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4 Kommunale Aufgabenerbringung

Weitere bislang betrachtete Szenarien umfassen die Bevölkerungsentwicklung (z.B. Schrumpfung oder auch Außenzuwanderung etc.), eine gesellschaftliche Polarisierung oder globale Finanz- bzw. Wirtschaftskrisen. Eine globale Gesundheitskrise (Pandemie), wie wir sie aktuell durchleben, fand in den bisherigen Risikobewertungen bislang nur wenig Beachtung. Im Stresstest Stadt des deutschen Bundesamtes für Bauwesen wurden folgende acht Stressszenarien als wahrscheinlich definiert und pilothaft überprüft (Kötter et al., 2018):  Außenzuwanderung  Schrumpfung  Schwarmstadt  Branchenwandel oder Unternehmensverlust  Gesellschaftliche Polarisierung  Starkregen  Thermische Belastung  Krise der Energieversorgung

4 Kommunale Aufgabenerbringung

In Abhängigkeit der Art der Krise (Schock oder chronische Krise) und insbesondere auch der Phase im Resilienz-Zyklus4 unterscheiden sich die Aufgaben und Instrumente innerhalb des Steuerungsprozesses. Die zeitliche Dimension bzw. die einzelnen Wirkungsphasen im ResilienzZyklus werden in der Literatur mit unterschiedlichem Detailierungsgrad beschrieben. Im Rahmen der gegenständlichen Studie wird vereinfachend zwischen den beiden Phasen „Vorsorge“ und „Bewältigung und Nachsorge“ unterschieden.

Abbildung 5: Resilienz-Phasen

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2021.

4 Z.B. Resilienz-Zyklus nach empirica/gaiac/Universität verändert nach Jakubowsky 2013: reagieren – regenerieren – vorbereiten – vorsorgen – schützen.

Die Phase der Vorsorge (vorbereiten, vorsorgen, schützen) umfasst die Analyse und Bewertung der Resilienz sowie die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit und Robustheit (z.B. Notfallstrukturen, Schutzmaßnahmen, Ausgleichsmechanismen etc.). Es gilt, erste Anzeichen eintretender Krisen schnell zu erkennen und frühzeitig finanzielle Maßnahmen (bspw. Aufbau von Reserven, Verschiebung von nicht dringlichen Investitionen) zu setzen. In Bezug auf die Gemeindefinanzen umfasst diese Phase insbesondere auch die Analyse bestehender Strategien und die Identifizierung von Lücken in der Finanzsituation und -planung. Insbesondere sollten hier die „Schwachstellen“ aufgedeckt und offen diskutiert werden, um entsprechende Vorsorgeinstrumente aufzubauen. In der Phase der Bewältigung und Nachsorge (reagieren, regenerieren) steht einerseits das Management zur Bewältigung von Krisen und Katastrophen (= reagieren) sowie andererseits die Schadensbeseitigung, Restrukturierung und Neuorganisation (= regenerieren) im Zentrum (Devecchi & Haßheider, 2020). Die Resilienz zeigt sich dann auch in der Anpassungsfähigkeit, sprich der Flexibilität und Innovationskraft der Organisation und der handelnden Akteure, eigene bestehende Strukturen relativ rasch an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Als lokale Verwaltungsbehörde direkt vor Ort entfällt auf die Gemeinden im Krisen- und Katastrophenfall zunächst die Hauptlast der Bewältigung bzw. der schnellen Reaktion auf das Ereignis, um mit adäquaten Maßnahmen die negativen Auswirkungen abzumindern, die Bevölkerung zu schützen und das Funktionieren der (Versorgungs-)Systeme zu gewährleisten bzw. möglichst rasch wiederherzustellen. Doch auch in der Prävention entfallen maßgebliche Aufgaben, wie beispielsweise die Erstellung von Katastrophen-Notfallplänen, in den Aufgabenbereich der Gemeinden. Im Wesentlichen können die krisenbezogenen kommunalen Aufgaben in drei große Pakete unterteilt werden. Weiterführende Informationen zu den spezifischen Aufgaben der Gemeinden in Bezug auf ausgewählte Krisen finden sich im „Kapitel IV Finanzielle Auswirkungen ausgewählter Krisen sowie eingesetzte Instrumente“.  Vorsorge: Krisenmanagement, Koordination und Planung  Bewältigung und Nachsorge: Sofort-Maßnahmen und Anpassungen im Leistungsangebot in der Akutphase  Nachhaltige Sicherstellung der kommunalen Daseinsvorsorge

Vorsorge: Krisenmanagement, Koordination und Planung

Voraussetzung für die Bewältigung jeder Krise ist die Handlungsfähigkeit der lokalen Verwaltung als Krisenmanager und Koordinator der Sofort-Maßnahmen vor Ort. Somit liegt der Schlüssel zur Krisenbewältigung in der Prävention: der Vorbereitung und Anpassung der kommunalen Systeme5 auf potentielle Risiken und Bedrohungen in Form von überraschend eintretenden Schocks oder chronische Krisen.

