Links im Druck (03/2011)

Page 1

Jusos in Mßnchen Ausgabe 3 / 2011 +++ IUSY Festival 2011 +++ 20.07.11 Utøya +++ Den Nazis keine Ruhe +++ Juso Bundeskongress 2011 +++


München

+++ Start-Ticker +++ +++ Anno Dietz ist auf der Unterbezirkskonferenz der Jusos München am 02. Dezember 2011 als Vorsitzender der Jusos München zurück getreten +++ +++ Die Delegierten zur Unterbezirkskonferenz haben Cornelius Müller zum neuen Vorsitzenden gewählt. Marcel Reymus, Beisitzer für Mitgliederbetreuung, wird neben Louisa Pehle zum stellvertretenden Vorsitzenden +++ +++ Alle durch die Jahreshauptversammlung eingesetzten Arbeitskreise sind inzwischen konstituiert und laden zur Mitarbeit ein: Kommunalpolitik, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Antifaschismus, Internationales, Gesundheitspolitik +++

+++ Stop-Ticker +++

Impressum Links im Druck - Mitgliederzeitschrift der Jusos München Druck: Druckerei Meyer GmbH, Rudolf-Diesel-Straße 10, 91413 Neustadt a. d. Aisch V.i.S.d.P.: Daniela Beck, Jusos München. Oberanger 38 / 4.Stock, 80331 München Redaktion: Daniela Beck, Anno Dietz Layout: Alessandro Fuschi, Anno Dietz Art Direction: Mike Raab Auflage: 1250 Erscheinungsweise 4 Ausgaben pro Jahr Wir freuen uns über Mitarbeit, Kritik, Artikel und andere Rückmeldungen Kontakt über lid@jusos-m.de oder über Daniela Beck (beck@jusos-m.de) Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht inbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die Redaktion behält sich vor, Artikel abzulehnen oder zu kürzen. Wenn sie spenden wollen: Jusos München Konto-Nr.111 500, Stadtsparkasse München BLZ 701 500 00 / Wir stellen Ihnen unaufgefordert eine steuerabzugsfähige Spendenquittung aus.

2


Editorial

Liebe Genossinnen und Genossen, „Links im Druck“, so heißt unsere Mitgliederzeitschrift, und „Links“, das ist auch die Position, auf der wir uns als Jusos politisch einordnen. „Politische Linke“, dieser Begriff ist in unserer Parteienlandschaft und in den Medien so allgegenwärtig, dass man nur noch selten genauer darüber nachdenkt, was ein „linkes“ Selbstverständnis eigentlich wirklich ausmacht. Wikipedia definiert linke Politik mit den Worten: „Ein klassisches Politikverständnis der Linken ist geprägt von einem egalitären Menschenbild, das heißt: Sie betrachtet unter anderem die Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von nationalen, ethnischen, geschlechtlichen und anderen Gruppenzugehörigkeiten als anzustrebendes politisches Ziel.“ Die politische „Linke“ steht nicht nur für eine Gesellschaft, in der materieller Wohlstand gerecht verteilt ist, sie steht vor allem auch für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch gleichermaßen respektiert wird - und bildet damit den Gegenpol zum menschenverachtenden Faschismus rechter Gesinnungen. Dass Rechtsextremismus und Intoleranz noch immer allzu gegenwärtig sind, ist die traurige Bilanz zweier Ereignisse des Jahres 2011, des Massakers von Utoja und der Aufklärung der Nazi-Morde in Deutschland. Warum rechte Gewalt mitten in Europa so unbehelligt existieren kann und was das für uns bedeutet, diese Frage steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe. Freundschaft! Daniela Beck

04 Verband

IUSY Festival 2011 / Simone Burger & Anno Dietz

08 Schwerpunkt Utoya - Wir vergessen euch nicht! / Kommentar Anno Dietz 10 Schwerpunkt Den Nazis keine Ruhe / Kommentar Matthias Ecke 12 Schwerpunkt Migration / Kommentar Daniela Beck 14 Verband

Forschungsreise gegen das Vergessen / Quirin Weinzierl

16 Verband

Juso Bundeskongress 2011 / Sebastian Roloff

17 Verband

SchülerInnenkongress Besser11 / Andre Candidus & Philip Fickel

18 Verband

Vorsitzendenneuwahl / Anno Dietz & Cornelius Müller

20 Verband

Finanzierung der Pflege /

21 München

Nachruf auf Olympia / Kommentar Gerhard Riewe

21 Verband

Konstituierung Arbeitskreis Kommunalpolitk / Lena Sterzer

22 Umwelt

Biokraftstoffe / Lena Sterzer

24 Literatur

August Bebel: Die Frau und der Sozialismus / Louisa Pehle

25 Verband

Auschreibung Geschäftsführung der Jusos München

26 Letztes Wort Griechenland / Cornelius Müller 3


Verband

IUSY Festival 2011 Internationales Summercamp am Attersee

Von Simone Burger & Anno Dietz Im Sommer 2011 hieß es wieder „Jusos München auf dem Weg zu IUSY Festival“. In diesem Jahr fand wieder das internationale Jugendfestival der IUSY statt, das Generationen von JungsozialistInnen die Möglichkeit geboten hat sich mit Jugendlichen aus den Schwesterorganisationen aus aller Welt auszutauschen, in Workshops gemeinsam über unsere Vorstellungen von einer gerechteren Welt zu diskutieren, Ideen im internationalen Dialog weiterzuentwickeln und Freundschaften über Organisations- und Ländergrenzen hinweg zu schließen. 2011 wurde das IUSY Festival von unseren österreichischen Genossinnen und Genossen der Sozialistischen Jugend Österreichs (SJÖ) ausgerichtet. Es fand vom 25. bis 31. Juli 2011 unter dem Motto „We know where we come from – we know where we are going“ im Europacamp der SJ am Attersee statt. Das Motto war dem 100. Geburtstag von Bruno Kreisky geschuldet, dem wohl bedeutensten österreichischen Sozialdemokraten der Nachkriegszeit. Kreisky steht zusammen mit Olof Palme und Willy Brandt für das Leitbild der internationalen Solidarität in der Politik. Auch aus München nahmen einige Genossinnen und Genossen wieder am Festival teil. Einige von uns verleitete die relative Nähe des Festivalgeländes zu München sogar zu einer Anreise mit dem Fahrrad. Waren wir erst noch in strömenden Regen von München aus unterwegs, so konnten wir dann in schönstem Sonnenschein über die Höhen des Berchtesgadener Landes nach Salzburg hinabrollen und von dort aus zur letzten Etappe zum Attersee aufbrechen.

4

Das IUSY Festival stand in diesem Jahr ganz unter dem Zeichen des, wenige Tage zuvor verübten, grauenhaften Anschlags auf unsere Partner Organisation AUF in Norwegen. Wir alle waren und sind in besonderer Weise von den Anschlägen betroffen. Er richtete sich gegen unsere Genossinnen und Genossen der AUF, gegen unsere gemeinsamen Vorstellungen und Forderungen für eine tolerante und solidarischen Gesellschaft, gegen unseren gemeinsamen Kampf für eine gerechte und friedliche Welt. Für viele der TeilnehmerInnen des Festivals war das Grauen noch realer, denn viele haben bei dem Anschlag gute FreundInnen und Bekannte verloren. Die AUF fehlte auf dem Festival. So begann das Festival in diesem Jahr mit einer Gedenkfeier für die ermordete norwegischen GenossInnen. In bewegenden Minuten gedachten die TeilnehmerInnen aus allen Mitgliedsorganisationen unseren ermordeten Genossinnen und Genossen. Von diesem Abend geht das Zeichen der starken Verbundenheit und Solidarität der internationalen Gemeinschaft der IUSY aus. Nie war diese Wertegemeinschaft und die Freundschaft über alle Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg greifbarer als in diesem Moment der Trauer. In dem ausliegenden Kondolenzbuch haben über das Festival hinweg Hunderte ihre persönliche Anteilnahme mit den Opfern und den Hinterbliebenen und ihre Erschütterung zum Ausdruck gebracht.


Exkurs

Die IUSY

Verband

Die International Union of Socialist Youth IUSY, oder auch Sozialistische JugendInternationale ist der Zusammenschluss von sozialistischen und sozialdemokratischen Jugendorganisationen der Welt. Am 24. August 1907 wurde in Stuttgart die Internationale Verbindung Sozialistischer Jugendorganisationen gegründet. Eingeladen hatte der süddeutsche Verband junger Arbeiterinnen und Arbeiter Deutschlands. 20 Delegierte aus 10 europäischen Staaten sowie ein Australier nahmen an dem Kongress teil. Zum ersten Vorsitzenden wurde damals Karl Liebknecht gewählt. 2007 konnten wir in Berlin mit zahlreichen Gästen das 100-jährige Bestehen der IUSY feiern. Heute besteht die IUSY aus 149 Organisationen aus über 100 Ländern. Normalerweise findet alle drei Jahre das IUSY World Festival statt, auf dem tausende junger Genossinnen und Genossen aus aller Welt zusammenkommen und eine Woche lang die Gelegenheit haben sich kennen zu lernen, miteinander ins Gespräch zu kommen, gemeinsam zu feiern und sich in inhaltlichen Workshops und Konferenzen mit den wichtigen politischen Themen auseinander zu setzten.

www.iusy.org

Auch bei der Diskussion am Dienstag zwischen Sigmar Gabriel, Werner Feymann (Bundeskanzler von Österreich) und Hakan Juholdt, dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Schwedens, ging es um die Frage: Was ist die Antwort der Sozialdemokratie auf diese Anschläge? Im Anschluss trafen sich die VSSTÖ (Verband Sozialistischer Studierender Österreichs), die SJÖ und die Jusos zu einem gemeinsamen Delegationstreffen mit Gabriel und Feymann zur Frage, wo und an welcher Stelle müssen wir beim Kampf gegen Rechts unsere Strategie ändern oder unsere Aktionen verstärken. Die Diskussion war auf beiden Seiten (Deutschland und Österreich) kontrovers, da es vor allem in der Frage, wie geht man mit Demonstrationen gegen Rechts (Kriminalisierung von Protest) um, aber auch bei der Frage im Umgang mit rechten Thesen in der Partei (Thilo Sarrazin) sehr unterschiedliche Ansichten zwischen den Jugendorganisationen und den Parteiführungen gab. In den kommenden Tagen konnten wir in zahlreichen Workshops und Konferenzen uns mit den Genossinnen und Genossen der Partneroganisationen über unsere Inhalte und Positionen austauschen, und aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden der politischen Debatten in den unterschiedlichen Ländern lernen.

