Ratgeber, bauen, wohnen, modernisieren

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DER START IN DIE EIGENEN VIER WÄNDE Was für ein tolles Gefühl, was für inspirierende Gedanken – nicht mehr Mieter sein, sondern Eigentümer! Endlich planen und gestalten nach den eigenen Vorstellungen! Davor aber steht die Frage: Was brauchen wir eigentlich? Das Image könnte besser nicht sein, jede Umfrage bestätigt es aufs Neue: Die Deutschen finden Wohneigentum toll. Geborgenheit, Sicherheit und Unabhängigkeit verbinden 85 Prozent von uns mit den eigenen vier Wänden, vier von fünf Mietern wünschen sich einen Umzug ins Eigentum. Dabei sind die Gründe fast immer dieselben: die Unabhängigkeit vom Vermieter, der Wunsch, die Miete in die eigene Tasche zu zahlen (auch wenn es von dort zur Bank abfließt), einen bleibenden Wert zu schaffen, Wohneigentum als Altersvorsorge und nicht zuletzt natürlich die höhere Lebensqualität. „Wohneigentum kann man aktiv erleben und gestalten“, schreibt Stefan Jokl, Direktor des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen, fast hymnisch, „es förlinke Seite: Ein Haus für die kleine Familie mit viel Komfort und Wohnqualität, entworfen von Wolff Mitto (Porenbeton).

dert Eigeninitiative und Selbstverantwortung und bietet optimale Entwicklungsmöglichkeiten für den Einzelnen.“ Ja, es ist nicht nur ein Klischee, das Bausparkassen uns immer wieder vor die Nase halten, sondern gelebte Wirklichkeit: die Kinder, die im eigenen Garten spielen können, der Spaß, den es macht, Haus oder Wohnung noch schöner, noch praktischer, noch passender umzugestalten. Ist die Entscheidung für Wohneigentum gefallen, wird es freilich erst einmal richtig kompliziert – die Welt des Wohnens ist ja von unüberschaubarer Vielfalt der Lagen, Größen, Wohnformen und Stile. Das ist verlockend, weil so vieles möglich ist. Es macht die Entscheidung aber auch umso schwieriger, den Prozess umso spannender. Und genau darum geht es in diesem Buch: um die herrliche Vielfalt, aus der sich jeder von uns die am besten zu ihm passende Variante aussuchen kann.

links: Ideal für den Anfang: das Starterhaus (Modell „Albertino Speciale“, Albert-Haus). rechts: Eine stattliche Villa, die Platz genug bietet für die große Familie oder auch das Büro im Haus. Sie lässt sich in zwei Wohneinheiten teilen (WeberHaus).


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Aber die Mentalität eines typischen deutschen Bauherren steht uns dabei mitunter kräftig im Weg: Wenn wir denn schon ein Haus bauen, dann auch eins, in dem später auch noch unsere Enkel und Urenkel ihr Glück finden sollen. Und frei nach dem Motto „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ darf’s dann auch ein wenig teurer sein. Mit dem Ergebnis, dass der Durchschnittsdeutsche nicht nur erst mit Ende dreißig in sein Eigenheim zieht, sondern auch deutlich mehr Jahresgehälter dafür ausgibt als etwa der Durchschnittsfranzose oder gar der Durchschnitts-US-Bürger. Das führt zu dem Widersinn, dass eine Familie den eigenen Garten erst nutzen kann, wenn die Kinder schon bald wieder aus dem Haus gehen – wie schade!

Darf’s zum Start ein bisschen weniger sein? Wie kann es anders gehen? Zunächst einmal sollten Sie Ihre Ansprüche gründlich prüfen. Soll es tatsächlich gleich das Haus fürs Leben sein, oder können Sie es sich vorstellen, zunächst einmal in einem kleineren Haus zu

leben und das größere, schönere, besser gelegene Objekt erst dann zu bauen oder zu kaufen, wenn es die finanziellen Möglichkeiten dank eines beruflichen Aufstiegs erlauben? Wenn Sie sich für die kleinere Lösung entscheiden, findet sich im Bestand an Altbauten ein riesiges Angebot. Bis in die 70er-Jahre waren Siedlungs- und Reihenhäuser mit knapp über 100 Quadratmeter Wohnfläche der Standard, Häuser also, die man heute vergleichsweise günstig kaufen und – mit vertretbarem Aufwand – modernen Ansprüchen an Wohnkomfort und Energieeffizienz anpassen kann. Hier kann man zumeist Raumreserven wie die unterm Dach nutzen oder mit Anbauten mehr Platz schaffen. Die (meist etwas teurere) Variante: Man baut neu – ein sogenanntes Starterhaus. Zwei Varianten sind sinnvoll: Die eine betrachtet das Starterhaus als eine Art Eigentumswohnung mit Garten drumherum, die man in jungen Jahren baut oder kauft, um sie nach einigen Karrierestationen wieder zu verkaufen. Die andere: Man plant ein neues Haus, das sich erweitern und den sich ver-

