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Thema Geschwindigkeit

Geschwindigkeit

Geschwindigkeit Einführung Thema Geschwindigkeit

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Kabawil hatte geplant, sich im Jahr 2020 auf die Suche nach dem individuellen Tempo von Personen und Gesellschaft zu begeben. Denn viele Bereiche unseres Lebens werden durch ein Konzept von Tempo und Geschwindigkeit bestimmt. Begrifflichkeiten wie Beschleunigung und Entschleunigung, Gleichzeitigkeit und Achtsamkeit, Rasanz und Ruhelosigkeit sind inzwischen fester Bestandteil unseres Vokabulars.

Wie immer begannen wir das Jahr traditionell mit dem Kabawil Krea Team. Einem sehr offenen Brainstorming zu dem vorher schon bekanntgegebenen Jahresthema. Die KünstlerInnen teilten wundervolle Gedanken und Ideen miteinander. Im Kontext von Geschwindigkeit ging es immer wieder um Konzepte vom Vergehen von Zeit im Raum und wie wir diese durch künstlerische Projekte und Aktionen sichtbar machen können. Es entstanden individuelle und gemeinsame Projektideen, z.B. Sahne von Hand zu schlagen bis sie zu Butter wird oder einen ganzen Tag in Zeitlupe zu gehen. Künstlerische Übungen, um ein Gefühl für Tempo allgemein und das eigene Tempo im Besonderen zu bekommen. Wir erkannten, dass Geschwindigkeit und Wahrnehmung eng miteinander gekoppelt sind.

Die FotografInnen sprachen über Langzeitbelichtungen in der analogen Fotografie. Unser äußerst kreatives Küchen Team brachte sich mit Ideen zu Slow Food und Slow Cooking ein. Wir waren uns im Großen und Ganzen einig, dass unsere Leben tendenziell etwas zu schnell abliefen und wir eine kleine Entschleunigung, ein Verweilen im Moment gut gebrauchen könnten.

Dazu fiel mir eine Anekdote über eine von David Livingstone’s zahlreichen Afrika Exkursionen ein. Diese berichtet, dass die Menschen, die das Gepäck der Gruppe trugen, sich nach einem langen, anstrengenden Marsch und einer nur kurzen Pause weigerten, weiterzugehen. Ihre Begründung dafür war, sie müssten warten, bis ihre Seelen wieder in ihrem Körper angekommen und mit ihm vereint seien. Erst dann gingen sie weiter.

Das war ein gutes Beispiel dafür, dass Geschwindigkeit immer in Bezug zu etwas anderem gesehen wird und Geschwindigkeit keine Eigenschaft ist, sondern immer eine Beziehung bezeichnet.

In unserer Krea Runde klang immer wieder durch, dass wir scheinbar das Tempo bestimmen. Manchmal eben aber auch nicht!

Im März 2020 hatte sich Covid 19, die Pandemie, großflächig in Deutschland breit gemacht. Nach und nach wurden unser Alltag, vor allem aber unsere Arbeit im freien, kreativen Bereich, von Inzidenzwerten und Hygieneschutz Verordnungen reguliert. Wir als Gesellschaft mussten mühsam begreifen, dass wir nicht mehr uneingeschränkt individuell und egoistisch unseren Wünschen und Bedürfnissen nachgehen konnten. Unsicherheiten und Ängste machten sich breit. Es wurde allgemein auf Pause gedrückt.

Kabawil als kleine kulturelle Einrichtung reagierte schnell, kreativ und flexibel auf diese Situation. Der Fakt, dass wir nach fast 20 Jahren guter Arbeit immer noch keine feste institutionelle Förderung hatten, sondern zu 80% mit Projektfördermitteln arbeiteten, war auf einmal von Vorteil. Wir hatten bewilligte Fördermittel und somit Geld zur Realisierung von künstlerischen und kreativen-alternativ Projekten und Formaten innerhalb der Bewilligungen.

Im Kontext des sich fortwährend ändernden Regel–Dschungels entstanden Ende März die HinterHofPausen — Solo Konzerte für die umliegende Nachbarschaft. Sie wurden gefilmt und auf dem Kabawil YouTube Kanal für Alle hochgeladen. In den Kitchen Stories kochten und erzählten Menschen verschiedenen Alters aus der erweiterten Kabawil Familie über ihre Erfahrungen und ihren Umgang mit der Pandemie. Sehr schnell fanden Trainingseinheiten für Nikà und Themis, dem Frauen Tanz Theater, im digitalen Raum statt. Kabawil hatte ein Live Stream Format und so wurde auch die Kabawiler Kinder Runde, eine Panel Diskussion darüber, wie sich Kinder und Jugendliche von 8 bis 15 Jahren mit der allgegenwärtigen Pandemie fühlten, öffentlich im Stream gezeigt.

Geschwindigkeit Im Sommer wurde es wieder etwas entspannter und wir freuten uns sehr, eine kleinere Version unseres [wa:Iwa:] Festivals für die Nachbarschaft im Viertel durchzuführen. Framewalk – die internationalen, cross-cultural Workshops, unser Kulturaustausch mit Partnern in Ghana und in diesem Jahr im Senegal, konnte leider nicht stattfinden. Gegen Ende des Jahres begegneten wir uns fast ausschließlich im digitalen Raum. Teams, Schreibwerkstätten, Vereinssitzungen, kreative Angebote — alles online. Wo es irgendwie ging, trafen sich kleinste Gruppen zum miteinander arbeiten. Digital, Hybrid, Analog – Flexibilität wurde das New Normal.

Das Jahr 2020 war eine Herausforderung. Zeit wurde zu Raum. Räumliches Nebeneinander im beruflichen verlagerte sich in virtuelle Räume. Im privaten entstand eine andere Art von räumlichem Nebeneinander. Schule, Job und Familie wurden zu einem Stillleben von Zeit. Die Gliederung in ein lineares Nacheinander wurde aufgehoben. Zeit stand gefühlt manchmal still. Den Glücklichen unter uns gelang es ab und zu auch den Geist still stehen zu lassen. So wurde dann, für den Moment, diese herausfordernde Zeit zu einer guten Zeit.

Petra Kron

Hundert Blumen im Frühling, im Herbst der MondEin kühler Wind im Sommer, im Winter Schnee. Wenn am Geist nichts Unnützes haftet, Dies fürwahr ist für den Menschen gute Zeit.*

*Mumonkan: Die Schranke ohne Tor. Meister Wu-men’s Sammlung

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Kulturelle Bildung

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