Kult August 2014

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kult Die besten Blogs aus kult.ch. August 2014.

kult ist die erste Blog-to-Print-Zeitung der Schweiz: Unzensierte Kommentare zum täglichen Leben und dem, was sich in den Medien so abspielt.

LESEN MACHT DUMM 30. Juli 2014 Rainer Kuhn Wenn der Ukraine-Konflikt (Was es eigentlich ja gar nicht ist, aber das wissen sie ja, das ist mittlerweile so offensichtlich, dass ich gar nicht näher darauf eingehen will) etwas an den Tag gebracht hat, dann die Tatsache, dass es zwischen den Maintream-Medien wie Bild, Blick, Spiegel, Focus, Faz, Welt, NZZ, Tagesanzeiger, den Sonntagszeitungen, ARD, ZDF, SRF, RTL, SAT1, VOX, BBC USW. in Tat und Wahrheit keine Unterschiede gibt. Die Vielfalt, Freiheit und Unabhängigkeit der etablierten Medien ist im besten Fall ein Hologramm. Jedes einzelne dieser Medienhäuser hat vor allem im Zusammenhang mit dem Absturz des Flugzeuges vorsätzlich oder grobfahrlässig die elementarsten journalisischen Regeln verletzt. Mehr noch. Sie haben gehetzt. Aufgewiegelt. Kraft ihrer Funktion dieselbe missbraucht, um die Logik der Menschen zu ficken. Niemand weiss zwar genau wieso, aber offensichtlich herrscht ein munteres Treiben Richtung Krieg. Das mit dem Absturz lässt sich als Begründung nicht mehr hinbiegen. Auch unter starker Mithilfe oben erwähnter Mediengattung nicht. Das Totschlagargument der “Verschwörungstheorien” ist angesichts der jüngeren Zeitgeschichte immer stumpfer geworden. Und man fragt sich plötzlich, ob die Welt in den letzten hundert Jahren ebenso angelogen wurde wie in den letzten fünfzehn Jahren. Ob das, was wir zurzeit gerade für jeden sichtbar erleben, nur eine erst- und ein-

malige Sache ist, oder ob das bereits vor, während und nach den letzten beiden Weltkriegen so verleumderisch und fadenscheinig über die Bühne ging? Ob das, was wir in unseren Geschichtsbücher gelernt haben wirklich so gewesen ist? Oder nicht, wie grad jetzt, aus reinen machtgierigen Interessen einer handvoll Menschen, die Welt angelogen wird, um Krieg zu führen, oder zumindest danach zu schreien? Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben. Europa hat bereits zweimal verloren. Niemand will Krieg. 99,999% der Menschen auf diesem Planeten nicht. Ausser ein paar wenigen. Die finden

das geil. Offensichtlich. Kann man ja noch verstehen. Angesichts der Tatsache, dass ein paar drogensüchtige Grössenwahnsinnige das weltweite Finanzsystem kontrollieren und in den letzten dreissig Jahren dermassen in die Scheisse gefahren haben, dass es jetzt einen fetten Krieg braucht, um all die Schulden wegzuinflationieren. Da gehts nicht um Politik und Völkerrecht und anderen ethischen Scheiss, Blauhelme und so, da gehts um ein paar Konzerne, ein paar Tausend Menschen und ihre Vorstellung von Macht und Machterhaltung. Die einen wollen Gasvorkommen demokratisieren, die anderen Wasser

Schön ists immer erst im Nachhinein privatisieren, die einen Kriegschiffe verkaufen, was auch immer. Da gibts ein paar Menschen, die denken ein bisschen anders, als der ganze Rest der Welt. Die haben dann nun mal auch das Geld, die Waffengewalt und die Macher der öffentlichen Meinung. Wie gesagt: In einer Diktatur gehören die Konzerne dem Staat. In einer Demokratie ist es genau umgekehrt. Ein Land zu demokratisieren, heisst, den Staat der Wirtschaft unterzuordnen. Das mag im nationalen Rahmen bis zu einem gewissen Punkt und immer im Sinne des Volkes eine Berechtigung haben, ist aber im länderund kulturübergreifenen Kontext nie zu akzeptieren. Es geht nicht um Nazis in der geputschten Regierung gegen prorussischen Rebellen. Es geht um Konsumenten und Rohstoffe. Der Staat hat dem Volk zu dienen. Die Wirtschaft hat dem Volk zu dienen. Die Wirtschaftsvertreter haben aufgehört dem Volk zu dienen. Und bezahlen die Regierungsvertreter, damit diese auch nicht mehr dem Volk dienen, sondern ihnen, denn, so sagen ihre Vertreter, nur wenn die Wirtschaft ungehindert schalten und walten kann, kann sie auch dem Volk dienen. DieMedien haben der Wahrheit zu dienen. Sonst macht lesen dumm. Und die Intellektuellen müssten aufhören, sie zu lesen. Und damit ihre Existenzberechtigung als Intellektuelle aufgeben und etwas anderes machen. Selber denken, zum Beispiel. Die Zeit dafür wäre die Richtige.

REKLAME, DIE WIR GERNE PARTYLÖWEN DER WOCHE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: TIERPARK GOLDAU.

Nein, der Sommer war nichts. Kaum mal ein paar Tage durchgehend Sonne. Vor allem kaum ein Tag, an dem nicht darüber geklagt wurde. Geklagt wird sowieso gern. Über falsch erzogene Open-Air-Gänger, über zuviele Blitzkästen, über die in der Waschküche hängengebliebene Wäsche des Nachbars, über stillende Mütter im Tram, über mürrische Taxifahrer, über die Billag, über plötzliche AHV-Nachzahlungen, über den Kratzer am Auto, über das abgelaufene Joghurt im Gestell. Dem einen gehts zu langsam, dem anderen ists zu ungenau. Was einem nicht passt, wird kritisiert. Laut und jederzeit. Meist anstandsfrei, oft unüberlegt. Dabei fliegt rundherum grad alles in die Luft. Wohnungen werden zerstört, Köpfe werden abgerissen, und ich sitz da und sehe all diese Bilder und denke mir: Was, wenns bei uns plötzlich so abgeht? Mal abgesehen von wer gegen wen und warum: Wenns knallt, knallts, dann spielts keine Rolle mehr, wer die Bomben abgeworfen hat. Dann spielen auch all die anderen Sachen keine Rolle mehr. Keine liegengelassenen Zelte, keine hängengelassene Wäsche, kein Kratzer am Auto. Auch die Billag fällt von Platz 7 runter auf Bumm. Dann sitzt man da und denkt sich, hätte man nur ein bisschen gelebt, als man es noch konnte. Wäre man nur ein bisschen netter gewesen zu denen, die nicht grad gleicher Meinung war wie man selber. Hätte man nur ein bisschen mehr geliebt. Dann sitzt man da und denkt zurück an den Sommer 2014. Und wie schön er doch war. Auch wenns geregnet hat. Herzlich, Rainer Kuhn

seit 1997 Erscheinungsweise: Monatlich (12 x pro Jahr) Auflage: 20‘000 Exemplare

15. Juli 2014 Reinhold Weber. Der Zoooh! Zürich tut zwar alles, damit dort die Gitter verschwinden. Dafür macht der Tierpark Goldau die bessere Werbung. Finden jedenfalls wir Affen von Kult.

3. Juli 2014 Alex Flach. Erst einmal: Entschuldigung, dass wir Ihnen so lange keine Partylöwen mehr serviert haben. Es ist nur so, dass die vergangenen Exponate des nächtlichen Tierlebens die Qualitätslatte dermassen hoch gesetzt haben, dass es einfach keiner mehr geschafft hat sie zu überspringen. Bighead, die grösste aller Partylöwenlegenden, hat sich nach all seinen Erfolgen zur Ruhe gesetzt und verbringt nun seinen Lebensabend in einem Partylöwen-Reservat. Nun, als wir bereits akzeptiert haben, dass es nie mehr neue Partylöwen geben wird, wurde uns in einer dunklen Ecke eines min-

destens ebenso dunklen Parkhauses und von einem düsteren Kerl in einem dunklen Mantel ein USB Stick übergeben. Als wir den dann im Partylöwen-Office des Kult-Towers in den Laptop gesteckt haben, trauten wir unseren Augen nicht: Unzählige erstklassige Nightstars-Fotos, eines besser als das andere! Mit diesem Schatz können wir auf Jahre hinaus haushalten und sie dürfen sich auf ganze Rudel frischer Partylöwen freuen! Ist das nicht schön? Noch kurz zu dem Bild hier: Er links aussen sagt eigentlich alles und das ohne was zu sagen. Ja; wir freuen uns auch.

Verbreitungsgebiet: Stadt Zürich Herausgeber: Kult GmbH, 8006 Zürich Chefredaktion: Rainer Kuhn Autoren: Reinhold Weber, Midi Gottet, Alex Flach, Henrik Petro, Angela Kuhn, Dominik Patrick Hug, Vanessa Kunz, Christian Platz, Kaspar Isler, Yonni Meyer, Zukkihund, Joy Tieg Gestaltung: Fredy Heritsch Kontakt: rainer.kuhn@kult.ch http://www.facebook.com/kult.ch Kultzeitung, kult.ch, kultradio.ch sind Unternehmungen der kult gmbh. www.kult.ch/gmbh

Wir freuen uns über jeden Anhänger: www.facebook.com/zuerilinie


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KUBA: LAND VERALTETER IDEOLOGIEN TEIL 1 – DIE GESCHICHTE DER REVOLUTION 15. Juli 2014 Jelena Keller. In meiner durch kontrollierte Propaganda in den Medien entstandenen Vorstellung, gab es ein zauberhaftes Kuba. Ein Inselstaat, der nur so vor Glück strotzt, voller Nationalstolz auf seine glorreiche Revolution, die Errungenschaften des Sozialismus und seine Unabhängigkeit, weit weg von der Globalisierung und unserem Wettkampf um das Geld. Wer nach Kuba reist, erwartet lachende Gesichter, Salsa tanzende, fröhliche Gemüter. Doch wird diese utopischer Wunschtraum von einer besseren Welt, ziemlich schnell und brutal vernichtet. Aber beginnen wir von vorne. Um Kuba zu verstehen, muss man zuerst die Geschichte seiner Revolution in groben Zügen kennenlernen. Kuba, ein Land, das vor der Revolution um 1959 nichts besass, ausser einer von den Amerikanern aufgebauten Wirtschaft, die vor allem von der Kaffee-, Zigarren- und Zuckerproduktion lebte. An der Macht, der Diktator Fulgencio Batista, der es schaffte, seine autoritären Prinzipien durchzusetzen, als er 1953 die Verfassung abschaffte. Das von der totalitären Herrschaft und den Amerikanern unterdrückte Volk fand mit Fidel Castro, einem Anwalt, und Che Guevara (Ernesto Guevara) als militärischem und unerschrockenem Kommandanten, zwei

der wohl populärsten und aufsehenerregendsten Symbolfiguren des kubanischen Freiheitskampfes. Man hört immer mal wieder, dass der Kult um diese beiden Herren, sowie andere wichtige Drahtzieher der Revolution, Teils erzwungen wurde. Lobeshymnen, Medienpräsenz, ihre Portraits in der ganzen Stadt. Die gekonnt platzierte Stimmungsmache trägt auch Jahrzehnte danach Früchte und bestimmt offensichtlich, unumgänglich das Stadtbild Havannas und die Köpfe der älteren Generation. Nach dem, Ende der 50er Jahre, erfolgten Putsch der Guerillakämpfer, wurden die Ziele der Revolution grob wie folgt definiert: Wiedereinführung der Demokratie, soziale Reformen, ganz im Sinne eines kommunistischen Staates nach stalinistischem Vorbild. Rückblickend lässt sich eine angestrebte TeilWeltherrschaft herauslesen, die vom Grössenwahn nicht weit entfernt ist. Die Bevölkerung Kubas war zu dieser Zeit extrem verarmt und lechzte nach Veränderung, unabhängig von der schön definierten Ideologie: „Per Weltrevolution, einen sogenannten Neuen Menschen zu schaffen, der nicht mehr individuellen, egoistischen Zielen nachhängt, sondern seine ganze Kraft in den Dienst der Gesellschaft stellt“. Der Slogan: „In der Revolution alles, gegen die Revolution

nichts“, entstand. Wie wundervoll der Gedanke, wie Gierig doch die Umsetzung war.

