hörbar 02 | 2021|22

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DAS MAGAZIN DES KONZERTHAUS DORTMUND

JANINE JANSEN

AUSGABE 02 2021 22


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DANKE FÜR: SO KLINGT NUR DORTMUND.


UNWIEDERBRINGLICH

TITELFOTO: MARCO BORGGREVE FOTO: MARCEL MAFFEI

»Es ist nie, in keinem Moment falsch, Musik zu machen.« Diesen so wahren und ermutigenden Satz äußerte Daniel Harding vor zehn Jahren in einem Interview, das sich mir ins Gedächtnis gebrannt hat. Der Hintergrund: 2011, als Japan vom bisher schwersten Erdbeben seiner Geschichte heimgesucht wurde und ein gewaltiger Tsunami hunderte direkter Todesopfer forderte, war der britische Dirigent vor Ort. Er sollte am Abend in Tokio ein Konzert mit dem New Japan Philharmonic Orchestra dirigieren.

lichen Krisen. Und seine Geschichte erzählt auch von der verbindenden und heilenden Kraft, die Musik haben kann. Sie zeigt etwas ganz Wesentliches auf, nämlich dass jedes Live-Konzert ein singuläres Ereignis ist, das sich so, in dieser Einzigartigkeit nicht wiederholen lässt.

Harding beschreibt, wie er zutiefst erschüttert in der Garderobe sitzt, im Fernsehen Bilder sieht, die so schrecklich sind, dass sie für ihn alles übertreffen, während zeitgleich in der Konzerthalle geprüft wird, ob die Statik eine Nutzung überhaupt zulässt und die Sicherheit der Besucher gewährleistet werden kann. Darf man in einer solchen Situation und an einem solchen Tag, der ein ganzes Land traumatisiert zurücklässt, ein Konzert geben? Und vor allem: Kann man damit rechnen, dass dann tatsächlich jemand kommt, um Musik zu hören? Von den 1800 Menschen, die Karten für das Konzert besaßen, kamen an diesem Abend 50 – und nichtsdestotrotz: Daniel Harding dirigierte wie geplant Mahlers bewegende fünfte Sinfonie, in einer einzigartigen Atmosphäre und Konzentration.

Wie sehr freue ich mich, dass wir diesen Ausnahmekünstler nun wieder bei uns im Konzerthaus Dortmund begrüßen dürfen. Am 25.11. erleben wir ihn gemeinsam mit seinem Swedish Radio Symphony Orchestra, Bariton Christian Gerhaher und Werken von Brahms und Dvořák. Und auch sonst haben wir in den kommenden Wochen wir eine Fülle einzigartiger Konzerterlebnisse für Sie im Programm. Freuen Sie sich mit mir auf Maestra Mirga, die mit Janáčeks »Das schlaue Füchslein« in die letzte Saison als Dortmunder Exklusivkünstlerin startet (21.11.), auf den großen Dirigenten Zubin Mehta (07.11.), auf Mozarts c-moll-Messe mit Philippe Herreweghe, auf die Geigerin Janine Jansen mit dem Royal Concertgebouw Orchestra (03.12.), auf Iván Fischer, der sich mit dem Budapest Festival Orchestra Mahlers neunter Sinfonie widmet (19.11.), auf Pianisten wie Yuja Wang (05.12.), Grigory Sokolov (13.11.) und Jazzer Michael Wollny (nachgeholt am 09.12.) und vieles Wunderbare mehr.

Wie hätten wir uns wohl in dieser Situation verhalten? Jedenfalls beeindrucken mich diese Unbeirrbarkeit und der Mut, den Daniel Harding immer wieder zeigt – sowohl in seiner künstlerischen Arbeit als auch im Umgang mit persön-

Mit herzlichen Grüßen, Ihr Dr. Raphael von Hoensbroech Intendant und Geschäftsführer des Konzerthaus Dortmund

editorial 03


So 31.10.2021 · 18.00 Uhr

ARIENABEND DIANA DAMRAU

Diana Damrau Sopran, Nicolas Testé Bass, Antwerp Symphony Orchestra, Pavel Baleff Dirigent

– KINGS & QUEENS OF OPERA Starsopranistin Damrau schlüpft in royale Opernrollen, während ihr Ehemann Nicolas Testé die königlichen Basspartien übernimmt.

04 einblick


06 interview

03 editorial

Auf Bruckner-Mission

Dirigent Philippe Herreweghe blickt auf 40 Jahre als Pionier der historischen Aufführungspraxis zurück.

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04 einblick 05 inhalt 26 augenblick

Alles oder nichts

28 gästebuch

Voller Einsatz für Schostakowitsch: Janine Jansen

29 ausblick I rätsel I impressum

14 meisterkonzerte

30 haus und verkauf

Abheben und am Boden bleiben

Dirigent Daniel Harding lässt sich durch seine Leidenschaften fordern.

17 internationale orchester

Rampenlicht und Schattierungen

Marathon-Qualitäten statt Sprinter-Rummel bei Iván Fischer

20 konzertante oper

Geschichten aus dem Böhmerwald

Exklusivkünstlerin Mirga Gražinytė -Tyla mit einer ihrer Lieblingsopern: Janáčeks »Schlaues Füchslein«

FOTOS: CHRIS SINGER, SIMON VAN BOXTEL, ANDREAS HECHENBERGER · UNIVERSAL MUSIC, VALERIE MALTSEVA

22 soundtrack europa

Musik als Heimat

Aynur verbindet traditionelle kurdische Volksmusik mit zeitgenössischen Strömungen westlicher Musik

24 cabaret + chanson

Kabarett aus dem Kofferschlagzeug

Achim Hagemann alias Pawel Popolski schlägt sein Wohnzimmer im Konzerthaus auf.

25 musik für freaks

In schönster Harmonie

Cantando Admont wechselt mühelos zwischen Gregorianik und Neuer Musik.