links: Vom frei stehenden Einfamilienhaus mit Garten träumen die allermeisten Deutschen. rechts: Aber auch Reihen- und Stadthäuser sind nach wie vor beliebt. Hier schätzt man die Nachbarschaft (LBS).


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links: Umbau statt Neubau – unterm Dach lassen sich Raumreserven nutzen (Velux). rechts: Auch ein großzügiger Glasanbau schafft Bewegungsfreiheit und Lebensqualität, er verleiht dem Haus zudem mehr Stil und Charakter (Solarlux).

ändernden Wohnwünschen anpassen lässt. Und zwar nicht nach dem Zufallsprinzip, sondern gleich in der Planung des Kernhauses angelegt. Da ist der Dachstuhl hoch genug, damit unterm Dach auch tatsächlich vollwertige Räume entstehen können; da ist die Terrassentür genau dort, wo der Übergang in einen anzubauenden Wintergarten sein sollte; da guckt das Untergeschoss so weit aus dem Erdreich heraus, dass dort ein gut nutzbares Büro entstehen kann. Kurz: Anbauten und Ausbauten sind wie bei einem Baukastensystem schon vorgeplant, sie passen stilistisch zum Haus und sind innerhalb der Bebauungsgrenzen, die das Grundstück vorgibt, möglich.

Die Generationen wollen wieder miteinander wohnen Es gibt freilich noch eine weitere Möglichkeit, zu bauen und zu leben; sie erlebt derzeit eine erstaunliche Renaissance: das Drei-Generationen-Wohnen. Nach einer Umfrage der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ können sich 70 Prozent der befragten Leser vorstellen,

mit Kindern und Großeltern zusammenzuleben. Mit so viel Zustimmung hatte auch der Architekt Jürgen Lohmann nicht gerechnet, der auf der Grundlage dieser Ergebnisse ein Generationenhaus planen sollte. Ist es vor allem die oft als bedrohlich empfundene demografische Entwicklung, die diesen Sinneswandel bewirkt hat? Immerhin lautete das Motto der Befragung etwas provozierend „Daheim oder ins Heim?“. Lohmann ist davon überzeugt, dass nicht allein die möglichen Probleme im hohen Lebensalter für das neu erwachte Interesse am Mehrgenerationenwohnen verantwortlich sind: „Die Zustimmung war bei jüngeren und älteren Befragten gleichermaßen groß“, so der Architekt. „Auch die Jungen sehen die Vorteile einer solchen Wohnform, etwa wenn die Großeltern bei der Kinderbetreuung einspringen.“ Aber nicht nur im Alltag können die „Best Ager“, wie Menschen ab 60 heute gerne genannt werden, für ihre Kinder und Enkel eine wichtige Stütze sein, auch finanziell mag erst mit dem Einsteigen der Großeltern das Bauvorhaben ein tragfähiges Fundament bekommen. So profitieren alle.

Wenn die Großeltern mit einziehen, fällt die Finanzierung meist leichter


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Eine Vorhangfassade aus Holz, hier aus Lärche, verbessert die Wärmedämmung und sieht attraktiv aus (CH-Quadrat).

Voraussetzung für das Modell: Es gibt zwei eigenständige Haushalte, am besten auch getrennte Eingänge. Es geht um das richtige Maß an Nähe auf der einen und Distanz auf der anderen Seite. Das bestätigt auch Uwe Hoegen, Geschäftsführer des Architekten- und Stadtplanerbüros Baufrösche in Kassel. Auch er hat mit Kollegen ein für mehrere Generationen nutzbares Haus entworfen. „Das Ergebnis war, dass die meisten Menschen sich ein Haus wünschen, das sich allen Wechselfällen im Leben der Familie, nicht nur im Alter, anpassen lässt.“ Auf diesen Bedarf sind die meisten Häuser, die in Deutschland gebaut werden, nicht eingestellt. So entsteht nicht selten eine lange Baugeschichte mit immer neuen Kosten und vielen halbherzigen Kompromissen.