Che residierte und führte Geschäfte in einem der schönsten Häuser auf einer Anhöhe über Havanna, Fidel Castro wurde bi zu seinen Rücktritt 2008 stets kritisiert für seinen ausschweifenden Lebensstil und Besitztümer, wie einer eigenen Insel, Jachten und Privatjets. Während die Kubaner noch in heruntergekommenen, zerfallenen, modrig stinkenden Behausungen leben und fast keine Möglichkeit haben, mit ehrlicher Arbeit ausreichend Geld zu verdienen um sich ein besseres Leben aufzubauen, trinkt der Fidel seine gekühlten Drinks. Nachdem Castro die Amtsgeschäfte um 1960 übernahm, wurden Agrarreformen durchgeführt. Grossgrundbesitzern und Ausländern wurde der Besitz von Land, zum Wohle der Gemeinschaft untersagt, Vermögenswerte (in Höhe von 1 Mrd. US Dollar) wurden verstaatlicht. Hotels, Fabriken, Bars und andere von Amerikanern besessene Wirtschaftszweige wurden von den Kubanern an sich gerissen. Aufgrund der Unruhen wanderten rund 10% der kubanischen Bevölkerung, nahezu die ganze kubanische Oberschicht, in die USA aus. Mittlerweile bilden die Exilkubaner eine Gemeinde von 2 Millionen Menschen in Nordamerika, insbesondere in Florida. Diese Auswanderer schicken ihren Familien heutzutage Geld, Fernseher, Kleidung, Handys und weitere Waren, die im Heimatland nicht erhältlich sind. Die damaligen Unruhen lösten bei auch bei den Wohlhabenden Amerikanern Existenzängste aus, weshalb viele auf die Schnelle das Land verliessen und ihre wundervollen, teuren, im Jahre 2014 aus dem kubanischen Lebensstil nicht wegzudenkenden Oldtimer, dort liessen. Zu diesem Zeitpunkt, stellten die vor den Kopf gestossenen USA ihre jährliche Wirtschaftshilfe von 200 Millionen ein und verhängte ein Handelsembargo gegen Kuba, an dem sich ebenfalls andere westliche Länder beteiligten. Einzig die Sowjetunion hielt zum neu gewonnen politischen Verbündeten. 1961 ereigneten sich zwei wichtige Höhepunkte der Kubakriese. US-Militärs versuchten in der Schweinebucht ins Land vorzudringen, doch mussten sich die Invasoren zurückziehen, da Kubas Soldaten vorbereitet waren. Die amerikanische Version besagt, man habe wegen Nahrungsmittelknappheit aufgeben müssen. Kuba ging Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion und China ein, wurde jedoch vom Rest der Welt boykottiert. Nach Ende des Kalten Krieges gab es in Kuba vermehrt

Versorgungsschwierigkeiten, die auf die wirtschaftliche Beziehung zum Ostblock zurückzuführen waren. Gleichzeitig wurden die sozialistischen Ziele vorangetrieben. Eine Alphabetisierungskampagne im ganzen Land wurde gestartet, Grundstücke wurden verteilt, die Agrarwirtschaft vorangetrieben. Man arbeitet darauf hin, dass Lebensmittelabgabe, Kultur und Sport kostenlos werden, doch kam es zu ersten Massregelungen gegen kritische Stimmen. Regimegegner wurden in Arbeitslager gesteckt und ermordet, was zu grossen Aufständen in der Bevölkerung führte. Auch heutzutage ist das Tadeln der Regierung verboten und wird bestraft. Stets legte man Wert auf Militärpräsenz. So zählt man gegenwärtig noch immer einen Polizisten auf zwei Bewohner. Gegen Ende der 60er Jahre war die Anfangseuphorie des kubanischen Volkes erloschen. Das Leben wurde bestimmt von der Regierung, was zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung führte. Noch vorhandenes Privateigentum in Form von Handwerksbetrieben, Restaurants, etc. wurde abgeschafft. Der Nahverkehr kostete nun nichts mehr, Lebensmittel, Bildung, medizinische Versorgung, Bücher und Telefon wurden ebenfalls vom Staat kostenlos zur Verfügung gestellt. Da Bildung nun für alle zugänglich war, entstand eine Gesellschaft von überdurchschnittlich Geschulten, es begann an einfachen Arbeitern zu mangeln. Unabhängig vom Wert der Arbeit, wurden Einheitslöhne eingeführt. Arbeitsfähige Kubaner waren gezwungen einen Arbeitsplatz vorzuweisen. Jedermann musste zum Wohle der Gemeinschaft arbeiten. Wobei sich die Staatsangestellten, auch Militärs, ein deutlich besseres Leben leisten konnten. Um 1970 erkannte Kubas Regierung, dass sie alleine nicht überlebensfähig war und sich weiterhin an das sowjetische Modell binden musste. Für den einfachen Bürger begannen sich die Verhältnisse zu verbessern. Lebenserwartung und Säuglingssterblichkeit bewegten sich zunehmend auf dem Niveau von Erstwelt-Ländern. Doch Versorgungsprobleme und Wohnraummangel führten zu Missmut in der Bevölkerung, worauf über 100.000 Kubaner in Richtung USA flüchteten. Trotz günstiger klimatischer Bedingungen, muss das Land seine Lebensmittel noch heute grösstenteils aus dem Ausland importieren. (Es folgt Teil 2)


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NACH DEM FUSSBALL ENDLICH WIEDER RICHTIGEN SPORT. (EIN PAAR VORSCHLÄGE) 19. Juli 2014 Reinhold Weber Nach drei Wochen Fussball vor dem Fernseher mit Beer ‘n’ Chips ist es höchste Zeit, selber etwas für den Körper zu tun. Aber Fussball? Bitte nicht schon wieder. Etwas weniger Mainstream darf es denn schon sein. Wie wäre es mit Sumpfschnorcheln? Kann man auch als Nichtschwimmer. Nacktrugby? Hm (s. Abb.). Unterwasserhockey? Klingt gut, dabei kann man allerdings nicht rauchen. Gut gefallen würde uns auch Blind Soccer oder Kopfballtischtennis. Oder, im Herbst dann, ein wenig Kastanienschlagen, über welches DIE

WELT schreibt: “Für den 200 Jahre alten Sport werden nicht irgendwelche heruntergefallenen Früchte verwendet, sondern nur die richtig harten, denn beim Conkern, wie das Spiel in England heißt, geht es darum, wessen Kastanie als erste bricht. Zwei Spieler schlagen dabei ihre mit Schnüren befestigten Kastanien gegeneinander. Der Spieler mit den härtesten Nüssen gewinnt.” Unser Favorit bleibt allerdings das Gummienten-Werfen der Frauen: Mann steht am Rande des Geschehens, trainiert sein Zwerchfell und schlürft dazu ein Bierchen oder fünf. Allerdings die Light-Variante. Wegen des Sixpacks.

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AUS DER REGION, FÜR DIE REGION: VÖLLIG VOREINGENOMMENE BERICHTERSTATTUNG FÜR DIE MUSIK VON REZA DINALLY 18. Juli 2014 Yonni Meyer Reza Dinally ist cool. Er hat einen Bart (und zwar einen richtigen, nicht so einen Hamsterfriedhof, wie ihn einige Milchbubi-Hipsters in ihren Gesichtern heranzüchten) und ganz grosse, braune Augen. Grosser Bart, grosse Augen und – wie es noch praktisch ist, wenn man Musik macht – eine richtig grosse Stimme. Ich mag ihn! Drum schreibe ich dieses Textli – deshalb und weil gute Schweizer Musik promotet gehört. Der Junge ist ein Mischmasch aus geschätzten 430 Nationen, seine Eltern – eine Dame aus dem Bernischen und ein Engländer mit mauritischen Wurzeln – lernten sich in London kennen und lieben und kehrten gemeinsam in die Schweiz zurück, wo sie Reza und seine grosse Schwester fabrizierten. Haben sie gut gemacht, finde ich. High 5, Herr und Frau Dinally. Rezas diverser Hintergrund zieht sich weiter in sein musikalisches Schaffen. Hört man sich die Klänge an, die Reza und seine Band zusammenzaubern, dann reissen sie einen mit, nicht nur auf dem Sofa, sondern im Hirn. Mal

beruhigen sie einen, oft sogar, und genau dann, wenn man denkt, man hätte sie druchschaut, dann schwemmen sie einen weg, pusten einen fort, wie der Wind über einer nordischen Ebene, der einem salzige Meerluft ins Gesicht peitscht. Vielleicht sind da auch noch

ein paar wilde Ponys, aber auf jeden Fall ist da saftiges, weites Grün. Für mich zumindest. Das Spektrum auf „Depths Of Montmartre“ reicht von sehr ruhigen, fast meditativen Klängen bis hin zu kraftvollen Donnerschlägen. Musik und Texte stammen aus Rezas Feder und wurden zusammen mit der Band weiterentwickelt – das Resultat zeigt sowohl seitens Sound als auch seitens Texten erstaunlichen Tiefgang. Mein Lieblingstrack ist „Montmartre“. Höre ich den Song, was ich in den letzten Tagen ca. 450’000mal getan habe, finde ich mich gleich auf einem Floss wieder und treibe einen Fluss hinunter. Im Frühling. Mit geschlossenen Augen. Ich mag Musik, die solche Bilder in mein Hirn zaubert, die Poesie ist, sogar wenn man nicht auf den Text achtet. Musik, die bewegt, auch wenn man still dasitzt und einfach nur lauscht. Musik, die man sich einverleibt, auch wenn sie nur im Hintergrund läuft. „Mach mal bitz lüüter“-Musik. Und solche Musik macht Reza Dinally. Und wie.

FREMDENFEINDLICHKEIT IM 21. JAHRHUNDERT

23. Juli 2014 Jelena Keller Heute Abend beim Spaziergang mit meinem Hund Dino: Zwei Jugendliche in einer eher harmlosen Auseinandersetzung schreien einem Dunkelhäutigen beim Weggehen lauthals “Neger” nach. Ja, das kommt in meiner Nachbarschaft hie und da vor. Hier streitet man sich noch auf offener Strasse und ist nicht nur hinter vorgehaltener Hand rassistisch, grundsätzlich fremdenfeindlich oder antisemitisch. Statt mich über die Intelligenz, Bildung und Ignoranz solcher sowieso im Überfluss vorhandenen Existenzen aufzuregen, mache ich mir Gedanken über die Macht solcher oberflächlich bezeichnender Wörter. Ist es nicht so, dass man uns in diesem Krieg nur ausser Gefecht setzen kann, weil wir den eigentlich harmlosen Wörtern solch grosse Bedeutung beimessen

und so den Gegner gleichzeitig in seiner Macht überdimensional werden lassen? Ist es nicht so, dass wir den Widersacher durch unser verletzt sein, unsere Wut und spätere Trauer, in seiner Oberflächlichkeit und Idiotie bestätigen? Wir begeben uns auf sein Terrain und erklären mit unserer Reaktion: Ja, ich finde das Wort schrecklich und weil es auf solch etwas Erniedrigendes und gänzlich Niveauloses schlicht nichts zu argumentieren gibt, kann ich nur in Rage geraten und dich über mich kapitulieren lassen. Wenn wir uns aber überlegen, dass diese hasserfüllten Ausdrücke (Jugo, Thai, Jude, Japse, Neger und all die anderen mit “scheiss” vorangehenden Bezeichnungen) irgendwann nur eine normale Bezeichnung für die Herkunft oder das Aussehen einer Person darstellten (genauso wie eine Berufsbezeichnung) bevor die Ignoranten sie

sich zu eigen machten und etwas Böses daraus schufen – so nehmen wir Ihnen die Macht über uns und alle anderen, die mit uns so aussehen, wie sie aussehen oder dort her kommen, wo sie her kommen. Schlussendlich verändern sich die politisch korrekten Ausdrücke stets – was wohl auch damit zu tun hat, dass wir Bezeichneten, sie irgendwann als unkorrekt ansehen und wiederum das Spiel der Hasserfüllten mitspielen, ihnen somit noch mehr Vokabular als Munition geben, um gegen uns zu schiessen. Deshalb werde ich, sollte mich jemand oberflächlich angreifen – zurückschiessen, indem ich lächle und stolz darauf bin, dass man mich so wahrnimmt, wie ich doch letztendlich bin: Ein Jugo oder eine ex-Jugoslawin. Ist doch sowieso egal, weil es das gleiche bedeutet und mich nicht mehr wütend oder traurig macht.


TADAA!

TADAA!

TADAA!

TADAA!

! A A D A T TADAA!

TADAA!

DEIN NEUES ! A D T S I I L K C Ä P E N PARISIEN Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno.


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«SCHAU MIR IN DIE AUSTERN, KLEINES!»: DIE EBEN GRAD FRISCH VON FISCHERS FRITZ GEFISCHTE TOP 5 DER GEILSTEN PICS VON SCHARFEN MEERESTIEREN IM NETZ Was macht eigentlich Gregory Peck?

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… DER WERFE DEN ERSTEN STEIN 16. Juli 2014 Rainer Kuhn “Die Jugend hat ein Nachhaltigkeitsproblem”. Oder “Wie wollen Verantstalter dazu gebracht werden, die Besucher zu erziehen?” Ui. Das Open-Air Frauenfeld versinkt im Schlamm. Und die Kids räumen ihren Scheiss einfach nicht weg. Jetzt die grosse Diskussion überall in den Medien. Sonst eigentlich nirgends, und jeder weiss wieso. Weil er’s wahrscheinlich auch so machen würde. Das versiffte verdreckte Zelt einfach stehen lassen. Weil sauber zusammenfalten und zurück in die enge Tasche stecken geht ja jetzt auch nicht, so nass und voll Schlamm das Zelt ist. Und dann das ausgeleerte Bier. Das kriegst du nie mehr raus. Ach, scheiss drauf. 49.- im Athleticum oder so. Die müssens ja eh wegräumen. Was solls. Ich bin ja sonst eigentlich nicht so. Und die anderen so: Sie sind empört, wenn sie’s lesen. Und schreiben empörte Kommentare. Geht ganz leicht. Grad so leicht, wie ein dreckiges, nasses Zelt für 49.- im Schlamm stecken lassen.