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BRUCKNER-MISSION Als Philippe Herreweghe 1970 das Collegium Vocale im belgischen Gent gründete, war er noch Student der Medizin: Der damals 23-Jährige hatte entschieden, nach seinen musikalischen Studien etwas »Richtiges« werden zu wollen. Dass er neben den Pionieren Gustav Leonhardt und Ton Koopman damals den Grundstein für den beispiellosen Triumph der historischen Aufführungspraxis mit völlig anderer Phrasierung, Artikulation, Dynamik und dem Einsatz historischer oder wenigstens authentischer Instrumente legen sollte, war kaum abzusehen. Im Interview erinnert sich der heute 74-Jährige an eine seit vier Jahrzehnten andauernde Erfolgsgeschichte, die mit Renaissance- und Barockmusik begann. Nach und nach arbeitete sich Herreweghe bis zum zeitgenössischen Repertoire vor. Über Mozart zum Beispiel, dessen »Große Messe« ihn im November nach Dortmund führt. Und inzwischen zählt Anton Bruckner zu seinen Lieblingskomponisten, den er im März dem Orchesternachwuchs der MCO Academy im Konzerthaus nahebringen wird.

xx 06Inhalt


interview 07


Haben Spitzenorchester Barockspezialisten wie Sie früher eher belächelt? Bach wurde uns noch zugetraut, aber bitte, ihr Mozart gehörte ihnen! Und sie spielten ihn nicht idiomatisch. Die jungen Musiker von heute finden es aber interessant so. Ich mache das ja überall auf der Welt. Welchen Anteil haben Sie an diesem Mentalitätswandel? Ihren Anfang nahm die Alte-Musik-Bewegung in den Niederlanden und in Belgien. Spielt in Belgien ein durchschnittliches Orchester Schubert, kommen hundert Leute. Zu einem Spezial08

ensemble auf authentischen Instrumenten kommen tausend, weil diese Enthusiasten meistens sehr gut vorbereitet sind. Ihr Feuer überträgt sich auf das Publikum. Das nahmen die etablierten Orchester wahr, und wenn die Musiker intelligent sind, interessieren sie sich für neue Sichtweisen. Wenn man dann regelmäßig mit ihnen arbeitet, kommt beim nächsten Mal die Erinnerung wieder. Scheint ein langer Prozess zu sein. Man kann auch nicht zu einem Konzertpianisten gehen und sagen: Spielen Sie bitte Jazz! Er muss sich auch erst mit dieser für ihn fremden Welt anfreunden. Ein Traum für die Zukunft wäre ein Orchester, das sich in allen stilistischen Epochen gut auskennt und je nach Bedarf die besten Besetzungen bietet. Für die Streicher ist es nicht das große Problem, weil man sich in relativ kurzer Zeit gut auf Darmsaiten einstellen kann. Bei den Holzbläsern sieht das schon anders aus. Wenn sehr gute Klarinettisten auf einem alten Instrument spielen, fangen sie quasi von vorne an, müssen vieles neu lernen. Diesen Qualitätsabsturz können sie oft nicht ertragen oder müssen zwei, drei Jahre wieder studieren, und dazu haben nicht alle Zeit oder Lust. Also haben freie Ensembles noch immer ihre Berechtigung. Ihr Vorteil ist, dass sie kommen, wenn sie es möchten. Dann wollen sie die Musik auch wirklich machen. Die großen Spitzenorchester spielen im Dienst. Der Nachteil ist: Wenn Sie zum Beispiel Beethovens »Missa solemnis« machen wollen, brauchen Sie 100 Leute. Da laufen pro Probentag enorme Kosten auf, die von den Veranstaltern kaum zu stemmen sind. Darum proben wir so schnell wie möglich und versuchen, viele Konzerte am Stück zu machen. Ich bin also darauf angewiesen, dass die Musiker mit der Stilistik bereits vertraut sind. Funktioniert das denn bei so einem schweren Stück? Früher waren die größten Barockenthusiasten leider nicht immer die fähigsten Musiker. Karikiert gesagt, wurden sie erst zu Spezialisten, weil sie in großen Orchestern die Probespiele nicht gewonnen hatten. Gleichwohl waren sie oft intelligent und empfindsam, kannten sich sehr gut mit der Literatur aus, aber die Finger waren

FOTO: MICHIEL HENDRYCKX

Sie dirigieren demnächst Mozart im Konzerthaus. Kann man da von Ihrem Kernrepertoire sprechen? Nach mehr als 250 Schallplattenaufnahmen ist mein Repertoire inzwischen sehr breit. Da nimmt Mozart keine prominente Stellung ein, weil ich Opern auch eher selten dirigiere, und besonders viele große Chorwerke gibt es nicht von ihm. Verglichen mit seinen frühen Sinfonien finde ich Haydn da eigentlich interessanter, Bruckner und Brahms sowieso. Aber natürlich ist Mozarts Sprache nicht weit entfernt von der Alten Musik.


Steckbrief

PHILLIPE HERREWEGHE

Geboren in Gent, dort Ausbildung am Konservatorium und Medizinstudium mit Spezialisierung auf Psychiatrie Anerkennung als überragender Bach-Interpret und Pionier der historischen Aufführungspraxis für ein breites Repertoire Gründung mehrerer Spezialistenensembles, darunter 1970 Collegium Vocale Gent, 1989 Orchester des Collegium Vocale Gent 1977 Ensembles La Chapelle Royale für Musik des französischen Goldenen Zeitalters 1991 Orchestre des Champs-Élysées zur Interpretation romantischer und vorromantischer Werke auf Originalinstrumenten Kulturbotschafter Flanderns, Officier des Arts et Lettres, Chevalier de la Légion d’Honneur, Träger der Bach-Medaille und Ehrendoktorwürden der Universität Gent und der Katholischen Universität Leuven Live im Konzerthaus: Mozart Grosse Messe – Philippe Herreweghe Fr 26.11.2021 um 20.15 Uhr mit Mozart Sinfonie Nr. 40 und der »Großen Messe« Mahler Chamber Orchestra & Philippe Herreweghe Fr 04.03.2022 um 20 .15 Uhr mit Strawinsky Psalmensinfonie und Bruckner Sinfonie Nr. 2

eben nicht so versiert. So versuchten sie es dann eben mit Alter Musik. Inzwischen können die allerbesten Musiker beides. Wenn früher in der vom Naturhorn begleiteten Arie in Bachs h-moll-Messe 70 Prozent der Töne richtig waren, klopften wir uns dankbar auf die Schulter für ein richtig gutes Konzert. Heute ist es auch für moderne Musiker kein Problem mehr, alle Töne richtig zu treffen. Wie hat sich die historische Aufführungspraxis in den letzten 40 Jahren dadurch verändert? Bei Gustav Leonhardt haben wir damals für einen Choral zwei Stunden geprobt. Das kann sich keiner mehr leisten. Heute muss die h-moll-Messe mit zwei Proben stehen. Dafür braucht man viel Erfahrung. Viele Barockspezialisten konnten anfänglich einfach hand-

