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VI Ansatzpunkte zur Stärkung der Resilienz der Gemeindefinanzen

VI Ansatzpunkte zur Stärkung der Resilienz der

Gemeindefinanzen

Krisen können plötzlich und unerwartet bzw. schockartig auftreten – wie etwa die Pandemie, Umweltkatastrophen oder Blackouts. Krisen können aber auch langfristig sein und chronisch wirken – wie etwa die Klimakrise oder demografiebedingte Veränderungen. Es gilt, die Gemeindefinanzen sowie den Finanzausgleich, als wichtige bestimmende Größe, in Bezug auf die Resilienz (Robustheit und Anpassungsfähigkeit) zu durchleuchten und weiterzuentwickeln. Dies soll dazu beitragen, dass Gemeinden Krisen künftig besser bewältigen können. In Tabelle 27 werden hierfür vier Aufgabenfelder vorgeschlagen, um Reformen in Richtung mehr Resilienz anzustoßen. Es wird empfohlen vorerst mit einer Status-quo-Analyse zu starten, darauf basierend die Ziele der Weiterentwicklung des Finanzausgleichs zu definieren und konkrete Maßnahmen in den Bereichen Governance und Instrumente zu entwickeln. Im folgenden Text werden die vorgeschlagenen Maßnahmen in den vier Aufgabenfeldern näher beschrieben.

Tabelle 27: Aufgabenfelder zur Weiterentwicklung eines resilienten Finanzausgleichs

Aufgabenfelder STATUS-QUOANALYSE

ZIELE

GOVERNANCE

FINANZAUSGLEICHSINSTRUMENTE Hauptfragen Wo liegen aktuell die Stärken und Schwächen hinsichtlich Resilienz?

Welche Schlüsse können aus der Status-quo-Analyse gezogen werden? Welche Ziele sollen hinsichtlich Resilienz verfolgt werden? Wie soll eine Resilienzstrategie für den Finanzausgleich unter Berücksichtigung von potenziellen Schocks/chronischen Krisen aussehen? Mögliche Maßnahmen (1) Studie zur Evaluierung des Resilienz-Status im Finanzausgleich (Governance und Instrumente) (2) Definition der Anforderungen an einen resilienten Finanzausgleich (3) Ebenen-übergreifender Prozess zur Weiterentwicklung des Finanzausgleichs (z.B. Integration bei FAG-Verhandlungen)

(4) Entwickeln einer Resilienzstrategie (z.B. Integration bei FAG-Verhandlungen)

Welcher Anpassungen bedarf es hinsichtlich der vertikalen und horizontalen Koordination und Steuerung?

Welche Anpassungen braucht es bei Instrumenten, um die Lücken bezüglich Resilienz zu verringern bzw. zu schließen? (5) Projekte zur Intensivierung der ebenen übergreifenden Steuerung (z.B. gleichberechtigte Einbindung der Gemeinden bei Art. 15a-Vereinbarungen) (6) Projekte zur Intensivierung der horizontalen Steuerung zwischen Gemeinden (z.B. stärkere Förderung von Gemeindekooperationen bei BZ-Mitteln) (7) Ganzheitliche Ausrichtung des Finanzausgleichs nach Resilienzkriterien (mit Schwerpunkten Robustheit und Anpassungsfähigkeit)

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2021.

(1) Status quo: Studie zur Evaluierung des Resilienz-Status im Finanzausgleich

Ein wesentlicher Aspekt zur Stärkung der Resilienz im Bereich der Gemeindefinanzen ist die Anpassung der Rahmenbedingungen für Gemeinden durch den Finanzausgleich. Eine Studie zur Evaluierung des Resilienz-Status im Finanzausgleich könnte hier eine wichtige Ausgangsbasis für weitere Entscheidungen betreffend einer nachhaltigen Weiterentwicklung des Finanzausgleichssystems sein. Neben den Instrumenten des Finanzausgleichs wären dabei insbesondere auch die Governance-Strukturen und -Prozesse mit dem Fokus Resilienz neu zu bewerten.