Engagierte Bauherren bauen die besseren Häuser Um diesem Schicksal zu entgehen, kommt es umso mehr auf eine gute Vorbereitung des Kaufs, Umbaus oder Neubaus an. Wie viel

Platz brauchen wir heute, wie viel in zehn Jahren – das sind entscheidende Fragen. Je genauer die Wohnwünsche formuliert sind, je präziser das Haus vorgeplant wurde, umso kompetenter können wir Gespräche mit Maklern, Architekten oder Hausherstellern führen, umso leichter das passende Haus aus der Vielzahl von Möglichkeiten wählen. Dabei geht es nicht nur um Größe und Preis. Vor allem der Grundriss spielt eine entscheidende Rolle. Wer sich von Alltagsstress und Familientrubel nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt, für den ist die offene Wohnebene genau das Richtige: Küche, Wohn- und Essbereich gehen fließend ineinander über. Das vermittelt einen großzügigen Raumeindruck selbst bei geringer Grundfläche. Wer dagegen bei Lärm und Unruhe lieber die Tür hinter sich schließt, entscheidet sich besser für eine Immobilie mit klassischem Grundriss. Hier sind die Räume klar voneinander getrennt und lassen sich flexibel nutzen. Soll die Küche eher Arbeitsraum oder große Wohnküche sein? Und wo wohnen die Großeltern, wenn sie denn mit einziehen sollen und wollen? Auch das sind wichtige Fragen, die zu klären sind. Aber wir sind ja erst am Anfang dieses Planungsprozesses, an dessen Ende Sie – das jedenfalls wünschen wird Ihnen! – in Ihre eigenen vier Wände ziehen. Es ist eine anspruchsvolle, mitunter belastende Zeit, aber der Einsatz lohnt sich. Architekten wissen: Engagierte Bauherren bauen die besseren Häuser. Sie planen sorgfältiger, kümmern sich intensiver, klären gründlicher, was sie in ihrem zukünftigen Zuhause brauchen, und fühlen sich dort dann auch besonders wohl. Ein schönes Ziel, oder? Hier finden Sie weitere Anregungen:


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BAUEN, WOHNEN, SICH WOHLFÜHLEN Die Wohnpsychologie lehrt uns: Jeder hat andere Wohnbedürfnisse. Aber welches Haus passt zu Ihnen? Ein Eigenheim besteht aus Tausenden Bestandteilen – aber wie finden Sie die, mit denen Sie sich rundherum wohlfühlen? Was ist das Ziel, wenn Sie ein Haus bauen oder kaufen? Ganz klar: eine Wohnumgebung, die Sie stützt und im Gleichgewicht hält. Jeder Mensch hat den Wunsch danach. Aber wie erfüllen Sie ihn sich? Damit Sie zufrieden wohnen können, muss Ihr Wohnumfeld fünf elementare Bedürfnisse erfüllen. 1. Geborgenheit: „Ich will mich sicher fühlen!“ Geborgenheit und Schutz sind für nahezu jeden Menschen die wichtigsten aller Wohnbedürfnisse. 2. Kommunikation: „Wir brauchen Platz für uns!“ Wohnungen und Häuser sollen Orte der Gemeinsamkeit von Paaren, Familien, Freunden sein. 3. Intimität: „Ich brauche Platz für mich!“ Jeder Mensch muss, zumindest zeitweise, einen Rückzugsraum haben. 4. Komfort: „Ich möchte es bequem haben!“ Bequemlichkeit und praktische Hilfe im Alltag werden immer wichtiger. 5. Repräsentation: „Seht her, das bin ich!“ Haus, Wohnung und Garten sind der Spiegel der Persönlichkeit – und die soll sich möglichst vorteilhaft präsentieren. Wie sich diese fünf Bedürfnisse, die bei je-

dem von uns unterschiedlich ausgeprägt sind, in einem Haus erfüllen lassen, das wissen viele Menschen nicht; ja, das weiß nicht einmal jeder Architekt (und manche scheinen daran auch wenig interessiert zu sein). Dabei ist es eine wichtige Aufgabe zu erkennen: „Das tut mir gut, so baue ich, und so richte ich mich ein.“

