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Dialogischer Prozess: Betreuungsleistungen für MigrantInnen

Verwaltung im Dialog

Pflege- und Betreuungsleistungen für MigrantInnen.

Im Sinne einer integrierten Sozialplanung entwickelte die Magistratsabteilung 24 der Stadt Wien (Gesundheits- und Sozialplanung) gemeinsam mit Christoph Reinprecht (Institut für Soziologie, Universität Wien) einen dialogischen Prozess zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Praxis, in dessen Zentrum die Befragung von 429 BürgerInnen Wiens stand. Das KDZ durfte an dem Fachgespräch von Christoph Reinprecht und Judith Wiesinger über das großartige Projekt teilhaben.

Warum wurde dieses Projekt gestartet?

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Wer stand im Zentrum

der Befragung?

REINPRECHT: Hauptteil der genannten Publikation und damit Basis für die zweite

Projektphase war die Befragung von 429 Wiener MigrantInnen zu ihren Erwartungen an die Pflege- und Betreuungsleistungen. Zentral war, die Personen selbst – auch in ihrer Herkunftssprache - zu Wort kommen zu

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lassen. Dafür wurden Gruppen ausgewählt,

die für die ältere Bevölkerung mit Migrationsgeschichte repräsentativ sind.

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Wie wurde das Projekt gesteuert?

WIESINGER: Das Besondere dieses Projekts ist die starke Vernetzung zwischen

WIESINGER: Ausgangspunkt für das Projekt „Pflege- und Betreuungsleistungen für MigrantInnen in Wien“ war die Beobachtung, dass bestimmte Gruppen der älteren Bevölkerung Wiens ausländischer Herkunft die Angebote und Leistungen der Stadt zu Pflege und Betreuung wenig in Anspruch nehmen. Um die Gründe dafür zu identifizieren und Angebote bzw. Informationen entsprechend anzupassen, wurde das Projekt ins Leben gerufen. Dieses bestand aus zwei Phasen: der Erstellung der Publikation „Einfluss der Migration auf Leistungserbringung und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien“ 1 , die die wissenschaftliche Aufarbeitung der Einflussfaktoren und die auf diesen Erkenntnissen beruhenden Handlungsempfehlungen umfasst, sowie deren Verbreitung und Umsetzung als eigenständige Projektphase. Wissenschaft, Praxis und Verwaltung. In der ersten Projektphase wurde dies durch zwei Gremien sichergestellt: die Steuergruppe und den Beirat. Im Fokus standen aber stets die betroffenen BürgerInnen.

REINPRECHT: Aufgabe der Steuergruppe – sie setzte sich zusammen aus VertreterInnen strategischer und operativer Einrichtungen zu Pflege und Betreuung in Wien und der Wissenschaft – war die Begleitung der Forschung und vor allem die Diskussion der Befragungsergebnisse. In den regelmäßig stattfindenden Sitzungen wurden alle entscheidenden Zwischenschritte der Studie diskutiert und einzelne Aspekte und Auswertungen anhand des praxisnahen Inputs konkretisiert oder bei Bedarf erweitert. >

1 Reinprecht, Christoph (2016): Einfluss der Migration auf Leistungserbringung und Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen in Wien, abrufbar unter: https://www.wien.gv.at/gesundheit/einrichtungen/planung/pdf/migration.pdf (16.04.2018).

Judith Wiesinger (Stadt Wien) und Christoph Reinprechter (Institut für Soziologie) starten eine dialogische Betrachtung.

