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Obst!

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Mensch des Monats

Mensch des Monats

Nordeuropas größes Anbaugebiet für Kirschen, Äpfel, Pflaumen und allerlei verwandten Obstsorten liegt in der Nachbarschaft. Der klönschnack hat sich zur Hauptsaison auf den Apfelplantagen umgesehen.

An apple a day keeps the doctor away! Das hörten viele schon von ihren Großeltern, es ist also kein Geheimnis dass Äpfel gesund sind, ist kein Geheimnis. Und im Gegensatz zu exotischem Obst wie Ananas oder Aprikosen müssen wir Hamburger für frische Äpfel gar nicht weit fahren, um den Apfelanbau unter die Lupe zu nehmen: Das Alte Land ist mit einer Gesamtlänge von 35 Kilometern das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Deutschlands. Mehr als zehn Millionen Apfel-, Kirsch-, Birnenund Zwetschgenbäume wachsen dort. Der Marschboden ist besonders fruchtbar und das milde Klima in der Region ist optimal für Kern- und Steinobst. Und im September beginnt die Hochsaison!

Ein Ausflug lohnt sich auf jeden Fall: Auf vielen Obsthöfen kann man selber Äpfel pflücken, Apfelsaft pressen, im Hofladen stöbern und im Hofcafé schlemmen oder auch in zwei Stunden sein Wissen rund um den Apfel testen und sich das Altländer Apfeldiplom verdienen.

Aber was man bei einem Spaziergang durch die Apfelbäume schnell vergisst: Der Apfelanbau ist ein großer und wichtiger Wirtschaftszweig der Hamburger Landwirt- schaft. Etwa 100 Obstbaubetriebe – häufig traditionell geführte Familienbetriebe – und alle Mitarbeitenden leben von den Äpfeln. Eine schlechte Ernte kann hier Existenzen zerstören.

Danach sieht es in diesem Jahr nicht aus. Zwar wird die Ernte nicht so hoch ausfallen wie im Vorjahr, aber zufrieden können die meisten Höfe dennoch sein: „Vergangenes Jahr war super, dieses Jahr eher mittelmäßig, aber das ist die ganz normale Alternanz: Die Bäume können nicht jedes Jahr gleichviele Früchte tragen“, sagt Ulrich Harms, Vorstandsmitglied des Bauernverbands Hamburg und Eigentümer des Obsthofs Brackenburg. „Die Qualität sieht aber richtig gut aus.“

Ähnlich fällt das Fazit auf weiteren Höfen in Hamburg und Umgebung aus: Die Ernte sei zwar nicht ganz so hoch wie im Vorjahr, aber dennoch zufriedenstellend.

Trotz niedrigerer Ernteerwartung bleiben Äpfel das mit Abstand am meisten geerntete Baumobst in Deutschland. Die Obstbaubetriebe erwarten deutschlandweit eine Apfelernte von rund 889.000 Tonnen. Wie das Statistische Bundesamt Destatis nach einer ersten Schätzung vom Juli mitteilt, werden damit voraussichtlich 182.000 Tonnen weniger Äpfel geerntet als im ertragreichen Vorjahr – das sind rund 17 Prozent weniger. Gegenüber dem zehnjährigen Durchschnitt wird die diesjährige Apfelernte nach ersten Prognosen um 92.000 Tonnen und damit etwa 9,4 Prozent niedriger ausfallen.

Ein Faktor, der immer eine Rolle spielt, ist natürlich das Wetter. Zum Zeitpunkt der Blüte war es dieses Jahr sehr kalt, was zum Teil für Frostschäden gesorgt hat, die darauffolgende frühsommerliche Hitze und dann wiederum eine lange Regenphase waren nicht optimal für die Bäume. Aber auch nicht dramatisch. „In der Trockenphase musste man die Pflanzen bewässern, der viele Regen hingegen schadet den Apfelbäumen nicht wirklich“, sagt Dirk Kleinwort, Inhaber des größten Obsthofs in Wedel. Ulrich Harms stimmt zu: „Wir sind gut vorbereitet auf verschiedene Witterungen. Gegen frühen Frost kann man sich mit Frostschutzberegnung helfen, so erfrieren keine Blüten oder Bäume und die Erträge sind gesichert. Gegen Trockenheit haben wir Wasservorräte in Auffangbecken und können den Hof dementsprechend bewässern.“

Man merkt den Klimawandel also langsam, aber noch keine wirklich negativen Auswirkungen: „Man muss sich auf immer mehr Extrem-Wetterereignisse einstellen“, erklärt Dirk Kleinwort. „Gegen manche, wie Hitze und Dürre, kann man etwas tun, gegen andere nicht. Wenn Tischtennisballgroße Hagelkörner auf die Äpfel fallen, sind sie hinüber. Aber das hatten wir hier zum Glück nicht.“

Bisher hat der Klimawandel sogar eigentlich Vorteile für den Obstanbau: „Es war hier oft hart an der Grenze mit Licht und Sonne“, sagt Ulrich Harms. „Jetzt wird es leichter, viele Sorten kommen mit den Bedingungen gut zurecht.“ Allerdings nicht alle: Der Holsteiner Cox konnte mit dem rauen, nordischen Klima super umgehen. Mit wärmeren Sommern hat er Probleme, er wird glasig.

