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Mutter und Tochter im Gebärsaal: Zwei Hebammen berichten
Wenn Mutter und Tochter Babys zur Welt bringen
In der Regel erleben Mütter und Töchter eine Geburt gemeinsam. Anders ist dies bei der Hebamme Bernadette Bandlow und ihrer Tochter Hanna, die im 3. Jahr Hebamme studiert. Im Interview sprechen die beiden über gemeinsame Geburten, familiäre Stolpersteine und ihre Leidenschaft für Afrika.
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INTERVIEW Vivien Wassermann FOTO Stefan Wey
Bernadette, du hast als Hebamme über 1600 Geburten betreut. Welche Erinnerungen hast du an deine eigene Hebamme bei Hannas Geburt? Bernadette: Hanna habe ich im Spital Riggisberg bekommen, sie war mein zweites von vier Kindern. Mir war es damals wichtig, ambulant zu gebären und eine kompetente Begleitung unter der Geburt und auch daheim zu haben.
27 Jahre später seid ihr wieder zusammen im Gebärsaal. Bernadette: Das kommt vor. Wobei wir es vermeiden, dass ich Hannas betreuende Hebamme am KSB bin. Mit der Mutter am gleichen Arbeitsplatz. Geht das gut? Hanna: Auf jeden Fall. Ich weiss es zu schätzen, dass ich mit meiner Mutter über alles sprechen kann. Trotzdem musste ich mich natürlich umgewöhnen, dass ich sie auf der Arbeit mit dem Vornamen anspreche. Wenn man «Muetti» durch den Gang ruft, sorgt das schon für Verwirrung (lacht).
Ihr habt aber schon Geburten zusammen betreut? Bernadette: Ja, ich arbeite in Ergänzung zu meiner 30 % Tätigkeit am KSB neuerdings auch freiberuflich. In diesem Rahmen hat Hanna mich bereits bei einer Hausgeburt unter-
stützt. Sie ist auch im Büro eine grosse Hilfe und übersetzt bei englischsprechenden Paaren. Wir mussten damals in der Ausbildung Französisch und Italienisch lernen, heute spielt Englisch eine grössere Rolle. Hanna: Englisch ist zwar keine Voraussetzung an der Fachhochschule. Aber schon sehr von Vorteil, um die internationalen Studien zu verstehen.
Wissenschaftliche Studien musstet ihr vor 30 Jahren noch nicht lesen, Bernadette? Inwiefern hat sich die Hebammen-Ausbildung verändert? Bernadette: Heute ist es ein vierjähriges Studium, früher war es eine dreijährige Lehre. Damals haben wir auch viel früher praktischer direkt an den Frauen arbeiten können. Hanna: Hingegen haben wir heute zuerst einen theoretischen Teil an der Schule, in dem wir an Puppen lernen. Das ist zwar nicht vergleichbar mit der Praxis, aber schon eine sinnvolle Hilfe. Bernadette: Generell waren damals die Geburten im Vergleich zu heute recht routiniert. Wenn 1988 eine Frau in der Gebärabteilung noch keinen Blasensprung hatte, hat der Chefarzt quasi der Reihe nach jeder Frau die Blase aufgetan und ab diesem Zeitpunkt durfte sie nicht mehr umherlaufen. Auch der Dammschnitt war die Regel. Heute ist Gebären im Spital zum Glück individueller und positiver.
Neuerdings auch weniger medizinisch mit der Hebammengeleiteten Geburt und Beleggeburt am KSB? Bernadette: Ja, bei Hebammengeleiteten Geburten schätzen wir die Ruhe beim Gebären, da nicht so viele Leute ein und ausgehen. Es sind häufig selbstbewusste Frauen, die dieses Modell in Anspruch nehmen, da sie sich selbst die Geburt zutrauen. Es gibt auf der anderen Seite auch viele, die mit einer «Gebär mich mal»-Haltung ins Spital kommen. Darüber hinaus bin ich nun auch als Beleghebamme tätig. Ich schätze es sehr, die Eltern auch im Wochenbett individuell begleiten zu können und mitzuerleben, wie kleine Tipps eine grosse Hilfe sein können.
