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der Frau am nächsten
HAUCH VON LUXUS UND KNISTERNDER EROTIK –KULTURGESCHICHTE IN SPITZE UND SEIDE … DER FRAU AM NÄCHSTEN
Sie haben die Auslagen der Wäscheboutiquen und Modegeschäfte erobert, verschönern Plakatwände und füllen Seiten selbst in den biedersten Versandhauskatalogen. Immer verströmten sie einen Hauch von betörendem Luxus und knisternder Erotik: Dessous – jener Teil der Kleidung, der einer Frau am nächsten ist.
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Dass sie heute einen selbstverständlichen Platz im Wäschekasten errungen haben, ist gar nicht so selbstverständlich. Denn obwohl im Prinzip nichts anderes als eben Unterwäsche, sind sie untrennbar mit der Geschichte der Frau und ihrem – aufgezwungenen oder frei akzeptierten – Rollenbild verbunden. Sie sind ein Indikator weiblicher Kulturgeschichte und spiegeln alle Höhen und Tiefen wider. So kurios es im ersten Augenblick klingen mag: Was sich äußerlich zwischen Entmündigung und Selbstverwirklichung manifestiert, findet seine Entsprechung zwischen Haut und Oberbekleidung. Das freizügig-verspielte „Darunter“ ist erst rund ein Jahrhundert alt. Frühe Formen findet man aber bereits im Altertum –und wahrscheinlich sind sie überhaupt so alt wie das weibliche Selbstverständnis. Die Frauen der griechischen und römischen Antike trugen unter ihrer äußeren Schutzkleidung nur eine Art längerer Hemden. Allerdings lassen bildliche Darstellungen dieser Epoche keinen Zweifel daran, dass sie trotzdem – mit Hilfe kunstvoll gewundener Bänder – ihre Reize in einen entsprechenden textilen Rahmen zu setzen wussten. Die Frau der Antike war die Schwester der Göttinnen. Und sie hatte keinen Grund, diesen Umstand zu verheimlichen.
Nachthemden mit „Eheklappe“
Mit der Christianisierung des Abendlandes wurde die Göttin zur teuflischen Versuchung der armen – männlichen – Sünder gestempelt. Das finstere Mittelalter wandte seine dunkelste Seite der Frau zu. Die klerikale Weibsverdammung führte zu den Exzessen der Hexenverbrennung. Und zu Nachthemden mit „Eheklappe“: Von Hals bis Fuß in grobes Leinen gehüllt, mit einem knöpfbaren Latz an der bewussten Stelle – so musste sich der Mann bei der Erfüllung ehelicher Pflichten nicht mit der Berührung seiner Frau verunreinigen. Nachthemd und Scheiterhaufen – beide entsprangen dem völligen Unverständnis gegenüber der Frau. Und der panischen männlichen Angst vor dem Geheimnisvollen an ihr. Unterdrückung, Entmündigung – bis zu den durchaus ernstgemeinten Überlegungen jenseitsorientierter Philosophen, ob die Frau überhaupt über eine Seele verfüge. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frau schließlich regelrecht die Gefangene ihrer eigenen Wäsche: Die letzte Schlacht gegen die Leibeigenschaft fand ihren Ausdruck in einem furchterregenden Korsett, in das die Frau auch äußerlich eingezwängt war. Eingeschnürt von den Schultern bis zu den Schenkeln, begann das Korsett ihre Weichteile zu schädigen. Ihre natürliche Gestalt völlig umgekrempelt, schien die Frau von der sadistischen Laune eines Körperstylisten besiegt.
Sie hat die Hosen an
Es kam aber ganz anders. Denn um die Jahrhundertwende passierte dann auf dem durch sozialdemokratisches Gedankengut vorbereiteten Boden Entscheidendes: Erstmals erhielten Frauen Zugang zu höherer Bildung, zu den Universitäten. Und postwendend schmissen sie das Korsett auf den Müll. Ebenfalls um diese Zeit schlüpft die Frau erstmals ins Höschen.
Und stellt damit klar, womit sich die Männerwelt nun abzufinden hat: Sie hat die Hosen an. Die Frau ist nicht mehr frei verfügbar für männliche Zu- und Übergriffe. Sie hat ihnen etwas entgegenzusetzen. Im Leben wie in der Wäsche. Die verspielten Dessous, die im Lifestyle der verrückten 20erJahre ihren ersten Höhepunkt finden, ändern gar nichts daran. Sie sind ein Ausdruck der Lebensfreude beim Tanz auf dem Vulkan.
Baby Doll
Ende der 50er-Jahre spitzt sich die Situation zu: Die Kunststofftechnik mit ihrem Perlon und Nylon verhilft der Strumpfhose zu ihrem Siegeszug. Dem sich aber das populäre Idealbild des Films widersetzt. Niemand wird Ava Gardner mit Strumpfhosen in Verbindung bringen. Marilyn Monroe ohne Netzstrümpfe –unvorstellbar. Ihr Einfluss auf das wirkliche Leben war dagegen nicht der Rede wert. Einzig Jane Fonda hielt mit dem „Baby Doll“ Einzug in die jungbürgerlichen Schlafzimmer. Ansonst: Die Sachlichkeit von Jeans und Pullover war von keinem Strumpfband zu durchbrechen. Unter der Nützlichkeit schien die Verspieltheit der Spitzen begraben und vergessen. Mit den Feministinnen als Totengräber: Sie sahen in allem, was über die auf das Nötigste reduzierte Zweckmäßigkeit hinausging, einen Angriff auf die Freiheit der Frau. Und dann, so Mitte der 70er-Jahre, das glanzvolle Comeback der Dessous: Eine echte Wiederkehr, kein Designer-Spleen und keine kurzlebige Mode. Denn erstmals in der Geschichte – ausgenommen vielleicht die Antike – wählt die Frau in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstständigkeit das, was ihrer Haut am nächsten kommt, auch selbst. Und sie genießt das feine Prickeln und seidige Knistern als eine Huldigung an ihren Körper. Nicht immer und nicht ausschließlich. Nur, wenn sie will, und nur dann, wann sie will. Damit aber zeigt sich die weibliche Unterwäsche wieder als das, was sie in der Kulturgeschichte immer war: Der Indikator für Selbstverständnis und gesellschaftliche Stellung der Frau. In allen ihren Facetten und Ausprägungen. ❖
Quelle: Klipp-Archiv M. Neuhold