Links im Druck (1+2/2011)

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Jusos in M체nchen - Ausgabe 1&2 2011 +++ Quote in Aufsichtsr채ten +++ Bildungschipkarte +++ Sichere Wiesn +++ Demos in Frankreich +++


+++ Start-Ticker +++ Auf unserer Unterbezirkskonferenz im Februar wurde Louisa Pehle als neue Frauenbeauftragte und stellvertretende Vorsitzende der Jusos München gewählt. Neuer Beisitzer für (Neu-)Mitgliederbetreuung ist Tim Hall. Wir gratulieren beiden sehr herzlich und wünschen viel Erfolg und Spaß bei der politischen Arbeit. Wir bedanken uns bei den VorgängerInnen für ihre Mitarbeit, Marina Karbowski und David Fischer. Beide mussten leider arbeits- und studiumsbedingt aufhören. Unser langjähriger Einsatz für mehr günstigen Wohnraum für Azubis in München trägt erste Früchte: Es sieht alles danach aus, dass es bald neue städtische Wohnangebote für Auszubildende geben wird. Auch ein Azubi Wohnzentrum wird diskutiert. Wir beglückwünschen uns, und die vielen Azubis, die davon bald hoffentlich profitieren, ganz vorsichtig selber.

+++ Stop-Ticker +++ Impressum: Links im Druck - Die Mitgliederzeitschrift der Münchner Jusos Druck: Druckerei Meyer GmbH, Rudolf-Diesel-Straße 10, 91413 Neustadt a. d. Aisch V.i.S.d.P. : Daniela Beck, c/o Jusos München, Oberanger 38/III, 80331 München Redaktion: Jürgen Glatz, Mike Raab, Anno Dietz, Daniela Beck Layout: Alessandro Fuschi Art Direction: Mike Raab Auflage: 1000 Erscheinungsweise: 4 Ausgaben pro Jahr Wir freuen uns über Mitarbeit, Kritik, Artikel und andere Rückmeldungen; Kontakt über lid@jusos-m.de oder über Daniela Beck (beck@jusos-m.de). Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die Redaktion behält sich vor, Artikel abzulehnen oder zu kürzen. Wenn Sie spenden wollen: Jusos München, Konto-Nr. 111 500, Stadtsparkasse München, BLZ 701 500 00. / Wir stellen Ihnen unaufgefordert eine steuerabzugsfähige Spendenquittung aus.

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Editorial

Liebe Genossinnen und Genossen, manchmal bewegt Politik mehr, als man denkt, und oft tut sie das direkt vor unserer Haustüre - manchmal sogar vielleicht noch innerhalb unserer Haustüre. Zumindest, wenn man hier in München wohnt. Denn der Wohnungsmarkt der Landeshauptstadt besteht nicht einfach nur aus Angebot und Nachfrage. Was München dafür tut, dass Wohnraum trotz einer Vielzahl von Profit suchenden Investoren noch (einigermaßen) erschwinglich bleibt und warum uns damit am Ende hoffentlich mehr als ein paar Zelte bleiben, damit beschäftigt sich unser Titelthema in dieser Ausgabe. In der Öffentlichkeit weit mehr beachtete politische „Baustellen“ waren in den letzten Monaten die Einführung von Bildungsgutscheinen (nein, nicht in Form von Doktorarbeiten) und die Forderung nach Frauenquoten. Welche Folgen diese Maßnahmen für die Gesellschaft haben können, das sind nur zwei der Themen, zu denen unsere Autoren diesmal recherchiert haben und zu denen dieser LID euch hoffentlich wieder viele interessante Denkanstöße liefert. Freundschaft! Daniela Beck

04 Schwerpunkt

Wohnungsbau im Roten Wien / Lena Sterzer

06 Schwerpunkt

Bezahlbarer Wohnraum für München / Anno Dietz

16 München

Bernauer Eisenbahnbrücke / Markus S. Lutz

17 Interwiev

Spielbericht zur Halbzeit / Philipp Obermüller

22 Bildung

Bildungschipkarte? / Christian Köning

25 Verband Intern

Vorstellung Mitgliederbeauftragter / Tim Hall

25 Verband Intern

Bericht vom Stammtisch Netzpolitik / Tim Hall

26 Integration

Migration / Marcel Reymus und Cornelius Müller

29 Ausland

Proteste in Frankreich im Herbst 2010 / Christian Köning

32 Wirtschaft

Deplatziert? Zur Quote für Aufsichtsräte / Bela Bach

34 München

Sichere Wiesn / Louisa Pehle

36 Verband Intern

Tu Felix Kochel / Fabian Hansen

38 Verband Intern

Hinter Gittern / Louisa Pehle und Matthias Hügenell

40 Literatur

Politik als Beruf / Daniela Beck

42 Letzes Wort

Wenn du denkst, tiefer geht’s nicht mehr... / Louisa Pehle

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Schwerpunkt

Wohnungsbau im Roten Wien Bildungsfahrt der Jusos München Von Lena Sterzer Mit kommunalem Wohnungsbau beschäftigen wir uns als Münchner Jusos ja inzwischen schon seit einiger Zeit – richtig angefangen hat es eigentlich mit unserer Bildungsreise nach Wien. Und obwohl diese schon wieder ein Jahr her ist, steht der Bericht noch aus... Die SPD hatte sich das Thema Wohnungsbau für 2010 vorgenommen um Impulse für ein neues städtisches Wohnungsbauprogramm zu setzen – da wollten wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, den SPD-Forderungen noch einen Jusoschliff zu verleihen. Unsere Erfolge in dieser Hinsicht findet ihr auf den nachfolgenden Seiten. Es lag nahe sich zum Einstieg ins Thema das Musterbeispiel des städtischen Wohnungsbaus

anzusehen: Wien. Die Wiener Kommunalpolitik in den Jahren 1918 bis 1934 war geprägt von umfassenden sozialen Wohnbauprojekten – dank der SPÖ (bzw. damals SDAP). Innerhalb von 10 Jahren entstanden über 60 000 Wohnungen in Gemeinbauten – zumeist in großen Blocks mit Grünanlagen und der wichtigsten infrastrukturellen Versorgung. Finanziert wurden die Projekte durch eine Wohnbausteuer und vor allem eine Luxussteuer.

„Finanziert wurden die Projekte durch eine Wohnbausteuer und vor allem eine Luxussteuer.“

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Schwerpunkt

Unser Besuchsprogramm war ambitioniert, schließlich hatten wir nur zwei Tage. Eine ausführliche Führung durch das rote Wien mit viel Wiener Wohnungsbau aus den verschiedenen Jahrzehnten, beispielsweise den Karl-Marx-Höfen, und unter anderem auch einem Abstecher zum altehrwürdigen Vorwärtshaus und einem Wohnbauprojekt der anderen Art – dem Hundertwasserhaus - waren der Höhepunkt. Aber natürlich durfte ein Besuch auf dem Naschmarkt mit Unmengen von Wasabinüssen nicht fehlen. Am Samstagnachmittag besuchten wir die zum Thema passende Ausstellung „Kampf um die Stadt – Politik, Kunst und Alltag um 1930“ im Wien Museum zusammen mit den Wiener GenossInnen, die sich im Übrigen auch um eine wirklich spannende Diskussionsrunde zum Wohnungsbauthema und anderen lokalen Besonderheiten und nette Abendgestaltung kümmerten. Natürlich kamen auch regionale Spezialitäten wie Schnitzel, Strudel und Mozarttorte nicht zu kurz und waren nach den anstrengenden Fußmärschen eine willkommene Abwechslung.

„...da kann die Sozialdemokratie selbst im München noch einiges lernen.“

Auch wenn sich seit den 1920er Jahren einiges verändert hat, waren wir doch immer wieder von der in der Bevölkerung verwurzelten Parteistruktur beeindruckt – da kann die Sozialdemokratie selbst im München noch einiges lernen.

Münchner Jusos vor dem Karl Marx-Hof in Wien

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Bezahlbarer Wohnraum für München Die Ergebnisse des Wohnungsbaupolitischen Parteitags der Münchner SPD Von Anno Dietz

Bezahlbarer Wohnraum ist in München Mangelware. Gerade in Folge der Finanzkrise scheint für viele der verunsicherten Finanzinvestoren auf der Suche nach wertbeständigen Anlagemöglichkeiten die Devise zu gelten: „Geh ich in Gold oder kauf ich Wohnungen in München?“ München rangiert im internationalen Ranking der Immobilienanlageorte noch vor Großstädten wie London, Paris oder New York. Das hatte eine enorme Explosion der Gründstückswerte und damit der Neuvermietungspreise zur Folge, die die Lage auf dem ohnehin angespannten Münchner Wohnungsmarkt noch weiter verschärfte. Berlin-Prenzlauerberg, Hamburg-Schanzenviertel und eben München-Haidhausen sind die klassischen Beispiele, die genannt werden, wenn es um Gentrifikation, Verdrängung- und soziale Entmischungsprozesse geht. Wer verdränge denn in München wen, so fragte süffisant ein Berliner Juso Genosse, Einkommensmillionäre die Vermögensmillionäre? Aber entgegen dem, was man im Rest der Republik von München annehmen mag, so sind es doch auch in München insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen, die sich zusehend schwer tun, die steigenden Mietkosten zu decken. So zahlten vor Kurzem die Haushalte mit Einkommen bis 1.500 Euro im Münchner Durchschnitt etwa 11 Euro pro Quad-

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ratmeter Bruttokaltmieten im Monat. Auch wenn dies für München mit seinem überspannten Mietmarkt noch relativ billig ist, im Vergleich mit dem Anteil am Einkommen, das vergleichbare Haushalte im Bundesdurchschnitt leisten müssen, steht es jedoch in keinem Verhältnis zu den realen Löhnen in München. Neben den klassischen Gentrifikationsprozessen kommt auf dem flächenmäßig, wie räumlich begrenzten Münchner Wohnungsmarkt hinzu, dass die Mieten fast im gesamten Stadtgebiet eine deutliche Steigerung erfahren. Anders als in Berlin, wo trotz Gentrifikation in den begehrten Stadtquartieren immer noch ausreichender bezahlbarer Wohnraum immerhin in weniger attraktiven Gebieten zur Verfügung steht, wird in München das Ausweichen in billigere Wohngegenden immer schwieriger. Auch in der Region ist in attraktiven, verkehrstechnisch gut erschlossenen Lagen kaum noch bezahlbarer Wohnraum verfügbar. Die Stadt München steht mit deutlichem Abstand zu den folgenden auf Platz 2 der Rangliste der teuersten Wohnlagen Deutschlands, direkt hinter der Region München. München gehört neben Hamburg, Berlin, Köln und Frankfurt zu den fünf deutschen Großstädten, die einen positiven Wanderungssaldo auf-





Schwerpunkt

Zur Ausübung des städtischen Vorkaufsrechts gab es bisher eine Ausübungsschwelle im Mietniveau unterhalb der ein Vorkauf erst geprüft wurde. Diese lag bisher 10% unter der gesamtstädtischen Durchschnittsmiete bei 8,76 €/m² und damit häufig unter den Mietpreisen, die in Häusern mit durchaus schützenswerter Sozialstruktur gezahlt werden. Insbesondere werden in der gesamtstädtischen Durchschnittsmiete auch die Mietpreise von Genossenschaften und Sozialwohnungen berücksichtigt, die nicht im Mietspiegel enthalten sind und die den Durchschnittswert drücken.

So erfolgt nun die weitergehende städtebauliche Bewertung nach einem neuen dreistufigen Vorprüfungsverfahren, mit folgenden Indikatoren: Liegt die durchschnittliche Nettokaltmiete (Grundmiete ohne Betriebs- und Heizkosten) im Anwesen unterhalb der jeweiligen gebietsspezifischen Nettokaltmiete? Ist das Haus vor 1969 erstmals fertig gestellt worden und ist die durchschnittliche Wohnungsgröße größer als 40 m²? Letzteres soll Apartmenthäuser, Wohnheime oder wohnheimähnliche Objekte ausschließen.

So wurden viele Häuser gar nicht erst in die Vorprüfung des Vorkaufsrechts einbezogen, die Anzahl der Ausübungen des Vorkaufsrechts, aber auch der abgeschlossenen Abwendungserklärungen war in den letzten Jahren rückläufig. Das Instrument verlor seine Wirksamkeit.

Werden diese Vorprüfungskriterien erfüllt, beginnt die eigentliche städtebauliche und inhaltliche Beurteilung. Es ist zu erwarten, dass so nun wieder deutlich mehr Häuser nach städtebaulichen Kriterien untersucht werden und in die engere Wahl für die Ausübung des Vorkaufsrechts kommen.

Gemeinsam mit anderen Antragsstellern haben wir erfolgreich die Forderung auf dem Parteitag des Münchner SPD eingebracht, diese Ausübungsschwelle deutlich anzuheben, gebietsspezifischer zu gestalten und beispielsweise am Mietspiegel für das konkrete Objekt zu orientieren. Der Beschluss des Parteitages wurde zügig umgesetzt und bereits am 26. Januar beschloss der Stadtrat die entsprechende Sitzungsvorlage des Planungsreferats, das ein neues Vorprüfungsverfahren vorgeschlagen hatte.

