JMB
2011 / Nr. 5
+ JMB INSIDE Grußworte anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Jüdischen Museums Berlin Greetings on the occasion of the Tenth Anniversary of the Jewish Museum Berlin
Jüdisches Museum Berlin / Jewish Museum Berlin
JOURNAL W. Michael Blumenthal Jörg Lau Cilly Kugelmann Diana Pinto Margaret Heckel Ken Gorbey Cynthia Barcomi Michael Naumann Daniel Libeskind Andreas Kilcher Leonore Maier
10 Jahre 10 Years
Editorial Editorial
W. Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums Berlin W. Michael Blumenthal, Director, Jewish Museum Berlin
“We feel that the Museum is actually our closest descendant.” This sentence, spoken by one of our donors, describes better than any other the core mission of the Jewish Museum: to hold on to what took place, to interpret it, and above all to pass it on to the coming generations. When people who once fled Germany entrust family heirlooms, documents, and their entire life stories to a German museum, even describe the museum as their own offspring, we think it is fair to say that the Jewish Museum is a success. It was not obvious we would succeed. Even though Daniel Libeskind’s new museum building—while still empty—had created an immediate sensation, it was a long, hard road to the opening of an independent Jewish Museum. Our preparations were accompanied by constant criticism, ranging from the doubt that we could ever fill the museum with an adequate exhibition, to the suggestion that we were creating a “Jewish Disneyland.” The decisive factors have been—then and now—the commitment of our supporters, far-sighted political decisions, a highly motivated staff, and of course inspired visitors from all over the world. These are the people responsible for making the Jewish Museum Berlin today one of the most important museums in Europe. Ten years have now passed since the museum’s opening—ten years that give us occasion to reflect on what we’ve accomplished, but also to look towards the future. Our exhibitions have always been concerned with the relationship between minority and majority in society. In the coming years, we will intensify this investigation and focus more clearly on the issues of migration, integration, and cultural diversity. Jewish history can serve as a point of reference for these questions, as an article in this JMB Journal shows by examining from a novel perspective the role of Jews in Europe; another article describes the functions which the Jewish Museum fulfills in today’s society. A series of photographs recalls the beginnings of the Libeskind building, and Daniel Libeskind describes his vision of the urban neighborhood of the future. This issue also addresses new directions in our collecting activities and the donors whose generosity has formed the core of our collection. We see their very personal investment in the Museum, and the heartfelt support of our friends and sponsors, as a gracious token of respect and affection for us and our mission. We hope you will find this issue of the JMB Journal both entertaining and inspiring.
„Wir sind der Meinung, dass das Museum wohl unser aller nächster Nachkomme ist.“ Dieser Satz, geäußert von einem unserer Stifter, beschreibt wie kaum ein anderer die Aufgabe des Jüdischen Museums: das Geschehene zu bewahren, es zu deuten und es weiterzugeben an kommende Generationen. Wenn Menschen, die einst aus Deutschland flohen, einem deutschen Museum Erbstücke, Dokumente und vor allem ihre Geschichten vermachen, es gar als ihren Nachkommen bezeichnen, dann kann man sagen: Die Geschichte des Jüdischen Museums ist eine Erfolgsgeschichte. Selbstverständlich ist das nicht. Denn obwohl der Bau von Daniel Libeskind bereits leer für Furore gesorgt hatte, war es bis zur Eröffnung eines eigenständigen jüdischen Museums ein langer Weg. Begleitet wurde er von kritischen Stimmen, vom Zweifel, die Räume mit einer Ausstellung füllen zu können, bis hin zum Vorwurf, es entstünde ein „Jüdisches Disneyland“. Entscheidend aber waren – und sind – das enthusiastische Engagement unserer Unterstützer, kluge politische Entscheidungen, ein hoch motiviertes Mitarbeiterteam und begeisterte Besucher aus aller Welt. All ihnen ist zu verdanken, dass das Jüdische Museum heute eines der bedeutendsten Museen Europas ist. Zehn Jahre sind seit der Eröffnung des Museums vergangen, zehn Jahre, die Anlass geben zur Reflexion, aber auch für einen Blick in die Zukunft: Stets ging es in unseren Ausstellungen um das Verhältnis von Minderheit und Mehrheit. Diesen Fokus werden wir in den kommenden Jahren intensivieren und verstärkt auf Migration, Integration und kulturelle Vielfalt heute blicken. Dass die jüdische Geschichte für diese Themen als Referenz dienen kann, zeigt in diesem JMB Journal ein Artikel, der die Rolle der Juden in Europa aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Auch die Aufgaben, die das Jüdische Museum heute in der Gesellschaft übernimmt, werden hier unter die Lupe genommen. Eine Fotostrecke erinnert an die Anfänge des Libeskindbaus; wie sich Daniel Libeskind den Stadtteil der Zukunft vorstellt, berichtet er in einem Gespräch. Es geht in unserer Jubiläumsausgabe aber auch um neue Sammlungstendenzen und um jene, denen wir den Kern unserer Sammlung verdanken, die Stifter. Ihr Engagement für das Museum wie auch die Unterstützung unserer Freunde und Förderer zeugen von Respekt und Zuneigung. Wir wünschen Ihnen beim Lesen des JMB Journals viel Freude!
J M B JOURNAL
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Zehn Jahre Ten Years Als das Jüdische Museum Berlin eröffnete, wurde es mit Freude wie mit Skepsis betrachtet. Heute ist das Grundkonzept des Museums längst anerkannt, doch eine sich wandelnde Gesellschaft erfordert auch immer neue Antworten – und Programme, die sie widerspiegeln. Ein Ausblick.
Besucher in der Dauerausstellung Visitors in the permanent exhibition
When the Jewish Museum Berlin opened its doors, it was eyed upon with as much joy as scepticism. Today, the original concept of the Jewish Museum has been long since accepted. But an ever changing society demands ever new answers—and a museum program that reflects it. An outlook.
8 > 15
Freiräume Open Spaces Projektion eines Gedichts von Jehuda Amichai auf die Fassade des Libeskindbaus im Februar 2001. Installation: Jenny Holzer Projection of a poem by Yehuda Amichai on the façade of the Libeskind building, in February 2001. Installation by Jenny Holzer
Das Jüdische Museum ist ein Kind der Gedenkphase der Bundesrepublik, und doch ist es nicht allein dem Gedenken gewidmet. Immer wieder werden auch Themen aufgegriffen, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Judentum stehen. Das kann als Widerspruch verstanden werden – oder als Freiraum. The Jewish Museum is an offspring of the commemorative phase of the Federal Republic—and yet it is not only dedicated to memory. Again and again it works on topics that don’t necessarily stand in a strictly Jewish context. This can be understood as a contradiction—or as an open space for development.
8 > 20
Sammeln Collecting Vor zehn Jahren bestand die Sammlung des Jüdischen Museums aus etwa 15.000 Einzelobjekten, darunter Gemälde, Judaica, Militärabzeichen, Geschirr und Besteck, Fotografien und Dokumente. Wie gehen wir heute mit dieser Vielfalt an Objekten um? Wie definieren wir einen „jüdischen Gegenstand“, und wie erzählen wir Geschichte?
In der Dauerausstellung In the permanent exhibition
Ten years ago, the Jewish Museum’s collection consisted of approximately 15,000 single objects, among them paintings, items for ceremonial purposes, porcelain services and cutlery, photographs and documents. How do we deal with this vast variety of objects today? How do we define a “Jewish object,” and how do we present history?
8 > 25
Referenzen References Der Berliner Kaufmann Sally Israel und drei Bekannte, Bad Reichenhall, 1920 Bis in die 1920er Jahre hinein machten viele jüdische Familien in bayrischen Kurorten Urlaub – und schlüpften für Souvenirfotos gern in landesübliche Trachten.
Die europäischen Gesellschaften im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen stehen in den nächsten Jahren vor der Aufgabe, ihre wachsenden Minderheiten in ein neu definiertes Gefühl von nationaler Zugehörigkeit einzubinden. Kann das jüdische Beispiel dabei von Nutzen sein?
The Berlin businessman Sally Israel with three friends, Bad Reichenhall, 1920 Until the 1920s many Jewish families spent their holiday in the resorts of Bavaria—often posing in local costumes for souvenir photos.
European societies in general and Germany in particular must confront in the years ahead the integration of their growing minorities into a newly defined sense of national belonging. Can the Jewish reference be useful on this count?
8 > 30
Porträt Portrait Bundeskanzlerin Angela Merkel mit step21-Initiatorin Sonja Lahnstein und den jungen Redakteuren der Zeitung Weiße Flecken im Jüdischen Museum Berlin
Das Jüdische Museum Berlin zeichnet in diesem Jahr Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit dem „Preis für Verständigung und Toleranz“ aus. Das Museum würdigt damit ihr Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde, insbesondere ihren Einsatz dafür, dass der Wille zum Dialog auch an kommende Generationen vermittelt wird.
Federal Chancellor Angela Merkel with the founder of “step21”, Sonja Lahnstein, and the young editors of the paper “Weiße Flecken” (“Blank spots”) in the Jewish Museum Berlin
This year, the Jewish Museum Berlin awards its annual “Prize for Understanding and Tolerance” to Federal Chancellor Dr. Angela Merkel. The Museum thereby prizes her commitment to matters of human rights and human dignity, especially her personal dedication to carry on the importance of dialogue to generations to come.
8 > 36
Interview Interview Skizze von Daniel Libeskind zur geplanten Akademie des Jüdischen Museums Berlin Sketch by Daniel Libeskind for the planned Academy of the Jewish Museum Berlin
1989 gewann Daniel Libeskinds Entwurf den Wettbewerb für ein neues Gebäude in Berlin, in dem die Jüdische Abteilung des damaligen Berlin Museums untergebracht werden sollte. Heute ist das Jüdische Museum eines der berühmtesten Bauwerke Deutschlands und Daniel Libeskind einer der bekanntesten Architekten der Welt. In 1989, Daniel Libeskind’s design won the competition for a new building in Berlin, meant to house the Jewish Department of the Berlin Museum. Today, the Jewish Museum is one of the most celebrated buildings in Germany, and Daniel Libeskind is one of the most famous architects worldwide.
8 > 70
Mystik Mysticism Sasson ben Mordechai: „Ilan Aroch“, mit einem Modell der zehn Sefirot, Bagdad 1821 Sasson ben Mordechai: “Ilan Aroch,“ showing a model of the ten sefirot, Bagdad 1821
Im Zentrum der jüdischen Mystik steht die Lehre der zehn Sefirot. Ihr Modell stellt eine stufenförmige Verbindung zwischen Gott und der Welt her und ist durch seine komplexe Struktur offen für eine Vielzahl von Deutungen. At the center of Jewish mysticism lie the teachings of the ten sefirot. Their model shows a cascaded connection between God and the world, and thus is open for a huge variety of interpretations.
8 > 74
Stifter Donors Hunderte von Nachfahren deutsch-jüdischer Familien aus aller Welt meldeten sich auf die international platzierten Aufrufe des Jüdischen Museums in Emigrantenzeitungen. Ohne ihre Unterstützung hätte das Museum nie eröffnet werden können. Stifter zu Besuch im Museum am 10. September 2001 Donors visiting the museum on 10 September 2001
Hundreds of descendants of German-Jewish families from around the world responded to international appeals by the Jewish Museum that were placed in émigré newspapers. Without these donors the museum could not have opened.
8 > 78
Heimatkunde How German is it? Gibt es so etwas wie eine nationale Identität? Das Jüdische Museum Berlin nimmt sein zehnjähriges Jubiläum zum Anlass für eine Bestandsaufnahme: Die Sonderausstellung „Heimatkunde“ zeigt Arbeiten von 30 Künstlern, die zentrale Aspekte ihrer Wahrnehmung in und von Deutschland thematisieren.
Misha Shenbrot: √, Mixed Media Installation, 2011
Is there such a thing as a collective national identity? The Jewish Museum Berlin takes the opportunity of its tenth anniversary for a German inventory: The exhibition “How German is it?“ shows works by 30 artists, focussing on central aspects of their perception of Germany.
8 > 82
JMB JOURNAL
Editorial...................................................................................3
Editorial .................................................................................................... 3
Daten und Fakten...................................................................1 4
Facts and Figures .................................................................................. 1 4
Vor zehn Jahren – und in zehn Jahren ...................................1 5 W. Michael Blumenthal
Ten Years ago—and Ten Years to Come.............................................1 5 W. Michael Blumenthal
Gründe für ein Jüdisches Museum .........................................20 Jörg Lau
Reasons for a Jewish Museum ..........................................................20 Jörg Lau
Über das Sammeln .................................................................25 Cilly Kugelmann
On Collecting......................................................................................... 25 Cilly Kugelmann
Zwischen Deutschlands Vergangenheit und Zukunft: die Relevanz der jüdischen Referenz ......................................30 Diana Pinto
Between Germany’s Past and Future: the Relevance of the Jewish Reference ..........................................30 Diana Pinto
Angela Merkel – ein Porträt...................................................36 Margaret Heckel
Angela Merkel—a Portrait ................................................................... 36 Margaret Heckel
Geschichtenerzählen...............................................................55 Ken Gorbey
Storytelling............................................................................................ 55 Ken Gorbey
Die Torte ...............................................................................6 0 Cynthia Barcomi
The Cake ............................................................................................... 6 0 Cynthia Barcomi
Eine Erinnerung ....................................................................63 Michael Naumann
Remembering the Jewish Museum ..................................................63 Michael Naumann
Zeitleiste. ...............................................................................6 6
Timeline ................................................................................................. 6 6
Interview ................................................................................70 Daniel Libeskind
Interview ................................................................................................ 70 Daniel Libeskind
Die zehn Sefirot......................................................................74 Andreas Kilcher
The Ten Sefirot...................................................................................... 74 Andreas Kilcher
Erinnerung und Familiengedächtnis. Die Stifter des Jüdischen Museums ........................................78 Leonore Maier
Remembrance and Family Memory: the Jewish Museum Donors .............................................................. 78 Leonore Maier
Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland ..............82 Cilly Kugelmann
How German is it? 30 Artists’ Notion of Home .............................82 Cilly Kugelmann
10 Jahre Jüdisches Museum: Aktivitäten während der Jubiläumswoche .............................8 8
10 Years Jewish Museum Berlin: Activities during the Anniversary Week..........................................89
INSIDE JMB
Der Bau des JMB ...................................................................39 Grußworte anlässlich des Jubiläums ......................................4 0
IMPRESSUM / CREDITS © Stiftung Jüdisches Museum Berlin, 2011 Herausgeber / Publishing: Stiftung Jüdisches Museum Berlin Redaktion / Editor: Marie Naumann Email: publikationen@jmberlin.de Übersetzungen ins Englische / English Translation: Allison Brown (S. 3, 20–23, 66–69, 78–80, 74–77), Andrea Scrima (S. 36–38, 63–64, 82–86, 88–89, Grußworte / Greetings) Übersetzungen ins Deutsche / German Translation: Michael Ebmeyer (S. 15–18, 25–28, 30–34, 55–58, 60–61, 70–72) Zeitleiste / Timeline: Katja Hauser Englisches Lektorat / English Copy Editing: Liesel Tarquini Deutsches Korrektorat / German Proof Reading: Sonja Altmeppen Englisches Korrektorat / English Proof Reading: Naomi Lubrich Anzeigen / Advertising: Anja Butzek, Assistenz / Assistance: Daniela Eck Bildredaktion / Picture Editing: Stefanie Haupt, Valeska Wolfgram, Theresia Ziehe Gestaltung / Design: Eggers + Diaper Druck / Printed by: Medialis, Berlin
Building the JMB .................................................................................. 39 Greetings on the Occasion of the 10th Anniversary .....................4 0
Stiftung Jüdisches Museum Berlin Lindenstraße 9–14 D–10969 Berlin Tel.: +49 (0)30 25993-300 www.jmberlin.de Coverbild: Mustafa Hulusi, Untitled (Pomegranate), 2007 Der türkisch-zypriotische Künstler wurde in London geboren, studierte Kunst am Goldsmith College und Fotografie an dem Royal College of Art. 2007 vertrat er die Republik Zypern auf der Biennale Venedig. Cover image: Mustafa Hulusi, Untitled (Pomegranate), 2007 The London born Turkish Cypriot artist studied Fine Art at Goldsmiths and Photography at the Royal College of Art. In 2007 he co-represented The Republic of Cyprus at the Venice Biennale. Der Artikel von Andreas Kilcher stammt aus: „10+5=Gott. Die Macht der Zeichen“, Herausgegeben von Daniel Tyradellis und Michal S. Friedlander im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin, Köln 2004 The article by Andreas Kilcher was first published in: “10+5=Gott. Die Macht der Zeichen“, edited by Daniel Tyradellis and Michal S. Friedlander for the Jewish Museum Berlin, Cologne 2004
Abonnements und Bestellungen / Abonnements and Ordering Janine Lehmann, Tel.: +49 (0)30 25993 410, info@jmberlin.de Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sponsored by the Federal Commissioner for Cultural and Media Affairs.
Bildnachweis / Copyright: © Azra Aksamija, Fotos: Rahkeen Gray und Azra Aksamija, S. 83 © Eventfotografen Berlin, S. 38
© Gross Family Collection, Foto: David Harris, S. 10 © Silke Helmerdig, S. 39-54, S. 67 (1999) © Mustafa Hulusi, Cover © istockphoto, Foto: Ekaterina Fribus, S. 60f © JMB, S. 7, 66 (1933-1938), 66 (1995), 67 (2004), 68 (2007), 69 (2009), 69 (2010) © JMB, Gestaltung: Aroma, S. 68 (2008) © JMB, Foto: Thomas Bruns, S. 6 © JMB, Foto: Ernst Fesseler, S. 4 © JMB, Illustration: Gesine Grotrian-Steinweg, S. 68 (2006) © JMB, Foto: Svea Pietschmann, S. 33 links, 67 (2003) © JMB, Foto: Nadja Rentzsch, S. 88 unten, 89 © JMB, Foto: Marion Roßner, S. 67 (2001) © JMB, Foto: Margit Schmidt, S. 66 (1997) © JMB, Foto: Stephan Schraps, S. 67 (2002) © JMB, Foto: Sönke Tollkühn, S. 3, 33, 68 (2005), 69 (2011), 72 © JMB, Foto. Jens Ziehe, S. 23, 26, 27, 55, 66 (1981), 66 (1989), 68 (2007), 69 (2008), 69 (2009), 84, 90 © Archie Kent, S. 11 © Klaus Lehnartz, S. 66 (1986) © Daniel Libeskind, S. 9, 69 (2010) © Attilio Maranzano, Montalcino, S. 5 © Monika Rittershaus, S. 88 oben © Misha Shenbrot, S. 12 © Stiftung step21 für Toleranz und Verantwortung, S. 8 © ullstein Bild, Foto: Röhrbein, S. 63 © Maya Zack, S. 86
J M B JOURNAL
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Daten und Fakten Facts and Figures
Anzahl der Gäste im Museum am Tag mit den meisten Besuchern (28. August 2004)
6.636
Anzahl der Gäste im Museum am Tag mit den wenigsten Besuchern (7. Januar 2003)
379
Durchschnittliche Besucherzahl pro Tag
2.000
Das Jüdische Museum Berlin ist zur Zeit seiner Eröffnung das einzige Museum in Berlin, das montags nicht geschlossen ist. Anzahl der Fenster im Libeskindbau
365
Anzahl der Brücken im Libeskindbau
39
Anzahl der Türen im Libeskindbau
81
Sonderausstellungen im Jüdischen Museum seit der Eröffnung
64
Datierung des ältesten Objekts (eine Schminkpalette in Fischform), das in einer Sonderausstellung gezeigt wurde Besucherzahl der am stärksten besuchten Sonderausstellung („10+5=Gott. Die Macht der Zeichen“)
4300 v.u.Z. 87.692
Quadratmeter der Ausstellungsfläche im Altbau
1.654
Quadratmeter der Ausstellungsfläche im Libeskindbau
4.904
Quadratmeter des öffentlich zugänglichen Bereichs in der geplanten Akademie
2.171
Anzahl der Guides, die durch das Haus führen
55
Anzahl der verschiedenen Sprachen, in denen Führungen angeboten werden
14
Anzahl der vollgeschriebenen Gästebücher
442
Stifterinnen und Stifter, die dem Jüdischen Museum seit 1999 originale Objekte geschenkt haben
1.297
Anzahl der Objekte, die dem Museum seit 1999 geschenkt wurden
1.924
Objekte, die am häufigsten gestiftet wurden
Besteckteile
Objekte, die am zweithäufigsten gestiftet wurden
Orden und Auszeichnungen
Number of visitors on the most frequented day at the museum (28 August 2004)
6,636
Number of visitors on the least frequented day at the museum (7 January 2003)
379
Average number of visitors per day
2,000
At the time of its opening, the Jewish Museum is the only museum in Berlin open on Mondays. Windows in the Libeskind building
365
Bridges in the Libeskind building
39
Doors in the Libeskind building
81
Special exhibitions at the Jewish Museum since its opening
64
The estimated date of the oldest object shown in a special exhibition (a fish-shaped palette for make-up) Number of visitors at the most frequented special exhibition (“10+5=God”)
87,692
Exhibition space in the Old Builing in square meters
1,654
Exhibition space in the Libeskind Building in square meters
4,904
Space open to the public in the planned JMB Academy in square meters Number of guides giving tours through the museum Languages spoken by the different guides Number of filled visitors’ books since the opening Number of donors who have given original objects to the Museum since 1999 Number of objects donated since 1999 The most frequently donated object The second most frequently donated object
14
4300 BCE
J M B JOURNAL
2,171 55 14 442 1,297 1,924 cutlery military decorations and awards
Ten years ago – and Ten Years to Come Vor zehn Jahren — und in zehn Jahren
W. Michael Blumenthal
Vor zehn Jahren öffnete das Jüdische Museum Berlin seine Tore in einem Moment des weltweiten Schreckens und Schmerzes und noch begleitet von der Kontroverse, die sich um die Pläne für dieses Museum fast von Beginn an entsponnen hatte. Natürlich hatte niemand vorhersehen können, dass das offizielle Eröffnungsdatum – der 11. September 2001 – mit den Terroranschlägen auf New York und Washington zusammenfallen würde, die aus dem freudigen Anlass einen Tag des Schreckens und der Angst machten. Allerdings hatte die einzigartige Architektur des Neubaus das Jüdische Museum schon im Vorfeld berühmt gemacht, wenn auch nicht ohne hitzige Debatten. Die einen bewunderten Daniel Libeskinds Entwurf für seine Symbolik und seine Kühnheit, die anderen taten laut ihr Missfallen kund und stellten die Tauglichkeit seiner Räume für ein Museum infrage, zumal für eine lebendige, nutzbare Ausstellung. Nicht wenige hatten geäußert, Libeskinds Kreation wäre besser als Holocaust-Mahnmal geeignet, und darauf gedrängt, den Bau leerstehen zu lassen. Und nicht zuletzt hatte auch die grundsätzliche Entscheidung, in der deutschen Hauptstadt ein Jüdisches Museum zu schaffen, das die reichhaltige Geschichte jüdischer Präsenz auf deutschem Boden vorstellt und sich nicht auf Judaica, den Holocaust oder allein die jüdische Geschichte Berlins beschränkt, ihren Teil an Diskussionen und Skepsis ausgelöst. So mancher Beobachter oder Experte – selbsternannt oder anderweitig – hatte prophezeit, ein solches Vorhaben sei schlicht nicht umsetzbar. Zehn Jahre später sind die meisten dieser Zweifel vergessen. Die beeindruckenden Besucherzahlen haben jede Frage danach beantwortet, ob Libeskinds Entwurf als Museum „funktioniert“ oder ob der Ansatz eines Geschichten erzählenden Museums für die Vermittlung der Erfahrungen der deutschsprachigen Juden sinnvoll ist und genug öffentliches Interesse weckt. Nicht nur ist das Grundkonzept des Jüdischen Museums mittlerweile umfassend anerkannt, sondern die breite und wachsende Akzeptanz hat uns auch erlaubt, es noch auszubauen und Programm und Angebote des Museums mithilfe einer immer größeren Zahl deutscher und internationaler Freunde und Förderer deutlich zu erweitern. Der beste Beweis dafür ist, dass heute beinahe ein Drittel des Jahresbudgets von privaten Unterstützern getragen wird – und dass nach wie vor zahlreiche jüdische Familien aus aller Welt uns kontaktieren, um dem Museum Objekte, Dokumente und oft sehr persönliche Erinnerungsstücke zu stiften, im Wissen, dass diese Gegenstände in unserer Sammlung eine Heimat – und eine Verwendung – finden. Als größtes jüdisches Museum Europas und eines der bekanntesten in aller Welt ist das Jüdische Museum Berlin viel mehr geworden als eine rein museologische Einrichtung. Seine Bibliothek und sein Archiv zur deutsch-jüdischen Geschichte und damit verbundenen
Ten years ago, the Jewish Museum Berlin opened its doors at a moment of worldwide shock and pain, and amid the controversy which had surrounded the plans for it almost from the beginning. No one, of course, could have predicted that the public opening day—September 11, 2001—would coincide with the terrorist attacks on New York and Washington, turning what was to be a joyous occasion into a day of shock and terror. Yet the unique architecture of the building had made the Jewish Museum famous even before its start, though not without heated debates and divided opinions. Some admired Daniel Libeskind’s design for its symbolism and boldness, others had been vocal about their dislike for it and had questioned its suitability for housing an exhibition, much less a lively, working one. Not a few had pronounced the Libeskind creation more appropriate as a Holocaust memorial, and urged that it best be left empty. And finally, the decision to create a Jewish Museum in the German capital dedicated to telling the story of the broad sweep of the Jewish presence on German soil over 2,000 years, rather than focusing on Judaica, the Holocaust or Berlin Jewish history alone, had aroused its share of debate and skepticism as well. More than one observer or expert—self-styled or otherwise—had predicted that the idea simply would not work. Ten years later, most of these early doubts are largely forgotten. The astounding number of visitors has laid to rest any question of whether the Libeskind design “works” as a museum, or that the concept of a “story-telling” museum depicting the experience of German-speaking Jewry in the broad context of overall German history makes sense and arouses sufficient public interest. Not only has the original concept of the Jewish Museum been amply validated, the wide and growing acceptance of it has allowed us to build on it and to expand the scope of the museum’s programs and offerings with the help of a growing number of German and international friends and supporters. The best evidence is that almost a third of the Jewish Museum’s annual budget is today met from non-official, private sources—and that still many Jewish families from all over the globe contact us to donate objects, documents and what are often personal memories to the museum, knowing these items find a home—and a use—in our collection.
