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Heimatmusik

Heimatmusik

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»Was wirklich zählt, ist, dass die Liebe zur Musik größer ist als die Liebe zu sich selbst«, sagt Mitsuko Uchida. Was in einer Paartherapie diskussionswürdig wäre, ist wohl das Erfolgsgeheimnis der großen Pianistin. Doch in diesem Herz, verloren an die Musik, ist für Wolfgang Amadeus Mozart sogar noch ein Extraplatz reserviert.

Eine Beziehung über viele Jahrzehnte, zu einem Menschen, den man nie wirklich kennengelernt hat – und trotzdem präsentiert man sich gemeinsam in der Öffentlichkeit, wird immer wieder über die Beziehung ausgefragt, muss neu Stellung beziehen. Das klingt zugegebenermaßen ziemlich skurril und könnte glatt als Inspirationsquelle für einen neuen Roman von John Irving durchgehen. Es beschreibt aber das Phänomen, mit dem sich viele Künstler, vor allem die, die bereits lange Karrieren vorzuweisen haben, konfrontiert sehen: Über die Jahre spielen sie immer wieder dieselben Stücke von denselben Komponisten. Sie sollen sie so spielen, wie der Komponist sie sich vorgestellt hat. Sie dürfen sie aber auch nicht immer gleich spielen, sie sollen sich, wenn es nach Kritik und Publikum geht, entwickeln. Obwohl: Irgendwann sollen sie sie dann unbedingt so spielen wie immer, obwohl sich vielleicht ihre Beziehung zum Stück geändert hat.

Es ist – wie so oft, wenn es um Beziehungen geht – kompliziert. Manche Künstler lassen sich komplett darauf ein, nehmen zum Beispiel immer wieder Beethoven-Sonaten ins Programm oder spielen nur Bach. Heutzutage ist das seltener geworden, auch in der Klassik-Szene zählt Vielseitigkeit inzwischen mehr als absolutes Expertentum. Aber man kennt noch diese Zuschreibungen: Murray Perahia spielt Beethoven, Evgeni Koroliov verbindet man mit Bach, Alfred Brendel steht für Beethoven. Und Mitsuko Uchida spielt nur Mozart. Mitsuko Uchida spielt nur Mozart? Gut, am 3. Februar, wenn die Pianistin gemeinsam mit dem Mahler Chamber Orchestra im Konzerthaus auftritt, steht Mozart auf dem Programm, die Klavierkonzerte F-Dur KV 459 und d-moll KV 466. Und damals, als sie 1982 international so richtig berühmt wurde, war das mit den Konzerten in der Wigmore Hall, als sie sämtliche Klaviersonaten von Mozart spielte. Danach erschienen ab 1986 fünf Alben in Folge mit Mozarts Klavierkonzerten. Warum? Weil Miloš Formans »Amadeus« ein Jahr zuvor insgesamt acht »Oscars« abgesahnt hatte. Alles schwamm auf der Mozart-Welle – auch Mitsuko Uchida. Vielleicht eine Marketing-Kampagne, aber eine, die Spuren hinterließ. Bis heute wird Mitsuko Uchida in den raren Interviews, die sie gibt, nach ihrer Beziehung zu Wolfgang Amadeus Mozart gefragt – hat sie sich verändert? Sie verändere sich ständig, sagt Mitsuko Uchida dann. Ihre Beziehung zu Mozart sei immer präziser geworden und sie habe zudem das Gefühl, er sei ihr gegenüber freundlicher geworden.

Walter Schels · Aus: »Hände«, S. Fischer Verlag

Wie kann ein Komponist, der schon über 200 Jahre tot ist, freundlicher werden? Mitsuko Uchida macht hier etwas, was in Beziehungen oft passiert – dann fast immer mit ungutem Ende –, das aber grade in der »Beziehung« zwischen Komponist und Künstler eigentlich nicht anders möglich ist: Sie stellt sich und ihre Bedürfnisse und Erfahrungen über die des anderen. Sie lernt Mozarts Musik immer besser kennen und hat somit das Gefühl, ihn besser zu kennen. Er wird natürlich nicht freundlicher, sie fühlt sich immer wohler mit seiner Musik. In einem anderen Interview verdeutlicht sie: Sie könne ihn und sein Genie inzwischen mehr genießen. Denn

Walter Schels · Aus: »Hände«, S. Fischer Verlag

ganz am Anfang ihrer Karriere sei Mozart ein einziges Mysterium für sie gewesen. Sie erinnert sich daran, dass sie als Kind nicht mal ansatzweise verstanden habe, was in der Musik passiert sei – und trotzdem habe sie sie natürlich gespielt. Teilweise habe sie die Musik sogar nicht gemocht. Zum Glück sei das heute anders. Zwar habe sie immer noch nicht den Eindruck, Mozarts Musik wirklich durchdrungen zu haben, aber immerhin fühle sie sich nicht mehr gänzlich verloren, wenn sie auf der Bühne sitzt, um ein Mozart-Klavierkonzert zu spielen.

Auf der Bühne würde Mitsuko Uchida Mozarts Werke übrigens nie auf einem zeitgenössischen Hammerklavier spielen. So eins hat sie zwar manchmal auch in ihrem Londoner Studio, neben ihren drei Steinways, denen sie allesamt männliche Charaktere zuordnet. Aber in den großen Konzerthallen, die heute üblicherweise für ihre Konzerte gebucht werden, würden ihr diese Instrumente zu wenig tragen, gerade mit Orchester. Dabei wurde Mitsuko Uchida zu Beginn ihrer Karriere immer vorgeworfen, sie spiele zu leise. Eine für sie nicht nachvollziehbare Kritik. Und entsprechend geschmeichelt fühlte sie sich auch, als einmal ein Klavierbauer für historische Instrumente zu ihr sagte: »Endlich eine Pianistin! Die anderen sind ja nur Fortisten!«

Und wie ist das nun mit ihr und Mozart? Spielt sie wirklich nur ihn? Natürlich nicht. Es gibt fantastische Aufnahmen von Schumanns Klavierwerken genauso wie von Beethovens späten Sonaten oder Debussys zwölf Etüden für Klavier. Auch zeitgenössische Werke findet sie extrem wichtig und führt sie regelmäßig auf. Und doch: ihr letztes veröffentlichtes Album aus dem Jahr 2016? Mozart.

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