Aber es ist kein leichter Job, denn die Wohnung ist ein außerordentlich komplexes Gebilde und das Wohnen eine höchst individuelle Sache. Der eine genießt abends den Blick durch die großen Fenster in den Garten, der andere flieht in die Küche oder ins Schlafzimmer, weil ihm die Dunkelheit auf die Pelle rückt und es ihn gruselt. Schade, wenn er das vorher nicht wusste und nun einmal ein Haus mit großen Fenstern gebaut oder gekauft hat. Die richtige Frage, zum richtigen Zeitpunkt gestellt, entscheidet über Glück oder Unglück. Man sollte die Wirkung von Architektur nicht unterschätzen: Wenn sie unterstützt, wird das Zuhause zu einem Ort, der Identität stiftet und Erholung verschafft. Wenn sie bedrängt, verweigert der Körper die Entspannung. Mit unerfreulichen Folgen, die sich einstellen können: Schlafstörungen, Verspannungen, Depressionen, Herz-Kreislauf-Beschwerden. Das kommt Ihnen alles ein wenig übertrieben vor? Damit sind Sie nicht allein. Viele Menschen bemerken zwar, dass sie sich in einigen Häusern wohlfühlen, in anderen dagegen nicht. Und natürlich nehmen sie auch wahr, dass der Schnitt der Räume oder die Einrichtung nicht ihrem Geschmack entspricht. Aber wie sehr die Umgebung ihr Wohlbefinden bestimmt – das möchten die meisten von uns nicht zugeben. Man kann sich doch mal am Riemen reißen, oder? Dabei ist diese Tatsache längst wissenschaftlich bewiesen: 1955 veranstalteten

Ihr Wohnumfeld muss fünf elementare Bedürfnisse erfüllen


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von links nach rechts: Welcher Baustil passt zu Ihnen: der rustikale mit Holzbohlen (Rems-Murr), der klassisch-moderne mit weißem Putz (Danhaus) oder der regionaltypische, hier sogar mit Reetdach (Domino/Pixelio)?

die amerikanischen Umweltpsychologen Norbett Mintz und Abraham Maslow an der Brandeis-Universität in Massachusetts ein aufschlussreiches Experiment. Dafür richteten sie Arbeitsräume ihrer Fakultät her: einen, der von einer Testgruppe als schön und behaglich bezeichnet wurde, ferner einen ganz normalen, eigenschaftslosen sowie einen schäbig-dreckigen. In der ersten Stufe des Experiments wurden den Probanden Porträtfotos vorgelegt. Sie sollten einschätzen, wie gut oder schlecht gelaunt, wie erholt oder abgespannt die Menschen auf den Fotos waren. Eindeutiges Ergebnis: Je schöner der Raum, in dem sie sich aufhielten, umso erholter und besser gelaunt empfanden die Testpersonen die Fotografierten. In der zweiten Stufe ließen Mintz und Maslow eine Gruppe von Studenten drei Wochen lang in den drei Räumen arbeiten. Auch hier war das Ergebnis klar: je schöner der Raum, umso besser die Stimmung der Testpersonen. Diejenigen, die in dem behaglichen Raum gearbeitet hatten, fühlten sich wohl, energiegeladen und den an sie gestellten Aufgaben ohne Weiteres gewachsen. Diejenigen, die drei Wochen in dem schäbigen Raum hatten zubringen müssen, klagten dagegen über Kopfschmerzen, Müdigkeit und

schlechte Laune. Zudem lag die Qualität ihrer Arbeit deutlich unter jener der anderen. Als die Psychologen sie aber nach der Ursache ihrer Stimmungslage befragten, wussten die meisten von ihnen keine Antwort. Nur wenige vermuteten einen Zusammenhang zwischen der Gestaltung des Raums, ihrer Verfassung und ihrer Arbeitsleistung. Dass die Einrichtung sie so stark beeinflussen könnte, erschien den meisten Probanden völlig ausgeschlossen.

Räume wirken auf uns, ob wir das wollen oder nicht „Niemand kann sich der Architektur und ihrer Wirkung entziehen“, sagt der Planer und Psychologe Günter Hertel, „sie wirkt auf unser Verhalten, unsere Wahrnehmungen und unsere Gefühle.“ Unser Körper reagiert unmittelbar auf jeden Raum, den wir betreten. In Sekundenbruchteilen setzt er um, was ihm unsere Sinne als Wahrnehmung übermitteln. Der Blutdruck, der Puls, die Gehirnströme, die Atemfrequenz ändern sich. Selbst wenn rechte Seite: Die stimmige Auswahl der Materialien, so zum Beispiel das edle Holzparkett, schafft eine behagliche Atmosphäre (HARO).