werklich nicht dirigieren. Wer gut Cembalo spielt, führt noch lange nicht 60 Musiker. Heute haben die Leute ein viel breiteres Repertoire und machen von Barock bis Strawinsky alles, auch ich. Eine Bach-Passion ist dirigiertechnisch ein Kinderspiel, verglichen etwa mit Brittens »War Requiem«. Verstehen Sie Musiker, die darum nur das barocke Repertoire pflegen? Nein. Das ist, als würde ein Schauspieler nur Shakespeare oder Molière deklamieren. Je mehr ich Bruckner mache, desto besser verstehe ich Bach und umgekehrt. Das ist eine gute Wechselwirkung. Wo liegt Ihre Mission, wie haben Sie sich Ihre Neugier erhalten? Bei all meiner Erfahrung halte ich Anton Bruckner immer noch für meine Mission. Ihn verstehen viele Musiker nicht. Viele sagen, sie sitzen im Konzert, das um acht Uhr beginnt, und wenn sie nach zwei Stunden auf die Uhr sehen, ist es viertel nach acht. Mein Traum wäre, den ganzen Bruckner neu aufzunehmen mit allem religiösen Geist, der aufzubringen ist, denn er war sehr katholisch und nicht gerade ein Intellektueller, also alles andere als ein protestantischer Musiker, der die ganze Bibel selber liest. Für ihn blieb alles Mysterium: unbegreiflich und sehr emotional. In diesem Sinne ist seine Musik ganz im Gegensatz zu Bach überhaupt nicht rational. Das Interview führte Christian Schmidt. interview 09


ALLES ODER NICHTS »Queen of the download« nannte sie die britische Zeitung »The Independent«, weil sie 2005 mit ihrem Vivaldi-Album »Vier Jahreszeiten« die Top 20 der iTunes-Alben in den USA stürmte. Janine Jansen aber wurde mehr als eines der vielen hübschen kleinen Sternchen, die fast Monat für Monat am Geigenhimmel aufleuchten.

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Recht bald zeigte sich, dass Janine Jansen zu den ganz Großen ihrer Zunft gehört – nicht nur wegen ihres Gardemaßes von 1,80 Metern und der vielen Auszeichnungen, die sie seither eingeheimst hat, darunter dreimal der »Edison Classic Public Award«, dreimal der »ECHO Klassik« und mehrere Platinschallplatten. »Sie gibt der Musik Herz, spielt wie ein Naturkind« urteilte »The Times«, und »Der Spiegel« schwärmte von ihrer »makellosen Technik«, einem Spiel, das »spontan und energisch« zugleich wirke und bezeichnete sie als »eine der aufregendsten Geigerinnen ihrer Generation«.

FOTO: SONJA WERNER · KONZERTHAUS DORTMUND

Über Nacht war der Erfolg über Jansen hereingebrochen nach einem Auftritt im Concertgebouw im Jahre 1997. Da war sie gerade einmal 19 Jahre alt. Es gab Monate, in denen nicht nur ganz Amsterdam mit ihrem Gesicht plakatiert war, sondern auch London, Berlin, Paris, New York, Tokio oder München. Anfangs habe sie das alles ziemlich erschreckt. Schließlich kam sie aus dem kleinen Soest bei Utrecht und war wohlbehütet in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Der Großvater leitete einen Kirchenchor, in dem die Mutter sang. Vater Jan und Bruder David spielen Cembalo und ihr älterer Bruder Maarten Violoncello. »Und der Bariton Peter van Kooy ist ein Onkel von mir«, ergänzt sie. Mit zehn Jahren, bei ihrem ersten Auftritt, ahnte sie, dass sie vielleicht auch für diesen Beruf geschaffen war: »Ich war zwar unglaublich nervös. Dennoch habe ich es nie bereut und hatte nie das Gefühl: ›Hätte ich doch nicht...‹ Ganz im Gegenteil. Ich empfand es als ein ungeheures Privileg, dies machen zu dürfen.« Und nicht nur das. »Etwas Magisches« ging für sie von der Bühne aus – nicht nur in Soest, sondern auch anderswo auf der Welt. Janine Jansen hatte Blut geleckt. Auch wenn sie lange mit dem Leben als reisende Musikerin haderte und das Heimweh sie oft mehr plagte als das Lampenfieber, so räumt sie auch ein: »Mit Anfang zwanzig war ich tatsächlich getrieben, enthusiastisch, ich wollte nichts auslassen. Nie konnte ich Nein sagen.« Zunächst gab sie »nur« 60 bis 70 Konzerte pro Jahr, dann wurden es immer mehr. Hier die Auftritte in den großen Konzerthäusern, oft mit den Schlachtrössern der Konzertliteratur Vivaldi, Mendelssohn, Bruch und Tschaikowsky, dort die »Spectrum Concerts« in Berlin mit zeitgenössischer Musik. Dann die »BBC Proms« in der Royal Albert Hall mit ihren großen »First« und »Last Nights«. Dazwischen CD-Produktionen, Interviews und Foto-Sessions. Und um Weihnachten und Neujahr herum, wo eigentlich alles zur Ruhe kommt, die Treffen mit den Musikfreunden bei ihrem eigenem Kammermusikfestival in Utrecht. 120 bis 130 Auftritte kamen da jährlich zusammen. Bis im Jahr 2010 »nichts mehr ging, einfach nichts«. Ein Burnout. »Ich war immer der Meinung, die Musik gäbe mir selbst die genügende Energie, um alles zu machen. Und das ist auch heute so. Aber das ist eine Gefahr, weil man selbst es nicht merkt und nicht wahrhaben will, dass man erschöpft ist und eine Pause braucht. Wir Musiker aber können nicht einfach das Programm herunterfahren und auf einem niedrigeren Level Musik machen. titel 11


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Fr 03.12.2021 · 19.00 Uhr

JANINE JANSEN & ROYAL Royal Concertgebouw Orchestra, Valery Gergiev

Dirigent,

Janine Jansen

Violine

CONCERTGEBOUW ORCHESTRA

FOTO: MARCO BORGGREVE

Schostakowitsch Violinkonzert Nr. 1 und Strawinsky »Der Kuss der Fee«

Entweder alles oder nichts.» Sie ahnte, dass sie etwas ändern musste, schließlich wollte sie ihre »Liebe zur Musik und zum Publikum« nicht verlieren. Seitdem zieht sie sich regelmäßig immer wieder aus dem Betrieb zurück. »Ich gebe jetzt tatsächlich mehr acht auf mich. Man muss vorsichtiger mit den Ressourcen umgehen. Ich passe mehr auf meinen Rücken und auf die Schulter auf. Ich habe früher nie darauf geachtet.« Stets an ihrer Seite ist ihr heutiger Mann, der schwedische Dirigent Daniel Blendulf. »Man muss sich lösen von den Erwartungen der Menschen und der Agenturen«, erkannte sie. »Das Musikleben kann sehr oberflächlich sein. Hohe Schuhe, glamouröse Fotos, das interessiert mich heute nicht mehr. Es gibt nur wenige Menschen, denen man vertrauen kann. Heute habe ich keine Agentur mehr, sondern eine persönliche Managerin.« Zu dem neuen Leben gehört auch eine neue Geige. Die Barrère-Stradivari mit ihrem strahlenden, klaren Ton, die ihr auf Lebenszeit von einer Stiftung zur Verfügung gestellt worden war, hat ausgedient. Nun spielt sie auf der Stradivari »Baron Deurbroucq«. »Sie ist viel tiefgründiger, hat einen dunkleren Ton und passt einfach jetzt besser zu mir.«