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Wird das Vorkaufsrecht ausgeübt und das Haus erworben, so hat die Stadt die gesetzliche Verpflichtung das Objekt wieder zu reprivatisieren. Doch auch bei Verkauf werden die Maßgaben, die schon in der Abwendungserklärung formuliert sind, dem Käufer zur Auflage gemacht. Sie gelten für die Dauer des Bestandes der Erhaltungssatzung, mindestens jedoch für 10 Jahre.


Schwerpunkt

Die Reprivatisierung der im Vorkaufsrecht erworbenen Häuser muss genutzt werden um gezielt den Wohnungsbestand an öffentlichen und gemeinschaftlichem Wohnungsbestand zu vergrößern. Schon heute besteht die Möglichkeit, dass die BewohnerInnen eines vorgekauften Hauses dieses als Genossenschaft übernehmen, sofern 60 Prozent der BewohnerInnen zustimmen. Diese Möglichkeit muss ausgebaut und verstärkt durch Beratung, organisatorische und rechtliche Unterstützung und durch Anschubfinanzierung oder günstige Kredite gefördert werden. Die Studie des DGB „Grundrisse für bezahlbaren Wohnraum“ nennt am Beispiel Kopenhagens diese kleingenossenschaftliche Lösung als wesentliche Möglichkeit der Erhaltung bezahlbaren Wohnungsbestandes außerhalb des privaten, rein profitorientierten Wohnungsmarktes. Wir wollen auch die Möglichkeit ausloten, dass die Kommune das im Vorkauf erworbene Objekt direkt in eine der Wohnbaugesellschaften übergibt. Hier ist wohl aber auch der Bundesgesetzgeber gefragt, das allgemeine Reprivatisierungsgebot dahingehend einzuschränken, dass das Vorkaufsrecht zugunsten des Bestands der städtischen Wohnbaugesellschaften genutzt werden kann. Umwandlungen Eine wichtige Möglichkeit, die Erhaltungssatzungsgebiete zum Schutz der sozialen Strukturen bieten, kann in München jedoch nicht genutzt werden. Grundsätzlich können Kommunen in Er-

haltungssatzungsgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt stellen. Das ist deshalb so wichtig, da das Vorkaufsrecht nur bei ganzen Häusern und nicht bei Einzelwohnungen oder Teileigentum greift. So entziehen sich also viele Hausbesitzer dem Einfluss des kommunalen Vorkaufsrechts und teilen den Wohnungsbestand schon vor dem Verkauf auf. Leider ist es Landeskompetenz, den Gemeinden die Möglichkeit des Erlassens von Umwandlungsverboten einzuräumen. Die bayerische Landesregierung blockiert seit Jahren die Einführung. Uns bleibt bis zum, sich derzeitig in Bayern leider nicht abzeichnenden Regierungswechsel, nur weiter für diese Einführung zu kämpfen. Erhaltungssatzungen sind ein wichtiges Werkzeug die Umwandlungs- und Verdrängungsprozesse aufzuhalten und zu verzögern. Verhindern können sie sie jedoch nicht. Einen wirkungsvollen Schutz gegen räumliche Segregation, soziale Entmischung der Stadt kann nur durch den Ausbau des öffentlichen oder gemeinschaftlichen Wohnungsbestandes erreicht werden um so dem profitorientierten privaten Wohnungsmarkt ein wirkungsvolles Gegengewicht entgegen zu setzten. Deshalb bedarf es der Ausweitung des, der kapitalistischen Verwertungslogik entzogenen Wohnungsbestandes, gerade in den Gebieten mit hohen Verdrängungstendenzen besonders dringend, gerade deshalb brauchen wir mehr kommunales und genossenschaftlichen Engagement im Bestand.

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Schwerpunkt

Genossenschaften stärken Ein wirkungsvolles Modell, das zeigen Studien und insbesondere der internationale Vergleich mit Städten wie Kopenhagen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und auch in Gebieten mit hohem Aufwertungspotential und resultierenden Verdrängungsdruck zu erhalten, ist die Förderung von genossenschaftlichen Wohnen. Das Modell der Genossenschaft ist nicht neu, sondern hat sich im Gegenteil schon vielfach und lange bewährt. Seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts schlossen sich vielerorts ArbeitnehmerInnen zu Genossenschaften zusammen um gemeinsam und selbstbestimmt zu produzieren, ihre Konsumbedürfnisse zu bezahlbaren Preisen zu decken oder eben gemeinsamen, selbstverwalteten und sicheren Wohnraum zu schaffen. In München gibt es eine Reihe von neuen und alteingesessenen Genossenschaftsprojekten. Mit derzeit etwa 30.000 Wohnungen ist der Bestand an genossenschaftlichem Wohnen aber geringer als in anderen Städten und zu klein um ein wirkungsvolles Gegengewicht zum privaten Wohnungsmarkt zu bilden.

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Genossenschaften sind bereit sich länger, als die in den städtischen Fördermodellen derzeit geltenden 15 Jahre an soziale Vermietungsbedingungen zu binden. Auch Bindungsfristen von 50 Jahren können Genossenschaften eingehen, da sie nicht auf Gewinnmaximierung und Veräußerung des Wohnungsbestandes, sondern auf den Erhalt von bezahlbaren Wohnraum hin angelegt sind. Die Bereitschaft langfristig bezahlbaren Wohnraum vorzuhalten und soziale Wohnbedinguengen zu gewährleisten muss sich stärker als bisher auch in der städtischen Förderpraxis wiederspiegeln. Nur mit Hilfe einer verstärkten städtischen Förderrung werden die Genossenschaften in der Lage sein neuen Wohnraum zum üblichen Neuvermietungsniveau im genossenschaftlichen Wohnungsbau zu schaffen. Neuer genossenschaftlicher Wohnraum muss entstehen, Neugründungen müssem unterstützt und in den, durch Vorkaufsrecht erworbenen Häusern im Bestand intensiv geworben werden. München braucht eine neue Initiative für genossenschaftlichen Wohnungsbau.



Schwerpunkt

Wohnen in der Ausbildung Gerade Auszubildende haben es auf dem überspannten Münchner Wohnungsmarkt besonders schwer Fuß zu fassen. Die 697 Euro, die ein Auszubildender in Westdeutschland im Durchschnitt pro Monat verdient reichen in München oftmals kaum zum Leben aus. Bei den üblichen Mieten bleibt kaum etwas für Verpflegung und andere Dinge über. Auch behindern hohe Kautionen und Sicherheiten den Einstieg in den Münchner Wohnungsmarkt, hohe Provisionen sind für die Wohnungsvermittlung zu zahlen. Vermieter stehen den Jugendlichen, die oftmals als unzuverlässige Mieter gelten und Wohnungen häufig nur für kurze Zeit belegen nicht gerade aufgeschlossen gegenüber. Wir setzen uns als Jusos München bereits seit vielen Jahren für eine Verbesserung der Situation von Auszubildenden auf dem Münchner Wohnungsmarkt ein. Unser neuer Vorschlag, den wir mit unseren wohnungsbaupolitischen Anträgen eingebracht haben, war zum einen die Schaffung von Wohngemeinschaften für Auszubildende im Bestand der kommunalen Wohnbaugesellschaften. Plätze in diesen gemeinschaftlichen Wohnungen sollen in Zusammenarbeit mit den bestehenden Beratungsstellen für Auszubildende in München vermittelt werden. Als Träger der Wohngemeinschaft tritt nicht ein Auszubildender als Hauptmieter auf, der die Verantwortung auch für die Nachbelegung trägt, sondern die städtische oder geförderte Vermittlungsstelle tritt als zentraler Mieter gegenüber den Wohnbaugesellschaften auf und übernimmt die Belegung und Betreuung der Wohngemeinschaftsplätze.

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DGB Jugend Studie Flexibilität auf 7 m² http://issuu.com/dgbjugendmuenchen

Auf der anderen Seite fordern wir weiterhin die Schaffung eines geförderten Auzbiwohnzentrums, welches Angebote für den Kurzzeitaufenthalt zum Beispiel im Rahmen von Blockunterrichten von Auszubildenden, mit längerfristigen Wohnangeboten vereint und um gemeinschaftlich genutzte Flächen gruppiert. Studien, wie auch die Studie der DGB Jugend München „Flexibilität auf 7m²“, zeigen, dass Auszubildende gerade auch die Rückzugsmöglichkeiten einer eigenen Wohnung suchen, dennoch aber, gerade wenn sie neu nach München gezogen sind, auf gemeinschaftliche Angebote angewiesen sind. Gefordert sein könnten also kleine Einzimmerapartments mit eigenem Bad und Nasszelle, die sich, zusammengefasst zu kleinen Einheiten an gemeinschaftlich genutzte Aufenthalts- und Kochbereiche angliedern und die in der Summe



München

Braunauer Eisenbahnbrücke Jusos fordern neue Isarbrücke für Fußgänger und Radfahrer

Von Markus S. Lutz Im November wurde er bei den Jusos im Münchner Süden verabschiedet, im Februar bei der Unterbezirkskonferenz der Münchner Jusos und schließlich im Mai auf dem Parteitag der SPD München: Der Antrag zur „Öffnung der Braunauer Eisenbahnbrücke für FußgängerInnen und RadfahrerInnen“. Die wichtige Gleisverbindung des Bahn-Südrings über die Isar soll nach dem Willen der Jusos endlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Jahrelang wurde schon über eine Öffnung für FußgängerInnen und RadfahrerInnen diskutiert, auch der Stadtrat hatte sich, neben dem Klenzesteg, dazu entschlossen, diese Brückenoption über die Isar zu prüfen. Doch passiert ist bisher wenig. Deswegen haben sich die Jusos aus den Bezirksausschüssen Untergiesing-Harlaching, Sendling, Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt sowie Sendling-Westpark zusammengeschlossen, um Druck zu machen, damit diese äußerst attraktive Verbindung zu Fuß und mit dem Rad endlich ermöglicht wird und in ihren Bezirksausschüssen den Antrag mit Erfolg gestellt.

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Gerade weil die Stadt München das Radfahren und „zu Fuß gehen“ fördern will, müssen solche für die Menschen attraktiven „Querverbindungen“ geschaffen werden. Besonders viele SpaziergängerInnen und AnwohnerInnen beklagen die fehlende Verbindung zwischen Wittelsbacher Brücke und Brudermühlbrücke, denn beide Brücken liegen mehr als 1,5 Kilometer auseinander, während im Vergleich dazu zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke nur ca. 800 Meter Abstand gemessen werden (dazwischen soll nun sogar der Klenzesteg entstehen). Zeit also, eine neue, moderne Verbindung zwischen den Stadtteilen zu schaffen. Wichtig ist, dass hier die Jusos, die für moderne und ökologische Verkehrskonzepte stehen, von der politischen Seite Druck machen, denn die Urbanauten konnten mit ihren bisherigen Aktionsplanungen rund um die Braunauer Eisenbahnbrücke nicht den gewünschten Druck auf die Deutsche Bahn und die Stadt München ausüben. Es wird also wieder Mal Zeit, entsprechend „Brücken zu bauen“!


Interview

Spielbericht zur Halbzeit Ein Gespräch mit den Juso StadträtInnen Verena Dietl und Nik Gradl

Philipp: Liebe Verena, lieber Nik, die Stadtratswahlperiode neigt sich ja der Halbzeit zu. Wie viel steht es und gegen wen wird eigentlich derzeit gespielt? Nik: In gewissem Maße sind zu Hauptgegnern in einigen Bereichen tatsächlich die Grünen geworden, auch wenn sie unser Koalitionspartner sind und wir sehr froh über die rot-grüne Koalition in München sind. Es ist oft so, dass die inhaltlichen Debatten gar nicht im Plenum stattfinden, sondern im Vorfeld bereits viel abgewägt wird: Wie viel grün, wie viel rot setzt sich im Koalitionshandeln durch? Wir kämpfen dafür, dass natürlich der rote Anteil recht groß wird.

Aber es sind ja nicht nur die Sitzungen, sondern auch viele Präsenztermine. Insbesondere seit ich Sportsprecherin geworden bin, komme ich pro Woche durchaus auf insgesamt 60-80 Stunden inklusive dem Wochenende. Den zeitlichen Aufwand konnte ich natürlich schon ahnen, aber wenn man es am eigenen Leib spürt, ist es schon nochmal ein Unterschied. Aber man lernt auch schnell sich seine Kräfte einzuteilen. Philipp: Gibt es manchmal Momente wo ihr im Stadtrat oder in der Fraktion beinahe verzweifelt?

Philipp: Du hast es eben ja schon angesprochen, Verena: Du bist neu im Stadtrat. Gab es etwas das du dir anders vorgestellt hast oder etwas das dich total überrascht hat?