Leider wurde die Trauer von den Versuchen der zahlreich angereisten Journalisten gestört, die, nachdem es ihnen nicht gelungen war wahlweise verängstigte oder rücksichtslos feiernde GenossInnen zu filmen, nun die Teilnehmerinnen bedrängten um ein spektakuläres Statement zu erreichen und dabei den Wunsch der Trauernden nach Privatsphäre nicht immer respektierten.

Beispielsweise beeindruckten in der vielen Workshops die Vertreterinnen der kleinen US-Amerikanischen Organisationen durch ihre gestochen scharfe Analyse der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Probleme. Der Vertreter der New Yorker „Working Families Party“ sprach über die Bedingungen amerikanischer Politik, die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit progressiven Kräften innerhalb der Demokratischen Partei und den Aufbau ihrer Grassroot-organisation.


Verband

Auf dem IUSY Festival konnten wir auch Kontakt zu den Genossinnen und Genossen der MGS Bordeaux, unserer Partnerorganisation in Bordeaux, knüpfen. Bordeaux ist die Partnerstadt Münchens. Bei einer Verabredungen der Delegationen aus München und Bordeaux konnten wir uns beim gemeinsamen Mittagessen kennen lernen und die Aufnahme von Beziehungen zwischen den Jusos München und der MJS Bordeaux besprechen. Wir haben vereinbart mit der Vorbereitung eines Austauschprogramms zu beginnen. Gemeinsam sollen, neben dem gegenseitigen Kennenlernen der Organisationen die Themen Wohnen, öffentliche Daseinsvorsorge und Infrastruktur diskutiert und eine gemeinsame Erklärung erarbeitet werden.

Robert Misik, scharfzüngiger österreichischer Autor und Blogger konnten wir in einem anderen Workshop zu dem Thema Finanzkrise hören. www.misik.at Zum ersten mal in diesem Jahr fand auf dem IUSY Festival auch der diesjährige IUSY Council statt, höchstes Gremium der IUSY zwischen den großen Kongressen. Die TeilnehmerInnen des Festivals hatten so die Möglichkeit ihren internationalen VertreterInnen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und die Entscheidungswege der Jugendinternationalen kennen zu lernen. Auf dem Council wurden die Vizepräsidenten aus Israel und Palästina neu gewählt. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage der Reform der SI. Die IUSY hat auf dem Council ein Grundlagenpapier verabschiedet, welche Anforderungen sie an die Reform stellt. Die IUSY wollte aber auch auf dem Council ihre eigene Erneuerung fortsetzen. So wurden fünf Organisationen ausgeschlossen, da sie nicht die Grundwerte der IUSY vertreten. Thematisiert wurden auch erste Ideen für das global manifesto, das auf dem nächsten Kongress verabschiedet werden soll.

6

Auch das diesjährige IUSY Festival war ein wunderschönes gemeinsames Erlebnis. Ein Festival von dem das starke Zeichen der Verbundenheit der internationalen Gemeinschaft ausgeht, ein Festival um über politische Ziele zu diskutieren, zu feiern, einander kennen zu lernen und gemeinsam eine schöne Sommerzeit zu verbringen - trotz Regen und häufig kalter Duschen.


Verband Attersee Declaration IUSY WORLD FEstival 2011 We will never forget. We are all AUF activists.

People, not profit – Tax the Rich!

The recent attack on young socialists atthe AUF-summer camp in Utøya has deeply shocked us. It is very hard for us to face the brutality of this act against our comrades; we mourn our dead and share the suffering of those who are wounded. Utøya was not only an attack on Norway and its open society, but also an attack on socialism and social democracy. The violence was directed against our ideas and our principles. It was an attack on our deep commitment to social equality, social justice, democracy and the pluralist concept of solving political differences in a non-violent way. According to investigations, the attack on AUF was the act of a single individual. Nevertheless, we should be aware that there is an ideology of hatred standing behind this massacre. The aggressor’s political convictions did not appear from nowhere, but were gained through his engagement in right-wing extremist, racist and anti-Islamic networks and organizations.

Our fight against these tendencies therefore has to start by properly confronting the social and economic problems that our societies are facing while also proposing adequate solutions. We must strengthen the public sphere against those who insist on privatizing common goods.

Social inequalities, injustices, and unemployment – especially amongst young people – are growing. When combined with an increasingly pessimistic view amongst the masses of what the future holds in store for them, this prepares the ground for the acceptance of right-wing populist, racist and authoritarian political practices. The financial and economical crisis has only intensified the class struggle throughout the world. Austerity programmes have further worsened the social situation. More than ever the world is divided into rich and poor. A tiny elite has profited enormously from the crisis by accumulating even more wealth and privileges. We should get rid of a system that makes only a few people rich while it impoverishes the masses. We should get rid of a system that concentrates wealth and power in the hands of men instead of promoting gender equality. We should get rid of a system that seeks to maximize short-term profits instead of tackling climate change.

The greatest effects of the present crisis have hit the most vulnerable parts of society. Young people, women, migrants, and minorities as well as poor and homeless people are suffering the most. These injustices will remain in place so long as the global economy is not democratized and organized along environmentally sustainable grounds. The costs of the crisis should be paid by those who caused the crisis in the first place. Therefore, our demand is the redistribution of the global wealth and our rallying cry is “Tax the Rich!”. Bruno Kreisky: “Flooding Society with Democracy” This year’s IUSY World Festival has taken place in Bruno Kreisky’s home country of Austria and reflects his successful vision of a more equal and just society. Full employment, prosperity for the masses, the democratization of all parts of society and fighting poverty were at the centre of his political activities. Kreisky was a committed internationalist who worked tirelessly for international peace and solidarity. He strengthened international cooperation and fought for political and social rights worldwide – as he was convinced that equality can only be implemented on a global level. The main task for us in the future is to carry out this socialist vision. We will not forget our fallen comrades in Utøya. We will continue to walk without fear. We will work together to create a better world. Long live the international.

7


Schwerpunkt

Utøya 22.07.2011

Wir werden euch nicht vergessen Kommentar von Anno Dietz

Ermordet von Anders Breivik, der sich eitel inszeniert als „Tempelritter“ auf seinem Kreuzzug gegen die Islamisierung Europas, als „Kommandeur im Norwegischen Widerstand“. In seinem über 1500 Seiten langen Manifest „2083: Eine Europäische Unabhängigkeitserklärung“ erläutert er, dass es eben jene Verfechter des Multikulturalismus seien, die eine neue „europäischen Leitideologie“ der „politischen Korrektheit“ etabliert hätten, die die christlich abendländische Tradition der konservativen Gesellschaften Europas zerstöre. Die Koalition der „Korrekten“, die die Abwehr gegen die äußeren Feinde schwäche und so die Islamisierung Europas vorantreibe.

Wir werden den 22. Juli 2011 niemals vergessen. Die unfassbaren Ereignisse dieses Tages, als Anders Breivik die Bombe im Osloer Regierungsviertel detonieren lässt und anschließend auf der Insel Utoya 69 norwegische JungsozialistInnen ermordet, hat sich in unsere Erinnerung eingegraben. Das sprachlose Entsetzen und die Trauer werden wir nie vergessen. Dieser Tag betrifft uns alle in besonderer Weise. Es waren unsere Genossinnen und Genossen und auch Freundinnen und Freunde, die an diesem Tag ermordet wurden. Ermordet für ihr Engagement für eine gleiche, vielfältige und gerechte Gesellschaft, für politischen Überzeugungen, die auch unsere sind. Ermordet um gegen „Kulturmarxismus“ und „Überfremdung“ Norwegens, gegen die Hoffnung nach einer offenen und toleranten Gesellschaft vorzugehen. Gerade die AUF, die Jugendorganisation der norwegischen Sozialdemokratie sollte es treffen.

8

„Wie die Pest breitet sich der Frankfurter »Kulturmarxismus« über Europa aus. Unter der zivilen Maske von »Multikultur« und »Politischer Korrektheit« tarnt er seine wahren Absichten. Der Kulturmarxismus hat den Kontinent sturmreif geschossen und den Muslimen Tür und Tor geöffnet. Europa schafft sich ab - der Kommunismus als Feindbild wurde vom Islam abgelöst. Hurra, wir kapitulieren - vor dem Islam, schreit es aus jeder Seite des Pamphlets.“ Thomas Assheuer, Evelyn Finger, Özlem Topcu Bomben für das Abendland. Eine Analyse von Anders Breiviks terroristischen Programm Die Zeit 31/2011

Das Konzept des „Kulturmarxismus“ als politischer Kampfbegriff übernimmt er aus der Debatte der amerikanischen Rechten. „Cultural Marxism“ sei die Strategie der Linken, eine angebliche „Weltverschörung“, um die christliche abendländische Kultur auszurotten, den „Stolz“ weißer Europäer auf ihre Abstammung und Nationalität zu brechen und „christliche“ Familienwerte außer Kraft zu setzen. Es sind die Philosophen der Frankfurter Schule, namentlich Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, es ist die politische Linke, es sind FeministInnen, Homosexuelle, UmweltschützerInnen und MigrantInnen, die sich in dieser Verschwörung zusammengefunden hätten.


Anders Breivik, Sohn eines norwegischen Diplomaten und einer Krankenschwester, hatte die Anschläge jahrelang vorbereitet und minutiös geplant. Er handelte mit einer kalten und mitleidlosen Art, mit einer derart überlegten grausamen Rationalität, dass es uns Angst macht. Und war nicht, der „einzelnste Einzeltäter der Welt“ (Robert Misik), aus dem Nichts hervorgegangen und von Wahnsinn getrieben, wie ihn manche darstellen wollten. Er war allein, als er die Waffe auf die wehrlosen Genossinnen und Genossen auf Utoya richtete. Doch seine Waffe führten auch all jene, die Femdenhass und Islamophobie schüren, die zum Handeln gegen Überfremdung und Degeneration unserer Völker durch den Zustrom genetisch minderwertiger Einwanderer aufrufen. Sie gaben Breivik Legitimität für sein Handeln, für seine Taten. Henryk M. Broder bringt mit seinem Buch „Hurra wir kapitulieren!“ die Islamfeindlichkeit an die Masse, Blogs wie Political Incorrekt, die offen gegen Muslime hetzten, verzeichnen tausende Zugriffe am Tag. Eugenik und Sozialdarwinismus der übelsten Sorte werden von unserem „Genossen“ Thilo Sarrazin wieder salonfähig gemacht und Hunderte strömen zu den Buchvorstellungen. Und unser Parteivorstand ist zu feige jemandem wie ihm, der über genetisch vererbte Dummheit der Zuwanderer oder das „Judengen“, spricht die Tür zu weisen. Ungarn schafft die Pressefreiheit ab, schränkt die demokratischen Rechte ein und mausert sich so so zum Staat mit zumindest faschistischen Tendenzen. Rechtspopulisten in ganz Europa verzeichnen großen Zulauf und feiern Wahlerfolge. In ganz Europa keimt wieder die unheilvolle Saat von Hass und Fremdenfeindlichkeit. Es kann einem Angst machen. Sie sind es, gegen die wir gemeinsam aufstehen und kämpfen müssen.