DU BIST MIT WEM DU DICH UMGIBST 4. August 2014 Jelena Keller Ich habe da so eine Freundin. Mit 18 wurde ihr fast der ganze Magen herausoperiert. Krebs. Seither kämpft sie mit Schmerzen, dem Schlucken von etwa 30 Tabletten pro Woche und Nebenwirkungen, wie wir sie uns nicht einmal ausdenken können. Manchmal muss sie nachts im sitzen schlafen, weil es vor lauter Magensäure nicht anders geht. Manchmal muss sie sich hinlegen, weil das Essen unverträglich war. Schweissausbrüche, Überzuckerung, Krämpfe. Und doch steht sie am nächsten Tag auf und geht arbeiten. Als vollzeitlich berufstätige Krankenschwester hört sie sich dabei die Probleme anderer an und kümmert sich um deren Leiden und Gejammer, welche ihr an manchen Tagen bestimmt lächerlich vorkommen mögen. Ich kenne nicht alle Details ihrer Krankengeschichte und dies hat einen bedeutenden Grund. Sie spricht nicht ständig darüber, wie krank sie ist, wie schlecht es ihr doch geht, wie ungerecht das Leben ist, wie sie vom Pech verfolgt

wird. Noch nie habe ich sie jammern, verzweifeln oder aufgeben gehört. Vielmehr erzählt sie, wenn sie gefragt wird. Oder weil ihre akute Situation gerade nach Erklärungen verlangt. Sie berichtet sachlich und neutral. Ganz so, als hätte sie gerade Nachrichten in der 20Minuten gelesen. Wir haben sie nie als Opfer wahrgenommen, denn sie liess es nie zu. Trotz Schicksalsschlägen, wahrscheinlich bestimmt von Verzweiflung, zermürbenden Gedanken und unaufhörlichen Fragezeichen, fand sie ihren Weg ins positive Dasein. Und sie gibt uns sogar davon ab. Sie versammelt uns Freunde um sich herum, bekocht, unterhält und

hilft. Sie hat unseren Freundeskreis näher gebracht, als all die gemeinsamen Jahre und Erinnerungen zuvor. Trotz wenig eigener Kräfte, lässt sie uns an ihrem Optimismus teilhaben. Ohne Erwartungen, ohne Bedingungen. Man könnte sagen: Ach ja, eine typische Verdrängerin. Ich sage: Ja, eine typische Lebens-Geniesserin. Da können sich andere noch so Sprüche wie: “Lebe jeden Tag, als wäre es dein Letzter” an Wände und Facebook-Seiten heften. Verinnerlichen – das ist etwas anderes. Sie ist der Beweis dafür, dass Gutes mit Gutem Hand in Hand geht. Sie ist der Beweis dafür, dass sich aus Wohlwollen, Selbstvertrauen, positivem Denken und Ehrgeiz, wundervolle Momente kreieren lassen. Und: dass alles gut werden kann, wenn man sich und das Leben nicht schwarzmalt. Solche Menschen sind kostbar, denn sie stecken uns an, mit ihrer hoffnungsvollen Grundeinstellung und einer Lebensfreude, die uns kein Philosoph und keine Theorie näher bringen könnten.

REKLAME, DIE WIR GERNE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: DUREX.

28. Juli 2014 Reinhold Weber. Ob der Gummi, der den Höhepunkt hinauszögern soll, jemals funktioniert hat? Also bei uns nicht. Die Anzeige dafür fanden wir allerdings ziemlich scharf.


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JENER UNENDLICHE OZEAN DER REALITÄT 21. Juli 2014 Christian Platz Es kann schon sein, dass jene Menschen, die von sich behaupten, dass sie im Leben immerzu die allerstrengsten Prinzipien einhalten, zudem in jedem Fall wirkungsmächtig die schärfstmöglichen Konsequenzen ziehen würden, im Glauben leben, dies auch tatsächlich zu tun. Allein, das menschliche Innenleben ist eine Tatsachen-Verbiegungsmaschine sondergleichen. Aber das da draussen, jenes ominöse Andere, das da heisst Realität, schert sich einen Scheissdreck um unsere Prinzipien und Konsequenzen. Seit Menschengedenken haben die meisten Vertretenden der Spezies Homo Sapiens ja nichts anderes getan, als dauernd zu versuchen, jenes ominöse Andere zu bändigen, unter verschwenderischem Einsatz von Blut, Schweiss, Tränen. Auch heute noch werfen wir unsere Regelsysteme – Fischernetzen gleich – in den unendlichen Ozean der Realität. In der Hoffnung ihm damit irgendwie beizukommen. Es ist nur so, dass die Turbulenzen, die in diesen mächtigen Wassern entstehen, unsere Netze zerfetzen. Ohne Absicht. Einfach nur deshalb, weil sie halt da sind. Denn unsere Regelsysteme sind doch bloss Produkte unserer stecknadelgrossen Köpfe, die – ach so leicht – im Heuhaufen der Realität verloren gehen. Und nimmermehr gefunden werden. Kaum ist so ein fein gedachtes Regelsystem auf die Welt gekommen, mag es einem einzigen Kopf oder vielen Köpfen gemeinsam entsprungen sein, wird jenes ominöse Andere da draussen seinerseits etwas produzieren, dass kein menschlicher Kopf im Voraus berücksichtigen kann. Und dieses unerwartete Produkt des Anderen, das da draussen, im Unvermessbaren, Unberechenbaren, Unbeherrschbaren, seine Fäden spinnt, wird unserer kleines Regelsystem zerstören. Ohne jegliche Bosheit. Einem mächtigen Staubsauger gleich, dessen Sog eine Eintagsfliege erfasst, die über meinem Himbeerkonfitürenglas schwebt, das im Hochsommer eigentlich nicht offen auf dem Küchenfussboden stehen sollte, denke ich noch, bevor ich es mit dem Staubsaugerschlauch umstosse, in meiner Ungeschicklichkeit, die ich meinem tonnenschweren Kater verdanke, den ich mir letzte Nacht angelacht habe. Jetzt habe ich eine weitere Sauerei zu putzen… Aber eben; ich habe das Konfitürenglas gestern Nacht ins triumphale Finale einer – genauso betrunkenen wie ausufernd lüsternen – KüchenfussbodenOrgie einbezogen, welche ich mit einer

jungen, ausserordentlich attraktiven mexikanisch-litauischen BackgroundSängerin feiern durfte. Ich hatte die Dame übrigens kurz vorher an der Warenhauskasse aufgerissen, ohne Absicht; keine Ahnung, wie ich das gemacht habe. Pardon, die Herren, ich kann Ihnen diesbezüglich keine Ratschläge erteilen…. Oder vielleicht doch… Grundsätzlich konnte sich dieses eminente nächtliche Vergnügen nur deshalb ereignen, weil ich mein Logis vorher ohne jeglichen Vorsatz verlassen hatte. Ich habe das Warenhaus ja nur betreten, um einige Sachen einzukaufen. Harmlose Dinge des täglichen Bedarfs. Im Kopf habe ich, während ich durch die herzhaft bunte Warenwelt stromerte, lediglich versucht, einen PianoLick – den der fantastische Professor Longhair (Henry Roeland “Roy” Byrd (1918 – 1980)), Fess genannt, eine der grössten Musiklegenden aus New Orleans, Louisiana, einst erdacht hatte – auf das Griffbrett meiner Fender Telecaster umzumünzen. Zudem habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, wie ich die Noten den Saiten mit meiner rechten Hand, ich arbeite ja mit Dreifinger-Picking oder mit dem Plektrum, je nachdem, was die Musik gerade von mir verlangt, am besten entlocken könnte. Als mich dann in die Warteschlange vor der Warenhauskasse einreihte, war ich überzeugt davon, dass ich das Musikstück, nachdem ich daheim angelangt wäre, mühelos auf die Gitarre bringen könnte. Ich vollführe meine musikalische Kopfarbeit übrigens immer so, sei es komponieren oder arrangieren, während ich bummle, arbeite, reise, Schuhe putze, Brüste knete, Butter streiche. Ohne sie vorher zu planen. Sie kommt einfach… So wie die mexikanisch-litauische Background-Sängerin, im tiefsten Bauch der gestrigen Nacht, auf dem Küchenfussboden gekommen ist. Zum dritten Mal übrigens… Das erste der drei Ereignisse ist auf meinem nepalischen Drachenteppich eingetreten, gleich neben meinem mächtigen Bücherregal. In der Präsenz von Jacques Lacan (1901 – 1981), Joseph Roth (1894 – 1939), Samuel Beckett (1906 – 1989) und vielen anderen. - Gewissermassen. Aber ja, Maya Deren (1917 – 1961), Aleister Crowley (1875 – 1947) und sogar Migene González-Wippler (sie lebt noch) waren auch dabei… Der zweite Höhepunkt hat in mei-

ner weinroten Badewanne stattgefunden (ich habe sie einst ausgesucht, weil man den Dreck auf weinrotem Grund weniger deutlich sieht als auf weissem), die ich – bevor wir zu zweit hineingestiegen sind – mit Milch, Kahlúa und Wodka gefüllt habe, bis zum Rand. Und noch ein bisschen darüber hinaus. Was im Badezimmer natürlich zu einer furchtbaren Überschwemmung führte. Aber wir sind ja noch gar nicht so weit, hochverehrtes Publikum – oder würden Sie es vorziehen, heute meine liebe Gemeinde zu sein? Wir stehen ja immer noch in der Warteschlange. Vor der Warenhauskasse. Gerade habe ich in meinem Kopf das Voicing des Schlussakkords jenes Songs von Professor Longhair auf die imaginären Gitarrenseiten gelegt, da nehme ich plötzlich meine Umgebung wieder war. Und stelle fest, dass meine

Augen auf einem stolzen Gesäss kleben, welches da, unmittelbar vor mir, auf zwei kräftigen, nicht allzu langen aber interessanten Beinen steht. Auf dem Gesäss thront dann sogar noch ein Oberkörper. Ich sehe jenen hinteren Teil davon, den man gemeinhin Rücken nennt, welcher in diesem Falle fast gänzlich von prächtigem, geradem, von einem Damenhaupt herabfallenden, dunklem Haar verschleiert wird. Ich stelle fest, dass diese ganze Erscheinung einen Magneteffekt auf mich ausübt. Oder vielleicht sogar einen Sonneneffekt, von der Sorte, die auch den kleinsten Sprössling dazu bewegt, als mächtiger Baum dem Himmel entgegenzuwachsen. „Naja“, denke ich mir, „das gibt es halt hin und wieder…“ Und verknüpfe keine weiteren Erwartungen mit dem schönen Anblick, wie es mich die Realität gelehrt hat, während vielen schwierigen Jahren. Da dreht sich dieses Haupt plötzlich

um, weil die Hände, in denen die starken Arme enden, welche die Befehle des Damenhauptes – oder präziser des Gehirns, das in diesem Haupt wohnt, und in der Regel eine Farbe aufweist, die ein bisschen an Himbeerkonfitüre erinnert – normalerweise tadellos ausführen, für einen Moment versagt haben. Ein Glücksfall für mich. Wie sich etwas später herausstellen wird… Eine Packung Vollkorntoastbrot ist mir nämlich gerade vor die Füsse gefallen. Die Dame vor mir wollte sie wohl aufs Kassenförderband legen, hat sie aber stattdessen eben direkt vor meine Füsse fallen lassen, die in wohlfeilen Alligatorenleder-Halbschuhen stecken. Deshalb hat sich das Haupt zu mir umgedreht. Plötzlich sehen mich zwei tiefe dunkle Augen an. Zwei Revolverläufen gleich, die einen Alltag ohne weiteres in Stücke schiessen können. Ich bücke mich, stelle fest, dass mein Antlitz sich dabei dem stolzen Hinterteil nähert. Und registriere, dass anhand dieser Tatsache gar kein schlechtes Gefühl aufkommen will. Ganz im Gegenteil. Ich hebe die Packung blitzschnell auf, bringe sie in die Höhe, lege sie aufs Förderband und registriere nun einen freundlichen ungeschminkten Mund, der mich anlächelt – und urplötzlich Worte formt: „Dankeschön. Coole Schuhe übrigens. Und Ihr Hut gefällt mir auch. Sind Sie ein Musiker?“ Das fragen mich die Einwanderungsoffiziere auch immer, wenn ich in die USA einreise, denn ich trage täglich Rock’n’Roll-Schuhe und einen BluesBrothers-Hut, den man übrigens auch Fedora nennt. Aber die Offiziere stellen diese Frage mit einem anderen Ton in der Stimme, als diese interessante Dame es tut. Ich sage „ja“. Und die Augen schauen mich nun sogar so richtig freundlich an. „Ich mache auch Musik“, sagt der umgeschminkte aber wohlgestalte Mund. Es entsteht eine Unterhaltung. Die Dame kann gut schwatzen. Ich auch. Wenn ich inspiriert bin. Und ich stelle fest, dass ich gerade sehr inspiriert bin. Das Gespräch ist in der Tat so angenehm, dass es alsbald in einem Café weitergeführt wird. Schau an, die Lady interessiert sich auch für Rhythm&Blues. Die New Orleans-Variante dieser herrlichen Musikform kennt sie aber noch nicht so gut. Sie kennt bisher nur Dr. John Mac Rebennack, den sie super findet, und möchte gerne noch mehr über die BigEasy-Ausformung des Genres wissen. Ich erzähle ihr also von Professor Longhair

und vom Song, den ich im Warenhaus gerade mental auf meine Gitarre übertragen habe. Sie will ihn unbedingt hören. Und schon sitzen wir bei mir zuhause. Im Wohnzimmer. Wir trinken White Russians, rauchen einen Joint nach dem anderen. Ich spiele ihr den Song vor, plötzlich singen wir zusammen: „I got fire can’t put it out…“ – und so weiter… Sodann hebt unvermittelt, ohne jegliche vorherige Absprache, ein Reigen der Ausschweifungen an, wie sie sich der Marquis de Sade (1740 – 1814) nicht durchgeknallter hätte ausdenken können. Begleitet von einem wunderbaren Schwall dreckiger Worte. Draussen wird es dunkel – und die Nacht vergeht im Wahn. Meine Walfischknochensammlung, Teile meiner Fender Telecaster, das Vollkorntoastbrot und allerlei andere Gegenstände sowie Lebensmittel werden in den grandios obszönen Reigen einbezogen. Nebst der weiter oben erwähnten Himbeerkonfitüre. Den Schluss der Geschichte können Sie sich nun aussuchen. Aus folgenden zwei Optionen: Nummer eins: Ich wache am spääääten Nachmittag auf dem Küchenboden auf. Die Lady ist weg. Aber auch meine Geldbörse sowie alle Moneten und Drogen, die ich in meinem Logis rumliegen hatte. Trotzdem bin ich der Realität dankbar dafür, dass sie mich in diese Nacht hineingestossen hat. Nummer zwei: Ich habe die Lady nach einiger Zeit, die wie im Traum vergangen ist, geheiratet. Und dann ist das Drama losgegangen. Ich habe sie von ihrer schlimmsten Seite kennengelernt. Und sie mich von meiner. An einem bösen Tag hat sie mir dann ein Fleischermesser zwischen die Rippen gestossen. Heute liege ich in einem Armengrab. Auf dem Friedhof meiner schönen Heimatstadt. In beiden Fällen habe ich den Ausgang der Geschichte nicht geplant. Und der Gang der Dinge ist auch keinem Regelsystem entsprungen, das von menschlichen Stecknadelköpfen geformt worden wäre. Vielmehr hat jenes ominöse Andere wieder einmal zugeschlagen. Jawohl, die Ereignisse, die mein Leben gestalten – oder halt gestaltet haben -, wurden geboren in jenem unendlichen Ozean, der da heisst: Realität. Und diese Ereignisse haben sich keineswegs wie konsequente Ausführungen von Prinzipien angefühlt. Sondern wie ein langes, unberechenbares, wunderschön melancholisches Musikstück, das da weht, gleichsam wie ein Sturmwind. Über jenen endlosen, unberechenbaren Wassern des Seins.