Nik: Leider ja. Wir würden uns schon oft wünschen, dass der Einfluss der Jüngeren größer ist, als es dann in der Realität der Fall ist. Das Angenehme in der SPD-Fraktion ist, dass überhaupt Verjüngung stattgefunden hat. Da unterscheiden wir uns von den anderen Parteien: Die CSU hat es etwas geschafft, die Grünen haben es gar nicht geschafft, die haben nur einen jungen Stadtrat. Wir haben fünf Stadträte im Juso-Alter in den Stadtrat gebracht, was ein sehr guter Prozentsatz ist. Das gute bei uns in der Atmosphäre ist, dass intern jeder alles sagen und ansprechen darf und auch unsere jüngere Meinung gehört wird. Wir würden uns aber natürlich wünschen, dass unsere Ideen und Ansätze schneller umgesetzt werden. Da reibt man sich etwas ab, aber ich würde sagen, dass liegt weniger am Verständnis der anderen Fraktionskollegen, sondern man reibt sich eher an der Verwaltung ab, beim Versuch zu überzeugen, dass die Ideen machbar sind und nicht Unmengen an Geld kosten. Es ist fast eine sportliche Auseinandersetzung, dass auch unsere Vorstellungen in die Tat umgesetzt werden.

Verena: Es ist ja so, dass ich den Stadtrat und meine berufliche Tätigkeit habe – die Stadtratstätigkeit ist ja ehrenamtlich. Mir war natürlich schon bewusst, dass das anstrengend sein wird, aber mir war wichtig, dass ich weiterhin meinen Job mache und sich auch der weiterentwickelt.

Verena: Nik und ich sind ja beide im Fraktionsvorstand mittlerweile, und wir sind auch die beiden jüngsten in der Fraktion, das ist glaube ich auch ein gutes Signal von der SPD. Wir versuchen ja die München-Partei zu sein und da sollten wir auch das Münchner Lebensgefühl aufgreifen.

Verena: Ich bin ja erst seit 2008 im Stadtrat und deshalb bedeutet Halbzeit für mich auch eine ganz persönliche. Nach zweieinhalb Jahren kennt man die wichtigsten Abläufe natürlich schon ziemlich gut und man hat sich gerade hinein gefunden in die Arbeit, und stellt dann erstaunt fest, dass die anderen Parteien schon wieder fast mit Wahlkampf beginnen. Ich finde nicht, dass man gegen irgendjemanden spielt, sondern vor allem versucht miteinander zu spielen und mit der eigenen Fraktion Inhalte vorwärts zu bringen. Nik: Ich glaube für Verena steht es 2:0, denn sie hat ja eine Frauen-Fußball-Mannschaft im Stadtrat gegründet und das ist schon ein großer Erfolg. [lacht]

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Interview

Dazu gehört auch das Lebensgefühl der jüngeren Münchner. Nik und ich versuchen das aufzugreifen. Deshalb setzen wir uns zum Beispiel dafür ein, dass die Surfer legal surfen können oder setzen uns für mehr „Dirtparks“ für BMX-Fahrer ein. Philipp: Vor kurzem war ja der Wohnungspolitische Parteitag der Münchner SPD, auf dem die Jusos viele Anträge gestellt haben – viele erfolgreich. Wie schaut es derzeit mit der Umsetzung der Ideen in der Fraktion aus? Das Azubi-Wohnheim ist für die Jusos ja von besonderem Interesse. Nik: Ich finde es großartig, dass die SPD als München-Partei diesem wichtigsten Thema einen ganzen Parteitag gewidmet hat, denn das „M“ steht auch für Mieterschutz. Es waren gute Diskussionen und die Aufteilung in die Arbeitsgruppen war hervorragend. Die Fraktion hat im Vorfeld ja bereits Input gegeben, was machbar wäre – das muss jetzt natürlich in die Tat umgesetzt werden, und das heißt, da werden derzeit entsprechende Arbeitsaufträge in die Verwaltung gegeben: Weiterentwicklung von „München V“, aber auch unsere eigenen Ideen. Zum Thema Mietspiegel ist das bereits geschehen. Die Initiative zum AzubiWohnheim folgt.

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Verena: Es bringt auch nichts, alle Anträge des Wohnungspolitischen Parteitages als Einzelanträge zu stellen. Ein guter Zeitplan und die längerfristige Beschäftigung mit dem Thema scheint hier viel vernünftiger zu sein. Das läuft gerade an. Philipp: Den Jusos ist es ein Anliegen die OBKandidatin oder den OB-Kandidaten der Münchner SPD in einem Mitgliederentscheid zu küren. Wollt nicht ihr beide kandidieren? Nik: Also den Mitgliederentscheid halten wir für vernünftig. Das ist ja nicht nur eine Position der Jusos, sondern auch eine neue Möglichkeit der Münchner SPD. Ich glaube, dass er auch Sinn macht, denn wenn zwei oder drei KandidatInnen – hoffentlich mit einem großen „I“ - antreten, dann sieht die Partei, dass es ihre Kandidatin oder ihr Kandidat ist, und es einen großen Konsens darüber gibt, dass die Mehrheit der Partei nach solch einem demokratischen Verfahren dann geschlossen hinter der Person stehen. Die andere Frage ist eher hypothetisch... [lacht] Verena: Also ich finde prinzipiell solche basisdemokratischen Entscheidungen gut. Zu befürchten wäre allerdings die theoretisch mögliche Situation, dass das Ergebnis knapp ausfällt und die Medien das breit treten. Am Wohnungspolitischen Parteitag war nur wenig Presse da, denn offen-


Interview

sichtlich sind wir nur dann besonders interessant, wenn es um die OB-Kandidatur geht, und das ist sehr schade. Offenes diskutieren darüber, welche Kandidatin oder welcher Kandidat am Besten unsere Inhalte vertritt ist unter solchen Umständen natürlich etwas schwierig.

che Zwischennutzungen gibt, und ich würde auf keinen Fall „Puerto Giesing“ unterstellen, dass es die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes vorantreibt. Da gibt es andere Projekte die nur auf ihren Bierumsatz achten. Zwischennutzungen wie „Puerto Giesing“ bräuchte man häufiger.

Philipp: In ein paar Monaten werden wir wissen, ob München tatsächlich den Zuschlag für Olympia bekommt. Habt ihr den Sekt schon kalt gestellt?

Verena: Die Meinung teile ich. Möglichkeiten zur kulturellen Zwischennutzung sollte man in München viel häufiger nutzen.

Verena: Als Sportstadträtin beschäftigt mich das Thema natürlich. Der Optimismus ist auf jeden Fall da in der Stadt. Die Bewerbung ist sehr gut und München hat gute Chancen. Aufgabe ist es derzeit auch, weiter für Olympia in der Stadtgesellschaft zu werben. Wir freuen uns auf den 6. Juli und hoffen, dass München den Zuschlag bekommt. Für die Sport-Infrastruktur der Stadt wäre Olympia ebenso ein großer Wurf. Nik: Also ich beschäftige mich mehr mit der ökologischen Komponente der olympischen Spiele und weniger mit den sportlichen, wie Verena. Ich merke, dass die Gegner von „Nolympia“, wie sie sich nennen, immer fundamentalistischer werden und vermehrt Behauptungen aufstellen, die einfach nicht richtig sind. Es sind sehr ökologische Spiele. Bereits beim Bau wird beispielsweise schon auf die CO2-Bilanz geachtet. Wir setzen uns auch dafür ein, dass bei den 1.300 Wohnungen des olympischen Dorfes und des Medienzentrums an der Dachauer Straße, auch sozialer Wohnungsbau stattfindet - die „Münchner Mischung“. Ich hoffe, dass die Grünen da auch weiter mit dabei sind. Die „NOlympia“-Gegner behaupten, dass die Bewerbung in München ökologisch Problematischer wäre, als an anderen Orten. Das Gegenteil ist der Fall. Philipp: Die Jusos haben letztens die Stellungnahme „Kultur ja! Kommerz nein!“ beschlossen und die kulturelle Nutzung des öffentlichen Raumes diskutiert. Was haltet ihr von Projekten wie zum Beispiel dem „Puerto Giesing“? Nik: Ich finde es großartig, dass Zehra Spindler und Patrick Gruban es hinbekommen haben überhaupt die Genehmigung für das zum Abriss freigegebene ehemalige Kaufhaus zu bekommen, und sie auch in den Dialog mit den Anwohnern gegangen sind. Ich finde es großartig, dass es sol-

Nik: Wir waren vor kurzem mit dem Kulturausschuss in Amsterdam um uns dort Zwischennutzungsprojekte anzusehen. Die geben aktiv Geld aus, um brach liegende Industrieanlagen zu sanieren um dort unterschiedliche Kreativbranchen einziehen zu lassen. Zum Teil sind das witzige Mischungen: Da sind der mittellose Künstler der nur 2 Euro zahlt, und die Videoproduktionsfirma, die 16 Euro zahlt, zusammen in einem Haus, und durch diese Mischung und den Austausch profitieren alle. Was solches Kreativpotential angeht sind andere europäische, und auch manche deutsche, Städte fortschrittlicher und bereits weiter als München. Was sicherlich auch mit der wirtschaftlichen Stärke von München zu tun hat: Gewerbeflächen stehen bei uns in dem Umfang nicht leer und die Preise sind eben hoch. Durch geeignete kommunale Maßnahmen kann man aber auch in München kulturellen Betrieb fördern. Das sehe ich als unsere Aufgabe. Philipp: Gibt es Juso-Forderungen bei denen ihr schon seit längerem innerhalb der Fraktion auf Granit beißt? Nik: Seit Jahren setzen wir uns für ein Semesterticket und für ein Azubi Wohnheim ein. Oder die Debatte um das Alkoholverbot bei der MVG. Die Umsetzung von Juso-Forderungen scheitert oft nicht daran, dass wir nicht die besseren Argumente hätten, sondern daran, dass es nicht genug sind, die einen Druck von außen aushalten. Mehr Jusos in der Fraktion könnten hier nicht schaden. Wir hoffen da auch auf die nächsten Kommunalwahlen. Verena: Das Alkoholverbot ärgert mich immer noch. Das ist ein gutes Beispiel. Nik: Ich muss auch sagen, bei der ganzen Debatte „Alkohol trinken in der Öffentlichkeit“, auf öffentlichen Plätzen, in der U-Bahn oder in

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Interview

Kneipen, da merkt man, wie weltfremd teilweise auch die Sicht unserer eigenen Kolleginnen und Kollegen ist. Da werden Äußerungen und Forderungen ausgesprochen die teilweise komplett an der Realität vorbeigehen. Manche erinnern sich vielleicht selber nicht mehr an ihre eigene Jugend, und glauben, dass man mit Verboten alles regeln kann. Das sieht man beim Alkoholverbot in der U-Bahn. Das haben wir jetzt, aber es setzt halt keiner um. Die Leute sitzen weiterhin auf dem Weg in den Club in der U-Bahn und trinken ihr Augustiner. Verena: Steig mal um Zwölf in die Tram ein. Da sitzt jeder mit einer Bierflasche. Ich will jetzt nicht dafür werben, dass man Alkohol in den öffentlichen Verkehrsmitteln trinkt, [lacht] aber das Verbot löst von keinem irgendein mögliches Alkoholproblem. Die Leute trinken doch vorher oder nachher. Wenn jemand total alkoholisiert in der U-Bahn sitzt, liegt das sicherlich nicht an dem halben Bier, das er in der U-Bahn getrunken hat, sondern weil er woanders zu viel erwischt hat. Nik: Ich fand es sehr interessant, ich war irgendwo in einer Stadt im Ruhrpott, da gibt es teilweise Trambahnen mit Speisewaggons. Wenn man so einen erwischt, kann man sich in der Trambahn ein Bier bestellen. Philipp: Was sind eure, ganz persönlich, wichtigsten politischen Anliegen? Nik: Mir ist sehr wichtig, dass wir das hinbekommen mit dem Ausbildungsticket. Damit sind die Jusos schon zwei Mal zur Kommunalwahl angetreten. Es gibt Modelle die auf dem Tisch liegen, man muss nur noch stärker für ihre Durchsetzung kämpfen. Dann ist ein Teil von dem sicherlich wichtigsten Anliegen, dass wir eine sozial gerechte Stadt bekommen, und dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht. Armut in München ist häufig regelrecht versteckt. Man sieht sie vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber es gibt sie. Die Bereitschaft über andere Gesellschaftsgruppen und deren berechtigte Anliegen nachzudenken ist leider in unserer Gesellschaft auch immer weiter gesunken. Es ist, glaube ich, Aufgabe der Sozialdemokratie einem ausufernden Kapitalismus Einhalt zu gebieten. Auch in München verschärfen sich teilweise die sozialen Probleme.