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Sicherheit ist das wichtigste aller Wohnbedürfnisse

unser Bewusstsein zu dem Ort, den wir betreten haben, noch keine Meinung hat – unser Körper kennt sie bereits. Wir können einen Raum nur mögen, wenn sich unser Körper darin wohlfühlt. Die Reaktion ist messbar. Und sie ist von uns nicht zu steuern. Schon Sigmund Freud hat erkannt, dass das „Ich“ nicht Herr im eigenen Haus ist. Machen Sie einen Test. Gehen Sie in ein leeres Restaurant, das nicht Ihr Stammlokal ist, und beobachten Sie, an welchen Platz Sie sich wohl setzen werden. Sie wählen einen mit der Wand im Rücken, der Ihnen möglichst freie Sicht über den Raum und auf den Eingang gewährt? Die meisten Menschen tun das. Und die nächsten Gäste? Sie suchen sich ähnliche Plätze. Erst wenn das Lokal sich füllt, finden sich notgedrungen Gäste für die Tische in der Mitte. Sind es

Paare, und der Mann lässt, ganz Gentleman, der Frau die Wahl, findet er sich in der Regel mit dem Rücken zur Tür wieder. Wir suchen Schutz und Überblick, das ist in unsere Gene eingeprägt. Kein Wunder, dass Kinder – ihren Instinkten meist näher als Erwachsene – Hochbetten und Baumhäuser so lieben: Sie können sich darin geborgen fühlen und haben trotzdem alles im Blick. Sicherheit ist das wichtigste aller Bedürfnisse, die jeder Mensch in seiner Wohnung, in seinem Haus erfüllt haben muss. Die Kommunikationswissenschaftlerin Friederun Pleterski bringt es auf den Punkt: „Wo eine Wohnung diese Ansprüche nicht erfüllt, ist das Warn- und Alarmsystem des Körpers ständig in Bereitschaft. Menschen, die sich zu Hause nicht geschützt und geborgen fühlen, die wohnen nicht. Die stellen um, putzen,

Nicht nur die Temperatur zählt: Ein Kamin verbreitet emotionale Wärme (Bosch Thermotechnik).


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kaufen neu, haben einen unstillbaren Drang nach Veränderung.“ Und ziehen schließlich um. Was schade ist, wenn man sich eigentlich zu Hause angekommen glaubte. Der Zusammenhang von Raum und Geborgenheit ist komplex. Es ist nicht nur die Größe der Fenster, die das Gefühl stützt, auch die Größe des Raums ist entscheidend – je größer und freier er ist, umso kühler wirkt er; je kleiner und enger er ist, umso mehr Geborgenheit kann er vermitteln. Wer also eine kühle Wohnatmosphäre bevorzugt, fühlt sich in großen Räumen wohler, wer sich zu Hause gerne einkuschelt, braucht dazu kleine Räume. Mit Tapeten, Einrichtung und Dekoration kann man einen großen Raum kleiner und einen kleinen Raum größer wirken lassen. Muster und dunkle Farben machen ihn kleiner, klare, helle Flächen lassen ihn weiter erscheinen. Bedeutsam auch der Charakter der Farbe: Warme Farben schaffen Geborgenheit, kühle Distanz und Weite. Was den einen aufatmen lässt, lässt den anderen frösteln. Wichtig zu wissen (und eine Warnung an alle, die sich schnell unsicher fühlen): Es gibt in der Architektur zurzeit die Tendenz, das Schutzbedürfnis der Menschen geringer zu werten und mehr auf Offenheit zu setzen – auf große Fensterfronten eben.

Gute Partner entwickeln gute Kompromisse Aber Sicherheit ist eben auch nur eines der fünf Wohnbedürfnisse. Die anderen vier – Kommunikation, Intimität, Komfort und Repräsentation – sind (fast) genauso wichtig, und nach Möglichkeit soll unser Wohnumfeld natürlich alle Bedürfnisse gleichermaßen befriedigen. Doch wie lassen sich große Fensterfronten, die einen weltoffenen modernen Menschen repräsentieren sollen, mit einem