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August 2014

WAS SIE HIER SEHEN, IST NICHT JOHNNY DEPP…

8. Juli 2014 Midi Gottet …sondern ein Johnny Depp Look a like aus Frankreich. (Tätschbumm Pointentusch) Dieser Franzose verkauft Crêpes. Und weil dieser Franzose aussieht wie Johnny Depp und Crêpes verkauft, wurde dieses Bild von SI-Online in bahnbrecherischer Kalauerlaune mit “Johnny Crêpes” betitelt. Wow und nochmals wow. Ob soviel Pioniergeist verneigen wir uns in tiefer Demut und entfernen uns rückwärts gehend aus

den heiligen Gemächern. Doch ketzerisch werden sie sich jetzt aus dem Pöbel erheben und krächzen: “Aber dieser Scharlatan sieht doch überhaupt nicht aus wie Johnny Depp sondern höchstens wie seine Wachsfigur!”, und damit werden sie wohl auch recht haben aber eben, es heisst ja auch nur “Look a like” und nicht “Look exactly the same”. So, und was seisch jetzt, hä? Jaja, au dini Muetter.

SEHENSWÜRDIGKEITEN?

30. Juni 2014 Midi Gottet Na, welcher Goldjunge hat denn hier die Bildauswahl verbrochen? Stell dir vor, du erzählst im Ausgang allen die’s hören wollen, du seist Model und dass die neue Europaallee-Kampagne dich gross rausbringen werde. Und dann kommt das hier: Ein Bild auf dem du verdammt nochmal aussiehst wie Karl

Dalls uneheliche, besoffene Tochter. Ihr wisst schon, als er damals in Venezuela im Puff war und das Kondom implodierte. Und überhaupt. In welcher WerberBibel steht geschrieben, dass JalousienAugen-Milfs im Prosecco-Flash Alleen verkaufen? Bravo, wirklich. Bravo.

Seen in a Scene: James Bonds Pistolen

31. Juli 2014 Dominik Hug James Bond trug seit seinem ersten Auftritt in “James Bond – 007 jagt Dr. No” stets eine Walther PPK auf sich. PPK ist das Kürzel für “Polizeipistole Kurz”. Erst in “Der Morgen stirbt nie” wech-

selte Bond auf ein neueres Modell, nämlich auf eine Walther P99. Daniel Craigs James Bond wechselte in “Ein Quantum Trost” jedoch wieder auf die klassische PPK zurück.

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PARANOIMIA

8. August 2014 Henrik Petro Ich spürte ihn bereits, bevor ich ihn sah. Wir zwängten uns durch den Raverauflauf am Bürkliplatz, pflügten uns eine Gasse zwischen zwei rauchenden, stroboblitzenden und wabbernden Lovemobilen. Eine groteske Vorstellung: Dutzende Menschen eng um uns herum gedrängt, schreiend, lachend, zu den wummernden Bässen tanzend – und doch fühlte ich da irgendwo irgendeinen, der es auf mich abgesehen hatte und mir mit seinen Augen ein Loch in den Hinterkopf brannte. Minuten später an der Schleuse zum Boot wurde die Ahnung zur Gewissheit. Wir standen in der Schlange, neben vielen bekannten und unbekannten Gesichtern, Menschen, die noch am Vortag Bilder aus ihren Ferien 1000 Kilometer entfernt auf Facebook gepostet hatten und nun leibhaftig wieder in Zürich waren, um ihre in vielen Tagen erarbeitete Erholung in nur 24 Stunden wieder zunichte zu machen. Ich drehte mich um – und stand Angesicht zu Angesicht vor ihm. Der Typ war einige Jahre jünger als ich, gleich gross und grinste unverschämt. Er sah nicht schlecht aus und trug trotz der sengenden Sonne einen auffälligen schwarzen Zylinder, wie ich ihn an der Parade 1994 auch schon hatte. Auch er hatte Plastiksonnenblumen daran befestigt wie ich damals. So wie er mir bekannt vorkam, so war er mir gleichermassen fremd. Er hörte nicht auf zu grinsen. «Na, auch schon gut drauf?» fragte er mich und zwinkerte mir verschwörerisch zu. «Ähm, ja, na klar», erwiderte ich unmotiviert. Ich lächelte verklemmt und drehte mich wieder zu meinen Freunden. Wer war der Kerl? Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie der Typ anfing zu tanzen. Mit seinen gestreckten Händen wedelte er im Takt auf und ab, die Füsse hüpften vor und zurück – das war ja sowas von Nineties! Ich warf meinen Freunden einen entschuldigenden Blick zu und verdrehte vielsagend die Augen. Sie glotzten mich jedoch nur irritiert an. Nachdem wir mit viel Geduld die Schleuse passiert hatten, warf ich verstohlen einen Blick zurück, in der Hoffnung, dass der Typ kein Ticket hatte und ich ihn los war. Ich konnte ihn nirgends entdecken – und atmete auf. Eine gute Stunde später stand ich auf dem Oberdeck, einen Drink in der Hand, betrachtete den vor mir liegenden See und genoss den Wind im Gesicht zum Set von Dani König. Da legte sich ein Arm um meine Schultern. «Mann, wie cool ist das denn, wir zwei zusammen hier..?» Wie um alles in der Welt hatte er es aufs Schiff, geschweige denn aufs Oberdeck geschafft? «Es ist grossartig, dass wir uns hier wieder treffen», meinte er mit glänzenden Augen. Nein, das konnte so nicht weitergehen. «Sorry, jetzt musst Du mir rasch helfen. Du bist..?», fragte ich ihn mit aufgesetztem Lächeln. Er stutzte – und fing dann an laut und

hysterisch zu lachen. Den Leuten um uns schien das nichts auszumachen. Na gut, jeder hat so seine eigenen Probleme und der Typ war jetzt gerade meins. «Nei wükli», fuhr ich fort. «Ich kann mich… gerade nicht… erinnern.» Ich weiss nicht, was so lustig daran war, jedenfalls schien ihn das köstlich zu amüsieren. «Na klar kennst Du mich – ich bin doch dein grösster Fan!» Okay, das passierte mir zwar gelegentlich, dass jemand meine Arbeit kannte, aber nicht in solcher Form. «Fan… aha… also von jetzt oder früher..?» «Von jetzt und früher… eben immer schon», grinste er und fing wieder an zu tanzen wie zuvor. Jetzt wurde mir klar, dass die Ähnlichkeit seines Hutes mit meinem von vor 20 Jahren kein Zufall war. Irgendwo tief in meinem Gedächtnis machte irgendetwas Klick. Aber ich konnte es nicht greifen und festhalten. Mein Glas war leer, ich brauchte dringend ein neues – volles! An der Bar bestellte ich mir was mit Vodka. Und nur für mich, auch wenn mein «grösster Fan» neben mir stand, sich lässig an die Bar lehnte und mich schon beinahe verliebt angrinste. «Gut siehst Du aus – eigentlich wie immer!» gluckste er mir zu. Ich drehte mich ab – und erstarrte für eine Sekunde. Sie, die neben mir an der Bar stand, flashte mich jedesmal, wenn ich sie in der Stadt sah – und so war es auch diesmal. Sie wartete auf ihre Bestellung, bemerkte mich, lächelte mir kurz zu. «Hi» sagte ich und wollte gerade etwas mehr oder (wohl eher) weniger geistreiches sagen – ich hatte sogar schon den Mund geöffnet, als mir der Typ dazwischenfunkte. «Uiuiui, der steht ja voll auf dich!» sagte er zu ihr und reckte seine Daumen hoch. Nein, es war überhaupt nicht peinlich. Wieder setzte ich zum Reden an, was ging mich das Gelaber des Typen an. «Ich kann es ihm nicht verdenken, du bist ja wirklich ein schnuckeliges süsses Ding!» fuhr er fort. Sie sah mich fragend an. Ich hob entschuldigend meine Hände. «Tut mir leid, der Typ… er… ich kenn ihn gar nicht…» Nun sah sie mich erst recht verstört an und in ihrem Gesicht las ich eine Spur von Furcht. Nein nein nein, das lief jetzt alles aus dem Ruder… Und vor allem lief sie davon. «Na danke schön», schnauzte ich den Typen an. «Wofür? Ich hab ja nichts gemacht! Das warst alles Du!» «Kannst Du mich jetzt mal etwas alleine lassen? Darf ich auch noch etwas Privatsphäre haben?» «Hast Du doch! Ich störe ganz sicher nicht..!» Er klebte fortan an mir wie Hundekot an profilierter Schuhsohle. Als ich mich mit meinen Freunden in Richtung Stauffacher auf den Weg machte, tänzelte der Typ uns hinterher. «Es tut mir wirklich leid», sagte ich zerknirscht zu ihnen. Sie schauten sich nur fragend an. «Ich werde ihn einfach nicht los!» Sie warfen mir besorgte Blicke zu und begannen, miteinander zu tuscheln. Vielleicht würde ja der Türsteher beim Hotel Helvetia mein Problem lösen.

«Wir sind auf der Liste», gab ich ihm zu verstehen. «Also er, sie, sie und ich – aber der da nicht! Er gehört NICHT zu uns!» machte ich klar. Der Türsteher blickte zuerst zu meinen Freunden, die fragend mit den Schultern zuckten, dann mir tief in die Augen. «Du machst aber keinen Stress..?» knurrte er. «Was? Wer? Ich? Niemals!» erwiderte ich empört. Hatte er mich denn nicht verstanden? Nicht ich war das Problem! Als wir dann drinnen waren, merkte ich, dass sich meine Freunde etwas zurückzogen. Ich hoffte, es hatte nichts mit dem Typen zu tun. Wobei – nachvollziehen könnte ich es schon. Ich versuchte mich abzulenken und zu entspannen und drängelte mich vors DJ Pult, um noch mal richtig zur Mucke von Phil Z’viel abzugehen. Genau das brauchte ich jetzt – und nicht den Typen, der sich plötzlich grinsend zwischen mich und das Girl schob, neben dem ich gerade «zufällig» tanzen wollte. Der Türsteher hatte also voll versagt. Ich unterliess es fortan, mit irgendjemandem zu reden, nicht dass der Typ noch meinen Ruf ruinierte. «Welchen Ruf denn?» meinte er und schlürfte mit grossen Augen an einem Röhrchen. «Spinnst Du? Liest Du jetzt auch schon meine Gedanken? Ich glaube, ich muss nach Hause.» «Gute Idee, ich komm mit.» Widerstand war ja eh zwecklos, niemand verstand mich oder wollte mir helfen, also ergab ich mich in mein Schicksal und hoffte wenigstens auf eine knallige Blick-Schlagzeile à la «Stalker ermordet sein Idol – und lebt zwei Monate lang mit der Leiche.» Hoffentlich würden die dann die guten, bearbeiteten Bilder aus meinem Facebook-Profil nehmen und nicht irgendwelche alten, auf denen ich aussehe wie in Wirklichkeit. Ich war müde und wollte nur noch ins Bett. Beim Zähneputzen erkannte ich, was mir unbewusst schon längst klar war. Die Erkenntnis traf mich, als sich der Typ lasziv am Türrahmen rieb und ich ihn im Spiegel vergeblich suchte. «Waf find wir eigentlif?» brabbelte ich mit Zahnpastaschaum im Mund, spuckte ihn aus und fuhr fort: «Dr. Jekyll und Mr. Hide? Oder Fight Club?» «Klar, warum nicht», meinte der Typ. «Wer willst Du lieber sein – Edward Norton oder Brad Pitt?» «Mir egal, solange ich Dir aufs Maul hauen kann…» Rund 14 Stunden vorher beim offiziellen Drug Checking an der Street Parade: «Oha lätz – Köbi, wo ist der Typ, der diese dunkelroten Pillen testen liess?» «Uff, äh, der wollte nicht so lange auf das Ergebnis warten und ist weiter.» «Heilige Maria und Stärnefoifi. Na der wird dann in ein paar Stunden also sein blaues Wunder erleben. Beten wir lieber rasch…» «Für ihn..?» «Nein für mich – dass wir ihn wieder finden. Dann könnte ich nämlich meine Dissertation über ihn schreiben!»


