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REISEN IM KLIMASCHONGANG

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MEIN ARBEITSPLATZ

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FOTO: DANR13-FOTOLIA.COM

Die meisten Menschen reisen mit Laptop und arbeiten während der Bahnfahrt. Sehr häufig sind auch Smartphonses aber seltener Bücher zu sehen.

C02-Fußabdruck Reisen im Klimaschongang

Es ist wieder Wahlkampf in Deutschland. Die Klimapolitik beschäftigt die Politiker und alle Parteien sind bemüht, diesem Thema einen besonderen Stellenwert im eigenen Programm einzuräumen. Viel wird darüber geredet und gestritten.

Verheerende Bilder aus Überschwemmungsgebieten vor allem im Westen des Landes heizen die Debatte an. Während sich hier kleine Flüsschen minutenschnell in reißende Ströme verwandelten, die ganze Ortschaften vernichteten, kämpften im Mittelmeerraum die Bewohner bei sengender Hitze gegen Waldbrände. Derartige Bilder verdrängen die täglichen medizinischen Bulletins der Virologen zum Corona-Infektionsgeschehen auf einen hinteren Platz der Nachrichten.

Die Entwicklung ist nicht spurlos an mir vorübergegangen. Auch ich werde umweltbewusster. Erstmalig habe ich mich gegen einen Flug nach Berlin und für die Bahn entschieden. Zugfahren gehört nicht zu meiner Leidenschaft, weshalb ich es vermieden habe, wann immer es vertretbar war. Bei einer Reise von München nach Berlin fällt es mir aber schwer, vernünftige Gründe zu finden. Die reine Flugzeit ist mit 50 Minuten kurz. Die Flughäfen beider Städte aber liegen weit außerhalb des Zentrums, die An- und Abreise dauert entsprechend lang. Rechnet man noch die Wartezeit vor dem Abflug dazu, nähert man sich auch schon mit dem Zug Berlin. Von einem Opfer für die Umwelt kann folglich kaum die Rede sein. Es beruhigt aber das Gewissen. Lange habe ich den Flug mit dem Argument gerechtfertigt, die Bahnpreise seien im Vergleich zum Fliegen zu hoch. Wie ich heute weiß, muss man die Angebote der Bahn im Internet nur genau studieren und findet sicher günstige Sparpreise, die dieses Argument entkräften. Auch hier gilt – Übung und Erfahrung machen den Meister.

Ich buchte mein Ticket online und los ging es mit viel Lesestoff in der Tasche. Aber Gedrucktes ist offenbar nicht mehr zeitgemäß. Heute reist man mit Laptop, arbeitet während der Fahrt oder lässt sich auf unterschiedliche Weise unterhalten. Während wir aus dem Bahnhof rollen, macht es sich auf der anderen Gangseite eine junge Frau für die nächsten Stunden bequem: Auf dem kleinen Klapptisch platziert sie ihr Notebook, richtet den Bildschirm so aus, dass sie in bequemer Haltung ihr persönliches Bordprogramm genießen kann. Für das leibliche Wohl sorgen Kaffee aus dem Pappbecher und jede Menge Schokoriegel. Mein Abteil ist im Ruhebereich, also ist Telefonieren unerwünscht. Der Reisende soll schließlich entspannen können. Schaut man im Abteil herum, sind die Fahrgäste entweder mit ihrem Laptop beschäftigt oder halten ein Smartphone in der Hand. Es eignet sich perfekt zur Bordunterhaltung. Ob Film, Podcast, Musik oder Spiele, bis Berlin ist für Entertainment gesorgt. Das gilt sogar für die Allerkleinsten. Ein paar Reihen weiter sitzt ein junges Paar mit einem kleinen Kind. Auf dem Schoß hat es einen rosa Plastiklaptop. Mit jeder Taste, die es drückt, erscheint ein anderes Bild auf dem Bildschirm. Und jedes Bild wird mit einer kleinen Melodie akustisch begleitet. Klingt doch nett, würde ich normalerweise denken. Aber nach zwei Stunden habe ich die kleine Melodie nicht nur im Kopf, ich bekomme sie auch nicht mehr heraus. Egal wo ich mich im Zug bewege, die Melodie begleitet mich. Warum drückt das Kind nur diese eine Taste, wäre doch auch mal interessant, was die anderen Bilder zu bieten hätten. Aber hier greift offenbar das Gewohnheitsprinzip. Irgendwann verstummt das Spielzeug, das Kind ist fest eingeschlafen. Dafür klingelt das Handy der jungen Frau hinter mir. Sie nimmt das Gespräch mit dem Hinweis an, sie säße im Ruheabteil. Was dann folgt ist die Erörterung eines handfesten Ehekrachs am Vorabend. Die geforderte Ruhe hat sie bei all ihren Emotionen ganz vergessen. Das Telefonat dauert ziemlich lang und endet erst in Berlin-Gesundbrunnen. Da waren wir ja fast schon da. Barbara Herles, 63, besuchte die Deutsche Journalistenschule Zugfahren nach Berlin ist bestimmt lang und öde, hatte ich gedacht. Aber die Fahrt und studierte an der Ludwig- verging schnell und ich fühlte mich auch Maximilians-Universität in Mün chen. Mehr als 20 Jahre lang organisierte sie für eine überre- ohne Gebrauch von Smartphone und Lap top gut unterhalten. gionale Tageszeitung nationale und internationale Veranstaltungen. Seit Anfang 2020 arbeitet Es war sicher nicht meine letzte Fahrt im ICE nach Berlin. Das ist gut für die Umwelt sie freiberuflich. und meinen persönlichen CO2-Fußabdruck. Barbara Herles

„Die Entwicklung ist nicht spurlos an mir vorübergegangen …”

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