Nun hat die ehemalige »Junge Wilde« am Konzerthaus Dortmund Dmitri Schostakowitschs erstes Violinkonzert aus dem Jahr 1948 auf das Programm gesetzt. Das zweite hat sie schon viele Jahre im Repertoire, doch das erste verlangt noch mehr Power. 40 Minuten ist es lang und in keiner davon hat die Solistin Ruhe. Düster ist dieses Werk, das der Komponist eine Sinfonie für Violine und Orchester nannte, und das ist wörtlich gemeint. »Dmitri Dmitriewitsch!«, soll laut Daniel Hope der immerhin recht kompakt gebaute Widmungsträger David Oistrach den Komponisten angefleht haben, ihm nach einer gewaltigen Passacaglia mitsamt Solokadenz zumindest in der abschließenden Burleske eine wenn auch kleine Atempause zu gewähren und dem Orchester die Arbeit zu überlassen. Tatsächlich schrieb Schostakowitsch die Passage um und setzte das Thema ins Orchester. Mit Blick auf Janine Jansens zierliche Hände kann man nur darüber staunen, wie man es schaffen kann, diese Quinten- und Oktaven-Glissandi zu greifen, ganz abgesehen von der Energie, die es für die aberwitzigen Fortissimo-Kaskaden, die lärmenden Explosionen braucht. Ihre Hände seien nicht versichert, lächelt sie. titel 13


ABHEBEN UND AM BODEN BLEIBEN Ein Überflieger war Daniel Harding schon lange. Als Dirigent und inzwischen auch als Pilot trifft er Entscheidungen – mutig, wach und überlegt.

Was für ein cooler Move! Einer, der enormes Selbstvertrauen und Fähigkeit zur Erkenntnis voraussetzt. Und der gleichzeitig auf so vielen Ebenen missinterpretiert werden kann und großen Raum für Spekulationen bietet. Die meisten hätten deswegen in der Situation vermutlich einfach weitergemacht, ihre Meinung durchgedrückt, ihre Vorstellung durchgesetzt – ohne Rücksicht auf Verluste, zur Wahrung der eigenen Images. Nicht so Daniel Harding. Als er merkt, dass seine künstlerischen Vorstellungen so gar nicht zu denen des Orchestre de Paris passen, geht er. Es wird ein bewegender Abschied ohne schlechte Gefühle, ohne hämische Untertöne. Selbst die üblichen Branchenbeißer hielten sich zurück. 2016 war Daniel Harding als Chef des Orchestre de Paris angetreten, Anfang 2018 gab er bekannt, dass er nach der laufenden Saison den Posten wieder abgeben werde. Angesichts der musikalischen Wurzeln und Musikkulturen passe man leider nicht zueinander, ließ er die Musikerinnen und Musiker in einem Brief wissen. Weshalb es ihm bei seiner Arbeit mit dem Orchester so vorgekommen wäre, als ob er die »Alpen in den Grand Canyon« hätte verwandeln müssen. Nun könnte man darüber diskutieren, ob genau diese Lücke nicht gerade der spannende, springende Punkt sein kann in der Zusammenarbeit von Dirigent und Orchester. Und viele Kollegen von Daniel Harding kultivieren genau diese Abweichung. Ein Problem der Orchesterkultur? Vielleicht. Andererseits aber eben auch akzeptiert und manchmal sogar gewünscht. Denn Weiterentwicklung kann weh tun, muss sie aber nicht. Obwohl Daniel Harding noch gar nicht so alt ist, 1975 geboren, hat er schon einige solcher Manöver gebracht. Als er 16 Jahre alt war, gründete er zum Beispiel ein Ensemble an seiner Schule, mit ihm als Dirigent natürlich. Ein Jahr später führten sie Arnold Schönbergs »Pierrot Lunaire« auf. Und fertigten davon eine Aufnahme an, die sie Sir Simon Rattle schickten – damals noch kein Sir und Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra. Rattle hörte sich die Aufnahme tatsächlich an, war beeindruckt und engagierte Daniel Harding kurz darauf als Assistenten. Was für eine Überraschung! Sein Studium an der Uni Cambridge brach Daniel Harding kurz nach Beginn wieder ab – Claudio Abbado hatte ihn gebeten, bei den Berliner Philharmonikern zu assistieren. Und in diesem Tempo ging es weiter. Daniel Harding lernte Pierre Boulez und Hans Werner Henze kennen, wurde Chefdirigent des Trondheim Symfoniorkester und der

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Do 25.11.2021 · 20.15 Uhr

DANIEL HARDING – Swedish Radio Symphony Orchestra , Daniel Harding Dirigent, Christian Gerhaher

Bariton

BRAHMS & DVOŘÁK Dvořák Ouvertüre »Othello« und »Biblische Lieder«, Brahms Sinfonie Nr. 4

meisterkonzerte 15


erste Musikalische Direktor in der Geschichte der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. 2003 dann, mit 29 Jahren, übernahm Harding das Mahler Chamber Orchestra von seinem Mentor Abbado. Die Hälfte seines Lebens hatte er da schon am Dirigentenpult verbracht. Wie kann eine solch rasante Geschichte weitergehen? Was kann noch kommen, wenn man sich bereits an der Spitze des riesigen Musiklandschaftseisberges befindet? Daniel Harding entschied sich für eine Vollbremsung mit anschließendem Rückzug. Das geschah nicht ganz aus freien Stücken, was vielleicht auch zu viel verlangt wäre.

»In Amerika sagt man: Wer fliegen lernt, verbessert sich in allen Bereichen. Dass ich die ganze Zeit etwas Neues lerne, mein Gehirn auf andere Weise fordere, meine zweite Leidenschaft auslebe, wirkt sich tatsächlich positiv auf mein Dirigieren aus«, erzählt Daniel Harding in einem Interview mit der Hornistin Sarah Willis von den Berliner Philharmonikern. »Beim Fliegen habe ich gelernt: Wenn etwas Unerwartetes passiert, tut man erstmal gar nichts. Man beobachtet. Und das habe ich übernommen, ganz entgegen meiner eigentlichen Intuition, immer sofort reagieren zu müssen.« Man kann also sicher sein, dass sein Abgang beim Orchestre de Paris zwar ein cooler, aber kein unüberlegter Move war.

