unter: ippnw.de/bit/china
Ralph Urban ist Mitglied des Vorstandes der IPPWN.