Die zahlreichen Aufgaben- und Finanzierungsverflechtungen zwischen den Ebenen verdeutlichen die intensiven Wechselbeziehungen innerhalb des Finanzausgleichs. Eine isolierte Reform der Gemeindefinanzen zur Erhöhung der Resilienz ist daher wenig zielführend, weshalb es einer Evaluierung des gesamten Finanzausgleichssystems – samt zugehöriger Governance – bedarf, welches alle drei Gebietskörperschaftsebenen inkludiert. Eine Status-quo-Analyse zur Resilienz im Finanzausgleich sollte dabei insbesondere die Erfüllung der Anforderungen an Robustheit und Anpassungsfähigkeit berücksichtigen. Dies kann beispielsweise die folgenden Themen umfassen:  Entscheidungs- und Koordinierungsstrukturen sowie -prozesse  Organisationale Innovationsfähigkeit und Flexibilität  Ausmaß an Autonomie und damit verbundene Handlungsspielräume zur Prävention und Bewältigung von Krisen  Instrumente zur Risikoabwägung sowie Krisenpläne in Bezug auf potenzielle Krisen  Mittel- bis langfristige Instrumente zur Steigerung von Robustheit und Anpassungsfähigkeit (z.B. Einnahmendiversität, Fiskalregeln, Planungssicherheit, Transparenz)  Eignung der bestehenden Finanzausgleichsinstrumente zur akuten Krisenbewältigung bzw. vorhandene Kriseninstrumente  vertikale und horizontale Ausgleichsinstrumente bei unterschiedlicher horizontaler oder vertikaler Betroffenheit und Ausgangslage  kurz- und langfristige Auswirkungen von Krisen auf die sub-nationale Leistungserbringung

(2) Status quo: Definition der Anforderungen an einen resilienten Finanzausgleich

Durch die bereits bewältigten bzw. in Bewältigung befindlichen Schocks und chronischen Krisen und steigenden Bedrohungen infolge des Klimawandels gewinnt das Thema Resilienz zunehmend an Bedeutung. Gerade im Bereich des Finanzausgleichs mangelt es jedoch an wissenschaftlichen Grundlagen zu den Anforderungen an einen resilienten Finanzausgleich in Österreich, welche als Basis für eine Evaluierung und für die Weiterentwicklung des Finanzausgleichs herangezogen werden können. Zusätzlich kann der Einbezug der Praxis – daher der Politik und Verwaltung – hier wertvolle Impulse zur Definition der Anforderungen an einen resilienten Finanzausgleich geben.

(3) Ziele: Ebenen-übergreifender Prozess zur Weiterentwicklung des Finanzausgleichs

Erfahrungen mit bisherigen Reformansätzen zum Finanzausgleich haben gezeigt, dass diese oftmals an unklaren Zielsetzungen, unterschiedlichen Interessen sowie mangelhaftem Projektmanagement scheiterten (Rechnungshof Österreich, 2021; Bauer et al., 2019). Insofern wäre es wichtig, aus den Mängeln der bisherigen Prozesse zu lernen und mehr Fokus auf eine gemeinsame Zielentwicklung und -ausrichtung sowie ein verbessertes Projektmanagement zu legen. Die Ergebnisse der Status-quo-Analyse bilden eine zentrale Basis für die Erarbeitung einer Resilienzstrategie mit konsensualen Zielsetzungen und konkreten Anforderungen. In Bezug auf die Zielrichtung der weiteren Reformschritte wäre beispielsweise zu diskutieren:  Welche Krisenszenarien sollen in einem etwaigen Resilienzkonzept des Finanzausgleichs berücksichtigt werden?  Wie weit soll der Finanzausgleich als „Versicherungssystem“ für den Krisenfall dienen?  Welchen Autonomiegrad bzw. welche Einschränkungen der finanziellen Handlungsspielräume sollen die sub-nationalen Gebietskörperschaften haben?  Trägt eine Stärkung der Abgabenautonomie der sub-nationalen Ebenen zur Resilienzsteigerung bei bzw. soll die Abgabenautonomie ausgebaut werden?  Wie konjunktursensibel sollen die Budgets der sub-nationalen Gebietskörperschaftsebenen reagieren?  In welchem Ausmaß sollen unterschiedliche Betroffenheiten oder Rahmenbedingungen ausgeglichen werden?  In welchem Ausmaß soll eine Verschuldung der sub-nationalen Gebietskörperschaften möglich sein bzw. soll es Ausnahmen von Fiskalregeln für bestimmte Arten von Projekten geben (z.B. klimafreundliche oder soziale Infrastruktur)?  Welche Anknüpfungspunkte bzw. Wechselbeziehungen sollen mit diversen Steuerungsinstrumenten der verschiedenen Ebenen des Staates bestehen?  Welche Infrastruktur bzw. Dienstleistung soll auch im Krisenfall gesichert sein?  Wann und in welchem Ausmaß sollen kurz- oder mittelfristige Anpassungen im Leistungsangebot möglich sein? Eine Integration der Diskussion und Bestimmung der Zielsetzungen zur Resilienz wäre etwa im Rahmen der Vorbereitungen des nächsten Finanzausgleichsgesetzes bis Ende 2023 möglich.