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FOTO: JULIAN HARGREAVES

»Die Menschen lauern immer auf die nächste große Attraktion, und eine Zeit lang war ich das«, erzählte er einmal in einem Interview der Reihe »Das war meine Rettung« der »Zeit«. »Doch dann stand ich da, mit dreißig Jahren, und dirigierte die Wiener Philharmoniker, als mein Leben in Trümmern lag.« Daniel Hardings Frau, Mutter seiner beiden Kinder, hatte sich nach 12 gemeinsamen Jahren getrennt. Aber nicht nur sein persönliches Leben geriet ins Wanken, auch seine künstlerische Existenz wurde auf einmal schwierig. Es gab Verrisse von Kritikern, kleinere Eklats mit Orchestern – und Daniel Harding hatte das Gefühl, gar nicht so herausragend, sondern eigentlich mittelmäßig zu sein. Nach der ersten Panik machte sich Daniel Harding dann auf die Suche, nach sich und seiner künstlerischen Persönlichkeit. »Zu kopflastig« und »kontrollierend« – das stand im Raum, und daran wollte Daniel Harding arbeiten. Er erfüllte sich einen langgehegten Traum, der eigentlich im Widerspruch zu seiner Karriere als Dirigent stand: Er wurde Pilot, erwarb am Ende sogar die Lizenz als Berufspilot. 2019 begann er, für Air France zu fliegen. Seine Konzerttätigkeit reduzierte er dafür um die Hälfte.


RAMPENLICHT UND SCHATTIERUNGEN

Dirigent Iván Fischer hat 1983 in Budapest ein eigenes Orchester gegründet, das ein wichtiger Teil seiner eigenen

FOTO: ISTVÁN KURCSÁK

Lebensgeschichte geworden ist. Mit diesem Budapest Festival Orchestra kommt er im November erneut nach Dortmund. Er hat nie das Rampenlicht des Spektakulären gesucht und zeichnet sich doch durch ungewöhnliche MarathonQualitäten aus. Er hat einen Bruder, Ádám, der ebenfalls als Dirigent erfolgreich ist. Während dieser inzwischen im nahen Düsseldorf Chefdirigent bei den Symphonikern ist, dirigiert er, der zwei Jahre jüngere Iván, das Budapest Festival Orchestra. Die FischerBrüder stammen aus einer Familie mit mehreren Musikern, auch der Vater war Dirigent – und zugleich, wie Ádám einmal erzählt hat, »ein guter Pädagoge«. Vater Fischer hat so geschickt agiert, dass auch für seine Kinder die Musik zum Grundnahrungsmittel wurde. Beide Brüder studieren am Konservatorium in Budapest, Iván ab 1965: Cello und Komposition. Beide verlassen ihre Heimat und gehen nach Wien, zum großartigen Dirigentenausbilder Hans Swarowsky. Dort erleben sie die führenden Musiker ihrer Zeit, doch Iván interessiert sich auch für damals noch abseitig wirkende Strömungen. Er wird Assistent von Nikolaus Harnoncourt, dessen historisch informierter Ansatz auch Fischers eigene Aufführungen prägen wird. Statt sämiger romantischer Klangmassen moduliert er feine, kammermusikartige Interpretationen, entschlackt und in bestem Sinne zeitlos.

Nach Erfolgen bei Wettbewerben, u. a. in London, gastiert Iván Fischer vermehrt in England, auch die Oper von Lyon sichert sich seine Dienste, schließlich folgt das Debüt in den USA. Oft ist er als Mahler-Dirigent gefragt – auch das eine Parallele zu Bruder Ádám. Beide werden im Laufe ihres Lebens immer wieder zur Musik Mahlers zurückkehren. Schon die erste Sinfonie schätzt Iván sehr, »vielleicht, weil ich darin sehr viel von diesem bürgerlichen, assimilierten jüdischen Background erkenne, den Mahler hatte – und aus dem ich selber komme«. Geprägt haben ihn aber auch die Mahler-Aufführungen unter Leonard Bernstein. Wenn Lenny im Wiener Musikverein die Philharmoniker mit einer von Mahlers Sinfonien dirigierte, saß Iván meist im Publikum. 1983 gründet Fischer, an der Seite des Pianisten Zoltán Koscsis, ein neues Orchester: das Budapest Festival Orchestra. Anfangs war es ein Projekt auf Teilzeit-Basis, begrenzt auf eine überschaubare Zahl an jährlichen Konzerten. Doch noch vor dem zehten Geburtstag wird umgesattelt auf ein Vollzeit-Orchester. Fischer ist sich der enormen Tragweite und Bedeutung bewusst. Künftig spielt man vor Kindern, ohne angekündigtes Programm, und

internationale orchester 17


man spielt vor Tausenden von Zuhörern Open Air. Fischer, der immer auch politisch denkt und maßvoll darüber spricht, hält seinem Heimatland Ungarn auch in jüngster Vergangenheit die Treue – er weiß um seine Verantwortung »für viele Leute – außerdem ist es eines der besten Orchester der Welt, das kann man nicht einfach fallen lassen«. Als das Budapest Festival Orchestra 2008 unter die Top Ten der weltweit besten Orchester gewählt wird, bleibt Fischer auf dem Boden. »So eine Auszeichnung ist sehr schön.« Punktum. Prompt schränkt Fischer in einem Interview ein: »Man muss sich bewusst sein, dass es nicht um Wettbewerb geht, nicht um den Vergleich mit anderen. Es geht um den Kulturbedarf des Publikums. Man dient einer Gemeinde, die Musik hören möchte.« Treffender lässt sich sein Credo kaum umschreiben. Als 2012 Fischer zum neuen Chef des Berliner Konzerthausorchesters gewählt wird, zieht er mit seiner Familie nach Berlin. Auch hier experimentiert er mit mutigen, ungewöhnlichen Programmen, doch es spricht für Fischers Zurückhaltung, dass er 2016 ablehnt, Chef auf Lebenszeit in Berlin zu werden. Daraufhin ernennt man ihn zum Ehrendirigenten. Neben seiner Tätigkeit als Dirigent widmet sich Fischer immer wieder auch dem, was er in jungen Jahren studiert hat: der Komposition. »Man schreibt etwas, aber das sind nicht nur Noten. Eine Laune, ein Gefühl, etwas was mich fasziniert – irgendetwas steckt dahinter. Das muss man verstehen und man muss sich auch damit identifizieren können.« Für Fischer eine Win-Win-Situation: Wer komponiert, versteht auch die anderen Komponisten der Vergangenheit besser. »Ich erkenne die Frustration von nicht-komponierenden Dirigenten sofort und möchte immer sagen: Schreib mal was, das würde dich beruhigen.« Doch wie definiert ein Mann wie Fischer eine moderne Musiksprache? Für ihn ist es ein breiter Mix, von Bruckner bis Heavy Metal, von Gamelan-Musik bis zur Handy-Melodie. Vielfalt ist in seinen Augen nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. So sucht Fischer immer auch nach neuen Wegen. Es muss ja nicht immer im großen Rampenlicht geschehen.