intensiven Wunsch nach Schutz verbinden? Und es kommt noch eine andere, häufig vernachlässigte Frage hinzu: Wie gut können Sie sich gegen den Trubel, den ein munteres Familienleben nun einmal mit sich bringt, abschirmen? Können Sie sich entspannt unterhalten, wenn ein paar Meter weiter die Kinder toben? Das Essen zubereiten, während die Freunde schwatzen? Der eine genießt das, dem anderen geht genau das auf die Nerven. Für den einen ist der offene Grundriss, wo Kochen, Essen und Wohnen ineinander übergehen, genau richtig, der andere fühlt sich viel wohler, wenn in der Küche gekocht, im Esszimmer gegessen und im Wohnzimmer ferngesehen und sich unterhalten wird. Ein weiterer Punkt: Es sind ja in der Regel zwei Menschen, die miteinander in ihrem gemeinsamen Haus glücklich werden möchten, und was dem einen gut tut, kann den anderen schwer beeinträchtigen: weil der eine sich auch im größten Trubel noch konzentrieren kann, der andere dabei am liebsten schreiend hinauslaufen möchte. Diese Probleme lassen sich mithilfe durchdachter Kompromisse lösen, etwa einer Schiebetür zwischen Koch- und Wohnbereich oder einem weiteren Zimmer für den, der häufiger seine Ruhe braucht. Wichtig ist nur: Jeder, der ein Haus baut oder kauft, sollte vorher wissen, was ihn stützt und was ihn schwächt, und diese Ideen und Bedürfnisse bei Suche oder Planung berücksichtigen. Doch wie bekommen Sie heraus, was zu Ihnen passt? Achten Sie bei Freunden, bei Hausbesichtigungen, in Fertighauszentren darauf, wo Sie sich spontan wohlfühlen und wo nicht – und arbeiten Sie mit Ihrem Partner heraus, woran das jeweils liegt. Bei der Suche nach dem perfekten Haus ist das Gefühl ein wunderbarer Ratgeber.

Mehr über Farben und ihre Wirkung in „Bauwissen kompakt“ ab Seite 361


oben: R端ckzugsm旦glichkeiten f端r alle Familienmitglieder sind wichtig. Hier eine Galerie im Kinderzimmer (BetonBild). unten: Ein moder ner, offener Grundriss mit einer Wohnhalle 端ber zwei Geschosse (Boch+Keller Architekten BDA, Foto: Thomas Eiken).


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WAS SOLL’S SEIN: NEUBAU ODER ALTBAU? Die Entscheidung für eine neue Immobilie oder eine „aus dem Bestand“, wie Fachleute sagen, will gut überlegt sein. Hier die wichtigsten Argumente.

Ein altes Haus sanieren oder ein neues bauen – beides anspruchsvolle Aufgaben Klare Formen wie einst im Bauhaus, aber hocheffizient (Luxhaus).

Stilvoll und prächtig präsentiert sich dieser Altbau (LBS).

NEUBAU – DIESE FAKTEN GILT ES ZU BEDENKEN:

ALTBAU – WÄGEN SIE AB, WAS WICHTIGER IST:

Alles selbst entscheiden können, vom Baustil über Größe, Grundriss, Ausstattung bis zur Gestaltung: Das ist natürlich ein starkes Argument für einen Neubau. Auch, dass schon in der Planung der optimale Energiestandard angestrebt werden kann, dass für eine Reihe von Jahren kaum (wesentliche) Reparaturen anfallen, spricht dafür. Aber das ist nur die eine, die glänzende Seite der Medaille. Auf der anderen stehen höhere Kosten als bei einem Altbau, die längere Frist, bis man sein Haus beziehen kann, sowie häufig eine schlechtere Lage im Neubaugebiet.

Sie stehen vor einem Haus, können alle Räume prüfen, wissen also genau, was Sie kaufen: Das spricht für einen Altbau. Er steht überdies in einem gewachsenen Quartier, dessen Qualität sich nicht erst entwickeln muss. Nachteil: Mitunter besteht kräftiger Modernisierungsbedarf, weil Grundriss, Energiestandard und Ausstattung heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Und: Nicht immer lässt sich vor dem Kauf exakt prüfen, welche Maßnahmen fällig sind, wie viel die Sanierung tatsächlich kosten wird.

