Lebenshilfe Rodenkirchen e.V.
60 Jahre Teilhabe
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eit nunmehr 60 Jahren unterstützen wir als Verein Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bei der Teilhabe in der Gesellschaft und können dabei auf eine lange, viele Barrieren überwindende, erfolgreiche Geschichte von Unterstützung, gemeinschaftlichem Zusammenhalt und gesellschaftlicher Interaktion zurückblicken. Startschuss 1962 Der Anfang war schwer und unspektakulär. Im Oktober 1962 gründeten mehrere Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung unter Führung von Frau Maria Grete Schütz eine Elternvereinigung im Pfarrheim St. Georg in Weiß. Sie schlossen sich als unabhängiger Ortsverein in der damals noch kreisfreien Stadt Rodenkirchen der Bundesvereinigung Lebenshilfe an. Die Lebenshilfe Rodenkirchen e. V. war geboren. Ursache für die Gründung war damals die Entlassung der Kinder aus der Sonderschule aufgrund ihres zu „geringen geistigen Niveaus.“ Da jede weitergehende Unterstützung von öffentlicher Seite fehlte und es keinerlei rechtliche Regelung für die sinnvolle Betreuung von Menschen mit Behinderung gab, wurde die Lebenshilfe als Elternvereinigung selbst tätig und eröffnete 1964 eine Tagesstätte für geistig behinderte Kinder in den Räumen von St. Georg. Diese hatte bis 1971 Bestand. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde die Schulpflicht für Kinder mit geistiger Behinderung beschlossen und umgesetzt. Das Konzept wird erweitert 1969 wurde ein Grundstück in Sürth (gegenüber der Aral-Tankstelle) gepachtet und eine Anlerngärtnerei gegründet, um den erwachsen gewordenen „Kindern“ die Möglichkeit einer sinnvollen Arbeit nach der Schulzeit zu geben. Aus dieser Gärtnerei entstand die heute dort befindliche Werkstatt der GWK. 1980 wurde schließlich mit dem MariaGrete-Schütz-Haus das erste Wohnheim erbaut, 1999 auf der Weißer Straße das zweite. Unsere Wohnfamilie in Meschenich, das unterstützte Wohnen in der eigenen Wohnung und der familienentlastenden Dienst bilden zusammen
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Anlerngärtnerei in Sürth - ca. 1969
mit den beiden Häusern die mittlerweile große Bandbreite für Unterstützungsund Teilhabeleistungen ab. „Ich weiß doch selbst, was ich will!“ War die Zeit bis in die frühen Neunziger Jahre hinein eher durch den Begriff Fürsorge geprägt und der Gedanke an den „Schutz“ von Menschen mit geistiger Behinderung vorrangig – was oftmals zu einer Abschirmung der betreuten Menschen vor den „Gefahren des Lebens“ führte – wurde spätestens mit der Reform der Vormundschaft (1990) und der Verankerung des Benachteiligungsverbots im Grundgesetz (1994) ein Wechsel der Paradigmen eingeläutet. Auf dem Duisburger Kongress der Lebenshilfen in Deutschland 1994 haben diese die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (unter dem Motto: „Ich weiß doch selbst, was ich will!“) als oberste Prämisse ihres zukünftigen Wirkens erkannt. Die in den folgenden Jahren umherwirbelnden Begrifflichkeiten Selbstbestimmung, Inklusion, Teilhabe, Partizipation sind für viele Laien teilweise schwierig einzuordnen, haben aber eine gemeinsame Basis: der Mensch mit Behinderung ist nunmehr ins Zentrum seiner eigenen Interessen gerückt, es wird nicht mehr für ihn oder über ihn entschieden, sondern sie/er selbst ist die Person, die entscheiden muss, während das unterstützende Umfeld eine beratende und assistierende Funktion einnehmen muss. Dies bedeutete nicht nur für Eltern, Angehörige und gesetzliche Betreuer, sondern auch für viele Fachkräfte ein Umdenken in der Arbeit. Für viele Unterstützer war (und ist es manchmal immer noch) schwierig, das Heft des Handelns aus der Hand geben zu müssen. Vor allem aber bedeutete es für viele Menschen mit Behinderung, nicht nur zu lernen, Bedürfnisse und Wünsche zu äußern, sondern auch eigenverantwortlich damit umgehen zu müssen, wenn sich diese dann (nicht) erfüllen.
Große Gefühle -
wahre Liebe!
Gleichberechtigung durchsetzen Die Gesellschaft ist bunter und vielfältiger geworden und gerade für Menschen mit Behinderung wurden aus rechtlicher Sicht Meilensteine in Sachen Gleichberechtigung erreicht. Vordergründig scheint sich alles zum Besseren hinzubewegen, die Möglichkeiten von Teilhabe und Partizipation sind größer denn je. Gleichwohl haben wir auch Zeiten, in denen es manchmal scheint, als erodiere an verschieden Stellen der gesellschaftliche Grundkonsens; Egozentrik steht vor Rücksichtnahme, Lautstärke scheint Argumente zu schlagen, schwarz-weiß ist wieder in Mode. Achtsamkeit! Daher bleibt das Prinzip der Achtsamkeit in unserm Leitbild verankert. Achtsamkeit bedeutet nicht Fürsorge. Aber Achtsamkeit ist ein für uns geltendes ethisches Prinzip, mit dem wir uns als Verein vornehmen, dort zu schützen, wo der einzelne Mensch mit Behinderung dies selbst nicht vermag. Assistenz, anleitende Hilfen und der Gebrauch der nötigen Rechtsmittel, dienen uns dazu, Wohlergehen und Würde des Menschen mit Behinderung zu schützen. Wir sind froh darüber, die 60 Jahre unseres Wirkens überwiegend hier in Weiß verbracht zu haben. Die Zugewandtheit der hier lebenden Menschen, die Einbindung unserer Häuser und deren Bewohnerinnen und Bewohner in den Ort, die Teilnahme an Festlichkeiten und Brauchtum, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und persönliche Kontakte zeigen uns immer wieder, dass die Menschen, die wir unterstützen, gleichwertig Teil haben an der großen Gemeinschaft hier im Kölner Süden. Text und Fotos: Frank Erhard WEISSER DORFECHO 183