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August 2014

KUBA: LAND VERALTETER IDEOLOGIEN TEIL 2 – HEUTE

16. Juli 2014 Jelena Keller. Ab 1995 wurde es möglich, Bed & Breakfast ähnliche Unterkünfte (Casas Particulares) an Touristen zu vermieten. Zwar waren noch immer hohe Abgaben an den Staat zu entrichten, doch konnten Lebensmittel, für sich selbst, zu subventionierten Preisen eingekauft werden. Von dieser Regelung profitierten vor allem die Mittelschicht und Parteiangehörige, die über renovierten, schönen Wohnraum verfügten, im Gegensatz zu den heruntergekommenen meisten Häusern. Das Land wurde durch seine ungewöhnliche Geschichte und Distanz vom globalisierten Leben, immer mehr zu einer Touristendestination, die nun einen der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren darstellt. Fidel Castro übertrug die Staatsgeschäfte 2008 auf seinen Bruder Raul Castro, was Reformen und gelockerte Beziehungen zum Ausland zur Folge hatte. Die Privatwirtschaft florierte wieder in kleinem Rahmen, die Stadt begann aufzuleben. Cafés, Restaurants, Fitnessstudios, Schönheitssalons, Bars und Geschäfte erleben einen Boom. In den Wohnungen im Erdgeschoss werden Küchenfenster aufgerissen, man beginnt Kaffee, Patisserie und Pizza durchzureichen. Kubaner dürfen nun ein Auto mieten, ein Mobiltelefon benutzen, sowie andere elektronische Geräte kaufen. Das Land weicht immer mehr vom sozialistischen Kurs ab und fokussiert sich zunehmend auf eine marktwirtschaftliche Ausrichtung. Schliesslich benötige es, gemäss dem für Wirtschaftsreformen zuständigen Vize-Präsidenten, ein jährliches Wachstum von bis zu sieben Prozent. Mit der Reform lädt Kuba ausländische Geldgeber ein, in praktisch alle Wirtschaftsbereiche zu investieren. Allzu Westliches wird jedoch just noch nicht toleriert, so wurde ein 3-D Kino auf Anordnung der Regierung wieder geschlossen, genauso wie eine Handvoll Kleiderboutiquen, weil die Regierung kurzum beschloss doch keine Importware aus Aden USA zu akzeptieren. Seit den Neuerungen wuchs die soziale Ungleichheit, was die Bevölkerung zunehmend entzweite. Zum einen erfreuen sich diejenigen, welche vom Tourismus profitieren können, an Verdienstmöglichkeiten. Ärzte und Militärs werden noch immer vom Staat gefördert. Anderen hingegen, denen weder Mög-

lichkeiten dargeboten sind im Tourismus unterzukommen, noch sonst irgendwie vom Aufschwung zu profitieren, bleiben auf niedrigsten Einkommen sitzen. Schwarzmarktgeschäfte boomen somit. Verbreitet ist vor allem der Verkauf von gefälschten Zigarren. Trotz Anpassungen in der Verfassung und einer Lockerung der Vorschriften, scheint die Zeit in fast allen Gassen stehengeblieben. Das grösste Problem stellen seit den 60er Jahren nicht in Stand gehaltene Gebäude, Wasser- und Abwassersysteme, die Stromversorgung und das Telekommunikationsnetz dar. Schulhäuser, Spielplätze, Krankenhäuser, Kraftfahrzeuge und Maschinen, alle aus den 50ern, sind noch immer in Gebrauch. Manchmal flitzt ein moderner Bus durch die Gegend, dann wieder ein typischer Oldtimer. Wie faszinierend für Touristen, solange man selbst nicht drin sitzen muss. Der schwarze, in den Atemwegen beissende Smog der umweltverschmutzenden Autos gehört zu Havanna wie Che Guevarra. Die von weitem wunderschönen spanischen Kolonialstil-Häuser, in bunte Farben gehüllt, zeigen von Nahem ihr wahres Gesicht. Aus leeren Räumen steigt modriger Geruch empor, Fäulnis hat sich breit gemacht und lässt die Wände zusammenfallen, was an ein verlassenes Tschernobyl erinnert. Irgendwann sieht man, dass hinter der grausamen Kulisse, ein Mann auf einem Klappstuhl sitzt und auf dem LCD Fernseher eine spanische Soap schaut. Zur Zeit profitieren die Kubaner noch von der Revolution, so reichen die vom Staat zur Verfügung gestellten Grundnahrungsmittel wie Eier, Reis, Fleisch, Milch, etc. für etwa 25 Tage, danach sind subventionierte Einkäufe möglich. Wenn man über die Qualität des Essen spricht, so wollen sie lieber aus Südamerika importierte, verarbeitete Esswaren und Getränke wie, Chips, Coca Cola, Speiseeis, Fertigprodukte und Süssigkeiten. Dass diese viel teuer sind ist ihnen bewusst, doch streben sie auch bei der Nahrungsaufnahme nach Fortschritt. Genauso anziehend sind andere kapitalistische Errungenschaften wie Markenkleidung, Kosmetika, Einrichtungsgegenstände und Sonstiges, im Fernsehen Vorbeigehuschtes, im World

Wide Web Gesehenes. Internet wird gehandelt wie Gold. Ein Gut von unmessbarem Wert, das Tor zur Welt, erwerbbar für 10 CUC pro Stunde. Zwar sind die Errungenschaften der Revolution, wie das Gesundheits- und Bildungssystem, nicht völlig zerfallen, doch gibt man ihnen keine lange Überlebensdauer. Wenn man umhersieht, springen einem keine auf Smartphone-Bildschirmen starrenden Menschenansammlungen ins Auge. Anders als bei uns, muss man bewusst nach Handyzombies suchen. Ich frage mich wie lange es wohl dauert, bis auch diese Menschen nur noch über Soziale Medien kommunizieren. Facebook, YouTube und andere amerikanische Seiten sind wie gewohnt aufrufbar. Wie paradox, wenn man bedenkt, dass Kuba bis noch immer eine Veramerikanisierung abzuwehren versucht. In den Kinos werden keine Hollywoodproduktionen gezeigt, nichts Amerikanisches darf ge- oder verkauft werden. Eine Abschottung, die nicht gelingt, denn illegale Fernsehstationen gibt es schon längst, I-Phones und weitere Errungenschaften der westlichen Hemisphäre sind schon lange auf der Insel gelandet. Man will wie die Reichen und Schönen imitieren, es ist unmöglich geworden, die Jugend mit einer Revolution, die sie nie miterlebt haben, bei der Stange zu halten. Sie verlangen nach MTV, Ultimate Fight, Nike und Rihanna. Sie wollen sich ins Leben stürzen. Eine Prostituierte, die von Beruf Verkäuferin ist, erzählt mir, sie wolle nicht mehr wie ein gefangenes Tier leben. Sie möchte reisen, die Welt entdecken, erleben, was es heisst zu besitzen. Ihre jetzige Möglichkeit an das wertvolle Geld der Touristen zu kommen, sei der Verkauf ihres Körpers. Sie sagt, jeder Security, sogar Hotelangestellte verlange von den Freiern Geld, wenn sie Mädchen aufs Zimmer nehmen. Jeder schneidete sich ein Stück des Wohlstandskuchens ab. Die eigens für Touristen erstellte Währung hat den 10fachen Wert der einheimischen Pesos Jeder touristische CUC bringt die Kubaner, dem Wunsch nach verbesserten Bedingungen näher. Ein durchschnittslohn beträgt ca. 20 Franken, weshalb viele auch hoch Gebildete, ihre Arbeitstätigkeit lieber auf Ausländer ausrichten. Es gelingt in Havanna nicht mit einem einzigen Menschen zu reden, der nicht auf mein Geld aus ist. Bemitleidenswerte Geschichten über Krankheit, Armut und hungernde Kinder zu Hause, machen trotz der offensichtlichen Lügerei, betrübt, denn die Wohnsituation ist gettoisiert genug, weshalb ich ständig Geld verteile. Als ausländisch aussehende Person läuft man mit Dollarzeichen auf der Stirn herum. Ständig wird man angesprochen, denkt endlich mit jemandem Kontakt knüpfen zu können und landet dann, bei der unmissverständlichen Frage nach Monetas. Es kommt öfter vor, dass man zu Touristen sagt: „Hey, sei nicht so stur, Kubaner mögen Kommunikation. Ich zeige dir in welchem Hotel (Ernest) Hemingway gewohnt hat. Ich liebe Ausländer, lass uns reden.“ Nachdem man im Hotel angekommen ist, verlangt der selbsternannte Touristenführer Geld. Gefälschte Zigarren, gefälschte Sightseeing-Tours, gefälschte Schicksale. Man kommt mindestens 15 Mal am Tag in den Genuss des kubanischen, betrügerischen Charmes. Freundschaften zu schliessen ist in diesem Land ein Ding der Unmöglichkeit. Sie lechzen nach CUCs und damit verbundenen, besseren Lebensumständen. Ja, wir sind es, die ihnen den Kapitalismus bringen, doch sie rennen uns mit offenen Armen entgegen. (Es folgt Teil 3)

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Irgend en Scheiss

1. August 2014 Pete Stiefel Cédric: „Ey, Alte! Was gaat!“ Fabian: „Nüüt gaat, Alte. Ferie, voll langwiilig. (klatschen sich ab) Cédric: „Ferie? Isch doch geil, Mann! Wänns der langwiilig isch, chaschder ja en Feriejob sueche.“ Fabian: „Hey Alte, SCHLIIFTS!?!? Meinsch, ich gang go SCHAFFE!??! Das isch voll aasträngend, und am Mittag bisch huere müed und häsch dräckigi Fingernegel! (schäumt leicht in den Mundwinkeln) Cédric: „Mann, chills, Alte! Ich han doch nur es Gschpässli gmacht. Haha! Ou er Mann, glaubts voll. Geile Scheiss. Haha. (klopft sich auf die Schenkel, nippt an der Bierdose) Fabian: „Im erschte Momänt hani wücki gmeint, Alte. Etz trüllter voll dure oder sonen Scheiss. Wänn ich das de Gnosse verzelle... (wischt sich mit dem Handrücken die Mundwinkel) Cédric: „Haha, du bisch voll zviel, Alte. Wänn eine öppertem raatet, er söll go schaffe, dänn zletscht ich, Mann. Fabian: Vorher würi am Stadelhofe go Riichi usnäh. Letschti hani en Schnägg übercho vo sonere Alte, Mann. Debii bini nur uf de Operehuusstäge ghocket und hanmer d Schue bunde. Cédric: „Zu Geil! Das sötti glaubs mal vorem Bundeshuus mache. Das isch voll mit Alte, wod Seck voll händ mit Schnägge.“ Fabian: „Aber etz säg mal, Cédric. Was händ ihr amigs gmacht früener im Summer? Kein Juso will irgendwo demonstriere, Hüüser bsetze oder Autos aazünde. S hängeds alli mit ihrne Eltere

ade Costa Brava, z Nizza oder frässed z Rimini Pizza. Niemer redt über mich, bin scho fängs voll depro, Alte. Cédric: „Mir händ eifach irgend en Scheiss gmacht. Kei Ahnig meh, Mann. Scho huere lang här. Aber wart, (nimmt einen schluck Bier), mir chunt scho was in Sinn. (denkt nach) Fabian: „Hmmm... s isch glii erschte Auguscht. Irgendöppis mit... Cédric: „DAS ISCHES, ALTE! Mir schaffed de erscht Auguscht ab! Die Faschos wänd de erscht Mai abschaffe, dänn nämed mir ihne de erscht Auguscht weg! Fabian: „Wie weg...? Dänn fangt de Mai am zweite Tag aa – und de Auguscht au?“ Cédric: „Häsch e Meise?! Eifach nöd fiire, de ganzi nationalistischi Schiissdräck. Sind doch alles Nazis mit ihrne Schwiizerchrüüz uf de Lampiön und de Fahne i ihrne chliiggarierte Scheissschrebergärtli! (schäumt in den Mundwinkeln) Fabian: „Geile Scheiss! Alles abschaffe, alles verbüüte! AU GRAD DIE HUERE SCHWIIZERFAHNE! (nimmt einen grossen Schluck von Cédric’s Bier, beide wischen sich die Mundwinkel) Cédric: „Alte... mir sind ebe scho die geilschte Sieche. Wart, ich hole d Schriibmaschine, dänn machemer grad e Prässemitteilig. (einen Tag später, selber Ort) Fabian: „Cédric! Häsch s 20 Minute gseh vo hüt? D Titelsiite! Unds Joiz hät mer grad aaglüütet wägeme Interview! Cédric: „Sägi doch: Irgend en Scheiss...“ (nippt an der Bierdose)

GEFALLENE HELDEN: ROY SCHEIDER

13. Mai 2014 Dominik Hug. Roy Scheider sah ich zum ersten Mal Mitte der Neunziger Jahre auf RTL. Dieser Sender strahlte damals nämlich seaQuest DSV aus, eine Serie, die man mit “Star Trek goes Unterwasser” bezeichnen könnte. Scheider spielte Captain Nathan Bridger, den Kommandanten der Seaquest. Erst einige Jahre später erkannte ich was Scheider eigentlich für ein grossartiger Darsteller war. Er wurde zweimal für den

Oscar nominiert und war präsent in einer unheimlichen Palette an Filmen, vom anspruchsvollen Kino (“All that Jazz”) bis zum kleinen B-Movie (“Plato’s Run”), aber vorwiegend werden die Fans sich erinnern an seine Hauptrolle in “Der weisse Hai.” Roy Scheider verstarb 2008 im Alter von 75 Jahren an den folgen einer Krebserkrankung des Knochenmarks.