Und immer weniger angebaut. „Gar nicht unbedingt wegen der wärmeren Temperaturen, er ist am Markt einfach nicht mehr so gefragt“, weiß Harms.

Der Markt regelt hier also und bestimmt, welche Sorten gefragt sind. „Das ist nicht immer leicht, denn wir können nicht besonders schnell auf verändertes Konsumverhalten reagieren“, erklärt Ulrike Schuback vom Obstparadies Schuback in Westerjork. „Wenn wir eine neue Sorte pflanzen, dauert es drei bis vier Jahre, bis sie wirklich Früchte trägt.“

An neuen Sorten wird aber kontinuierlich geforscht. Und zwar ebenfalls im Alten Land, im Obstbauzentrum Esteburg. Der Versuchsbetrieb bei Jork experimentiert auf rund 30 Hektar Anbau- und Versuchsfläche mit Kern- und Steinobst. Sprich, hier werden neue Bäume und Sorten mit Äpfeln, Birnen, Süßkirschen, Sauerkirschen sowie Pflaumen und Zwetschgen gezüchtet. Eine betriebseigene Baumschule und

„Wir können nicht schnell genug auf das Konsumverhalten reagieren. Es dauert mehrere Jahre, bis neue Bäume Früchte tragen.“ ein kooperierender Praxisbetrieb sorgen für die Anzucht der Obstbäume für neue Versuchsreihen.

Oberstes Prinzip ist die kontinuierliche Suche nach Verbesserungen. Bei allen genannten Obstarten werden neue Sorten geprüft sowie Pflanzsysteme und Pflanzdichten optimiert. Hier müssen neue, teils weltweit beschaffte Sorten zeigen, was sie leisten können. Gleichzeitig wird ermittelt, unter welchen Bedingungen die Pflanzen am besten tragen: Dabei geht es unter anderem um Pflanzabstände, Ausdünnung, Schnitt und Erntezeitpunkt. Wichtig ist auch die Vereinbarkeit mit anderen Sorten.

Wenn sich eine neue Sorte bewährt, wird versucht, sie auf den Markt zu bringen. Ob das klappt, hängt dann davon ab, ob sich Käuferinnen und Käufer finden – sowohl im Kleinen als auch im Großen. Denn wenn der Großhandel nicht bereit zur Abnahme ist, hat der Apfel es schwer. „Dafür wird häufig gepoolt“, sagt Dirk

Kleinwort. Das bedeutet, dass alle Höfe, die die neue Sorte anbauen, sich zusammentun, um manchmal einen oder mehrere Supermärkte zu beliefern. „Da ist wichtig, dass man nicht nur zwei Wochen liefern kann, sondern bestenfalls mehrere Monate“, erklärt Kleinwort. Rolf Meyer, Vorstandsmitglied des Bauernverbands Hamburg und Eigentümer des Obsthofs Meyer in Neuenfelde, stimmt zu: „Wir hatten schon neue Sorten, die gescheitert sind, aufgrund der zu geringen Menge nicht aufgrund von Qualitätsmerkmalen oder Geschmack.“

Aber wozu braucht man eigentlich immer neue Sorten? Wegen des Klimas scheinbar noch nicht. Dennoch wird weltweit geforscht, berichtet Rolf Meyer: „Es geht darum, möglichst resistente Sorten zu züchten. Die immun gegen Schädlinge und Krankheiten sind, damit weniger Pflanzenschutz betrieben werden muss.“

Eine Sorte, die neu gezüchtet wird, ist zum Beispiel immun gegen den Schorfpilz, der insbe- sondere in feuchten Sommern die Pflanzen angreift. „Dagegen müssen wir die Bäume bisher prophylaktisch schützen und viele Menschen sind direkt skeptisch, wenn auf Feldern etwas gespritzt wird“, sagt Rolf Meyer. „Dabei haben wir in Deutschland die strengste Pflanzenschutzbestimmung weltweit und alle Höfe sind QS-zertifiziert, um Teil des Handels zu sein.“

Manche Sorten schaffen es aber auch aus der Züchtung schnell in den Handel. So ist „Wellant“ zum Beispiel seit einigen Jahren sehr gefragt und fast in allen Supermärkten zu finden, obwohl der Newcomer aus den Niederlanden erst seit 2008 eingetragen und geschützt ist. Sein Vorteil: Er löst bei Allergikerinnen und Allergikern kaum Beschwerden aus und kann von fast allen verputzt werden.