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Themen zählen zu den besten in Europa und werden von deutschen und internationalen Wissenschaftlern ausgiebig genutzt. Eine große Bandbreite an Bildungsangeboten führt jedes Jahr viele tausend Menschen jeglichen Alters ans Jüdische Museum, um etwas über das Judentum und die jüdische Religion zu lernen, über jüdisches Leben in Deutschland und die jahrhundertelange Geschichte der deutschen Juden, mit all ihren großen Momenten und ihren Tragödien. Ein reichhaltiges Angebot an Kulturveranstaltungen – Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge, Lesungen und Diskussionsrunden, für Erwachsene wie für Kinder – lockt fast an jedem Tag der Woche ein vielfältiges Publikum ins Jüdische Museum. Zugrunde liegt diesen breit gefächerten Aktivitäten eine ebenso breit gefasste Definition unserer Aufgaben. Natürlich bleiben die Herzstücke unserer Tätigkeit die Dauerausstellung, in der wir die 2000-jährige Geschichte der deutschsprachigen Juden erzählen, sowie die Wechselausstellungen zu historischen und zeitgenössischen Themen. Doch das ist nicht alles, was wir vorhaben. Nachdem sie bei Kriegsende aus Deutschland fast ganz verschwunden waren, bilden die etwa 200.000 Juden, die heute die Bundesrepublik ihre Heimat nennen, wieder eine kleine, aber wachsende Bevölkerungsgruppe. Die jüdische Minderheit ist wieder ein Teil des deutschen Lebens, trägt in vieler Hinsicht zu ihm bei und hat ihren Anteil – auch ihren Anteil an Verantwortung – an den Belangen des Landes und der Förderung eines einträchtigen und gedeihlichen Miteinanders. Als Institution des Bundes sieht das Jüdische Museum Berlin seine Rolle darin, in dieser Hinsicht einen positiven Einfluss auszuüben: als Forum für Debatten und Diskussionen, als Bildungsstätte und auch für die Forschung in Bereichen von öffentlichem Interesse, in denen die jüdische Perspektive relevant ist und beispielhaft Lösungswege aufzeigen kann. Dazu zählt vor allem, Akzeptanz und Toleranz im Umgang mit allen religiösen und ethnischen Minderheiten im heutigen Deutschland zu fördern und für sie die volle Einbindung ins deutsche Leben anzustreben. Nicht nur den Antisemitismus zu bekämpfen, sondern jede Form von Intoleranz und Vorurteilen gegen Minderheiten in Deutschland (oder anderswo), ist hieraus eine logische Konsequenz. Im Lauf der letzten zehn Jahre haben wir damit zumindest einen Anfang machen können. Ein gutes Beispiel ist der Preis für Verständigung und Toleranz, den das Museum jährlich an Menschen mit besonderen Verdiensten in diesem Bereich verleiht. Ein weiteres sind die Programme, in denen wir junge Christen, Muslime und Juden zusammenbringen, damit sie gemeinsam über Sichtweisen, Probleme und Lösungen debattieren können. Die zusammen mit Human Rights Watch von uns ausgerichtete Aktionswoche „Darfur – Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, mit der wir die Not einer hilflosen Be-
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As the largest Jewish museum in Europe and one of the best known in the world, the Jewish Museum Berlin has become much more than a mere museological institution. Its library and archives on German-Jewish history and related subjects are among the best in Europe and widely used by German and international scholars. A wide range of educational programs brings many thousands of young people to the JMB each year to learn about Judaism, the Jewish religion, the history of Jewish life in Germany, and the ups and downs of the experience of German Jews through the ages, with all its triumphs and its tragedies. A rich variety of cultural offerings and public events—concerts, plays, lectures, book readings, conferences and discussions—for adults as well as children—attracts diverse audiences to the Jewish Museum Berlin almost every day of the week. Underlying this broad and expanding range of varied activities, lies a broad definition of our mission as a unique German institution. To be sure, telling the story of the 2,000-year history of German-speaking Jewry in our permanent exhibition constitutes the core of what we do, as do the special shows and exhibitions on historical and contemporary topics which accompany it each year. Yet that is not all we seek to do. After their virtual disappearance in Germany at the end of the war, the almost one quarter million Jews calling the Federal Republic their home today, once again represent a still small but growing minority among its citizenry. Once again, the Jewish minority is a part of the fabric of German life, contributes to it in many ways, and has a stake—and a responsibility—to participate in the nation’s affairs and in the promotion of public harmony and well-being. As a German federal institution, the Jewish Museum Berlin sees its role as playing a positive part in this regard—as a forum for public debate and discussion, as a teaching institution, and for research and study of those issues of public interest in which the Jewish experience is relevant and can serve as a paradigm for unresolved problems and their solutions. Among these, for example, promoting public acceptance and tolerance toward religious, racial or ethnic minorities living in Germany today, and facilitating their full integration into German life, stands out. Fighting not merely antiSemitism, but intolerance and prejudice toward any minority in
EIN REFORMER, DER AN TRADITIONELLEN WERTEN FESTHÄLT. ALTERNSGERECHTE ARBEITSBEDINGUNGEN. FÜR UNS DER NÄCHSTE SCHRITT. Die BMW Group ist zum siebten Mal in Folge nachhaltigster Automobilhersteller der Welt. Erfahren Sie mehr über den Branchenführer im Dow Jones Sustainability Index auf
www.bmwgroup.com/whatsnext
völkerungsminderheit im Westsudan in den Blickpunkt rückten, unterstrich unser Anliegen, solche Gräuel ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, egal, wo sie verübt werden. Unsere künftige Arbeit wird auf unseren bisherigen Erfahrungen aufbauen. Keine Institution, die weiterhin relevant sein und gedeihen möchte, kann innehalten und sich auf ihren Lorbeeren ausruhen. Die Welt um uns her wandelt sich – und so auch Deutschland, seine jüdischen Bürgerinnen und Bürger und ihre Gemeinschaften. Unsere Programme in den kommenden zehn Jahren müssen diese Veränderungen widerspiegeln. Zudem gilt es, wenn wir weiter voranschreiten wollen, nicht nur aus unseren Erfolgen zu lernen, sondern ebenso aus unseren Fehlern. Darum haben wir vor, alle Bereiche unseres Programms in den nächsten Jahren einer strengen Überprüfung zu unterziehen: Es steht eine grundsätzliche Neubewertung unserer Dauerausstellung und unseres Angebots an Wechselausstellungen an. Verwenden wir die neueste und am besten geeignete Technik? Spiegeln unsere Ausstellungen die sich verändernde Größe und Zusammensetzung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wider? In welchen Bereichen können wir unsere Art, die Geschichte der deutsch-jüdischen Erfahrung zu erzählen, verbessern? Welche neuen Fertigkeiten müssen wir uns aneignen, um unsere Besucher noch besser zu erreichen? Dies sind nur einige der Fragen, die wir uns stellen werden. Eine zweite Herausforderung in den kommenden Jahren wird die Entwicklung unserer neuen Akademie sein, deren Eröffnung für 2012 vorgesehen ist und aus der wir ein lebendiges und dynamisches Forum für
Germany (or people elsewhere) is a logical corollary. Over the last ten years, we have already made a start in this regard. The museum’s Prize for Tolerance and Understanding which we award every year to a person with special accomplishments in this area is a case in point. Our programs bringing together young Christians, Muslims and Jews for debate and discussion of mutual perceptions, problems, and solutions are another. Hosting a week-long convocation, together with Human Rights Watch, to focus on the plight of a helpless minority in Darfur, underlined our commitment to expose such especially egregious tragedies wherever they occur. Our work in the future will build on our experiences of the past. No organization that hopes to stay relevant and healthy can rest on its laurels and stand still. The world around us is changing, and so is Germany, its Jewish citizens, and their communities. Our programs over the next ten years must reflect this changing scene. The constant need, furthermore, is to learn not only from our successes as we move forward, but also from our mistakes. This is what we intend to do through a rigorous review of programs in every area of our activities in coming years. Part of our agenda will be a fundamental reevaluation of our permanent exhibition and our program of special exhibits. Are we using the latest and most effective tools of technology? Do our exhibitions reflect the changing size and composition
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Forschung, Studium und Bildung machen wollen, mit einem Themenschwerpunkt rund um die Integration von Minderheiten ins deutsche Leben. Um dies zu verwirklichen, sind wir auf Allianzen und Kooperationen mit Stiftungen, Bildungseinrichtungen und anderen Institutionen angewiesen, die über Ressourcen und Fachwissen verfügen, das wir nicht haben. Unsere Pläne auf diesem Feld sind ehrgeizig, die ersten Schritte sind schon getan, und die Arbeit der Akademie dauerhaft in unsere allgemeine Ausstellung sowie unsere Kultur- und Bildungsprogramme einzubinden, wird in den nächsten Jahren einen Großteil unserer Energie beanspruchen. Es ist für uns höchst wichtig, den Kreis der Freunde und Unterstützer auszudehnen, die uns bei der Finanzierung und Umsetzung unseres vielfältigen Programms helfen. Diese Form der öffentlich-privaten Partnerschaft ist ein weiteres „Markenzeichen“ von uns geworden, hat uns größten Nutzen gebracht und vieles von dem, was wir tun konnten, erst ermöglicht. Unseren Freundeskreis in Deutschland ebenso wie sein Gegenstück in den USA, die Friends of the Jewish Museum Berlin, zu erweitern und zu pflegen, wird in den nächsten Jahren eines unserer Hauptanliegen sein. In unserem ersten Jahrzehnt haben wir ein außerordentlich engagiertes und kompetentes Team von Mitarbeitern aufbauen können. Sie sind unsere „Geheimwaffe“ gewesen, der eigentliche Schlüssel zu unserem Erfolg. Sie haben gelernt, ein „großes“ Museum zu leiten, einen zunehmend komplexen Organismus, den wir künftig gemeinsam noch weiter entwickeln werden. Insbesondere weil wir ein „benutzerfreundliches“ Museum bleiben wollen, ein Ort, an dem sich unsere Besucher willkommen und wohlfühlen können, ist ein weiterer Hauptaspekt auf unserer Agenda für die Zukunft, das hohe Niveau der Arbeit am Jüdischen Museum aufrecht zu erhalten. Dies ist ein „Kennzeichen“ des Jüdischen Museums, und wir werden größte Aufmerksamkeit daran setzen, es künftig noch auszubauen – um Besucher, Wissbegierige und Forscher aus aller Welt willkommen zu heißen.
of German Jewry? Can we improve upon our telling the story of any part of the German-Jewish experience? What new skills must we acquire to do a better job for our visitors? These are merely a few of the questions we intend to ask ourselves. A second challenge for coming years will be to develop our new JMB Academy, due to open next year, and to make it into a vital and vibrant forum for research, study and education with special reference to the issues surrounding the integration of minority citizens into German life. To do this effectively, requires alliances and collaboration with foundations, educational institutions, and others with resources and expertise we do not possess. We have ambitious plans in this area, a first beginning is already underway, and to integrate the work of the Academy on an ongoing basis into our overall exhibition, cultural and educational program will be sure to occupy our energies fully in coming years. It is highly important to us to continue to expand the growing circle of our friends and supporters who help us to finance and implement the wide range of our programs. This public/private partnership has been another key element of our “brand,” one which has benefitted us enormously and been a critical element in what we have been able to do. To expand and nourish our Freundeskreis in Germany, and its counterpart the Friends of the Jewish Museum Berlin in the United States, will be a key goal for coming years. In the first decade, we have built up an extraordinarily dedicated and able group of colleagues. They have been our secret weapon and the real key to our success. They have learned to operate what today is a “big” museum, and an increasingly complex institution, which we will develop even further in the years to come.
W. Michael Blumenthal, aufgewachsen in Berlin während des „Dritten Reichs“, floh mit seiner Familie nach Shanghai. Es folgte die Emigration in die USA und dort eine aufsehenerregende Karriere in Wirtschaft und Politik. 1997 kehrte er als Direktor des Jüdischen Museums Berlin nach Deutschland zurück.
To keep up these high standards of the Jewish Museum’s staff’s work, will be another critical part of our future agenda—especially as we intend to stay a “user-friendly” museum, a place where our visitors feel welcome and at home. This has been an important element of the museum’s special “brand,” and we will focus intently on building on it in the future—welcoming visitors, scholars and researchers from all over the world. W. Michael Blumenthal grew up in Berlin during the “Third Reich“ and fled the Nazis to Shanghai. After emigrating to the USA, he pursued a career in business and politics. In 1997, he returned to his home town as the director of the Jewish Museum Berlin.
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Gründe für ein Jüdisches Museum Reasons for a Jewish Museum
Jörg Lau
Anyone who, ten years in, is looking for reasons why Germany needs a Jewish Museum need not search long. Two recent debates have shown that there is still quite a bit that is not self-evident here in Germany with respect to German-Jewish history—and that applies to both the right and left-wings of the political spectrum. On the Day of German Unity last fall, the new German Federal President, Christian Wulff, said that “Islam too” has meanwhile become a part of Germany just as “unequivocally” as Christianity and Judaism. You might think this a platitude. But weeks of harsh debate came in its wake. Never before has a federal president been attacked by members of his own party for such a comment. The reason for the outrage was not the statement about Judaism, but instead Wulff’s casual rhetorical gesture of inclusion with respect to Islam. And then something interesting happened: In the days that followed, there was a lot of talk about the “Christian-Jewish” tradition that “our understanding of human rights and enlightenment” is based upon. Some people argued that Muslims had not contributed to this tradition and thus could also not be considered as “unequivocally” a part of it. A supposedly ChristianJewish German heritage was being taken into account in this instance in order to exclude Muslims. Historically speaking, talk of the “Judeo-Christian culture” was always dubious. But after the war there was also good reason for it. Jews should never again be defined per se as being incapable of integration, as had been commonplace for centuries. But critique of Wulff’s statement was especially intended to delineate the difference to Muslims. Embracing Jews rhetorically in order to underline the otherness of Islam is a falsification of history. The message to Muslims was hardly concealed and hit its mark: You do not belong here, you cannot contribute anything, you will remain foreign. It is a good thing that representatives of Germany’s Jewish community immediately refused to take part in this game. When this country’s leading politicians expound today as if there have been two millennia of the most wonderful consensus of Christian-Jewish values, as if Christians and Jews had together developed the most magnificent harmony of tolerance and enlightenment, as if the beautiful German-Jewish symbiosis was threatened and being destroyed by immigrating Muslims—then one of the Jewish Museum’s missions has evidently not been fulfilled, even after
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Wer nach zehn Jahren Gründe sucht, warum Deutschland ein Jüdisches Museum braucht, muss nicht lange wühlen. Zwei jüngere Debatten haben bewiesen, dass sich hierzulande immer noch vieles nicht von selbst versteht, was die deutsch-jüdische Geschichte betrifft – und das gilt für die rechte wie die linke Seite des politischen Spektrums. Im letzten Herbst hatte der neue Bundespräsident Christian Wulff zum Tag der Deutschen Einheit festgestellt, dass „auch der Islam“ inzwischen zu Deutschland gehöre, so wie „zweifelsfrei“ das Christentum und das Judentum. Eine Banalität, möchte man meinen. Doch es folgten Wochen heftiger Debatte. Noch nie ist ein Bundespräsident für eine solche Aussage von Vertretern seiner eigenen Partei derart angegriffen worden. Grund dafür war nicht die Aussage über das Judentum, sondern Wulffs lässige rhetorische Geste der Inklusion gegenüber dem Islam. Und nun passierte etwas Interessantes: In den folgenden Tagen war viel die Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition, auf der „unser Verständnis von Menschenrechten und Aufklärung“ beruhe. Die Muslime hätten dazu nichts beigetragen und könnten darum auch nicht in gleicher Weise „zweifelsfrei“ dazugehören. Hier wurde ein vermeintliches deutsches christlich-jüdisches Erbe in Anschlag gebracht, um Muslime auszugrenzen. Die Rede von der „christlich-jüdischen Kultur“ war historisch immer fragwürdig. Doch hatte sie nach dem Krieg auch einen guten Sinn. Nie wieder sollten Juden als das nicht integrierbare andere schlechthin definiert werden, wie es jahrhundertlang üblich war. Doch in der Kritik an Wulffs Aussage ging es vor allem um die Markierung einer Differenz zu den Muslimen. Die Juden rhetorisch zu umarmen, um die Fremdheit des Islams herauszustreichen, ist Geschichtsklitterung. Die kaum versteckte Botschaft an die Muslime kam gleichwohl an: Ihr gehört hier nicht her, ihr habt nichts beizutragen, ihr werdet fremd bleiben. Gut, dass sich Vertreter des deutschen Judentums sofort gegen dieses Spiel verwehrt haben. Wenn führende Politiker dieses Landes heute so reden, als habe 2000 Jahre lang das schönste christlich-jüdische WerteEinverständnis geherrscht, als hätten Christen und Juden zusammen in herrlichster Harmonie Toleranz und Aufklärung entwickelt, als hätten erst die einwandernden Muslime die schöne deutsch-jüdische Symbiose zerstört – dann ist eine
ten years: To explain the tension-filled history of Jews in German lands in all its complexity, ambivalence, greatness and tragedy in such a way that it is impossible to instrumentalize a “Christian-Jewish” unity against other minorities. Can it be that the politicians who so flippantly throw around such a formula have never been to the museum? Or is it possible that the title “Two Millennia of German Jewish History”—which the museum uses for its own publicity purposes—has simply become so ingrained in them? The second shudder-inducing debate concerning the state of German-Jewish relations here in Germany is the anti-Semitism debate within the Left Party. For years Gregor Gysi has been trying to get his party to declare support for Israel’s right to exist. This past spring, a series of events seemed to indicate a deepseated anti-Semitism held by some leftist functionaries—especially among those in the western part of the country—that culminated in the scarf that Bundestag member Inge Höger wore, depicting a map of Palestine that did not include Israel. Gysi’s draft of a proposal, in which the Left group would declare its acknowledgment of Israel’s right to exist and distance itself from all criticism of the occupation and boycott participation in the Gaza flotilla, unleashed angry reactions among the “anti-Zionist” forces in the party. Now a museum for the history of German Judaism cannot deal with the details of such topical debates, and perhaps it should not even get directly involved in them at all. But they indicate two areas in which further clarification is necessary. Instrumentalization in a right-wing discourse (against Muslims) and a discourse of exclusion among the left wing (in the name of criticizing Israel) are two great challenges for Jews in Germany today. The museum’s programs must take this into account. The Jewish Museum is an offspring of a period in the Federal Republic’s history that could be called the “commemorative phase.” It covers exactly the twenty years from 8 May 1985—the day of then German president Richard von Weizsäcker’s famous speech— through 10 May 2005, the opening of the Memorial to the Murdered Jews of Europe. During these two decades, the Federal Republic of Germany defined itself primarily through debates about the proper form of remembering the German crimes, its perpetrators and its victims. The scandal in Frankfurt over the Fassbinder play Garbage, the City, and Death also took
Mission des Jüdischen Museums offenbar auch nach zehn Jahren nicht erfüllt: die spannungsreiche Geschichte der Juden in deutschen Landen in all ihrer Komplexität, Ambivalenz, Größe und Tragik so zu erzählen, dass sich eine „christlich-jüdische“ Instrumentalisierung gegen andere Minderheiten verbietet. Kann es sein, dass die Politiker, die heute so leichtfertig mit der Formel umgehen, nie im Museum waren? Oder ist es möglich, dass sich bei ihnen einfach die Phrase von den „Zwei Jahrtausenden deutsch-jüdischer Geschichte“ festgesetzt hat, mit der das Museum anfangs überall beworben wurde? Die zweite Debatte, die über den Stand der deutsch-jüdischen Dinge hierzulande erschaudern lassen kann, ist der AntisemitismusStreit in der Linkspartei. Seit Jahren hat Gregor Gysi versucht, seine Partei zu einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu führen. In diesem Frühjahr häuften sich dann die Ereignisse, die auf einen tief sitzenden Antisemitismus bei manchen linken Funktionären – vor allem aus der Westlinken – zu deuten schienen, gipfelnd im Schal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, auf dem der Nahe Osten ohne Israel abgebildet war. Gysis Beschlussvorlage, in der die Linke-Fraktion sich zum Existenzrecht Israels bekennt und bei aller Kritik an Besatzung und Boykott von der Teilnahme an der Gaza-Flotille distanziert, löste wütende Reaktionen bei den „antizionistischen“ Kräften der Partei aus. Nun kann sich ein Museum zur Geschichte des deutschen Judentums nicht mit den Details solcher aktueller Debatten befassen, und es sollte sich vielleicht auch gar nicht direkt in sie einmischen. Aber sie zeigen zwei Felder an, auf denen weiter Aufklärung nötig ist. Ein rechter Vereinnahmungsdiskurs (gegen die Muslime) und ein linker Ausgrenzungsdikurs (im Namen der Israelkritik) sind zwei große Herausforderungen für Juden in Deutschland heute. Dem muss auch die Programmarbeit des Museums Rechnung tragen. Das Jüdische Museum ist das Geschöpf einer Phase der bundesrepublikanischen Geschichte, die man die Gedenkphase nennen kann. Sie umfasst genau zwanzig Jahre vom 8. Mai 1985, dem Tag der Weizsäcker-Rede, bis zum 10. Mai 2005, der Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden. In diesen zwei Jahrzehnten hat sich die Bundesrepublik hauptsächlich durch die Debatten über das richtige Erinnern an die deutschen Verbrechen, an die Täter und deren Opfer, definiert. Auch der
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place during this phase, as did the Wehrmacht exhibition and the controversy over Daniel Goldhagen’s book Hitler’s Willing Executioners. And of course we cannot forget the conflict regarding the Topography of Terror grounds in Berlin. This was a very fruitful epoch for Germany. It goes back to the period of West Germany before the Wall fell, but also spans unification and the relocation of the old-new capital in Berlin. It was as if Germany was furnishing itself psychologically for its new and larger house. The Jewish Museum was appointed the task of making sure that the fullness and wealth of Jewish life is not forgotten in view of the horrors that had taken place. That phase has come to an end. Germany no longer defines itself as strongly through commemoration. The Holocaust Memorial has been erected, the Topography of Terror has been opened, the Jewish Museum registers one success after another. Does this mean that the German house is in order? Have we achieved the “normalcy” that was both sought-after and feared? In any case, what would be considered the “poor normalization” of repression and forgetting did not take place, and the museum played a role in avoiding this scenario. A third option has manifested itself: Germany is doing just fine without the chimera of normalcy. People finally understand that the museum on Lindenstrasse in Kreuzberg is not a Holocaust museum. In the beginning, one of the main difficulties was to convey to critics and audience alike that the focus here was placed on the entirety of Jewish life, and not just its attempted extermination. That is certainly one of the secrets of the museum’s success. And what now? Fighting against instrumentalization and exclusion at the same time is the difficult, virtually paradoxical task. The success of the museum, with its impressive number of visitors, might make the false impression that Jewishness has found a place in society’s mainstream. Thus it is good and proper that the museum self-critically broaches this topic time and again. The possibility that it could become part of a specious heyday of German Judaism, as depicted by the large number of new synagogues, exhibitions, and festivals, is very real. Every city with a small Jewish community today would like to show that it too has a synagogue. Mosques, on the other hand, generally mean trouble. But in fact, the history of building synagogues in Germany could teach us a lot about our current debates, about the tension between autonomy and
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Frankfurter Fassbinder-Skandal fiel in diese Phase, sowie die Wehrmachtsausstellung und der Streit ums Goldhagen-Buch. Nicht zu vergessen die Berliner „Topographie des Terrors“. Dies war eine sehr fruchtbare Epoche für Deutschland. Sie reichte zurück in die „alte Bundesrepublik“, aber sie überspannte noch die Wiedervereinigung und den Umzug in die alt-neue Hauptstadt. Es war, als ginge es um die seelische Möblierung des neuen, größeren Hauses Deutschland, in das man sich nun anschickte umzuziehen. Dem Jüdischen Museum kam dabei die Aufgabe zu dafür zu sorgen, dass über dem Schrecken die Fülle und der Reichtum des jüdischen Lebens nicht vergessen werden sollte. Nun ist diese Phase vorbei. Deutschland definiert sich nicht mehr so sehr durchs Gedenken. Das Mahnmal ist errichtet, die „Topographie“ eröffnet, das Jüdische Museum eilt von Erfolg zu Erfolg beim Publikum. Ist das deutsche Haus also bestellt? Ist das jetzt endlich die ersehnte und befürchtete Normalität? Die „schlechte Normalisierung“ des Verdrängens und Vergessens hat jedenfalls nicht stattgefunden, und auch daran hat das Museum einen Anteil. Ein Drittes hat sich durchgesetzt: Deutschland kommt auch ohne die Schimäre der Normalität ganz gut zurecht. Dass an der Kreuzberger Lindenstraße kein „HolocaustMuseum“ steht, haben die Leute zwar wohl endlich verstanden. Anfangs war eine der Hauptschwierigkeiten, Kritikern und Publikum zu vermitteln, dass hier das ganze jüdische Leben in den Focus gerückt war, statt nur die versuchte Auslöschung. Das ist sicher auch ein Geheimnis des Erfolgs. Wie weiter? Gleichzeitig gegen Vereinnahmung und Ausgrenzung zu kämpfen, ist die schwierige, nahezu paradoxe Aufgabe. Der Erfolg des Museums mit seinen beeindruckenden Besucherzahlen trägt die Gefahr in sich, über das Ankommen des Jüdischen im gesellschaftlichen Mainstream zu täuschen. Darum ist es gut und richtig, dass das Museum dies immer wieder selbstkritisch thematisiert. Die Möglichkeit, dass man Teil einer trügerischen Scheinblüte des deutschen Judentums wird, die sich in zahlreichen Synagogenbauten, Ausstellungen und Festivals inszeniert, ist real. Jede Stadt mit einer kleinen jüdischen Gemeinde möchte heute gerne eine Synagoge vorweisen können. Moscheen hingegen bedeuten meist Ärger. Dabei ließe sich aus der Geschichte des Synagogenbaus in Deutschland sehr viel Erhellendes über
„Vor den Augen der Welt. Projektion von Fotografien aus Darfur“ auf der Fassade des Museums im Rahmen der Aktionswoche „Darfur. Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vom 15. bis 22. März 2007 “Before the Eyes of the World. Projection of Photographs of Darfur” on the museum’s façade during the campaign week “Darfur: Crimes Against Humanity“ at the Jewish Museum Berlin from 15 to 22 March 2007
integration, between wanting to feel at home and the attempt to stage itself as a fearless “other.” Should a Jewish museum show any interest at all in globalizing the Jewish experience and taking up broader issues? In the last ten years that has been done many times: genocide in Darfur, migration, exile, and racism were all themes dealt with in exhibitions. This was criticized by those who think it is more important to talk about what “Judaism really is”—that is, primarily the religion—before a universalization can make any sense at all. The tendency to broaden the issues stands in a natural tension with the task of measuring and describing the specific quality of Jewish life in Germany before and after Hitler. But is it necessarily an irreconcilable contradiction? The design of the Libeskind building made it virtually impossible to keep tight reins on the thematic scope of the Jewish Museum. The architecture alone forces confrontation at a didactic and thematic level. Many critics have complained about this and some exhibition curators have secretly cursed the building—a piece of architecture that some people think is too suggestive, too direct in declaring what visitors are to feel, even before they can view the first exhibition object. Considering that one goal is to unsettle visitors, this becomes an unsolvable contradiction. Critics have perhaps underestimated the visitors, who can evidently deal with such contradictions better than was initially feared. The Jewish Museum is a child of the commemorative phase of the Federal Republic. This period is now over, which of course does not mean that remembrance is past. But it is no longer the decisive topic of the country’s self-definition. The Jewish Museum survived this phase and asserted its position in Berlin’s cultural landscape. Well done—it means the museum-makers have more leeway, for example, to be inspired by the Radical Jewish Culture of the music scene in New York City. Jörg Lau studied German literature and philosophy and has written for the magazine “MERKUR” as well as for the newspapers “taz” and the “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. From 1993 to 1996, he was in charge of the literary pages of the “taz” in Berlin; since 1997, he writes for the weekly newspaper “Die Zeit.“
unsere heutigen Debatten lernen: über die Spannung zwischen Eigenständigkeit und Integration, Beheimatungswünschen und dem Versuch, angstfreies Anderssein zu inszenieren. Soll ein jüdisches Museum sich denn überhaupt für die Universalisierung der jüdischen Erfahrung interessieren und thematisch ausgreifen? In den letzten zehn Jahren ist das immer wieder geschehen: Völkermord in Darfur, Migration, Exil, Rassismus waren Themen. Das ist kritisiert worden von denen, die finden, man müsse sehr viel mehr über das „eigentlich Jüdische“ – also vor allem über die Religion – reden, bevor eine Universalisierung überhaupt sinnvoll sei. Die Neigung zur Ausweitung des Themenfeldes steht in einer natürlichen Spannung mit der Aufgabe, immer wieder die spezifische Dichte des jüdischen Lebens in Deutschland vor und nach Hitler zu messen und zu beschreiben. Aber warum soll man daraus einen unversöhnlichen Widerspruch konstruieren? Es war schon durch die Vorgabe des Libeskind-Baus unmöglich, das Jüdische Museum thematisch engzuführen. Schon die Architektur drängte hier ins Didaktische und Thesenhafte. Viele Kritiker haben das beklagt, manche Ausstellungsmacher haben hintenrum den Bau verflucht – eine Architektur, von der mancher meinte, dass sie zu viel vorgibt, dass sie selber schon zu aufdringlich bestimmt, was der Besucher zu fühlen hat, bevor er das erste Exponat überhaupt wahrnehmen kann. Und das, während sie andererseits doch verunsichern will – ein unauflöslicher Widerspruch. Vielleicht haben die Kritiker die Besucher unterschätzt, die offenbar mit solchen Widersprüchen besser umgehen können, als man fürchten musste. Das Jüdische Museum ist ein Kind der Gedenkphase der Bundesrepublik. Diese Zeit ist vorbei, was natürlich nicht heißt, dass das Gedenken vorbei ist. Es ist nur nicht mehr die entscheidende Arena der Selbstdefinition. Das Jüdische Museum hat diese Phase überlebt und seine Position in der Berliner Kulturlandschaft behauptet. Gut so. Das bedeutet Freiräume für Museumsmacher, zum Beispiel für eine Anregung durch die „radical Jewish culture“ der Musikszene aus New York. Jörg Lau studierte Germanistik und Philosophie und schrieb unter anderem für MERKUR, taz und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Von 1993 bis 1996 war er Literaturredakteur der taz in Berlin, seit Anfang 1997 schreibt er für DIE ZEIT.
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Über das Sammeln On Collecting
Cilly Kugelmann
At the end of the 20th century many questions were asked about the meaning of collections. The provenance of objects was put under scrutiny, the validity of existing categories for classifying collections was discussed, and the educational role of exhibits was raised and challenged. Today, collections seem to serve new functions in a changing museum landscape. If in the 19th and early 20th centuries it made sense to collect three-dimensional objects as widely as possible to illustrate the social reality of a given time, it was because only a limited number of media existed. Today, complementary media such as film, audio recordings, and electronic files have become increasingly important and stand in contestation with the classical notion of collecting. Collecting objects to represent today’s world causes a variety of problems for history museums, such as having to cope with the enormous growth of goods produced and the quick changes of fashion that make it almost impossible to interpret the social and corporative value of the single item. “Everyday history” (Alltagsgeschichte), inspired by the Swedish movement of “History from Below,” eventually started to change the focus of collecting for history museums throughout the world. In Germany, the discovery of Alltagsgeschichte coincided with the foundation of Jewish museums in the 1980s. After the Second World War, what to collect became an increasingly difficult question for Jewish museums, as an additional dimension had to be added to the institution’s mission: its accommodation and its character as lieu de mémoire. These hybrid museums incorporate both a traditional museum and a memorial site that mourns the void after the Holocaust. Dealing with history and heritage has definite implications with regard to the question of what to collect. Objects are needed to explain how things and events came to be as they are. And objects are needed to illustrate a unique myth of origin and continuance: In our exhibitions we deal with the continuous change facing “objective” history and “subjective” experience. And in the end we also need to deal with a tribal culture that is exclusive and particular, while at the same time proving that it is universally valid and not at all special. The Jewish Museum Berlin may stand as an example of the problems involved in collecting. It once started as a “Jewish wing” of a municipal museum, which was founded as a result of the separation of Germany in 1961: The main collection of the former City Museum,
Ende des 20. Jahrhunderts wurden viele Fragen zur Bedeutung von Sammlungen aufgeworfen. Die Herkunft der gesammelten Objekte wurde überprüft, bestehende Klassifizierungsweisen diskutiert und die Bedeutung von Ausstellungsstücken hinterfragt und angezweifelt. Heute scheint es, als müssten Sammlungen in einer sich wandelnden Museumslandschaft ganz neue Funktionen erfüllen. Wenn es im 19. und frühen 20. Jahrhundert sinnvoll war, eine möglichst große Vielfalt dreidimensionaler Gegenstände zusammenzutragen, um die soziale Wirklichkeit einer bestimmten Zeit anschaulich zu machen, dann deshalb, weil nur eine geringe Zahl von Medien zur Verfügung stand. Heute werden Ergänzungsmedien wie Film, elektronische Dokumente sowie Tonaufnahmen immer wichtiger und stehen mit dem klassischen Konzept des Sammelns im Wettstreit. Die heutige Gegenwart zu sammeln, stellt historische Museen vor eine ganze Reihe von Problemen: Dazu gehören die enorm wachsende Menge an produzierten Gütern oder der schnelle Wandel der Moden, der es fast unmöglich macht, den sozialen und auch unternehmerischen Wert des einzelnen Stücks einzuschätzen. Der Ansatz der Alltagsgeschichte, inspiriert von der schwedischen Geschichte von unten-Bewegung, hat nach und nach in Museen überall auf der Welt die Zielrichtung des Sammelns verändert. In Deutschland fiel die Entdeckung der Alltagsgeschichte in den 1980er Jahren mit der Gründung jüdischer Museen zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war für jüdische Museen die Frage, was sie sammeln sollten, noch schwieriger geworden, denn ihr Aufgabenfeld umfasste nun eine zusätzliche Dimension: Sie wurden zu Orten der Erinnerung. Jüdische Museen sind Museen im traditionellen Sinn; zugleich dienen sie aber auch als Gedenkorte, die den Verlust nach dem Holocaust beklagen. Mit Ereignisgeschichte und den moralischen Aspekten des Kulturerbes umzugehen, hat auf die Frage, was zu sammeln ist, ganz konkrete Auswirkungen. Es werden Objekte benötigt, die erklären, wie Dinge und Ereignisse zu dem wurden, was sie sind, und die den einzigartigen Mythos von Ursprung und Fortbestand veranschaulichen: In unseren Ausstellungen haben wir es mit dem ständigen Wandel zu tun, dem „objektive“ Geschichte und „subjektive“ Erfahrung ausgesetzt sind. Und nicht zuletzt müssen wir mit einer exklusiven und partikularistischen „Stammeskultur“ umgehen und zugleich beweisen, dass sie universell gültig und keineswegs etwas Besonderes ist.