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Do 18.11.2021 · 17. 00 Uhr

KONZERTHAUS BACKSTAGE – Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer

Dirigent

PROBENEINBLICK

Exklusiv für Abonnenten, Botschafter und Freunde des Konzerthaus Dortmund Fr 19.11. 2021 · 19.00 Uhr

IVÁN FISCHER – FOTOS: BJÖRN WOLL

Mahlers monumentales Werk im Konzert

MAHLER 9. SINFONIE

internationale orchester 19


GESCHICHTEN AUS DEM BÖHMERWALD

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Janáček »Das schlaue Füchslein«

– MIRGA GRAŽINYTĖ-TYLA

Solistenensemble, Chöre der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund, Mitglieder des Trinity Boys Choir, City of Birmingham Symphony Orchestra, Mirga Gražinytė-Tyla Dirigentin

JANÁČEK DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN

opern: Leoš Janáčeks fabelhaftes »Schlaues Füchslein«.

So 21.11. 2021 · 18.00 Uhr

Die Dortmunder Exklusivkünstlerin Mirga Gražinytė-Tyla präsentiert eine ihrer Lieblings-

Morgens früh ist er aufgestanden und in Richtung Wald spaziert. Dabei hat er auf alle möglichen Laute geachtet: sprudelndes Quellwasser, das Rauschen der Blätter, die Lebenszeichen der Tiere, darunter Eule, Frosch, Heuschrecke, Grille. Einen Großteil dieser Erfahrungen hat der Komponist Leoš Janáček in seine Oper »Das schlaue Füchslein« einfließen lassen. Der Dirigent Sir Simon Rattle hat einmal gestanden, er sei in frühen Jahren von diesem Werk so fasziniert gewesen, dass er selbst den Wunsch gefasst habe, Operndirigent zu werden. Auch für Mirga Gražinytė-Tyla, die dieses Werk nach Dortmund bringen wird, ist das »Schlaue Füchslein« eine Art Herzensoper. Als Konzerthaus-Exklusivkünstlerin wird sie am Ende dieser Saison bereits zum letzten Mal zu erleben sein. Doch zuvor möchte sie unbedingt noch Janáčeks Repertoire-Ass präsentieren. Neben dem City of Birmingham Symphony Orchestra steht in Dortmund auch eine renommierte Sängerriege auf der Bühne, unter anderem mit Roland Wood als Förster, Elena Tsallagova als Füchslein Schlaukopf und Angela Brower als Fuchs. Ausgangslage für die Entstehung der Oper war übrigens eine Art Comicstrip: ein Bildroman in 51 Fortsetzungen, abgedruckt in einer Brünner Tageszeitung. Es ist die Geschichte von einer Füchsin, die von einem Förster gefangen wird, sich aber befreien kann und mit einem Fuchs glücklich wird, ehe sie in eine Falle tappt. Dazu gibt es mehrere Nebenschauplätze: Die Frau des Försters geht fremd, der Pfarrer ist zum Frauenfeind mutiert und wird versetzt. Eine Art XXL-Fabel. Janáček macht in seiner Oper die vielen orchestralen Vor- und Zwischenspiele zu kleinen Zentren. Sehr bildhaft führen sie Menschen- und Tierwelt zusammen. Doch entsteht dabei kein vollrauschendes Naturspektakel, vielmehr wohnen im Böhmerwald ganz viele im Detail ausgeleuchtete Empfindungen. 1924 wurde »Das schlaue Füchslein« erstmals auf einer Opernbühne präsentiert.

konzertante oper 21


MUSIK ALS HEIMAT Do 04.11.2021 · 20.15 Uhr

AYNUR

Traditionelle kurdische Klänge mit zeitgenössischen Akzenten

Kurdische Sängerin, alevitische Sängerin zu sein, bedeutet, politisch zu sein. Diese Erfahrung musste Aynur Doğan schon früh machen. Dabei singt sie vor allem, weil das »einfach erlaubt, alle möglichen schönen Gefühle auszudrücken,« wie sie in einem Interview mit dem deutsch-türkischen Online-Magazin »renk.« verriet. 1975 wurde Aynur Doğan in Çemisgezek, einem ¸ Dorf in Ostanatolien, geboren. Alle in diesem Dorf waren Schafhirten, Strom gab es ab 1983, hier wurde alles mündlich weitergegeben: Tradition, Geschichten, Musik. In der Schule lernten die Kinder erst seit einigen Jahren eine andere Sprache, nämlich Türkisch. Regelmäßig traten in dem Dorf die sogenannten Dengbej auf, die ohne instrumentale Begleitung Epen vortrugen und damit den alevitischen Glauben weitervermittelten. Einer von ihnen bescheinigte Aynur eine schöne Stimme. Und so begann sie zu singen. Türkische Lieder, kurdische Lieder – damals war das noch

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kein Thema, weder in ihrem Dorf noch bei den ersten größeren Konzerten, die sie gab. Aber mit wachsender Bekanntheit kam auch die zunehmende Politisierung ihrer Kunst. »Ich selbst habe nichts unternommen, um in diese Kategorie zu fallen, das war vielmehr ein organischer Prozess.« 1999 wurde der kurdische Sänger Ahmet Kaya in Istanbul, wo auch Aynurs Familie inzwischen


lebte, tätlich angegriffen. Aynur Doğan bekam Angst, verließ die Türkei und die Bühne. Erst in Europa konnte sie wieder ans Singen denken, denn hier »leben Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander«. Zwar nicht ganz so spannungsfrei, wie es der Sängerin damals vorgekommen sein mag, aber immerhin in einer Vielfalt, die sie in der Türkei bis heute vergeblich sucht. »Politische Reaktionen und Forderungen bekomme ich eher von der Hörerschaft aus der Türkei. Ob kurdisch oder türkisch macht da keinen Unterschied, denn in der Türkei hat ja heutzutage jeder eine Meinung und versucht, sie dir aufzuzwingen.« Verstanden fühlt sie sich dagegen vor allem von der Generation Kurden, die sich ihrer Wurzeln entrissen fühlen und – wenn sie wie Aynur in Europa leben – nach einer Verbindung mit der Heimat sehnen. Und da wären wir wieder bei den schönen Gefühlen, ganz ohne Politik.