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August 2014

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Ein Abendessen mit Rainer Bächli Freitag, 3. Juli 2014 Von Rainer Kuhn

wurde für jeden Charakter eine eigene Dyna customised.

Auch dieses Interview aus der Reihe „Rockstars des Alltags“ kommt aus der Brasserie Lipp in Zürich. Nein, falsch. Wir gingen für einmal ins Vis-à-Vis, dort gabs Roastbeef à Discrétion. Für Töfflibuben wie Rainer Bächli und mich genau das richtige für einen lauen Sommerabend. So sind wir über drei Stunden dagesessen, haben gegessen und geredet, bis das Personal nach Hause wollte. Die Passagen, wo wir über Jesse James zu Janine Lindemulder und von dort zu Teresa Orlowski wanderten lass ich mal aussen vor. Für einen der grössten Harley-Davidson Dealer Europas gibts schliesslich auch noch was anderes zu erzählen.

Die Dyna ist sehr beliebt, ja. Sie ist halt handlich und trotzdem eine grosse Harley. Aber es gibt auch Modelle, die verkaufen sich in den USA nicht so gut wie bei uns. Zum Beispiel die 48 Sportster, mit dem kleinen Tank kommst Du da kaum von einer Tankstelle zur anderen. In der Schweiz ist sie ein Riesenrenner. Wir hatten Lieferfristen von einem halben Jahr. Dann hatten wir ein HändlerMeeting in Daytona, waren beim grössten Harley-Händler von Amerika, stehen da so zwanzig fortyeight. Er sagte, die Dinger liegen im Laden wie Blei. Ich sagte, in der Schweiz wären die innert zwei Tagen verkauft gewesen.

Rainer Kuhn: Wieso bist Du so braun? War ja ein beschissener Sommer bisher.

Warst Du denn ein richtiger Töfflibueb? Mit frisieren und so? Kolben ausfeilen? Angeben bei den Mädchen?

Rainer Bächli: Italien. Wir haben wieder einmal richtige Familienferien gemacht, sind mit dem Wohnmobil runtergefahren, das hab ich noch aus den Zeiten, wo ich Rennen gefahren bin.

Eigentlich schon. Aber ich durfte keinen Töff haben, auch wenn mein Vater damit gehandelt hat, weil ich zu nahe an der Schule wohnte. Aber ich habe schon mit zwölf bei meinem Vater gearbeitet, hab ihm geholfen, ich hatte immer schon irgendwie Benzin im Blut. Mit dem verdienten Geld hab ich mir dann ein Rennvelo auf Mass machen lassen. Auch wenn man mir das heute nicht ansieht: Ich bin Velorennen gefahren.

Die ganze Familie in einem Camper wird dann aber schon ein bisschen eng mit der Zeit, nicht? Ich mein, kannst Dir ja nicht aus dem Weg gehen so. Ja, meine Frau hat das extrem genossen, weil wir sonst ja nie so eng zusammen Zeit verbringen. Aber wenn Du mich vor zehn Jahren gefragt hättest, ob ich Campingferien machen würde, hätte ich gesagt: Vergiss es. Als ich aufgehört hatte Rennen zu fahren, wollte ich ihm das Teil wieder verkaufen. Da meinte er, ich soll doch damit auf 4-Stern-Campingplätze fahren mit der Familie, da hast Du alles, wie in einem 4-Stern-Hotel, einfach mit dem eigenen Wagen als Zimmer.

Ich wollte auch ein Töffli. Einen Pony, der goldene, mit den Fransen an der Gabel. Ich fand den extrem cool und war sicher, wenn ich damit auf den Schulhausplatz fahre, würde das mächtig Eindruck machen bei den Mädchen. Wurde aber nichts daraus. Hab keins bekommen. Meine Eltern fanden immer, trampeln sei gesund. Musste mit dem Velo zum Tennistraining fahren. Mit 18 gabs dafür vom Grossvater eine 125-er. Das war eine rote Suzuki GP125. Da durfte man noch ohne Helm fahren. Ich war dann immer Dennis Hopper.

Ja, aber trotzdem.. Camping-Groove, oder? Der Zeltnachbar mit Flatscreen und Kühlschrank und roten Adidas-Shorts und Strohhut und ... Ich darf Dir gar nicht sagen, was ich alles dabei hatte. Ich hatte zwei Roller dabei, sechs Velos, ich hatte einen Anhänger und zwei der Velos drinnen auf dem Bett. Aber das war cool, am Abend konnte ich mit dem Roller noch ein bisschen ins Dorf ... ... willst Du als Harley-Dealer mir jetzt einen Roller schmackhaft machen? Klar, meine Kumpels fragen mich auch, wieso nicht die Harley, dann sage ich: Schau, ich habe in diesen drei Wochen 80 Kilometer gemacht. Dafür muss ich nicht eine Harley runterschleppen. Und wenn Du mit dem Roller mal kippst, dann hebst Du ihn einfach wieder auf. Von wegen: Stimmt das? Jetzt gibt’s dann eine Elektro-Harley? Ein Prototyp, ja. Mach mich nicht fertig. Harley und Elektromotor ... Was soll ich sagen ... grundsätzlich bin ich ja froh, hab ich einen Hersteller im Rü-

cken, der innovativ ist und nicht einfach auf seinen Lorbeeren hockt. Ob das Produkt wirklich kommt, steht noch in den Sternen. Zurzeit sind sie in den USA mit einem Prototypen unterwegs und holen Kundenmeinungen ein.

Funktion wie der Fels von Gibraltar. Wenn alles zusammenbricht kann man auf eine Harley sitzen und weiss, man sitzt auf einer Harley. Und nicht auf einem Tesla-Töff, der wie eine Harley aussieht.

Dann hatten wir ein Händler-Meeting in Daytona, waren beim grössten HarleyHändler von Amerika, stehen da so zwanzig fortyeight. Er sagte, die Dinger liegen im Laden wie Blei. Ich sagte, in der Schweiz wären die innert zwei Tagen verkauft gewesen. Ich find Harley ist doch so eine Marke, von der man gar keine Änderungen will. Klar, man muss sich technisch weiterentwickeln, aber trotzdem, es gibt doch Marken, die haben so eine

Ich hab sie gesehen, sie sieht vom Design her recht gut aus... ... aber sie tönt nicht. Was willst Du da

machen? Harley ist doch das Bedienen von Klischees. Fett, laut, bös. Und resistent gegen Modegugus. Das ist schon so. Das ganze drum und dran ist Teil des Produkts. Momentan haben wir in Europa ja die groteske Situation, dass der russische Präsident fast mehr Sympathiepunkte hat als der Amerikanische. Spürst Du so was bei den Verkäufen? Diese Anti-USA-Haltung ist für uns eher mit der Bankenkrise 08/09 spürbar geworden. Aber nicht in den Verkäufen, sondern mehr, dass es Leute gab, die sagten, dass sie keine Lust hätten in Amerika zu touren. Obwohl es für einen Biker ein Paradies ist. Aber wir haben nicht weniger verkauft, nur weil Amerika in der Kritik stand. Dafür spülen Dir Serien wie „Sons of Anarchy“ ein junges Publikum in den Laden, nicht? Da

Ich hatte mit 18 dann zwei von denen. Die eine war eine Strassenmaschine, eine Aprilia, die andere eine Enduro von KTM. Die Aprilia war eine Sonderanfertigung mit einer Lackierung, wie es sie nur fünf Mal gab auf der Welt. Ich bin fast ausgeflippt. Hinten hatte sie einen 130er Pneu, das klingt heute nach einem „Teerschneider“, aber damals wars ein Riesending. Da entwickelt man plötzlich einen Ehrgeiz. Etwas anderes zu haben als die anderen. Jeder hat getuned und gemacht und getan und dann Gas gegeben wie die Affen ... wir hatten damals auch Glück, das nichts passiert ist jeweils ... Komm schon, jeder, der von früher erzählt, sagt im Nachhinein, er habe Glück gehabt. Weißt Du was? Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass man früher „einfach Glück“ hatte, ich glaube, es passiert in der Regel halt einfach nichts. Punkt. Heute bist Du so zugemüllt mit Sicherheitsauflagen, ein Helm reicht ja nicht, es muss ein hundertfach beschichteter SupernormHelm sein, die Kleider auch, alles, wir machen uns schon in die Hose bevor wir aufsteigen, es könnte ja was passieren. Scheiss drauf, es passiert nichts. Meistens jedenfalls nicht. Die Reaktionen der Gesellschaft haben sich auch verändert. Früher, wenn Du mit einem sogenannten „Kavaliersstart“


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Früher, wenn Du mit einem sogenannten „Kavaliersstart“ weggefahren bist, haben sie gejohlt, nicht nur an den Töfftreffen, auch an Orten wie hier, und heute? Heute riemst Du Dir einen ab und die Leute denken: „Was ist denn das für ein Weichei?“ weggefahren bist, haben sie gejohlt, nicht nur an den Töfftreffen, auch an Orten wie hier, und heute? Heute riemst Du Dir einen ab und die Leute denken: „Was ist denn das für ein Weichei?“ Die Jungs sagen das, ja, weil sie merken, dass ihre Freundin rüberschaut ... ich finds völlig ok, wenn einer eine geile Maschine hat und ein bisschen damit angeben will. Ist ja nichts böses, dann und wann mal ein bisschen den Bluffer rauszuhängen. Es ist ja auch eine Stärke von Harley, dass man diese Maschinen nicht schnell fährt. Bei unseren Motorrädern damals wars das genaue Gegenteil. Es war ja nicht lustig, 50, 80 oder 100 zu fahren, es war lustig, am Hebel zu reissen und zu schauen, ob man bis zum nächsten Dorf auf 200 raufkommt. Auf einer Harley bist Du etwas so aerodynamisch wie eine Telefonkabine. Da fährst Du anders. Da brauchst Du dieses Reifen verbrennen nicht. Aber ich rede jetzt auch als 40jähriger, nicht als 20jähriger. Kommt mir gerade in den Sinn: Kennst Du Den Harrow?

war sowieso eine coole Zeit. Als so die Leute, die Du nur aus dem Fernsehen kennst, plötzlich in den Laden liefen, Schwarzenegger war ein paar Mal da ... ... der ist mit der Fat Bob über die Brücke gesprungen, richtig? Im Terminator? Mit einer Fat Boy. Fat Bob gabs da noch nicht. Der Film ist ja über 20 Jahre alt ... ... ich frage mich manchmal, ob Harley auch so ein Brand wäre, wenn die Filmindustrie nicht gewesen wäre. Easy Rider zuvorderst, dann wie gesagt der Terminator, Cage fährt in Ghost Rider eine Harley, ganz abgesehen von den zahlreichen Videoclips ...

Manchmal hab ich das Gefühl, das Harley fast ein bisschen Angst vor dem eigenen Image hat. Vor ein paar Jahren gabs hier so ein Versuch, sich vom amerikanischen Marketing abzunabeln. Heisst: Man zeigt nicht mehr die alten weisshaarigen harten Kerle mit einer jungen hübschen Frau auf dem Sozius, sondern man zeigt die junge hübsche Frau, die selber fährt. Will ich das als Harleyfahrer denn? Wenn ich an ein AC/DC-Konzert gehe, will ich heute auch das hören, was sie bereits vor zwanzig Jahren gespielt haben. Mit würden die Eier abfaulen, wenn sie plötzlich R’n’B spielen würden. Aber mir egal. Sollen sie zeigen, was sie wollen. Mich nimmt grad was anderes Wunder: Wars für Dich immer klar, dass Du das Geschäft des Vaters übernimmst? Nein. Ich habe ja zuerst eine Unterhaltungselektroniker-Lehre gemacht, auch mit dem Gedanken, dass bei den Töffs die Elektronik immer wichtiger wurde. Die Elektrik war wie das Feindbild des Töffmechs. Ich dachte, das könne mir ja nur hilfreich sein. Danach hab ich noch eine Lehre als Töffmech gemacht. Das war mir wichtig.

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80% des täglichen Lebens spielt sich an der Oberfläche ab. Ich find herzliche Oberflächlichkeiten super. Ist mir jedenfalls lieber als angepisste Oberflächlichkeiten. Man muss ja auch nicht gleich denken, wenn eine Frau freundlich mit einem ist, dass Sie gleich mit dir ins Bett will. Sie ist einfach nett. Es ist ein positiver Spirit. Auch wenn sie sagt: „Nice to meet you“, das klingt doch schön, das reicht dann auch schon. Es braucht nicht für jede Floskel eine tiefenpsychologische Betrachtung. Dein Umbau ivon Harley-Heaven st ja auch nicht grad Schweizerisch bescheiden. Der Name auch nicht. Es gab schon Leute, die mich gefragt haben: Wie finanzierst Du das denn. Da muss ich meinem Vater hoch anrechnen, dass das verdiente Geld immer in der Firma blieb. Wir haben uns nie einen exzessiven Lebenstil geleistet. Mein Vater war immer ein Vorbild für mich, mit 55 hatte er den grossen Schritt aus dem kleinen Dorf gemacht und in Dietikon das Land gekauft und zusammen mit vier Mitarbeitern das ganze Ding hochgezogen. Wir fanden immer, dass die beste Investition

Ou, ja, der ... der hat ja aber gar nicht selber gesungen, oder? Ja genau. Wie Sabrina, ich mein, dieses Video haben wir ja rauf und runter angeschaut, und immer wieder gestoppt um zu sehen, ob jetzt das Bikinioberteil über den Nippel rutscht oder nicht ... ... das Bikinioberteil ist über den Nippel gerutscht. Das wissen wir mittlerweile ....