+ moderne Architektur – höhere Baukosten + Niedrigenergiestandard + niedrige Heizkosten – Infrastruktur fehlt häufig – hohe Verkehrskosten + kein Modernisierungsbedarf

– eingeschränkte Möglichkeiten der Gestaltung

+ oft günstiger als Neubau – überalterte Ausstattung – hohe Heizkosten + meist gute Infrastruktur + geringe Verkehrskosten – Modernisierungsbedarf


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EINE GUTE LAGE IST EIN WERTVOLLES KAPITAL Nach einer alten Makler-Regel gibt es drei Faktoren, die den Wert der Immobilie bestimmen: die Lage, die Lage, die Lage. Der Grund ist klar: An einem Haus kann man vieles ändern, das Grundstück bleibt an der gleichen Stelle.

Die Qualität des Quartiers entscheidet über den Preis der Immobilie

Aber was ist das eigentlich: eine gute Lage? Zwei Blickwinkel helfen Ihnen, die Wohnlage zu bewerten: Die Vogelperspektive: Hier finden sich übergeordnete Faktoren wie die wirtschaftliche Struktur der Region, Einkommensniveau, Höhe der Arbeitslosigkeit, Verkehrsanbindung, Naherholungsmöglichkeiten, das Kultur- und Freizeitangebot im Umkreis sowie die Umweltqualität. Der Trend geht dabei eindeutig zurück in die Stadt, auch weil Innenstadtgebiete mit ihren kurzen Wegen den Bedürfnissen vieler Menschen besser entsprechen und die Mobilitätskosten beim Wohnen im Umland immer höher werden.

Die Froschperspektive: Wenn Sie das direkte Umfeld erkunden, werden folgende Punkte wichtig: die Bevölkerungsstruktur im Quartier, der Zustand der Gebäude, Parks und Grünanlagen rundherum, die Anbindung an Bus und Bahn, Ärzte, Schulen, Kindergärten, Einkaufsmöglichkeiten. Hier können Sie gar nicht genau genug hingucken: Wirken Parks gepflegt oder verwahrlost, lungern zwielichtige Cliquen herum, sind Wände mit Graffiti verschmiert, stehen Wohnungen und Läden leer? Selbst eine gute elegante Eigentumswohnung verliert stark an Wert, wenn sich das Viertel allmählich zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt.

Familien mit Kindern ziehen immer noch gerne ins Grüne. Beim Bauen gibt es hier meist mehr Freiheiten (WeberHaus).


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Angehende Bauherren und Käufer sollten sich daher frühzeitig einen Überblick über das aktuelle Preisniveau der gewünschten Region verschaffen. Dabei helfen die Immobilienanzeigen der lokalen und regionalen Tageszeitungen ebenso wie die wachsende Zahl der Immobilienportale im Internet (etwa www.immonet.de, www.immobilienscout24. de). Weiterer Tipp: Vor dem Kauf möglichst viele Immobilien besichtigen und mit Maklern sprechen. So bekommen Sie ein Gefühl dafür, wie sich die jeweilige Lage auf den Preis auswirkt. Unter Umständen sogar von einem Ende der Straße zum anderen. Eine interessante Quelle für Informationen ist auch der Gutachterausschuss (www.gutachterausschuss.de). Die Fachleute dieses unabhängigen Gremiums kennen sich vor Ort aus, bekommen von den Notaren Grundstückskaufverträge und ermitteln aus allen verfügbaren Daten eine durchschnittliche Preisspanne für ihr jeweiliges Gebiet.

Deren Zahlen bilden freilich nur den aktuellen Stand ab. Aber wie wird sich das Wohnumfeld entwickeln? Da können Sie gar nicht gründlich genug recherchieren! Sind Änderungen des Bebauungsplans vorgesehen? Oder sogenannte Infrastrukturmaßnahmen – soll heißen: der Bau einer neuen Straße? So wünschenswert eine gute Verkehrsanbindung für ein Quartier auch ist: Verläuft die neue Umgehungsstraße nur wenige hundert Meter vom eigenen Grundstück entfernt, kann das den Wert der Immobilie entscheidend mindern. Ob so etwas ins Haus steht, sollten Sie auf jeden Fall beim zuständigen Bauamt erfragen. Denn das ist klar: Auch wenn Sie selbst bereit sind, den Wandel Ihrer Umgebung zu ertragen – wollen Sie Ihre Immobilie im Rentenalter verkaufen, dann ist die gute Lage auch für den Verkaufspreis entscheidend. Und als Nachbarn einer Schnellstraße fühlen sich nur wenige Menschen wohl.

Aber auch klassische Stadthäuser erleben eine Renaissance. Vor allem viele Ältere zieht es zurück in die Stadt (LBS).


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