Boswil aktuell Februar - März 2019

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BOSWIL AKTUELL Februar – März 2019 Mischa Maisky Legendäres Künstlerhaus D i e Ku n s t d e s S t r e i c h q u a r t e t t s Bremer Stadtmusikanten


Inhalt

Februar – März 2019 Grüezi

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Programm

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Anspruchsvolles Spiel im Quartett: Interview mit Hugo Bollschweiler

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Geschichte des Künstlerhauses: Von der vielfältigen Legende Boswil CD-Tipps

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Förderverein/Impressum Agenda

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Titelbild: Mischa Maisky, Meisterkonzert vom 24. Februar 2019, Seite 5


Grüezi

Michael Schneider (l.) begrüsst den Aargauer Gesamtregierungsrat: Vincenza Trivigno (Staatsschreiberin), Stephan Attiger, Urs Hofmann, Alex Hürzeler, Franziska Roth und Markus Dieth

Eine positive Meldung zum Jahresstart: Der Grosse Rat des Kantons Aargau hob in der Budgetdebatte 2019 die Kürzung der Betriebsbeiträge (wie sie in den vergangenen drei Jahren aktiv war) für die Aargauer Kulturleuchttürme auf. Auch das Künstlerhaus erhält also wieder den ursprünglichen Betriebsbeitrag, der den Betrieb unserer sechs Liegenschaften ermöglicht, mitunter den Erhalt und die Sanierung der vier denkmalgeschützten Objekte. Auch wenn verschiedene Seiten immer wieder fordern, dass Private und Sponsoren sich stärker im Kulturbereich engagieren müssten, um die öffentliche Hand zu entlasten – eine ausreichende Bereitschaft für solche Investitionen existiert leider nicht. Es war deshalb symbolhaft, dass sich der Regierungsrat des Kantons Aargau am 24. Oktober in corpore zu einer Klausur am Künstlerhaus Boswil traf. Die Politikerinnen und Politiker liessen sich von der speziellen Ambiance der Alten Kirche inspirieren und brachten durch ihre Präsenz die Wertschätzung für unseren legendären Kultur- und Musikort zum Ausdruck. Wir wünschen Ihnen ein inspirierendes Musikjahr 2019! Peter Wipf Präsident Stiftungsrat Künstlerhaus Boswil

Michael Schneider Geschäftsführer Künstlerhaus Boswil

In eigener Sache In eigener Sache Michael Schneider verlässt Michael Schneider verlässt das das Künstlerhaus Boswil Künstlerhaus Boswil Nach fast 13 Jahren erfolgreicher Tätigkeit verlässt Geschäftsführer Michael Schneider (54) das Künstlerhaus Boswil per 30. Juni 2019. Der Aarauer Kulturmanager, Komponist und Musikwissenschaftler hat sich entschieden, nochmals eine neue berufliche Herausforderung zu suchen. Michael Schneider hat das Künstlerhaus Boswil seit 2006 als Kulturinstitution wegweisend in die Zukunft geführt, den Betrieb modernisiert, weiter ausgebaut und die Ausstrahlung auf allen Ebenen nachhaltig positiv geprägt. In seine Zeit als Geschäftsführer fallen die Etablierung des Künstlerhauses Boswil als profiliertes Zentrum für Klassische Musik, die Verankerung als Aargauer Kulturleuchtturm und die Erneuerung der Infrastruktur durch zukunftsweisende Bauprojekte. Der Stiftungsrat bedauert den Entscheid seines Geschäftsführers sehr und dankt ihm für seine langjährige, ausserordentlich wertvolle Arbeit. Eine umfassende Würdigung im «Boswil aktuell» folgt zu einem späteren Zeitpunkt.