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Verena: Die Frage ist schwierig zu beantworten, da ich mehrere Anliegen habe, dich ich jetzt schlecht nach Wichtigkeit ordnen kann. Auch vermeintliche Kleinigkeiten, wie die Sanierung von Sportanlagen, sind mir sehr wichtig. Die Stadt hat ein tolles Projekt ins Leben gerufen: „Sport für alle Kinder“. Alle Kinder, die sich einen Mitgliedsbeitrag in einem Sportverein nicht leisten können, bekommen ihn bezahlt. Wie Nik eben gesagt habt, viele können es sich nicht mehr leisten, am öffentlichen Leben teilzunehmen und da müssen wir gegenwirken. Jetzt ist mir doch was eingefallen: Das Grünwalder Stadion zu retten [lacht], ist doch überraschender Weise fürs Erste gelungen. Das war eine sehr, sehr lange Diskussion und für mich persönlich ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen. Philipp: Ich sehe ihr habt beide einen unglaublich dicken Terminkalender vor euch liegen. Nutzt ihr die für euch sicherlich knapper gewordene Freizeit bewusster oder anders? Verena: Ich glaube es bringt der politischen Arbeit überhaupt nichts, wenn man seine Freunde vergisst und keinen Kontakt mehr zu Menschen hat, die gar nichts mit der Politik zu tun haben. Deren Sichtweisen sind oft die interessantesten. Für die politische Arbeit ist das nicht unwichtig. Private Freizeit muss ich mir allerdings mittlerweile in meinen Kalender eintragen und planen – das ist teilweise schon etwas erschreckend. Nik: Man muss es zum Teil schon lieben, als Stadtrat am Abend zu Terminen zu gehen. Im Kulturbereich wird es zum Beispiel einfach erwartet, dass man zu Ausstellungseröffnungen oder zu Premieren geht. Es gibt Wochen wo ich fünf oder sechs Abendtermine habe. Da hilft es sehr, die Termine als Freizeit zu betrachten, andernfalls setzt man sich in einen Stress hinein, der sicher nicht gut tut. Es ist so wie Verena gesagt hat, man muss es schaffen ausreichend Zeitfenster zu haben, die man sich für Familie und Beziehung freihält, andernfalls werden soziale Kontakte einfach weniger. Das merke ich selber, dass es Leute gibt, die nicht gut akzeptieren können, dass man vielleicht drei Wochen vorher einen Termin ausmachen muss, und man selten spontan am Abend vorbeikommen kann. Aber es macht trotzdem Spaß!


Interview

Verena: Viele können einfach schwer nachvollziehen, wie stark man eingebunden ist zwischen Job und Stadtratstätigkeit. Man erschrickt dann, wenn man hört „Du hast ja eh nie Zeit!“ und manchmal gar nicht mehr gefragt wird, ob man mitkommt, weil davon ausgegangen wird, dass man keine Zeit hat. Da muss man die Notbremse ziehen. Philipp: Ich wette ihr kennt unsere Stadt mittlerweile wie eure Westentasche. Gebt uns doch mal ein paar Geheimtipps! Nik: Am Anfang hatte ich wirklich Probleme. Es gibt Stadtviertel, wo ich damals nicht mal wusste in welcher Himmelsrichtung die ungefähr liegen. Natürlich lernt man schöne Ecken kennen, weil man sich nicht nur in der Innenstadt oder im eigenen Stadtviertel aufhält. Über das Projekt „Kulturgeschichtspfade“ vom Kulturreferat habe ich viel mit Stadtvierteln zu tun, die ich wenig kenne, und plötzlich merke ich, es lohnt sich da hinzufahren und z.B. die Ebenböckstraße anzuschauen. Unterschiedlichste kleine schöne Ecken lernt man kennen. Wir haben eine tolle dezentrale Infrastruktur, was kulturelle Zentren angeht, was geförderte Einrichtungen angeht, was Stadtbib-

liotheken und Theater angeht. Es gibt beispielsweise eine sehr breit aufgestellte Theater- und Tanzszene. Privat wäre ich nie zu einer Tanzvorführung gegangen. Wenn man sich politisch damit beschäftigt, lernt man die wirklich schönen Seiten des breit gefächerten Kulturlebens kennen. Verena: Man nimmt generell die Stadt anders wahr. Bei viele Kleinigkeiten, an denen man bisher einfach vorbeigelaufen ist, weiß man jetzt einfach, was dort geboten wird. Von der Stadt bekommt man jetzt einfach mehr mit. Ich war sechs Jahre im Bezirksausschuss, da kannte ich jede abgesenkte Straße auswendig. Der Sprung vom Stadtviertel in eine Großstadt bedeutet ein bisschen einen Neuanfang, aber dadurch lernt man viele schöne neue Ecken kennen. Philipp: Vielen Dank euch beiden für das Interview.

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Bildung

Bildung

Bildungschipkarte? Kein Lösungsansatz für Kinderarmut, sondern ein diskriminierendes Instrument!

Von Christian Köning Juso-Bezirksvorsitzender in Oberbayern Die Jusos Oberbayern haben auf ihrer Bezirkskonferenz Ende November einen Antrag zur Positionierung gegen die im Rahmen des Bildungspakets der Bundesregierung vorgeschlagene Bildungschipkarte verabschiedet. Der folgende Artikel liefert aktuelle Informationen zu diesem Thema, und stellt dabei unter Beachtung des diskriminierenden Charakters insbesondere die Gründe für eine Ablehnung der Bildungschipkarte heraus. Was ist die Bildungschipkarte? Die Bildungschipkarte ist das Instrument, das die Bundesregierung im Rahmen ihres Bildungspakets verwendet, um die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Neugestaltung der Hartz-IV-Sätze für Kinder und Jugendliche durch ein Gutscheinsystem in Form einer Chipkarte umzusetzen. Die Initiative für die Neugestaltung resultiert aus einem Verfassungsgerichtsurteil im Januar 2010; hierbei wurde die Berechnung des Regelsatzes für verfassungswidrig erklärt, insbesondere wurde angemahnt, dass sich die Leistungen für Kinder am wirklichen Bedarf orientieren müsse und nicht ein bloßer Prozentsatz vom Erwachsenen-Regelsatz sein dürfe. Zudem seien keinerlei eigenständige Leistungen zur Kindererziehung, z.B. für Nachhilfekosten, in den Regelsätzen vorgesehen. Dieser Mangel soll nun durch die Bildungschipkarte aufgehoben werden.

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Warum ist die Debatte aktuell? Im Dezember hatte Bundesministerin von der Leyen endlich dem Bundestag ihr Gesetz vorgelegt, das eine Neuregelung für die Regelsätze und die Einführung eben dieser Chipkarte vorsieht. Dieses wurde von der Regierungsmehrheit aus CDU,CSU und FDP verabschiedet. Im Bundesrat gab es allerdings keine Mehrheit für das Vorhaben, die Oppositionsparteien aus SPD, Grüne und LINKE lehnten es ab. Eine Neuregelung kam damit nicht wie eigentlich vom Bundesverfassungsgericht gefordert, bis zum 01.01.2011 zustande. Bis heute (Stand: 01.02.2011) werden die als verfassungswidrig eingestuften Regelungen angewandt. Parallel dazu tagt der Vermittlungsausschuss und es werden beinahe täglich neue Wasserstandsmeldungen zu den Verhandlungen verkündet. Immerhin hat es die SPD erst mal geschafft, die Zuständigkeit zur Umsetzung des Bildungspakets weg von den Jobcentern und hin zu den Kommunen zu verlagern. Nichtsdestotrotz gibt es bisher keine Einigung zu den Regelsätzen und der Chipkarte. Unsere Kritik an der Chipkarte Es gibt einige eher technische Kritikpunkte, wie offene Fragen bei der Ausgestaltung, so z.B. welche Einrichtungen die Lesegeräte für die Chipkarte haben; ob Nachhilfe nun nur noch bei großen und teuren Instituten und nicht mehr von älteren SchülerInnen genommen werden kann; ob jedes kleinere Theater oder der private Klavierlehrer ein Lesegerät haben kann, etc., was mit der Chipkarte bezahlt werden kann und was nicht – gehören bspw. die Therme Erding oder das Alpamare dazu oder ist für Kinder aus Familien mit Hartz-IVBezug das städtische Schwimmbad ausreichend? Am wichtigsten ist uns als Jusos aber, den diskriminierenden Charakter an dem Vorschlag und der ganzen Debatte herauszuarbeiten.


Bildung

Und jetzt noch was zur Praxis. Eltern, der Regelfall sind unter den Eltern im Hartz-IV-Bezug sowieso alleinerziehende Mütter, die sich nicht um ihre Kinder kümmern können oder wollen werden ihre Kinder durch die Chipkarte auch nicht mehr ins Theater, Kino oder zum Klavierunterricht schicken als zuvor. Warum sollte eine Chipkarte die Motivation zur Kindererziehung auch erhöhen Und die Kinder, die von alleine darauf kommen, Nachhilfe zu nehmen und mit ihrer Karte bezahlen, können wir an einer Hand abzählen. Eine Chipkarte wird niemals sicherstellen, dass die Leistungen da ankommen, wo sie hinsollen, eher werden die Leistungen dann nicht abgerufen. Unsere Lösungsansätze zur Bekämpfung von Kinderarmut Festzuhalten ist hier, dass eine doppelte Diskriminierung stattfindet. Erstens hällt die Bundesregierung die Eltern in Hartz-IV-Bezug für zu selbstsüchtig, dumm oder nicht in der Lage, sich selbstständig um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern. Das Bild des Hartzers bzw. der Hartzerin, der bzw. die seinen/ihren Regelsatz verraucht und versäuft, aber eine ja auch mögliche direkte finanzielle Erhöhung niemals für seine/ihre Kinder ausgeben würde, wird gehegt und gepflegt. Damit werden die Eltern zu Eltern zweiter Klasse, da ihnen der Staat mitteilt, unfähig zur Erziehung ihrer Kinder zu sein. Über die konkrete Ausgestaltung der Erziehung ihrer Kinder dürfen sie nur noch begrenzt mitbestimmen, da der Grundsicherungsträger oder das Jugendamt ja dafür sorgen muss, dass das Geld auch bei den Kindern ankommt.

Wir Jusos fordern von der SPD ein konsequentes Einstehen für eine Ausrichtung der Regelsätze am soziokulturellen Existenzminimum, mindestens eine Erhöhung auf 420€ pro Monat. Für Beträge, die unterhalb der genannten Grenze liegen, darf es keine Zustimmung der SPD regierten Bundesländer im Bundesrat geben. Darüber hinaus fordern wir ein echtes Konzept zur Bekämpfung von Kinderarmut. Als Sozialistinnen und Sozialisten müssen wir ermöglichen, dass Kinder, egal welchen finanziellen Hintergrund sie haben, eine gute Erziehung und Bildung

„Eine Chipkarte wird niemals sicherstellen, dass die Leistungen da ankommen, wo sie hin sollen. “

Und zweitens leiden die Kinder, die dann mit ihren Freundinnen und Freunden ins Kino gehen und nicht wie alle anderen mit Geld bezahlen dürfen, sondern sich als Hartzer-Kinder mit Chipkarte ihren Sitzplatz erkaufen, ebenfalls und noch viel mehr unter der Diskriminierung. Ihre soziale Einordnung (in die Unterschicht) wird dadurch nur noch offensichtlicher. Reichen hierfür die Markenklamotten und das Taschengeld nicht schon aus? Nein, die Bundesregierung überträgt mit der Chipkarte die schön geschürten Vorurteile auch noch auf die Kinder.

bekommen. Dies verhindert in hohem Maße unser Bildungssystem. Trotzdem sehen wir in einem ersten Punkt nicht unbedingt bildungspolitische Maßnahmen. Es geht nicht darum, ein Politikfeld gegen ein anderes auszuspielen. Aber der Kampf gegen Kinderarmut und für Chancengerechtigkeit ist deutlich mehr als Bildungschipkarten.

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Verband Intern

Vorstellung Tim Hall Mitgliederbeauftragter Zunächst einmal möchte ich mich für das Vertrauen bedanken, das mir bei der Unterbezirkskonferenz am 22. Februar entgegen gebracht wurde. Neumitgliederbetreuung ist natürlich kein einfacher Job, trotzdem freue ich mich sehr darauf die Sache anpacken zu können. Schon in meiner Zeit beim Bildungsstreik gelang es mir mit den vielen verschiedenen am Protest beteiligten Menschen zu reden und eine Brücke zu schlagen zwischen den vielen Gruppierungen und Parteien. Diese Erfahrung möchte ich auch gerne in die Neumitgliederarbeit einfließen lassen. Es gibt bei den Jusos München sehr viele unterschiedliche Menschen und es ist oft nicht leicht die vielen Charaktere und Interessen unter einen Hut zu bringen.