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Chanukka-Leuchter des Silberschmieds Georg Wilhelm Marggraff (1740–1804), Berlin 1776 Hanukkah lamp by silversmith Georg Wilhelm Marggraff (1740–1804), Berlin 1776
which had been established in the second half of the 19th century, was now hidden away behind the Iron Curtain, inaccessible to West Berliners. West Berlin swept together its historical crumbs and opened its own institution, the Berlin Museum. One of the museum’s departments was dedicated to the topic of “Religious Groups in Berlin,” which included the Jewish congregation. The call for a distinct Jewish wing was influenced by the will to restitute Jewish culture to the city of Berlin and strongly pushed by the head of the Jewish community, Heinz Galinski, who presided over it for 43 years. Eventually, the Berlin Museum agreed to assemble a Jewish collection and to open a Jewish wing. The history of Berlin Jews was to be presented and interpreted within the context of the general local history and deliberately not to be expulsed to what was considered the “ghetto” of a separate and independent museum. This attempt to shelter the Jewish wing eventually led to the first newly constructed building for a Jewish museum in Germany. A collection was started to fit the trinomial exhibition concept defined by the director at the time. It included an overview of the local history of Jews in Berlin, a presentation of religious aspects, and focused on the contributions of well-known Jews to the public and cultural life of the city. An appeal to former German Jewish refugees overseas to contribute money to this project was published along with a call for documents and photographs. This request laid the foundation for the family collections, today the largest part of the archival holdings at the Jewish Museum Berlin. By the end of the 1970s—under the direction of Vera Bendt—a collection began that was strongly influenced by the philosophy of cultural anthropology and every day history. Vera Bendt’s task to find ceremonial art to illustrate the religious life of Berlin Jewry was by and large very difficult: Almost nothing was left, having been either destroyed or shipped overseas after the war. The very few interest-
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Das Jüdische Museum Berlin mag als Beispiel dienen, um ein Schlaglicht auf einige der Probleme zu werfen, die das Sammeln mit sich bringt. Es hatte einst als „Jüdische Abteilung“ eines allgemeinen Stadtmuseums begonnen, gegründet in Reaktion auf den Bau der Mauer im Jahr 1961: Die Hauptsammlung des früheren Stadtmuseums lag nun hinter dem Eisernen Vorhang, unzugänglich für Westberliner. Und so kratzte Westberlin seine historischen Krümel zusammen und eröffnete seine eigene Institution, das Berlin Museum. Eine Abteilung des Museums widmete sich dem Thema der „religiösen Gruppen in Berlin“, darunter auch die jüdische Gemeinde. Der bald erwachte Wunsch nach einem eigenständigen jüdischen Museum war unter anderem dem Bestreben zu verdanken, den Wiederaufbau jüdischer Kultur in Berlin voranzutreiben und ging maßgeblich von Heinz Galinski aus, der 43 Jahre lang der jüdischen Gemeinde Berlins vorstand. Nach einiger Zeit willigte das Berlin Museum ein, eine jüdische Sammlung aufzubauen und eine jüdische Abteilung zu eröffnen. Die Geschichte der Berliner Juden sollte jedoch im Kontext der allgemeinen Ortsgeschichte präsentiert und gedeutet werden und nicht im vermeintlichen „Ghetto“ eines eigenen und unabhängigen Museums. Die Suche nach einem geeigneten Ort für die „Jüdische Abteilung“ führte viele Jahre später – über den Umweg durch einen Erweiterungsbau des Berlin Museums und begleitet von dem Zusammenbruch der DDR – zu dem ersten neu errichteten Gebäude für ein jüdisches Museum in Deutschland. Zunächst wurde die neue jüdische Sammlung entsprechend dem dreigliedrigen Ausstellungskonzept des damaligen Direktors angelegt. Sie umfasste einen Überblick über die Lokalgeschichte der Juden in Berlin und eine Darstellung zur jüdischen Religion. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Beiträge prominenter Juden zum öffentlichen und kulturellen Leben der Stadt gelegt. Zusätzlich zu einem Spendenaufruf an ehemalige jüdische Flüchtlinge in Übersee wurde ein Aufruf veröffentlicht, in dem um die Zusendung von Dokumenten und Fotos geworben wurde. Dieser Appell schuf die Grundlage für die Familiensammlungen, die heute den größten Teil der Archivbestände des Jüdischen Museums Berlin ausmachen. Ende der 1970er Jahre initiierte die neue Leiterin Vera Bendt eine stark an den Ansätzen der Kulturanthropologie und der Alltagsgeschichte ausgerichtete Sammlung. Die Aufgabe, die sich Vera Bendt gestellt hatte, nämlich zeremo-
Eine Schabbat-Lampe aus der Sammlung von Zvi Sofer gehörte zu den bedeutendsten Ankäufen für die Jüdische Abeilung des Berlin Museums. A Shabbat lamp from the collection of Zvi Sofer was among the most important acquisitions for the Jewish department of the Berlin Museum.
ing pieces of German or Berlin origin on the market were far too expensive or sometimes forgeries. Squashed between the material interests of the Berlin Museum and the small collection budget aligned by the city administration, Bendt tried to enhance the Jewish collection with artifacts that would illustrate the existence of Jews in Berlin and their achievements for Berlin. The new Jewish wing opened in the Martin-GropiusBuilding, the pre-war museum of applied art that had survived the war. At the opening, two very spectacular collection items were presented, both of which remain to this day the highlights of the Berlin collection: a Shabbat lamp from the second half of the 18th century and a Chanukkah lamp created by the famous Berlin silversmith Georg Wilhelm Marggraff. When, after years of unending conflicts over the question of an independent Jewish museum, Michael Blumenthal took over, the collection consisted of approximately 15,000 single objects. Among them were paintings, memorial coins, military insignia, dowry items, medical instruments, pieces from porcelain services and silverware sets, cigarette cases and similar objects, photographs mostly by amateurs, postcards and birth, marriage, and death certificates, obituaries and diaries, almost all from the late 19th and early 20th century. The Judaica collection included the items in silver and other metals, textiles and books. As mentioned earlier, the discovery of the material dimension of contemporary history in presenting the social reality experienced by specific groups coincided with the creation of Jewish museums. Alltagsgeschichte in our case became popular when we decided to tell the history of Nazi rule and genocide from the perspective of its victims. This had far-reaching consequences for the collections regarding the narrative connected with the object. This narrative became a focus of interest and narratives themselves became collection items even without any visual quality.
nielle Kunstgegenstände zu finden, die das religiöse Leben der Berliner Juden illustrierten, erwies sich als äußerst schwierig: Fast nichts war übrig geblieben, und die wenigen noch erhältlichen Stücke von deutscher oder Berliner Herkunft waren unbezahlbar. Eingezwängt zwischen den materiellen Interessen des Berlin Museums und dem geringen Sammlungsetat, den die Stadtverwaltung zur Verfügung stellte, startete Bendt eine breit angelegte Suche nach Gegenständen, die das Leben der Juden in Berlin und den jüdischen Beitrag zum Berliner Leben veranschaulichen und so die jüdische Sammlung des Museums bereichern konnten. Die neue „Jüdische Abteilung“ fand ihren Platz im MartinGropius-Bau, dem ehemaligen Kunstgewerbemuseum, das den Krieg überstanden hatte. Zur Eröffnung wurden zwei spektakuläre Stücke gezeigt, die bis heute die größten Schätze der Berliner Sammlung sind: eine Schabbat-Lampe aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und ein Chanukka-Leuchter aus der Werkstatt des berühmten Berliner Silberschmieds Georg Wilhelm Marggraff. Als nach Jahren des Dauerstreits über die Frage, ob es ein eigenständiges jüdisches Museum geben sollte oder nicht, Michael Blumenthal die Leitung übernahm, bestand die Sammlung aus etwa 15.000 einzelnen Objekten. Darunter fanden sich zahlreiche Gemälde, Gedenkmünzen, Militärabzeichen, Aussteuerstücke, medizinische Instrumente, Porzellangeschirr und Silberbesteck, Fotografien (größtenteils Amateuraufnahmen), Postkarten, Geburts-, Hochzeits- und Sterbeurkunden, Nachrufe und Tagebücher, fast alles aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Judaica-Sammlung umfasste die üblichen Gegenstände aus Silber und anderen Metallen, Textilwaren und Bücher. Wie oben erwähnt, fiel die Gründung jüdischer Museen mit der Erschließung der materiellen Dimension für die Präsentation von Zeitgeschichte zusammen. In unserem Fall wurde Alltagsgeschichte wichtig, als es verstärkt darum ging, die Ereignisse der nationalsozialistischen Herrschaft und des Völkermords aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Dies hatte weitreichende Konsequenzen für die Sammlungen, sowohl in Bezug auf die Auswahl der Objekte als auch auf ihre Deutung und Bedeutung in unseren Ausstellungen. Das Hauptinteresse richtete sich nun eher auf die Geschichte, die das Objekt umgab, als auf seine visuelle Qualität. Doch wie viele Pässe, Passierscheine, Affidavits oder Familienfotos kann ein Museum aufbewahren? Es stellen sich neue Fragen
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But how many passports, laissez passers, affidavits or family photographs can a museum retain? Different questions must be asked when it comes to the historical collection: How do we want to deal with the variety of objects that were owned by Jews, produced by Jews, sold and bought by Jews? How to define a “Jewish object” is irrevocably related to the question of how we define our museums today and in the future. As contemporaries, it is difficult to demarcate the boundary between the relevant and the unimportant even when we do take a radical subjective approach. A former colleague at the Frankfurt History Museum, an institution that mainly collects donations, proposes a simple and convincing procedure: he keeps what he receives for five years without inventorying the objects and exerting professional maintenance. If after this period of time the objects seem to be relevant, they are professionally included in the collection. Each generation has the right and the opportunity to define its passion and enthusiasm in history and to adapt these interests to a specific collection profile. The starting point for such a venture does not appear out of thin air: Curators are embedded in the theoretical framework of academic scholarship regarding museum issues. But interests and concerns are also time-specific and provide answers for the burning issues of our day. Beyond the historical reconstruction and interpretation of the history of German Jews and Jews in Germany, the Jewish Museum Berlin asks questions about the relationship between Germany and its minorities and how German society will deal with the fact that it is slowly becoming a multicultural and diverse society, a rather new experience for this country. On the other hand, a new Jewish congregation exists in Germany, which is an important focus of our collection efforts: the comparatively small group of descendants of German Jews, the offspring of displaced persons from Eastern Europe and the very large group of Jews who have immigrated from the former Soviet Union since 1989. Their experiences among themselves and within German society are a new focus for the collection profile of the Jewish Museum Berlin. Cilly Kugelmann is an educationist and the program- and vice-director of the Jewish Museum Berlin. She is co-publisher of the magazine “Babylon. Beiträge zur Jüdischen Gegenwart.”
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bezüglich der historischen Sammlung. Wie gehen wir mit der enormen Vielfalt an Objekten um, die Juden gehörten, von Juden erzeugt, verkauft oder gekauft wurden? Die Frage, wie wir einen „jüdischen Gegenstand“ definieren, ist unweigerlich gekoppelt an die Frage, wie wir heute und zukünftig unsere Museen definieren. Für uns als Zeitgenossen ist es schwierig, die Grenze zwischen dem Relevanten und dem Unwichtigen zu ziehen, selbst wenn wir dabei radikal subjektive Einschätzungen zulassen. Ein ehemaliger Kollege vom Historischen Museum Frankfurt schlägt ein so einfaches wie überzeugendes Verfahren vor: Man lagert jedes Stück erst einmal fünf Jahre lang ein. Wenn die Gegenstände nach Ablauf dieser Zeitspanne noch relevant erscheinen, werden sie nach allen Regeln der Kunst in die Sammlung aufgenommen. Jede Generation hat das Recht und die Chance, ihre eigene Leidenschaft und Begeisterung für Geschichte zu bestimmen und in Gestalt eines speziellen Sammlungsprofils umzusetzen. Der Ausgangspunkt einer solchen Unternehmung ist jedoch nicht willkürlich: Die Entscheidungen der Kuratoren gründen auf akademischen Theorien und sind dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu Museumsthemen verpflichtet. Zugleich aber sind Interessen und Anliegen auch zeitspezifisch und bilden Antworten auf aktuelle Fragen: So befasst sich das Jüdische Museum Berlin nicht nur mit der Rekonstruktion und Interpretation der Geschichte der deutschen Juden und der Juden in Deutschland, sondern hinterfragt auch das Verhältnis Deutschlands zu seinen Minderheiten. Dazu gehört heute auch die Frage, wie Deutschland mit der Tatsache umgeht, dass es sich allmählich in eine multikulturelle und vielfältige Gesellschaft verwandelt. Auf der anderen Seite existiert heute in Deutschland eine neue jüdische Gemeinde, die ein wichtiger Anlaufpunkt für unsere sammlerischen Bemühungen ist: die kleine Gruppe der Nachkommen deutscher Juden, die Kinder von Displaced Persons aus Osteuropa und die sehr große Gruppe der seit 1989 aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Juden. Ihre Erfahrungen untereinander und innerhalb der deutschen Gesellschaft sind ein neuer, wichtiger Bezugspunkt für das Sammlungsprofil des Jüdischen Museums Berlin. Cilly Kugelmann ist Erziehungswissenschaftlerin sowie Programmleiterin und stellvertretende Direktorin des Jüdischen Museums Berlin. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift Babylon. Beiträge zur Jüdischen Gegenwart.
Between Germany’s Past and Future: the Relevance of the Jewish Reference Zwischen Deutschlands Vergangenheit und Zukunft: die Relevanz der jüdischen Referenz Diana Pinto
Die europäischen Gesellschaften im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen stehen in den nächsten Jahren vor der Aufgabe, ihre wachsenden Minderheiten in ein neu definiertes Gefühl von nationaler Zugehörigkeit einzubinden. Kann das jüdische Beispiel dabei von Nutzen sein? Ich glaube ja. Das heißt nicht, dass Juden irgendwelche „Lektionen“ zu erteilen hätten an andere Minderheiten, die ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen zu Recht als sehr verschieden von der jüdischen betrachten. Sondern eher, dass die Fragen, mit denen sich Juden in ihrer jeweiligen nationalen Umgebung auseinandersetzen mussten, eine hilfreiche Referenz bieten können – nicht nur für andere minoritäre Gruppen, sondern ebenso für die Entscheidungsträger in den einzelnen Staaten, die sich auf zunehmend vielfältige Bevölkerungen einstellen müssen. Ich verwende bewusst den Begriff „nationale Zugehörigkeit“. Jeder Bezug auf eine europäische oder auch eine europäisch-jüdische Identität ist entweder passé oder, wenn man ein unglaublicher Europa-Optimist sein will, verfrüht. Europa erlebt derzeit nicht nur eine tiefe Wirtschaftskrise, sondern – vielleicht noch bedeutsamer – ein umfassendes institutionelles Debakel. Worauf dies auch immer hinausläuft, es wird die nationale Ebene sein, auf der sinnstiftende politische und kulturelle Werte wiederaufzubauen sind, die nationale Ebene, auf der Minderheiten integriert werden müssen, und die nationale Ebene, auf der die jüdische Referenz den meisten Nutzen bringen und die meiste Überzeugungskraft entfalten kann: indem sie zeigt, dass eine volle Zugehörigkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung einer besonderen religiösen und kulturellen Identität möglich ist. Nirgendwo wird dies augenfälliger als im deutschen Kontext. Anders als Frankreich, das vor dem Konzept Minderheiten generell zurückscheut, dabei aber mit den sehr realen Problemen seiner bedeutenden arabischen und schwarzen Bevölkerungsanteile konfrontiert ist, und anders als Großbritannien, das sich nach und nach von seiner offiziell multikulturellen Politik der jüngeren Vergangenheit verabschiedet, hat Nachkriegsdeutschland mit seinem erst vor knapp einem Jahrzehnt aufpolierten Staatsbürgerschaftsrecht den Vorteil, dass es in Sachen des Umgangs mit seinen Minderheiten vergleichsweise als tabula rasa erscheint. Nun, da die Jahre des Nationalsozialismus und des Holocaust allmählich in den Hintergrund rücken, sollte das Land ohne Scheu auf seine Geschichte vor dem Nationalsozialismus zurückgreifen, wenn es über Wege für die eigene Zukunft debattiert. In dieser Hinsicht ist die jüdische Referenz besonders relevant, denn sie hat zwei, ich würde sogar sagen drei Gesichter: Die polnischen „Ostjuden“ als Identitätschiffre überschritten in ihrer Wirkung den Abgrund des Holocaust und fungieren zugleich als Brücke und als Anlass zur Polarisierung zwischen den assimilierten
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European societies in general and Germany in particular must confront in the years ahead the integration of their growing minorities into a newly defined sense of national belonging. Can the Jewish reference be useful on this count? I think so. This does not mean that Jews have “lessons” to give to other minorities, who may justifiably feel that their own histories and experiences are quite different. Rather that the questions Jews have had to address in their respective national settings can offer useful references not just to other minority groups but to their own national elites as they confront increasingly diverse populations. I use the term “national belonging” deliberately. Any reference to a European or a European Jewish identity has become either passé or, if one wishes to be an incredible optimist on the European front, premature. Europe is currently undergoing not just a deep economic crisis but perhaps even more importantly a profound institutional debacle. Whatever the outcome, it is at the national level that meaningful political and cultural values will have to be rebuilt, at the national level that minorities will have to be integrated and at the national level that the Jewish reference will be the most useful and the most powerful in transmitting the validity of full-fledged belonging while retaining a specific religious and cultural identity. Nowhere is this truer than in the German context. Unlike France which abhors the very notion of minorities while having to confront the very real problems that surround its important Arab and Black populations, unlike the UK that is slowly retreating from the official multicultural policies of the past, postwar Germany, whose revamped citizenship legislation is barely a decade old, has the benefit of a relative tabula rasa with respect to its handling of the minorities in its midst. Now that the centrality of the Nazi years and of the Holocaust is receding, the country should feel free to dip into its pre-Nazi pasts while engaging on new paths for its own future. On this count the Jewish reference in Germany is particularly pertinent because it is double-headed… I would venture to even say, triple-headed: the Polish Ostjuden as an identity icon in effect crossed the Holocaust divide acting as a bridge but also
deutsch-jüdischen Bevölkerungsschichten der Vergangenheit und den neuen jüdischen Einwanderern aus der vormaligen UdSSR. Nun verschmelzen die drei Stränge allmählich, und ich glaube, in einigen Jahren wird es tatsächlich möglich sein, von einem erneuerten deutschen Judentum zu sprechen, begründet in einer nationalen liturgischen und kulturellen Tradition. Ein solches Judentum wird zweifellos sehr anders sein als das deutsche Judentum vor dem Holocaust – doch dasselbe gilt für die Mehrzahl der Deutschen im Hinblick auf ihre Vorfahren vor dem Krieg. Vor allem aber wird es sich von den „Juden in Deutschland“ der Nachkriegsjahre unterscheiden, die sprichwörtlich auf gepackten Koffern saßen. Dass die jüdische Referenz für Deutschlands neue Minderheiten interessant sein kann, liegt gerade in diesen sehr verschiedenen Prä-Holocaust- und Post-HolocaustKapiteln, die man heute eher als ein zusammenhängendes Ganzes betrachten sollte denn als eine Abfolge unüberbrückbarer Brüche in der geschichtlichen Logik: Die heutigen Einwanderer knüpfen an eine viel ältere Tradition an. Das heißt natürlich nicht, dass die deutschjüdische Geschichte direkt vergleichbar wäre etwa mit der deutsch-türkischen. Beide Gemeinschaften nehmen in Deutschland heute nicht denselben Raum ein, weder symbolisch noch ökonomisch, weder gesellschaftlich noch im Bildungsgefüge. Doch die Relevanz besteht trotz dieser Unterschiede. Was mich hier interessiert, sind die Bereiche, in denen Juden sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart mit der nationalen Identität Deutschlands interagiert haben, und zwar insbesondere folgende Aspekte: die Macht von Sprache und Literatur, die anthropologischen Eigenheiten einer jeden Kultur, die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Staatsbürgerschaft sowie die bleibenden Verbindlichkeiten der Diaspora. Auf die Sprache kommt es an. Sie bedingt gedankliche Kategorien, gibt Ideen und Gefühlen einen spezifischen Rahmen und führt Immigranten, selbst wenn sie sich der Integration widersetzen, in die größere nationale Gemeinschaft ein. In der Tat haben Einwanderer die Sprache des Gastgeberlands schon immer bereichert, sowohl die Umgangssprache als auch die erhabeneren Register der Dichtkunst. Und andererseits hebt ihre neue Sprache die Immigranten von ihresgleichen in anderen Ländern ab – dafür sind die Türken in Deutschland ein gutes Beispiel, aber auch die „Ostjuden“ nach dem Krieg in Frankreich oder Amerika. Als die deutschen Eliten vor knapp einem Jahrzehnt die kontroverse Debatte um „Leitkultur“ und um die Notwendigkeit von Deutschkenntnissen für Zuwanderer führten, schlug ich bei einem der vielen von der Bertelsmann-Stiftung ausgerichteten deutsch-jüdischen Dialoge vor, Politiker in Deutschland sollten die Leidenschaft der Juden für die
as a source of polarization between the old assimilated German Jewries of the past and the new former Soviet Jewish immigrants of the present. These three strains are now slowly melding and in the years to come, I believe that it will once again be possible to speak of a renewed German Jewry, rooted in a national liturgical and cultural tradition. Such a Jewry will be obviously different from that of the pre-Holocaust past—but then so are the majority of Germans with respect to their own prewar ancestors. Above all, it will be very different from the postwar “Jews in Germany” who proverbially sat on their closed suitcases. The interest the Jewish reference can have for Germany’s new minorities is to be found in these very different pre and post Holocaust chapters, which should now be perceived as a pertinent whole rather than as a series of unbridgeable historical non sequiturs: The immigrants are now settling into a far older tradition. This of course does not mean that the Jewish story is comparable with the Turkish one. The two communities do not occupy the same symbolic, economic, educational and social space in Germany today. But despite these differences, the relevance remains. What interests me here is to explore the realms in which Jews interacted both in the past and in the present with Germany’s national identity in the following domains: the power of language and literature, the anthropological givens of culture, the importance of rule of law and citizenship, and the ongoing weight of diasporic commitments. Language matters. It conditions mental categories, casts ideas and feelings in a very specific context, and brings immigrants, even when they are recalcitrant to integrate, into the wider national community. Indeed immigrants have always enriched the host language both in its colloquial versions and in the loftier realm of poetry. And in turn their new language set them apart from their peers in other countries (for instance Turks but also postwar Ostjuden, Jews in France or America). When German elites engaged nearly a decade ago in the controversial debate over Leitkultur and the need for immigrants to learn German, I had suggested during one of the many German-Jewish dialogues sponsored by the Bertelsmann Stiftung, that Germany’s leaders
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deutsche Sprache aus der Zeit vor dem Holocaust und ihre Auswahl an kulturellen Leitbildern als AriadneFäden für eine Rückbesinnung auf die beste und durch größte Offenheit gekennzeichnete deutsche Vergangenheit nutzen. Meine Anregung stieß auf fassungsloses, peinliches Schweigen. Ich konnte mir gut vorstellen, was sich in dem Moment in den Köpfen der deutschen Politiker abspielte: „Wir können doch nicht die ‚heilige‘ jüdische Referenz aus der Vergangenheit als Richtschnur für die Zukunft verwenden ... da würde man uns doch vorwerfen, nach all der Zerstörung noch die Chuzpe zu haben, unsere Opfer als Musterbeispiel hinzustellen; zudem sind doch die Juden so besonders und außergewöhnlich ...“ Ich würde sagen, es könnte gerade die Aufgabe einer Einrichtung wie des Jüdischen Museums Berlin sein, den neuen Einwanderern eine jüdische Landkarte der kulturellen Vergangenheit Deutschlands anzubieten. Ich würde dabei sogar Gerschom Scholems berühmte polemische Bemerkung als Aufhänger nehmen, die deutsch-jüdische Symbiose habe es nie gegeben, außer in den Köpfen deutsch-jüdischer Intellektueller, die nur miteinander Umgang pflegten, nicht aber mit den „Teutonen“ in den deutschen Kulturräumen. Dieses Thema ist zwar heute nicht mehr relevant, doch bedeutsam bleibt die Liste der Autoren, Musiker, Künstler und Denker, für die jene kultivierten Juden und ihre Meinungsführer sich begeisterten. Die Chancen stehen gut, dass Einwanderer gleich welcher Herkunft dieser Liste zustimmen würden, denn sie enthält das Beste und das am wenigsten Ethnozentrische der deutschen Kultur. Hinzu kommt, dass es heute zum Beispiel eine wachsende Zahl deutsch-türkischer Autorinnen und Autoren gibt, die in makellosem Deutsch schreiben, sogar in einem charakteristisch deutschen Bezugsrahmen argumentieren, und sich dabei dennoch türkische Gedanken im Kafkaschen Sinn bewahren. Der zweite Bereich ist das, was ich anthropologische Kultur nenne: all die nichtsprachlichen Zeichen, die eine gemeinsame nationale Zugehörigkeit ausdrücken, sei es der Abstand, den Menschen zueinander einhalten, seien es die Gesten, mit denen sie ihre Worte untermalen, die Art, vor einem Geschäft oder an einer Bushaltestelle Schlange zu stehen, die Straße zu überqueren usw. Eine der interessantesten Entdeckungen an den Runden Tischen, die ich im Rahmen der res publica-Veranstaltungen in sechs europäischen Ländern organisierte, war, wie „schwedisch“, „französisch“, „britisch“ und „deutsch“ (in der Körpersprache, aber ebenso in den gedanklichen Kategorien) die neue Generation der gemeinhin „muslimisch“ genannten Immigranten geworden war – und zwar schlicht dadurch, dass sie in den jeweiligen Ländern lebte. Man kann argumentieren, die nationalsozialistische Obsession mit den Rassenunterschieden sei gerade aus der Angst geboren,
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could use the pre-Holocaust Jewish passion for the German language and their choice of cultural icons as useful Ariadne threads into the very best and most open German past. My suggestion was met with a stunned and embarrassed silence. I could very well imagine what went on at the time in the minds of the German political elites: “We cannot possibly use the ‘hallowed’ Jewish reference of the past as a guide for the future… for we would be accused of destroying first and then having the chutzpah of using our victims as models, besides Jews are so special and so exceptional…” I would argue that it could be precisely the task of an institution such as the Jewish Museum Berlin to offer to the country’s new immigrants a Jewish map into the German cultural past. And I would even use as a starting point Gershon Scholem’s well known provocative barb that the German-Jewish symbiosis never existed except in the minds of elite German Jews who were only interacting with each other, not with “Teutons” inside Germany’s cultural spaces. That issue is no longer relevant today, but what remains pertinent is the list of authors, musicians, artists, and intellectuals that impassioned those cultivated Jews and their avant-gardes. There is a good chance that immigrants of all backgrounds would relate to the same roster because it stood for the very best, and the least ethnocentric, of German culture. Besides, there is now a growing number of German-Turkish authors who write in the most impeccable German, and even using purely German references to make their points, while retaining Turkish “thoughts” à la Kafka. The second realm is what I would call “anthropological culture”: all those non-verbal signs which indicate a shared national belonging whether it be the distances people keep between each other, the gestures which accompany their speech, the way they queue in front of a store or a bus, how they cross streets, etc. One of the most interesting discoveries of the res publica round tables which I organized in six different European countries, was just how “Swedish,” “French,” “British,” and “German” (in body language but also in mental categories) the new generation of generically called “Muslim” immigrants had become by the simple fact of having lived in their respective countries. One can argue that the Nazi obsession with racial differences stemmed precisely
Während der Führung „Was ich glaube, was ich esse“ in der Ausstellung „Koscher & Co.“, 2010 During the tour “What I Believe in, What I Eat“, in the special exhibition “Kosher & Co.”, 2010
Im Rahmen des „on.tour“Programms beschäftigen sich Schülerinnern mit dem Lebenslauf von Ekaterina Kaufmann, die als russische Jüdin nach Berlin kam. Students taking part in the “on.tour”-program present what they found out about Ekaterina Kaufmann, who came to Germany as a Russian-Jewish emigrant.