(4) Governance: Entwickeln einer Resilienzstrategie

Auch die Entwicklung einer Resilienzstrategie für den Finanzausgleich könnte in den Finanzausgleichsverhandlungsprozess integriert werden. Basierend auf den definierten Zielsetzungen gilt es, ein Konzept zu entwickeln, welches die Resilienz aller drei Gebietskörperschaftsebenen gewährleistet. Dabei sind sowohl Maßnahmen in Bezug auf Anpassungen der Governance als auch von Instrumenten des Finanzausgleichs zu definieren.

(5)/(6) Governance: Projekte zur Intensivierung der ebenen-übergreifenden und horizontalen Steuerung

Zur Stärkung der Robustheit und Anpassungsfähigkeit betreffend der Governance-Aspekte des Finanzausgleichs bieten sich Projekte zur Intensivierung der ebenen-übergreifenden sowie horizontalen Steuerung an.

Im Bereich der ebenen-übergreifenden Steuerung wären dies etwa Projekte, welche eine intensive und kontinuierliche Einbindung der Gemeindeebene in Entscheidungsprozesse des Bundes und der Länder sichert – sowohl im Krisenfall als auch in Nicht-Krisen-Phasen. Dies betrifft etwa das Schaffen einer Möglichkeit der gleichberechtigten Einbindung der Gemeinden bei Art. 15a-Vereinbarungen, wenn die Gemeinden unmittelbar betroffen sind (z.B. Ausbau Kinderbetreuungseinrichtungen). Am Beispiel des Klimaschutzes könnten die nationalen Strategien in einem gemeinsamen Prozess auf die sub-nationalen Ebenen heruntergebrochen werden. Zu nennen sind weiters die Implementierung von mehrmals jährlich tagenden ebenenübergreifenden Koordinierungs- und Steuerungsgremien (über das Koordinierungskomitee im Zuge des Österreichischen Stabilitätspaktes hinaus). In Bezug auf Anpassungen der horizontalen Steuerung wären stärkere Anreize für Kooperationen und Fusionen auf Gemeindeebene denkbar. Wie anhand zahlreicher Förderprogramme im Bereich des Klimaschutzes sowie der Klimawandelanpassung ersichtlich, besteht hier ein Potenzial zu einer verbesserten regionalen Abstimmung der Infrastrukturen und Leistungsangebote. Weitere Potenziale betreffend gesamtstaatlicher Steuerung und Kooperation bestehen in der Nutzung bereits vorhandener Strategien und Steuerungsansätze. Zu nennen sind hier beispielsweise die SDGs, welche einen ganzheitlichen und nachhaltigen Steuerungsansatz verfolgen.

(7) Instrumente: Ganzheitliche Ausrichtung des Finanzausgleichs nach dem Resilienzaspekt

Um die bestehenden Instrumente des Finanzausgleichs gemäß dem Resilienzkonzept weiterzuentwickeln, bestehen vielfältige Ansatzpunkte. Nachfolgende Übersicht zeigt mögliche Anknüpfungspunkte, welche zur Steigerung der Resilienz der Gemeindefinanzen beitragen können. Welche Maßnahmen schlussendlich umgesetzt werden sollen, hängt von dem zuvor entwickelten Resilienzkonzept ab. Die Übersicht bietet eine mögliche Orientierungshilfe.

Tabelle 28: Mögliche Instrumente zur Stärkung der Resilienz der Gemeindefinanzen

Maßnahmenbereich Mögliche Instrumente

Sicherstellen der

Handlungsfähigkeit der

Gemeinden im Krisenfall und Stärken der

Gemeindeautonomie * Abbau der Finanzierungsverflechtungen (insbesondere Transferentflechtung und -reduktion zwischen Ländern und Gemeinden) * Stärkung der Abgabenautonomie der Gemeinden und erweitern der Spielräume (z.B. Grundsteuerreform mit größeren Bandbreiten an Hebesätzen inkl. Steigerung des Aufkommens, Klären der rechtlichen Vorgaben bezüglich Gebühren) – dient auch zur Sicherstellung der Einnahmendiversität und Flexibilität

* gleichberechtigte Einbindung der Gemeindeebene bei Entscheidungen/Strategien des Bundes und der Länder, welche die Gemeinden unmittelbar betreffen (z.B. bei Art. 15a-Vereinbarungen, nationale Strategien im Bereich Klimaschutz)

Krisenpläne und Instrumente zur Risikoabwägung

* Entwickeln von Krisenplänen für ausgewählte Schocks (z.B. Wirtschaftskrise, Naturereignisse) * Entwickeln eines Monitoringsystems zur Erkennung unterschiedlicher Betroffenheiten (vertikal sowie horizontal) Kriseninstrumente * Definition von Instrumenten, welche bei Schocks automatisch ausgelöst werden (Instrumente in Abhängigkeit der Krisenart), wie z.B. Entlastungen im Umlagenbereich, Bundesförderungen * Festlegen von „Benchmarks“, ab wann Kriseninstrumente auszulösen sind

