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Interview mit Anjes Tjarks, Senator

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MEIN ARBEITSPLATZ

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Sagen Sie mal …

… Anjes Tjarks, Senator für Verkehr und Mobilitätswende „Es geht nicht nur um Radwege!“

Anjes Tjarks will den Verkehr in Hamburg gundlegend reformieren, wofür er stark kritisiert wurde. Im Interview verrät er, warum die Mobilitätswende für Hamburg alternativlos ist.

Herr Tjarks, im Zusammenhang mit Ihrem Amt wird oft davon gesprochen, dass Sie Hamburg zur Fahrradstadt umbauen. Da schwingt für viele die Angst mit, dass Sie das Auto verbieten wollen. Wollen Sie das Auto verbieten?

Nein. Wir planen weiterhin ein Szenario mit Autoverkehr, natürlich nach Möglichkeit mit emissionsfreien Autos. Vor dem Hintergrund ist diese Sorge grundlos. Ich kann sagen, dass wir im vergangenen Jahr auch viele Meter Straße saniert haben sowie auch andere Teile der öffentlichen Infrastruktur – eben nicht nur Radwege, sondern auch Straßen, weil es natürlich auch darum geht, die öffentliche Infrastruktur zu erhalten.

Wie viel Autoverkehr wäre gesund für diese Stadt?

Das kann man nicht in einem einzigen Maßstab abbilden. Der Senat hat das Ziel gesetzt, dass nur 20 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden sollen. Aktuell sind es 36 Prozent. Das heißt, wir wollen den Anteil von Bus, Bahn, Fußverkehr und Fahrrad von 64 auf 80 Prozent steigern. Das muss natürlich in Einklang gebracht werden mit den Klimazielen.

Was verstehen Sie unter Mobilitätswende?

Ich verstehe darunter die Schaffung neuer Angebote von Bus, Bahn und Fahrrad sowie den Ausbau der digitalen Mobilität und grundsätzlich, den Verkehr in Hamburg umzusteuern von einer sehr autogerechten Verkehrsplanung hin zu einer Verkehrsplanung der Mobilitätswende.

Warum ist die Mobilitätswende so wichtig für uns?

Aus zwei Gründen. Der erste ist, damit Hamburg mobil bleibt. Es gibt zwei große Studien: „Mobilität in Deutschland“ aus 2008 und 2018. In diesem Zeitraum ist die Zahl der in Hamburg täglich zurückgelegten Wege von 50 auf 70 Millionen Personenkilometer gestiegen. Das heißt, wir haben eine Verkehrszunahme von 40 Prozent, quer über alle Verkehrsträger. Das kommt daher, dass wir mehr Menschen in der Stadt haben.

Hamburg wird weiter wachsen. Wenn wir mobiler werden wollen oder so mobil bleiben wollen, wie wir jetzt sind, muss der Einzelne weniger Platz einnehmen. Das ist eine zwingende Voraussetzung und das ist die Mobilitätswende. Und der zweite Grund ist: Wir haben ein großes, weltumspannendes Klimathema. Wir müssen die Klimaziele erreichen. Und die sind sehr eindeutig. Sie sagen, wir müssen mit weniger Autos und vor allen Dingen mit noch viel weniger Verbrennungsmotoren dieselbe Mobilität erzeugen.

FOTO: SENATSKANZLEI HAMBURG

Für Senator Tjarks steht fest: Der Verkehr kommt durch sicheren Radverkehr wieder ins Rollen Sie haben den Klimaschutz angesprochen. Welchen Stellenwert hat das Elektroauto bei der Mobilitätswende und dem Klimaschutz?

Es ist völlig klar, dass wir ohne verbrennungsfreie Autos die Klimaziele im Verkehr nicht erreichen werden. Und deswegen haben verbrennungsfreie Autos, und hier sicherlich die Elektromobilität, eine ganz zentrale Rolle. Ich möchte aber auch sagen, nur alleine die Förderung der Elektromobilität reicht nicht aus. Es muss sich auch weniger Verkehr auf der Straße bewegen. Das gilt zumindest für die Mobilitätswende in Hamburg.

Gibt es bereits messbare Ergebnisse bei der Elektromobilität?

Wir stehen am Anfang einer Entwicklung. Aber die Entwicklung ist sehr klar zu erkennen. Wir haben deutlich weniger Autoverkehr in Hamburg als vor Corona und wir haben auf jeden Fall schon mehr Ladevorgänge als vor der Pandemie, weil es eben jetzt deutlich mehr Elektroautos gibt. Wir sehen, dass die Zulassungszahlen sehr stark in dem Bereich steigen.

Ohne verbrennungsfreie Autos erreichen wir die Klimaziele im Verkehr nicht.

Kommen wir zum ÖPNV. Die Menschen aus den Randgebieten wollen einfach und bezahlbar in die Innenstadt kommen. Soll zukünftig mehr öffentlicher Personennahverkehr auf gering befahrenen Strecken gefördert werden?

Ich wäre ehrlicherweise froh, wenn in Richtung Umland und in Richtung Bahn-Anbindung überhaupt Strecken gefördert werden. Wir bauen jetzt mit großem Aufwand die S4, die ein wirklich großes Projekt ist. Aber wir haben natürlich an verschiedenen Stellen große Herausforderungen. Wir müssen die S-Bahn nach Harburg deutlich verbessern. Wir reden etwa in Schleswig-Holstein über ein drittes und viertes Gleis zwischen Pinneberg und Elmshorn.