dass deutsche Juden sich nicht mehr von ihren nichtjüdischen Mitbürgern unterscheiden ließen – was ja dadurch bestätigt wurde, dass sie, wenn sie in die neue palästinisch-israelische Heimat auswanderten, dort „Jeckes“ waren. Auch zu diesem Thema könnte das Jüdische Museum innovative Exponate entwickeln (etwa indem es sowjetische Juden in Deutschland, Israel und Amerika gegenüberstellen würde) und damit zeigen, dass Immigranten sich ihre neue kulturelle Umgebung viel stärker zu eigen machen, als sie selbst glauben. Die dritte Komponente ist die wichtigste für ein künftiges Zugehörigkeitsgefühl. Hier geht es um die Rechtsstaatlichkeit. Wenn es ein Ideal gab, für welches das alte deutsche Judentum ohne Wenn und Aber stand, so war es der Glaube an die Fairness des Rechtssystems. Das jüdische Engagement für den Rechtsstaat überlebte gleichermaßen als Grundlage für die nationale Loyalität jüdischer Bürger wie auch als Forschungsfeld deutsch-jüdischer Intellektueller den nationalsozialistischen Zivilisationsbruch und befruchtete sowohl das politische Denken in Nordamerika als auch das Rechtswesen des aufstrebenden israelischen Staates. Im Rahmen meines eigenen res publica-Projekts stellte ich erstaunt fest, dass eine ähnliche Verehrung des Rechtsstaats in der neuen Generation muslimischer Einwanderer überall in Europa verbreitet ist. Auch wenn die Immigranten vielfach eine unfaire, kulturell einseitige Ausrichtung von Institutionen beklagten, hielten sie große Stücke auf den Rechtsstaat als ein Ideal der Neutralität. Diese Parallelen könnten der Hervorhebung wert sein, oder zumindest sollte die jüdische philosophische Geschichte erläutert werden, trotz ihrer Zerstörung durch den Nationalsozialismus, denn mit neuen Inhalten und in neuen Kontexten lebte sie auch im Westdeutschland der Nachkriegszeit wieder auf. Dies setzt jedoch eine neue Sicht nicht nur auf die jüdische Vergangenheit in Deutschland voraus, sondern auf alle jüdischen Gemeinschaften in Europa vor dem Holocaust. Man muss betonen, wie jüdisch sie in ihrem tiefsten Identitätsempfinden blieben, selbst wenn sie ihr Judentum in universelle Prinzipien einbetteten. Es gilt allmählich das alte zionistische Stereotyp zu überwinden, laut dem die
from their fear of the fact that German Jews were becoming indistinguishable from their non-Jewish fellow citizens as proven by the fact that they became “Jeckes” in their new Palestinian/ Israeli homeland. Here again the Jewish Museum Berlin could run innovative exhibits on this theme (for instance comparing Soviet Jews in Germany with their Israeli and American equivalents) as a way of showing that immigrants take on their new cultural givens much more frequently than they believe. The third component is the most important for any successful future belonging. It is linked to the rule of law. If there was one ideal which the old German Jewry incarnated to the hilt, it was a total belief in the fairness of the rule of law. The Jewish commitment to the Rechtsstaat both as a source of national allegiance for Jewish citizens and as a field of intellectual research for leading German-Jewish intellectuals survived the Nazi barbarity and fertilized both American political thought as well as the judicial apparatus of the burgeoning Israeli State. Concerning my own res publica project, I was also struck to see that a similar veneration for the rule of law could be found in today’s new generation of Muslim immigrants across Europe. Immigrants might question the unfair culturally laden nature of many institutions, but they cherished the rule of law as a neutral ideal. The comparisons might be worth underscoring, or at least the Jewish philosophical story worth explaining, despite the Nazi destruction, since it resurrected in albeit different contents and contexts, also in postwar West Germany. This does imply however, a new perspective not only on the old German Jewry but on all European pre-Holocaust Jewries. One needs to stress just how Jewish they remained in terms of their deepest identity commitments, even when they couched
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Anglo-Jewry, die französischen israélites und die deutschen Juden töricht „assimiliert“ waren und (im Fall der beiden letzteren) ihren Vordenkern unterwürfig in die Gaskammern folgten. Eine selbstbewusste Neudefinition ihres aufrecht erhaltenen Judentums wäre sehr hilfreich dabei, anderen Minderheiten, die heute danach streben, sich ihre religiösen und kulturellen Eigenarten zu bewahren, ein Modell der vollwertigen Integration anzubieten. Diese alte deutsch-jüdische Errungenschaft kleinzureden würde hingegen einen bleibenden Sieg der Nationalsozialisten bedeuten. Stattdessen sollten die damaligen deutsch-jüdischen Ideale wieder in den Vordergrund gestellt werden, denn die Verbindung von Kultur, Rechtsstaatlichkeit, universellen Werten und Engagement für die jüdische Tradition und jüdische „Wurzeln“ kann beispielhaft zeigen, wie eine Minderheit ein nationales „Wir“ entwickelte, ohne ihre innere Identität einzubüßen. Und nicht zuletzt weist das jüdische Modell der Diaspora – auch wenn Israel ein seltsames „Mutterland“ ist, viel jünger als seine Diaspora – ganz offensichtliche Übereinstimmungen mit heutigen Migrationsmodellen auf. Ebenso übrigens die Tatsache, dass die religiösen Bedürfnisse der Juden in Deutschland in der Zeit vor dem Holocaust stets von deutsch gebildeten Rabbinern und Gemeindeaktivisten bedient wurden. Wichtiger noch: Auch heute sind es wieder zunehmend deutschsprachige Einheimische und nicht mehr so oft „Importe“, die diese Funktionen ausüben – ein wertvoller Anhaltspunkt für künftiges muslimisches Religionsleben. Die Tatsache, dass die Juden in Europa seit der Emanzipation zweigleisig gelebt haben, im nationalen und im jüdischen Kontext, dass sie zwischen diesen Entwürfen hin und her wechselten und dass sich dem heute noch die fortwährende Präsenz im Global Village hinzufügt, sollte ebenfalls hervorgehoben werden. Das Jüdisches Museum Berlin kann ein kreatives Spiel mit all diesen linguistischen, kulturellen und intellektuellen Aspekten anbieten, indem es die deutsch-jüdische Vergangenheit mit der neuen jüdischen Gegenwart in einer Weise verknüpft, die betont, wie Juden innovative Lösungen für immer wiederkehrende Herausforderungen fanden. Die lange Geschichte der Juden in Deutschland sollte als ein Spiegel aufgefasst werden, in dem sich andere Minderheiten betrachten können, jedoch ohne jeden normativen Druck, ohne jede Verpflichtung. Dann ist es Sache der „Anderen“ selbst – der alten wie der neuen Deutschen –, zu entscheiden, ob sie die Referenzen übernehmen, nutzen oder ablehnen. Das Ergebnis wird höchst bereichernd für alle Seiten sein, auch für die Juden. Dr. Diana Pinto, Historikerin und Publizistin, schrieb in den letzten zwanzig Jahren insbesondere über Juden in Europa im Kontext des spezifisch europäischen demokratischen Pluralismus. Sie ist Gründungsmitglied des European Council of Foreign Relations und lebt in Paris.
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their Jewishness in terms of universal principles. The time has come to overcome the old Zionist stereotypes of Anglo-Jewry, French israélites, and their German equivalents as foolishly “assimilated” and (for the latter two) meekly following their leaders to the gas chambers. A robust redefinition of their ongoing Jewishness would be most useful in proposing a version of fullfledged integration to other minorities who seek to keep their religious and cultural specificity. To belittle this old GermanJewish heritage would constitute an ongoing Nazi victory. Its ideals should instead be brought once again to the fore, for the combination of culture, rule of law, universal values, and commitment to Jewish sources, and to Jewish “roots” can offer an important example of how one minority conjugated a national “we” without losing its deepest identity. Finally, the Jewish diasporic model, even if Israel is a strange “mother country” far younger than its Diaspora, obviously fits current migratory models. But so does the fact that Jewish religious needs in Germany were always met in the pre-Holocaust past by German-educated rabbis and community activists. More to the point, they are also increasingly met nowadays by Germanspeaking natives, and no longer by “imports”—a precious reference for future Muslim religious life. The fact that Jews in Europe since emancipation lived multiple lives, in the national and in the Jewish context, passing from one mode to the other, to which one now can add an ongoing presence in the global village, also needs to be underscored. The Jewish Museum Berlin can play creatively with all of these linguistic, cultural and intellectual themes by fusing the old German-Jewish past with the new Jewish present in ways that underscore how Jews found innovative solutions to ever recurrent challenges. The long Jewish presence in Germany should be set up as a mirror in which other minorities can contemplate themselves but without any normative pressure or obligation. It will then be up to the “others”—old and new Germans alike—to pick and choose, use or refute the references given. The outcome will be immensely enriching for all sides, Jews included. Dr. Diana Pinto is a writer and historian based in Paris. For the last two decades she has written extensively on Jews across Europe in the context of Europe’s own democratic pluralism. She is a founding member of the European Council of Foreign Relations.
Angela Merkel – ein Porträt Angela Merkel—a Portrait
Margaret Heckel
The chancellor came as a reader. Seventy young people from Germany, Poland, the Czech Republic and Austria were waiting in the Jewish Museum’s Glass Courtyard to present Angela Merkel with the newspaper they had researched over the past nine months. As part of the youth project step21, 15 teams of school students had been travelling throughout Central and Eastern Europe to report on “Weiße Flecken”—or “blank spots”—in history. They described events that occurred during the Nazi regime in their respective countries and that had not been written about at the time, compiling them into 36 pages. Merkel was duly impressed when presented with the reading material: “step21 develops compelling projects to encourage young people to stand against injustice, discrimination, and violence—and to stand up for truth.” This appointment was part of a tight schedule of events for the chancellor in the commemorative year of 2009, which celebrated the fall of the Berlin Wall, the constitution’s passage, and the EU’s expansion to the East. And yet this particular evening was uniquely special, as three things came together that hold great importance for Merkel: the social commitment the young authors demonstrated in their project; the fact that it was young people who had tracked down this information; and that through their work the memory of the Holocaust remains alive and is enhanced by previously unknown facets. The significance that Merkel attaches to these aspects of social commitment was also clear during her most recent trip to Israel. There was no question that she would meet with the organization “Action Reconciliation Service for Peace” before being awarded an honorary doctorate from Tel Aviv University on 1 February of this year. In her speech after receiving the honorary title, she mentioned her visit with those involved in ARSP: “The young people’s stories today were very moving. Human encounters create strong and resilient relationships.” Chancellor Merkel continued that 9,000 young people took part in the exchange in 2010, visiting each other’s respective countries, and that such cultural exchange programs will be further intensified through the German-Israeli Future Forum. Merkel also understands the value of programs like these through personal experience, having backpacked through the Caucasus and other Eastern European countries as a student. She has a pronounced civic sense, due only in part to the fact that she grew up as
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Die Kanzlerin kam als Leserin. Siebzig Jugendliche aus Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich warteten im Glashof des Jüdischen Museums, um Angela Merkel die Zeitung zu präsentieren, für die sie in den vergangenen neun Monaten gemeinsam recherchiert hatten. Im Auftrag der Jugendinitiative step21 waren 15 Schülerteams quer durch Mittel- und Osteuropa gereist, um über „Weiße Flecken“ zu berichten. Auf 36 Seiten hatten sie zusammengetragen, was zur Zeit des Nationalsozialismus in ihren Heimatregionen geschah und worüber nicht geschrieben wurde. Diesen Lesestoff übergaben sie nun der Bundeskanzlerin. Merkel war beeindruckt: „Mit spannenden Projekten regt step21 junge Menschen an, gegen Unrecht, Diskriminierung und Gewalt aufzustehen – und für Wahrheit einzustehen.“ Der Termin am 30. Juni 2009 reihte sich für die Bundeskanzlerin ein in eine dichte Folge von Veranstaltungen im Jubiläumsjahr 2009, als die Jahrestage des Falls der Mauer, der Verabschiedung des Grundgesetzes und der EU-Osterweiterung gefeiert wurden. Und doch war gerade dieser Abend ganz speziell. Denn für Merkel kamen drei Dinge zusammen, die ihr ganz besonders wichtig sind: Da ist zum einen das Engagement für die Gesellschaft, das die Autoren mit ihrem Projekt gezeigt haben. Zum anderen, dass es Jugendliche waren, die sich auf diese Spurensuche begeben haben. Und zum dritten, dass mit ihrer Arbeit auch die Erinnerung an den Holocaust lebendig bleibt und durch neue, bislang eventuell unbekannte Facetten erweitert wird. Dass Merkel diesen Aspekten sozialen Engagements große Bedeutung beimisst, zeigte sich auch während ihrer jüngsten Israel-Reise: So war es keine Frage, dass sie einen Termin bei der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ einplante, bevor sie am ersten Februar dieses Jahres die Ehrendoktorwürde von der Universität Tel Aviv erhielt. „Die Erzählungen der jungen Menschen heute waren sehr bewegend“, griff sie in ihrer Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde den Besuch bei den Jugendlichen auf, „durch menschliche Begegnungen entstehen starke und belastbare Beziehungen.“ 9.000 Jugendliche hätten im Jahr 2010 das jeweils andere Land besucht, so die Kanzlerin. Diese Austauschprogramme sollten mit dem deutsch-israelischen Zukunftsforum noch einmal intensiviert werden, kündigte Merkel an. Die Kanzlerin weiß auch privat um den Wert derartiger Programme. Als Jugendliche ist sie selbst mit dem Rucksack
the daughter of a Protestant minister. Her family lived in the park-like Waldhof near Templin, in the Uckermark region. The church-run Stephanus Foundation was also located on these spacious grounds, an organization that cared for more than 200 mentally disabled people. From an early age, the young Angela and her siblings were in close contact with individuals very different than themselves, with whom they coexisted quite naturally. In this way, Angela Merkel experienced a living example of caring for others in her parent’s home. This may also be why it is so fitting that she has now been awarded her very first honorary doctorate by the Hebrew University in Jerusalem, addressing the importance of social commitment in her acceptance speech. As the chancellor came from Yad Vashem on the morning of 1 April 2007, her car stopped in front of the main entrance of the Hebrew University on Mount Scopus. Moments before, she had written in the memorial’s guest book that “Humanity grows from the responsibility for the past.” It was a warm, almost summery day and the chancellor was somewhat excited—not only because this was to be her first honorary doctorate, but also because it was such a special occasion. When she expressed her thanks afterwards, she got straight to the point. She said she not only regarded the award as a great honor but as a commitment. This was why she wanted to make two promises: “to always be committed to the goal that racism, xenophobia, and anti-Semitism never again have a chance in Germany and Europe,” and “to stand for Israel’s right to exist and for our common values and principles of democracy and the rule of law—which is and remains an unwavering part of German foreign policy today and in the future.” These words in and of themselves may not seem anything special coming from a German politician—just more of the same politically correct rhetoric. However, Merkel actually means what she says. As a long-time ally observed, this might be due to the fact that she spent the first 35 years of her life in the German country whose reasons of state did not include the Transatlantic Alliance, a social market economy, or a reconciliation with Israel. Angela Merkel intellectually embraced all three themes on a voluntary basis. She explored each, immersed herself in the literature, and discussed them with others in a way that was more covert than open. Only a very few West German politi-
umhergereist, durch den Kaukasus und andere osteuropäische Länder. Nicht nur durch ihr Aufwachsen in einem protestantischen Pfarrhaus hat sie eine ausgeprägte soziale Ader. Ihre Familie lebte auf dem Waldhof bei Templin in der Uckermark. Auf dem weitläufigen, parkähnlichen Gelände befand sich auch die kirchliche Stephanus-Stiftung, die über 200 geistig behinderte Menschen betreute, und die heranwachsende Angela und ihre Geschwister hatten von klein auf intensiven Kontakt mit Menschen, die ganz anders waren als sie selbst – und bewegten sich vollkommen normal unter ihnen. So wurde Engagement für die Mitmenschen im Elternhaus von Angela Merkel täglich vorgelebt. Vielleicht ist es deshalb ganz passend, dass sie ihre erste Ehrendoktorwürde von der Hebräischen Universität in Jerusalem bekommt und in ihrer anschließenden Rede gerade die Bedeutung von sozialem Engagement anspricht: Die Kanzlerin kommt aus Yad Vashem, als ihr Wagen am Morgen des 1. April 2007 vor dem Haupteingang der Hebräischen Universität auf Mount Scopus hält. „Menschlichkeit wächst aus der Verantwortung für die Vergangenheit“, hat sie zuvor ins Gästebuch der Gedenkstätte geschrieben. Es ist ein warmer, fast schon sommerlicher Tag. Die Kanzlerin ist ein wenig aufgeregt. Nicht nur, weil es ihre erste Ehrendoktorwürde ist, sondern eben auch, weil es sich um einen so besonderen Anlass handelt. Als sie sich schließlich bedankt, kommt sie sofort zur Sache. Sie empfinde diese Auszeichnung nicht nur als eine große Ehre, sondern auch als Verpflichtung. Zwei Versprechen wolle sie deshalb abgeben – „immer dem Ziel verpflichtet zu sein, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland und Europa nie wieder eine Chance bekommen dürfen“ und „dass es heute und in Zukunft eine Konstante deutscher Außenpolitik ist und bleibt, für das Existenzrecht Israels und für unsere gemeinsamen Werte und Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.“ Nun sind diese Sätze in sich nichts Besonderes aus dem Mund eines deutschen Politikers, sondern relativ übliche BekenntnisRhetorik. Merkel aber meint, was sie sagt. Wie ein langjähriger Wegbegleiter analysiert, hat das möglicherweise auch damit zu tun, dass sie die ersten 35 Jahre ihres Lebens in dem deutschen Staat zugebracht hat, für den weder das transatlantische Bündnis
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Angela Merkel und W. Michael Blumenthal besichtigen die Sonderausstellung „Heimat und Exil“, 2006. Angela Merkel and W. Michael Blumenthal take a tour of the special exhibition “Home and Exile,” 2006.
cians can claim an involvement as profound as this, in that all three themes were part and parcel of a West German tradition, which was often more ritualized than it was reflected upon. This is why we can take Merkel literally when she described her relationship to Israel in her historical speech to the Knesset on 18 March 2008: “Yes, this is a special and unique relationship—with an enduring responsibility for the past, with shared values, mutual trust, with a high degree of solidarity for one another, and with a common sense of optimism. In this spirit, Germany will never abandon Israel, but will remain a faithful partner and friend.” The fact that she began and ended her speech in Hebrew was not a mere gesture, but came from the heart: “I thank you for the honor of being permitted to speak here today,” said the chancellor as she began. She ended her speech congratulating the country on its sixty-year existence. Though the cerebral chancellor isn’t normally prone to pathos, she was quite aware of the special nature of this invitation, as she was the first German head of state to speak before the Knesset. Her statement on the defense of Israel’s safety was clear and unequivocal: “This historical responsibility is a part of my country’s reason of state. This means to me as the German chancellor, that this security is nonnegotiable.” Merkel behaves accordingly at home as well, as demonstrated through her prompt interventions following remarks made by former CDU representative Martin Hohmann, Holocaust denier Williamson, and more recently during the Sarrazin debate. So there’s no doubt she will be available as a reader once again when the next group of young Holocaust researchers invites her to the Jewish Museum. Margaret Heckel is the author of the bestseller “So regiert die Kanzlerin,” Piper Verlag, Munich 2009. Updated and expanded paperback edition, 2011
noch die soziale Marktwirtschaft und eben auch nicht die Versöhnung mit Israel zur Staatsräson gehörten. Angela Merkel hat sich alle drei Themen freiwillig intellektuell angeeignet. Sie hat sich damit beschäftigt, darüber gelesen, mit anderen mehr heimlich als offen darüber diskutiert. Einen derart intensiven Annäherungsprozess haben nur die wenigsten westdeutschen Politiker hinter sich, für die alle drei Themen doch eher zum ritualisierten und selten reflektierten Traditionsgut Westdeutschlands gehören. Wie Merkel ihr Verhältnis zu Israel in ihrer historischen Rede vor der Knesset am 18. März 2008 beschreibt, ist deshalb wörtlich zu nehmen. „Ja, es sind besondere, einzigartige Beziehungen: Mit immerwährender Verantwortung für die Vergangenheit, mit gemeinsamen Werten, mit gegenseitigem Vertrauen, mit großer Solidarität füreinander und mit vereinter Zuversicht. In diesem Geist wird Deutschland Israel nie allein lassen, sondern treuer Partner und Freund sein.“ Und die Tatsache, dass sie ihre Rede in Hebräisch begann und beendete, war in diesem Fall auch keine leere Geste, sondern kam von Herzen: „Ich danke Ihnen für die Ehre, hier sprechen zu dürfen“, sagte die Kanzlerin zu Beginn und endete mit einem Glückwunsch zum 60-jährigen Bestehen des Staates Israel. Auch wenn die kopfgesteuerte Kanzlerin normalerweise nicht viel mit Pathos anfangen kann, war ihr das Besondere dieser Einladung, als erste deutsche Regierungschefin überhaupt vor der Knesset reden zu können, sehr bewusst. Ihr Bekenntnis zur Verteidigung der Sicherheit Israels ist klar und unmissverständlich: „Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“ Merkel handelt danach auch im Inland, wie ihr schnelles Eingreifen nach den Äußerungen des früheren CDU-Abgeordneten Hohmann, dem Holocaust-Leugner Williamson oder jüngst in der Sarrazin-Debatte zeigen. Und so wird sie sicherlich wieder erneut als erste Leserin zur Verfügung stehen, wenn die nächste Gruppe junger Holocaust-Forscher sie zur Lektüre ins Jüdische Museum einlädt. Margaret Heckel ist Autorin des Bestsellers „So regiert die Kanzlerin“, Piper Verlag, München 2009. Erweiterte und aktualisierte Taschenbuchauflage 2011
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INSIDE JMB G R U SSWO RT E A N L Ä SS L I C H D ES Z E H N J Ä H R I G E N J U B I L Ä U M S D ES JÜDISCHEN MUSEUMS BERLIN G R E E T I N GS O N T H E O CC AS I O N O F T H E T E N T H A N N I V E R SA RY O F THE JEWISH MUSEUM BERLIN
Der Bau des Jüdischen Museums Berlin, 1994 bis 1999. Fotos: Silke Helmerdig Building the Jewish Museum Berlin, 1994 through 1999. Photos by Silke Helmerdig
I have closely followed the saga of the Jewish Museum’s founding ever since Daniel Libeskind won the architectural competition before the Berlin Wall fell. As the subsequent debate about the museum became increasingly confounding and ever fewer people believed in the project’s realization, the political and intellectual Gordian Knot was unraveled by a person who embodied many aspects of the history and fate of German Jewry in the 20th century: Michael Blumenthal. The museum’s resonance internationally, so unforgettably exemplified on that opening evening with Henry Kissinger, Richard Holbrooke, and many others of his peers, is directly attributable to the inimitable partnership of Blumenthal and Libeskind. Gary Smith, American Academy Berlin
Als der damalige Bundeskanzler im September 2001 die Ausstellung besuchte, konnte er nicht wissen, dass wir noch letzte Hand an den Aufbau legten. Tatsächlich aber verließen wir das Gebäude durch den Hinterausgang just in dem Moment, als er es betrat. Jens Eisenberg, Ausstellungsaufbau
Wo kann man jüdische Viehhändler auf Schweizer Jiddisch miteinander reden hören? Eine Münze mit Moses Mendelssohn prägen lassen? Und koschere Gummibären essen? Wenn ich meine Studenten das erleben lassen möchte, was ich Ihnen in den Vorlesungen beibringe, empfehle ich ihnen einen Gang ins Jüdische Museum Berlin. Prof. Michael Brenner, Seminar für Jüdische Geschichte und Kultur, LMU
Congratulations on the impressive first decade of an institution that has helped shape public discourse, and whose significance will only grow in the future. Your partners at the US Holocaust Memorial Museum wish you continued success in your next decade—and beyond. Sara Bloomfield, US Holocaust Memorial Museum
Es gibt Tage, da scheint die Welt zu Gast zu sein, und ein babylonisches Sprachgewirr strömt durch den Shop. Dann ist es manches Mal eine kleine große Kunst, das passende „Take away“ – O-Ton unserer Gäste! – für und vor allem mit ihnen in unserem vielfältigen, bunten Sortiment zu entdecken. Es ist genau dies, der tägliche Umgang mit interessierten Menschen aus aller Welt, der trotz kleiner sprachlicher Tücken so große Freude und die Arbeit hier so besonders macht. Susanne Semrau, Cedon-Museumsshop im Jüdischen Museum Berlin
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Das Jüdische Museum hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir als Deutsche begriffen haben, dass Menschenrechte unteilbar sind. Dieter Rosenkranz
Seen from Amsterdam’s Joods Historisch Museum, the Jewish Museum Berlin became a climax in the reopening of Jewish museums in Europe after the Holocaust. A natural appearance in Berlin’s cultural and memorial landscape the museum brings the essential message. Jewish culture is Berlin culture as Jewish culture is in Amsterdam. Therefore we were especially happy to collaborate on several occasions with the JMB, but especially when our Berlin born artist of world class, Charlotte Salomon, was shown again in her former home town: Look at this masterpiece of German Bildung on your Ipad: http://www.jhm.nl/charlotte/tablet. Natürlich auch auf Deutsch! Joël J. Cahen, Joods Historisch Museum, Amsterdam
Als Gedenkdiener war ich vor allem auf die intensive Beschäftigung mit dem Holocaust gefasst – was ich aber am Jüdischen Museum über all das Lebendige der jüdischen Kultur lernte, war für mich eine mindestens ebenso wertvolle Erfahrung. Heinz Chen, Gedenkdiener am Jüdisches Museum Berlin
Im Museum gefallen mir am besten die gusseisernen Gesichter von Kadishman – auch weil ab und zu ein Besucher so ein Gusseisen-Gesicht gerne mitnehmen würde. Weil die sehr schwer sind, fällt das natürlich auf, und man muss das Gesicht dem Besucher wieder abnehmen. Das bringt mich zum Schmunzeln. Maik Becker, Mitarbeiter der Security
Ich habe meinen Laden schon fünf Jahre bevor das Museum öffnete, aufgemacht. Dann hat sich die Eröffnung immer weiter verschoben, und als es dann am 11. September nach zwei Stunden schon wieder schloss, dachte ich: „Na toll, und darauf hast du jetzt fünf Jahre gewartet.“ Als es wirklich soweit war, wurde mein Geschäftsalltag „multikulti“: Wenn man mit verschiedenen Landsleuten ins Gespräch kommt, ist das interessant und mitunter auch sehr lustig. Bernd Rozga, der „Zeitungsfritze“ am Jüdischen Museum
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Das Jüdische Museum hat uns zweimal die Möglichkeit gegeben, unsere bewährte interdisziplinäre Arbeitsmethode zu erproben und erfolgreich anzuwenden: Wir hatten genügend Zeit, ein komplexes Thema theoretisch zu erarbeiten und es dann für ein breites Publikum abwechslungsreich, spielerisch und zugleich lehrreich zu veranschaulichen. Es hat sich für uns gelohnt – und für das Museum: Beide Ausstellungen, „10+5=Gott. Die Macht der Zeichen“ 2004 und „PSYCHOanalyse. Sigmund Freud zum 150. Geburtstag“ 2006, haben sehr viele Menschen angezogen, die auch heute noch davon erzählen. Danke. Annemarie Hürlimann und Nicola Lepp, Praxis für Ausstellung und Theorie
The Jewish Museum Berlin has embarked on an inspiring exploration of sound, music, and story-telling in Jewish culture. It has been an honor to participate in the “Radical Jewish Culture” exhibit, the “Sound No Walls – Jazz and Jewish Culture” series, and the “Heimatkunde” exhibit. As the Jewish Museum casts new light on the critical role of oral traditions in Jewish culture, it also pushes the conceptual boundaries of exhibition-making. Paul Brody, Musician
Among the many things that have impressed me about the Jewish Museum Berlin was the openness it assumed when it mounted the exhibition “Dateline: Israel” organized by The Jewish Museum, New York. Through that display of photographs and video art, the Jewish Museum Berlin demonstrated its commitment to confront some of the most difficult issues that divide Israelis and Palestinians. This important objective was furthered by the extensive press coverage of the exhibition, enabling the museum to impact the attitudes of contemporary Germany. Susan Goodman, The Jewish Museum, New York
Das Jüdische Museum ist etwas ganz besonderes. Wir gehen jeden Tag aufgabenbedingt durch die Ausstellung, und man bleibt immer wieder stehen, schaut sich Dinge intensiver an und setzt sich damit auseinander. Berndt Müller, Mitarbeiter der Wache im Libeskindbau
Man baut und baut und irgendwann sind die Räume einfach weg. Tobias Katz, Ausstellungsarchitekt
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Ten years of the Jewish Museum Berlin also stand for ten years during which our friends and donors, our partners and supporters have stood by our side. It is their commitment—be it personal or financial—that has made many of the museum’s projects come to life. Therefore our greatest thanks for their energetic support go to all our members all over the world!
de rF reu nd e
Sti mm en
Zehn Jahre Jüdisches Museum Berlin bedeuten auch, dass Freunde und Förderer, Partner und Unterstützer das Museum seit zehn Jahren begleiten. Durch ihr Engagement – ideell ebenso wie finanziell – wurden zahlreiche Projekte des Museums überhaupt erst ermöglicht. Unser großer Dank gilt daher den Mitgliedern unseres Freundeskreises, die dem Museum so tatkräftig zur Seite stehen!
Seit zehn Jahren leistet das Jüdische Museum Berlin einen wesentlichen Beitrag für das kulturelle Leben der Bundesrepublik. Es ist nicht nur ein Museum für die reiche jüdische Kulturgeschichte in Deutschland, sondern auch ein Haus der Erinnerung an ihr trostloses Ende. Darüber hinaus ist das Museum eine pädagogische Instanz geworden. Es beschäftigt sich mit den aktuellen Themen unserer Zeit: Integration von Minoritäten, gesellschaftliche Gefahren durch Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, weltweite Gefährdungen der Menschenrechte. In Zukunft werden Forschung und Lehre die ursprüngliche Mission des Museums ergänzen. Die erstaunlichen Besucherzahlen bestätigen die Das deutsch-jüdische Verhältnis war mir immer fruchtbare Arbeit seiner Mitarbeiter unter der Leitung eine Herzenssache. Beim Jüdischen Museum von Michael Blumenthal. Und ich freue mich darauf, Berlin hat mich zunächst die Architektur in den nächsten zehn Jahren mit dem JMB weiterhin fasziniert, die dem Haus ein unverwechselbares neue Wege einzuschlagen. Profil in der Museumslandschaft der Stadt gibt. Viel wichtiger aber ist, neben der hohen Qualität der Ausstellungen, dass es gelungen ist, besonders junge Besucher in großer Zahl für das Judentum und die deutsch-jüdische Geschichte zu interessieren.