Ergänzende Instrumente und Maßnahmen zur Steigerung von Robustheit und Anpassungsfähigkeit

vertikale und horizontale Ausgleichsinstrumente * Berücksichtigung von Indikatoren bei der Ertragsanteilsverteilung, welche sich auf chronische Krisen beziehen (z.B. demografische Indikatoren) * Einführen von Mindeststeigerungen bei den Ertragsanteilen * Erhöhen der Transparenz im Transferbereich (z.B. Umlagen, Gemeinde-Bedarfszuweisungen) * Erstellen von Förderprogrammen in Aufgabenfeldern der kritischen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, in welchen derzeit Lücken bestehen (z.B. städtischer ÖV, thermische Sanierung von kommunalen Gebäuden) * Erweiterung der Fiskalregeln des ÖStP um eine goldene Regel, mit dem Zweck klimafreundliche und soziale Infrastrukturinvestitionen zu sichern

* konjunkturabhängige fiskalpolitische Vorgaben (z.B. Förderung des Sparens in konjunkturell guten Phasen) * Förderung von betriebswirtschaftlichen Instrumenten bzw. Management-Ansätzen innerhalb der Gemeinde, welche zur Resilienzsteigerung beitragen können (z.B. Resilienzstrategien einzelner Gemeinden) * Einführen eines Monitorings des vertikalen Finanzausgleichs, um Verschiebungen bei den Leistungsanforderungen sowie in der Finanzierungslast zu erkennen – in weiterer Folge auch Instrumente zur Anpassung von Verschiebungen im vertikalen Gefüge * Umsetzung eines ganzheitlich ausgerichteten aufgabenorientierten Finanzausgleichs (daher Stellvertreter- Indikatoren statt Aufgabenorientierung in einem isolierten Aufgabenbereich) – zur Berücksichtigung untersch. Betroffenheiten und zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit * Schaffen von Anreizwirkungen betreffend Gemeindekooperationen und -fusionen

Daseinsvorsorge und kritische Infrastruktur

Ergänzende Instrumente zur Bewältigung der Klimakrise * Definition und Abgrenzung von kritischer Infrastruktur * Schaffen einer bundesweiten Datenlage betreffend kritischer Infrastrukturen (inkl. Versorgungssicherheit in Krisen) * Resilienzstrategien für ausgewählte Aufgabenbereiche der Daseinsvorsorge und kritischen Infrastruktur * Förderung der regionalen Abstimmung von kommunalen Infrastrukturen und Dienstleistungen (etwa durch Schaffen eines Regionalfonds) * regelmäßige Erhebungen betreffend Investitionsrückstand auf kommunaler Ebene im Daseinsvorsorgebereich * Integration von klimabezogenen Indikatoren bei der Ertragsanteilsverteilung (z.B. zur Sicherung des Betriebes des öffentlichen Verkehrs, Anreize zur Senkung des Bodenverbrauchs) * Einbezug von klimabezogenen Aspekten bei gemeindeeigenen Abgaben (Beispiel Grundsteuer: höhere Fördersätze bei unbebauten Baugrundstücken zwecks Baulandmobilisierung und/oder Berücksichtigung der Bebauungsdichte; Beispiel Gebühren: Stärken von Lenkungseffekten; Beispiel Nahverkehrsabgabe) * Schaffen eines ÖV-Stadtregionalfonds zur Sicherstellung der Finanzierbarkeit des laufenden Betriebes sowie von Investitionen von städtischen und stadtregionalen Verkehren

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2021.

Prozess: Einbindung in die Finanzausgleichsverhandlungen

Wenngleich viele Reformthemen, welche auch die Resilienz der Gemeindefinanzen steigern können – z.B. Reduktion der Transferabhängigkeiten – bereits seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten diskutiert werden, wäre der Resilienzansatz eine Möglichkeit, die Finanzausgleichsreform auf das Ziel der Stärkung der Resilienz für alle drei Gebietskörperschaftsebenen auszurichten. Die aktuelle Finanzausgleichsperiode dauert nach aktuellem Stand bis Ende 2023. Die bis dahin verbleibende Zeit bietet die Gelegenheit, sich verstärkt des Themas anzunehmen. Als Ausgangspunkt wäre eine Analyse des aktuellen Finanzausgleichssystems zweckmäßig, um die aktuellen Stärken und Schwächen in Bezug auf die Resilienz herauszuarbeiten. Dabei sollten mehrere potenzielle Krisen im Fokus stehen – von Blackouts über die Pandemie bis zum Klimawandel, um nur einige Beispiele zu nennen.

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