Bericht thematischer Stammtisch: Netzpolitik Der Stammtisch zum Thema Netzpolitik am 15. Februar war ein großer Erfolg. Viele Interessierte haben sich zu Wort gemeldet und mit diskutiert. Die Privatssphäre im Internet, die Netzneutralität und der Kampf gegen die Online-Zensur sind Dinge die alle etwas angehen und auch wenn der erste Start etwas holprig war, waren sich am Schluss alle einig dass das Thema weiterverfolgt werden muss. In den Diskussionen wurde das komplexe Thema in ein handhabbare Teilbereiche aufgespalten und aufgezeigt das es mehr gibt als den Streit um StreetView und Stoppschilder. Besonders die Benachteiligung von Menschen, ohne brauchbaren Internetzugang, in der modernen Online-Gesellschaft, wurde heiß diskutiert und zeigt das Soziale Gerechtigkeit auch im Cyberspace gelten muss.

Dafür gibt es leider keine Patentlösungen, aber wir wollen euch ein möglichst vielseitiges Angebot an Veranstaltungen bieten,und damit auch den Freiraum euch eure eigenen politischen Schwerpunkte auszusuchen. In einem breiten demokratischen Verband, wie den Jusos München, ist es möglich alle Mitglieder zusammenzuführen, sich mit den politischen Positionen auseinander zu setzten und gemeinsam für progressive Politik zu kämpfen. Wir freuen uns darauf, das ihr bei uns mitarbeitet und euch einbringt, damit unser Verband in Zukunft noch lebendiger und vielfältiger wird. Als neuer Beisitzer für Mitgliederbetreuung, im Vorstand der Jusos-München, bin ich deshalb froh, allen Mitgliedern und Interessierten helfen zu können, sich bei uns zurechtzufinden und hoffe auf eure tatkräftige Unterstützung. Freundschaft Tim

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Integration

Migration. Und weiter ? Bericht von der Veranstaltungsreihe der Jusos München

von Marcel Reymus, Cornelius Müller und Anno Dietz 286.700 Asylanträge wurden 2009 in der EU eingereicht, 27.600 davon in Deutschland. Auch in München spielt Migration eine immer größere Rolle im gesellschaftlichen Leben. Das Stadtbild sowie die lokale Wirtschaft sind ohne Menschen, die aus dem Ausland nach München kamen, nicht mehr vorstellbar. Die Jusos München haben sich 2010 daher mit dem Thema Migration und Integration auseinander gesetzt und versucht, den fiktiven Weg eines aslysuchenden Jugendlichen in München - vom ersten Kontakt zum bayerischen Aufnahmesystem, über die schulische Ausbildung bis hin zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt - im Rahmen einer Veranstaltungsreihe nach zu zeichnen. Wir wollen im folgenden Artikel die Fäden zusammenführen und noch einmal einen Überblick über Inhalte und Ergebnisse der Veranstaltungen aufzeigen Hintergründe für Flucht und Migration Cenk Alican, Mitarbeiter von MdL Isabel Zacharias und Mitglied des Türkisch-Deutschen Studentenbundes, referierte in unserer ersten Veranstaltung über die Hintergründe für Flucht und Migration.

Migration. Und weiter?

Laut dem UNHCR-Jahresbericht 2009 liegt die Zahl der weltweiten Flüchtlinge bei rund 43,3 Millionen, was einen Anstieg um 26% zum Vorjahr bedeutet. Als externe Ursachen von Flüchtlingsbewegungen werden Exportsubventionen besonders an die Agrarprodukte der Industriestaaten genannt. Diese Produkte zerstören den lokalen Markt in Ländern der Dritten Welt so sehr, dass die einheimischen Bauern ihrer Lebensgrundlage entzogen werden und so zur Abwanderung in die Städte gezwungen sind. Als weitere externe Ursache ist der Klimawandel aufzuzeigen. Dieser wird hauptsächlich durch die energieintensive Produktion der westlichen Länder hervorgerufen und zeigt seine Auswirkungen besonders in den ärmeren Weltgegenden. So genannte Umweltflüchtlinge strömen entweder in die entstehenden Megacities oder ins Ausland, wo ihnen der Schutz, welcher politischen- und Kriegsflüchtingen zusteht, nicht gewährt wird. Zu den internen Ursachen können politische Unruhen, Benachteiligungen wegen Geschlecht, Glaube oder Ethnie sowie mangelnde Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten gezählt werden. In Bayern befanden sich im Jahr 2009 4.234 Asylbewerber, von denen der Großteil aus dem Irak (39,6), Afghanistan (14,4%), Somalia (5,2%) sowie dem Kosovo (5,0%) stammt. Dabei ist von menschlicher Anteilnahme von Seiten der Staatsregierung wenig zu spüren. Die Ausreise bzw. Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern ist „konsequent und zum frühmöglichsten Zeitpunkt durchzusetzen“, außerdem sind die Unterkünfte für Asylbewerber so zu gestalten, dass sie „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“.

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Integration

Dieser politisch forcierten Praxis stellt die SPDLandtagsfraktion ein eigenes Konzept entgegen, welches sie in einem Gesetzesentwurf für eine Wende der bayerischen Asylpraxis zusammen gefasst hat. Flüchtlingslager und Asyl Einen erschreckenden Eindruck von den Unterkünften, denen Aslysuchende in Bayern ausgesetzt sind, zeigte uns eine Veranstaltung mit Monika Steinhaus vom Münchner Flüchtlingsrat. In einer Bilderserie wurden wir sowohl auf die gewollten Schikanen (keine Vorhänge oder Jalousien vor den Fenstern) als auch auf die unmenschlichen Zustände (mangelnde Hygiene) hingewiesen. Die Raumverhältnisse für alle Bewerber sind aufgrund der Überlegung der Einrichtungen unmenschlich und von einer besonderen Unterbringung für Frauen und Kinder kann oft keine Rede sein. Besonders schockierend fanden wir, dass den dort untergebrachten Jugendlichen der Zugang zu Bildungseinrichtungen verwehrt wird. Bei einer erfolgreichen Asylbewerbung wird somit die soziale Lage als Unausgebildeter determiniert und jede Integration unterbunden.

Herkunft bestimmt Zukunft?! Hat ein asylsuchender Jugendlicher seinen Weg nach Deutschland gefunden und erhält von den Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung steht ihm ein weitere, sein zukünftiges Leben determinierende Hürde zuvor. Das bayerische Schulsystem mit seiner brachialen Selektierung bringt Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund oft um ihre Chancen. Auf eine gezielte Sprachförderung in der Grundschule wird der Kosten wegen verzichtet, der Übertritt auf weiterführende Schulen wird nach Status der Familie negativ ausgelegt und Kompetenzen der SchülerInnen werden unterschlagen. Englisch, Französisch und sogar Latein werden als „akademisch anerkannte“ Sprachen gefördert und anerkannt. Arabische oder Türkische Sprachkentnisse fallen hingegen unter den Tisch, sowie die Tatsache, dass viele Jugendliche mit Migrationshintergrund eine höhere interkulturelle Kompetenz mitbringen. Eingliederung in den Arbeitsmarkt Gerade auch bei der Integration in den Arbeitsmarkt, der in Zukunft noch mehr junge Fachkräfte benötigt, zeigen sich einmal mehr die vielen Hürden die der Gesetzgeber auferlegt und so viel zu oft erfolgreiche Integration verhindert.

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Integration

Angefangen von der Voraussetzung einer Aufenthaltsgenehmigung um überhaupt eine Arbeitserlaubnis zu bekommen - welche man eigentlich nicht erhält wenn man keine gesicherten Lebensumstände und den Willen zur Integration nachweisen kann, also eigentlich einem Arbeitsplatz. Bis hin zur Situation am Arbeitsmarkt, wo Menschen, die vorher im Bildungssystem benachteiligt wurden, nicht nachgefragt werden. Ausländische Berufsabschlüsse werden oft genug auch nicht anerkannt, wodurch sich bereits fertige Fachkräfte als ungelernte ArbeiterInnen bewerben. Genau diese erhalten aber keine Arbeitsplätze mehr, da gerade im produzierenden Gewerbe Arbeitsplätze wegfallen und abgebaut werden. Hinzu kommt eine oft subjektiv unterschiedliche Behandlung von Menschen andere Herkunft, was auch die Gleichbehandlungsgesetze kaum verhindern können. Auch Lösungsansätze zur besseren Integration in den Arbeitsmarkt wurden in der gut besuchten Veranstaltung diskutiert. Nur um einige zu nennen: Die gezielte Förderung im Schul- und Bildungswesen, Anerkennung von bereits vorhandenen Kenntnissen und Bildungsabschlüssen, Eiführung von Mindestlöhnen (Vermeidung von sozialer Ausgrenzung durch schlechte Verdienstmöglichkeiten), MigrantInnenquoten in Unternehmen, annonyme Bewerbungen, ohne Foto und Namen. Wie weiter? Kaum eine politische Debatte wird so häufig als wichtiges Thema für die politische Auseinandersetzung genannt. Und in kaum einem anderen Thema gilt es gegen so starke gesellschaftliche Vorurteile, offene Ablehnung und rassistische Diffamierung der MigrantInnen anzugehen. Nicht von ungefähr konnte ein Brandstifter wie Sarrazin mit seinen, in intelektuelle transponierten Stammtischparolen und seinen WühltischBiologismus einen solchen Erfolg in den Medien verbuchen und sein Buch in die Bestsellerlisten katapultieren. Nicht von ungefähr, liefert doch die aktuelle Studie „Die Mitte in der Krise“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Rechtsextremen Einstellungen in Deutschland 2010 das Ergebnis, dass Deutschland über 30 Prozent der Befragten ausländerfeindlichen Aussagen zustimmt.

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Das es auch weiterhin notwendig ist, mit den Jusos und der SPD, in Gesellschaft und Politik für dringend nötige Verbesserungen in der Migrations- und Integrationspolitik zu kämpfen, haben die vielen interessanten Veranstaltungen gezeigt. Aber auch ganz aktuell: Derzeit kann in den Medien Verfolgt werden, wie viel noch beim Thema Migration gearbeitet werden muss. Nach wie vor wird mehr über angebliche Gefahren berichtet als über Chancen. Wir wollen uns als Jusos München weiter mit dem Thema Migration beschäftigen und hatten bereits die erste weitere Veranstaltung. Frau Doll, von der Migrationsstelle für Interkulturelle Kommunikation der Landeshauptstadt München hat uns die Ergebnisse des, kürzlich vorgelegten, ersten Integrationsbericht der Stadt München näher vorgestellt. Mit Verena Dietl, Juso-Stadträtin und Mitarbeiterin des Vereins AKA – Aktiv für interKulturellen Austausch e.V. wollen wir uns mit der Situation Jugendlicher MigrantInnen in München beschäftigen. Für eine weitere Veranstaltung haben wir den Leiter des AKA angefragt über interkulturelle Kompetenz als Schlüssel zu solidarischen Stadtgesellschaft zu referieren. So der derzeitige Planungsstand für die kommenden Veranstaltungen. Du möchtest dich bei der Planung künftiger Veranstaltungen beteiligen? Du hast Anregungen, Fragen und Ideen? Dann schreib uns eine Email an pg_migration@jusos-muenchen.de


Ausland

Proteste gegen Rentenreform in Frankreich im Herbst 2010 Von Christian Köning Juso-Bezirksvorsitzender in Oberbayern Im Rahmen eines studienbedingten Auslandspraktikums in Lyon hatte der Schreiber dieses Artikels einen kurzen Einblick in die teils gewaltsam abgelaufenen Proteste gegen die Rentenreform der französischen Regierung. Er nahm an Demonstrationen gegen die Rentenreform unter Beteiligung der französischen Schwesterorganisation der Jusos, dem Mouvement des jeunes socialistes (MJS) teil und besuchte deren Veranstaltungen zu Diskussionen um die Reform. Selbstverständlich ist dieser Artikel ein subjektiver Erfahrungsbericht.

in das Gesetz aufgenommen; letztendlich ist aber das Kernstück der Reform von beiden Kammern des französischen Parlaments (Assemble nationale und Sénat) angenommen worden.

Die Rentenreform in Frankreich

Gerade die Jugendlichen, deutlich mehr Schülerinnen und Schüler als Studierende, waren eine Hauptgruppe der Protestbewegung. Jugendarbeitslosigkeit ist eines der größten gesellschaftlichen Probleme Frankreichs, sie liegt im Landesdurchschnitt bei 23%. Und in den Banlieus, die Sarkozy noch als Innenminister „auskärchern“ wollte, hat sich rein gar nichts verändert – Armut und Perspektivlosigkeit, gesellschaftliche Spaltung und Ghettoisierung schreiten voran. Bei einer solch hohen Jugendarbeitslosigkeit, das Renteneintrittsalter erhöhen und so die Aussichten auf einen Arbeitsplatz noch mehr verringern – das rief teilweise krasse Proteste in unserem Nachbarland hervor, die in Europa starke Beachtung fanden.