Marie M. Warburg
Dr. Hergard Rohwedder
Kultursommer 2011, „Jazz in the Garden“. Während auf der Bühne in der „Sukkah“, dem Glashof von Daniel Libeskind, eine Jazzband spielt, bereiten meine Töchter Yael und Maya ihren Teig für den Lehmofen im Garten vor. Stolz zeigen sie mir anschließend das frisch gebackene Mazzebrot, schmecken tut es auch. Die beiden sind Urenkel meiner aus dem polnischen Łód´z stammenden Großeltern. Zusammen mit seiner Frau, seinem ersten Sohn und seiner Schwester immigrierte mein Großvater Ende der 1920er Jahre nach Palästina. Meine Großeltern hatten zusammen 14 Geschwister, von denen 13 damals in Łódz´ blieben. Diese 13 Geschwister überlebten die Schoa nicht. Dieser Teil meines Familienbaums blieb daher ohne weiteres Wachstum, er blieb leer. Die Leere, die die Voids im Neubau von Daniel Libeskind zeigen, verbinde ich persönlich mit den verlorenen Verzweigungen meines Familienbaums. Es ist genau diese Leistung des Jüdischen Museums, das Geschehene sicht- und fühlbar zu machen für die gegenwärtigen und nachfolgenden Generationen, die mich dazu motivierte, mich im Rahmen des Fördervereins für das Jüdische Museum Berlin zu engagieren. Eial Lazarovic
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Das Jüdische Museum ist zunächst ein Ort der lebendigen Erinnerung an den Alltag, die Höhepunkte und Katastrophen jüdischen Lebens in Deutschland. Es bleibt aber nicht bei der Erinnerung stehen, sondern zeigt jüdische Kultur als integralen Bestandteil einer lebendigen Gegenwart. Schließlich – und vielleicht vor allem – ist das Jüdische Museum für uns ein Ort der Begegnung mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und aller Altersstufen. Diese Arbeit im Förderverein zu unterstützen ist uns wichtig! (Und Spaß macht es auch.) Sybille Svoboda und Maxim Ehrlich
Im Mai 2005 waren wir zum ersten Mal im Jüdischen Museum. Das war ein Klezmerabend im Innenhof. Kurz danach hörten wir in einer Lesung Cornelia Froboes. Jetzt waren wir infiziert. Die Begeisterung endete mit Jahreskarten. Viele Ausstellungen, Lesungen, Fahrten und einiges andere folgten. Dazu kamen Gespräche mit vielen netten Mitarbeitern und Besuchern. Das alles haben wir im Jüdischen Museum sehr genossen. Bis heute sind wir eifrige Besucher des Museums. Heidi und Rüdiger Scholz
Als langjährige Besucherin des Berlin Museums hatte ich anfängliche Bedenken, ob die Umsetzung der Idee „Jüdisches Museum“ gelingen kann. Heute bin ich zu hundert Prozent begeistert und überzeugtes Mitglied in der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Stiftung Jüdisches Museum Berlin e.V. Ich engagiere mich für den Förderverein in Gedenken an den Bruder Ein Traum wurde wahr. meines Vaters, Alfred Loewe, der viel für die Jüdische Das Jüdische Museum in Berlin: viele Jahre Gemeinde in Berlin getan hat. Die Biografie von diskutiert, konzipiert, vorbereitet, umgeworfen, W. Michael Blumenthal habe ich mit Faszination unterstützt, gescheitert und immer wieder neu gelesen und anschließend zigmal zu Weihnachten überlegt. Es schien nicht möglich zu sein. Dann kam verschenkt. Wenn alle Politiker so wären wie Michael Blumenthal – Finanzminister, Unternehmer, Michael Blumenthal, gäbe es mehr Toleranz und Emigrant, Weltbürger. Er hatte eine Vision und Frieden auf der Welt. die Kraft sie durchzusetzen. Er wurde überredet es zu machen, und er machte es. Das beste Museum, der größte Museumserfolg der letzten Jahrzehnte – und der Erfolg ist ungebrochen. Herzlichen Glückwunsch zum Zehnjährigen und alle guten Wünsche für viele weitere Jahrzehnte.
Barbara Heide
de rF re un de
Klaus G. Saur
St im m en
Der Besuch des leeren Libeskind-Baus vor der offiziellen Eröffnung des Museums hat mich besonders beeindruckt. Welch ein Bauwerk, welch eine Architektur! Nach zehn Jahren hat sich das Museum in der Berliner Kulturszene etabliert. Es ist angekommen. Mit seiner Dauerausstellung aber insbesondere auch mit den vielen Sonderausstellungen beweist das Jüdische Museum immer wieder aufs Neue Aktualität. Ich bin froh, als Mitglied des Freundeskreises die Arbeit des Museums ein Stück weit begleiten zu können. Das Kulturprogramm des Fördervereins finde ich ganz beachtlich. Begeistert habe ich schon an ganz unterschiedlichen Veranstaltungen teilgenommen und dabei eine Vielzahl von ausnahmslos positiven Eindrücken gesammelt.
Renate Gebler
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Storytelling Geschichtenerzählen
Ken Gorbey
Um ein großes Museum zu eröffnen, braucht es mehr als nur ein gutes Projektmanagement. Einem großen Museum, so wie es das Jüdische Museum Berlin ist, muss es gelingen, sich kulturell einzupassen, also seinen Platz zu finden in der gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Landschaft derer, denen es gehören soll. Ich hatte so etwas schon einmal gemacht, bei meinem vorigen Projekt, Te Papa, dem neuen Nationalmuseum von Neuseeland. Durch ein ganzes Bündel besonderer Eigenschaften und Charakteristika hat es sich als ein Ort etabliert, den jeder sich zueigen machen kann. Und besuchen. Immer wieder. Im ersten Jahr traten mehr als zwei Millionen Menschen durch seine Türen. Beim Jüdischen Museum Berlin hatte ich, anders als im Fall von Te Papa, nicht das Privileg, mir Zeit lassen zu können. Eine unerbittliche Terminvorgabe bestimmte die Arbeit, entschlossenes Handeln war gefordert. Den Schlüssel zur „kulturellen Einpassung“ bildete der persönliche Austausch. Dazu gehörten insbesondere meine Treffen mit Mike Blumenthal: Wir saßen zusammen in seinem Büro und rangen um Wege, wie man aus dem Museum mehr machen könnte als bloß eine Ansammlung von Fakten, wie man einer Geschichte Menschlichkeit verleihen könnte, die durch so viel Unmenschlichkeit geprägt ist. Ich setzte auf ein modernes Museumskonzept, suchte nach einem Zusammenwirken von Publikum, Stimme, Stil und Klang, das diese Institution von allen anderen unterscheiden sollte. Mike ließ Geschichte lebendig werden, seine Geschichte und die Geschichte seiner Vorfahren. Um das zu tun, erzählte er. Das Geschichtenerzählen verfolgt immer ein Ziel. Diese einfache Transaktion – erinnern, teilen, zuhören, verstehen und reagieren – ist vielleicht die wichtigste der Alltagstugenden, mittels derer wir unser Dasein humanisieren und lernen, uns in andere Menschen einzufühlen, sodass wir auf der Ebene der Familie, des Freundeskreises und der uns unmittelbar umgebenden Gemeinschaft miteinander leben können. Robert Gordon schreibt über den großen Humanisten Primo Levi, das Geschichtenerzählen sei „der Rohstoff seines ethischen Universums“. Durch diesen Austausch „werden zwei Gesprächspartner zu Freunden“, und zwar auf eine komplexe Art, die weit hinausweist über „reduzierende Verallgemeinerung und Vereinfachung“. Levi rutschte nie ins bloß Anekdotische ab. Seine „Freunde“ waren seine Leser. Wenn wir dies übertragen, sind für ein Museum die „Freunde“ seine Besucher. Für Leser wie für Museumsbesucher kann das Geschichtenerzählen große Kraft haben. Die Besucherforschung bestätigt Gordons Thesen: Es liegt in der Macht des Geschichtenerzählens, dass Menschen aus aller Welt über Jahrhunderte und über ethnische und kulturelle Unterschiede hinweg emotionale Verknüpfungen herstellen.
Opening a great museum takes more than skilful project management. A great museum, such as the Jewish Museum Berlin, must achieve “cultural fit;” it must belong within the social, cultural and economic landscape of the owner community. I had done it before in my last project, Te Papa, the new Museum of New Zealand, where a complex of qualities and unique characteristics have established it as a place that everyone can own. And visit. Frequently. In the first year, over two million people came through the doors. At the Jewish Museum Berlin, unlike at Te Papa, I did not have the advantage of time. An unforgiving project deadline wrought an environment of decisive action. Personal interactions became the key to crafting “fit.” Among these none were more crucial than the meetings I had with Mike Blumenthal. We would sit in his office striving for the ways in which the museum would be more than just a quantum of fact but would invest humanity into a history where so much had been inhumane. I led on the nature of the modern museum, seeking the blend of audience, voice, style and tone that would mark this institution off from all others. Mike fleshed out the history, his history and the history of his forbears. In so doing, he told stories. There is a purpose in storytelling: this simple transaction— remembering, sharing, listening, understanding and responding—is perhaps the most significant of the ordinary virtues whereby we humanise our existence and develop empathy among people, allowing us to live together at the level of family, friends and immediate community. Robert Gordon, writing of that great humanist Primo Levi, notes how telling stories was “... the raw material for his [Levi’s] ethical universe.” Through this exchange, “two interlocutors become friends” at a complex level that reaches well beyond “reductive generalization and over-simplification.” Levi never stalled at the merely anecdotal. Levi’s “friends” were his readers. If we extrapolate this out, for the museum they are the people attracted as visitors. For both readers and visitors, storytelling is a potent force. Museum visitor research reinforces Gordon’s assertions: People around the world make emotional linkages across the centuries and over ethnic and cultural boundaries through the power of storytelling. As with Levi, Mike’s stories were never mere anecdotes; there
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Wie bei Levi waren auch bei Mike die Geschichten nie bloß Anekdoten; es gab immer ein Ziel darin, stets reicherten sie die historischen Zusammenhänge an und zeigten den Platz der Menschen in diesen Zusammenhängen. Hier eine Passage aus meinen Notizen aus jener Zeit: Sein Tonfall, sonst bedächtig und sehr beherrscht, wird lebhaft. Er lacht. Nicht, dass die Ereignisse, von denen er berichtet, unbedingt komisch wären. Meist sind sie es nicht. Das Lachen gilt so oft der Ironie in dieser dunklen Geschichte. Der sehnlichste Wunsch des kleinen Werner, unter dem Einfluss des nationalsozialistischen Regimes, den er noch nicht verstehen konnte, war der Hitlerjugend beizutreten. „Warum?“ Wieder ein Lachen. „Weil ich ein Messer an meinem Gürtel tragen wollte! Das erste, was ich tat, als ich nach Schanghai kam, war Mitglied bei den britischen (er betont ,britischen‘) Boy Scouts zu werden, eben wegen des Messers.“ So wie Te Papa ist das Jüdische Museum ein Ort der gut erzählten persönlichen Geschichten. Die Klangfarbe und der Erfolg der großen Museums-Erzählung haben diesen Sitzungen viel zu verdanken: Mike, seine Zigarre und ich, das war ein Austausch, den ich immer in hohen Ehren halten werde. Mit der Zeit und dank des Wissens, das ich erwerben konnte, gingen auch meine eigenen Beiträge allmählich über das rein Museologische hinaus und drangen tiefer in die Themen ein, die das Museum vermitteln sollte. Obwohl nicht spezifisch deutschjüdisch, hat mich die folgende Begebenheit dabei sehr geprägt, denn in gewisser Weise bedeutete sie einen Wendepunkt: Die Vorgaben für den Libeskindbau waren von rund 150.000 jährlichen Besuchern ausgegangen, doch das Erlebnis, das wir schufen, würde zweifellos sehr viel mehr Publikum anziehen, mindestens 750.000 Menschen im Jahr. Die erforderlichen Änderungen, was Verkehrsfläche, Leistungsfähigkeit der Klimaanlagen, Größe der Garderobe und so weiter betraf, wurden festgelegt und die Aufträge vergeben. Doch die Arbeiten verzögerten sich so sehr, dass sie den Zeitplan für die Eröffnung in Gefahr brachten. Mike und ich wurden deshalb beim zuständigen Minister vorstellig. Eine kurze Erklärung konnte ihn überzeugen, und er segnete die nötigen Maßnahmen ab. Nun hatte der Minister aber auch an uns ein Anliegen. Er war gerade mit der Aufgabe betraut worden, das alte Olympiastadion von 1936 für die Fußball-WM 2006 herzurichten. Er wollte mit uns dorthin fahren und uns seine Pläne darlegen. Von Hakenkreuzen und anderen offensichtlichen Symbolen des Nationalsozialismus befreit, machte die Arena trotzdem immer noch einen sehr autoritären Eindruck. Dies waren die Kulissen für Leni Riefenstahls so gefeierten wie heuchlerischen Sportfilm Triumph des Willens gewesen. Das karge Vorfeld ringsum, die schweren geometrischen
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was always purpose, enriching the historical context and demonstrating the place of people within that context. Here is an excerpt from my notes of that time: His speech, usually measured and even restrained, becomes animated. He laughs. Not that the event is necessarily funny. Most are not. The laughter is so often in response to the ironies within that dark history. The fondest wish of young Werner, impacted by the Nazi regime in ways he could not understand, is to join the Hitler Youth. “Why?” Another laugh. “Because I wanted to have a knife to wear at my belt! The first thing I did when I got to Shanghai was to join the British [he stresses ‘British’] Boy Scouts for that knife.” Like Te Papa, the Jewish Museum Berlin is a place of personal stories well told. The tonality and success of the final narrative owes much to those sessions—Mike, his cigar, and me—interchanges that I will always value. With time and greater knowledge, my contributions moved beyond the museological and dug deep into the themes to be carried by the museum. Although not specifically German-Jewish, this incident has stayed with me because it was in some way a turning point: The brief for the Libeskind building had estimated around 150,000 visitors per annum but clearly the experience we were creating would attract a far greater audience, at least 750,000. The required changes to circulation areas, air conditioning capacity, cloakrooms and so forth were identified and the work contracted out. However, reconstruction work lagged to the point of gravely threatening opening on time. Mike and I visited the Minister in charge. Following a brief explanation, the Minister was convinced and the necessary actions were signed off. Now the Minister had a requirement of us. He had just been given the task of restoring the old 1936 Olympic Stadium for the 2006 Football World Cup. He would take us there and explain his plans. Stripped of its swastikas and more obvious Nazi symbols, the arena still seemed authoritarian. This was the set for Leni Riefenstahl’s acclaimed yet duplicitous sporting film, Triumph of the Will. The stark surrounding apron, heavy geometric concrete forms, vast outer parade ground and seriated seating for Das Volk: all spoke of cult worship, of theatre at its worst. As we listened to the Minister,
Mike would toss in his memories: the Korean who had won the marathon for occupying Japan and the controversies that had long endured thereafter. Finally, as we stood on Hitler’s podium high above the stadium, Mike recalled how as a nine-year-old, not really knowing what was happening, he cheered at every victory of the “Aryan” champions of the “master-race”. “I used to know all of the gold medal winners. I could probably quote them for you now.” He paused and looked over to where I stood at the front of the stand. “One of them was a New Zealander.” It was said almost as a question. “Yes,” I replied. One of them was a New Zealander:
Foto: Hanns Joosten
Formen in Beton, das weitläufige Aufmarschgelände und die Sitzreihen für das Volk: All das sprach von kultischer Verehrung, von Theater in seiner schlimmsten Form. Während wir dem Minister lauschten, kramte Mike in seinem Gedächtnis: Der Koreaner, der den Marathon für die japanischen Besatzer gewann, und die Kontroverse, die danach noch lange anhielt. Und als wir schließlich auf Hitlers Podium standen, hoch über dem Stadion, erinnerte sich Mike, wie er als Neunjähriger, der nicht begriff, was da vorging, jeden Sieg der Champions aus der „arischen Herrenrasse“ bejubelte. „Ich kannte damals alle Goldmedaillengewinner. Ich könnte sie euch wahrscheinlich jetzt noch aufsagen.“ Er pausierte und blickte zu mir herüber, an den vorderen Tribünenrand.
Moderation Petra Gute
DONNERSTAGS
22:15 UHR
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„Einer von ihnen war Neuseeländer.“ Es klang fast wie eine Frage. „Ja“, sagte ich. Einer von ihnen war Neuseeländer: Jack Lovelock, Sieger über die 1.500 Meter. Es war ein großer Moment in der Geschichte eines kleinen Landes gewesen, und die Bilder und Klänge dieses Moments sind noch Jahrzehnte später den meisten Kiwis ins Gedächtnis eingebrannt. Plötzlich war das Olympiastadion voll, und ich war Harold Abrahams – BBC-Kommentator und Lovelocks Freund und ebenfalls Athlet –, der Lovelock anfeuerte: „Come on Jack! Come on Jack!! My God, he's done it! Lovelock wins!“ Ich brüllte es heraus, über all die Jahre hinweg: „Mein Gott, er hat's geschafft!“ Ich war nicht vorbereitet auf die Tränen, die mir dabei in die Augen stiegen. Warum ein solcher Überschwang bei einem zehnsekündigen Auftritt vor Mike und der kleinen Gruppe rund um den Minister? Vielleicht hatte ich in diesem Augenblick zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein. Indem ich meine übliche neutrale, professionelle Haltung beiseite ließ und mich derart emotional in das kleine Rollenspiel stürzte, stellte ich eine Verknüpfung her zwischen meinem Heimatland und seiner Geschichte und der Geschichte meiner neuen Heimat Berlin. Ich begann mich stärker in meine Freunde und Kollegen hineinzuversetzen und mehr Gewicht auf das universal Menschliche zu legen, das uns über alle kulturellen Grenzen hinweg verbindet, anstatt die Unterschiede zu betonen. Sehr wenige Kulturen – wenn überhaupt irgendeine – können auf eine untadelige Geschichte pochen, in der es keine moralisch dunklen Momente gibt. Das sagte ich auch, als ich vor den Bürgern der Stadt Ahlen sprach, bei einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht. Die Ahlener tragen eine besondere Bürde. Ihre Stadt war einst stolz darauf (und schämt sich nun dafür), die erste gewesen zu sein, die Hitler meldete, sie sei „judenrein“. Am Museum arbeitete ich mit einer jungen Generation von Deutschen zusammen, den Erben der Kollektivschuld, und mit einem Chef, der allen Grund gehabt hätte, ihnen „ihre“ Sünden vorzuwerfen. Doch das tat er nicht. An jenem Tag, in der geisterhaften Leere des riesigen Stadions, fühlte ich mich plötzlich den Menschen so viel näher, die ich hier kennengelernt hatte und die bereit waren, sich in solcher Offenheit mit ihrer belasteten Geschichte auseinanderzusetzen wie es vielleicht noch die Menschen in keinem anderen Land je getan haben. Auf eine komplexe Weise woben sie mich in ihr kulturelles Netz ein, als wir gemeinsam daran arbeiteten, einen außergewöhnlichen Ort in einem symbolbeladenen architektonischen Meisterwerk zu schaffen. Das ist die Macht des Geschichtenerzählens. Ken Gorbey ist als Berater von Museen international bekannt. Er war an der Entwicklung und Eröffnung des neuseeländischen Nationalmuseums Te Papa beteiligt und war von 1999 bis 2002 Projektmanager und Stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums Berlin.
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Jack Lovelock, winner of the 1,500 metres. It had been a great moment in a little country’s history and the images and sounds of that moment decades ago are burnt into the memory of most Kiwis. Suddenly, the Olympic Stadium was full and I was Harold Abrahams, BBC commentator and Lovelock’s friend and fellow athlete, calling Lovelock home. “Come on Jack! Come on Jack!! My God, he‘s done it! Lovelock wins!” I shouted it out across those years. “My God, he’s done it!” I was unprepared for the tears that welled up in my eyes. Why such emotion in that ten second performance before an audience of Mike and a small ministerial party? Perhaps it marked for me a sense of arrival. As I set aside my usual neutral, professional stance and launched with such feeling into that re-enactment, I made a linkage between my home country, and its history, to that of my new home now in Berlin. I was beginning to stand more in the shoes of colleagues and friends and to give greater moment to the human universals that link us across all cultures rather than stressing those things that divide. Few if any cultures can point to a blemish-free history that does not contain morally dark moments. I would say as much when giving an address to the citizens of Ahlen at a November Pogrom commemoration. These people carry a special burden. Their town had once taken pride in, but was now shamed by, being the first to announce to Hitler that they were “judenrein”—cleansed of the Jews. At the museum, I was working with a young generation of Germans, the inheritors of the guilt of the collective, and with a boss who might have had every right to admonish them for “their” sins. But he did not. That day, standing in the ghostly emptiness of that vast stadium, I felt so much closer to the individuals I had come to know who were prepared to open themselves to their fraught history as perhaps no other nation has ever done. In complex ways, they were weaving me into their cultural web as we worked together to build an exceptional place in a symbol-laden architectural masterwork. This is the power of storytelling. Ken Gorbey is a museum consultant who has wide international experience. From 1985 to 1999 he filled many different roles in establishing Te Papa (The National Museum of New Zealand). As Project Director and Deputy President he worked at the Jewish Museum Berlin from 1999 to 2002.
Spielwiese By the Bye
Die Torte The Cake
Cynthia Barcomi
Da, wo ich herkomme, ist ein Geburtstag ein riesiges Fest. Den emotionalen und ästhetischen Höhepunkt der Feier bildet immer die Geburtstagstorte. Man zündet Kerzen an, wünscht sich etwas, bläst die Kerzen aus – wirklich zauberhaft. Als das Jüdische Museum Berlin sich für sein zehnjähriges Jubiläum bereit machte, wurde ich gefragt, ob ich eins der festlichen Highlights schaffen möge: die Geburtstagstorte. „Wow“, dachte ich, „Was für eine Art von Torte soll ich da backen? Es kann ja nicht irgendeine olle Torte sein. UND sie soll für ein paar hundert Leute reichen.“ Welche Form, welche Farbe, welche Größe? Mehrstöckig? Nein, das wäre eine Hochzeitstorte. Mehrere kleinere Torten? Nein, das passt nicht für eine Festgemeinschaft dieses Umfangs. Es musste eine einzelne, riesige Torte sein, die dem Ausmaß und der Bedeutung des Ereignisses entsprach. Es musste eine Reflexion darüber sein, warum dieses Museum ein solcher architektonischer und kultureller Meilenstein geworden ist. Die Torte musste ... genau die gleiche Form haben wie das Jüdische Museum Berlin. Ganz einfach. Nun, nicht ganz so einfach. Egal, wie man sie anging, diese Torte war eine Herausforderung. Der radikale post-postmoderne ZickzackEntwurf, der Blitzstrahl, der geborstene Davidstern, all diese Elemente mussten sich in der Torte wiederfinden. Einem Architekten nicht unähnlich, musste ich die Bestandteile dekonstruieren, den stabilsten Aufbau ermitteln und die schmackhaftesten und geschmeidigsten Materialien auswählen, um das Endprodukt zu schaffen. Die inneren Schichten sollten aus Chocolate Fudge bestehen, meinem Lieblingskuchen. Für die Außenwände – Titanzink – wählte ich ein grausilbern gefärbtes Fondant. Es ist der perfekte Träger für die vielen Einzelheiten des Gebäudes: seine Glätte, seine Linien, seine Zickzackgestalt. Nun brauchen wir nur noch die Kerzen und mehrere hundert hungrige Gratulanten. Ich bin recht zufrieden mit dem Ergebnis und freue mich jetzt schon auf das zwanzigjährige Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch, Jüdisches Museum!
Where I come from, a birthday is a huge celebration. The emotional and aesthetic highpoint of the party is always the birthday cake. We light candles, make a wish, and blow out the candles— simply magical! As the Jewish Museum Berlin was preparing for its ten-year anniversary, I was asked if I would create one of its celebratory highlights: the birthday cake. “Wow,” I thought, “what kind of cake should I make? It can’t be just any old kind of cake. AND, it’s for several hundred people.” What shape, what color, which size? Tiers? No, that’s a wedding cake. Several smaller cakes? No, that’s not right for a group celebration of this magnitude. It had to be a single, huge cake that befitted the scope and meaning of the event itself. It had to be a reflection of why this museum became the architectural and cultural milestone that it is. The cake had to be…shaped exactly like the Jewish Museum Berlin. Simple. Well, not quite so simple. No matter how you slice it, this cake was a challenge. The radical, post-post-modern zigzag design, the lightning bolt, the disrupted Star of David were all elements that the cake had to embody. Not unlike an architect, I had to deconstruct the elements of the cake, determine the most stable design, and choose the tastiest and most malleable materials to create the finished product. The inside layers must be made of chocolate fudge cake, my favorite. For the outer titanium zinc walls, I decided to use fondant dyed grayish silver. It is the perfect vehicle for the many details of the building: the smoothness, the lines, and the zigzag construction. Now all we need are the candles and several hundred hungry well-wishers. I am quite happy with the result and am already looking forward to the twentieth anniversary. Happy Birthday Jewish Museum!
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Cynthia Barcomi, geboren in Seattle, gründete 1994, nach einer erfolgreichen Karriere als Tänzerin, in ihrer Wahlheimat Berlin Barcomi's Kaffeerösterei; 1997 folgte in Berlin Mitte Barcomi's Deli. Beide Cafés sind in der Hauptstadt die allererste Adresse für New York Cheesecake, Blueberry Muffins oder Monster Brownies. Cynthia Barcomi was born in Seattle, and, after a successful career as a ballet dancer, in 1994 founded Barcomi’s Kaffeerösterei in the Berlin district Kreuzberg, followed by Barcomi’s Deli in Mitte, in 1997. Both Cafés are the number one address for those who seek New York Cheesecake, Blueberry Muffins or Monster Brownies in Germany.
Das Rezept erschien in / The recipe was first published in: Cynthia Barcomi’s Backbuch, München/Munich 2007
Dunkler Schokoladenkuchen Stop! Wenn Sie je vom ultimativen Schokoladenkuchen geträumt haben (den ultimativen Liebhaber können Sie sowieso vergessen), dann sind Sie jetzt am Ziel Ihrer Wünsche: Das ist er! Der Kuchen hat eine wunderbare Konsistenz und einen ganz intensiven Schokoladengeschmack ohne übermäßig süßlich zu sein. 280 g 120 g 400 g 2¼ TL ¾ TL ¾ TL
Mehl Stärke Zucker Backpulver Natron Salz
125 g 355 ml 1 TL
Kakao Wasser Sirup (Grafschafter Goldsaft)
3 250 g
große Eier weiche Butter
1. Ofen auf 180 °C vorheizen. 2 runde Kuchenformen (ø 24 cm) oder 2 Muffinbleche einbuttern und leicht mit Mehl bestäuben. 2. Das Wasser zum Kochen bringen und Kakao und Sirup darin auflösen. Abkühlen lassen. 3. Trockene Zutaten in einer Rührschüssel mischen. 4. Weiche Butter in Stückchen in die Mehlmischung schneiden. Mit den Fingerspitzen oder mit Messer und Gabel ins Mehl einarbeiten, bis die Krümel an kleine Erbsen erinnern. 5. Entweder Handmixer oder KitchenAid einsetzen und den abgekühlten Kakao (bis auf 60 ml) untermischen und etwa 2 Minuten rühren. 6. Die Eier mit dem restlichen Kakao verschlagen und während des Rührens in 3 Portionen einarbeiten, danach jeweils 20 Sekunden rühren. 7. Gleichmäßig auf die Backformen verteilen. 8. Die Kuchen müssen 25 Minuten backen, die Muffins 18 Minuten. Garprobe mit dem Zahnstocher nicht vergessen. 10 Minuten abkühlen lassen, bevor Sie die Kuchen aus der Form nehmen.
Chocolate Frosting für den Fudge Cake Probieren Sie es ruhig auch einmal mit ein paar Teelöffeln Instant-Espresso für ein Mokkafrosting! 250 g weiche Butter 1 TL Milch (plus ein paar zusätzliche Tropfen, wenn nötig) 180 g ZartbitterSchokolade, geschmolzen und abgekühlt 180 g Puderzucker
Butter in einer Rührschüssel schlagen, bis sie cremig ist. Weiterschlagen und dabei die Milch und den Puderzucker hinzufügen, bis Ihnen die Konsistenz zusagt. Sofort verwenden. Mit einer Palette (oder notfalls mit einem Messer) auf den Kuchen auftragen.
Chocolate Fudge Cake Stop in your tracks! If you have ever fantasized about the ultimate chocolate cake (forget the ultimate lover) dream no more—here it is! This cake has a superb crumb and an intense chocolate flavor without being too sweet. 280 g flour 120 g potato flour or starch 400 g sugar 2¼ t powder ¾ t baking soda ¾ t salt 125 g unsweetened cocoa 355 ml boiling water 1 t golden syrup 250 g butter, soft 3 large eggs, beaten 60 ml of the cocoa/water mixture
1. Preheat oven to 180°C. Butter two 24 cm round cake pans or prepare 18 muffins forms for cupcakes. 2. Add the cocoa and syrup to the boiling water. Let cool before using. 3. Measure out all the dry ingredients into a mixing bowl. 4. Cut the soft butter into the dry ingredients. Mix the butter either with your fingertips or cut it up with a knife and fork until it looks like “little peas”. 5. Using a hand mixer or a kitchen machine, add 300 ml of the cooled cocoa and water mixture and stir for about 2 minutes until mixed. 6. While stirring, add in 3 batches eggs and the rest of the cocoa mixture. Beat for 20 sec. after each addition. 7. Divide evenly amongst your pans, be it muffin or cake pans. 8. Bake for 25 minutes for two 25 cm cakes and 18 minutes for cupcakes. Always check for doneness with a toothpick. Cool for 10 minutes before removing from the pan.
Chocolate Frosting for Fudge Cake Try adding a few teaspoons of instant espresso powder for a mocha frosting–also wonderful with chocolate cake! 250 g butter, soft 1 t milk, plus a few drops if necessary 180 g dark chocolate, melted and cooled a bit
Put the butter in a mixing bowl and beat with a hand mixer until smooth. Continue beating and add the milk followed by the powdered sugar and cooled chocolate. Continue beating until you are happy with the creamy consistency. Use immediately.