Ich bin ein absoluter Rap-Fan. Schwärzer als schwarz. Public Enemy war schon fast das Gesellschaftsfähigste. Aber ich bin ziemlich breit gefächert. Was mich dann auch mal richtig erwischt hat, war der „Eurodance“ ... ... das war bestimmt zu deinen Aprilia-Zeiten ... ... ja genau. Da kamst Du nicht darum herum, das lief in jedem Schuppen. Wenn ich Sachen wir DJ Bobo höre, dann kommen all die Sachen aus dieser Zeit wieder hoch ... das schneiden wir raus. Harley und DJ Bobo passt nicht so recht zusammen, oder? Wieso? Man kann doch dazu stehen ... Aber mein Musikgeschmack hat sich immer wieder geändert. Als ich in Los Angeles arbeitete, im 96, hörte ich Zeugs wie White Zombies, und Metallica. Das

Wenn Du Deine Arbeit und Deine Kunden ernst nimmst, dann hast Du immer einen gewissen Druck. Dann willst Du es immer besonders gut machen. Das hat sich nicht geändert. Aber Druck hält Dich auch wachsam und kann Dich beflügeln.

Es ist schon der Zusammenhalt, den sie suchen ja, aber eben nicht so MC-mässig, es ist cool für Leute, die den Anschluss zu anderen Harleyfahrer suchen und gerne in Gruppen ausfahren. Es ist lustig, eine Studie, die Harley Davidson mal gemacht hat, kam zum Schluss, dass Führungskräfte gerne in Gruppen mitfahren, aber mit der Organisation und allem drum und dran nichts zu tun haben wollen. Die sagen: Ich will nur wissen, wie viel Geld ich etwa mitnehmen müssen, wanns losgeht und wann man etwa wieder zurück ist. Der Büezer aber ist dann gerne „RoadCaptain“, der Chef auf der Tour, der sagt, wo es lang geht.

Diesen 80er-Jahre Italo-Dance-Popper ...

Was hörst Du denn, ausser Den Harrow und Oktoberfestmusik?

Ich sage ihm: Schauen Sie, aus meiner Erfahrung ist der BMW-Kunde ein rationellerer Mensch. Der checkt ab: Aha, da ist das Navi besser, dort der Einspritzer undsoweiter. Der Harleyfahrer ist ein emotionaler Mensch. Der entscheidet sich für ein Motorrad, weil es ihm besser gefällt.

Jetzt gibt’s da ja noch die HOG’s. Die „Harley Owner Groups“. Ist das nicht ein bisschen für die, die sich nicht zu den Hells Angels trauen, aber trotzdem gerne mal eine Club-Jacke tragen?

Hä?

... genau, jetzt war ich ja vor zwei Wochen in Italien unten, da hiess es: Grosskonzert mit Paul Young, das wär ja noch cool, und als Vorgruppe eben dieser Den Harrow, gratis am Strand, und ich muss Dir wirklich sagen: Diese Lieder, die hörte ich damals als 10-jähriger, das heute in Italien am Strand zu erleben war etwa so cool, wie die Oktoberfest-Hits am Oktoberfest. Im Auto so Oktoberfestmusik, da würde ich grad umschalten, aber am Oktoberfest passts, da finde ichs cool. Musik hat viel mit der Zeit und der Umgebung zu tun, in der man sie hört.

Was sagst Du dem jetzt? Harley oder BMW?

... oder später „Harley Davidson und Marlboro Man, ja, das ist ganz klar so.

Aber als Sohn stehst Du doch vor der Wahl: Übernehme ich nun das Geschäft meines Vaters, oder mach ich was eigenes?

Die Bösen fahren Harley ... ... wenn Du so willst ... ... und in der Schweiz fahren dann Leute wie Gotthard Harley. Ist ja das Gegenteil von bös.

Ja. Und Du siehst auch, wieviel Dein Vater gearbeitet hat. Da musst Du dich schon fragen, ob Du das auch willst. Ich war gerade in Los Angeles, wollte dort ein Jahr bleiben, da rief mich mein Vater an, der

Diese Lieder, die hörte ich damals als 10-jähriger, das heute in Italien am Strand zu erleben war etwa so cool, wie die Oktoberfest-Hits am Oktoberfest. Im Auto so Oktoberfestmusik, da würde ich grad umschalten, aber am Oktoberfest passts, da finde ichs cool. Musik hat viel mit der Zeit und der Umgebung zu tun, in der man sie hört.

die ins eigene Geschäft ist. Ich habe von ihm gelernt. Spürst Du jetzt mehr Druck als zuvor? Ich mein, Du musst jetzt eine Menge Harleys mehr verkaufen als vorher. Wenn Du Deine Arbeit und Deine Kunden ernst nimmst, dann hast Du immer einen gewissen Druck. Dann willst Du es immer besonders gut machen. Das hat sich nicht geändert. Aber Druck hält Dich auch wachsam und kann Dich beflügeln. Weißt Du, was ich das Coolste an einer Harley finde? Du musst sie niemandem erklären. Wenn zwei am Tisch hocken und der eine fährt eine Honda und der andere eine BMW, dann fangen sie an zu fachsimpeln, was bei welchem besser ist. Der mit der Harley sagt einfach, dass er eine Harley habe. Damit ist das Thema für ihn erledigt. Ab und zu kommt ein Kunde rein und sagt: Sie, was finden Sie besser, eine Harley oder eine BMW? Gute Frage an einen Harley-Händler.

Ja, aber schau mal: Herr und Frau Schweizer wollen keine Rockstars. Wieso meinst Du, ist Federer so beliebt? Kriegt der auch eine Harley? Weiss nicht.

Werkstatt-Chef ist gegangen. Ich war gerade dabei, mich in Kalifornien zu etablieren, meine Schweizer Tugenden wurden extrem geschätzt, ich hatte alles, ich war total happy. Die Oberflächlichkeit, die den Amis vorgeworfen wird, hab ich immer als sehr herzlich empfunden. In der Schweiz ist das ein bisschen anders. Hier ist man sparsam mit Freundlichkeiten.

Ich bin ja ein extrem offener Harley-Fahrer. Ich fahre Offroad, da find ich KTM lässig, oder Husquarna, ich bin auch gerne Strassenmaschinen gefahren, da find ich Ducati cool. Du findest bei uns auch keine von diesen „Harley Parking Only“ Schildern. Ich reduziere einen Biker nicht auf die Marke seines Motorrades.

Mir würde es reichen, wenn ich weiss, ob das Wetter gut ist. Wenn nicht, komme ich nicht. Wenn schon, dann komm ich im T-Shirt. Ich mag diese vollen Monturen mit integriertem Mikrofon im Helm und so nicht, da denk ich mir immer: Kauf dir doch ein Auto. Du bist in dieser Beziehung vielleicht ein bisschen verrückter als andere. Ein anderer kann es vielleicht mehr geniessen, wenn er weiss, dass er sicher und gut angezogen ist. Geniessen tut ihr es ja beide gleich. Es gibt ja verschiedene Typen von Fahrern. Es gibt den Kilometerfresser, der sagt am Morgen seiner Frau: Wir fahren zum Abendessen mal eben nach Elba. Der hat das Feeling dafür, wie er da zehn Stunden runterblocht, übernachtet und am anderen Morgen wieder zehn Stunden raufbrettert. Der braucht das so, für den bedeutet Töff fahren nichts anderes. Der geniesst das wieder anders. Und alle haben gleichermassen Freude daran. Darum geht’s doch.


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KUBA: LAND VERALTETER IDEOLOGIEN TEIL 3 – WAS HÄTTE DER CHE GEMACHT?

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IN TAGEN WIE DIESEN. 22. Juli 2014 Rainer Kuhn Es ist schwierig, sich uninteressiert zu zeigen, in Tagen wie diesen. Es ist ein Flugzeug abgestürzt. Und es gibt Stimmen, die sagen, wir stünden kurz vor dem 3. Weltkrieg. Und als Verbindung zwischen diesen Punkten gibt es gemäss offiziellen Medienberichten nur eine gerade Linie: > Flugzeug wurde abgeschossen. –> Flugzeug wurde mit einer russischen Rakete abgeschossen. —-> Prorussische Rebellen haben diese Rakte abgefeuert. ——> Putin hat den Prorussischen Rebellen die Rakete und das System zum abfeuern gegeben. ——-> Putin hat Schuld und 290 Menschen auf dem Gewissen. ———-> Sanktionen. ————-> 3. Weltkrieg.

17. Juli 2014 Jelena Keller. Ich möchte ihnen ins Ohr flüstern, dass der Materialismus eine schreckliche heroinähnliche Droge ist, von der man, hat man sie erst einmal probiert, nicht mehr los kommt. Doch während ich das denke, schreibe ich mir eine Notiz in mein I-Phone und überprüfe gleichzeitig kurz ob meine violetten Nike Turnschuhe noch einigermassen sauber sind. Raul Castro wird sie irgendwann Menschen werden lassen, die wie ich, reisen, einkaufen, einrichten, verschönern, sparen, ausgehen, feiern, sich einkleiden, in Restaurants essen und auf materialistische Ziele hinarbeiten. Wer will es ihnen verübeln, der Spass dieser Welt ist käuflich. Ich frage mich, was der CHE und seine Anhänger zu diesem Zerfall der Ideologie gesagt hätten? Wären sie stur und realitätsfern geblieben oder hätten sie dem Drängen nach westlichen Werten nachgegeben? Hätten sie verstanden, dass Menschen die die Armut nie erlebt haben, einen kommunistischen Anspruch nicht zu schätzen wissen? Dass ihre Sinne von Fernsehen, Internet und Werbung eingenebelt werden? Dass der Mensch stets nach mehr, nach einem Weg nach ganz oben strebt? Dass der

Gemeinschaftsgedanke nicht auf alle übertragbar ist? Was hätten sie unternommen, dass die Städte nicht auseinanderfallen? Was hätten sie dazu gesagt, dass die UNESCO retten kommt, was noch zu retten ist? Was hätten sie zur Ausbeutung von Touristen gesagt, zur tollwütigen Jagt auf Geld? Wie hätten sie die Menschen wieder auf Kurs gebracht? Hätten sie eine ewige Abschottung und damit wirtschaftliche Armut bevorzugt? Was hätten sie getan? Als ich morgens durch die Strassen Havannas schlendere, bemerke ich, dass die Rush Hour, wie bei uns, um 7 beginnt. Der grosse und augenscheinliche Unterschied allerdings besteht darin, dass sie lachen, laut reden und gestikulieren. Die Strassen, orange beleuchtet vom Sonnenaufgang, gefüllt mit Arbeitern, sind voller Lebensfreude. Kapitalismus, Kommunismus, was auch immer: ich bin zuversichtlich. Diese Menschen werden auch mit materialistischen Werten, das Lachen nicht verlernen. Und trotzdem bin ich enttäuscht, denn sie tanzen nicht wie erwartet, voller Lebensfreude in den Strassen. Sie tanzen – nur noch für spendable Touristen. (Es folgt Teil 4)

DU BIST JA SOOO GEIL.

24. Juli 2014 Reinhold Weber Ich meine, dein durchgewalktes Kaugummi auf dem Fussboden würde so eklig an meinen Schuhsohlen kleben bleiben, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann. Deshalb klebst du es gut sichtbar an die Dichtung der Fensterscheibe des Siebner-Trams. Vielen Dank, dass du

so viel Rücksicht auf mich nimmst. Du benutzt ja auch dieses neue 24-StundenDeo. Und putzt deine Zähne mit diesen Super-Gummis. Alle drei Tage. Du bist einfach super cool. Mega. Du weisst schon. Voll schwul, ey. Du bist echt geil. Du bist supergeil.