Je nach Gefahrenlage und Anlassfall variieren die Bedeutung und Priorisierung der kommunalen Aufgaben. Im Krisenfall besteht die erste kommunale Aufgabe jedenfalls in der Einberufung eines Krisenstabes und der Priorisierung und Koordination der kommunalen Aufgaben, um alle verfügbaren Ressourcen optimal für die Bewältigung der Krisensituation einsetzen zu können. In vielen Bereichen sind daher Sicherheitskonzepte und Präventionsmaßnahmen für Krisensituationen längst etabliert (z.B. Brandschutz, Hochwasserschutz, Evakuierungsplanung,

5 administrative, politische und technische Systeme

Sicherheitsplanung für Großveranstaltungen). In Oberösterreich sind beispielsweise die Hochwasserschutzverbände (Gemeindeverbände) als Interessenten für die Instandhaltung und den Betrieb von Hochwasserschutzanlangen zuständig (Loibl et al., 2018).

Bewältigung und Nachsorge: Sofort-Maßnahmen und Anpassungen im Leistungsangebot in der Akutphase

Systemrelevante Aufgaben stellen das Funktionieren der Gemeinde in den zentralen Daseinsgrundfunktionen auch in Krisensituationen bei der Bewältigung (Reaktion) und Nachsorge (Wiederherstellung) infolge eines störenden Ereignisses sicher. Dazu zählen unterschiedliche Hilfssysteme zum Schutz der Bevölkerung (z.B. Notrufsysteme, Feuerwehren, Rettungs- und Notarztdienste, etc.) und Sofort-Maßnahmen zur Verminderung oder Behebung von Schäden an den zentralen Versorgungs-Infrastrukturen (Wasserversorgung, Verkehrsverbindungen etc.). Darüber hinaus sind sowohl im Zuge der Bewältigung als auch im Rahmen der Prävention Anpassungen im Leistungsangebot vorzunehmen, wie etwa am Beispiel der Pandemie gezeigt werden kann. So bestehen nicht nur Konsequenzen im Gesundheitsbereich, sondern es gibt sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf eine breite Palette an kommunalen Aufgaben. Zu nennen sind etwa Auswirkungen auf die Bereiche innere Verwaltung, Bildung, Kultur, Soziales, Sport, Ver- und Entsorgung, ÖPNV etc. (Freier, Ronny & Geißler, René, 2020). So wurden etwa in der ersten Akutphase der Pandemie von den Gemeinden Einkaufsdienste organisiert und eine Vielzahl an Freiwilligen – später dann auch im Zusammenhang mit den Test- und Impfstraßen – koordiniert. Seit Anbeginn der Krise ist auch der Kinderbetreuungs- und Bildungsbereich betroffen. Während der Lockdowns konnte das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen großteils aufrechterhalten werden, obwohl sich die Zahl der betreuten Kinder phasenweise massiv reduzierte und damit auch Elternbeiträge zur Finanzierung entfielen. Die stärkere Digitalisierung im Bildungsbereich bedeutet für die Gemeinden als Schulerhalter Anpassungen in der IT-Infrastruktur (Mitterer & Hochholdinger, 2020). Dennoch kann festgehalten werden, dass gerade in der Phase der direkten Reaktion und Bewältigung einer Krise eines plötzlichen Ereignissen bzw. Schocks jedenfalls das Funktionieren der Verwaltungsstrukturen und auch der zentralen Infrastrukturen in den zentralen Produktbereichen – Hauptverwaltung, Ver- und Entsorgung, Verkehr und Kommunikation, Schutz und Versorgung der Bevölkerung (v.a. Gesundheit) – prioritär sichergestellt sein muss. Die nachhaltige Sicherstellung der Daseinsvorsorge, welche spätestens in der Phase der Nachsorge bzw. Wiederherstellung der Strukturen ansetzen muss, umfasst jedoch ein deutlich weiteres Aufgabenspektrum für die Gemeinden mit vielfach auch umfassenderen finanziellen Folgewirkungen.

Nachhaltige Sicherstellung der kommunalen Daseinsvorsorge

Aufgaben der Daseinsvorsorge umfassen im Allgemeinen all jene behördlichen, dienstleistungsmäßigen und infrastrukturellen Kernaufgaben, die zur Gewährleistung der Grundversorgung der Bevölkerung und Befriedigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse wahrgenommen werden (Bröthaler et al., 2002). Die Daseinsvorsorge zählt im Wesentlichen als Folge gesetzlicher Bestimmungen zu den Basisaufgaben der österreichischen Gemeinden und dient der Erfüllung der acht Daseinsgrundfunktionen: Wohnen – Arbeiten – Bildung – Versorgung – Entsorgung – Gemeinschaft – Mobilität – Erholung.