Wir brauchen auf jeder Strecke, die nach Hamburg führt, einen viergleisigen Zulauf und müssen selbst in der Stadt mehr Kapazitäten schaffen, weil unser Hauptbahnhof zu klein ist. Wir dürfen aber bei allen Neubauaktivitäten auch die Bestandsstrecken nicht vergessen.

Anjes Tjarks (Die Grünen) ist seit Juni 2020 der erste Senator für Verkehr und Mobilitätswende

Sie sagten bereits, der Hauptbahnhof ist zu klein für die Kapazität, die er liefern muss. Der

Bahnhof Diebsteich soll ihn entlasten. Denken

Sie, das wird gelingen?

Man braucht beides, man braucht einen leistungsfähigen Bahnhof Diebsteich und man braucht einen größeren Hauptbahnhof. Wir gehen davon aus, dass in 20 Jahren der

Hauptbahnhof nicht 500.000, sondern 750.000 Passagiere täglich abfertigen wird. Und das zeigt einfach, Wir brauchen dass wir diesen Hauptbahnhof größer madas Doppelte chen müssen, sowohl an öffentlichem was die GleisfunktionaNahverkehr, lität als auch was die um die Wende Personenströme angeht. einzuleiten. Da ist das Stichwort städtebaulicher Wettbewerb, also dass der

Hauptbahnhof in sich größer werden muss.

Die Digitalisierung spielt auch hier eine zentrale Rolle. Aber es ist ein abstrakter Begriff. Was meint die Digitalisierung hier?

Einfach übersetzt sollen die Züge in kürzeren Abständen fahren können. Und deswegen kriegen sie mehr Züge auf dieselbe Struktur. Und dadurch können Sie mehr Menschen in einem besseren Takt transportieren. Wir brauchen die Digitalisierung. Aber man muss sich vor Augen halten: Die einzige Strecke der digitalen Schiene in Deutschland, die es bislang überhaupt gibt, haben wir bei der S2 von Berliner Tor nach Bergedorf.

Was sind die großen Schwierigkeiten bei Ihrer Arbeit und was bräuchten Sie eigentlich noch, um ein optimales Ergebnis zu erreichen?

Beim Eisenbahnverkehr ist das relativ klar. Wir brauchen eine größere und leistungsfähigere Infrastruktur. Das sind Prozesse, die nicht von heute auf morgen gehen, und deswegen werden wir hier auf allen Ebenen versuchen, sie anzustoßen. Dabei muss man nicht nur neu bauen.

Auch die Sanierung und die Digitalisierung müssen im Vordergrund stehen. Bei anderen Themen, etwa was den Bau von Radwegen oder die Sanierung von Straßen anbelangt, geht zwar noch ein bisschen mehr, aber da sind wir auch an der Grenze dessen, was unsere Stadt tun kann.

Es würde uns natürlich sehr helfen, wenn die Bundesregierung Impulse gäbe. Insbesondere für den öffentlichen Nahverkehr. Denn die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in ganz Deutschland steht aktuell aufgrund der Corona-Pandemie auf wackeligen Beinen.

Das bedeutet?

Wir brauchen eigentlich das Doppelte an öffentlichem Nahverkehr, um die Mobilitätswende tatsächlich einzuleiten. Und es wäre ganz praktisch, wenn wir eine Straßenverkehrsordnung hätten, die etwas anderes kennt, als die Leichtigkeit des Autoverkehrs zu fördern. Also sprich, solche Themen wie Klimaschutz, wie Vision Zero – also null Verkehrstote –, wie die Minderung von Abgasen und Stickoxiden müsste sie in ihren Forderungen aufgreifen, weil man dann eine Straßenverkehrsordnung hätte, die in vielen Teilen der Großstadt auch angemessen wäre.

Womit steht und fällt die Mobilitätswende in Hamburg?

Sie steht und fällt mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, und zwar im Sinne von Ausbau der schnellen Bahnlinien, Modernisierung der vorhandenen Schnellbahn und ihrer Digitalisierung.

Sie steht und fällt mit der Frage des Hamburg Takts und der Entwicklung eines attraktiven Angebots, das auch Ende der 20er Jahre autonome Fahrzeuge mit beinhalten wird.

Sie steht und fällt mit der Frage, ob wir ordentliche Radwege bekommen, die durchgängig sind, die geschützt sind und die allen Personengruppen, die Fahrrad fahren wollen, tatsächlich angstfrei offenstehen.

Herr Tjarks, der KLÖNSCHNACK dankt Ihnen für das Gespräch.

Interview: michael.wendland@kloenschnack.de sophie.rhine@kloenschnack.de Infos: www.hamburg.de/bvm

ZUR PERSON: Anjes Tjarks

ist seit März 2013 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Von 2013 bis 2015 war er dort Parlamentarischer Geschäftführer der Grünen-Fraktion. Der studierte Lehrer ist seit Juni 2020 als Senator der neu geschaffenen Behörde für Verkehr und Mobilitätswende in der Landesregierung. Vielfach geriet er für seine Bemühungen um eine fahrradfreundlichere und autoärmere Stadt in die Diskussion. Das wachsende Verkehrsaufkommen und der öffentliche Ruf nach mehr Klimaschutz könnten ihm nun mehr Rückhalt geben. Tjarks betont, dass es ihm um Erhalt und Förderung der Mobilität geht.

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