Aber dennoch möchtest du weiterhin im 30 %-Pensum am KSB als Hebamme angestellt sein? Berndatte: Ja, weil das Team einfach super ist und auch die Hebammensprechstunde mir sehr am Herzen liegt. Zudem ist man nicht so drin, wenn man nur als Beleghebamme ans Spital kommt.
Hanna, wie erlebst du deine Ausbildung am KSB? Hanna: Mir gefällt der angenehme Umgang zwischen Lernenden und Ausgebildeten sehr. Auch kann man aufgrund des guten Austauschs optimal die Brücke von der Theorie zur Praxis schlagen.
Hat dich Hannas Berufswahl überrascht? Berndatte: Ich war völlig überrascht, aber auch sehr erfreut! Hanna: Aufgrund der Erzählungen meiner Mutter hatte ich es immer schon im Hinterkopf gehabt. Mit 14 durfte ich im Gebärsaal schnuppern und war bei einer Geburt dabei, die meine Mutter geleitet hatte. Das war unwahrscheinlich eindrücklich und ich habe gemerkt, was für ein toller Beruf es ist. Dennoch hast du erst FaGe gelernt … Hanna: Ja, denn seit 2009 ist ein Studium nötig, um Hebamme zu werden. Dies habe ich mir anfangs nicht zugetraut. Als FaGe war ich fix im Gebärsaal angestellt, um Sectios zu betreuen, jeweils im Tandem mit einer diplomierten Hebamme. Denn ich hatte zuvor bei meiner « Wenn man Tätigkeit als FaGe auf der gynäkologischen Abteilung gemerkt, Muetti durch dass mir etwas fehlt. Im Gebärsaal habe ich dieses «Etwas» den Gang ruft, dann gefunden. Nach meiner Be rufsmatur habe ich mich schliess sorgt das für lich an der Fachhochschule be worben. Verwirrung.» Konntest du dir das KSB aussuchen als Ausbildungsort? Hanna: Nein, man wird von der Schule zugeteilt. Umso erfreuter bin ich über die Zuteilung gewesen.
Du bist im 3. Studienjahr. Was steht bei dir in naher Zukunft noch an? Hanna: Eigentlich hatte ich im Herbst ein dreimonatiges Praktikum in Tansania geplant. Dies wird nun aufgrund von Covid-19 auf nächstes Jahr verschoben.
Die Leidenschaft für Afrika scheinst du mit deiner Mutter ebenfalls zu teilen? Hanna: Bernadette war Anfang Jahr im Buschspital Koyom im Tschad. Das Spital in Tansania, das in der Nähe des Kilimandscharo Nationalparks liegt, ist jedoch für dortige Verhältnisse ein Unispital. Mit dem Schweizerischen Standard ist es hingegen nicht zu vergleichen. Um die Geburt ranken so viele Mythen, Theorien und Traditionen – ich finde es unglaublich spannend, in diese fremde Welt einzutauchen.
Solche Auslandsaufenthalte gab es während deiner Ausbildung wahrscheinlich noch nicht, Bernadette? Bernadette: Nicht ganz, wobei ich immerhin mein erstes Hebammenjahr im Ausland verbracht habe – in Deutschland.
Da dürften die Eindrücke nicht ganz so aussergewöhnlich gewesen sein wie in Afrika? Bernadette: Kommt drauf an, denn eine Geburt ist mir in bleibender Erinnerung geblieben. Eine Frau, die wir bis dato nicht kannten, kam mit sehr grossem Bauch zur Entbindung zu uns. Ich fragte sie, ob sie Zwillinge bekäme. Aber sie verneinte. Doch nachdem das kleine Mädchen auf der Welt war, untersuchten wir die Mutter, und kurze Zeit später kam die Zwillingsschwester auf die Welt.
So etwas hast du in der Schweiz nie erlebt? Bernadette: Es ist wohl ein Zufall, dass ich dies gerade in Deutschland erlebt habe. Denn dass der Frauenarzt bei den Vorsorgeuntersuchungen das zweite Baby im Ultraschall nicht gesehen hatte, liegt wohl zum einen daran, dass die Qualität beim Schallen 1991 noch nicht so gut war, und die Frau zudem eine Gebärmutter mit zwei Hörnern hatte, eine relativ seltene Fehlbildung der Gebärmutter. Aber am Ende kam alles gut und die Eltern freuten sich über ihr doppeltes Glück.