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Alinde Quartett

Boswil Surprise

Die Kunst des Streichquartetts Arman Quartett Alinde Quartett Quatuor Hanson Lassus Quartett Adelphi Quartett

Geleitet wird der Meisterkurs von Rainer Schmidt, Professor für Violine und Kammermusik an der Basler Hochschule für Musik sowie zweiter Geiger im legendären Hagen Quartett. Freitag, 15. Februar 2019, 19.30 Uhr

Alfred Schnittke (1934–1998) Streichquartett Nr. 3 Carl Nielsen (1865–1931) Streichquartett Nr. 1 g-Moll op. 13 György Ligeti (1923–2006) Streichquartett Nr. 1 «Métamorphoses Nocturnes» Leoš Janáček (1854–1928) Streichquartett Nr. 1 «Kreutzersonate» Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Streichquartett Nr. 9 Es-Dur op. 117 Erleben Sie fünf junge Quartette auf einen Streich: Dieses aussergewöhnliche Konzert bildet den Abschluss des Streichquartett-Meisterkurses des Walter Levin Chairs der Basler Hochschule für Musik. Die fünf Streichquartette, die am Kurs teilnehmen, spielen je ein herausragendes Werk des Quartett-Repertoires.

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Eintritt frei, Kollekte Türöffnung: 19.00 Uhr Seite 8: Interview mit Hugo Bollschweiler


Boswiler Meisterkonzerte

Mischa Maisky & Chaarts Mischa Maisky, Violoncello Chaarts Gábor Takács-Nagy, Leitung Luigi Boccherini (1743–1805) Konzert für Violoncello Nr. 7 G-Dur G.480 Béla Bartók (1881–1945) Divertimento für Streichorchester Franz Schubert (1797–1828) Sonate a-Moll D 821 «Arpeggione» Der lettische Cellist Mischa Maisky, Meisterschüler von Mstislaw Rostropowitsch und Gregor Piatigorsky, gilt bereits zu Lebzeiten als Legende. Nach zwei Jahren Straflager in der ehemaligen Sowjetunion emigrierte er 1972 in den Westen und etablierte sich auf den grossen Konzertpodien der Welt, zunächst in Konzerten noch mit Leonard Bernstein, später in musikalischen Partnerschaften unter anderem mit Radu Lupu und Martha Argerich. Er gilt als expressiver Romantiker und ist überzeugt: «Wenn ich das Herz der Menschen erreichen will, muss die Musik auch von Herzen kommen. Es genügt nicht, mit dem Kopf oder den Händen zu musizieren.»

Gemeinsam mit den Chaarts unter der Leitung von Gábor Takács-Nagy spielt Maisky ein Cellokonzert Boccherinis und eine Adaption von Schuberts «Arpeggione»­- Sonate mit Streichorchester. Bartóks Divertimento, im Schatten des Zweiten Weltkrieges komponiert, setzt hierzu einen dramatischen Kontrapunkt. Sonntag, 24. Februar 2019, 17.00 Uhr Boswil im Gespräch, 16.00 Uhr Andreas Fleck im Gespräch mit Mischa Maisky Eintritt: CHF 80.–/65.–/50.– (Stud./Lehrl.: CHF 25.–; Kinder bis zwölf Jahre: frei) Abendkasse: 16.30 Uhr Vorverkauf: www.kulturticket.ch, office@kuenstlerhausboswil.ch, Telefon 056 666 12 85 Nach dem Konzert: 3-Gang-Menü, CHF 55.–, serviert im Künstlerhaus, zubereitet vom Restaurant Hirschen, Bünzen. Eine separate Reservation ist unerlässlich. Seite 13: CD-Tipps 5


Kinderkonzerte Künstlerhaus

Die Bremer Stadtmusikanten Jonas Meyer, Klarinette David Meyer, Akkordeon Albert Möschinger, Musik Francesca Sommer-Gurri, Erzählung

Wie die Geschichte ausgeht, wollt ihr wissen? Dann kommt zu uns und erlebt mit unseren Musikern und unserer Erzählerin das Abenteuer der «Bremer Stadtmusikanten».

Musiktheater in Mundart nach den Gebrüdern Grimm für Kinder ab fünf Jahren.

Francesca Gurri und die Musiker des Ensembles geben den Tieren und der Geschichte ihre Stimme und erwecken die lustigen Ausreisser zum Leben.