Für Breivik verlangt es uns nach nichts als Strafe. Dennoch, so wie die norwegische Antwort auf den Terror sogar „ noch mehr Menschlichkeit und Toleranz“ war, so ist die Antwort auf Breivik nur das Recht das im nun zuteil wird. Und sollte Breivik, wie sich jetzt andeutet, tatsächlich für schuldunfähig gesprochen werden, wie dies ein Gutachten bereits nahelegt, so ist es vielleicht sogar gut, dass ihm die Bühne eines großen Verfahrens, die er schon in der Vorverhandlung zu nutzen suchte, verwehrt bleibt und er ohne Gelegenheit zu öffentlichem Auftritt in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung verbracht wird. Schuldig jedenfalls bleibt er. Unsere Antwort als JungsozialistInnen heißt vor allem Solidarität. Nur gemeinsam, als internationale Bewegung können wir uns gegen das Wiedererstarken von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und nationalem Dünkel zu Wehr setzten. Internationale Solidarität, das war nie so greifbar wie in der gemeinsamen Trauer auf dem internationalen IUSY Festival am Attersee, unmittelbar nach den Anschlägen. Gemeinsam zu trauern und zu gedenken und auch Genossinnen und Genossen daheim auf der gleichzeitig auch in München stattfindenden Gedenkfeier zu wissen hat uns allen Mut gemacht. Wir werden nicht weichen im Kampf gegen Rassismus und Fremdenhass, gegen Rechtspopulismus und rechte Gewalt. Für eine bessere und gerechtere Welt, für Toleranz und Menschlichkeit.

9


Schwerpunkt

Es reicht! Den Nazis keine Ruhe mehr Kommentar von Mathias Ecke stellv. Juso Bundesvorsitzender Verfassungsschutzes gar in die Morde selbst involviert waren, würde dies das ganze Konstrukt Verfassungsschutz grundsätzlich erschüttern. Wer zum Teufel kann noch rechtfertigen, dass der Staat Leute in Neonazibanden einschleust oder einkauft, wenn diese nicht nur keine Morde verhindern, sondern noch munter Beihilfe leisten?

Sollte noch irgendwer Zweifel gehabt haben, welches Ausmaß das Gewaltpotential der militanten Rechten hat, so dürften diese jetzt zerstreut sein. Zehn Menschen wurden von der Zwickauer Neonazi-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ ermordet – systematisch, kaltblutig, aus niedersten Motiven inbrünstigen Hasses. Und: unbemerkt.

„Wie kann es sein, dass die Profile der Opfer und der Tathergänge nicht mal ansatzweise den Verdacht nahelegten, hier bestünde ein politisches Motiv?“

Es ist unbegreiflich, dass der offenkundige Zusammenhang zwischen den Taten solange übersehen wurde. Wie kann es sein, dass die Profile der Opfer und der Tathergänge nicht mal ansatzweise den Verdacht nahelegten, hier bestünde ein politisches Motiv? Und selbst der Mord an der Heilbronner Polizistin brachte keine Änderungen. Verdächtig waren – klar! – Russenmafia und Islamisten.

Auch die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes (VS) muss ins Visier. Wie konnte der VS diese Strukturen und ihre Vernetzung übersehen? Welches Spiel spielen die V-Leute? Wenn es stimmt, dass Beamte des

10

Und der Fall wirft noch ein weiteres Licht auf den politisch sehr variablen Eifer der Ermittlungsbehörden. Es ist kein Zufall, dass nun gerade der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König als profunder Kenner der Jenaer Nazi-Szene gefragt ist. Der engagierte Antifaschist geriet im Anschluss an die Demo in Dresden im Februar 2011 ins Visier der Ermittler, er soll seine eine kriminelle Vereinigung (!) gegründet haben. Daher wurde seine Dienstwohnung gestürmt und durchsucht. Man stelle sich das vor: Die Strafverfolgungsbehörden, die über ein dutzend Jahre lang nicht in der Lage sind eine Nazi-Mörderbande auch nur ausfindig zu machen und an weiteren Taten zu hindern, lassen schwer gerüstete Einheiten in Mannschaftsstärke auflaufen, um die Wohnung eines älteren Mannes zu zerlegen – weil er gegen Nazis demonstriert hat! Verharmlosung rechter Gewalt und Verhöhnung der Opfer Den Umgang mit rechter Gewalt und ihren Opfern beschreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen treffend. “Diese Fehlbeurteilung erinnert an die achtziger und neunziger Jahre, als Ausländerwohnheime brannten. Viele Ermittler dachten damals erstens “Kurzschluss”, zweitens “Zigarette” und drittens: “Die bringen sich ja gegenseitig um.” Nehmt die braune Gefahr endlich ernst! Ein Kommentar von Heribert Prantl Sueddeutsche Zeitung http://is.gd/HVXJI6


Schwerpunkt

Es dauerte ziemlich lange, bis sich das änderte, bis es Verfolgungsdruck gab und ein Mord auch dann als Mord galt, wenn Flüchtlinge und Einwanderer ermordet wurden. Erst 1994, erst nach dem Brandanschlag von Hünxe, nach dem dreifachen Feuermord in Mölln und dem fünffachen von Solingen korrigierte der Bundesgerichtshof eine unerträglich nachlässige Rechtsprechung.” Die atemberaubende Rücksichtlosigkeit, mit der in vielen Medien von „Dönermorden“ gesprochen wird, zeigt unbewusst (?) diese Dimension des Umgangs mit nazistischer Gewalt in Deutschland: alles nicht so schlimm, es geht ja nur gegen „Fremde“. Indem die Medien eine Sprache anwenden, als seien hier nicht Menschen ermordet, sondern totes Fleisch aufgespießt worden, übernehmen sie implizit die Logik der Täter: Sie dehumanisieren die Opfer, also sie verneinen ihnen menschliche Qualitäten. Der Herrenmenschenwahn der Mörder wird so nolens volens von den Berichtenden übernommen – welch ein widerliches Spektakel!

Die Presse spricht von „Dönermorden“ als sei alles nicht so schlimm, es geht ja nur gegen „Fremde“

rechter Gewalt in Deutschland sprechen, zählen die Behörden noch nicht mal 50. Bezeichnend ist auch der Verfassungsschutzbericht 2010, der unter ‚rechts motivierten Tötungsdelikten‘ eine trotzige Null listet, unbenommen der Tatsache, dass der junge Leipziger Kamal im Oktober 2010 von zwei gerade aus der Haft entlassenen Neonazis erstochen wurde. War nix politisches, klar… Mitte Juli verurteilte das Landgericht Leipzig die Täter – wegen Mordes aus rassistischen Gründen! Nazis benennen und bekämpfen!

Zur nachlässigen Rechtsprechung kommt die politische Bagatellisierung. Schon seit langem weigern sich die Konservativen in Deutschland, den Nazismus beim Namen zu nehmen. Aus einer mörderischen, völkischnationalistischen Ideologie der Ungleichwertigkeit wird mal eben eine Teilmenge des „Extremismus“. Ganz so, als reden wir hier über eine Gruppe von MenWelche Rolle hatte die Politik? Es wäre sicher zuviel schen, die sich abstrakt gegen die Verfassung oder behauptet, die Morde als direkte Folge der Verharmöffentliche Ordnung richten und das dokumentieren, losung und Dekontextualisierung nazistischer Gewalt indem sie sich ein paar Mal im zu bezeichnen. Aber Fakt ist, Jahr mit lustigen Fahnen in undass viele offizielle Vertrete- Opferverbände zählen terschiedlichen Farben zusamrInnen von Politik und Justiz 150 Tote rechter Gewalt, menrotten und sich – pardon schon länger an einem Klima arbeiten, in dem Nazi-Gegner die Behörden nicht mal 50. my French – mal gepflegt die Fresse polieren. Fantastisch, verächtlich gemacht werden. so wird der Neonazismus in Deutschland einfach mal Kaum ein Tag vergeht, indem die wenigen Engagierwegdefiniert. Alles in einen Topf, kräftig durchrühren ten gegen Nazis gerade in den Räumen, in denen das und fertig ist die Extremismussoße. Grundgesetz nur noch pro forma gilt („National befreite Zonen“) nicht nur die brutale Rachejustiz der Nazis Damit muss endlich Schluss sein. Nazis sind Nazis. spüren, sondern auch die Gleichgültigkeit oder AblehDer Kampf gegen Nazis ist ein Kampf gegen minung der Lokalpolitiker zu spüren bekommen. ‚Bitte litante Vertreter einer menschenfeindlichen und auf mal schön ruhig hier‘, schallt es den Opfern entgegen. Vernichtung gerichteten Ideologie. Diesen Kampf Neonazi-Übergriffe werden zu Vandalismus, Dorfmuss man entschlossen führen, allein mit Lichterschlägereien oder Jugendgewalt verniedlicht. Und wer ketten kommt man ihnen nicht bei. Wir Jusos werOpfer ist, ist eh ein „Linker“ oder ein „Ausländer“, da den gemeinsam mit anderen auch weiter große Nazibraucht er sich ja nicht wundern, wenn der mal ´ne Abaufmärsche blockieren um den Nazis die Chance für reibung kriegt… ihre Machtdemonstrationen und Selbstinszenierungen zu nehmen, aus denen sie ihre ÜberlegenheitsRechte Gewalt ist alltäglich geworden. Viele Angriffe phantasien saugen. Die Zeit der Bagatellisierung werden häufig gar nicht mehr zur Anzeige gebracht. und des Wegschauens ist vorbei. Es reicht! Gesühnt werden sie eh kaum, oft noch nicht einmal gezählt. Während Opferverbände von über 150 Toten

11


Schwerpunkt

Wer schafft hier eigentlich wen ab? Ein Kommentar zur Migrationsdebatte von Daniela Beck