Unter der Präsidentschaft von Mitterand wurde in Frankreich die Rente mit 60 eingeführt, bis heute galt sie als eine große sozialpolitische Errungenschaft. Das Gesetzesvorhaben der Regierung unter persönlichem Einsatz von Präsident Nicolas Sarkozy sieht die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 62, aber auch teilweise auf bis zu 67 Jahre vor. Als Reaktion auf die Proteste im Herbst 2010 wurden einige Ausnahmen

„Jugendarbeitslosigkeit ist eines der größten gesellschaftlichen Probleme Frankreichs“

Erfahrungen bei französischen Demonstrationen Die Demonstrationen gegen die Rentenreform in Frankreich unterscheiden sich in einigen Aspekten deutlich von den mir bekannten deutschen Demonstrationen. Die Demonstrationskultur ist eine Zerstörte Bushaltestelle in der Nähe des Rathauses

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Ausland

neten, sondern zwei riesige ImbissWägen der beiden größten Einzelgewerkschaften. Diese verkaufen Würstchen, Bier, Pastis und natürlich Baguettes. Sie sind darauf angewiesen und finanzieren so die Streiks. Der Umgang unserer Schwesterorganisation MJS mit den Protesten

Zerstörte Bäckerei nach den Straßenschlachten in der Nähe des Place Bellecour

ganz andere. Mit landesweiten Streiks aller Gewerkschaften an einem Aktionstag wird das öffentliche Leben möglichst lahmgelegt. Tagelang zuvor wird in den Betrieben und besonders bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die eine der stärksten Gruppen unter den Streikenden sind, geflyert, aber auch auf der Straße für die Streiks und Demonstrationen mobilisiert. Viele Busse aus dem Umkreis Lyons fahren voll beladen mit Schülerinnen und Schülern in die Stadt. Am Aktionstag selbst ist die Demo eine einzige Party. Egal welches Wetter, es wird zusammen durch die Innenstadt hin zum größten Platz (in Lyon der Place Bellecour) marschiert. Am Rand der Strecke verteilen alle Parteien, die gegen die Reformen sind, ihre Flyer, Unterstützungsschreiben etc. Im Demonstrationszug sammelt jede

Das MJS wurde meiner Wahrnehmung nach vom Ausmaß der Proteste ziemlich überrollt. Es fanden allerdings überaus viele Flyer-Verteilungen statt, oftmals sehr spontan. Drei bis vier mal pro Woche haben sich ca. fünf Genossinnen und Genossen getroffen und vorgedruckte Materialien des MJS-Bundesverbands und/oder der lokalen Sektionen der Parti Socialiste verteilt. Nach den größeren Gewaltausbrüchen in Lyon gab es eine große Veranstaltung der PS mit der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal und ihrem Angebot eines Paktes für die Jugend. Auch dabei war das MJS stark vertreten. Die Bundesvorsitzende des MJS war zu einer Themenveranstaltung zur Gesundheitspolitik in Lyon, bei der natürlich auch auf die aktuelle Thematik mit der Rentenreform eingegangen wurde. Bei den Demonstrationen waren allerdings die Jeunes Communistes deutlich stärker und hatten eine viel größere Anbindung an die Gewerkschaften. Es gab so gut wie keine Genossinnen und Genossen des MJS die selbst in den Gewerkschaften aktiv waren.

„Teilweise fühlte ich mich an TV Bilder aus Bürgerkriegsregionen erinnert.“ Einzelgewerkschaft lautstark Unterstützungsgeld für die Streikkassen. Jede Organisation geht hinter ihren eigenen Bannern, Wägen oder Autos. Alle machen Lärm mit Pfeiffen oder Rasseln und singen gemeinsam Lieder aus der Tradition der ArbeiterInnen-Bewegung oder skandieren Parolen gegen die Reform und den Präsidenten. Viele trinken Bier, Pastis oder Wein und unterhalten sich lautstark mit ihren KollegInnen. Am Ende kommt man auf den größten Platz der Stadt. Dort ist allerdings keine Kundgebung mit Reden von GewerkschaftsvertreterInnen oder gar Abgeord-

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Inhaltlich positionierte sich das MJS in dieser Frage im linken Spektrum der PS um den heutigen Parteisprecher und Mitbegründer des MJS in den 90er Jahren Benoit Hamon. Jedweder Umbau des Rentensystems solle demnach nach Machtübernahme durch eine sozialistische Regierung zurückgenommen werden. Die Eskalation der Proteste Attacken der „casseurs“ Mitte bis Ende Oktober eskalierten die Proteste. U-Bahnen und Busse voller „casseurs“, also Krawallmacher oder Randalierer aus den Banlieues fuhren in die Innenstädte und lieferten sich


Ausland

nahezu in allen größeren Städten Frankreichs Straßenschlachten mit der Polizei. Teilweise fühlte ich mich an TV Bilder aus Bürgerkriegsregionen erinnert. Spezialeinheiten der Polizei versuchten immer wieder die Jugendlichen, darunter viele Mädchen und junge Frauen, auch Kinder im Alter von 13 Jahren einzukesseln. Sie verwendeten Tränengasbomben, die von Hubschraubern einfach in die Menge fallen gelassen wurden oder Schlagstöcke. Die casseurs hingegen zerstörten ihrerseits Bushaltestellen, Mülleimer, Geschäfte, Autos und Schaufenster und griffen die Ordnungskräfte mit Steinwürfen an. Als Reaktion auf die Krawalle in Lyon ersetzte die Stadtverwaltung die Mülleimer nur noch durch Mülltüten, damit kein weiteres Brennmaterial zur Verfügung stand. U-Bahnhöfe im Zentrum wurden gesperrt, Busse aus den Vororten tagelang ersatzlos gestrichen. Erst nach zwei bis drei Wochen gelang es den Sicherheitskräften wieder die öffentliche Ordnung vollständig zu gewährleisten. Leider haben diese Gewaltausbrüche die zu größtenteils friedlichen und demokratischen Proteste gegen die Rentenreform in ein schlechtes Licht gerückt. Konservative Presse und manche PolitkerInnen der Regierungsmehrheit, unterstellten OppositionspolitikerInnen wie Ségolène Royal, dem Vorsitzenden der antikapitalistischen (trotzkistischen Nachfolgepartei) NPA Olivier Besancenot oder der ehemaligen Sprecherin Royals und Mitglied des Bundesvorstandes der PS aus Lyon Nadjat Vallaud-Belkacem, die Gewaltausbrüche herbeigeführt und SchülerInnen zu gewaltsamen Protesten aufgerufen zu haben. Gerade deshalb war es für mich wichtig, die politischen Proteste zu stärken und in Solidarität mit der gesamten französischen Linken und besonders dem MJS mitzudemonstrieren – aber auch bei den Diskussionen aktiv teilzunehmen und bei den Demos mitzufeiern.

flusst und eine gute Grundlage für eine Einigung des linken politischen Spektrums in Frankreich im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen gelegt. Auch die Gewerkschaften gehen teilweise gestärkt aus den Protesten hervor, nichtsdestotrotz wurden die Rentenreformen fürs erste durchgesetzt. Für die Zukunft und die Gegenwart gilt für Frankreich wie für Deutschland:Rentenreformen mit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters sind eine faktische Rentenkürzung, wenn (wie in Deutschland) nur 24 % der 60 bis 64 Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job haben. Auch sorgen sie dafür, dass ältere ArbeitnehmerInnen oft gegen ihren Willen länger im aktiven Berufsleben stehen und so der Arbeitsmarkt Jüngeren in geringerem Umfang zur Verfügung steht. Zukünftige Regierungsmehrheiten gegen die Erhöhungen des Renteneintrittsalters können diese rückgängig machen. Dafür zu kämpfen muss der Anspruch an jungsozialistisches Engagement sein! Bei Anregungen, Kommentaren oder Kritik zu diesem Artikel wendet Euch bitte an Christian Köning, koening@jusos-m.de

Die Proteste haben meiner Meinung nach die öffentliche Meinung in Frankreich nachhaltig beein-

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Wirtschaft

Deplatziert? Die Quote für Aufsichtsräte

Von Bela Bach stellv. Bezirksvorsitzende Oberbayern Ob die Quote nun endlich „sexy“ und „en vogue“ ist (Manuela Schwesig), oder nicht; ob es paradox ist, wenn selbst die Cosmopolitan Unterschriften für die Quote sammelt oder nicht; zweifellos festzuhalten bleibt wohl, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen recht hat, wenn sie behauptet, die nun seit zehn Jahren bestehende freiwillige Vereinbarung, den Anteil der Frauen in Führungspositionen von Unternehmen zu steigern, sei krachend gescheitert.

Nur 2,2 % der Vorstandsmitglieder der führenden DAX-Unternehmen vertreten sind Frauen Tatsache ist nämlich, dass nur 2,2 % Frauen in Vorständen der führenden DAX-Unternehmen vertreten sind, obwohl 51 % der Bevölkerung in Deutschland weiblich ist. Damit liegt Deutschland hinter Russland, China und Brasilien auf dem vorletzten Platz (danach kommt nur noch Indien). Die freiwillige Vereinbarung ist 2001 als Kompromisslösung entstanden, als die damalige Bundesfamilienministerin der SPD, Christine Bergmann, den von einer eigens dafür eingesetzten Kommission ausgearbeiteten und im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarten Entwurf für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft gegen den Widerstand der Wirtschaftsverbände und Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht durchsetzen konnte.

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Das zweistufige Konzept hätte die jährliche Bestandsaufnahme über den Stand der Gleichstellung in Betrieben mit mindestens fünf Beschäftigten vorgesehen. Hierunter wäre eine Überprüfung der Beschäftigten- und Entgeltstruktur gefallen, die vorhandene Benachteiligungen aufgedeckt hätte. Zudem wäre für Unternehmen mit über zwanzig Beschäftigten eine Kooordinierungsstelle zur Gleichstellung vorgesehen gewesen, wodurch ein betriebliches Gleichstellungsprogramm installiert werden sollte. Diese Maßnahmen sollten den Unternehmen einen sehr weiten Rahmen bei der Ausgestaltung lassen. Strikte gesetzliche Vorgaben wären erst in einem zweiten Schritt bei Nichtbefolgung der Maßnahmen gefolgt. Jedoch wurde der Gesetzentwurf trotz massiver Kritik von Seiten zahlreicher Frauenverbände nicht umgesetzt. Nun startet Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen den zweiten Anlauf und fordert die gesetzlich festgeschriebene Geschlechter-Quote ab 2013, die bis 2017 auf 30 Prozent steigen soll. Dagegen setzt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder auf diffuse Modelle der flexiblen Quote und weitere freiwillige Vereinbarungen über deren Sinn und Unsinn man aufgrund der eindeutigen Sachlage eigentlich nur schwerlich streiten kann. Verfolgt man nun die Diskussionen, die Plädoyers in SZ, Cicero und SPIEGEL für die Quote und für Frauenförderung in der Wirtschaft, schleicht sich bei so manchem/er linken Zeitgenoss/in zurecht ein seltsames Gefühl der Deplatziertheit ein, wenn linke, reformorientierte Forderungen über Nacht von eben jenen Kräften gefordert werden, gegen die man diese Forderungen traditionellerweise eigentlich durchsetzen müsste. Kritisch zu sehen ist hier allerdings die Art und Weise der Argumentation.


Wirtschaft

Offensichtlich ist also, dass die aktuelle QuotenDemnach soll die Quote in Aufsichtsräten vor allem diskussion weder auf die Aufhebung ungerechter aufgrund der Qualitäts-, Effizienz- und ProduktiviStrukturen auf dem Arbeitsmarkt abzielt noch antätssteigerung, die von gemischtgeschlechtlichen derweitige Diskriminierungsmechanismen in FraVorständen ausgeht, eingeführt und legitimiert ge stellt. Es geht um die alleinige Einführung der werden. Das hat zumindest das Beispiel Norwegen Quote zur Steigerung der Effizienz für Unternehgezeigt. Dieses markt- und gewinnorientierte Argumen unter fortschreitender Ausbeutung der Armentationsmuster verwenden nicht nur diejenigen, beitnehmerinnen und unter Beibehaltung der (gedie auch öffentlich für Markt- und Gewinnorientieschlechter-)ungerechten Arbeitsmarktstrukturen. rung stehen, sondern neben Elke Ferner, BundesFür wirkliche Veränderungen bedarf es hier als vorsitzende der AsF, z.B. auch Alice Schwarzer. GrundvorEindeutig in den aussetzung Mittelpunkt der sicherlich Argumentation „Von echter Gleichstellung, die gerade der Quosollte dagegen auf die Auflösung von Rollenmustern te in Aufvielmehr der gesichtsräten sellschaftliche abzielt, kann also keine Rede sein.“ und weiund verfassungsteren Führechtlich verrungspositionen, daneben aber auch vieler weiankerte Auftrag von Gleichberechtigung gerückt terer Begleitmechanismen wie z.B. ausreichende werden. Es geht, wenn man Mitgestaltung, Verantwortung und Einfluss für Frauen fordert, eben Kinderbetreuungsmöglichkeiten. nicht zwangsläufig nur um Gewinnoptimierung, Währenddessen tobt die Diskussion weiter und sondern um die Beseitigung von Diskriminierung Ministerin Kristina Schröder verspricht , dass die aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten „flexible Quote“ einen gleichstellungspolitischen Geschlecht. Diskurs entfachen werde, „wie wir ihn in dieser Qualität bisher nicht erlebt haben“. Dann darf Diese Qualitäts-, Effizienz- und Produktivitätssteiman ja gespannt sein. Viel zutreffender fasst meigerung von gemischtgeschlechtlichen Vorständen ner Meinung nach die stellvertretende Vorsitzende ist, so die Argumentation, auf bestimmte weiblich der FDP-Bundestagsfraktion, Miriam Gruß, die konnotierte Merkmale zurückzuführen, die neue politischen Aussichten dieser verspäteten Debatte Blickwinkel und Sichtweisen eröffnen sollen. zusammen: die Vorgängerregierungen hätten 15 Frauen werden also ureigene weibliche MerkmaJahre Zeit gehabt, eine gesetzliche Frauenquote le zugeschrieben, die allein die Eignung für einen einzuführen, „die FDP ist dafür der falsche Koabestimmten Posten ausmachen. Unbegründete tralitionspartner.“ ditionelle Geschlechterbilder, nach denen es spezifisch weibliche und spezifisch männliche Merkmale gibt, werden damit zementiert. Von echter Gleichstellung, die gerade auf die Auflösung von Rollenmustern abzielt, kann also keine Rede sein. Vielmehr findet eine Ökonomisierung biologisch nicht nachweisbarer Geschlechterdifferenzen statt.