WIESINGER: Während für die Steuergruppe Verbreitung der Ergebnisse und Handlungsdie vertiefende Diskussion der Befragungsempfehlungen durch alle im Prozess beteiliergebnisse aus Sicht der Praxis im Zentrum gten Personen. Ziel war und ist es, die Ausstand, wurde durch den Beirat die Vernetgestaltung der Angebote anzupassen und zung von ExpertInnen zu den Themen Sensibilität im Umgang mit möglichen Diversität/Migration sowie Pflege und BetreuHemmnissen (wie Diskriminierungserfahung mit städtischen LeistungsanbieterInnen rungen) der MigrantInnen zu stärken. sichergestellt. Die Erhebung bildete die Basis für jene konkreten Handlungsempfehlungen, die im Rahmen eines Workshops 4 Was passierte mit den Ergebnissen? Und wie sind sie von Nutzen? mit den Mitgliedern des Beirates erarbeitet wurden. Die Empfehlungen wurden dann REINPRECHT: Besonders wichtig war uns im Kontext der Befragungsergebnisse in die die Transparenz und Zugänglichkeit der ForPublikation eingebettet. Dieser Schritt leitete schungsergebnisse. Diese sind publiziert und den Übergang in die zweite Projektphase ein. für alle BürgerInnen online abrufbar. Für Diese stand im Zeichen der Präsentation und weiterführende Fragestellungen der Wissenschaft und anderer Verwaltungsbereiche steht eine Langfassung zur Verfügung. Für wissenschaftliche Zwecke kann auf die Daten zurückgegriffen werden. Dies ist auch bereits „ Als Verwaltung ist es unser Anspruch, die geschehen, etwa im Rahmen einer Masterarbeit für eine Vergleichsstudie mit autoch

Angebote der Stadt so treffsicher wie möglich thonen ÖsterreicherInnen. zu gestalten. Dies gelingt dann am besten, wenn die Zielgruppen selbst zu Wort WIESINGER: Die Projektergebnisse fanden kommen und ihre Erwartungen artikulieren zu einem großen Teil in der Umsetzung der können, während gleichzeitig Praxisnähe Strategie „Pflege und Betreuung in Wien sichergestellt wird. Judith Wiesinger, BA BA MA “ 2030“ Eingang. In Form von Präsentationen und schriftlichen Beiträgen wurden die Projektergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Besonderer Fokus lag dabei

darauf, diese Erkenntnisse der Wissenschaft, Interessenvertretungen, NGOs, Ausbildungsstätten, Medien und PraktikerInnen bekannt zu machen. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr das Projekt durch die Anerkennung beim Österreichischen Verwaltungspreis 2017.

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Wir gratulieren an dieser Stelle ganz herzlich. Welche Relevanz hat das Projekt heute?

REINPRECHT: Wichtig ist dabei auch, den Kreis zu schließen und die Brücke zu jenen Personen zu schlagen, die Ausgangspunkt und Zentrum des Projektes waren: den MigrantInnen selbst. Unser Weg ist, zu Organisationen, Vereinen etc. Kontakt aufzunehmen und idealerweise gemeinsam mit Pflegepersonal oder MigrantInnen, die bereits Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, konkret jene Punkte anzusprechen, zu denen in der Befragung Befürchtungen geäußert wurden.

Die Stadt Wien will für alle Pflegegruppen ein Angebot bieten.

„In Bezug auf den Themenkomplex Altern,

Pflege und Migration zirkulieren im Alltag viele unausgesprochene Vorannahmen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist ein analytischer Zugang notwendig, auch um die signifikante Ungleichheitslinie innerhalb der älteren Bevölkerung sichtbar zu machen.

Durch den methodischen Ansatz der direkten

Befragung nimmt die Studie eine Vorreiterrolle im wissenschaftlichen Diskurs ein. “

Ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Reinprecht

WIESINGER: Im großen Interesse am Projekt spiegelt sich die Relevanz des Themas. Die Tatsache, dass so viele – auch unterschiedliche – AkteurInnen die Ergebnisse als relevant für ihre tägliche Arbeit einstufen, führen wir auf den Prozess des dialogischen Feedbacks zurück.

REINPRECHT: Der Zusammenhang von Altern, Migration, Ethnizität, Pflege wurde lange Zeit vernachlässigt. Wichtig für das Thema ist nicht nur eine interdisziplinäre Herangehensweise, sondern eben auch ein dialogischer Ansatz, der die Sicht der Betroffenen miteinbindet.

Danke für das Gespräch.

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AD PERSONAM

Judith Wiesinger, BA BA MA ist Referentin für Sozialberichterstattung der Magistratsabteilung 24 – Gesundheits- und Sozialplanung.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Christoph Reinprecht,

ist Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrationsforschung, Sozialstruktur und soziale Ungleichheit, Politische Soziologie, Theorie und Methodologie partizipativer Interventionsforschung.

verwaltungspreis.at

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