Die Deutschen, so hört man, haben meistens Angst. So sehr, dass sich der Begriff der „German Angst“ im englischsprachigen Ausland bereits zu einem fest stehenden Terminus entwickelt hat. Die Ursachen dieser Angst variieren ständig und interessieren im Grunde auch keinen mehr wirklich, sobald sich die Angst an sich erst einmal zum allgemeinen Lebensgefühl entwickelt hat. Dass gerade die Deutschen in jüngerer Vergangenheit eigentlich eher wenig Anlass zur Sorge hatten, stört dabei wenig. Obwohl sie in einem der reichsten Länder der Welt mit einem (noch) einigermaßen funktionierenden Sozialstaat geboren wurden, leben deutsche Bürger in einem permanenten Zustand der Furcht. Vor einem schwachen Euro (Inflation). Vor einem starken Euro (weniger Exporte). Vor Griechenland. Vor einem Regierungswechsel (zumindest in Bayern). Und seit etwa zehn Jahren auch vor unseren Nachbarn. Nein, nicht vor den Nachbarländern mit den hohen Schuldenbergen. Sondern vor den Menschen, die mit uns in unserem Land wohnen. Denn die, das haben uns die Medien gesagt, könnten Muslime sein. Was genau einen Muslim ausmacht, darüber wissen wir wenig (Wer kennt schon die Lehren von Mohammed oder liest gar den Koran?), woran man ihn erkennt, umso mehr (Frauen mit Kopftuch). Die Terroranschläge vom 11. September, so scheint es, haben die Menschheit in zwei Teile geteilt: in die muslimische und die nicht-muslimische Welt. Und obwohl beide schon immer – oder zumindest fast die letzten anderthalb Jahrtausende – existiert haben, nehmen wir erstere erst jetzt wirklich wahr. Internationale Terroranschläge sind furchtbar und Radikalisierung immer eine ernst zunehmende und besorgniserregende Entwicklung. Beides ist dem Westen im Zusammenhang mit Islamismus relativ neu und beides ist ausnahmsweise wirklich einmal ein Grund, Angst zu haben.

12

Alles andere als neu hingegen ist der Islam und die Tatsache, dass dieser Glaubensrichtung mehr als eine Milliarde Menschen angehören. Und alles andere als neu ist auch, dass viele dieser Menschen mit uns Tür an Tür leben. Trotzdem haben wir plötzlich das Gefühl, dass es gerade jetzt immer mehr werden. Wir diskutieren über den Bau von Minaretten und Moscheen. Und über Thilo Sarrazins These, dass Eigenschaften von ethnischen Gruppen auch durch gemeinsame Gene entstehen. Eine Theorie, die zugegeben ziemlich gewagt ist, wenn man über türkische Zuwanderer herzieht und gleichzeitig einen Nachnamen trägt, der eine so offensichtliche Ähnlichkeit mit dem Wort „Sarazene“ hat. Doch trotz logischer Unstimmigkeiten wie dieser zittern wir vor der muslimischen Übermacht, die, davon sind wir überzeugt, langsam aber sicher dazu beiträgt, dass Deutschland „sich abschafft.“ Und tatsächlich sind, so der 2011 erschienene Migrationsbericht des Innenministeriums für 2009, im vorletzten Jahr mehr als 27.000 Türken nach Deutschland eingewandert. Beängstigend? Wohl weniger, wenn man bedenkt, dass im gleichen Zeitraum auch über 35.000 Türken aus Deutschland ausgewandert sind. Insgesamt ergibt sich also ein Minus von mehr als 8 000 Personen. Schaffen sich also in Wahrheit unsere türkischen Mitbürger ab?


Schwerpunkt

„Die Familien der meisten dieser Menschen wurden in den sechziger Jahren nach Deutschland geholt. Als willkommene Gastarbeiter, die einfache Arbeiten erledigten, die kein Deutscher übernehmen wollte.“

Langfristig ist das möglich, immerhin planen 36% aller türkischstämmigen Akademiker das Land nach Abschluss ihrer Ausbildung zu verlassen. Keine gute Prognose angesichts des aktuellen Fachkräftemangels. Im Augenblick macht die türkischstämmigen Bevölkerung mit über 24% jedoch noch immer den größten Anteil aller Deutschen mit Migrationshintergrund aus (die Anzahl von Personen aus anderen islamischen Ländern ist nebenbei bemerkt so gering, dass sie in der Statistik des Innenministeriums nicht einmal gesondert aufgeführt wird). Die Familien der meisten dieser Menschen wurden in den sechziger Jahren nach Deutschland geholt. Als willkommene Gastarbeiter, die einfache Arbeiten erledigten, die kein Deutscher übernehmen wollte. Die Arbeitswelt hat sich seitdem geändert – das Bildungsniveau, das diesen Bevölkerungsschichten in der Regel zuteil wird, nicht. Dass die Kinder von einfachen Arbeitern oft ebenfalls keinen Zugang zu einer höheren Ausbildung haben, ist ein Problem, das Deutsche und Zuwanderer betrifft. Es ist keine kulturelle Besonderheit des Islam. Und es existiert schon seit Jahrzehnten, genauso wie die türkische Bevölkerung in Deutschland. Die bei weitem meisten neuen Einwanderer in die Bundesrepublik kommen momentan nämlich aus dem ganz uns gar unislamischen Osteuropa: rund 112.000 Menschen immigrierten beispielsweise 2009 aus Polen zu uns. Aber bevor wir jetzt – mal wieder wegen einer aus einem weit verbreiteten Vorurteil entsprungenen Angst – unsere Autos in der Garage verstecken: im gleichen Zeitraum sind über 111.000 Polen aus Deutschland ausgewandert. Den höchsten Zuwachs bekam die deutsche Bevölkerung deshalb insgesamt aus Rumänien, 2009 sind ca. 13.000 mehr Rumänen ein- als ausgewandert.

Sollten wir also nicht besser vor den Rumänen Angst haben? Trotz einer Unzahl an Furcht einflößenden Filmen über transsilvanische Vampire ist das bisher Gottseidank nicht der Fall, was vielleicht daran liegt, dass man den Osteuropäer auf schlechten Pressefotos nicht ganz so einfach von Deutschen abgrenzen kann (kein Kopftuch). Da lässt sich nur schwer ein feindliches Klischee etablieren. Und Angst, das ist nicht nur in Deutschland eine psychologische Tatsache, macht einem stets nur das „Andere“. Wodurch sich natürlich auch die Frage stellt: Machen wir Deutschen den Muslimen eigentlich auch Angst? Schaffen wir vielleicht sogar gerade die Türkei ab? Die Antwort ist ein klares Nein: der bei weitem größte Teil der Deutschen, die Deutschland verlassen, emigriert nach Österreich oder in die Schweiz - was interessanterweise zeigt, dass gerade wir Deutschen offensichtlich ziemlich unwillig sind, wenn es darum geht, uns zu Integrationszwecken eine fremde Sprache aneignen zu müssen. Die Zahl dieser Auswanderer aus Deutschland steigt übrigens seit Jahrzehnten: verließen in den siebziger Jahren noch durchschnittlich 50.000 bis 65.000 Deutsche jährlich die Bundesrepublik, waren es 2009 schon fast 155.000. Wenn es also doch jemanden geben sollte, der Deutschland abschafft, dann sind es nicht die Muslime. Es sind die Deutschen selbst. Müssen wir jetzt eigentlich Angst vor uns haben?

13


Verband

Forschungsreise wider das Vergessen Ein Abend mit Paul Huf und Ernst Grube

bahnhof des Barackenlagers in Milbertshofen fuhren sie mit dem Zug nach Theresienstadt, Auschwitz, Lublin-Majdanek, Belzec, Kaunas. Ihre Eindrücke von dieser Reise präsentierten sie als Blog im Internet und als Projektion an die Fassade des Kulturhauses Milbertshofen. Ziel war und ist es, neue Formen des Erinnerns zu finden.

Ameisen legen kleine Steine in die Schrift des Denkmals für das Judenlager in Milbertshofen. Von Quirin Winzierl Es ist gut, dass wir vergessen und verdrängen können. Schlechte Erinnerungen, Eindrücke und Erlebnisse ewig wach und präsent zu halten, würde uns jede Freiheit und Unbefangenheit für Neues nehmen. Doch was für den Einzelnen gilt, gilt nicht für eine Gesellschaft, es gilt nicht für ihre Geschichte. Dort ist es genau umgekehrt: Nur das Wachhalten, das Erinnern und Gedenken eröffnet einen Bezugsrahmen aus dem heraus Zukunft gestaltet werden kann. Hieraus ergibt sich eine besondere Spannungslage: Das Erinnern einer Gesellschaft funktioniert nicht ohne das Erinnern der Einzelnen. Diese beiden Formen des Erinnerns und damit auch der Betroffenheit hat der Künstler Paul Huf im Rahmen seiner „Forschungsreise wider das Vergessen“ gegenüber gestellt. Am 20. November 2011 jährten sich die ersten Deportationen jüdischer MünchnerInnen zum 70. Mal. Anlässlich dieses traurigen Jahrestages reiste er zusammen mit dem Münchner Holocaust-Überlebenden Ernst Grube an die Zielorte der Deportationen. Begleitet wurden die beiden von Helga Hanusa, die schon lange in Erinnerungsarbeit engagiert ist und Renate Eichmeier, die das Logbuch und die Audio-Dokumentation betreute. Ausgehend vom ehemaligen Verlade-

14

Dass im Rahmen dieser Reise die gesellschaftliche und die individuelle Form des Erinnerns auf einander getroffen sind, offenbarte sich im Rahmen ihres Gespräches bei den Jusos München-Nord ganz exemplarisch. Für Paul Huf ist „dieses Ausmaß, diese unvorstellbare Zahl an systematisch ermordeten Opfern“ das Schockierende am Holocaust. Es ist der Blick zurück, der Blick auf ein abgeschlossenes Ganzes, der es nicht anders als es von außen - drehend und wendend - betrachten kann. Es ist ein Blick, den auch wir gerne einnehmen und der gefährlich ist. Denn einerseits eröffnet er die Möglichkeit der Relativierung. Dann war Stalin auf einmal schlimmer als Pol Pott und Hitler wieder schlimmer als Stalin. Andererseits begünstigt er eine Entfernung von dem Geschehenen. Wer kann sich all diese Menschen schon vorstellen, wer kann sich Grausamkeiten in dieser Quantität ausmalen. Doch ist ein solcher Blick zurück für eine Gesellschaft nichts Außergewöhnliches. Dieser Sichtweise ergänzt Ernst Grube durch seine eigene, ganz persönliche. Er antwortet auf Paul Huf: „Es geht nicht nur um die Dimension in Zahlen. Es geht auch um das einzelne Schicksal.“ Es ist der Blick auf den Einzelnen, weg von dem Blick auf die Masse. Es ist das gezielte Betrachten der Bäume in einem unüberschaubaren Wald. Dadurch wird das Leid der Menschen greifbar. Jeder von uns hat es schon gefühlt. In der KZDenkstätte Dachau, bei Zeitzeugengesprächen, beim Lesen der Geschichten der Opfer. Auf dieser Ebene ist es möglich, dem Schicksal der Opfer nachzuspüren und einen Eindruck von den „Sphären des Hungers, der Enge und der Angst“ zu bekommen. Nur diese Identifikation schafft ein belastbares Erinnern das nicht bei Bekenntnissen stehen bleibt.