Der Esel, der Hund, die Katze und der Hahn sind alt geworden und sollen vom Hof verjagt werden. So beschliessen die Tiere, Stadtmusikanten in Bremen zu werden. Wolltet ihr nicht auch schon immer wissen, was ihnen in der Welt der Menschen widerfahren ist? Und warum alle vier ihren Frauchen und Herrchen davonlaufen und nach Bremen ziehen wollen, um dort Stadtmusikanten zu werden? Auf ihrem Weg durchqueren unsere vier Freunde einen dunklen Wald. Dort begegnen sie den wilden, furchterregenden Räubern! Doch was wären sie für schlechte Musikanten, wenn sie ihre Kunst nicht beherrschten. Also machen sie Musik, dass den Räubern Hören und Sehen vergeht. 6

Sonntag, 10. März 2019, 11.00 Uhr Eintritt: Kinder bis zwölf Jahre CHF 5.– / Jugendliche, Lehrlinge, Studenten CHF 10.– / Erwachsene CHF 25.– / Familienkarte CHF 50.– (beide Eltern/Grosseltern und alle Kinder bis zwölf Jahre) Tageskasse: 10.30 Uhr Vorverkauf: www.kulturticket.ch, office@kuenstlerhausboswil.ch, Telefon 056 666 12 85


Zu Gast am Künstlerhaus

Brahms’ Requiem, Werke von Mahler Junger Kammerchor Basel Julia Frischknecht, Sopran Edward Yehenara, Bariton Zora Janska, Konzertmeisterin Dominic Chamot, Klavier Tobias Stückelberger, Leitung Gustav Mahler (1860–1911) Klavierquartett a-Moll Gustav Mahler (1860–1911) Ich bin der Welt abhanden gekommen (Bearbeitung für Chor a capella: Clytus Gottwald) Johannes Brahms (1833–1897) Ein deutsches Requiem op. 45 Uraufführung der Neufassung für Chor, Soli und Klavierquintett von Johannes Raiser Das deutsche Requiem von Johannes Brahms feiert sein 150-jähriges Jubiläum. Der Junge Kammerchor Basel präsentiert das Werk in einer kammermusikalischen Neufassung für Klavierquintett.

Zu Gast am Künstlerhaus

Thomas Scheytt Thomas Scheytt, Klavier Klassiker des Blues & Boogie-Woogie und eigene Kompositionen Thomas Scheytt gilt als «einer der besten zeitgenössischen Boogie- und Blues-Pianisten. Er verbindet in seinem Spiel hohes pianistisches Können mit einer unglaublichen, tiefempfundenen Ausdrucksvielfalt» (Jazzpodium Deutschland). Scheytt gehört zu den meistbeschäftigten Musikern der europäischen Boogie- und Blues-Szene. Er ist seit über 20 Jahren nicht nur als Solist, sondern auch mit seinen Formationen Netzer & Scheytt sowie dem Trio Boogie Connection in Jazzclubs und auf Festivals zu Gast. Die Wertschätzung, die er sich durch seine Konzerttätigkeit, seine Kompositionen und seine CD-Einspielungen erworben hat, findet ihren Ausdruck in Auszeichnungen wie dem Audience Award 2000 des SWR (zusammen mit Ignaz Netzer) oder dem Freiburger Musikpreis 2003. Grosses Ansehen verschaffte ihm der zweifache Gewinn des German Blues Award 2015.

Samstag, 23. März 2019, 19.00 Uhr Sonntag, 24. März 2019, 17.00 Uhr Eintritt: CHF 30.–/10.– (Studierende, Schüler, IV) Eintritt: CHF 30.– Abendkasse: 18.30 Uhr Vorverkauf: www.ticketino.ch und an allen Poststellen

Abendkasse: 16.30 Uhr Vorverkauf: www.thomas-scheytt.de 7


Boswiler Akademie

Das Galatea Quartett: Hugo Bollschweiler, Sarah Kilchenmann, Julien Kilchenmann, Yuka Tsuboi (v.l.n.r.)