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KABARETT AUS DEM KOFFERSCHLAGZEUG Do 18.11.2021 · 20.15 Uhr

DER POPOLSKI

Musikcomedy nach allen Regeln der Polkakunst

WOHNZIMMERSHOW

Multitalent Achim Hagemann trommelt sich als Pawel Popolski die Seele aus dem Leib und adelt die Hits der Rock- und Popgeschichte mit genialem Unsinn.

Es gab schon einen Vorgänger der »Wohnzimmershow«, schlicht »Der Popolski Show« genannt. Sie startete 2008 im WDR, die letzte Veranstaltung ging 2014 über die Bühne. Ein Jahr später schon folgte »Der Popolski Wohnzimmershow«. Irgendwie ist sie von sich aus schon sehr coronakonform: Die seltsamen Mitglieder der Familie Popolski, allesamt Musiker, werden aus

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dem Plattenbau zugeschaltet. Pawel selbst sitzt auf der Bühne, drischt auf das Schlagzeug ein und ist »außer der Rand und der Band«. Während die Wodkagläser fliegen, drehen die Popolskis internationale Pop- und Rocksongs durch die Mangel. Überhaupt, diese Lieder! Großvater Pjotrek Popolski hat sie angeblich komponiert, 128.000 an der Zahl. Dann wurden sie von gewissenlosen Managern geklaut und an Weltstars verscherbelt. Und so lautet Pawels Lieblingsspruch auch: »Dieter Bohlen hat gestohlen alle Hits in Polen«. Die Mitglieder der Popolski-Familie sind zahlreich. Ob wir hier alle wiedersehen? Sie würden mit Hilfe der polnischen Videosoftware Skypek zugeschaltet. Janusz, »der trubste Tasse von der ganze Familie« oder Cousine Dorota, »der Heißeste von der Heißesten«? Auf jeden Fall gibt es viel zu lachen und zu trinken. Der Corona-Blues der Popolskis hat sich auch verflüchtigt. »Und ich habe mir schon Sagrotan in der Wodka reingetan, um mir schön einen hinter der Schrankwand zu löten. Bis das Toupet fliegen geht.«

FOTO: STEPHAN PICK

»Ich bin an der ausflipsen mit der scheiß Bazillen, was hier durch die Gegend fliegen. Ich habe Polka-Entzug nach der Strich und der Faden«. Obwohl er über genügend Stoff verfügt, ist Pawel Popolski nicht erfreut über die Corona-Krise. Kein Wunder, denn sie hat ihn und seine »Popolski Wohnzimmershow« von den Bühnen gefegt. Ein Glück, dass er jetzt wieder mit seinen Musikern die Republik unsicher machen kann. Pawel Popolski mit seinem FantasiePolnisch ist eine Erfindung des Komponisten und Musikers Achim Hagemann. Kennen Sie nicht? Vielleicht doch: Er hat bei Hape Kerkelings legendärem Hurz-Sketch und in den »Total Normal«-Shows am Klavier gesessen.


IN SCHÖNSTER HARMONIE

Sa 06.11. 2021 · 20.15 Uhr

GREGORIANIK

Cantando Admont, Cordula Bürgi Leitung

FÜR NEUE OHREN Von eindringlicher Gregorianik bis zu komplexer Polyfonie

Zuweilen passen in der Musik das Alte und das Neue wunderbar zusammen. Gregorianik und zeitgenössische Musik zum Beispiel kennen keinen romantischen Überschwang. Beide Stilrichtungen sind kunstfertig und nicht selten von strengen Regeln bestimmt. Unsinnlich

FOTO: NICOLAS R.

wird es jedoch trotzdem nicht, wenn sie aufeinandertreffen – Cantando Admont beweist es. Die Idee zur Gründung dieses Ensembles hat Cordula Bürgi schon 2014. Im Benediktinerstift Admont in der Steiermark nimmt der Einfall dann 2016 konkrete Gestalt an. Die vor Energie überströmende Chorleiterin wird oft gefragt, woher ihre Faszination für das Alte wie das Neue stammen könnte. »Das mag familiär begründet sein. Mich hat schon immer Unkonventionelles aufhorchen lassen.« Zur nachdenklichen, dunklen Zeit nach Allerheiligen und Allerseelen hat sie sich für ihr Konzerthaus-Programm von der überlieferten Totenandacht leiten lassen. Gregorianik wechselt sich ab mit Meisterwerken der Renaissance. Gemeinsam stehen sie Stücken österreichischer Zeitgenossen gegenüber. Mit Beat Furrer zum Beispiel verbindet Cantando Admont eine enge Zusammenarbeit. Für Bürgi gehört auch seine Musik zu jenem Geflecht, das die Zeiten und die Geschichte musikalisch miteinander verbinde: »Das Neue existiert durch das Alte und das Alte existiert durch die Wahrnehmung des Neuen.« Immerzu hält sie auch Ausschau nach Menschen, die mitsingen wollen. Doch in einem kleinen, hochpräzisen Ensemble zu arbeiten, erfordert ein Maximum an Abstimmung. »Ich erhalte viele Anfragen von Berufssängerinnen und Berufssängern. Dies meist mit der Begründung, dass sie sich für ›etwas anderes‹ interessieren würden. Dass dieses ›Andere‹ anspruchsvoll ist und viel Übung braucht, ist den meisten kaum bewusst.« Dass zeitgenössische Werke Zuhörer abschrecken, hat Cordula Bürgi nie beobachtet. »In Workshops erlebe ich immer eine große Begeisterung für Neue Musik. Vorurteile und Blockaden verschwinden durch lustvolle und sinnliche Art der Vermittlung«.

musik für freaks 25


Exklusiv für die Botschafter des Konzerthaus Dortmund war die Bühne im Konzertsaal einmal nicht mit Orchesterstühlen oder Orgelspieltisch bestückt, sondern erstrahlte mit einer langen Tafel in festlichem Glanz. Einmal im Jahr genießen unsere engsten Förderer so den Blick von der Bühne in den Saal, wo diesmal die Cellistin Anouchka Hack auf einem eindrucksvoll inszenierten Podium über dem Parkett spielte. Entsprechend festlich und inspiriert war die Stimmung in der Runde, die sich u. a. auf die von ihr geförderten Weinberg-Konzerte im März freut.