Auch regionale Sorten wie „Fräulein“, „Deichperle“ oder „Red Passion“ verbreiten sich nach und nach. „Manchmal haben gerade unbekannte Sorten einen Aha-Effekt bei den Käuferinnen und Käufern“, sagt Ulrike Schuback. „Aber eher auf Märkten oder im Hofladen, wo die Menschen sich auch gerne beraten lassen. Im Großhandel bleibt es schwer, dafür Werbung zu machen.“

Der Großhandel ist auch nochmal ein Thema für sich. Kleine Betriebe wie das Obstparadies Kleinwort versuchen, nicht mehr auf diesen angewiesen zu sein. „Großhandel und Zentrale sind zwei weitere Zwischenschritte und zwei weitere Positionen, die an den Äpfeln verdienen wollen. Die versuchen wir wegzulassen und direkt an die Verbraucher zu verkaufen“, erklärt Dirk Kleinwort. Denn der Großhandel versucht dementsprechend die Preise niedrig zu halten. „Im Hofladen und auf dem Markt setzt man selber die Preise und dann natürlich so, dass man Gewinn macht“, ergänzt Ulrich Harms.

Beim Großhandel wird schon gepokert, wann der beste Zeitpunkt zum Verkaufen ist. Da ist es natürlich von Vorteil, dass die Äpfel sich bei besten Lagerbedingungen unter Sauerstoffentzug mehrere Monate entspannt halten. „Pflaumen und Zwetschgen kann ich mittlerweile fast erst verkaufen, wenn die Ladungen aus Polen weg sind“, ärgert sich Rolf Meyer. „Manche REWE-Märkte wollen keine deutschen Kirschen mehr verkaufen.“

Auch bei Ulrike Schuback ist das ein Pro- blem: „Aus Polen kommen fast viermal so viele Äpfel hier an den Markt, ganz zu Schweigen von China“, sagt Ulrike Schuback. Und sowohl die europäischen Nachbarn als auch China drücken natürlich auf die Preise: „Wir haben hier ganz andere Sozialstandards und einen viel höheren Mindestlohn“, erklärt Rolf Meyer. „Allein dadurch haben wir Probleme, bei den Preisen aus dem Ausland mitzuhalten und konkurrenzfähig zu bleiben.“

Zudem steigen auch an allen anderen Enden die Produktionskosten: Wasser, Energie, Lieferungen werden kostenintensiver. Und das Personal wird nicht nur teurer, es fehlt hier ebenso wie in den meisten anderen Branchen. „Wir finden nur sehr schwer und zu wenig Erntehelfer“, sagt Rolf Meyer. „Manche wollen, zum Beispiel Geflüchtete, dürfen aber nicht oder nur mit sehr viel Bürokratie.“

„Wir ernten fast nur noch mit der Familie“, sagt Dirk Kleinwort. Da sind die „nur“ zehn Hektar Fläche von Vorteil, bei der vierfachen

Größe wird das schwer. „Man weiß nicht, wo die Reise hingeht, aber ich glaube, mittelgroße Betriebe haben es am schwersten. Es halten sich nur die kleinen, familiären oder die Großbetriebe, die sich neue Technik leisten können und über die Masse an Gewinn kommen.“ Auch Ulrich Harms hat Sorge: „Auf lange Sicht müssen sich die Preise anpassen, so dass auch wir Obstbauern immer Gewinne erwirtschaften. Sonst gehen die Strukturen nach und nach kaputt und das wäre wirklich schade.“

Nicht zuletzt, um das zu schaffen und auch den Konsumentinnen und Konsumenten wieder mehr ins Bewusstsein zu bringen, was hinter dem Produkt Apfel alles hintersteht, gibt es Apfelfeste, Führungen und Apfelzertifikate.

„Wir versuchen, den Menschen Obst als Erlebniseinkauf näherzubringen“, sagt Ulrike Schuback. „Wir wollen die Berührungsängste nehmen, Spaß bringen.“

Also – vielleicht testen Sie ja mal die neuen, unbekannten Sor- ten oder gehen selber pflücken! Ach, und wussten Sie, was entscheidend für die Färbung der Äpfel ist? Es sind nämlich nicht nur die Sonnenstrahlen. „Feuchtigkeit und Temperaturunterschiede“, sagt Dirk Kleinwort. „Vereinfacht: kalte Nächte, Nebel am Morgen und warme Tage. Dann werden die Äpfel richtig schön knallig.“

Autorin: sophie.rhine@funkemedien.de

ZUR SACHE:

Altländer Apfelwochen

Von Ende August bis Ende Oktober dreht sich im Alten Land alles um die runden Früchte. 18 Obsthöfe machen bei den Apfelwochen mit und laden zu einem Besuch ein. Es werden Führungen und Treckerfahrten angeboten, Yoga unter Apfelbäumen, Verkostungen, Radtouren oder auch Apfelfeste mit Herbstmarkt und Bühnenprogramm.

Alle Infos und Zeiten unter www.tourismus-altesland.de

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