Denn wer so unmittelbar mit dem Leid konfrontiert wurde, wer es fast körperlich gespürt hat, der ist eher davor gefeit, solches Leid selbst zuzufügen. Der versteht um den Wert von Versöhnung und Freundschaft ganz aus sich selbst heraus, denn auch er oder sie würde wohl nicht anders leben wollen. Es geht also darum, wie das Erinnern auf dieser persönlichen Ebene bewahrt werden kann. Denn nur dieses Erinnern macht das Geschehene greifbar und ist die Basis für gesellschaftliches Erinnern, das nicht im Abstrakten stehenbleibt. Wie diese Form des Erinnerns wach und lebendig gehalten werden kann und nicht dem Vergessen preisgegeben, ist eine Frage, die sich an uns stellt, an unsere Generation. Die Erinnerung wach zu halten ist nicht die Aufgabe der Überlebenden. Sie werden nie vergessen und wenn sie schweigen, haben sie sich bewusst dafür entschieden. Es ist vielmehr an uns, dem Vergessen in unserer Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Nur wenn wir es schaffen, die Erinnerung an den Schrecken dieser Zeit wachzuhalten, können wir einer Verklärung zuvorkommen. Nur wenn wir die Köpfe der Menschen unserer Generation zum Gedenken und Denken anregen, ist es möglich der Verblendung durch rechtes Denken entgegen zu wirken. Paul Huf hat gezeigt, wo die Trennlinien zwischen den Formen des Erinnerns liegen. Mit seinen Fotografien und Zeichnungen schafft er eine Verbindung, in der das gesellschaftliche Erinnern an Orte und Zahlen zusammenwächst mit dem persönlichen Erinnern Ernst Grubes.

Zu den Personen

Der Ort, an dem 50.000 Menschen erschossen wurden Exekutionsstelle Kaunas Fort 9

Ernst Grube hat nie vergessen wollen. Er hat vielmehr ein Leben lang darum gekämpft, Erinnerung wach zu halten. Er wurde 1932 in München geboren, in Milbertshofen interniert und 1945 nach Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung kam er zurück nach Deutschland und kämpft seit dem unermüdlich für Erinnerung und politischen Wandel. Paul Huf lebt in Berlin und München. Er arbeitet stets an Orten mit Bezug zu seinen Themen. Seine Werke sind online unter www.forschungsreise-wider-das-vergessen.de und in einer Ausstellung im Kulturhaus Milbertshofen bis 27. Januar 2012 zu sehen. Im Kunstverleih des Kulturhauses Milbertshofen können die im Rahmen der Forschungsreise entstandenen Zeichnungen und Fotografien im Anschluss an die Ausstellung ab dem 2. Februar entliehen werden. Mehr Infos unter www.kulturhaus-milbertshofen. de und www.kunstverleih-milbertshofen.de

Gleichzeitig löst er sich mit seinen Fotografien und Zeichnungen vom abstrakten gesellschaftlichen Erinnerungshorizont. Denn er zeigt nicht die bekannten Bilder von Konzentrationslagern, Gaskammern und Leichenbergen. Seine Bilder lassen Raum für eigene, individuelle Geschichten. Zum Beispiel das Foto einer leicht erhöht gelegenen Wiese: für sich alleine genommen lässt es den Betrachter ratlos zurück. Erst im Kontext der Projektion an das Kulturhaus Milbertshofen erwacht dieses Bild zum Leben und lässt uns ahnen, dass dieser Ort von einer schrecklichen Geschichte gezeichnet ist. Mit den Zitaten und Erzählungen von Zeitzeugen und Zeitgenossen verbindet es sich zu einem ganz persönlichen Erinnern und verknüpft sich in unserem Kopf zu einer einzigartigen Geschichte. Paul Huf schafft es so, das Persönliche wieder mehr in den Mittelpunkt des Erinnerns zu rücken. Doch bleibt eine Herausforderung bestehen. Auch die von Paul Huf geschaffene Szene wird je unmittelbarer und persönlicher, desto unmittelbarer und persönlicher die Erinnerung ist, mit der sie gefüllt wird. Der vor einem sitzende Überlebende schafft ein eindringlicheres Erinnern als sein Zitat. Möglichst viel persönliche Erinnerung wachzuhalten ist deshalb eine Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, denn wir dürfen nicht vergessen.

15 Gefundene Davidstern-Kennzeichnungen auf dem Gelände des Vernichtungslagers Belzec.


Verband

BUKO 2011 Gerecht für alle! Ein Kurzbericht vom Juso Bundeskongress 2011 in Lübeck von Sebastian Roloff stellv. Juso Bundesvorsitzender

Unter dem Motto „Gerecht für alle“ fanden sich vom 25. – 27.11.11 300 Delegierte und zahlreiche Gäste beim Juso Bundeskongress ein, um drei Tage über die inhaltliche Ausrichtung der Jusos zu diskutieren und einen neuen Juso Bundesvorstand zu wählen. Inhaltliche Schwerpunkte waren vor allem die Themenbereiche Eurokrise, Rente, die Parteireform und aktuelle innenpolitische Fragen, wie etwa die Zukunft des Verfassungsschutzes. Neben Grußworten u.a. von Spitzenkandidat Torsten Albig, SPD Landeschef Ralf Stegner und Lübecks kürzlich wiedergewähltem OB standen Hamburgs Bürgermeister und SPD Vize Olaf Scholz, ver.di Chef Frank Bsirske und SPD Bundesgeschäftsführerin Astrid Klug für Diskussionen zur Verfügung, wobei diese mit Bsirske und Scholz eher wirtschafts- bzw. sozialpolitischer Natur waren und mit Astrid Klug über Aspekte der anstehenden SPD Parteireform gesprochen wurde. In der Diskussion zum wirtschaftspolitischen Leitantrag wurden viele Aspekte zum anstehenden Weg aus der Finanzkrise diskutiert, wobei hierbei Prämisse sein müsse, dass Maßnahmen nicht in staatliche Kürzungsorgien ausarten, wie etwa in Griechenland, die die Konjunktur schon während ihres Anziehens wieder abwürgen und es nicht ausschließlich zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen darf.

16

Überdies wurden Leitsätze für eine armutsfeste und zukunftssichere gesetzliche Rentenversicherung beraten und geschlossen, wobei die Delegierten sich klar gegen die Rente mit 67 und die sogenannte Riesterrente aussprachen und anstelle dessen flexiblere Rentenübergänge, eine Aufwertung der Erwerbsminderungsrente und mehr Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsschutz fordern. In der Diskussion um die Parteireform wurde nochmals klar gemacht, dass einige der Vorschläge der Parteiführung auch auf Juso Impulse zurückzuführen sind, etwa die Abschaffung des Präsidiums und die Vergrößerung des SPD Bundesparteitages. Auch dass die (bisher beitragsfreie) „Nur-Juso-Mitgliedschaft“ weiterexistiert und in Zukunft sogar nicht mehr befristet ist, wird vom Bundeskongress begrüßt, auch wenn von nun an der symbolische Beitrag von einem Euro pro Monat erhoben wird. Die Vorstandswahlen liefen aus bayerischer Sicht sehr erfreulich ab: Zunächst wurde Sascha Vogt mit 72% deutlich als Juso Bundesvorsitzender bestätigt, was gerade vor dem Hintergrund seines Verbandsverständnisses und dem Umstand, dass er sein Ergebnis trotz eines Gegenkandidaten im Vergleich zum letzten Jahr in Essen noch verbessern konnte, erwähnenswert ist. Und auch die Tatsache, dass neben mir auch Johanna Uekermann aus Niederbayern in den Bundesvorstand gewählt wurde, ist hier zu nennen.


Verband

Besser #11 SchülerInnenkongress Die Juso SchülerInnen München auf Besser 11

von Philip Fickel und Andre Candidus Besser11, Münchens sechster Kongress für alle Schülerinnen und Schüler, fand vom 25.11. bis 27.11. erstmals an einer städtischen Schule statt. Dieser Kongress wird vom Münchner Schülerbüro e.V. organisiert, das seit mehr als 15 Jahren existiert und SchülerInnen hilft, die Fragen über SMV, Tutoren oder Rechte und Pflichten haben. „Wissen – Austausch – Vernetzung“, das ist der Slogan dieses Kongresses, an dem dieses Jahr ca. 200 SchülerInnen teilgenommen haben. Verantwortlich für die Organisation der Podiumsdiskussion, die dieses Jahr erstmalig auf Besser11 stattgefunden hat, war Philip Fickel aus dem SprecherInnenrat der Schülis, der aktiv im Münchner Schülerbüro mitarbeitet.