Das Streichquartett als Lebensschule Hugo Bollschweiler ist nicht nur Dirigent unseres Jugend-Sinfonieorchesters Aargau. Als Bratschist spielt er im renommierten Galatea Quartett. Er kennt die ganz besonderen Anforderungen des Kammerspiels im Streichquartett. Und er weiss, was für Herausforderungen auf die jungen Musikerinnen und Musiker des Streichquartett-Meisterkurses am Künstlerhaus warten. Was macht für dich den Reiz des Streichquartetts aus? Für mich war das Quartett schon immer eine Herzensangelegenheit. Mich fasziniert die komplexe Mischung aus Solostimme und Teamwork. Meine Solostimme ist extrem wichtig, gleichzeitig bin ich immer eingebunden in ein Ganzes. Ich muss stets abwägen, in 8

welcher Funktion ich gerade spiele: Bin ich Teil des Gesamtklangs, oder spiele ich solistisch? Spielst du im Quartett anders als im Orchester? Ja. Im Quartett gibt es meine Bratschenstimme nur einmal. Im Orchester bin ich als Streicher Teil eines Registers. Ich muss mich als individuelle Stimme in ein Kollektiv einfügen. Beim Quartett muss ich mich zwar auch einfügen, bin aber für meine Stimmer allein verantwortlich. Wie finden die vier Stimmen im Quartett zueinander? Das ist ein konstanter Prozess. Unser Galatea Quartett gibt es zwar schon seit 13 Jahren, auf Automatismen können wir uns aber nicht ausruhen. Ein


Hugo Bollschweiler (48) spielt seit fünf Jahren als Bratschist im Galatea Quartett. Als Dirigent, Solobratschist, Kammer- und Orchestermusiker, Artist-in-Residence, Festivaldirektor und Professor für Viola war er auf fünf Kontinenten aktiv. Er dirigiert das Jugend-Sinfonieorchester Aargau, den Orchesterverein Chur und die SinfonieON. Seine Viola- und Dirigierstudien an den Hochschulen von Fribourg, Basel, Baltimore (USA) und Zürich schloss er mit dem Solistendiplom ab.

Quartett ist stets in Bewegung. Es vereint vier starke Stimmen, die sich alle einbringen wollen, vielleicht vergleichbar mit einem politischen Prozess, an dessen Ende der bestmögliche Kompromiss steht. Schlussendlich sitzen wir zu viert auf der Bühne und müssen eine gemeinsame Aussage formulieren.

können, jetzt wissen wir, wie es läuft. Man muss sich konstant neu finden. Arnold Steinhardt, der erste Geiger des legendären Guarneri Quartetts hat ein wunderbares Buch dazu geschrieben: «Indivisible by Four: A String Quartet in Pursuit of Harmony». Er beschreibt die 40 gemeinsamen Jahre des Quartetts.

Das stelle ich mir auch zwischenmenschlich anspruchsvoll vor. Es gibt grundsätzlich zwei Ebenen, die musikalische und die zwischenmenschliche. Bei guten Quartetten sind die gleichwertig. Aber klar, es gibt immer gewisse Dinge, die einen an den Mitmusikerinnen und -musikern stören, zwischenmenschlich wie auch musikalisch. Letztlich ist es wie in einer Paarbeziehung: Man muss einen modus vivendi finden, um gemeinsam glücklich zu werden. Für mich ist das Streichquartett auch eine Lebensschule. Wie gehen wir miteinander um, wie tragen wir Konflikte aus?

Was passiert, wenn eine Stimme im Quartett ersetzt werden muss? Das ist ein schwieriger Moment. Ich war vor fünf Jahren die erste und bisher einzige Neubesetzung in der 13-jährigen Geschichte des Galatea Quartetts. Die Herausforderung bestand darin, dass ich mich möglichst schnell in ein bestehendes Gefüge einpassen musste. Ich musste zum Beispiel ein neues Repertoire lernen, das die andern bereits bestens kannten, und das sie in einer ganz bestimmten Art und Weise interpretierten. Bei meinem Einstieg spürte ich aber auch ganz klar das Bewusstsein meiner Kolleginnen und Kollegen, dass die Neubesetzung mit mir auch die Chance für neue Impulse von aussen war .