180 g powdered sugar
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Art Auctions in Berlin Art of the 19 th and 20 th Centuries, Contemporary Art and Photography
25 Years Villa Grisebach Anniversary Auctions in Berlin 24 – 26 November 2011 For catalogues, inquiries, preview and sale dates, please visit www.villa-grisebach.de Jacques Lipchitz. MOTHER AND CHILD. 1930 Bronze. Height: 55 1/2 in. Wilkinson 255. – Auction 25 November 2011 Villa Grisebach Auktionen Fasanenstraße 25 D-10719 Berlin Tel. +49-30-885 915-0 www.villa-grisebach.de
Villa Grisebach Auctions Inc. 120 East 56th Street, Suite 635 New York, NY 10022 Tel. +1 (212) 308-0762 auctions@villa-grisebach.com
Eine Erinnerung Remembering the Jewish Museum
Michael Naumann
When Gerhard Schröder’s coalition government moved into the chancellery in Bonn in 1998, the parliament’s budget makers were just as uninterested in Berlin’s financial predicament as they were in its museums, operas, and theaters that had been lavishly funded with federal money for decades. A year after the Reunification, Helmut Kohl had radically cut Berlin’s subventions. Reunification had brought the deficit-saddled city budget two additional opera houses, a magnificent symphony orchestra, numerous theaters and a venerable university, while the Prussian Cultural Heritage Foundation (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) acquired the East Berlin museums. The Museumsinsel’s buildings on the Spree River were still reminiscent of the last days of war in April 1945. A restoration plan involved a thirty-year building period—all behind a massive construction fence. The new chancellor agreed to a reduction of this renovation phase by twenty years. This came at an additional cost of over a billion German marks in federal money. The Jewish Museum’s daring Libeskind building had been decided upon at a time when Bonn’s cornucopia was still generously overflowing for West Berlin. Endless conflict regarding the conceptual planning for the museum’s content erupted, until the Berlin Senator of Culture at the time, Peter Radunski, was able to win over the former American Secretary of the Treasury, W. Michael Blumenthal, as “One Dollar Man.” Blumenthal and his family had escaped the “Third Reich” at the very last moment. In the United States, he had forged a sensational career as a CEO and later as a diplomat for the Kennedy administration before being appointed to Jimmy Carter’s cabinet. When he arrived in Berlin, the museum building was complete— but it was missing content, staff, and above all funding. The Berlin government had estimated that there would be 800 visitors a day and air-conditioners and bathroom facilities had been installed accordingly. The annual budget was around nine million German marks and was, as had been known for some time, far below the museum’s needs. During those years, the German Parliament discovered that the total cultural political funding of close to 800 million marks had disappeared into the Berlin city budget without the full sum reaching its intended targets. The country’s cultural and budget authorities withdrew the funding from the representative’s parliamentary control. In the parliament’s newly formed
Als die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder 1998 in das Bonner Kanzleramt einzog, lag die finanzielle Misere der Hauptstadt Berlin den Haushältern des Bundestags ebenso wenig am Herzen wie ihre über Jahrzehnte hinweg üppig aus Bundesgeldern finanzierten Museen, Opern und Theatern: Helmut Kohl hatte die Berlin-Zuwendungen ein Jahr nach der Wiedervereinigung radikal gekürzt. Sie hatte dem defizitären Stadthaushalt zwei zusätzliche Opern, ein großartiges Sinfonieorchester, zahlreiche Theater, eine ehrwürdige Universität, eine zweite Kunsthochschule und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Ostberliner Museen beschert. Die Gebäude der Museumsinsel an der Spree erinnerten immer noch an die letzten Kriegstage im April und Mai 1945. Ein Sanierungsplan sah eine dreißigjährige Bauperiode vor – hinter einem gewaltigen Bretterzaun. Der neue Bundeskanzler stimmte einer Verkürzung dieser Renovierungsphase um zwanzig Jahre zu. Zusatzkosten – über eine Milliarde Mark aus der Bundeskasse. Zu einer Zeit, als das Bonner Füllhorn sich noch großzügig über Westberlin ergoss, war der mutige Libeskind-Bau des Jüdischen Museums beschlossen worden. Über die inhaltliche Konzeption des Hauses entbrannte ein endloser Streit, bis der damalige Kultursenator Peter Radunski den ehemaligen amerikanischen Finanzminister W. Michael Blumenthal als One-DollarMan gewinnen konnte. Blumenthal war in letzter Minute mit seiner Familie dem „Dritten Reich“ entkommen und hatte in den Vereinigten Staaten eine aufsehenerregende Karriere als Firmenchef und später als Diplomat der Kennedy-Regierung gemacht, ehe er ins Kabinett von Jimmy Carter berufen wurde. Als er in Berlin ankam, war das Museumsgebäude zwar fertiggestellt – allein, es fehlten Inhalt, Personal und vor allem fehlte Geld. Die Berliner Regierung war davon ausgegangen, dass täglich etwa 800 Besucher kommen würden. Entsprechend waren Klimaanlagen und sanitäre Räume vom Architekten ausgelegt worden. Das Jahresbudget lag mit rund neun Millionen Mark weit unter dem längst absehbaren Bedarf. Der Bundestag hatte in jenen Jahren entdeckt, dass die kulturpolitischen Zuwendungen von insgesamt fast 800 Millionen Mark im Berliner Haushalt versickerten, ohne dass sie in gleicher Höhe ihre Adressaten erreichten: Die Kultur- und Budgethoheit
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Cultural Committee, a non-partisan conviction prevailed that the perceived abuse of federal money could no longer continue. The logical solution was to place important cultural institutions in the capital—from the Berliner Festspiele, through to the Berlinale, the Martin-Gropius-Bau and the Jewish Museum—under federal authority; the proposition spurred discussions in the arts and culture sections of all the country’s major newspapers as well as in the Berlin Parliament. But Berlin’s Minister of Culture, Christoph Stölzl, and his partner in Schröder’s cabinet quickly came to an agreement: it was not a question of party sovereignty, but a matter of saving the Jewish Museum—without a tripling of its budget through federal money, the building would have remained an interesting but stagnant testimony to a courageous decision on the part of the Berlin government. Under the direction of Michael Blumenthal, the stage was set for the museum to grow into a huge attraction for the capital. Instead of 800, there have been on average 2,000 daily visitors, who have been able to learn and experience that German-Jewish history extends back nearly two millenia—and to see that its murderous fate at the hands of the Nazi regime did not mark the end of Judaism in Germany. The museum is thus not only an institution for the past, but also for the future in a different and better Germany. From 1998 through the end of 2000, Michael Naumann was State Minister for Culture and Media in the Schröder administration. Today, he is the editor-in-chief of “Cicero”, a monthly political magazine.
des Landes entzog das Bundesgeld der parlamentarischen Kontrolle der Abgeordneten. Im neu gegründeten Kulturausschuss des Bundestags setzte sich die überparteiliche Überzeugung durch, dass der gefühlte Missbrauch von Bundesgeld so nicht weitergehen könne. Die naheliegende Lösung, wesentliche Kulturinstitutionen der Hauptstadt unter Bundeshoheit zu stellen – von den Berliner Festspielen, der Berlinale über den Gropiusbau bis hin zum Jüdischen Museum – beflügelte die Diskussionen im Feuilleton des ganzen Landes und im Berliner Parlament. Doch der Berliner Kultursenator Christoph Stölzl und sein Partner in Schröders Kabinett einigten sich schnell: Hier ging es nicht um parteiliche Souveränitätsfragen, sondern um die Rettung zumal des Jüdischen Museums – ohne eine Verdreifachung seines Haushalts mit Bundesgeld wäre das Gebäude eine interessante, aber „unbespielbare“ Erinnerung an einen mutigen Entscheid der Berliner Regierung geblieben. Unter Michael Blumenthals Direktion sollte sich das Museum zu einer enormen Attraktion der Hauptstadt entwickeln. Statt der 800 Besucher sind es täglich durchschnittlich 2.000, die seitdem erfahren und erleben können, dass die Geschichte des deutschen Judentums sich über fast zwei Jahrtausende erstreckt – und sie sehen, dass sein mörderisches Schicksal unter dem NS-Regime nicht sein Ende in Deutschland besiegelt hat. So ist das Museum nicht nur ein Haus der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft in einem anderen, besseren Deutschland geworden. Michael Naumann war von 1998 bis Ende 2000 Staatsminister für Kultur und Medien in der Regierung Schröder und ist heute Chefredakteur des Cicero.
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Zeitleiste Timeline
1933–1938
Am 24. Januar 1933, wenige Tage vor der Machtübernahme Hitlers, eröffnet das erste Jüdische Museum in der Oranienburger Straße 29. Im Zuge des Novemberpogroms wird es 1938 von der Gestapo geschlossen und seine Bestände beschlagnahmt. Trägerin des ersten jüdischen Museums war die Jüdische Gemeinde zu Berlin. In 1933, a few days before Hitler came into power, the first Jewish Museum of Berlin was established, at Oranienburger Straße 29. It was run by the Jewish Community and shut down by the Nazis in the course of the November Pogrom in 1938. All the museum’s collections were confiscated.
November 1971
Der Wunsch, in Berlin wieder ein Jüdisches Museum zu gründen, wird erstmals formuliert. In diesem Jahr feierte die Jüdische Gemeinde zu Berlin den 300. Jahrestag ihrer Gründung. Zu diesem Anlass wird im Berlin Museum die Ausstellung „Leistung und Schicksal“ gezeigt. The idea to reestablish a Jewish Museum in Berlin is expressed for the first time. 1971 marks the 300th anniversary of the founding of Berlin’s Jewish Community. For this occasion, the exhibition “Achievement and Destiny” is shown in the Berlin Museum.
Februar 1976
Die „Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin e.V.“ wird gegründet. The Association for a Jewish Museum in Berlin is founded.
August 1981
Das Berlin Museum erwirbt die Judaica-Sammlung des 1980 verstorbenen Münsteraner Kantors Zvi Sofer für das künftige Jüdische Museum. In der Sammlung befinden sich zahlreiche Zeremonialobjekte. The Berlin Museum acquires the Judaica collection of Zvi Sofer, the Münster cantor who died in 1980, for the future Jewish Museum. It contains various objects of ceremonial purpose.
Januar 1984
Im Berlin Museum wird der Vortragssaal aufgegeben, um einen ständigen Ausstellungsraum für die „Jüdische Abteilung“ einzurichten. The auditorium of the Berlin Museum is made available for the “Jewish Department” and a permanent exhibition is set up there.
November 1986
Am 26. November 1986 eröffnet die „Jüdische Abteilung“ des Berlin Museums drei Ausstellungsräume im Martin-Gropius-Bau. Bis 1998 werden hier Dauer- und Wechselausstellungen zur Geschichte und Kultur der Berliner Juden gezeigt. As an interim solution, three additional galleries of the “Jewish Department” of the Berlin Museum are opened in the Martin-Gropius-Bau. The space is used for a permanent exhibit as well as for special exhibitions on the culture and life of Berlin Jews.
November 1988
Der Berliner Senat schreibt Ende 1988 einen „Realisierungswettbewerb für den Erweiterungsbau des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum“ aus. The Berlin Senate issues a call for entries in an architectural competition for the extension of the “Jewish Department” in the Berlin Museum.
Juni 1989
Unter 165 Einsendungen wählt das Preisgericht den Entwurf „Between the Lines“ von Daniel Libeskind. Of the 165 entries submitted, the jury selects the design “Between the Lines” by architect Daniel Libeskind.
November 1992
Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau nach dem Entwurf von Daniel Libeskind. The foundation stone ceremony for the extension building based on the designs of Daniel Libeskind takes place.
Juli 1994
Der israelische Kunsthistoriker und Kurartor Amnon Barzel wird zum Leiter der „Abteilung Jüdisches Museum“ berufen. The Israeli curator and art historian Amnon Barzel is assigned director of the Jewish Museum Department in the Berlin Museum by the Berlin Senate.
Mai 1995
Zum Richtfest des Erweiterungsbaus erscheint die Broschüre „Ein Museum für Berlin“, in der die gegensätzlichen Positionen zum Status des Jüdischen Museums im Berlin Museum sichtbar werden. A brochure called “A Museum for Berlin” is published for the topping-out ceremony for the extension building. In it, the opposing positions regarding the status of the Jewish Museum Department within the Berlin Museum are discussed publicly.
Dezember 1997
Der ehemalige amerikanische Finanzminister W. Michael Blumenthal wird zum Direktor des Jüdischen Museums berufen. The former United States Secretary of the Treasury W. Michael Blumenthal is appointed as the new director of the Jewish Museum.
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Januar 1999
Der Konflikt um den Status des Jüdischen Museums im Berlin Museum endet mit der Entscheidung für die Eigenständigkeit des Jüdischen Museums Berlin. Der Museumsbau wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bis zum Frühjahr 2001 besuchen 350.000 Menschen aus aller Welt das noch leere Gebäude. The conflict surrounding the status of the Jewish Museum in the Berlin Museum ends with the decision for autonomy of the Jewish Museum Berlin. It receives its status as an autonomous foundation under public law. The still empty Libeskind building is open to the public for the first time, attracting more than 350,000 visitors before it is closed again, in 2001.
Januar 2001
Die ehemalige Blindenwerkstatt Otto Weidt wird neue Dependance des Jüdischen Museums Berlin. Im Rahmen einer Reorganisation der Gedenkstätten durch die Bundesregierung im Jahr 2005 wechselt die Einrichtung in die Trägerschaft der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. The former Otto Weidt workshop for the blind becomes a new branch of the Jewish Museum Berlin. In 2005, due to a re-organization of memorial sites by the government, it becomes part of the German Resistance Memorial Center.
September 2001
Das Jüdische Museum Berlin eröffnet seine Dauerausstellung. „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte“ werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Mit interaktiven Elementen, leichter Verständlichkeit und freundlichem Besucherservice steht die Besucherorientierung im Mittelpunkt des Ausstellungskonzepts. Kurz danach eröffnet auch die Berliner Dependance des Leo Baeck Instituts, das im Jüdischen Museum untergebracht ist. The museum opens its doors to the public. In its permanent exhibition “Two Millennia of German Jewish History” are looked upon from different angles. With interactive elements, easily understood information and well informed hosts, the exhibition concept focuses on visitor service. Two weeks after the opening, the Leo Baeck Institute establishes a branch office in the Jewish Museum Berlin.
Dezember 2002
Im Jüdischen Museum wird erstmals der Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin verliehen, in Anwesenheit von führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. The Jewish Museum Berlin’s Prize for Understanding and Tolerance is awarded for the first time. In attendance are leaders from business and politics.
März 2003
Als einmillionste Besucherin wird die 36-jährige Lehrerin Barbara Bierprigl aus Oberammergau begrüßt, die das Museum mit ihrer zweieinhalbjährigen Tochter und ihrem Mann besichtigt. The millionth visitor to the museum is the 36-year-old teacher Barbara Bierprigl of Oberammergau, who toured the museum with her husband and her two-and-a-halfyear-old daughter.
März 2003
Die Ausstellung „Dem Deutschen Volke. Die Geschichte der Berliner Bronzegießer Loevy“ wird eröffnet, die erste größere Wechselausstellung seit der Eröffnung der Dauerausstellung. Anwesend sind Urenkelinnen des Firmengründers S. A. Loevy und weitere Nachfahren der Familie. The first big temporary exhibition “To the German People: The Story of the Loevy Bronze Foundry in Berlin” is opened. In attendance are great grandchildren of S.A. Loevy, the founder of the company, and other descendants of the family.
Mai 2003
Eröffnung des ersten Kultursommers mit Klezmerkonzerten im Museumsgarten. Neben zahlreichen musikalischen, kulinarischen und weiteren kulturellen Veranstaltungen lesen die bekannten Schauspieler Iris Berben und Michael Degen. The first Cultural Summer Program begins, including concerts in the museum garden as well as numerous other musical, culinary, and cultural events, such as a reading by the well-known actors Iris Berben and Michael Degen.
September 2003
Das Jüdische Museum Berlin feiert seinen zweiten Geburtstag mit der Eröffnung der Ausstellung „Kontrapunkt - Die Architektur von Daniel Libeskind“ im Beisein von Daniel Libeskind. The Jewish Museum Berlin celebrates its second birthday with the inauguration of the exhibition “Counterpoint. The Architecture of Daniel Libeskind” attended by Daniel Libeskind.
Februar 2004
Museumsdirektor W. Michael Blumenthal eröffnet die Ausstellung „10 + 5 = Gott. Die Macht der Zeichen“, die ein Kaleidoskop überraschender Aspekte zu Buchstaben und Zahlen in der jüdischen und deutschen Kultur zeigt. Museum director W. Michael Blumenthal inaugurates the exhibition “10 + 5 = God: The Power of Signs,” showing a kaleidoscope of surprising aspects of letters and numbers in Jewish and German culture.
Dezember 2004
Der Jahresbericht 2001/2002 des Jüdischen Museums Berlin (Gestaltung: Groothuis, Lohfert, Consorten) erhält den „red dot design award“ des Design Zentrums Nordrhein-Westfalen. The museum’s Annual Report of 2001/2002 (Design: Groothuis, Lohfert, Consorten) receives the red dot award of the Design Zentrum Nordrhein-Westfalen.
April 2005
Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums wird seit seiner Eröffnung als „work in progress“ verstanden und ständig erneuert. Das erste komplett neugestaltete Segment der Dauerausstellung wird im April 2005 eröffnet. Das neue Kapitel „Deutsche und Juden zugleich“ stellt den Patriotismus, den Zionismus, den Sozialismus und die Taufe als mögliche Identitäten deutscher Juden in der Zeit von 1800 bis 1914 vor dem Hintergrund der Geschichte der Emanzipation und des Antisemitismus dar. The permanent exhibition of the Jewish Museum is understood as a “work in progress” and its first completely redesigned segment is inaugurated: The new section “Both German and Jewish” depicts patriotism, Zionism, socialism, and baptism as possible identities of German Jews in the period from 1800 to 1914, against the background of the history of emancipation and anti-Semitism.
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Juni 2005
Die Ausstellung „Techniker der ‚Endlösung‘. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ wird eröffnet. Sie wurde konzipiert von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Berlin und dem Museum Auschwitz. The exhibition “Technicians of the ‘Final Solution’: Topf & Söhne, the Oven-Builders for Auschwitz” is opened. It was developed by the Foundation of the Buchenwald and Mittelbau-Dora memorials in collaboration with the Jewish Museum Berlin and the Auschwitz Museum.
Juli 2005
Der neue Gruppeneingang des Museums, konzipiert und realisiert vom Architekten Matthias Reese, wird eröffnet. The museum’s new group entrance, designed and built by architect Matthias Reese, opens.
Oktober 2005
Die Ausstellung „Weihnukka. Geschichten von Weihnachten und Chanukka“ wird eröffnet. Begleitet wird die Ausstellung von einem Chanukka-Markt im Glashof des Museums, der sich auch in den folgenden Jahren als besonderer Markt im winterlichen Berlin etabliert. The exhibition “Chrismukkah: Stories of Christmas and Hanukkah” is inaugurated. Accompanying the exhibition a “Hanukkah market” takes place in the museum’s courtyard. The market becomes well-established in subsequent years as a special holiday market in wintry Berlin.
November 2005
Die Stiftung Buchkunst prämiert die didaktisch aufbereitete Quellensammlung „Kommentierte Dokumente zur Geschichte der Juden im Nationalsozialismus“ (Herausgeber: Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Gestaltung: Birgit Eggers) als eines der „schönsten deutschen Bücher 2005“. The Buchkunst (Book Art) Foundation awards a prize to the museum’s educational source compilation, “Kommentierte Dokumente zur Geschichte der Juden im Nationalsozialismus” (Annotated Documents on the History of Jews in National Socialism, design: Birgit Eggers), as one of the “most beautiful German books” of 2005.
Februar 2006
Für die multimediale Kindergeschichte „Sansanvis Park“ gewinnt das Museum den Deutschen Bildungssoftware-Preis „digita“ in der Kategorie „Privates Lernen unter 10 Jahren“. „Sansanvis Park“ wird in dem von Rafael Roth gestiftetem multimedialen Learning Center des Museums gezeigt. The multimedia story “Sansanvi’s Park” receives the “digita”, a German award for educational software, in the category of “private learning under 10 years of age”. “Sansanvi’s Park” is shown at the museum’s Rafael Roth Learning Center.
April 2006
Die Ausstellung „PSYCHOanalyse. Sigmund Freud zum 150. Geburtstag“ wird eröffnet. The exhibition “PSYCHOanalysis: Sigmund Freud at 150” is inaugurated.
September 2006
In der Ausstellung „Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933“ wird der erzwungene Exodus erstmals in einer Gesamtschau dargestellt. Die Ausstellung wurde vom Jüdischen Museum Berlin und der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland realisiert. “Home and Exile: Jewish Emigration from Germany after 1933” is the first exhibition to depict the full extent of the forced exodus. The comprehensive show is the result of a cooperation of the Jewish Museum Berlin and the Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Foundation.
März 2007
Veranstaltung der Aktionswoche „Dafur: Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in Kooperation mit Human Rights Watch. Mit zwei Ausstellungen, einer internationalen Konferenz und weiteren Veranstaltungen macht das Museum auf das Morden und die Menschenrechtsverletzungen im Sudan aufmerksam. As part of the week of events on “Darfur: Crimes against Humanity” in cooperation with Human Rights Watch, the museum presents two exhibitions, an international conference, and other events to draw attention to the murders and the human rights violations in Sudan.
Juni 2007
Start des Bildungsprojektes „on.tour – Das JMB macht Schule“: Mit einer mobilen Ausstellung, einem interaktiven Workshop und einem Tourbus steuert das Museum Schulen in allen Bundesländern an. The educational project “on.tour—the JMB Tours Schools” starts. By tour bus, the museum’s outreach program visits schools in several federal states with a mobile exhibition and an interactive workshop.
September 2007
Der neue Glashof des Museums, der nach einem Entwurf von Daniel Libeskind entstanden ist, wird im Beisein des Architekten und vieler prominenter Gäste feierlich eröffnet. The Glass Courtyard—the former atrium of the museum—, designed by Daniel Libeskind, is inaugurated. The opening ceremony is attended by the architect and many prominent guests.
März 2008
Eröffnung der Sonderausstellung „typisch! Klischees von Juden und Anderen“. Anhand von Kunstwerken, Fotografien und Filmausschnitten untersucht die Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin und des Jüdischen Museums Wien, wie populärkulturelle Objekte, Nippes und historische Sammlerstücke stereotype Botschaften verbreiten. The special exhibition “Typical! Clichés about Jews and Others” opens. Through works of art, photographs, and film clips, the exhibition, a collaboration of the Jewish Museum Berlin and the Jewish Museum Vienna, examine how stereotypes are spread through objects of popular culture, knickknacks, and historical collector’s items.
März 2008
Der Berliner Zweig der Wiener Library wird im Jüdischen Museum eröffnet. The Wiener Library’s Berlin branch opens in the Jewish Museum.
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September 2008
Das Museum empfängt die fünfmillionste Besucherin. The museum greets its five millionth visitor.
September 2008
Die Ausstellung „Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute“ (in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt) wird eröffnet. Sie zeichnet die historischen Abläufe, Zusammenhänge und Folgen des europaweiten Raubzuges der Nationalsozialisten nach. The exhibition “Looting and Restitution: Jewish-Owned Cultural Artifacts from 1933 to the Present” is inaugurated. It outlines the historical events, contexts, and consequences of the looting carried out throughout Europe by the Nazis. The exhibition was developed with the Jewish Museum of the city of Frankfurt.
März 2009
Das Projekt „on.tour – Das JMB macht Schule“ wird „Ausgewählter Ort“ im Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“. The “on.tour—the JMB Tours Schools” project is nominated a “Selected Landmark” in the competition of the “Germany—Land of Ideas” initiative.
März 2009
Die vom US Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C. erarbeitete Ausstellung „Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus“ wird im Jüdischen Museum Berlin eröffnet. Das Jüdische Museum Berlin hat die Ausstellung um Beispiele aus Berlin und Brandenburg erweitert, die Organisation und Ablauf der Krankenmorde veranschaulichen. The exhibition “Deadly Medicine: Creating the Master Race,” prepared by the U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington, DC, is opened at the Jewish Museum Berlin. The Jewish Museum Berlin shows an expanded version, including examples from Berlin and Brandenburg that illustrated the organization and procedure of murdering the sick.
April 2009
Für die Erweiterung des Jüdischen Museums Berlin wird das Areal des ehemaligen Blumengroßmarkts auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Museums ausgwählt. The grounds of the former wholesale flower market across the street from the museum are chosen for an expansion of the Jewish Museum Berlin.
Oktober 2009
Eine Ausstellung bittet zu Tisch! Die Sonderausstellung „Koscher & Co. Über Essen und Religion“ spannt den Bogen von den uralten Kulturen Mesopotamiens bis in die unmittelbare Gegenwart der jüdischen Küche. The museum invites guests to take a seat at the table. The special exhibition “Kosher & Co.: On Food and Religion” spans the range from the ancient cultures of Mesopotamia to present day Jewish cuisine.
April 2010
Die Ausstellung „Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics“ wird eröffnet. Die Ausstellung wurde vom Musée d’art et d’histoire du Judaïsme in Paris und dem Joods Historisch Museum in Amsterdam entwickelt und vom Jüdischen Museum Berlin übernommen. The exhibition “Heroes, Freaks and Super Rabbis: The Jewish Dimension of Comic Art” is inaugurated. The exhibition was developed by the Musée d’art et d’histoire du Judaïsme in Paris and the Joods Historisch Museum in Amsterdam, in cooperation with the Jewish Museum Berlin.
Oktober 2010
Baubeginn am Erweiterungsbau. Der Umbau der Blumengroßmarkthalle zur Akademie des Jüdischen Museums erfolgt nach einem Entwurf von Daniel Libeskind. Construction on the expansion building begins. The conversion of the former flower market hall into the future Academy of the Jewish Museum is designed by Daniel Libeskind.
September 2010
Bundespräsident Christian Wulff eröffnet im Jüdischen Museum die Sonderausstellung „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“, die erstmals die gesamte Dimension dieses Verbrechens und seiner Folgen nach 1945 zeigt. Kuratiert wurde die Ausstellung von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, initiiert und gefördert von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). The President of the Federal Republic of Germany Christian Wulff opens the special exhibition “Forced Labor: The Germans, the Forced Laborers, and the War” in the Jewish Museum Berlin, the first comprehensive presentation of this crime and its ramifications after 1945. The exhibition was curated by the Foundation of the Buchenwald and Mittelbau-Dora Memorials; it was initiated and sponsored by the “Remembrance, Responsibility, and Future” Foundation (EVZ).
April 2011
Die Ausstellung „Radical Jewish Culture. Musikszene New York seit 1990“ wird eröffnet. Im Begleitprogramm der Ausstellung, der Konzertreihe „New Voices in Jewish Music“, stellt das Museum zusammen mit dem Jazzbassisten Greg Cohen zeitgenössische jüdische Musik vor. The exhibition “Radical Jewish Culture: Music Scene in New York since 1990” opens. In the accompanying program “New Voices in Jewish Music,” the museum, together with jazz bassist Greg Cohen, presents contemporary Jewish music.
September 2011
Die Ausstellung „Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland“ wird eröffnet. The exhibition “How German Is It? 30 Artists’ Notion of Home” is inaugurated.
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Interview Interview
Daniel Libeskind
Daniel Libeskind ist einer der bekanntesten Architekten der Welt. Im Jahr 2012 wird das Jüdische Museum expandieren und einen weiteren Bau nach seinem Entwurf eröffnen: die Akademie des Jüdischen Museums Berlin.
Daniel Libeskind is one of the most famous architects worldwide. In 2012 the Jewish Museum will expand and open the doors to another building designed by him: the JMB Academy.
Daniel Libeskind, Sie haben gesellschaftlich und historisch bedeutende Bauten in Deutschland und Polen entworfen, beides Länder mit einer leidvollen Vergangenheit und beide sehr wichtig für Ihre eigene Lebensgeschichte. Was heißt es für Sie, in diesen Ländern zu bauen? Gibt es einen philosophischen Subtext, der Ihnen wichtig ist, wenn Sie Gebäude wie das Jüdische Museum, das Złota 44 in Warschau oder zuletzt das Militärhistorische Museum in Dresden entwerfen?
Daniel Libeskind, you have built socially and historically significant buildings in Germany and Poland, both countries with a painful past and both very important to your own biography. What does it mean to you to build in these countries? Is there a philosophical subtext that is important to you when you design buildings such as the Jewish Museum, the Złota 44 in Warsaw, or, recently, the Military History Museum in Dresden?
Ja, den gibt es! Vor allem ist es mir wichtig festzuhalten, dass das heutige Polen ein anderes ist als das, in dem ich aufwuchs. Polen ist keine kommunistische Diktatur mehr, sondern ein freies, demokratisches Land. Natürlich gilt dasselbe auch für Deutschland, nach der Katastrophe des Holocaust. Diese Orte haben sich gewandelt! Und wenn man in dieser neuen, offenen Atmosphäre arbeitet, sollte man aus dieser Wandlung eine Lehre ziehen und die oft schwierige und tragische Vergangenheit integrieren in das heutige Bild, die heutige Wahrnehmung der Welt. Ob es sich um Polen handelt, um Dresden oder um Berlin – für mich ist das etwas sehr Wichtiges, etwas, woran ich wirklich glaube. Denn es ist etwas, das eine von Offenheit geprägte Zukunft schafft. Als Sie mit dem Bau des Jüdischen Museums begannen, beschlossen Sie auch, nach Berlin zu ziehen. Wie fühlte sich das damals an?
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Yes, there is! First of all, it is important to note that Poland today is a different Poland from the one that I grew up in. It is no longer a communist dictatorship, but a free, democratic country. Of course the same is true for Germany since the Holocaust. These places have changed. Working in this new, opened-up atmosphere means that one should learn a lesson and integrate what is often a difficult and tragic past into the contemporary scene, into the contemporary notion of the world. Whether it’s Poland, whether it’s Dresden, whether it’s Berlin—I think that’s something very important, something I truly believe in. Because it’s something that creates an open future. When you started building the Jewish Museum, you also decided to move to Berlin. How did that feel, at the time?