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München

sich von dort zur Polizei begleiten zu lassen. Die Beratung durch die Mitarbeiterinnen der Sicheren Wiesn ist anonym. Frauen aller Altersgruppen kommen zum Security Point. Häufig passiert es zum Beispiel, dass Konflikte in einer Beziehung auf der Wiesn eskalieren, der Ehemann gewalttätig wird und so auch ältere Frauen Schutz suchen. Bei jungen Wiesnbesucherinnen wird die Situation nach einem Übergriff oft dadurch verschärft, dass sie teils ohne Erlaubnis ihrer Eltern aufs Oktoberfest gegangen sind und sich nun überhaupt nicht trauen, Vorfälle zu melden.

„Inzwischen ist die Sichere Wiesn so bekannt, dass selbst zahlreiche ausländische Zeitungen und Radiosender wegen Interviews anfragen.“ Da zahlreiche Frauen auf dem Heimweg von der Wiesn belästigt werden, bieten die Mitarbeiterinnen des Security Points ihre Begleitung auf dem Heimweg an. Auch ein Auto steht zur Verfügung, um Frauen, die nicht mehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können, zu ihrem Schlafplatz zu bringen.

Darüber hinaus wollen die Organisatorinnen schon im Vorfeld Präventionsarbeit leisten, um die Zahl sexueller Übergriffe auf der Wiesn zu verringern. Die Plakate hängen in Schulen und in U-BahnStationen, die Internetseite www.sicherewiesn.de bietet Tipps zum sicheren Wiesnbesuch, zahlreiche Flyer in mehreren Sprachen werden in Jugendherbergen und auf Campingplätzen verteilt. So viel Engagement kostet Geld und die Aktion ist auf Spenden angewiesen Inzwischen ist die Sichere Wiesn aber so bekannt, dass selbst zahlreiche ausländische Zeitungen und Radiosender wegen Interviews anfragen. Nach unserem Besuch und den engagierten Erzählungen von Christine und ihren Mithelferinnen können wir das Interesse für dieses international einzigartige Projekt gut verstehen. Und nach den zwei Stunden bei den „Mädels im Keller“, als wir den Raum verlassen, mit dem Aufzug nach oben fahren und plötzlich wieder im abendlichen Oktoberfesttrubel stehen, die Blasmusik hören und aufpassen müssen, nicht über schlafende Betrunkene zu stolpern, sind wir beeindruckt vom beharrlichen Engagement der Mitarbeiterinnen, die so viel Zeit auf dem Oktoberfest verbringen und sich um die kümmern, die die denkbar schlechtesten Erfahrungen auf der größten Party der Welt machen.

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Verband Intern

Tu Felix Kochel Ein objektiver Erlebnisbericht über das Neumitgliederseminar derJusos München

Von Fabian Hansen Einen kurzen Erlebnisbericht über das Neumitgliederseminar der Münchner JUSOS soll ich schreiben. Aber das geht ja gar nicht. Wie soll man ein solches Erlebnis kurz schildern? Wie die ganze Dramatik, den kathartischen Prozess, die innere Reifung, das Zusammenwachsen der Gruppe in einen bloß „informativen“ und auch noch kurzen Erlebnisbericht pressen? Literarisch verdichten, ja. Kurz? Naja.

wesen. Wir dachten, wow cool, und fragten uns, wie oft sich wohl Touristen hierher verirren, die eigentlich in den amerikanischen Skiort Aspen wollen. Doch kaum angekommen war es auch schon Zeit zum Abendessen. Schinkennudeln wurden für das leibliche Wohl gereicht, die wir auch gut gebrauchen konnten. Denn nach dem Abendbrot gab es gleich die erste Seminarsession. Erst ein Kennenlernspiel und dann Bildung.

„Kochel. Endstation. Bitte alle Aussteigen.“ krächzte eine Stimme aus dem Lautsprecher, in der ein Hauch von Melancholie, oder zumindest Nostalgie zu liegen schien. Da waren wir nun, 6 junge attraktive Neu-JUSOS, die das Abenteuer suchten, getrieben von jugendlicher Neugier. „Arrogante Großstädter!“ hätte der greise Bahnbeamte in dem einzigen Schalter des kleinen verschlafenen Bahnhofs uns hinterherrufen können (den es aber nicht gab), als wir uns mit unseren City-Boots auf den beschwerlichen Fußweg zum Tagungshaus (-schloss) machten. Kochel bei Nacht. Unter zuckenden Blitzen und begleitet von ganzen Chören von Edgar-Wallace-Käuzchen erklommen wir die verharmlosend als Hügel bezeichnete Gebirgskette auf der sich die Georg-von-Vollmar Akademie befinden sollte. Erleichterung machte sich breit, als wir aus der Ferne hinter den Wipfeln der uralten, vom Sturm umtosten Bäume die Zinnen des Schlosses zu Aspenstein erblickten. Majestätisch erhob sich vor uns das riesige An-

Die Geschichte der Sozialdemokratie stand auf dem Programm. Sehr aufschlussreich für jene, wie mich, die nicht von Kindesbeinen mit der SPD in Kontakt waren. Dementsprechend mussten zunächst einmal Begrifflichkeiten und - und das scheint für die Parteiarbeit in der SPD essentiell zu sein - Abkürzungen geklärt werden. Hört, hört, SDS steht nicht nur für sodium dodecyl sulphate, dachte ich, aber da waren wir dann schon bei ADAV, SDAP und SAP, also wieder bei einem Teekesselchen. Nach dem Seminar kam dann das „gemütliche Beisammensein“.

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Hier konnte man sich dann erst richtig kennen lernen, aber nur kurz, denn dann kam das heimliche Programmhighlight: Das gemeinsame Singen sozialdemokratischen Liedgutes. Zwar hatte niemand eine Gitarre, aber einer der nachgereisten Teamer sang so schräg, dass es in etwa klang wie eine (mehrstimmige) Dudelsackbegleitung. Cool! Irgendwie „links“. Vom Bier beseelt tat ich was ich meistens in solchen Situationen tue, fügte dem Gesungenen eine (weitere) Countertenorstimme hinzu und baggerte an meinen Mitseminaristen rum. „Bella Ciao“ hauchte ich noch irgendwem lasziv ins Ohr, aber da war es ja auch schon spät. Zu spät, denn morgens, in aller Frühe, trafen wir auch schon wieder auf unsere Teamer, die für uns ein Wachmachspiel ersonnen hatten. Dieses bestand im Wesentlichen darin herumzuhüpfen, irgendetwas zu schreien und eben wach zu werden. Mit Erfolg. Und dann kamen, neben vielen weiteren Abkürzungen, Einblicke in die Organisationsstruktur der JUSOS und der SPD. Außerdem haben wir in Kleingruppen an verschiedenen Themen gearbeitet. Von Gleichstellungs-, über Umwelt- bis hin zu Bildungspolitik war alles dabei. Das schöne war, dass wir genug Zeit dafür hatten und unsere Gespräche im Rahmen eines ausgedehnten Spaziergangs hinunter zum Stausee vertiefen konnten. Am See angekommen trafen wir zwei Schwäne, die damit beschäftigt waren ein Nest zu errichten. Der eine baute es auf und der andere gleichzeitig (!) wieder ab. Was für ein Symbol! Aber da der Schwan ja nicht nur, wie in diesem Fall, die Flügelkämpfe innerhalb der SPD symbolisiert, gut und böse, auf und ab, Mayo und Ketchup, sondern auch Reifung und Vollendung, dachten wir, geilomat, der muss mit aufs Gruppenfoto, was einer der Schwäne dann auch gewährte. Später kehrten wir dann wieder ins Seminar zurück und konnten unsere Gruppenarbeit präsentieren.

Der folgende zweite Abend verlief im Großen und Ganzen sehr ähnlich, nur dass sich Teilnehmer von anderen Seminaren zu uns setzten, um sich an unseren Gesprächen und Liedern zu erbauen. Für die Öffentlichkeitsarbeit an diesem Wochenende hätten wir mehr nicht tun können! Doch leider sollte das auch schon unser letzter Abend sein. Entsprechend war dann auch die Stimmung am nächsten Morgen. Sollte es so schnell schon wieder vorbei sein? Was soll die Botschaft sein? Was die Handlungsaufforderung? Wenn wir doch schon nach so kurzer Zeit voneinander scheiden mussten, so wollten wir doch wenigstens wissen, wofür das Alles gut gewesen sein könnte. „Setzt euch ein! Mischt euch ein, in die Gremien. Gestaltet!“, war die ebenso logische wie schlichte Aufforderung der Teamer. Für wahr, wer das Gelernte umsetzen mochte, die vielen, hier der Übersichtlichkeit halber weggelassenen Diskussionen vertiefen wollte, oder einfach die Gesellschaft gleichgesinnter, linker, solidarischer, kurz „besserer“ Menschen sucht, der hat nur die Alternative, sich zu engagieren, sich für die Sozialdemokratie stark zu machen. Ein Vortrag über Rechtsextremismus in Deutschland gereichte der Aussage zum Imperativ: Du musst! So geläutert traten wir unseren Heimweg an. Kochel und das Schloss Aspenstein hinter uns lassend, erreichten wir München. Wir werden uns wieder sehen. Vielleicht einmal im Englischen Garten, am Kleinhesseloher See, um die Schwäne zu füttern.

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Jusos hinter Gittern Die Jusos München Süden besuchten die JVA Stadelheim Von Louisa Pehle und Matthias Hügenell Sechs Meter und zwanzig Zentimeter. Alles ist ja bekanntlich relativ. Demnach können sechs Meter und zwanzig Zentimeter ziemlich hoch oder niedrig sein. In diesem Fall entscheiden sie über Freiheit und Gefangenschaft: Sechs Meter und zwanzig Zentimeter ist die Höhe der grauen Gefängnismauer der JVA Stadelheim. Wer schon einmal mit dem Rad an „Stadelheim“ entlang gefahren ist, wird sich gedacht haben, ja, so stelle ich mir ein Gefängnis vor. Die wenigstens werden aber auf die Idee gekommen sein, sich zu fragen, wie es hinter diesen Mauern aussieht und vor allem wie es „hinter Gittern“ abläuft. Gerade als Jusos sollten wir uns aber auch mit Menschen und ihren Lebensumständen auseinandersetzen, die gerne von der Gesellschaft vergessen und verdrängt werden. Deshalb besuchten die Jusos im Münchner Süden am 22. Oktober die JVA Stadelheim in Obergiesing, um sich einen Eindruck des Justizvollzugs in Bayern zu machen. Die Leitung des gesamten bayerischen Justizvollzugs liegt beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Bayern verfügt über 36 Justizvollzugsanstalten (21 selbständige und 15 angegliederte Anstalten) sowie sechs Jugendarrestanstalten. Für die Aus- und Fortbildung der Justizvollzugsbediensteten ist die Bayerische Justizvollzugsschule in Straubing eingerichtet.

Am Eingang mussten wir zunächst alle unsere Handys, Schlüssel und Wertgegenstände wegsperren. Jegliche Kommunikation mit den Gefangenen wurde uns untersagt. Anschließend erhielten wir von Herrn Sammer, dem zuständigen Beamten für Besuchergruppen, eine Besuchskarte für das Gefängnis, welche wir am Ende wieder abgeben sollten - damit auch niemand vergessen wird.