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FOTO: JULIA UNKEL

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rstklassiger Ersatz In unserem Saisonbuch waren sie noch zu sehen, doch im Mai 2021 hat das Artemis Quartett sich entschieden, eine Spielpause auf unbestimmte Zeit einzulegen. Die Folgen der Pandemie, der anstehende Mutterschutz von Geigerin Vineta Sareika und ein schwerer Krankheitsfall in engster Familie waren eine Hürde zu viel in einer turbulenten Zeit und erlaubten dem Quartett keine verlässliche Planung. Glücklicherweise konnten wir das Quatuor Modigliani für ein Konzert am gleichen Termin gewinnen, das nun nach Konzerten 2012 und 2014 am 14. Dezember 2021 mit Schuberts »Der Tod und das Mädchen« ins Konzerthaus zurückkehrt.

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n paradisum

Wenn Chorwerk Ruhr mit geistlichen Vokalwerken aus Russland, Skandinavien und Großbritannien auf eine Reise aus dem Dunkel in die Vorstellungsräume von Paradies und ewigem Licht führt, ist ein alter Bekannter dabei. Kian Soltani ist nach seiner »Junge Wilde«-Zeit zum ersten Mal zurück in Dortmund und sorgt für ein Wechselspiel von Cello und Chor. Für diesen mystischen Klangrausch wird die Bühne mal abgedunkelt, mal in stimmungsvolles Licht getaucht.

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Vom Blatt – Grüße von Yuja Wang

Eintrag vom 27. April 2013, voller Liebe für Dortmund.

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FOTO: JAMES CHEADLE

Drei Saisons war Pianistin Yuja Wang »Junge Wilde« am Konzerthaus Dortmund. Seitdem ist sie regelmäßiger und gern gesehener Gast – sei es mit Klavierkonzerten, Soloabenden oder, wie zuletzt, gemeinsam mit Klarinettist Andreas Ottensamer und Cellist Gautier Capuçon im Kammerkonzert der Extraklasse. Am 5. Dezember 2021 beehrt Yuja Wang uns ein weiteres Mal, diesmal mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra und Rachmaninows 2. Klavierkonzert.


Impressum

Ausblick

Herausgeber Konzerthaus Dortmund GmbH Intendant und Geschäftsführer Dr. Raphael von Hoensbroech, V. i. S. d. P. Redaktion

AUSGABE 03 2021 22

Dr. Jan Boecker, Marion Daldrup, Katharina Dröge, Teresa Saxe

ONDŘEJ ADÁMEK Stimmen hören

Autoren

ROBIN TICCIATI Mit einem Lächeln

Markus Bruderreck, Marion

HÉLÈNE GRIMAUD Alternative Wege

Daldrup, Teresa Pieschacón

MIECZYSŁAW WEINBERG Wiederentdeckt

Raphael, Teresa Saxe, Renske Steen, Christoph Vratz Gestaltung Kristina Erdmann Anzeigenmarketing Marion Daldrup

Das hörbar-Rätsel

T 0231 – 22 696 213 Druck druckpartner Druck- und Medienhaus GmbH Termin- und Programmänderungen sowie Druckfehler vorbehalten. KONZERTHAUS DORTMUND Brückstraße 21 44135 Dortmund T 0231 – 22 696 0 F 0231 – 22 696 222 info@konzerthaus-dortmund.de www.konzerthaus-dortmund.de Tickethotline T 0231 – 22 696 200

FOTOS: SONJA WERNER, MARY SLEPKOVA · DG

Besuchen Sie uns Konzerthaus.Dortmund @Konzerthaus_DO @Konzerthaus_DO KonzerthausDortmund

Im Alter von gerade mal 16 Jahren war der gesuchte Pianist jüngster Gewinner aller Zeiten beim renommierten »Tschaikowsky-Wettbewerb« in Moskau. Mittlerweile ist er Stammgast in Dortmund. Um sich auf die unterschiedlichen Instrumente an den verschiedenen Konzertorten der Saison vorzubereiten, nimmt er sich mehrere Stunden Zeit, untersucht die Mechanik des Flügels, konsultiert den örtlichen Klavierstimmer und erreicht so ein tiefes Verständnis des jeweiligen Instruments, um auch feinste Klangschattierungen darstellen zu können. Das Publikum beglückt er meist mit einem »dritten Konzertteil« in Form von Zugaben – üblicherweise fünf und sechs am Abend.

Wenn Sie die Lösung wissen, schicken Sie sie uns auf einer Postkarte mit dem Stichwort »hörbar-Rätsel« an: KONZERTHAUS DORTMUND, Verena Wengorz, Brückstraße 21, 44 135 Dortmund oder per Fax an: 0231 – 22 696 159 oder per E-Mail an: verena.wengorz@ konzerthaus-dortmund.de Einsendeschluss ist der 06.12.2021. Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir fünfmal zwei Freikarten für Klavierabend Sergei Babayan am 20.01.2022. Viel Glück! Die Lösung des letzten hörbar- Rätsels: Vincent Dubois. ausblick 29


Die Konzerte, die im letzten Jahr stattfinden konten, haben gezeigt: Das Hygieneschutzkonzept funktioniert, das Publikum fühlt sich sicher und die Gäste halten sich an die vorgegebenen Schutzregeln. Untermauert wird das Sicherheitsgefühl des Publikums von einer Studie des Fraunhofer HeinrichHertz-Instituts: Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosole im Dortmunder Saal auch bei Vollbesetzung nahezu ausgeschlossen werden kann.

Wir rechnen daher damit, dass mehr als 90 % der Konzerte – ggf. mit Programmänderungen und in zwei Vorstellungen – stattfinden können. Drei wichtige Säulen des Schutzkonzepts ‧ Die hochleistungsfähige Belüftungsanlage lässt Frischluft unter jedem Sitz in den Saal ein und saugt sie unter dem Dach wieder ab. Alle 20 Minuten ist die Luft komplett ausgetauscht. ‧ Besucher und Mitarbeiter tragen auch während des Konzerts

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medizinische Masken, solange das Infektionsgeschehen es erfordert. ‧ Sofern eine Vollbesetzung behördlich nicht zulässig ist, wird der Saal im ersten Schritt nur mit 50 % der eigentlichen Sitzplatzkapazität öffnen und die Plätze im Schachbrettmuster (versetzt und mit Abständen zu allen Seiten) besetzt. Das Konzerthaus behält die aktuellen Entwicklungen stets im Blick und passt sein Hygieneschutzkonzept in enger Ab-

stimmung mit dem hiesigen Gesundheitsamt an die aktuellen Rahmenbedingungen an. Da man heute noch nicht wissen kann, welche Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des jeweiligen Konzerttermins gelten werden, kann es bei einigen Konzerten unter Umständen noch zu Änderungen kommen. Im Falle einer Änderung werden Ticketinhaber schnellstmöglich informiert. Das Konzerthaus kümmert sich um alles Notwendige. Infos: konzerthaus-dortmund. de /corona

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