Das setzt viel Vertrauen gegenüber den Mitmusikerinnen und -musikern voraus. Ja, auch hier ist es wie in einer Paarbeziehung. Das Zusammenspiel im Quartett ist ein dynamischer Prozess. Wir kommen nie an den Punkt, wo wir sagen

Interview: Patrick Schellenberg Seite 4: Die Kunst des Streichquartetts 9


Geschichte des Künstlerhauses

Von der vielfältigen Legende Boswil In einer Forschungsarbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz/Hochschule für Musik hat Thomas Meyer die Bestände an Neuer Musik im Archiv des Künstlerhauses durchforstet. Auf hochinteressante Weise wird deutlich, was für eine Rolle das Künstlerhaus in den musikalischen aber auch kulturpolitischen Spannungen der 70er- und 80er-Jahre spielte. «Oase auf dem Abstellgleis Europas»: Diesen Titel hatten wir über die Forschungsarbeit gestellt. Manche hat er geradezu schockiert. Wer will schon auf dem Abstellgleis sein? Mal abgesehen davon, dass Boswil immer ein Durchgangsbahnhof war: Die Worte stammen von Willy Hans Rösch, dem Mitbegründer und langjährigen Leiter der Institution, und man sollte darin vor allem die «Oase» hervorheben und schätzen. Man stelle sich vor: Ein Musiker aus einem kommunistischen Land, sagen wir, der DDR, reist irgendwann während der 70er-Jahre über Prag in die Schweiz ein, wird am Flughafen Kloten abgeholt oder nimmt den Zug über Zürich und Lenzburg ins Freiamt und trifft irgendwo auf dem Land, abgelegen in einem Aargauer Dorf, eine Stätte, wo Neue Musik aufgeführt wird, wo Komponisten und Interpreten einander begegnen und offen miteinander diskutieren. Das war Boswil damals: ein «Podium für kulturelle und künstlerische Gespräche, wo alle Probleme, die Kunst und Öffentlichkeit betreffen, diskutiert werden» (so Rösch), «der Ort, das Neue zu versuchen, ohne vorschnell nach dem Gelingen zu fragen» (Günter Grass 1966) – oder eben kurz: eine Oase. Es ist ein Teil der Legende Boswil, wobei es sich eigentlich um mehrere Legenden handelt: Da war zunächst die Gründeridee eines Wohnheims für alternde Künstler, dann die Faszination des Konzertorts in der Alten Kirche, wo berühmte Musiker in Benefizkonzerten auftraten, dann der Kursort (vor allem dank Marcel 10

Moÿse), der junge Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt anlockte, schliesslich der von Grass beschworene Ort der Offenheit, der bald darauf zu den von Klaus Huber initiierten Komponistenseminaren führte – und schliesslich von da her die Begegnungsstätte für Künstler aus Ost und West. Allein von diesem letzten Thema her war es eine faszinierende und dankbare Aufgabe, im Archiv des Künstlerhauses Boswil zu forschen. Im Atelierhaus lagern dazu zahlreiche Materialien. Einige davon betreffen die Musik gewiss nur indirekt: Sitzungsproto-


« Bo s w i l i s t der O r t, d a s Neue zu ver su ch en, o h ne vor schne l l na ch

Das Neue wagen: Unbekannter Teilnehmer des Kompositionsseminars 1972, experimentelle Partitur von Klaus Huber, 1974

dem G e l i ngen zu fr a gen.»