Am Samstag, 26.11. fand außerdem eine Ständemeile statt, an der auch die Juso SchülerInnengruppe einen Stand hatte, auf dem wir versucht haben, viele Komponenten miteinander zu verbinden. Zum Beispiel haben wir die Teilnehmer des Besser:11 aufgefordert, ihre Probleme, die sie mit dem Schulsystem haben, aufzuschreiben, und auf unsere Pinnwand zu kleben. Diese Zettel werden wir analysieren und versuchen umzusetzen. Natürlich waren wir auch noch mit viel Infomaterial eingedeckt und haben die Teilnehmer damit informiert.

einung! M e n i e d s n Sag u e rn ltung, über die du ge Es gibt eine Veransta berichten würdest? t du dich besonders gu Ein Thema, mit dem ht? ge alle Jusos an auskennst, und das

er Themenvorschlag od Dann schick deinen .de! -m os us n LID an lid@j deinen Artikel für de

17


Verband

Amtsübergabe bei den Jusos München Zwei Briefe zur Neuwahl des Vorsitzenden der Jusos München

Anno Dietz Liebe Genossinnen und Genossen, ich wende mich heute mit einer persönlichen Erklärung an euch. Nach mehr als zweieinhalb Jahren als Vorsitzender der Jusos München und mehr als fünf Jahren als stellvertretender Vorsitzender und Beisitzer für Öffentlichkeitsarbeit im Vorstand der Jusos München trete ich nunmehr vom Amt des Vorsitzenden zurück. Dies ist eine Entscheidung, die mir sehr schwer fällt und die ich nicht leichtfertig treffe. Dennoch weiß ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für mich ist, die organisatorische Hauptverantwortung für den großen und aktiven Verband, wie es die Jusos München sind, abzugeben. Für mich heißt es jetzt mein nur allzu oft vernachlässigtes Studium zu einem Abschluss zu bringen. In den vergangenen Jahren, in denen ich die Arbeit der Jusos München als Vorstandsmitglied der Jusos München mitgestalten durfte, haben wir viel erreicht und einiges gemeinsam erlebt. In dieser Zeit haben wir zwei Juso-Bundeskongresse in München organisiert, sechs Wahlkämpfe geführt, auf unzähligen Sitzungen diskutiert und bei vielen Demos in der Kälte gefroren. Als große inhaltliche Projekte haben wir unter anderem 2007 wieder ein eigenständiges Kommunalwahlprogramm, den „Roten Faden“, erarbeitet und 2010 ausführliche wohnungsbaupolitische Forderungen beschlossen. Mit unseren Forderungen ist es uns gelungen die Diskussion und die Arbeit der Münchner SPD inhaltlich zu prägen. Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit hatte, bei den Jusos München so viele interessante Genossinnen und Genossen kennen zu lernen und FreundInnen und MitstreiterInnen zu gewinnen. Ich hoffe, dass ich in dieser Zeit dazu beitragen konnte, dass sich die Jusos München als Verband weiterentwickelt haben und sie gleichzeitig ihren Überzeugungen stets treu geblieben sind. Die Jusos München sind meine politische Heimat und werden es immer bleiben. Ich werde bei den Jusos München auf inhaltlicher Ebene auch weiterhin mitarbeiten und die von mir begonne Verbandsschule weiter begleiten. Vielen Dank für die gemeinsame Zeit bei den Jusos München und euren Einsatz.

18


Verband

Cornelius Müller Auf der Unterbezirkskonferenz am 2. Dezember 2011 wurde ich durch die Delegierten der Regionalverbände zum neuen Vorsitzenden der Jusos München gewählt. Ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit im Verband und bedanke mich für das große Vertrauen. Seit 2005 Mitglied der SPD, habe ich mich bisher bei den Jusos München schwerpunktmäßig in den Arbeitskreisen Kommunal- sowie Wirtschafts- und Sozialpolitik eingebracht. In den Projektgruppen Umwelt, Migration (sowie derzeit Arbeit) habe ich inhaltlich und organisatorisch mitgewirkt. Seit 2008 war ich Mitglied im Unterbezirksvorstand der Jusos München, seit Juli 2011 als stellvertretender Vorsitzender, wo ich viele Projekte und die Wahlkämpfe mit begleiten konnte. Derzeit bin ich für die Jusos gewählter Delegierter auf den Ebenen des Bezirks Oberbayern, des Landesverbandes Bayern und des Bundesverbandes. In nächster Zeit wird es hauptsächlich darum gehen, das Profil der Jusos München weiter inhaltlich zu schärfen und sich auf die kommenden Wahlen vorzubereiten. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, prekäre Beschäftigung, unsoziales Bildungssystem, soziale Spaltung, mangelhafte Gleichstellung und nicht zuletzt Rechtspopulismus sind nur einige Schlagwörter, die zeigen, warum es wieder eine starke, auf ihren Kern zurück orientierte Sozialdemokratie braucht. Auch bei den nächsten Kommunalwahlen sind klar sozialdemokratische Positionen nötig, um wieder die gestaltende Kraft in München werden zu können. Wir Jusos müssen die Partei daher weiterhin solidarisch, aber immer auch kritisch begleiten und uns inhaltlich einbringen. Die Eckpfeiler sind dabei klar: Kostenlose Bildung, gute Arbeit und Ausbildung, wirkliche Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, Kampf gegen Rassismus und Intoleranz. Es geht um eine offene Stadt, die allen Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ermöglicht und öffentliche (Frei-)Räume schafft, die gute kommunale Daseinsvorsorge und Infrastruktur bereitstellt und für eine soziale Umweltpolitik einsteht, die nicht ausgrenzt.

Gescheiterten neoliberalen Ideen müssen progressive wirtschaftspolitische Ansätze entgegen gesetzt und das demokratische System, auch Europaweit, gestärkt werden. Nicht Unternehmen und Börsen mit kurzfristigen Gewinnabsichten, dürfen Politik diktieren, sondern die Bürgerinnen und Bürger müssen über Grenzen hinweg gemeinsam und solidarisch Demokratie gestalten. Mit euch gemeinsam möchte ich unsere Kontakte und den politischen Meinungsaustausch mit anderen Gliederungen innerhalb der Jusos und der Partei weiter aktiv halten und ausbauen. Da es für Veränderungen immer auch gesellschaftliche Mehrheiten braucht, müssen wir den Kontakt zu Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern im vorpolitischen Raum suchen und dort Forderungen diskutieren und formulieren. Im Rahmen unseres gemeinsamen Arbeitsprogrammes werde ich dafür eng mit dem gewählten Vorstand der Jusos München, dessen Arbeitskreisen und Projektgruppen sowie den Regionalverbänden zusammenarbeiten. Die politische Bildungsarbeit, die wir im Verband leisten, ist mir sehr wichtig, hier möchte ich mich auch weiterhin für ein großes Angebot einsetzen. Lasst uns weiterhin gemeinsam für München Visionen entwickeln, um die Stadt solidarisch gestalten zu können! Cornelius Müller Vorsitzender der Jusos München

19


Verband

Finanzierung der Pflege Bericht von der Veranstaltung des Arbeitskreis Gesundheitspolitk

von Thomas Daske Am 8. November hatte der AK Gesundheitspolitik der Jusos München zu einer Diskussionsrunde mit Gerd Peter eingeladen. Gegenstand war die Finanzierung des Pflegesystems.

„Es steckt so viel Geld im System, dass man damit ausreichende und qualitativ gute Pflege anbieten kann.“ Gerd Peter ist Geschäftsführer der Münchenstift GmbH, dem größten Betreiber von Pflegeheimen in der Region München. Wie uns Gerd (seit 48 Jahren Genosse!) an verschiedenen Beispielen deutlich gemacht hat, mangelt es dem Pflegesystem nicht unbedingt an finanziellen Kapazitäten („Es steckt so viel Geld im System, dass man damit ausreichende und qualitativ gute Pflege anbieten kann.“, „Die Branche macht viel Geld.“), sondern an geeigneten Anreizen und Strukturen, um diese Kapazitäten bestmöglich auszuschöpfen. Er wirft der „großen Bühne“ (er meint damit alle politischen Parteien, inklusive SPD) vor, die Probleme in der Praxis des deutschen Pflegesystems „völlig ausgeblendet“ zu haben.

20

Er fordert einen konsequenten Umgang mit schlechten Heimen, bis hin zur Schließung, unterstreicht aber die strukturellen Schwierigkeiten, die solch einem Vorgehen im Wege stehen: „Der Staat reagiert nicht, weil er nicht die Kraft hat, schlechte Heime gegebenenfalls zu schließen.“ Er kritisiert das Verfahren zur Benotung der Qualität von Pflegeheimen. Einerseits werden viele wichtige, aber kaum gegeneinander aufrechenbare Aspekte in einer einzigen Note zusammengefasst, andererseits bestimmen diejenigen, deren Arbeit benotet werden soll, über den Mechanismus der Benotung mit. Weiter macht er den Mangel an Lehrstellen für den Mangel an Pflegekräften mitverantwortlich und plädiert für eine Beteiligung aller Träger von Pflegeheimen an den Kosten der Ausbildung von Pflegepersonal, - damit nicht viele Träger von den Ausbildungsanstrengungen einiger weniger profitieren. Er sieht die „demografische Katastrophe“ als die größte Herausforderung in der Finanzierung der Pflege. Er fordert von der SPD, sich dieses Themas anzunehmen: „Die Grünen haben dazu mehr im Programm als die SPD.“ In einem Treffen von Mitgliedern des AKs am 10. November zur Erstellung eines Forderungskatalogs, der als Grundlage für die Formulierung eines Antrags zu Reform des Pflegesystems dienen soll, wurden die obigen Kritikpunkte bereits berücksichtigt.


Nachruf auf Olympia 2018 Ein Kommentar von Gerhard Riewe Als Jacques Rogge am 06. Juli um 17.21 Uhr in Durban einen Umschlag öffnete und einen großen Zettel in die Kamera hielt, waren Zehntausend auf dem Marienplatz sprachlos: Das IOC hatte tatsächlich „Munich“ falsch geschrieben, auf dem Zettel stand mit „Pyeongchang“ ein reines Buchstabenchaos.Erst langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass tatsächlich ein südkoreanischer Landkreis mit weniger als 50.000 Einwohnern die olympischen Winterspiele 2018 ausrichten würde. In der ganzen Landeshauptstadt machte sich daraufhin Enttäuschung breit. In der ganzen Landeshauptstadt? Nein, bei den Münchner Grünen knallten die Sektkorken. Verständlich, wenn man sich die Auswirkungen einer Vergabe nach München anschaut: Ausrichtung eines Festes der Völkerverständigung, Plusenergiehäuser auf altem Bundeswehrgelände, Ausbau des Schienenverkehrs in München – damit kann eine Öko- und Friedenspartei natürlich nichts anfangen.

München Bei der Bewerbungsgesellschaft machte man sich derweil an die Ursachenforschung: Vielleicht hätte man ja doch irgendwann mit den Bewohnern GarmischPartenkirchens sprechen sollen. Vielleicht hätte man aber auch Ottmar Hitzfelds Rotationsprinzip nicht unbedingt auf den Posten des Bewerbungschefs anwenden sollen.

„Das IOC hatte tatsächlich ‚Munich‘ falsch geschrieben, auf dem Zettel stand mit ‚Pyeongchang‘ ein reines Buchstabenchaos“ Während man sich also bei Samsung auf die Spiele 2018 vorbereitet, werden an der Isar noch die Scherben zusammen gekehrt. Bald wird man sich aber entscheiden müssen: Will man sich nochmal den Risiken eines undurchsichtigen Vergabeverfahrens des IOC stellen oder soll eine der größten Chancen für die Zukunft Münchens einfach ungenutzt bleiben?