Abbildung 6: Die acht Daseinsgrundfunktionen

Quelle: https://www.communalp.at/gemeindeentwicklung [03.05.2021]

Dementsprechend vielfältig ist auch die kommunale Daseinsvorsorge. Im weiteren Sinn reicht sie von der Bildung über Kultur bis zur Straßen-, Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur. Ebenso sind die Freizeit- und Sportinfrastruktur mit den Freibädern, Sportplätzen und -hallen hinzuzuzählen. Einen wichtigen Kern der Daseinsvorsorge bildet die Ver- und Entsorgung mit der Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung sowie Abfallbeseitigung. Angesichts der Entwicklungen im Immobilienmarkt ist auch Wohnen ein wichtiger Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Rahmen der Daseinsvorsorge übernehmen die Gemeinden zur Erfüllung der Daseinsgrundfunktionen folgende Aufgaben:  BILDUNG: Elementare Bildung, Pflichtschulen, Kinder- und Nachmittagsbetreuung  VER- und ENTSORGUNG: Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und Abfallbeseitigung, Energieversorgung; Kommunikationsinfrastruktur: Breitbandausbau, Basis-Gesundheitsversorgung, Friedhöfe und Bestattung  MOBILITÄT: Straßenbau und -erhaltung (Gemeindestraßen, Landesstraßen im übertragenen Wirkungsbereich) inklusive Reinigung und Beleuchtung, kommunaler öffentlicher Personennahverkehr  ARBEIT: Unterstützung der lokalen Wirtschaft, Tourismusförderung  GEMEINSCHAFT: Soziale Einrichtungen und Dienste, Pflege und Jugendwohlfahrt, Kultureinrichtungen und -veranstaltungen sowie -förderung (Museen, Büchereien, Musikschulen etc.)  ERHOLUNG: Erhalt und Pflege der Grün- und Erholungsflächen, Park- und Gartenanlagen, Freizeit- und Sportinfrastruktur mit den Freibädern, Sportplätze und -hallen, Seilbahnen und Lifte  WOHNEN: Kommunaler Wohnbau, Wohnbeihilfen, Gebäudemanagement, Raumentwicklung

In Hinblick auf die finanziellen Folgewirkungen der kommunalen Krisenbekämpfung und Daseinsvorsorge ist jedenfalls darauf hinzuweisen, dass sich die Leistungserbringung in den einzelnen Aufgabenfeldern infolge der teilweise sehr heterogenen gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen in den Bundesländern sowohl in Art, als auch Ausprägung und Qualität stark unterscheiden kann. Weiters erbringen Städte verstärkt Leistungen der regionalen Versorgungsfunktion bzw. spezielle zentralörtliche Aufgaben, z.B. in der Kinderbetreuung (höhere Kinderbetreuungsquote bei längeren Öffnungszeiten) oder in der Altenbetreuung (z.B. Führen von Tagesstätten). Gleichsam ist die Frage, ob eine hoheitliche oder freiwillige Verpflichtung zur Leistungserfüllung besteht (Pflicht-, Ermessensaufgabe oder freiwillige Aufgabe) in vielen Fällen nicht bundeseinheitlich geregelt, so dass auch dadurch Unterschiede im Leistungsumfang bedingt sind (Mitterer et al., 2016).

Finanzierung der kommunalen Daseinsvorsorge

Die Finanzierung der Daseinsvorsorge ist unterschiedlich ausgestaltet:  Bereiche wie die Ver- und Entsorgung (Wasser, Abwasser, Abfall) können zu einem sehr hohen Anteil oder auch ausschließlich durch die Nutzerinnen und Nutzer (Gebühren) sowie von Zuschüssen anderer öffentlicher Träger finanziert werden.  Die anderen Bereiche der Daseinsvorsorge – insbesondere Bildung, Kultur, Straßen- und Verkehrsinfrastruktur sowie Freizeit- und Sporteinrichtungen – sind großteils durch allgemeine Steuermittel finanziert.

Zur Deckung der Ausgaben müssen Gemeinden daher auch auf allgemeine Steuermittel zurückgreifen. Dies sind vor allem die Ertragsanteile (Anteil an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben) und gemeindeeigene Steuern (v.a. Kommunalsteuer, Grundsteuer). Die Ausgaben jener Bereiche, welche nicht primär gebührenfinanziert sind, lagen 2018 bei 4,8 Mrd. Euro. Davon entfielen 3 Mrd. Euro auf den laufenden Betrieb, rund 1,8 Mrd. Euro betreffen Investitionen. Besonders hohe Ausgaben finden sich in den Bereichen Infrastruktur/ÖPNV sowie Bildung (Kindergärten, Pflichtschulen, Horte etc.): Die Ausgabendeckungsgrade nach Aufgabenbereichen sind dabei durchaus unterschiedlich. Diese zeigen an, zu welchem Anteil den Ausgaben direkte Einnahmen (v.a. Nutzerbeiträge, Transfers von Bund/Ländern) gegenüberstehen. So müssen im Bereich Infrastruktur/ÖPNV 65 Prozent der Ausgaben durch allgemeine Steuermittel gedeckt werden, im Bereich Sport/Freizeit sind es sogar 76 Prozent (Biwald & Hödl, 2020a).

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