kolle des Stiftungsrates oder der Geschäftsstelle, Korrespondenzen und Abrechnungen. Daneben finden sich aber etwa auch die Briefwechsel mit den Komponisten. Darin zeigt sich, wieviel diplomatische Kleinstarbeit vonnöten war, um für die Musiker aus dem Osten Ausreisebewilligungen zu erhalten. Manchmal blieben diese Bemühungen fruchtlos. Edison Denissow etwa, der grosse russische Komponist, durfte 1969 nicht zum ersten Komponistenseminar kommen. Boswil beliess es nicht dabei, sondern bemühte sich weiterhin, kontaktierte die obersten Funktionäre der sowjetischen Musik, Tichon Chrennikow und Rodion

Schtschedrin, bei Besuchen in den Oststaaten, aber auch mit Briefen, konnte aber nichts erreichen. Dennoch hielt Boswil die Einladung aufrecht, der Denissow dann erst 1991, nach Glasnost, nach der Wende, in einem Atelieraufenthalt Folge leisten konnte. Tatsächlich bot Boswil in den 70er- und 80erJahren eine wunderbare Auszeit vom totalitären Alltag. Einige Künstler, so etwa 1973 der Komponist Wilfried Jentzsch, nutzten dann den Atelieraufenthalt in Boswil, um in den Westen zu flüchten. Das beeinträchtige die Beziehungen der Institution zu den DDR-Behörden 11


Geschichte des Künstlerhauses

zeitweilig. Bald jedoch konnte man die Zusammenarbeit fortsetzen – übrigens auf eigenständige Weise, ohne allzu viele Kompromisse machen zu müssen. So waren immer wieder Musiker an den Komponistenseminaren beteiligt: als Besucher, Komponisten, Interpreten oder in der Jury. Von diesen Seminaren selbst sind reichlich Partituren, Probenpläne, Unterlagen und Tonbandaufnahmen erhalten. Das allein ist ein Schatz, den es noch zu heben gilt, denn hier findet sich so manches Frühwerk eines Komponisten, das heute kaum mehr aufgeführt wird. Dazu kommen Fotos und Zeitungsberichte, die einen Einblick geben, was und wie damals diskutiert wurde. Diese Diskussionen, aber auch die Proben, die ebenso aufschlussreich wären, wurden nur selten aufgezeichnet – zum Bedauern dessen, der heute tiefer in jene Zeit abtauchen möchte. Für die Forschungsarbeit war es deshalb notwendig, Zeitzeugen zu finden, mit ihnen zu sprechen und zusätzliche Informationen zu erhalten. Das waren, gefiltert durch die Erinnerung, oft auch anekdotische Details, die zudem verifiziert werden mussten. Daraus ergab sich ein wunderbares Mosaik. Deutlich wurde dabei etwa, wie offen diskutiert wurde und wie sehr dies von Klaus Huber geprägt wurde, wie gross aber auch das Engagement der Familie Rösch und weiterer Helferinnen und Helfer war, die die Gäste aus dem Osten mit dem Auto herumfuhren und ihnen die Schweiz zeigten, schliesslich aber auch, wie mühsam es sein konnte, wenn ideologische Fronten aufeinanderprallten. Besonders zwischen den Vertretern der BRD und der DDR klafften da zuweilen tiefe Gräben auf, geprägt von einem gegenseitigen Misstrauen. In der Forschungsarbeit, die von der Stiftung FHNW und von der Josef und Margrit Killer-SchmidliStiftung namhafte finanzielle Unterstützung erhielt, lag der Akzent aber weniger auf einer musikhistorischen Situierung als auf der «praxisorientierten Erschliessung». Welchen Nutzen, welche Erkenntnis gewinnen wir für die Aufführung jener Musik? Gewiss ergeben sich aus den Aufnahmen und Partituren hier wichtige Einsichten. Es ist aber noch wichtiger, die Musik von damals für uns heute zu kontextualisieren, so dass wir ihre Hintergründe verstehen – und gewissermassen 12

