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VR-Training für Blaulichtkräfte
from Blaulicht 4/2024
by IV Group
Im virtuellen Raum lernen, wie man in der Realität effizient handelt
Einsatzkräfte von Blaulichtorganisationen sind im Alltag stark gefordert – und müssen ihre Skills regelmässig trainieren und verfeinern. Virtuelle Trainingsumgebungen helfen dabei.
In einer Zeit, in der technologische Innovationen rasant voranschreiten, spielt Virtual Reality (VR) eine entscheidende Rolle in der Neugestaltung zahlreicher Branchen. VR-Technologien bieten immersive, dreidimensionale Erlebnisse, die weit über traditionelle Methoden hinausgehen und neue Standards für Analyse, Training und Zusammenarbeit setzen. Das gilt auch für den Blaulichtsektor. Egal, ob im Polizeibereich, in der Militärausbildung, im Bereich Kriminologie, Sanität oder Feuerwehr: VR-Trainingsmethoden ermöglichen es BORS-Kräften, komplexe Szenarien risikofrei realitätsnah darzustellen, zu erleben – und korrekt reagieren zu lernen. Diese Fortschritte sind besonders relevant angesichts der heutigen Anforderungen an Präzision und Effektivität in sicherheitskritischen Bereichen.
In Blaulicht 03-2024 berichteten wir über die VR-Trainingsumgebung von Axon, mit deren Hilfe Polizei- und Sicherheitskräfte im Sinn eines ganzheitlichen Ansatzes den Einsatz und die Handhabung des TASER-DEIGs ebenso üben können wie das korrekte Verhalten (Deeskalation) in kritischen Situationen. Und auch für Einsatzkräfte anderer Blaulichtsparten gibt es VR-Trainingsumgebungen, mit denen diese ihr Agieren im Einsatz trainieren und perfektionieren können.
VR-Training für Feuerwehrkräfte
Die Ausbildung respektive das regelmässige Training von Feuerwehrkräften sind aufwendig und teuer. Zudem sind die Teilnehmer selbst in einer kontrollierten Umgebung erheblichen Sicherheitsrisiken ausgesetzt.
Mit dem FLAIM-Trainer gibt es seit einigen Monaten eine Multi-Sensor-VR-Trainingslösung speziell für Feuerwehren. Die immersive VR-Simulation mit VR-Technologie von HTC VIVE kombiniert patentierte haptische Feedback-Technologien mit realer Feuerwehrausrüstung. Dabei kommen firmeneigene, auf evidenzbasierter Forschung beruhende Algorithmen zum Einsatz, die das reale Brandverhalten unterschiedlichster Materialien, einschliesslich Flammenbild, Rauchentwicklung sowie typischer Effekte wie Flashover und Explosionen, simulieren. Diese wurden während der vergangenen rund zehn Jahre am Institut für Intelligente Systeme der Deakin University (USA) entwickelt.
Das System arbeitet mit einer leistungsstarken VR-Plattform – und berücksichtigt alles, was im Feuerwehreinsatz nötig ist. Das VR-Headset verfügt über ein grosses Display und kann mit dem autonomen Atemschutzgerät genutzt werden. Zudem arbeitet das System mit einem speziellen Schlauchleitungssimulator, dessen Reaktionskraftkomponente den Druck und den Rückstoss von Schlauch und Düse simuliert. Dazu passend kann die im Training verwendete FeuerwehrSchutzbekleidung dank eingebauter Heizelemente auf bis zu 90 Grad Celsius aufgeheizt werden, um die Wärmeabstrahlung des Feuers körperlich spürbar zu machen.
So können Feuerwehrkräfte in einer 360-Grad-Umgebung intensive immersive Trainingserfahrungen in der höchstmöglichen Wirklichkeitsgetreue sammeln – und ihre Trainer sehen dabei wesentlich mehr als bei jeder noch so gut aufgebauten klassischen Übung.
Der Grund: Spezielle Tracker messen zahlreiche Parameter wie Durchflussraten oder Wasserverbrauch, aber auch die Bewegungen einzelner Personen sowie – mithilfe des integrierten Eye-Tracking von VIVE Pro Eye – die Augenbewegungen der Auszubildenden. Mit Echtzeit-Feedback können sie sofort eingreifen, wenn sich bei einer trainierenden Person der stresstypische Tunnelblick einstellt, wodurch die Auszubildenden lernen, sich nicht nur auf die Flammen zu konzentrieren, sondern stets das grosse Ganze im Auge zu behalten. Das hilft ihnen, zusätzlich zum Feuer lauernde Gefahren, etwa elektrischer oder chemischer Natur, im Auge zu behalten.
Für das Training stehen, passend zu den unterschiedlichsten Szenarien, mit denen Feuerwehrkräfte im Einsatz konfrontiert werden, zahlreiche Trainingsumgebungen zur Verfügung. Kleinere Haushaltsbrände können darin ebenso realistisch simuliert werden wie Fahrzeug- oder Flugzeugbrände, Vegetationsbrände oder Grossfeuer in Hafen-, Industrie- oder Freizeitanlagen.
