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Geliebter Feind
H I N T E R G R U N D VORERST ABHANDEN GEKOMMEN – DAS GRAZER STADTDERBY GELIEBTER FEIND
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Weil die Feindschaft zwischen Sturm- und GAK-Fans quer durch Familien geht, manchmal sogar Beziehungen daran zu zerbrechen drohen, Eltern auf ihre Kinder die Club-Leidenschaft vererben, erwarten sich die Wissenschaftler endlich Klarheit darüber: Erstmals sollen im Rahmen eines großen Projekts an der Universität Graz Sturm- und GAK-Fans hinsichtlich ihrer Gene untersucht werden. Wo in der DNA ist das schwarzweiße oder rote Gen verankert? Wie kommt es, dass die Feindschaft zwischen Sturm- und GAKFans über Generationen gepflegt wird?
Beide beim Konkursrichter
Spaß beiseite. Diese große Untersuchung wird’s schon einmal geben, aber da wird noch viel Wasser die Mur runterfließen. Was es aber gibt, ist ein neues Buch über die Geschichte des Grazer Stadtderbys von den Jahren 1920 bis zum Jahr 2007 mit dem Titel „Geliebter Feind“ (Leykam Verlag). Eine Gemeinschaftsproduktion der Autoren Wolfgang Kühnelt und Markus Mörth. Ersterer ist ein Roter und Markus Mörth eben ein Schwarzer: „Wir durchlebten bei der Recherche noch einmal den historischen Ablauf: die anfängliche Dominanz des zuerst gegründeten GAK, das Aufkommen von Sturm, die Überlegenheit der Schwarzweißen bis in die 50er-Jahre und die nachfolgenden goldenen Jahre der Roten. Die Auf- und Abstiegskämpfe beider Klubs und der immer stärker werdende Wunsch nach überregionalen Titeln. Dann die große Ära von Sturm mit Ivan Osim und anschließend der scheinbar erlösende erste Meistertitel für die GAK-Gemeinde. Man kennt das vorläufige Ende der Geschichte. Beide Vereine landeten beim Konkursrichter. Sturm hatte das intelligentere Timing und machte wohl auch den deutlicheren Schnitt zur Vergangenheit. Somit hatten die Schwarzen das bessere Ende für sich. Und von einem Ende muss man zumindest für die kommenden Jahre auf jeden Fall sprechen.“ Im Folgenden einige Anekdoten aus dem unterhaltsamen und informativen Buch:
Brasilianer, der keiner war
Über den aus Kärnten stammenden Trainer Gerdi Springer gibt es die schönsten Anekdoten. Er trainierte beide Grazer Klubs, den GAK in den Jahren 1977 und 1978. Eine Anekdote erzählt Werner Gregoritsch, erzrot, jetziger Kapfenberg-Trainer und damals Stürmer beim GAK: „Vier Tage vor dem Derby kommt auf einmal ein schwarzhäutiger Spieler zu uns. Das war abgestimmt mit der Zeitung, mit dem Wilfried Silli, ein Topspieler aus Brasilien, den können wir sofort anmelden. Der trainiert das erste Mal mit und hat den Ball nicht zweimal gaberln können, er hat ihn irgendwohin geschossen, keiner hat gewusst, was mit dem los ist. Am nächsten Tag steht in der Zeitung, das ist die Verstärkung für das Derby. Wir Spieler haben geglaubt, das kann ja nicht möglich sein, der Trainer kann das anscheinend nicht beurteilen. Am Samstag gibt es die Aufstellung. Alle Spieler laufen ein, auch der Brasilianer. Aber er ist dann gleich verschwunden und war nicht mehr dabei. Immerhin waren 20.000 Leute im Stadion und dann hat sich das ganze Rätsel gelöst, dass der Gerdi Springer
Foto Franz Krainer Foto Martin Behr
Foto Friedrich Fischer
sich einen Kolporteur von der Kronenzeitung ausgeborgt hat in Absprache mit dem Journalisten. Man hat den Werbeeffekt gesehen, das war
Marketing vom
Feinsten.“
Große Vielfalt
Logischerweise kommt im Buch auch sehr breit die jüngste Vergangenheit der beiden Klubs zur Sprache, der Niedergang und Konkurs, das Auf und Ab in der Ära Kartnig, die Trainer-Legende Ivica Osim. Weiters Geschichten über Rekord-Torschützen, Freistoß-Spezialisten, den Roten Messias Adi Pinter, den Jahrhundert-Tormann, Mr. Eisenfuß, etliche Statistiken sowie Interviews mit Spielern wie Mario Haas, Ranko Popovic und Kartnig-Widersacher Erich Fuchs, der dessen Sturz letztendlich eingeleitet hat.
Breiten Raum nehmen die letzten zwei Derbys ein, bei denen es Emotionen pur gab.