Erinnerte sich an seine Boswiler Zeit: Komponist Wilfried Jentzsch

mithören. Dazu findet sich in den Quellen reichlich Material. Nicht zuletzt jedoch wird man dadurch in jene Epoche zurückversetzt – und kann die Musik jener Zeit gleichsam aus dem Moment heraus verstehen, in der sie entstand. Die Musiker, aber auch die Kritiker von damals konnten noch nicht wissen, wohin das alles führen sollte. Hier ergibt sich also ein besonderer, quasi «authentischer» Blick auf die Musik. Die Forschungsarbeit erschloss die Quellen und zeigt nun, was weiter zu tun wäre. Weitere Studien, aber auch Dokumentationen sind denkbar und, was die Aargauer, aber auch die nationale und internationale Musikgeschichte betrifft, erwünscht. Für die Abschlussveranstaltungen – LectureRecitals am 21. November 2018 in der Alten Kirche und zwei Tage darauf in der Musik-Akademie Basel – reiste eigens der Komponist Wilfried Jentzsch an. Das Ensemble zone expérimentale, Studierende der Musikhochschule unter Leitung von Marcus Weiss, spielten Jentzschs Quintett «Für 5» und erweckten das Stück, das seit 1972 nicht mehr aufgeführt wurde, zu neuem Leben. Ausserdem Maurice Weddingtons horrend schweres und eindrückliches Bassklarinettensolo «Seul» (mit Hugo Queiros). Dazwischen berichtete ich von der Forschungsarbeit und unterhielt mich anschliessend mit Jentzsch über seinen Boswiler Aufenthalt, dessen Biographie damals einen wesentlichen Richtungswechsel erfuhr. Thomas Meyer


CD-Tipps von Frank Horn

CD-Tipps zum Meisterkonzert von Mischa Maisky

Zu Mischa Maiskys 65. Geburtstag versammelte die Deutsche Grammophon eine umfassende Werkschau mit seinen wichtigsten Aufnahmen von Bachs SoloSuiten über diverse Kammermusik bis zu den grossen Cellokonzerten von Dvořák, Elgar, Saint-Saëns, Schumann, Schostakowitsch und Tschaikowsky, in einer Box mit elf CDs zum Sonderpreis. Die Box enthält ebenfalls viele reizende Miniaturen in Bearbeitungen für Cello und Klavier, die besonders die gesangliche Seite seines Cellospiels beleuchten.

Im Zentrum von Maiskys Meisterkonzert steht Béla Bartóks traumhaftes Divertimento für Streicher, vom Kammerorchester Basel 2012 bei Sony aufgenommen. Als Kontrast gesellen sich Gideon Kleins selten gehörtes Bläseroktett sowie Mozarts Divertimento KV 131 dazu. Die CD erntete als «Unterhaltung der geistvollsten und tiefsinnigsten Art» höchstes Lob von der Neuen Zürcher Zeitung. Seite 5: Meisterkonzert Mischa Maisky & Chaarts

Die in Boswil erklingende Arpeggione-Sonate von Schubert hat Mischa Maisky mit seiner häufigen Partnerin Martha Argerich am Klavier 1985 bei Decca eingespielt. Dazu passend Schumanns Fantasiestücke und dessen anmutige Stücke im Volkston.

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Juni - Oktober 2019

Musizieren Trommeln

Malen

Singen

Schauspielen

Klassik

fßr 3-99 Jährige Improvisieren Jazz

Volksmusik

Improvisation

Bewegen

Worldmusic

www.musikkurswochen.ch


Förderverein Künstlerhaus Der Förderverein des Künstlerhauses unterstützt die vielfältigen kulturellen Aktivitäten der Stiftung. Als Mitglied sind Sie dem Künstlerhaus besonders verbunden. Sie erhalten vergünstigte Eintrittskarten, und die Programme für die Meisterkonzerte und das Festival Boswiler Sommer werden Ihnen e­ xklusiv frühzeitig ­zugestellt. Zudem bekommen Sie persönliche Einladungen für das Sommerfest und für das Weih­ nachts­­­konzert sowie für die Generalversammlung. Der Jahresbericht hält Sie zusätzlich auf dem Laufenden. Mitgliederbeiträge pro Jahr: CHF 80.– Einzelmitglied CHF 120.– Paare CHF 200.– Juristische Personen CHF 500.– Gönner (gilt gleichzeitig als ­Paarmitgliedschaft) IBAN CH95 0900 0000 5001 1200 6