Dank Netzwerkfähigkeit und WirelessAccess-Technologie können Auszubildende mit dem System «on demand» üben – in beliebiger Zahl und direkt vor Ort. Denn alles, was benötigt wird, findet in einem robusten Koffer Platz. Überdies können dank umfassender Multi-User-Funktionen nicht nur Einzelpersonen üben. Auch das Agieren im Verbund und perfektes Teamwork können simuliert und einstudiert werden. Dabei sind auch komplexe Szenarien darstellbar, beispielsweise unter Einbezug von zwei Schlauchmannschaften, Einsatzleitung, Beobachtern sowie einer «zweiten Welle», die sich im Hintergrund bereithält.
Das FLAIM-System bietet aktuell annähernd 150 Trainingsszenarien und ist in 28 Sprachen verfügbar. Mehr Informationen gibt’s auf: www.flaimsystems.com
Zudem kann die VR-Technologie für Trainings und Schulungszwecke, für die Präsentation komplexer Kriminalfälle sowie zur Optimierung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen und Experten über geografische Grenzen hinweg genutzt werden.
VR-Training für Fachpersonen der Forensik
Neben dem Training für Polizei- und Feuerwehrkräfte hat HTC VIVE auch eine VR-Landschaft für die Kriminalforensik entwickelt. Das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) setzt im Rahmen eines Projekts zusammen mit HTC VIVE die VR-Plattform Holodeck ein, um die Effektivität und Präzision in der Kriminalitätsbekämpfung zu steigern.
In der virtuellen Umgebung werden bis zu 70 Quadratmeter grosse Tatorte dreidimensional nachgebildet und virtuell begehbar gemacht. Das ermöglicht den Ermittlern eine detailliertere Analyse und Rekonstruktion von Kriminalfällen. Durch die VR-basierte Visualisierung und Motion Capture sowie Face- und Eye-Tracking können Ermittler in eine immersive Umgebung eintauchen, was die Untersuchung komplexer Beweissituationen und Tatortgegebenheiten verbessert.
Bessere Ausbildung für Militär und Polizei
Die effiziente Vorbereitung auf vielfältige Einsatzszenarien ist ein zentrales Element der Militärausbildung – und aktuell so relevant wie lange nicht. Die Deutsche Bundeswehr erprobt in der mehrjährigen Studie «VIRTUOS» (VIRtual Training of Urban Operations) den virtuellen Handlungstrainer (VirtHT) mit Komponenten von HTC VIVE und Software-Spezialistin HOLOGATE, die auch schon Schweizer Polizeikorps mit XR/VR-System ausgerüstet hat.
Mit dem System können Soldaten in einer 200-Quadratmeter-Trainingsanlage üben – wobei auch mit dem System verbundene Trainingswaffen (Air Soft oder E-Guns) verwendet werden. Neben realistischen Kampfsimulationen, in denen Soldaten in sicherer Umgebung auf die im Einsatz auf sie wartenden physischen und psychologischen Herausforderungen vorbereitet werden können, sind auch taktische Trainings unter variablen Bedingungen möglich. Zudem umfasst das XR-System eine interaktive Lernumgebung, in der Soldaten in multidisziplinären Fähigkeiten, von Erster Hilfe bis Navigation, ausgebildet werden können.
Im Rahmen eines Testlaufs gaben 97 Prozent der teilnehmenden Soldaten an, einen deutlichen Mehrwert durch den Einsatz von VR/XR in ihrer Ausbildung zu sehen. 85 Prozent waren der Ansicht, dass sie dank des Trainings komplexe oder kritische Prozesse besser verstehen konnten.
VR-Training für Sanität und Rettung
Im Bereich Medizin, Sanität und Rettung kooperiert HTC VIVE mit simX, einer von internationalen Medizin- und Simulationsexperten, unter anderem vom Inselspital Bern, entwickelten VR-Plattform. Das System bietet Lösungen für den klinischen Bereich, die Pflege, für Militär- und Notarzteinsätze sowie das First Responding.
Durch den Gamification-Ansatz der VR-Umgebung sind die Anwendungsfälle intuitiv und einfach zu durchlaufen. Zudem können die Simulationen – auch live – individuell an den Lerngrad und das Verhalten der Trainierenden angepasst werden. Integrierte Analysen und Berichte zur Leistungsevaluierung zeigen die Entwicklung der Lernerfolge.
Die Anwender können in einer risikofreien Umgebung für schwierige Situationen wie Rettungsszenarien mit mehreren Verletzten trainieren, lebenswichtige Protokolle üben und wichtige Entscheidungsfähigkeiten entwickeln.
Die Bandbreite der Szenarien ist weit gesteckt. Aktuell bietet SimX mehr als 400 VR-Trainingsszenarien aus Notfallmedizin (präklinisch und klinisch), Pflege und Militärmedizin an. Dazu gehören diverse Szenarien für ATLS / ALS / BLS / PALS, Lungenembolie, Herzinfarkt, diverse Notfallszenarien (internistisch und traumatologisch) oder auch ein Massenanfall von Verletzen (MANV; zivil und militärisch). Die Darstellungen umfassen dabei Personen jedes Alters und diverse Umgebungen (häusliches Umfeld, präklinische Umgebung, Notaufnahme). Optional können, abhängig von den individuellen Trainingsanforderungen und gewünschten Handlungskorridoren, auch massgeschneiderte VR-Simulationsszenarien entwickelt werden.