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Uns wurden zunächst die Besuchsräume gezeigt. Hierzu mussten wir den Eingangsbereich verlassen und in den nächsten Gebäudeteil weiter gehen. Spätestens bei diesem Wechsel wurde einem deutlich, dass man sich in einer anderen Welt befindet, da jeweils Herr Sammer die Tür aufsperrte und sein Kollege diese nach uns wieder verschloss. Das Klappern und Klingeln des Schlüsselbunds sollte nun die nächsten eineinhalb Stunden unser Begleiter werden. Das Bild, das im Fernsehen von Gefängnissen vermittelt wird, hat mit dem Alltag in bayerischen Gefängnissen nichts zu tun. Auch wenn Herr Sammer einräumen musste, dass es sehr wohl die gleichen Verbrechen wie außerhalb des Gefängnisses gibt. So seien Gewaltdelikte, Drogenhandel, aber auch Prostitution, leider Teil des Gefängnisalltags. Die VollzugsbeamtenInnen seien bei der Aufklärung oder Entdeckung oftmals machtlos. Die Justizvollzugsanstalt München besteht aus vier Teilanstalten: Stadelheim in der Stadelheimerstraße 12, die Frauenabteilung in der Schwarzenbergstraße 14, ihr angegliedert ist die Jugendarrestabteilung und das Freigängerhaus in der Leonrodstraße 53. Insgesamt sitzen dort etwa 1260 Gefangene ein. Im Teilkomplex Stadelheim sind es ca. 900.


Verband Intern Jostizvollzugsantalten Bayern www.justizvollzug-bayern.de

Wir besichtigten auch einen Zellentrakt, welcher gerade renoviert wurde und kurz vor unserem Besuch als Kulisse für den Münchner Tatort diente. Hier wurde deutlich, dass auch im Gefängnis das Glück dein Freund sein muss. Der sich in der Renovierungsphase befindende Zellentrakt aus den achtziger Jahren ähnelte von den Zellen her mehr dem Zimmer einer Jugendherberge - nicht schön, aber ausreichend. In dem Trakt der Untersuchungshäftlinge, welcher in den sechziger Jahren erbaut wurde, versuchte man die Vorgaben an die Zellengröße, damals noch in Kubikmeter Luft, durch Höhe gut zu machen. Das heißt, man hat dort Zellen, welche drei Meter hoch, aber nur ein Meter fünfzig breit sind. Die gesamte Belegungsfähigkeit der Justizvollzugsanstalt München liegt bei 1.182 Gefangenen. Im Jahr 2009 war die Durchnittsbelegung bei 1.261 Gefangenen.

Interessant ist an dieser Stelle auch, dass grundsätzlich jeder Gefangene einen Anspruch auf eine Einzelzelle hat . Die räumliche Situation und die Belegungszahlen lassen dies aber nicht immer zu. Unterschieden wird bei der Zellenbelegung auch nicht nach begangener Straftat. Die Besuchszeit für jeden Gefangenen beträgt eine Stunde pro Monat. Diese kann entweder auf einmal genommen werden oder aber auf zweimal, jeweils eine halbe Stunde. Während der Besuchszeit können bis zu vier Gefangene und ihre Besucher, beaufsichtigt von einem/r Beamten/in, in einem Besuchsraum sitzen. Hier darf es zu keinem Körperkontakt, keiner Umarmung, kommen, und damit der Aufseher mithören kann, darf nur Deutsch gesprochen werden. So kommt es vor, dass dort Ehepaare sitzen, die sich auf Grund mangelnder oder fehlender Deutschkenntnisse eine Stunde lang nur anschweigen. Gründe für die Überbelegung sind - neben der höheren Bereitschaft bayerischen RichterInnen, Gefängnisstrafen zu verhängen, während in anderen Bundesländern Anstalten geschlossen werden müssen - auch die fehlenden Investitionen in die Infrastruktur, konkret in neue Zellentrakte. Hier darf kurz angemerkt werden, dass die Gefangenen in einer schwierigen Situation sind: Sie haben keine Lobby. Mit dem Bau neuer Gefängniszellen

und dem Ziel, jedem Gefangenen seine ihm zustehende eigene Zelle zu ermöglichen, lassen sich keine Wahlen gewinnen. Demnach sind die Gefangenen, aber auch gleichzeitig die Beschäftigten im Justizvollzug, in einer Zwickmühle. Diesem Thema sollte sich insbesondere von sozialdemokratischer Seite angenommen werden. Generell wurde uns bei der Führung bewusst, dass der Strafvollzug in Bayern mit der von konservativer Seite oft kritisierten „Kuschelatmosphäre“ nur wenig zu tun hat, wie uns Herr Sammer durch drastische Beispiele von überbelegten Zellen und Gewalt unter Gefangenen bewusst machte. Abschließend wurden uns noch die anstaltseigenen Werkstätten gezeigt. Die Gefangenen haben während ihrer Zeit im Gefängnis die Möglichkeit einen Schulabschluss oder aber auch eine Berufsausbildung nach zu holen. Interessant ist an dieser Stelle das man zum Beispiel sein Fahrrad aber auch sein Auto dort zu relativ günstigen Preisen reparieren lassen kann. So konnte durch die Führung die graue Wand in unserer Vorstellung mit Bildern gefüllt werden. Als wir Stadelheim nach zwei Stunden wieder verließen, waren wir froh, nur einen Kurzaufenthalt dort genossen zu haben.

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Literatur

Sollte man das jetzt eigentlich mal lesen?

Max Weber: Politik als Beruf Von Daniela Beck Es ist der Titel, der einem als ambitioniertes JusoNeumitglied als erstes ins Auge springt, wenn man darüber nachzudenkt, welche Bücher zum Thema Politik interessant sein könnten. „Politik als Beruf“ – das klingt nach dem perfekten Handbuch, nach allem, was man so als Politiker wissen muss, prägnant zusammengefasst auf nicht einmal einhundert Seiten. Praktisch. Oder? Dabei ist Max Webers Werk strenggenommen nicht einmal ein Buch, sondern die Abschrift eines Vortrags, den er im Rahmen einer Vorlesungsreihe im Januar 1919 vor dem freistudentischen Bund gehalten hat. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges und dem Thronverzicht des Kaisers stand die politische Ordnung in Deutschland damals vor grundlegenden Veränderungen. Es war eine Zeit, in der sich kommunistische Strömungen und die Anhänger der parlamentarischen Demokratie in den revolutionären Nachkriegswirren als Gegner gegenüberstanden – und in der der Beruf des Politikers ein derartig mieses Image hatte, dass einem die heutigen Umfragewerte, in denen er meistens ganz unten im Beliebtheits-Ranking steht, geradezu freundlich erscheinen. Thomas Mann beispielsweise nannte den Politiker 1918 „ein niedriges und korruptes Wesen, das in geistiger Sphäre eine Rolle zu spielen keineswegs geschaffen sei“ und brachte damit die Meinung vieler intellektueller Zeitgenossen auf den Punkt. Vor diesem Hintergrund könnte man von einer politisch aktiven Persönlichkeit wie Max Weber, der immerhin die links-liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP)mitbegründete, jetzt vielleicht

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eine flammende Rede erwarten. Einen Text, der geprägt ist von den Emotionen des Krieges und der Revolution, und von der leidenschaftlichen Verteidigung der Bedeutung des Politikerstandes. Doch Weber lässt sich nicht blind mitreißen vom Enthusiasmus der politischen Umbruchstimmung. Im Gegenteil: Er wendet sich klar gegen die rein idealistische „Gesinnungsethik“ vieler Zeitgenossen. „Gesinnungsethik“ nennt er eine Form politischen Handelns, die sich unter allen Umständen an ein Ideal hält. Mit anderen Worten: Ein nach dieser Ethik handelnder Pazifist würde auch dann keine Waffe in die Hand nehmen, wenn er sein Land gegen eine einfallende Armee verteidigen müsste. Was natürlich nicht unbedingt eine gute Idee ist. Besser ist laut Weber die „Verantwortungsethik“, der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Ein Pazifist hat demnach durchaus das Recht zu kämpfen, wenn er die Folgen seines Handelns sonst nicht verantworten kann. Die wichtigsten Eigenschaften eines Politikers sind für Max Weber deshalb Sachlichkeit, Verantwortlichkeit und Augenmaß, also persönliche Distanz zu Dingen und Menschen. Oder, wie er es an einer Stelle anschaulicher formuliert: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Ein Satz, der zugegebenermaßen erstmal so klingt, als sollten wir ihn besser nicht allzu oft zitieren, wenn wir unsere Mitgliederzahlen nicht drastisch reduzieren wollen.


Literatur

Sind wir also in Webers Vorstellung alle nur fade Dickbrettbohrer? Nicht ganz, denn für ihn können einige Politiker sogar zu Helden werden. Nämlich dann, wenn sie es wagen, nach dem scheinbar Unmöglichen zu greifen. Allerdings muss jemand, der dazu in der Lage ist, eben auch eine außergewöhnliche Führerpersönlichkeit sein. Was allerdings eher selten vorkommt. (Einige von euch denken an dieser Stelle vielleicht mit leichtem Grausen an einen Herrn mit Brille, nennen wir ihn K.T. zu G. Andererseits: Gibt es eine noble und scheinbar „unmögliche“ Sache, für die er einsteht, und die ihn zum wahren Helden machen könnte? Nein? Eben.) Die Teilung zwischen charismatischen Führern auf der einen und langweiligen, aber beharrlichen und rationalen Beamtenpolitikern auf der anderen Seite zieht sich als Grundidee durch den gesamten Text. Letztere stehen totalitärer Willkür entgegen, erstere verhindern einen bürokratischen Sumpf, der nur um seiner selbst willen existiert.

Wie einzelne Regierungssysteme in diesem Sinne aussehen sollten und wie sie bisher in verschiedenen Ländern umgesetzt wurden, erläutert Weber in der ersten Hälfte seiner Schrift. Dabei gibt es für ihn grundsätzlich drei Möglichkeiten, wie sich ein Staat legitimieren kann: Tradition, Gehorsam an gegenüber einem charismatischen Herrscher oder der Glaube an die Gültigkeit des Gesetzes. Was „Politik als Beruf“ also nicht liefert, obwohl es der Titel vielleicht erwarten lässt, ist eine Beschreibung des politischen Alltags und ein Sammelsurium an Hinweisen, wie sich Politiker darin zu verhalten haben. Was einem dagegen bleibt ist das Nachdenken über die richtige Balance zwischen Rationalität und Ideal und darüber, dass ein demokratisches System nicht zwangsweise so funktionieren muss, wie unser System heute funktioniert.

! g n u n i e M e n Sag uns dei die du gerne Es gibt eine Veranstaltung, über berichten würdest? sonders gut Ein Thema, mit dem du dich be angeht? auskennst, und das alle Jusos

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Das letzte Wort

Immer wenn du denkst, tiefer geht’s nicht mehr... ... kommt die Schiedskommission mit ner Schaufel her!

von Louisa Pehle Wir Jusos haben schon nach so mancher Entscheidung der „Mutterpartei“ gedacht, schlimmer könne es kaum mehr kommen. Weit gefehlt! Diesmal war die „Schaufel“ die SPD-Schiedskommission und die Entscheidung, Thilo Sarrazin nicht aus der Partei auszuschließen. Es genügte eine fadenscheinige Erklärung. Was sagt es über die politische Diskussionskultur in der SPD aus, wenn dieser Rassist, ähh Genosse über Jahre hinweg, zeitgleich zu politischen Funktionen, solche Gedanken entwickeln konnte? Immerhin fällt er seit Jahren durch demütigende Aussagen auf. Aber mit „Deutschland schafft sich ab“ hat er das politische Dreckschleudern endgültig perfektioniert. Mag sein, dass der Verbleib von Sarrazin in der SPD und der so zur Schau gestellte „Meinungspluralismus“ einigen Mitgliedern gefällt. Mir für meinen Teil ist das herzlich egal, auf Mitglieder, die bei solchen Äußerungen Applaus klatschen, könnte ich gut verzichten.

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Auch Sigmar Gabriel hat sich mit Sarrazins Thesen in einem Artikel in der ZEIT auseinandergesetzt (der übrigens noch immer online zu finden ist) und ihm den Titel „Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann“ gegeben. Doch anscheinend ist die Duldungsfähigkeit der SPD größer als gedacht. Inzwischen finden sich Aussagen von Sarrazin da, wo sie hingehören, nämlich auf NPD-Flyern. Warum auch sollten sich Nazis diese Gelegenheit entgehen lassen, ihre politische Haltung so zu legitimieren? Doch Sarrazin ist und bleibt - leider! - Mitglied der SPD, die in ihrer Geschichte stets ein Gegenpol zu reaktionärem und ausgrenzenden Denken sein wollte. Oder doch nicht? Denn so gilt nun auch für die SPD, was wir Jusos seit langem der CDU/CSU vorwerfen: Dass sie in ihren Reihen geistige BrandstifterInnen duldet, die ihre Statements stets mit einem dahingerotzten Daswirdmandochwohlnochsagendürfen begründen, Applaus aus der braunen Ecke bekommen und damit menschenverachtendes Gedankengut salonfähig machen, womit sie Nazis, die auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückschrecken, eine vermeintliche Legitimation liefern.




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