Nun, aus heutiger Sicht scheint es verrückt, aber ich zog nicht wegen eines Projekts nach Berlin, nicht deshalb, weil ich ein Gebäude bauen wollte – jeder Architekt will ein Gebäude bauen. Nein, es ging vielmehr um eine Form des Engagements, etwas, das über die rein materiellen Gegenstände hinausweist: Wie kann man in die heutige Wahrnehmung transportieren, was sich nie überbrücken ließ, diesen Abgrund, den die Schoa aufriss? Wie kann man etwas schaffen, das sich auf die Zukunft hin zu bewegen vermag? Ich war immer der Überzeugung, dass die Geschichte nicht an irgendeinem Punkt stehen bleibt, sondern ein fortlaufender Prozess ist. Und dass es unsere fortwährende Einbezogenheit in die Geschichte ist, die uns die Möglichkeit gibt, schöpferisch und sogar optimistisch zu handeln.
creatively and even optimistically.
Das Jüdische Museum sollte am 11. September 2001 für das Publikum eröffnet werden – also genau an dem Tag, an dem die Twin Towers in New York und das Pentagon von einem Terroranschlag getroffen wurden. Natürlich erinnert sich jeder an diesen Tag, und für alle, die hier arbeiteten, war es eine unfassbare, furchtbare Gleichzeitigkeit. Wie haben Sie den Tag erlebt?
The museum was supposed to open to the public on 9/11—the day the twin towers in New York were hit by a terrorist attack. Everybody remembers that day, and for all who worked here, this was an incredible, terrible coincidence. How did you experience that day?
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Well, in retrospect it seems crazy, but moving to Berlin was not about a project, it was not about building a building—any architect wants to build a building—it was about a commitment, something beyond a merely material object: How to cross what could never be bridged, that abyss created by the Shoah. How to create something that can move forward. It was always my belief that history doesn’t stop at some point, that history is continuous. And that a continuous involvement in history gives us the ability to act
Daniel Libeskind in den Achsen des Neubaus Daniel Libeskind in the underground axes of the New Building
Das war sehr seltsam. Ich machte dieselbe Erfahrung wie wohl viele Menschen im Jüdischen Museum. Morgens kam ich in mein Atelier in Berlin und sagte zu allen: „Dies ist der erste Tag, an dem ich nicht über Geschichte nachdenken muss, denn ab heute können die Leute in das Museum gehen und sich die Geschichte selbst anschauen.“ Dann kam natürlich alles anders, und wir sahen diese grauenvollen Bilder. Ich begriff, dass man nie sagen kann, man müsse nicht über Geschichte nachdenken. Die Geschichte geht immer weiter und ist auf Art und Weise verflochten, die wir nie voll und ganz verstehen. Ich verbinde auch eine ganz persönliche Erinnerung mit diesem Tag. Gerade an dem Wochenende hatten wir in Berlin die Bat Mitzwa für meine Tochter Rachel gefeiert, übrigens die erste seit 1933 in der Synagoge in der Oranienburger Straße. Unsere Angehörigen und Freunde waren aus New York gekommen, und nun konnten sie nicht zurück, weil dort keine Flugzeuge mehr landeten. Also saßen wir alle hier in Berlin, eigentlich aus freudigen Anlässen – die Museumseröffnung, die Bat Mitzwa. Doch nun war alles überschattet von diesem furchtbaren Ereignis und auf seltsame Weise miteinander verknüpft. Denn als ich diese Bilder sah, wandte ich mich zu meiner Frau und den anderen und sagte: „Ich gehe zurück nach Manhattan, ich will zurück nach Manhattan.“
It was so strange. I had the same experience that probably many
Sie haben das Jüdische Museum entworfen, später auch seinen Glashof, und nun bauen Sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite die JMB-Akademie. Ist das Jüdische Museum Berlin für Sie ein Lebensprojekt?
to lower Manhattan.
Nein! Nein, ein Lebensprojekt würde ich es nicht nennen. Ich würde sagen, es ist ein lebenslängliches Engagement! Sie sind einer der berühmtesten und herausragendsten Schöpfer und Interpreten symbolisch bedeutsamer Räume. Doch neben diesen Projekten haben Sie auch ganz andere Gebäude entworfen, Wohnhäuser, Wolkenkratzer und sogar einen Meditationsgarten. Wenn Sie die freie Wahl hätten, ohne Einschränkungen: Welche Art von Gebäude würden Sie heute in Berlin gerne schaffen? Ich würde sehr gerne etwas bauen, das eine Mischnutzung nahelegt und zeigt, dass Kulturelles, Wohnen und Ausbildung miteinander verbunden sind. Und dass all dies irgendwie Teil des täglichen Lebens ist. Ich würde gerne ein Stück einer Stadt wirklich umformen, einen Stadtteil schaffen, in der die Menschen ein schöpferisches Leben führen können.
people in the Jewish Museum had. On this day I came to my studio in Berlin and I said to everyone: “This is the first day I don’t have to really think about history, because people can now enter the museum and look at history for themselves.” Then of course everything changed, and we saw those terrifying images. I realized that you can never say that you don’t have to think about history. History is ongoing and permanently intertwined in ways we don’t fully understand. This day is an incredible memory for me, because that weekend we had a Bat Mitzvah for my daughter Rachel in Berlin, actually the first one since 1933 in the synagogue in Oranienburger Strasse. Our family and friends had come from New York, and now couldn’t get back home because their planes wouldn’t land. So we all sat there, back in Berlin, looking at happy times—the museum opening, the Bat Mitzvah. And yet everything was affected by that terrible event and strangely interconnected, because when I saw those images I turned to my wife and the others, and said: I’m returning to lower Manhattan, I want to go back
You built the museum, of course, and its glass courtyard, and now you’re building the JMB Academy across the street. Is the JMB a lifetime project for you? No! No, I wouldn’t say it’s a lifetime project. I would say it’s a lifetime commitment! You are known as one of the most famous and most outstanding designers and interpreters of symbolically significant spaces. Apart from these projects you have designed very different buildings as well, apartment houses, skyscrapers and even a meditation garden. If you had a free choice and no limitations, what kind of a building would you want to create in Berlin today? I would love to do something that shows a mixed-used neighborhood, which shows that cultural commerce, housing and education
Die künftige JMB-Akademie wird von Wohnblöcken umgeben sein, also schaffen Sie dort schon etwas Derartiges, einen Ort, wo man zugleich wohnen und Kultur erfahren kann. Ja, und darum ist das auch eins meiner Lieblingsprojekte! Es ist mir so wichtig, weil für mich, aber auch
are interconnected. And that all of it is somehow part of everyday life. I would like to really transform a piece of a city, or create a neighborhood where people can live a creative life. The future JMB Academy will be surrounded by apartment build-
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CNC – Communications & Network Consulting CNC - Communications & Network Consulting is an international strategic corporate consultancy which advises large corporations, mid-cap companies, institutions and individuals on all aspects of strategic communications within their individual markets. With around 100 employees in 14 cities across Europe, North and South America as well as Asia, CNC is one of the world’s leading international strategic communications consultancies.
Angela Steiner & Prof. Dr. Marc Steiner
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gratulieren dem Jüdischen Museum Berlin zu seinem zehnjährigen Bestehen.
Communication matters.
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allgemein in der jüdischen Tradition die Bildung im Kern der Seele liegt. Es geht dabei nicht nur um Informationen, sondern um Bildung als lebenslange Erfahrung einer Verbindung mit der Wirklichkeit. Deshalb gibt es für mich nichts Bedeutsameres, als die Akademie zu bauen und damit die kulturellen Aktivitäten des Jüdischen Museums auf junge Berlinerinnen und Berliner auszuweiten und auf andere, die herkommen, um zu forschen, Vorträge zu hören, zu arbeiten. Das ist ein sehr inspirierendes Projekt!
ings, so you actually are creating that kind of place; a place where one can live and experience culture. Yes, and it’s really one of my favourite projects! It is so important, because to me, and in the Jewish tradition in general, education is at the core of the soul. It’s not just information, but education that is a lifetime experience of connection to reality. So to me, there’s nothing more significant than building the Jewish Academy
In welcher Rolle würden Sie das Jüdische Museum künftig gerne sehen? Nun, ich hoffe, es wird so weitermachen wie bisher. Es ist für viele Menschen in aller Welt eine großartige Inspiration. Ich möchte aber auch sagen, wie froh ich bin, an einem Projekt beteiligt zu sein, das auf eine so verletzliche Weise begann. Da wurde so viel infrage gestellt! Und es ist toll zu sehen, was für eine fest verankerte Institution es heute ist, ein Teil des Lebens der Menschen in Berlin, ein wirklicher Teil von Berlin und von Deutschland. Das ist nicht zu unterschätzen: Dieses Museum ist etwas Wichtiges für Deutschlands Zukunft, für Europas Zukunft. Interview: Marie Naumann
and being able to extend the activities of the Jewish Museum culturally to young Berliners, to others who have come there to study, to hear lectures, to work. It’s a very inspiring project. How would you like to see the future role of the Jewish Museum? Well, I hope it will continue as it has. It has been a fantastic inspiration to many people around the world. I also would like to say how lucky I am to be involved in a project which started in such a vulnerable way. There was so much questioning! And it’s great to see that today it’s such a strong institution, which is part of people’s lives in Berlin, really part of Berlin, part of Germany. This is not to be underrated: The Museum is important for the future of Germany, for the future of Europe. Interview: Marie Naumann
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Die zehn Sefirot The Ten Sefirot
Andreas Kilcher
At the center of Jewish mysticism are the teachings of the ten sefirot. It is not simply by chance that the so-called tree of the sefirot is one of its most familiar elements. But what exactly is meant by these sefirot? At first glance one assumes that this is a kind of mystical or metaphysical mathematics, based on ten units. In fact, the word sefirot (or singular sefira) literally means “ciphers or numbers,” derived from the Hebrew root safar, counting, and related to many words including sefer, book. This literal definition of the sefirot as numbers is in fact accurate with respect to their first mention in the history of Jewish mysticism. In any case they appear in the Sefer Yesira, the Book of Creation, an early medieval work. This text, which was very influential in the history of the Kabbalah, first speaks of ten sefirot, whereby numbers are clearly meant, evidently based on the Pythagorean decimal system. According to the first sections of the Sefer Yesira:
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Im Zentrum der jüdischen Mystik steht die Lehre der zehn Sefirot. Der sogenannte Baum der Sefirot gehört nicht zufällig zu ihren bekanntesten Elementen. Doch was ist mit jenen Sefirot genau gemeint? Man wird auf den ersten Blick annehmen, dass es sich hierbei um eine Art mystische bzw. metaphysische Mathematik handelt, auf der Grundlage von zehn Einheiten. In der Tat bedeutet das Wort Sefirot wörtlich „Zahlen“ (bzw. im Singular „Sefira“, Zahl), abgeleitet von der hebräischen Wurzel „safar“, zählen, und verwandt unter anderem mit dem Wort „Sefer“, Buch. Diese wörtliche Bedeutung der Sefirot als Zahlen trifft für ihr erstes Auftreten in der Geschichte der jüdischen Mystik tatsächlich zu. So jedenfalls erscheinen sie im sogenannten Sefer Jezira, dem „Buch der Schöpfung“, das aus dem frühen Mittelalter stammt. In diesem für die Geschichte der Kabbala sehr einflussreichen Text ist erstmals von zehn Sefirot die Rede, wobei
The ten sefirot are the basis—like the number of the ten fingers.... The ten sefirot are the basis—ten and not nine, ten and not eleven. Understand with wisdom, and be wise with understanding. Test them and investigate them. Know and ponder and form (a mental image). Get the thing clearly worked out .... This sounds initially like the most elementary arithmetic, and at a literal level it is certainly that, perhaps aside from the puzzling “basis” (belimah, literally “without anything”), over which the commentators spilled much ink. But already in the subsequent sections, which refer to the quality of these ten numbers over and over again in new approaches, it is obvious that this decade also contains a more profound or “higher” wisdom (chokmah), namely such that all things—the structure of the world and the nature of God—are arranged according to this system of ten: The ten sefirot are the basis; their measure is ten for they have no limit: dimension of beginning and dimension of end, dimension of good and dimension of evil, dimension of above and dimension of below, dimension of east and dimension of west, dimension of north and dimension of south. ... The ten sefirot are the basis: one—the Spirit of the Living God; two—air from the Spirit; three—water from air; four—fire from water; and the height above and below, east and west, north and south. ... The ten sefirot are the basis. Their end is fixed in their beginning as the flame is bound to the burning coal. ... In this early text of Jewish mysticism, the sefirot are thus considered the elementary basic units, the combinations and permutations (tzeruf) of which create the world. According to the Sefer Yesira, in addition to these ten basic numbers come the twenty-two “foundational letters” (otiyot yesod), which refer to the letters of the Hebrew alphabet. With these, the ten sefirot yield the “thirty-two mysterious paths of wisdom.” On a literal level these are the ten numbers and twentytwo letters; at a metaphysical level they represent nothing less than the foundational elements of creation. Thus the Sefer Yesira is the basis for a mystical, to some extent even magical, mathematics meant to explain the totality of a conception of the world. It is mystical in the sense that it is a hidden pattern of the world which the “wise” must recognize. It is magical in its implementation, since whoever knows “what holds the world together in its inmost folds”—that is, the
eindeutig Zahlen gemeint sind, offensichtlich in Anlehnung an das pythagoreische Dezimalsystem. So heißt es in den ersten Abschnitten des Sefer Jezira: „Zehn Zahlen [Sefirot] ohne etwas, entsprechend den zehn Fingern […].“ „Zehn Zahlen ohne etwas, zehn und nicht neun, zehn und nicht elf; verstehe die Weisheit und erkenne mit Einsicht, prüfe durch sie und erforsche von ihnen, wisse, rechne und zeichne; stelle die Sache in ihre Klarheit […].“ Das hört sich zunächst nach elementarster Zahlenlehre an, und gewiss ist es das auf einer wörtlichen Ebene auch, vielleicht abgesehen von dem etwas rätselhaften Zusatz „ohne etwas“ (belima), über den sich die Kommentatoren die Köpfe zerbrachen. Doch schon in den nächsten Abschnitten, die in immer neuen Ansätzen die Eigenschaft dieser zehn Zahlen umschreiben, wird deutlich, dass diese Dekade auch eine tiefere bzw. höhere „Weisheit“ (Chochma) enthält, dergestalt nämlich, dass alle Dinge – der Aufbau der Welt sowie die Natur Gottes – nach diesem Zehnersystem angeordnet sind: „Zehn Zahlen ohne etwas, ihr Maas ist zehn, sind aber Grenzenlos, eine Dimension des Anfangs und Dimension des Endes, Dimension des Guten und Dimension des Bösen, Dimension der Höhe und Dimension der Tiefe, Dimension des Ostens und Dimension des Westens, Dimension des Nordens und Dimension des Südens […].“ „Das sind die zehn Zahlen ohne etwas: eins, der Geist des lebendigen Gottes; zwei, der Geist aus Geist, drei, Wasser aus Luft, vier, Feuer aus Wasser. Höhe, Tiefe, Osten, Westen, Norden und Süden […].“ „Zehn Zahlen ohne etwas, ihr Ende ist in ihrem Anfang gesteckt und ebenso ihr Anfang in ihrem Ende, wie die Flamme und die Kohle gebunden ist […].“ In diesem frühen Text der jüdischen Mystik gelten die Sefirot mithin als elementare Grundformen, durch deren Kombination (Zeruf) die Welt geschaffen ist. Zu diesen zehn Grundzahlen kommen laut Sefer Jezira noch die 22 „Grundbuchstaben“ (Otjot Jessod), gemeint sind die Buchstaben des hebräischen Alphabets. Zusammen mit diesen ergeben die zehn Sefirot die „32 verborgenen Wege der Weisheit“. Auf einer wörtlichen Ebene sind dies die zehn Zahlen und die 22 Buchstaben, auf
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numbers and letters—can also use them in order to reformulate them (the creation of the Golem is part of this tradition). The “know, ponder, and form an image” is a call to a mystical and magical engineer of the numbers and letters. This understanding of the sefirot changed as it was developed further in the later Kabbalah, more specifically in the Sefer ha-Zohar, the Book of Splendor, that was written around 1300 in Spain; a short time later it was systematically worked out in detail in the Sha’are Orah (Gates of Light) by Joseph Gikatilla. This is where the system of the ten sefirot was first developed in the form most familiar today: as a theosophical system that described God in ten “spheres,” “realms,” “features,” “attributes,” or “names.” This alone makes it clear that these sefirot no longer pertain to numbers, but to specific qualities of God. What remains, however, is the decimal system, which here too provides the foundation for a complete metaphysical conception of the world. The term sefirot never appears in the Zohar, however, where they are instead described using metaphoric names as “mystical crowns of the Holy King,” “the King’s faces,” the “garments” of the Divinity, or “beams of lights” that emanate from the Divinity. The entire universe is nevertheless based upon this divine decade. Everything—the whole world and the words of the Torah—are traced in the Zohar to this theosophical pattern, that is, the ten levels in which the Deity is manifested from the innermost seclusion down to the presence in the world: 1. Keter Elyon (supreme crown), 2. Chokmah (wisdom), 3. Binah (intelligence), 4. Chesed (love), 5. Gevurah (power), 6. Rahamim (compassion), 7. Netzach (lasting endurance), 8. Hod (majesty), 9. Yesod (foundation), 10. Malkhut (kingdom of God in the world, Shekhinah). This decade of sefirot, which was later depicted in the form of concentric circles or a tree, is thus a body of divine qualities, which, as metaphysical forms, determine the blueprint of the world and, as symbolic forms, the woven fabric of the Torah. In this way, for Kabbalists, all things of the world and all words of the Torah can be decoded as a manifestation of the ten divine qualities. What is scattered and discussed metaphorically in the Zohar was brought into a systematic form by Joseph Gikatilla in the Sha’are Orah. This book can be considered virtually a kind of lexicon of the ten symbolic forms of the Zohar Kabbalah. Here too the Torah is read as an encoded presentation of the ten aspects
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einer metaphysischen aber nichts weniger als die Grundelemente der Schöpfung. Damit begründet das Sefer Jezira eine mystische, in Ansätzen sogar magische Mathematik, die die Totalität eines Weltentwurfs begründen soll. Mystisch ist sie als ein verborgenes Muster der Welt, das der „Weise“ zu erkennen hat. Magisch ist sie in ihrer Anwendung, denn wer weiß, was die Welt im Innersten zusammenhält – eben die Zahlen und Buchstaben –, vermag sie mit ihrer Hilfe auch neu zusammenzusetzen (in dieser Tradition steht auch die Schöpfung des Golems). Das „Wisse, rechne und zeichne“ ist eine Aufforderung an einen mystischen wie an einen magischen Ingenieur der Zahlen und Buchstaben. Davon nun unterscheidet sich das Verständnis der Sefirot, wie es in der späteren Kabbala weiterentwickelt wurde, genauer in Sefer ha-Sohar, dem „Buch des Glanzes“, das um 1300 in Spanien verfasst und kurz darauf im Buch „Schaare Ora“ („Pforten des Lichts“) von Joseph Gikatilla systematisch ausformuliert wurde. Hier erst wurde jenes System der zehn Sefirot entwickelt, wie es heute am ehesten bekannt ist: ein theosophisches System, das Gott in zehn „Sphären“, „Bereichen“, „Eigenschaften“, „Attributen“ oder „Namen“ beschreibt. Schon dies macht deutlich, dass es sich bei diesen Sefirot nicht mehr um Zahlen handelt, sondern um bestimmte Qualitäten Gottes. Was bleibt, ist allerdings das Dezimalsystem, das auch hier die Vollständigkeit eines metaphysischen Weltentwurfs begründet. Im Sohar fällt der Begriff Sefirot allerdings nie, sie werden dort in metaphorischen Namen umschrieben: als „mystische Kronen des heiligen Königs“, als „Gesichter des Königs“, als „Gewänder“ Gottes oder als die „Lichter“, die aus ihm strahlen. Dennoch beruht das gesamte Universum auf dieser göttlichen Dekade. Alles – die ganze Welt wie auch die Worte der Tora – wird im Sohar auf dieses theosophische Muster hin zurückgeführt, alles also auf die zehn Stufen, in denen sich die Gottheit aus der innersten Verborgenheit heraus bis zur Präsenz in der Welt absteigend manifestiert: 1. Kether Eljon (höchste Krone), 2. Chochma (Weisheit), 3. Bina (Verstand), 4. Chessed (Liebe), 5. Gebura (Macht) oder Din (Strenge), 6. Rachamim (Barmherzigkeit), 7. Nezach (Beständigkeit), 8. Hod (Majestät), 9. Jessod (Grund), 10. Malchut (Königreich bzw. die Einwohnung Gottes in der Welt, Schechina). Diese Dekade der Sefirot, die später in Form von konzentrischen Kreisen oder eines Baumes dargestellt wurde,
of the divine pleroma. The most concise description of this topos is the interpretation of the Torah as a fabric of divine names, which are ultimately all forms of the One name, the tetragrammaton: Know that all the Holy Names in the Torah are intrinsically tied to the Tetragrammaton, which is YHVH. …. Know too that all the words in the Torah are connected to one of the unerasable Divine Names just as the other Cognomens [for the different Names of God] are intrinsically tied to a specific name … Just as EloHim and the Tetragrammaton have Cognomens, their Cognomens also have Cognomens until one finds that all the words of the Torah are intrinsically woven into the tapestry of God’s Cognomens which are tied to God’s Names which, in turn, are tied to the ineffable Tetragrammaton, YHVH, to which all the Torah’s words are inextricably linked. Thus all the Torah is woven with [the strands of] YHVH. This topos of the names that determine the text of the Torah is reflected in the sefirot that Gikatilla called the ten “gates of light.” In contrast to most sefirot commentaries, Gikatilla’s follows not the descending, emanative direction, but the ascending one. In other words he began with the tenth sefira, Malkhut, and ended with the first sefira Keter. Thus Malkhut is attributed with the name Adonai (Lord), which in turn has a series of cognomens, such as Brachah (blessing), Beer (well), Yam (sea), Bet ha-Mikdash (Temple), Shechinah (presence of God), and Kol (everything), “for from it everything is drawn.” According to this pattern, the writing of the Torah, as well as the writing of things, can be read as a fabric of ten archetypical foundational forms. The decade of the sefirot thus formally appears as the universal, divine subtext in our readable world. Andreas Kilcher is a professor for literature and cultural studies at the ETH Zurich. He is a member of The Competence Centre “History of Knowledge”, a scientific centre of excellence of the ETH Zurich and the University of Zurich, as well as a co-founder of the European Society for the Study of Western Esotericism.
erweist sich somit als ein Korpus göttlicher Eigenschaften, die als metaphysische Formen den Bauplan der Welt und als symbolische Formen die Textur der Tora bestimmen. So werden alle Dinge der Welt und alle Worte der Tora dem Kabbalisten als Manifestation der zehn göttlichen Eigenschaften entzifferbar. Was im Sohar verstreut und metaphorisch angesprochen ist, brachte Joseph Gikatilla in „Schaare Ora“ in eine systematische Form; dieses Buch kann geradezu als eine Art Lexikon der zehn symbolischen Formen der soharischen Kabbala gelten. Dabei liest auch er die Tora als eine verschlüsselte Darstellung jener zehn Aspekte des göttlichen Pleroma. Die kürzeste Beschreibung dieser Topik ist die Auffassung der Tora als eine Textur von Gottesnamen, die letztlich alle Umsetzungen des einen Namens sind, des Tetragramms: „Wisse, dass alle heiligen Namen der Tora im vierbuchstabigen Namen enthalten sind, in IHVH. [...] Und jeder einzelne dieser Namen und Beinamen hat eigene Beinamen, die wiederum unzählige Beinamen haben, und so ist es mit jedem Wort der Tora, bis man erkennt, dass die ganze Tora aus Beinamen gewoben ist und die Beinamen aus Namen gewoben sind und alle heiligen Namen an den Namen IHVH gebunden sind und alle stellen sich ihm nach. Die ganze Tora ist also gewoben aus dem Namen IHVH.“ Diese Topik der Namen, die den Text der Tora bestimmt, spiegelt sich in derjenigen der Sefirot, die Gikatilla die zehn „Pforten des Lichts“ nennt. Dabei folgt er, anders als die meisten Kommentare zu den Sefirot, nicht der absteigend-emanativen, sondern der aufsteigenden Richtung, das heißt, er beginnt bei der zehnten Sefira, „Malchut“, und endet bei der ersten Sefira, „Keter“. So wird etwa „Malchut“ dem Namen „Adonai“ (Herr) zugeordnet, dem wiederum eine Reihe von „Beinamen“, beispielsweise Berachah (Segen), Beer (Brunnen), Jam (Meer), Bet ha-Mikdasch (Tempel), Schechinah (Anwesenheit Gottes), Kol (Alles), denn „alles ist in diesem Namen enthalten“. Nach diesem Muster lässt sich die Schrift der Tora ebenso wie die Schrift der Dinge als ein Gewebe aus zehn archetypischen Grundformen lesen. Die Dekade der Sefirot erscheint so förmlich als der universale, göttliche Subtext unserer lesbaren Welt. Andreas Kilcher ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH Zürich. Er ist Mitglied des Zentrums Geschichte des Wissens der ETH und der Universität Zürich sowie Mitbegründer der European Society for the Study of Western Esotericism.
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Erinnerung und Familiengedächtnis. Die Stifter des Jüdischen Museums Remembrance and Family Memory: The Jewish Museum Donors Leonore Maier
“Without the donors the museum could not have opened.” Those were the words with which W. Michael Blumenthal began his speech to several hundred Jewish Museum donors and lenders on 10 September 2001 in Berlin’s city hall. They had all accepted the invitation to the “Day of Remembrance”—and they had all contributed to the new permanent exhibition and the museum’s collection. The opening of the museum had been preceded by a worldwide search for objects. Hundreds of descendants of German-Jewish families from around the world responded to international appeals by the Jewish Museum that were placed in émigré newspapers and other media, and they had generously donated family mementoes to the museum. But what was the intent behind the appeals of the Jewish Museum? Beginning in the 1990s, a microhistorical approach and interest in family archives and estates had already become a characteristic focus in the collecting activities at the Jewish department of the Berlin Museum. Personal stories and biographies were to play a major role in many parts of the permanent exhibition to help tell the story of German-Jewish history. In view of the breadth of the planned exhibition, the main task was then to expand the small collection, which had been limited thus far to Berlin, and to fill in the gaps, extending the geographic radius to cover all of Germany. aktuell magazine, which is sent by the Berlin Senate to Berliners who were persecuted by the Nazi regime and forced to leave the city, played a particularly important role in the search for objects of family histories. The magazine sees itself as a “bridge between past and future.” It informs several thousand readers of developments to Berlin’s urban landscape, and was significant in conveying the remembrance discourse regarding the Nazi period and the commemoration of the Shoah in Germany. For years, aktuell continually reported on the different development phases of the Jewish Museum. The magazine also served as a forum for search ads, which the Jewish Museum used on numerous occasions to circulate its appeals. In December 1999, for example, a full-page appeal was printed: “Photographs, letters and diaries: Everyday objects will preserve remembrance in the Jewish Museum.” The response to this advertisement was overwhelming. For months, numerous letters and packages arrived at the museum daily from around the world. Hundreds of letters, telephone calls and
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„Ohne die Stifter hätte das Museum nicht eröffnet werden können“ – so begann W. Michael Blumenthal seine Rede am 10. September 2001 im Berliner Rathaus vor mehreren hundert Stiftern und Leihgebern des Jüdischen Museums. Sie alle waren der Einladung zum „Tag der Erinnerung“ gefolgt – und sie alle hatten zu der neuen Dauerausstellung und zur Sammlung des Museums beigetragen. Vorausgegangen war der Eröffnung des Museums eine weltweite Suchaktion nach Objekten. Hunderte von Nachfahren deutsch-jüdischer Familien aus aller Welt meldeten sich auf die international platzierten Aufrufe des Jüdischen Museums in Emigrantenzeitungen und anderen Medien und stifteten dem Museum großzügig familiäre Erinnerungsstücke. Doch welches Anliegen stand hinter den Aufrufen des Jüdischen Museums? Bereits seit den 1990er Jahren bildeten ein alltagsgeschichtlicher Zugang und das Interesse an Familienkonvoluten einen charakteristischen Schwerpunkt der Sammlungstätigkeit der jüdischen Abteilung des Stadtmuseums. Persönliche Geschichten und Biografien sollten in weiten Teilen der Dauerausstellung ein wichtiger Bestandteil des Narrativs zur deutschjüdischen Geschichte werden. Angesichts des Umfangs der geplanten Ausstellung ging es nun darum, die kleine, bislang auf Berlin beschränkte Sammlung zu erweitern, thematische Lücken zu füllen und den geografischen Radius auf ganz Deutschland auszuweiten. Eine besonders wichtige Rolle bei der Suche nach familiengeschichtlichen Objekten spielte die vom Berliner Senat an ehemalige, während der NS-Zeit verfolgte und aus Berlin vertriebene Berlinerinnen und Berliner adressierte Zeitschrift aktuell. Von ihrem Selbstverständnis her „Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft“, informierte sie ihre mehrere Tausend Leserinnen und Leser über Entwicklungen in der Berliner Stadtlandschaft ebenso wie über den Erinnerungsdiskurs zum Nationalsozialismus und das Gedenken an die Schoa in Deutschland. Auch über die unterschiedlichen Entstehungsphasen des Jüdischen Museums wurde in aktuell über Jahre hinweg kontinuierlich berichtet. Darüber hinaus diente die Zeitschrift als Forum für Suchanzeigen, das auch das Jüdische Museum immer wieder für Aufrufe nutzte. So hieß es im Dezember 1999 in einem ganzseitigen Aufruf: „Von Fotos, Briefen und Tagebüchern. Alltagsgegenstände werden im Jüdischen Museum Berlin die Erinnerung bewahren.“ Die Resonanz auf diese Anzeige war überwältigend. Monatelang
„Ich habe mich gefragt, ob ein Museum der richtige Ort ist für solche Exponate. Museen sind Orte für Dinge aus vergangenen Zeiten, dies ist anders. Was nicht deutlich wird, ist, dass das hier das Leben war, das kann man in einem Museum nicht erschaffen.“ Rosa Sacharin bei der Eröffnung des Museums vor der Vitrine mit vor ihr gestifteten Objekten.