Gönnerverein PRO JSAG Der Verein fördert ganz spezifisch das kantonale Schwer­punktprojekt des Künstlerhauses, das Jugend-­ Sinfonieorchester Aargau (JSAG). Als Mitglied unterstützen Sie die Ausbildung von jeweils rund 60 Jugendlichen und jungen Erwachsenen und die Ausstrahlung und Resonanz des Orchesters. Einzelmitglieder erhalten jährlich eine kostenlose Eintrittskarte, Paare /F   amilien sowie Gemeinden und Firmen zwei kostenlose Eintrittskarten für einen Konzertbesuch. Mitgliederbeiträge pro Jahr: CHF 100.– Einzelmitglied CHF 200.– Paare  / Familien CHF 500.– Juristische Personen

Impressum Nr. 174, Februar – März 2019 Redaktion: Patrick Schellenberg Gestaltung: HEUSSERBISCHOFF AG, Zürich Druck: Kasimir Meyer AG, Wohlen Auflage: 5800, erscheint 5 x jährlich Vorverkauf Tickets +41 56 666 12 85 office@kuenstlerhausboswil.ch www.kuenstlerhausboswil.ch www.kulturticket.ch Das Künstlerhaus-Team: Michael Schneider, Geschäftsführung Nadja Andermatt, Finanzen/Personaladministration Hugo Bollschweiler, Künstlerische Leitung und Dirigat JSAG Stefanie Braun, Projektleitung JSAG, Akademie für neue Musik, Kinderkonzerte Peter Brunner, Hauswartung Andreas Fleck, Künstlerische Leitung Boswiler Sommer Anne-Cécile Gross, Künstlerische Leitung und Dirigat JOF Sandra Hasler, Leitung Küche Liliane Kappeler, Administration Claudia Melliger, Gästehaus Ursula Meyer, Leitung Administration Andreas Pletscher, Haustechnik Karin Redwanz (ab 1.2.), Küche Magdalena Reisser-Dür, Projektleitung Musik Patrick Schellenberg, Kommunikation/Marketing Spenden (allg. und Sigristenhaus) ab CHF 100.– vom 1.8.–31.12.2018 V. Abt, J. Brem, O. Daubenfeld, E. Eggenschwiler, Elektro Poisel, I. Hartmann, O. Huber, Hotel Krone AG, W. u. D. Koch, B. Leuenberger, R. Peterhans-Fehlmann, H. Rettig, R. u. R. Schumacher, O. Slameczka, H. Staufer, M. Steiner, M. Tschumper Hauptsponsor JSAG

IBAN CH50 0588 1059 6308 2100 0 15


Pro g r am m Fe br u a r – Mä r z 2019 15.2. Freitag, 19.30 Uhr Boswil Surprise Schlusskonzert des Streichquartett-Meisterkurses 24.2. Sonntag, 17.00 Uhr Boswiler Meisterkonzerte Mischa Maisky & Chaarts 10.3. Sonntag, 11.00 Uhr Kinderkonzerte Künstlerhaus Die Bremer Stadtmusikanten 23.3. Samstag, 19.00 Uhr Zu Gast am Künstlerhaus Junger Kammerchor Basel 24.3. Sonntag, 17.00 Uhr Zu Gast am Künstlerhaus Blues & Boogie-Woogie mit Thomas Scheytt

Vorschau Meisterkonzerte 20.4. Ostersamstag, 17.00 Uhr Boswiler Meisterkonzert Ensemble Corund 28.4. Sonntag, 17.00 Uhr Boswiler Meisterkonzert Pogostkina, Guez, Ishizaka

Künstlerhaus Boswil Flurstrasse 21 CH–5623 Boswil +41 56 666 12 85 office@kuenstlerhausboswil.ch www.kuenstlerhausboswil.ch


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