Arbeitskreis Kommunalpolitik von Lena Sterzer Der Arbeitskreis Kommunalpolitik hat sich wieder konstituiert. Jens Röver wurde als Vorsitzender bestätigt, weiterhin sind Philip Fickel, Sabine Weitzel, Aline Brachat und Lena Sterzer in den Vorstand gewählt worden. Bei der Veranstaltung hielt Anno Dietz, Vorsitzender der Jusos München, ein einführendes Referat über die Bedeutung der Kommunalpolitik für uns Jusos. Er betonte unter anderem das Prinzip der Daseinsvorsorge und unsere Forderungen zur Wohnungsbaupolitik. Das lange von uns geforderte Azubiwohnheim scheint inzwischen auch bei der SPD und der Münchner Stadtverwaltung ein Thema sein.

Anschließend befassten sich die Anwesenden und der neu gewählte Vorstand mit der Themenplanung für das kommende Jahr. Ziel wird es sein, den im April stattfinden energiepolitischen Parteitag der Münchner SPD inhaltlich mitzugestalten. Darüberhinaus soll unser Kommunalwahlprogramm, der Rote Faden, von 2008 evaluiert werden, damit anschließend mit der Vorbereitung für die inhaltliche Aufstellung bei der Kommunalwahl 2014 begonnen werden kann. Begleitend zu den Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen sollen wieder vermehrt Hinter-den-Kulissen-Termine angeboten werden, bei denen das Stadtgeschehen mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden kann. Hierbei ist unter anderem eine Rathausführung geplant.

21


Umwelt

Agrokraftstoffe Mehr Fluch als Segen? von Lena Sterzer

deten erneuerbaren Energien fest. So sind beispielsweise Agrokraftstoffe nur staatlich förderbar, wenn sie im Vergleich zu fossilen Brennstoffen die ausgestoßenen Treibhausgasemissionen um mindestens 35% unterschreiten. An den Kontrollmechanismen fehlt es noch ein bisschen, aber so weit, so gut - hätten die VertreterInnen der Agrokraftstoffe nicht einen entscheidenden Faktor bei ihren Berechnungen komplett außer Acht gelassen.

Agrokraftstoffe sind bei uns eher unter dem Titel Biokraftstoffe bekannt. Betont die Vorsilbe „Bio“ doch die Nachhaltigkeit, die Umweltverträglichkeit – schlicht das Positive. Die Ideen, die hinter der Verwendung von Agrokraftstoffen stehen, sind auch gut: der Kohlenstoffdioxidausstoß soll reduziert, die Abhängigkeit von politisch weniger stabilen Regionen minimiert und die Energieversorgung nachhaltig gesichert werden. Die LandwirtInnen standen den Veränderungen von Anfang an positiv gegenüber, eröffneten sich doch für sie neue Märkte in den krisenreichen Tagen. Auch die Automobilindustrie war froh, sich durch die Agrokraftstoffe ein grüneres Image zu verschaffen und von der Entwicklung sparsamerer Fahrzeuge abzulenken. Angefangen hat die Entwicklung mit der Verabschiedung des Ziels der Europäischen Union 2008 bis 2020 im Transportwesen 10% erneuerbare Energien einzusetzen. Dieses Ziel soll überwiegend durch die Verwendung von Agrokraftstoffen erreicht werden. Die EU legte auch Nachhaltigkeitskriterien für die verwen-

22

Es geht um ILUC. ILUC steht für indirect land use change, indirekte Landnutzungsänderung. Werden landwirtschaftliche Nutzflächen zur Produktion von Agrokraftstoffen umfunktioniert, müssen zwangsläufig anderorts neue Flächen für die Landwirtschaft akquiriert werden. Der Bedarf an landwirtschaftlichen Gütern, die nicht für Agrokraftstoffe verwendet werden, muss schließlich weiterhin gedeckt werden. Diese neuen Flächen sind zumeist weiter entfernt gelegen, wodurch Transportemissionen entstehen. Auch durch das Nutzbarmachen, z. B. durch Brandrodung, fallen Emissionen an.


Umwelt

Das klingt im ersten Moment nicht so schlimm – Fakt ist aber, dass diese zusätzlichen Emissionen das Einsparpotential durch die Verwendung von Agrosprit weit übersteigen. Laut einer Untersuchung des Institute for the European Environment Policy (IEEP) wird die weitere Nachfrage von Agrokraftstoffen in Europa zu indirekten Landnutzungsänderungen von 4,7 bis 7,9 Millionen Hektar führen. Das entspricht im besten Fall einer Fläche der Niederlande, im schlechtesten Fall der Fläche von Irland. In dieser Größenordnung werden Wald-, Wiesen- und Moorflächen sowie andere kohlenstoffreiche Ökosysteme in Ackerland umgewandelt. Wenn man ILUC mitberücksichtigt, stoßen die in Europa verwendeten Agrokraftstoffe 50 bis 83 Tonnen Treibhausgase im Jahr zusätzlich aus. Bildlich gesprochen entspricht das 14 bis 29 Millionen Autos extra auf Europas Straßen. Ändert sich nichts, wird der zusätzliche Agrokraftstoffverbrauch Europas in den nächsten 10 Jahren 81% bis 167% schädlicher für das Klima, als der Verbrauch von fossilen Brennstoffen. Der große Rohstoffbedarf kann nicht allein mit europäischen Anbauflächen gedeckt werden. In Deutschland ist es Ziel, bis 2020 einen Anteil von 17% mit biogenen Kraftstoffen zu decken.

Bilder: flickr/twi$tbarbie & Hanoi Mark

Bereits 2007 prognostizierte der Sachverständigenrat für Umweltfragen, dass nicht einmal die Hälfte davon mit den verfügbaren Flächen in Deutschland produziert werden kann. Um ihr Ziel zu erreichen, setzen Bundesregierung und EU daher auf Importe, meist aus tropischen Ländern. Hier entstehen großflächige Monokulturen, bei deren Entwicklung Umwelt- und Sozialstandards oft nicht berücksichtigt werden. Regenwaldabholzung, Vertreibung und Enteignung von LandwirtInnen, Wassermangel oder übermäßiger Pestizideinsatz sind hierfür nur einige Beispiele. 92% der Agrokraftstoffe werden aus Nahrungsmitteln wie Rohrzucker, Palmöl oder Weizen hergestellt. Das hat zur Folge, dass die Preise für diese Rohstoffe steigen und für die ansässige Bevölkerung häufig nicht mehr bezahlbar sind. All diese Faktoren werden bei der Bewertung von Agrokraftstoffen in der Regel nicht berücksichtigt. Ein erster Schritt dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wäre die Definition eines ILUC-Faktors, der in die Berechnung der Potentiale von Agrokraftstoffen mit aufgenommen wird. Ein rohstoffspezifischer Faktor sollte zwischen Emissionen von ILUC für verschiedene Agrokraftstofftypen und Biokraftstoffe der zweiten Generation unterscheiden. Seine Berechnung muss regelmäßig überprüft werden. In Kalifornien werden bereits erste indirekte Konsequenzen in die Bewertung des California´s Low Carbon Fuels Standard mit aufgenommen. Die Ziele zur Verwendung von Agrokraftstoffen in Deutschland und der gesamten EU sollten auf ein Niveau abgesenkt werden, welches den Potentialen der deutschen und europäischen Agrarflächen entspricht. Importe von Agrokraftstoffen aus großflächiger Regenwaldabholzung und aus Raubbau müssen verboten werden. Sinnvoller wäre es, nicht verbindliche Mengenanteile von Agrokraftstoffen im Transportwesen festzulegen, sondern stattdessen Reduktionsziele für einzelne Verbrauchssektoren festzuschreiben, damit auch weiterhin in die Effizienz von neuen Technologien investiert wird. Das oberste Ziel für uns bleibt nach wie vor der Ausbau von öffentlichem Nahverkehr und Bahn, sowie die Verlagerung von großen Teilen des Güterverkehrs auf die Schiene.

23


Literatur

Die Frau und der Sozialismus August Bebel von Louisa Pehle Muss man das heute noch lesen? Man muss nicht – aber man sollte, denn es ist interessant, wie treffend Bebel die Situation der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft schildert und man wird überrascht sein, wie viele seiner Aussagen auch heute noch direkt unserer Antragsarbeit entspringen könnten. Das Buch wurde gleich nach Erscheinen wegen des damals geltenden Sozialistengesetzes verboten, konnte aber illegal verbreitet werden und war so erfolgreich, dass es noch zu Lebzeiten Bebels dutzende Male neu aufgelegt wurde. Die Frau und der Sozialismus sei der „geistige Wegweiser für den ganzen Befreiungskampf des modernen Proletariats“, so Eduard Bernstein im Vorwort. Bebel bettet die Frauenfrage in einen viel weitergehenden Kontext ein: Es geht ihm nicht nur um die bürgerliche Gleichberechtigung der Frau (Ausübung eines Berufs, Zulassung zum Studium), denn dies würde für Männer wie für Frauen nur negative Folgen haben. Nur die Veränderung der ganzen Gesellschaft kann beiden Geschlechtern Freiheit bringen. Und so spannt Bebel den Bogen zwischen der Unterdrückung des Proletariats und der Unterdrückung der Frau: „Frauen und Arbeiter haben gemeinsam Unterdrückte zu sein“, und: „Die Frau ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte.“ Bebel beginnt sein Werk mit einer ausführlichen Darstellung vorhergehender Gesellschaften verschiedener Länder und konzentriert sich dabei auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen im politischen und privaten Leben. Dies mutet teilweise bizarr an, wenn es zu Beispiel seitenlang um die „Deflorierung der Jungfrauen“ und widerspricht unseren heutigen Ideen, wenn Bebel die gleichgeschlechtliche Liebe als widernatürliches Extrem ablehnt. Doch Bebel folgert aus seiner historischen Darstellung, dass die Unterdrückung der Frau nicht in der Natur der menschlichen Gesellschaft liegt und dass eine umfassende Gleichberechtigung Männern und Frauen zugute käme. Er zeigt auf, dass

24

die Institutionen der Familie und des Staates in der Form des 19. Jahrhunderts nicht unveränderbar sind. Bebel richtet sich gegen Zustände, die zur damaligen Zeit – und zum Teil auch noch heute – als zwangsläufig von der Natur vorgegeben betrachtet werden und tatsächlich doch „die Unnatur selbst“ seien. Damals war die gängige Meinung, dass Frauen, da sie ja nicht wählen oder Ämter in der Partei innehaben dürfen, vom politischen Leben sowieso ausgeschlossen seien. Demgegenüber standen zahlreiche Frauen, die sich für die sozialistische Sache engagierten. Nicht selten vor allem dann, wenn die Männer wegen ihrer Aktivitäten verfolgt waren und in Haft saßen (dies gilt auch für Julie Bebel, seine Ehefrau, die während der Abwesenheit ihres Mannes Parteiaufgaben übernommen hat). Gleichberechtigung – das bedeutet für Bebel allerdings nicht nur politische Rechte: Detailliert schildert Bebel auch die sexuelle Befreiung der Frau und wehrt sich dagegen, dass sie in den Armen eines Mannes „verwelken“ solle. Monogamie ist für Bebel kein naturwissenschaftliches Gesetz, sondern nur Folge der sozialen Umstände. Die damals übliche Form der Ehe nennt Bebel ganz unverblümt „Sklaverei“: Frauen seien aus ökonomischen Gründen gezwungen zu heiraten und die Ehe sei für sie eine reine „Versorgungsanstalt“.