I … hope, that when the museum opens this coming fall, the world and in particular Germany will realize the contributions German Jewry has made to “their” country, and the ugly head of anti-Semitism will be buried forever.” Fred Eisenberg, Atlanta, letter dated 11 January 2001
personal conversations followed-up the initial contacts, and the museum staff became engaged in an intensive exchange with the donors. In addition to documenting the donated items, our primary aim was to record the personal stories of the donors and their family histories. This was an indispensable prerequisite to be able to share the stories surrounding the exhibits’ objects with visitors. Many of the items sent to the museum in response to the advertisement later became part of the opening exhibition. The written correspondence and notes taken on conversations and interviews with donors will be available to future generations as unique historical documents of German-Jewish history and the culture of remembrance. Trust in the Jewish Museum was necessary for the initial contact and this was very closely tied to W. Michael Blumenthal and his life story. The overwhelming majority of those who responded to the appeal for donations had—like the director of the Jewish Museum himself—been born in Germany in the 1920s and were seeking a suitable place for whatever family legacies their parents had somehow managed to save or had taken with them under the most adverse circumstances when they emigrated. At the same time, it became clear that the appeals and the subsequent opening of the Jewish Museum took place during a period when many survivors were intensively dealing with their own family histories. The correspondence and comments by donors frequently mentioned that these things “belong in Berlin.” In many cases the decision to bequeath the items to a museum in Germany had nothing at all to do with the donors’ own personal histories (to which they often did not assign great significance), but rather with a feeling of obligation toward the generation of their parents and a wish to pay appropriate tribute to their lives in the country of their birth. An interesting detail in this context is the role the First World War played in family memories. Documents, photographs and objects from this time were saved in almost every family and were often the first or only thing offered to the museum. In many conversations with donors the First World War remains a central theme and their stories about it are always tied to the subsequent catastrophe. Another motivation for loans and donations was the memory of the fate suffered by relatives and friends who were murdered and the desire to keep their memories alive. When donating the letters written by his parents, who had been deported to Lodz, one man
trafen täglich mehrere Briefe und Päckchen aus aller Welt im Museum ein. Hunderte von Briefen, Telefonaten oder persönlichen Gesprächen folgten der ersten Kontaktaufnahme, und die Mitarbeiterinnen des Museums traten in intensiven Austausch mit den Stifterinnen und Stiftern. Unser wichtigstes Anliegen dabei war die Aufzeichnung der persönlichen Geschichten der Stifter und ihrer Familiengeschichten sowie die Dokumentation der gestifteten Objekte – unabdingbare Voraussetzung, um den Besuchern später Geschichten zu den Objekten in der Ausstellung erzählen zu können. Viele der auf die Aufrufe hin ins Museum geschickten Dinge wurden später Teil der Eröffnungsausstellung. Die im Museum befindlichen Schriftwechsel, Notizen der Gespräche sowie Interviews mit Stifterinnen und Stiftern sind für künftige Generationen einzigartige historische Zeugnisse zur deutsch-jüdischen Geschichte und Erinnerungskultur. Das Vertrauen in das Jüdische Museum – Voraussetzung für die Kontaktaufnahme – war in hohem Maße an die Person W. Michael Blumenthals und seine Biografie geknüpft. Die überwältigende Mehrheit der Leute, die sich auf den Aufruf hin meldeten, war, wie der Direktor des Jüdischen Museums selbst, in den 1920er Jahren in Deutschland geboren und suchte nun einen geeigneten Ort für die von den Eltern unter schwierigsten Umständen in die Emigration mitgenommenen oder anderweitig geretteten Hinterlassenschaften der Familie. Es wurde zugleich deutlich, dass die Aufrufe und die darauffolgende Eröffnung des Jüdischen Museums zu einem Zeitpunkt passierten, zu dem die Generation der Überlebenden sich intensiv mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigte. In den Briefwechseln und Äußerungen der Stifter fiel immer wieder der Satz, dass diese Dinge „nach Berlin gehören“. In vielen Fällen ging es bei der Entscheidung, die Sachen einem Museum in Deutschland zu geben, gar nicht um die eigene Biografie (die nicht so wichtig genommen wurde), sondern um ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Generation der Eltern und den Wunsch, ihrem Leben eine angemessene Würdigung im Land ihrer Herkunft zuteil werden zu lassen. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist der Stellenwert des Ersten Weltkriegs im Familiengedächtnis. Dokumente, Fotos und Objekte aus dieser Zeit wurden in fast jeder Familie aufbewahrt und häufig dem Museum als Erstes, manchmal auch als Einziges angeboten.
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“I visited your Museum last October, took a Führung and was very impressed. I honestly think it is my obligation to let you know of these documents because deep in my heart I believe some of them belong in your museum.” Ilona Simon Strimber via email. Her parents had survived by hiding in Berlin. When the Museum opened, photos of the father’s post-war kosher butcher shop were shown in the exhibition.
“Ich habe keine direkten Nachkommen. Nur die Kinder und Kindeskinder meiner Schwester Sonja kämen eventuell infrage. Aber wir sind der Meinung, dass das Museum wohl unser aller nächster Nachkomme ist.“ Siegbert Weinberger, Brief vom 6. Februar 2000
said: “Hitler shall not have succeeded in extinguishing the names and memories of my parents.” And one woman, when asked why she was donating items to the Jewish Museum, said, “I want to memorialize my father. …I feel like he was an absolute and confirmed Berliner. My mother as well—like most Jews, the emancipated Jews—was more German than the Germans. Her brother was killed in the war. For my father the German culture was so important; he was a humanist, a highly educated person. It is really meant for him.” In addition, children and descendants were often not interested in keeping documents written in German because they were unable to read the language. The Jewish Museum assumes responsibility in the place of the descendants to preserve and continue remembrance. For many of the donors and their families, the appeals and the opening of the Jewish Museum started a process that is still ongoing. Families visit the museum with children and grandchildren, and with the family documents and artifacts, the museum serves as a translator of family history for the younger generation. Some gift contracts specifically note that the descendants of the families retain unlimited access to the objects of their family history. At the archives’ contemporary witness workshops, in which the donors personally share their stories and those of their families with young people, their children and grandchildren often take part. Ten years after the opening of the Jewish Museum, we are at a historic turning point that comes with the gradual disappearance of the contemporary witnesses who experienced the Nazi persecution first-hand, and with them, their living memories, which sometimes extend as far back as the German Empire. They have left and continue to leave a great impression on the museum’s work and the collections in many areas today. For that we extend our heartfelt thanks. Leonore Maier is curator for the everyday history collection and a member of the Jewish Museum staff since 1999.
In vielen Gesprächen mit Stiftern ist nach wie vor der Erste Weltkrieg ein zentrales Thema, und die Erzählungen dazu sind immer verknüpft mit der nachfolgenden Katastrophe. Ein weiteres Motiv für Leihgaben und Stiftungen war die Erinnerung an das Schicksal von ermordeten Verwandten und Freunden und der Wunsch danach, dass es nicht in Vergessenheit geriet. So formulierte es einer der Stifter bei der Übergabe der Briefe seiner nach Łódz´ deportierten Eltern: „Hitler soll es nicht gelungen sein, die Namen und das Gedächtnis an die Eltern auszulöschen.“ Oder eine Stifterin, nach dem Grund für ihre Schenkung an das Jüdische Museum befragt: „Ich möchte ein Denkmal für meinen Vater setzen. […] Ich habe das Gefühl, hier ist ein Mensch absolut und überzeugter Berliner. Auch meine Mutter [war], wie die Juden waren, die emanzipierten Juden: deutscher als die Deutschen. Der Bruder ist im Krieg gefallen. Und für ihn war deutsche Kultur so wichtig, ein Humanist, ein hoch gebildeter Mensch. Für ihn ist es wirklich gedacht.“ Hinzu kam, dass Kinder und Nachfahren häufig an den Sachen nicht interessiert waren, weil sie die auf Deutsch geschriebenen Dokumente nicht lesen konnten. Das Jüdische Museum trat hier gewissermaßen stellvertretend die Nachkommenschaft für die Bewahrung und Weitergabe der Erinnerung an. Bei vielen der Stifter und ihrer Familienangehörigen wurde durch die Aufrufe und die Eröffnung des Jüdischen Museums ein Prozess in Gang gesetzt, der bis heute andauert. Familien besuchen mit Kindern und Enkeln das Museum, das für die jüngere Generation anhand der im Museum befindlichen Familienkonvolute quasi eine Übersetzerfunktion der Familiengeschichte übernimmt. In einigen Schenkungsverträgen ist ausdrücklich vermerkt, dass den Nachfahren der Familien jederzeit Zutritt zu den familiengeschichtlichen Objekten gewährt wird. Auch bei den Zeitzeugenworkshops des Archivs, in denen die Stifter ihre eigene und die Familiengeschichte persönlich an junge Leute weitergeben, sind immer wieder ihre Kinder und Enkel zugegen. Zehn Jahre nach Eröffnung des Jüdischen Museums befinden wir uns heute an einer historischen Zäsur, die mit dem Verschwinden der Zeitzeugen und ihrer lebendigen Erinnerung – teilweise noch bis ins Kaiserreich zurückreichend – einhergeht. Sie haben die Arbeit und Sammlungstätigkeit des Museums in vielen Bereichen maßgeblich geprägt und tun dies bis heute. Dafür danken wir ihnen. Leonore Maier, Kuratorin für Alltagskultur, ist seit 1999 Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Berlin
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“ASHREI,” BY SPRING 2010 DISTINGUISHED VISITOR DAVID GELERNTER, FROM HIS BOOK JUDAISM: A WAY OF BEING (2009)
THE AMERICAN ACADEMY IN BERLIN CONGRATULATES THE JEWISH MUSEUM BERLIN ON ITS TENTH ANNIVERSARY.
Our shared dedication to fostering understanding, tolerance, and transatlantic dialogue have made us institutional kindred spirits. The Academy has been proud to cooperate on a variety of projects with the Jewish Museum over past decade, and we look forward to future collaboration with robust optimism.
Was auch immer Sie antreibt, wir helfen Ihnen, Ihre Wünsche und Ziele zu erreichen. Das ist unser Grundprinzip, unsere Verpflichtung als Genossenschaftsbank. Dazu zählt auch, dass unsere Mitglieder aktiv über unseren Kurs mitbestimmen können. Dass wir uns um die Sicherheit Ihrer Anlagen kümmern. Und dass wir natürlich vor Ort immer für Sie da sind. Überzeugen Sie sich am besten selbst. Beim persönlichen Gespräch, telefonisch unter (030) 30 6 30 oder online. Wir freuen uns auf Sie.
www.berliner-volksbank.de
Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland How German is it? 30 Artist’s Notion of Home
Cilly Kugelmann
Anniversaries are always occasions to look back to the past, take stock of what has occurred and forge plans for the future. The ten-year anniversary of the Jewish Museum has provided us with a chance to observe the place the Federal Republic of Germany occupies in the minds and attitudes of its citizens today: Is there something of a national sense of self, a collective sense of “we Germans”? Our exhibition “How German is it? 30 Artists’ Notion of Home” offers a cross-section of the relationships those living here have with a Germany that has changed dramatically after the painful confrontation with the National Socialist crimes, the reunification of the two German states, globalization, and the acceptance of immigration. Because the age-old theme of the “foreigner” and the “other,” of exclusion and belonging is being discussed anew in light of the current social situation, we wanted to find out how ethnic Germans and naturalized citizens, immigrants, Jews, Muslims, Christians and religiously indifferent individuals live in Germany today. National identity as the construction of a historical experience for a largely homogeneous collective body has become questionable. German reunification led to a merging of two post-war narratives each with different views regarding the crimes of National Socialism and with this the question of what it means to be German. Yet despite all the differences in the histories of the two German states, there was a noticeable similarity in their attitude towards foreigners, who were welcomed as laborers but never really intended as fellow citizens: In both German states, heritage was the indispensable requirement in the definition of who should be considered German. With the reform to citizenship law in 1999 and the German Immigration Act of 2005, the Federal Republic of Germany moved from defining citizenship according to the principle of descent, to citizenship based on the principle of birthplace. As unclear as its actual content may be, it freed the path to a definition of “German” that is now accessible to all citizens of the state. But how do immigrants reconcile their native culture with a reality that is new to them? How does immigration change both the migrants and those native to a country? As a Jewish museum, we address questions that are a part of our institution’s central themes—and when a museum explores such themes, it looks to examples from visual culture. And so where better to look than into the workshops and studios of artists?
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Jahrestage sind stets Anlass, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen, eine Bestandsaufnahme über das Geschehene zu machen und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Wir haben das Dekadenjubiläum des Jüdischen Museums zum Anlass genommen, zu betrachten, welchen Platz die Bundesrepublik Deutschland im Bewusstsein und den Haltungen seiner Bürger heute eingenommen hat. Gibt es so etwas wie ein nationales Selbstverständnis, existiert ein „Wir“-Gefühl? In unserer Ausstellung „Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland“ geht es um eine Momentaufnahme der Beziehungen von hier lebenden Menschen zu einem Deutschland, das sich nach der schmerzlichen Konfrontation mit den Verbrechen der Nationalsozialisten, der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die Globalisierung und Anerkennung der Zuwanderung dramatisch verändert hat. Wir wollten herausfinden, wie ethnisch Deutsche und eingebürgerte Staatsbürger, zugereiste Ausländer, Juden, Muslime, Christen und religiös Indifferente heute in Deutschland leben: Denn das alte Thema des „Fremden“ und „Anderen“, der Ausgrenzung und Zugehörigkeit, wird unter den Prämissen der aktuellen Verhältnisse neu diskutiert. Nationale Identität als Konstruktion einer historischen Erfahrung für ein weitgehend homogenes Kollektiv ist fragwürdig geworden. Die deutsche Wiedervereinigung führte zu einer Bündelung von zwei Nachkriegsnarrativen, die die Verbrechen des Nationalsozialismus und damit die Frage, was es bedeutet, deutsch zu sein, unterschiedlich betrachteten. Doch bei allen Unterschieden in der Geschichte der beiden deutschen Teilstaaten gab es doch eine auffallende Ähnlichkeit im Umgang mit Ausländern, die als Arbeitskräfte willkommen, als Mitbürger aber nicht eingeplant waren: In der Vorstellung davon, wer als Deutscher zu bezeichnen ist, galt in beiden deutschen Staaten die Herkunft als unverzichtbares Merkmal. Mit der Reform des Staatsbürgergesetzes von 1999 und dem Zuwanderergesetz von 2005 bewegt sich die Bundesrepublik Deutschland von der Auffassung der Staatsbürgerschaft nach dem Abstammungsprinzip zur Staatsbürgerschaft nach dem Geburtsortprinzip. Damit öffnet sich der Weg zu einer Definition des „Deutschen“, die sich, wie unklar der Inhalt auch sein mag, allen Bürgern dieses Staates öffnet.
Azra Akšamija: Dirndlmoschee / Dirndl Mosque, 2005
Via Lewandowsky / Durs Grünbein: Windhauch, Windhauch / All is Vanity, 2011
The exhibition “How German is it?” consciously chooses a subjective approach to the theme. In selecting the artists, we took into consideration primarily those who live or have lived in Germany and whose work addresses key aspects of their perceptions in and of Germany. Some of them work from autobiographical material, while others choose a rhetorical, encrypted form. Several of the artists address the consequences of National Socialism and genocide, key factors in the sense of national identity in the Federal Republic of Germany. Interestingly, many of the artists feel called upon to confront the traditional metaphors of the national state, exploring language, folk art, myths, music and geography. Religion and customs readdressed as forms of self-affirmation, memories of childhood and youth, or as ironic commentaries on the pressures of social expectation. Artists from immigrant families articulate their migration experiences and subversively undermine stereotypical attributions. We commissioned several artists including Julian Rosefeldt, Via Lewandowsky and Durs Grünbein, Anny and Sibel Öztürk, Misha Shenbrot, Lilli Engel and Raffael Rheinsberg, as well as the musician Paul Brody and asked them to think about what a collective identity might be in a society whose national emblems and symbols have been contaminated through National Socialism and can no longer be cited ingenuously.
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Wie jedoch verweben Zugewanderte ihre mitgebrachte Lebenskultur mit einer für sie neuen Realität? Wie verändert Zuwanderung sowohl Migranten als auch Einheimische? Als jüdisches Museum greifen wir damit Fragen auf, die zu den Kernthemen unseres Hauses gehören – und wenn ein Museum solchen Themen nachgeht, sucht es Beispiele aus der visuellen Kultur. Was lag also näher, als sich bei Künstlern umzuschauen? Die Ausstellung „Heimatkunde“ wählt bewusst einen subjektiven Zugang zum Thema. Bei der Auswahl der Künstler wurden in erster Linie jene berücksichtigt, die in Deutschland leben oder gelebt haben und die in ihrem Werk zentrale Aspekte ihrer Wahrnehmungen in und von Deutschland thematisieren. Manche von ihnen greifen autobiografische Aspekte auf, andere wählen eine rhetorische, verschlüsselte Form. Einige der Künstler setzen sich mit den Folgen des Nationalsozialismus und dem Massenmord auseinander, essentielle Bestandteile des nationalen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Interessanterweise fühlen sich viele der Künstler aufgefordert, sich mit den traditionellen Metaphern des Nationalstaats zu konfrontieren, mit Merkmalen wie Sprache, Volkskunst, Mythen, Musik und Geografie. Religion und Brauchtum werden als Selbstvergewisserung,
In a letter of protest against Ezer Weizman’s criticism of the Jews living here, Daniel Cohn-Bendit summarized the overall experience in Germany today as it is articulated in many of the artistic works shown: “Having grown up in France and living in Germany, I not only feel comfortable as a cosmopolitan in the Diaspora, but I also enjoy every multi-cultural society that tries to overcome one-dimensional ethical thinking.” Excerpt from the catalogue of the exhibition, published by Hirmer Verlag, Munich (German version only)
als Kindheits- und Jugenderinnerung oder aber als ironischer Kommentar gegen den sozialen Erwartungsdruck thematisiert. Künstler aus Zuwandererfamilien artikulieren ihre Migrationserfahrung und unterlaufen subversiv stereotype Zuschreibungen. An mehrere Künstler, darunter Julian Rosefeldt, Via Lewandowsky und Durs Grünbein, Anny und Sibel Öztürk, Misha Shenbrot, Lilli Engel und Raffael Rheinsberg sowie den Musiker Paul Brody, haben wir Auftragsarbeiten vergeben und sie gebeten, der Frage nachzuspüren, wie sich so etwas wie kollektive Identität in einer Gesellschaft ausnehmen kann, deren nationale Embleme und Symbole durch den Nationalsozialismus kontaminiert sind und nicht mehr unbefangen zitiert werden können. Die Summe der Erfahrungen mit dem heutigen Deutschland, wie sie sich in vielen der gezeigten künstlerischen Arbeiten artikuliert, hat Daniel Cohn-Bendit in einem Protestbrief gegen Ezer Weizmans Kritik an den hier lebenden Juden auf den Punkt gebracht, indem er schreibt: „In Frankreich aufgewachsen und in Deutschland lebend, fühle ich mich als Kosmopolit nicht nur in der Diaspora wohl, sondern genieße jede multikulturelle Gesellschaft, die versucht, eindimensionales ethisches Denken zu überwinden.“ Auszug aus dem Begleitbuch zur Ausstellung, erschienen im Hirmer Verlag, München
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1 0 JA H R E J Ü D I S C H ES M U S E U M B E R L I N
> SY M P OS I O N
F R E I TAG, 28 . O KTO B E R, 20 U H R
„Eine kleine deutsche Volkskunde“ Auftaktveranstaltung Eintritt: 7 €, erm. 5 €
Aktivitäten während der Jubiläumswoche vom 24. bis 30. Oktober > KO N Z E RT I N D E R P H I L H A R M O N I E
SA M STAG, 29. O KTO B E R, 1 0 B I S 22 U H R
Visionen der Zugehörigkeit Juden, Türken und andere Deutsche In Diskussionen, Kurzvorträgen und Lesungen untersucht das Symposion die Lage der Nation aus verschiedenen Perspektiven. Mit Hamed AbdelSamad, Micha Brumlik, Naika Foroutan, Sayed Kashua, Susan Neiman, Harald Welzer u.a. Zum Abschluss spielen Daniel Kahn & Psoy Korolenko. Eintritt: 13 €, erm. 9 € (inkl. Abendkonzert und Veranstaltung am Freitag) In Kooperation mit dem Einstein Forum und der Initiative DeutschPlus > FEIER
M O N TAG, 24. O KTO B E R, 1 9 U H R
S O N N TAG, 30. O KTO B E R, 1 0 B I S 1 9 U H R
Eröffnung der Festwoche
Jubiläumsfeier
Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin konzertieren anlässlich des zehnjährigen Jubiläums mit der 7. Sinfonie von Anton Bruckner. Eintritt: 15 € bis 42 € Reservierung: www.staatsoper-berlin.de oder Tel. 030 – 20 35 45 55
Wir feiern Geburtstag mit Dir und Ihnen, mit unseren Freunden und Wegbegleitern. Mit einem Familienbrunch und Swing beginnt die Jubiläumsfeier, die bis in den Abend hinein ein großes Programm für Kinder und Erwachsene bereithält. Wir freuen uns auf einen Auftritt der Kindertanzcompany von Sasha Waltz & Guests, auf Geburtstagstorte, Jazz und gemeinsame Gespräche. Im Kinderprogramm liest Mirjam Pressler, und die Helmi-Puppenbühne sucht nach dem rechten Winkel. Sammlungen und Archiv laden zum (Neu-)Entdecken des Museums ein, und zahlreiche Geburtstagsgäste zeigen ihre Lieblingsstücke im Museum, darunter Renate Künast, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Marcel Reif. Eintritt frei.
> SA LO N
D I E N STAG, 25. O KTO B E R, 20 U H R
Between the Lines Ein literarischer Stadtrundgang mit einführenden Worten von Daniel Libeskind Junge Autoren haben sich von Biografien des Leo Baeck Instituts im Jüdischen Museum Berlin und von der Architektur Libeskinds inspirieren lassen – entstanden ist ein literarischer Stadtrundgang durch das vergangene Berlin. Eintritt: 9 €, erm. 7 €
> G ES P R Ä C H E
In Kooperation mit dem Leo Baeck Institute New York und der Universität Hildesheim
Ein Schaufenster für die Arbeit, die Leidenschaften, die Persönlichkeiten in diesem Museum
> F Ü H R U N G E N , WO R K S H O P S, W E T T B E W E R B & KO N Z E RT
D O N N E R STAG, 27. O KTO B E R, A B 1 0 U H R
Tag der 10. Klassen 60 Führungen, 4 Workshops, ein Schülerbandwettbewerb und ein großes Abschlusskonzert – den 27. Oktober haben wir für Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen reserviert. Der Eintritt ins Museum sowie die Teilnahme an allen Veranstaltungen ist für Schülerinnen und Schüler kostenfrei. > KO N Z E RT
D O N N E R STAG, 27. O KTO B E R, 1 8 U H R
Make your own Music „Die Ohrbooten“ & die Gewinner des JMB-Bandwettbewerbs live on stage Die Gewinner des bundesweiten Schülerwettbewerbs spielen als Vorband der angesagten Berliner Gyp-Hop-Formation „Die Ohrbooten“ im Glashof des Jüdischen Museums Berlin. Eintritt frei, ACHTUNG: Die Anzahl der Plätze ist begrenzt.
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INSIDE JMB
D I E N STAG B I S F R E I TAG Z W I S C H E N 1 7 U H R U N D 20 U H R, S O N N TAG A B 1 6 U H R
Das Jubiläumssofa Das Jubiläumssofa bringt die Kuratoren des Museums zusammen mit Stiftern, Künstlern der Ausstellung »Heimatkunde« sowie mit Experten und Neugierigen. Drei von vielen Sofasitzungen: W. Michael Blumenthal spricht über sein Lebenswerk, Peter und George Summerfield über Kinderkabarett im Exil und Julian Rosefeldt erzählt über den deutschen Wald. Eintritt frei > FÜHRUNGEN
M O N TAG B I S S O N N TAG ( D I E G E N AU E N T E R M I N E fi N D E N S I E AU F U N S E R E R W E B S I T E )
JMB Underground JMB Underground ist nur eine von vielen Sonderführungen zum zehnjährigen Jubiläum. Sie führt zu versteckten Orten und durch verborgene Gänge des Museums. Ob Besichtigung der Baustelle der neuen Akademie, Führung durch die Dauerausstellung oder die Jubiläumsausstellung „Heimatkunde“ – die Führungen richten sich an Kunstverliebte, Geschichts- oder Architekturinteressierte und an alle, die neugierig sind auf einen Blick hinter die Kulissen. Eintritt frei
> I N FO R M AT I O N E N Z U M J U B I L Ä U M S P RO G RA M M U N T E R W W W. J M B E R L I N . D E / 1 0 JA H R E
10 YEARS JEWISH MUSEUM BERLIN
> SY M P OS I O N
F R I DAY, 28 O C TO B E R, 8 P. M .
“Eine kleine deutsche Volkskunde” (An Ethnographic Look on Germany)
Opening Event Admission: 7 €, reduced 5 €
Activities during the Anniversary Week from 24 through 30 October
SAT U R DAY, 29 O C TO B E R, 1 0 A . M . —1 0 P. M .
Visions of Belonging Jews, Turks, and other Germans
> CO N C E RT I N T H E P H I L H A R M O N I E
M O N DAY, 24 O C TO B E R, 7 P. M .
Opening of the Anniversary Week On the occasion of the ten-year anniversary, Daniel Barenboim and the Staatskapelle Berlin perform Anton Bruckner’s 7th Symphony. Admission: 15 € to 42 €. Reservations under: www.staatsoper-berlin.de or tel. 030 – 20 35 45 55 > SA LO N
In discussions, lectures, and readings, the symposion investigates the state of the nation from various different perspectives. With Hamed AbdelSamad, Micha Brumlik, Naika Foroutan, Sayed Kashua, Susan Neiman, Harald Welzer, and others. Grand Finale with music by Daniel Kahn & Psoy Korolenko. Admission: 13 €, reduced 9 € (incl. evening concert and event on Friday) In cooperation with the Einstein Forum and the initiative DeutschPlus
> C E L E B RAT I O N
S U N DAY, 30 O C TO B E R, 1 0 A . M . —7 P. M .
Anniversary Celebration T U E S DAY, 25 OTO B E R, 8 P. M .
Between the Lines A literary city tour with introductory words by Daniel Libeskind. Young authors have sought inspiration in the biographies of the Leo Baeck Institute in the Jewish Museum Berlin and in Libeskind’s architecture—the result is a literary city tour though old Berlin. Admission: 9 €, reduced 7 € In cooperation with the Leo Baeck Institute New York and the University of Hildesheim
> TO U R S, WO R K S H O P S, CO M P E T I T I O N + CO N C E RT
We’re celebrating our birthday together with you, our friends and neighbours. The anniversary celebration gets off to a rousing start with a family brunch and swing—offering a wide program for adults and children alike throughout the day. We look forward to a performance of the Children’s Dance Company of Sasha Waltz & Guests, to birthday cake, jazz, and conversation. Mirjam Pressler reads in the kids’ program, while the Helmi Puppet Stage searches for the right angle. Our collections and archive invite visitors to (re)discover the museum, while numerous birthday guests talk about their favorite objects in the museum, among them Renate Künast, Rabbi Tovia Ben-Chorin, and Marcel Reif. Admission free > CO N V E R SAT I O N S
T U ES DAY T H RO U G H F R I DAY, 5 P. M . — 8 P. M . ; S U N DAY STA RT I N G AT 4 P. M .
The Anniversary Sofa A window onto the work, passions, and personalities in the museum
T H U R S DAY, 27 O C TO B E R, STA RT I N G AT 1 0 A . M .
The Anniversary Sofa brings together the museum’s curators with donors, artists of the exhibition “Heimatkunde,” experts, and interested guests. Three of many sofa events: W. Michael Blumenthal talks about his life’s work; Peter and George Summerfield on the life and fortunes of a pair of twins; and Julian Rosefeldt talks about the German forest. Admission free
Day of the Tenth Graders > G U I D E D TO U R S
60 guided tours, 4 workshops, a student band competition, and a huge final concert—we’ve reserved 27 October for students of the tenth grade. Admission to the museum and participation in all events is free of charge to all students. > CO N C E RT
T H U R S DAY, 27 O C TO B E R, 6 P. M .
Make your own Music The “Ohrbooten” & the winners of the JMB band competition live on stage. The winners of the national student competition play as opening band to the popular Berlin Gyp-Hop formation “Die Ohrbooten” in the Glass Courtyard of the Jewish Museum Berlin. Admission free, PLEASE NOTE: the number is seats is limited.
M O N DAY T H RO U G H S U N DAY ( YO U C A N F I N D T H E E X AC T DAT ES O N O U R W E B S I T E . )
JMB Underground JMB Underground is only one of many special tours offered during the tenyear anniversary celebration. It takes visitors to hidden locations and through off-limits passageways in the museum. The tours range from a visit to the construction site of the new Academy or a walk around the permanent exhibition or anniversary exhibition “Heimatkunde”—they’re perfect for everyone in love with art, interested in history or architecture, and anyone else curious to have a peek behind the scenes. Admission free
> I N FO R M AT I O N O N T H E A N N I V E R SA RY P RO G RA M AT: W W W. J M B E R L I N . D E / 1 0 JA H R E
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Danke schön Thank you
Das Jüdische Museum Berlin dankt seinen zahlreichen Weggefährten und Unterstützern, die einen wesentlichen Beitrag zur Erfolgsgeschichte des Museums geleistet haben. Unser besonderer Dank gilt dem Jubiläums-Komitee unter dem Vorsitz von Marie M.Warburg M.D. The Jewish Museum Berlin wishes to thank its numerous benefactors and supporters who over the past ten years have made a major contribution toward the success of the museum. Our special thanks go to the Anniversary Committee under the chairmanship of Marie M. Warburg M.D.
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