Derby 1973: links Ivar Schriver und GAK-Goalie Rudi Roth.
Das (vorläufige) Ende
Sonntag, 18. März 2007. Das Stadion in Graz-Liebenau ist mit fast 13.500 Zusehern gut gefüllt. GAK gegen Sturm. Zum 129. Mal in der obersten Spielklasse. Die Stimmung unter den GAKAnhängern ist allerdings alles andere als feierlich. Die einen bangen noch um die Lizenz für den weiteren Verbleib in der Bundesliga, die anderen wissen bereits mehr. In der „Kurve“, dem Sektor 25, hat sich nach neuerlichen Punkteabzügen durch die Bundesliga und nach offensichtlichen Managementfehlern beim GAK gehörige Wut aufgestaut. Es gehen Gerüchte um, dass der Verein gezielt liquidiert werden soll, trotz offizieller Durchhalteparolen. Nach etlichen Diskussionen beschließen die Anführer der Stehplatzfans eine Maßnahme, die in ihren Augen noch harmlos ist: Sie wollen das Derby vorzeitig abbrechen lassen. Dass Sturm bereits in der 3. Minute in Führung geht, trägt auch nicht gerade zur Beruhigung bei.
Amerhauser, Muratovic und Skoro feiern einen Derby-Sieg der Roten. Präsident fleht um Ruhe
Immer neue Kracher und Nebeltöpfe werden gezündet. Der Schiedsrichter ist der Situation sichtlich nicht mehr gewachsen. So marschiert in der 32. Minute GAK-Präsident Sticher auf den Sektor zu und fordert Ruhe. Vielleicht hätte er vorher besser in die Menge geschaut. Dann hätte er Transparente gesehen, die ihn und seine Vorgänger des „Hochverrats“ beschuldigen. Nachdem Sticher von „Blödheiten“ spricht, wird er von Bierbechern getroffen, an sich ein relativ normaler Vorgang auf einem Fußballplatz, im Fall eines Präsidenten doch etwas Besonderes. Aber auch die Kurve erreicht an diesem Tag nicht ihr Ziel. Das Match wird zu Ende gespielt, in der 91. Minute erzielt Filipovic noch ein Tor. Sturm gewinnt verdient mit 0:2. Und die Kleine Zeitung widmet den Fanunruhen am kommenden Tag folgende Headline: „Sperrt diese Irren endlich aus!“
„Oh ist das schön, euch nie mehr zu sehn!“
Achteinhalb Wochen und einen überstandenen GAK-Zwangsausgleich später, am 17. Mai 2007, sind es sogar 15.322 Fans, die sich auf den Weg in die „UPC Arena“ nach Liebenau machen. Sie alle wollen das 130. Derby zwischen Sturm Graz und dem GAK sehen. Es ist nicht irgendein Spiel, es ist das letzte seiner Art. In der 37. Minute trifft Mario Haas, einer der Lieblinge der Sturm-Fans, mit dem Spitz ins Tor. Die Schwarzweißen feiern, so mancher kann sich Hohn und Spott nicht verkneifen und singt ein Lied, das auch die GAK-Fans in dieser Saison schon dem „geliebten Feind“ gewidmet haben: „Oh ist das schön, euch nie mehr zu sehn!“ Hassler und Kollmann vergeben ihre Chancen, nach etwas mehr als 90 Minuten pfeift Schiedsrichter Christian Steindl ab. Endstand 1:0 für Sturm. Dieses Resultat ist durchaus symptomatisch für den weiteren Verlauf der Ereignisse. Sturm schafft die Kehrtwende und bleibt in der höchsten Spielklasse. Der GAK muss erstmals in seiner langen Geschichte in die dritte Leistungsstufe absteigen. Mehr als 100 Jahre hatte man in der Körösistraße, der Heimat des Grazer Athletiksport Klubs, von Titeln geträumt, von Ruhm und wohl auch vom großen Geld. Geblieben war am Ende nicht einmal die Heimstätte im Bezirk Geidorf. Im Tausch gegen ein modernes Trainingszentrum im Norden von Graz, das nicht dem Verein, sondern in Wahrheit der Stadt und den Banken gehörte, hatte man die einstige Wiese an der Murpromenade aufgegeben. Dort, wo im Jahr 1902 die Grazer Derbygeschichte ihren eigentlichen Anfang nahm. ❖
Ungewöhnlich
Es gab fünf außergewöhnlich hohe Siege seit dem Kriegsende nach 1945: Ein 10:1 für Sturm am 16. 6. 1946 noch in der Steirischen Liga, ein 1:6 auswärts für den GAK im November 1956 in der Staatsliga A, ein 5:2 im MeisterPlayoff für Sturm im April 1988, ein 6:1 für Sturm im März 2000 in der Bundesliga und ein 0:5 für den GAK auswärts im März 2003 in der Bundesliga.