Verband

Sein Ziel war die volle Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft. Diese ist – auf dem Papier – inzwischen erreicht. Bebel wäre aber die heutigen Zustände allerdings sicher nicht glücklich. Noch 134 Jahre nach der Erstauflage seines Buches beträgt die Einkommensdifferenz von Frauen und Männern 23 Prozent, sind Frauen in Führungspositionen meist unauffindbar, und es wird als Erfolg gefeiert, dass rund ein Viertel der deutschen Väter nach der Geburt eines Kindes ein paar Monate zu Hause bleiben, während immer noch zahlreiche Frauen ihre Erwerbstätigkeit langfristig unterbrechen oder ganz aufgeben. Und wieder ist es eine bürgerliche Partei, die diesen Zustand mit der „Herdprämie“ weiter zementieren will. Bebel dagegen betonte, dass Gattin und Mutter nicht der „Naturberuf“ der Frau sein dürfe. Bebel war seiner Zeit – und beim Lesen mancher seiner Aussagen denkt man, auch unserer Zeit – weit voraus.

Es verwundert nicht, dass viele Männer es für ein schädliches und gefährliches Buch hielten, denn für weite Teile des bürgerlichen Lagers übertraf die Forderung nach der auch sexuellen Gleichberechtigung der Frau die Gefährlichkeit und Unsittlichkeit der politischen Aussagen Bebels bei weitem. Von zeitgenössischen Kritikern wurde Bebel demzufolge Aufruf zu Unzucht vorgeworfen; er fördere Frauen bei der maßlosen Auslebung ihrer Triebe. So schildert Bebel drastisch die Gefahren sexueller Enthaltsamkeit erwachsener Männer und Frauen, und das zu einer Zeit, als Wissenschaftler die Gefahr der weiblichen Sexualität noch dadurch bestätigt sahen, dass zahlreiche Frauen bei der Geburt starben. Bebel dagegen betont die Gefahren für die Gesundheit der schwangeren Frau, die in der kapitalistisch geprägten Gesellschaft drohen, wie die durch Armut bedingte schlechte Ernährung oder die miserablen Wohnverhältnisse. Er stellt die Wirkung sozialer Verhältnisse auf den Alltag der betroffenen Menschen so klar und deutlich fest, dass sich bürgerliche Kritiker zwangsläufig maßlos herausgefordert fühlen mussten.

Ausschreibung Juso s Münc hen

Die Jusos München suchen zum nächst möglichen Zeitpunkt und auf Basis einer Aufwandsentschädigung für 8 Std./Woche eineN engagierteN

JungsozialistInnen in der SPD z.Hd. Herrn Cornelius Müller Oberanger 38 / 4. Stock 80331 Münche n

GeschäftsführerIn Unserer Erwartungen:

Das Aufgabengebiet umfasst im Wesentlichen: • •

Allgemeine Büroorganisation und Ablage Allgemeine Buchhaltung und Abrechnung

Grundlegende Kenntnisse in Büroorganisation und Buchführung

• •

Abwicklung des E-Mail- und Schriftverkehrs sowie telefonische Korrespondenzen

Gute Kenntnisse in gängigen PC Softwareprogrammen

Organisatorische Unterstützung des Unterbezirksvostandes bei Veranstaltungen, Seminaren und Konferenzen in der Vor- und Nachbereitung

Hohe Kommunikationsfähigkeit, schriftlich und mündlich

Gute Kenntnisse der einschlägigen SPD und AG Satzungen Gute Kenntnisse über die Partei und Juso Strukturen

Pflege von Termin- und Aufgabenlisten

Mithilfe bei Newsletter und Webseite

Unterstützung von Kampagnen und Aktionen des Unterbezirks Bei Rückfragen zum Aufgabengebiet oder zum Bewerbungsverfahren, bitte direkt an den Vorsitzenden Cornelius Müller (mueller@jusos-m.de) wenden.

• • •

Hohes Engagement für die Jusos München Enge Zusammenarbeit mit dem Unterbezirksvorstand Wir freuen uns über Eure aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen, die bitte bis spätestens 15. Februar 2012 dem Unterbezirksvorstand an oben genannte Adresse oder als PDF per Email an buero@jusos-m.de zugehen müssen.

25


Letztes Wort

Ernährt die Krise die Krise? Ein Plädoyer für Demokratie – auch in Krisenzeiten

flickr/titanas

von Cornelius Müller Demokratische Staaten, die durch unterschiedliche Ursachen in finanzielle Not geraten sind, können benötigtes Geld oft nur zu extrem hohen Zinssätzen am Kapitalmarkt leihen. Der hohe Zinssatz führt weiter in die Schuldenfalle, insbesondere wenn das betroffene Land strukturelle Probleme aufweist, die gelöst werden müssen. Was also tun? Die Lösung liegt auf der Hand und klingt im ersten Schritt sehr uneigennützig: Staaten, bzw. staatlich kontrollierte Fonds und Banken, vergeben Kredite zu deutlich niedrigeren Zinsen als am Kapitalmarkt angeboten und auf ihr eigenes Risiko. Dadurch kann die Handlungsfähigkeit von Staaten in einer finanziellen Krise erhalten werden und es können Möglichkeiten zu Strukturanpassungen gegeben werden. Es muss allerdings betrachtet werden, welche politischen Bedingungen mit diesen günstigen Krediten verknüpft werden. Wenn das Kleingedruckte die Öffnung der Märkte, Privatisierung von Gemeineigentum, Rohstoffexporte ohne Wertschöpfung oder auch vorgeschriebene Importe von Waren und Dienstleistungen enthält, wird es schwierig. Ist das Volk dann noch der Souverän? Wenn ja, dann sollte es auch über Privatisierung seines Gemeinschaftseigentums und seine eigene wirtschaftliche Ausrichtung in Zukunft mit entscheiden können. Ob dies möglich ist, wenn Angst geschürt wird und Auflagen von außen ohne Rücksprache auferlegt werden, ist fraglich. Die Interes-

26

senlagen von Staaten, Institutionen und Privatpersonen wird schnell sehr undurchsichtig und enthält viele undurchschaubare Risiken für die Betroffenen. Wer Demokratien stützen und fördern will, darf nicht von außen über die Köpfe der Menschen hinweg über deren Zukunft entscheiden, um eigene Interessen zu schützen. Vielmehr müssen die Menschen mitgenommen werden, wenn eine innere Lösung nicht möglich ist, und sie müssen frei darüber entscheiden können, ob die Lösungsansätze für sie die richtigen sind. Alles andere gefährdet leichtfertig demokratische Strukturen und das Vertrauen in demokratische Politik – mit unabsehbaren Folgen, gerade in aufeinander angewiesenen Staatenbündnissen. Aus einer Finanz- oder Schuldenkrise kann dann schnell die nächste Krise werden: eine Demokratiekrise. Daher ist es notwendig, sich über Grenzen hinweg für Demokratie stark zu machen und gemeinsame Lösungen zu finden. Gerade unter der Betrachtung, wie die finanziellen Probleme verursacht wurden und wer von den vermeintlich unumgänglichen Vorgaben, die mit billigen Krediten verknüpft sind, profitieren wird. Um zukünftige Krisen zu vermeiden sollten keine Grundsteine für neue Krisen, wie eine Einschränkung der staatlichen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, gelegt werden. Wir Jusos wissen, dass internationale Solidarität nötig ist, um Demokratie zu schützen und zu stärken.


Kontakt

Deine AnprechpartnerInnen bei den Jusos München:

Cornelius Müller Vorsitzender der Jusos München mueller@jusos-m.de

Louisa Pehle

stellv. Vorsitzende Frauenbeauftragte pehle@jusos-m.de

Marcel Reymus stellv. Vorsitzender Beisitzer für Mitgliederbetreuung reymus@jusos-m.de

Tim Hall Beisitzer für Öffentlichkeitsarbeit hall@jusos-m.de

Lena Sterzer Beisitzerin für politische Bildung sterzer@jusos-m.de

Jürgen Glatz Geschäftsführer glatz@jusos-m.de

Daniela Beck Beisitzerin für Publikationen beck@jusos-m.de

Das Münchner Stadtgebiet ist in vier Regionalverbände (RV), entsprechend den Bundestagswahlkreisen unterteilt. Für jeden RV gibt es eine/n AnsprechpartnerIn für dich im Vorstand:

N

S

Jasmin Holm Beisitzerin Regionalverband Nord holm@jusos-m.de

Caro Gineiger Beisitzerin Regionalverband Süd gineiger@jusos-m.de

O

W

Sabine Weitzel Beisitzerin (komm.) Regionalverband Ost weitzel@jusos-m.de

Sinaida Kumpf Beisitzerin Regionalverband West kumpf@jusos-m.de

Kooptiert zur Unterstützung im Vorstand:

Christian Köning (Bezirksvorsitzender), Isabella Fiorentiono (stellv. Landesvorsitzende), Johannes Hintermaier (stellv. Landesvorsitzender), Simon Kahn-Ackermann (stellv. Bezirksvorsitzender), Anno Dietz (Vertereter im Gesamtvorstand der SPD München), Philipp Obermüller (Verteter im Gesamtvorstand der Jusos Obb )

ock, 80331 München / Tel. +49

ranger 38 / 4.St Büro der Jusos München / Obe

.de

(0)89 260 230 90 / buero@jusos-m

27



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.