Das ist die einzige Logik, die in den Häusern Ringier und Co. zugelassen wird. Und ich frag mich: Wie ist denn das mit den Journalisten so? Hinterfragen die nichts mehr? Keine Zeit? Keine Lust? Keine andere Wahl? Dürfen wir trotzdem mal was fragen? Schon mal der Ausgangspunkt: Ein Flugzeug wird abgeschossen. Woher weiss man das jetzt schon? Wurde das schon untersucht? Konnte ausgeschlossen werden, dass es in der Luft explodiert ist? Weils vielleicht einen Kurzen im Cockpit gab? oder Triebwerke ausgefallen sind und das Ding einfach auf der Erde aufgeknallt ist? Ich mein: Kann ja ein paar andere Ursachen dafür geben, dass ein Flugzeug vom Himmel kommt, als dass man grad davon ausgehen muss, dass eine Rakete es abgeschossen hat. Macht ja nicht gerade viel Sinn, einfach so mal ein Passagierflugzeug vom Himmel zu holen. Für niemanden. Also ich würde da echt nicht zuerst an Raketen denken. Könnte man das nicht mal hinterfragen? So rein als journalistischer Pflicht, alle anderen Möglichkeiten auszuschliessen, bevor man definitiv nur die eine Einzige als Richtige annimmt. Nicht? Dann zweitens: Sie wurde von einer

russischen Rakete abgeschossen. Auch hier: Hat man da schon was gefunden? Bevor untersucht wird? Wenn ja: Wer hat was gefunden? Und hats dann wem gesagt oder gegeben? Keine Ahnung. Aber müsste man mal nachgehen, oder? Bevor man schreibt “eine russische Rakete”, dann sollte man schon ganz ganz sicher sein, dass es 1. auch wirklich ein Abschuss war und zweitens die Rakete auch wirklich russisch. Da darf kein Zweifel daran bestehen, nicht? Ich mein, sonst könnte ja jeder kommen und irgendetwas behaupten und so tun, als würde das jetzt stimmen, nur weils mehr als 250’000 mal gedruckt wird. Irgendjemanden anschwärzen, nur weil er zu faul ist, sich ein paar Fragen zu beantworten. Dann noch zwei so Behauptungen, die mit erstens und zweitens zusammenhängen und zum Schluss das zurzeit am meisten verbreitete Foto: Bild mit 2 Leuten in Kämpferuniform vor einem unversehrten Koffer mit neuen Puppen. Das sind dann “Höhnisch lachende Bestien”. Wäre eine Variante. Gibts noch andere? Weiss jemand, woher das Bild ist? Wer es gemacht hat? Wie es zustan-

de gekommen ist? Wer die abgebildeten Leute genau sind? Hat sich mal jemand erkundigt? Vielleicht sogar recherchiert? Alle Fragen beantwortet bekommen? Als einziges Ergebnis nur diese Variante übriggeblieben? Naja, obs reicht? Was, wenn diese direkte Linie zwischen Flugzeugabsturz und Krieg drum so eintreffen wird, weil sie überall so beschrieben wird? So gewünscht wird? Also mir wärs eigentlich lieber, die Grossen würden sich mal zusammensetzen und das ganze aushandeln, dann müssten wir nicht andauernd solche unrecherchierte Scheisse lesen und hören und sehen, niemand müsste sich die Mühe machen, der Welt seine Version vorzulügen, wir würden da einfach mal nicht mitspielen. Was, wenn die Medien sich mal zurückhalten würden? Einfach mal ein paar Wochen die Fresse halten? Keine Horrorszenarien an die Wand malen? Keine schluddrigen Artikel aufgrund irgendwelchen Pressemitteilungen veröffentlichen würden? Wäre das nicht verantwortungsvoll? Es wäre zumindest wundervoll. Gerade in Tagen wie diesen.

DIE POLIZEI, DEIN FREUND UND KÜNSTLER. 11. Juli 2014 Reinhold Weber Für jeden sichtbar wird behördlicherseits immer gekonnter am behördl. Ansehen geschraubt. Das amtl. Zürich gibt sich kreativ! Trend- und zeitgemäss heisst das städtische Gartenbauamt schon seit einiger Zeit “Grün Stadt Zürich”. Ein angerosteter Hafenkran fischt an Zürichs prominentestem Binnengewässer nach Aufmerksamkeit bei nordkoreanischen Fototouristen (“dagegen war Luginbühl ein Provinzschweisser”). Und Haifischwarnschilder informieren uns auf sauglatte Weise darüber, dass, obzwar Haifische nur äusserst selten in der Limmat lauerten, das Schwimmen darin streng verboten sei, weil auch ohne Haie sehr gefährlich. Und schon folgt ein weiterer Höhepunkt im Rahmen der aktuellen Goodwill-Tour: Mittels Plakaten in abstrahiert-dynamischer Schiessscheiben-Grafik informiert uns die Zürcher Kantonspolizei darüber, dass die meist zu unrecht geschmähten Gesetzeshüter ja auch nur Künstler sind. Kunstschaffende wie du und ich. So kann man jetzt in einer Ausstellung Skulpturen von Bildhauern sehen, die sonst Chügeli-Neger (Polizei-Jargon) verhaften. Aquarelle von

Malern, die sonst Speichelspuren sichern. Installationen von Videokünstlern, die sonst den Schwarzen Block filmen.

Aber nur noch bis am Sonntag, dem 13. Juli. Leider. Dann geht die “kapo art” – pünktlich zum quatorze juillet – ins Polizeimuseum von Paris.


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August 2014

MUSS MAN AUCH MAL KÖNNEN: EINFACH STOISCH VOR SICH HINSTARREN

26. Juli 2014 Midi Gottet. Und, was hast du heute so gemacht? Gestarrt. Okay?

GEFALLENE HELDEN: CHRISTOPHER MAYER 24. Juni 2014 Dominik Hug Als 1982 die fünfte Staffel der Serie „Ein Duke kommt selten allein“ produziert wurde, sahen sich die Macher mit zwei streikenden Hauptdarstellern konfrontiert. John Schneider und Tom Wopat, die Darsteller von Bo und Luke Duke, verlangten eine höhere Gage und äusserten sich zudem unzufrieden mit der Qualität der Drehbücher. Die Produzenten gingen auf die höheren Lohnforderungen von Scheider und Wopat nicht ein und engagierten kurzerhand zwei Ersatzdarsteller, Byron Cherry und Christopher Mayer, welche die Rollen von Coy und Vance Duke übernahmen, Cousins von Bo und Luke. Diese Charaktere waren jedoch nur plumpe Kopien der Originale und die Fans waren froh, kamen Schneider, Wopat und die Produzenten wieder gemeinsam auf einen Nenner und nach 17 Coy und VanceEpisoden wurden die beiden Ersatzcharaktere wieder ersetzt und wurden nie mehr erwähnt.

Christopher Mayer trat nach „Ein Duke kommt selten allein“ weiterhin in diversen Serien wie „Love Boat“ oder „Xena“ auf, aber zum grossen TV-Star hat er es nie gebracht. Mayer starb am 24. Juli 2011 im Alter von 57 Jahren in seinem Haus in Sherman Oaks eines natürlichen Todes.

SEEN IN A SCENE: DER WAGEN VON INSPEKTOR COLUMBO

3. Juli 2014 Dominik Hug. Inspektor Columbo vertraute über Jahrzehnte in seine alte Rostmühle, ein Peugeot 403 Cabrio, Baujahr zwischen 1957 und 1961, welches nur 2000 Mal

produziert worden ist. Viel Glück bei der Jagd nach so einem Schmuckstück. www.seeninascene.com

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EIN OFFENER BRIEF AN DR. BRENDAN NELSON 6. August 2014 Henrik Petro Sehr geehrter Herr Dr. Brendan Nelson Vielen Dank für Ihr Mail, das Sie mir freundlicherweise zwischen dem 8. Juli und dem 3. August 2014 mehrmals zukommen liessen. Während ich an der Seriosität Ihres Vorschlags keine Sekunde lang zweifelte, gibt es doch einige Details, die mich beunruhigen. Gerne nehme ich nun zu den einzelnen Passagen Ihrer Anfrage Stellung, die ich zur besseren Unterscheidung in Anführungs- und Schlusszeichen setze. «Gruß» Auch ich grüsse Sie höflichst und ich hoffe an dieser Stelle, Sie kommen in Frieden. Ihr doch knappes und fast schon joviales Grusswort allerdings lässt mich dazu tendieren, mit einem konspirierenden «Tschäse!» zu antworten. «Ich hoffe, Sie tun heute sind große.» Auch wenn es in unserem Kulturkreis etwas ungewöhnlich ist, sich gleich als erstes nach dem Befinden des Verdauungsapparates zu erkundigen, schätze ich Ihren Versuch, eine Brücke zu bauen und erwidere: Nein, heute habe ich noch nichts Grosses gemacht, aber es ist noch frühmorgens und normalerweise benötige ich dafür einen Kaffee. Oder zwei. Aber was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden. «Dies ist das zweite Mal, ich sende Ihnen diesen Brief, ich habe Ihre E-MailKontakt aus einer Schweizer Firmenverzeichnis im Internet und beschlossen, Sie zu kontaktieren zu diesem Geschäft Vorschlag.» Tatsächlich sendeten Sie mir das Mail elf Mal, aber als hohes Tier in der Bank sind Sie es wohl gewohnt, dass Sie Assistenten haben, die sich um solche banalen Dinge wie E-Mails kümmern und Sie darum mit dieser fremden Tätigkeit wohl etwas überfordert sind. Aber keine Sorge, das muss Ihnen nicht peinlich sein, denn Sie sind in bester Gesellschaft: meiner Mutter «darf» ich auch immer wieder mit ihrem Laptop helfen – und sie ist auch ein hohes Tier in ihrem eigenen Ein-FrauUnternehmen. «Ich bin Dr. Brendan Nelson Vorsitzender des Prüfungsausschuss-Abteilung, eine Bank von London Piccadilly Circus, hier in England (Royal Bank of Scotland). Ich schreibe Ihnen als Referenz zu einem Business-Vorschlag, dass einer immensen Nutzen für beide von uns ist.» Vielen Dank, dass Sie sich an mich wandten. Ich bin absolut die richtige Person für eine solche Partnerschaft: Zuverlässig, diskret, integer und kompetent in allen Belangen des Bankenwesens und bei der FINMA eine komplett unbekannte Nummer. Nun, womit kann ich Ihnen behilflich sein? «In meiner Abteilung, entdeckte ich eine verlassene Summe von sechzehn Millionen fünfhunderttausend Britische Pfund Sterling (£ 16.500.000. 00) in einem Konto, das zu einem unserer ausländischen Kunden MRS Surti Dahlie, eine Geschäftsfrau aus den Niederlanden, die ein Opfer der war, gehört der Malaysia Airlines Flug 370 (MH370/MAS370), die im Süden des indischen Ozeans am 8. März 2014 auf dem Weg von Kuala Lumpur International Airport nach Beijing Capital international Airport tötet alle an Bord abgestürzt.» Traurige Sache, das mit dem Flugzeug. Was mich aber mehr schockiert: das muss ja ein ziemlicher Sauhaufen sein, den Sie da führen! Ich meine, dass mal eine Lieferantenrechnung liegen bleibt oder Spesen zweimal abgerechnet werden, das kommt in den besten Familienunternehmen vor. Aber 16 Mio. Pfund, die Sie «entdeckten»? Lassen Sie das bloss keinen Ihrer Kunden erfahren. Wenn das meine Bank wäre, würde ich mein leeres Sparkonto sofort saldieren

lassen. Ich unterstelle mal, dass es nicht Ihr Fehler war, sondern der eines Ihrer Mitarbeiter, okay? Und dass Sie besagter Flachpfeife 15 Minuten Zeit gaben, Ihre Habseligkeiten in einem Karton zu verstauen und die Royal Bank of Scotland für alle Zeiten zu verlassen. Zum Beispiel auf direktem Fussweg über die Themse. Mit einem italienischen Betonschuh. «Sehen Sie den Link unten für den Flug manifestieren: http://www.india.com/loudspeaker/ missing-malaysia-airlines-flight-mh370passenger-manifest-full-list-28120/ MRS Surti DAHLIA ist die Nummer 130 auf der Liste, Die Wahl der Kontaktaufnahme mit Ihnen geweckt von der geographischen Natur, wo Sie leben, vor allem aufgrund der Sensibilität der Transaktion und die Vertraulichkeit hier.» Tatsächlich finde ich den Namen in der Liste – ich glaube Ihnen! Nun, als in London lebend (oder zumindest arbeitend) und als Abteilungsleiter einer Bank nehme ich mal an, dass Sie sich in europäischer Geografie ein klein wenig auskennen. Wenn Sie mit «geographischer Natur» meinen, dass wir Schweizer den Niederländern (wie Frau Dahlia) nahe stehen, so muss ich sie leider enttäuschen. Klar, sie sind etwas beliebter hier als die Deutschen, aber nur wenn sie mit dem eigenen Wohnwagen durchfahren und keine Wohnungen an begehrten Lagen belegen. Wenn Sie hingegen meinen, dass wir in der Schweiz ein besonders diskretes Bank- und Finanzwesen haben, so muss ich Sie leider erst recht enttäuschen. Inzwischen ist das Bankgeheimnis faktisch inexistent. Und nicht nur das: leitende Manager kaufen sich etwa von der US-Justiz frei, indem sie die Namen aller Bankmitarbeiter liefern, auch wenn diese gar nichts mit einem Steuerdelikt zu tun hatten. Sie erinnern sich an die gewaltige Busse, die der CS aufgebrummt wurde? Lesen Sie mal das hier: http://insideparadeplatz.ch/2014/07/10/cs-liefert-usanamen-von-1000-kundenberatern/ Ganz ehrlich, ich möchte nicht durch die (äusserst verlockende) Transaktion mit Ihnen plötzlich ins Visier der Amerikaner geraten und eines Tages aus literally blauem Himmel unangemeldeten Besuch einer Drohne bekommen. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – ich glaube, Sie würden kaum zögern, meinen Namen den US-Ermittlungsbehörden zu nennen, wenn diese Ihre Eier in der Hand hätten (das ist natürlich als Metapher zu verstehen). Jetzt sagen Sie sicher, dass Frau Dahlia Holländerin ist, was gehen uns also die Amis an? Ich aber sage: vielleicht ist sie auch US Doppelbürgerin? Oder besitzt dort Immobilien oder Firmenanteile? Das müsste ich als schon ganz genau wissen, weil wenn dem so wäre – good night uncle Sam! «Ich suche Ihre Zustimmung an Sie als nächsten Angehörigen / Wird Zuschussempfänger auf den Verstorbenen, so dass die Erlöse aus diesem Konto bei Sechzehn Millionen fünfhunderttausend Britische Pfund Sterling (£ 16.500.000. 00) geschätzt kann Ihnen bezahlt werden können.» Ach so, so läuft das also: ich soll mich als entfernter Verwandter ausgeben, um dann das Geld zu kassieren? Toller Plan. Für einen Zweitklässler. Ich meine, wie

soll ich diese Verwandtschaft beweisen? Bei 16 Mio. Pfund wird sicher mehr verlangt als nur eine Unterschrift oder ein stümperhaft gefotoshoptes Foto, auf dem ich neben Frau Dahlia zu sehen bin..? «Dies wird ausgezahlt oder in diese Prozentsätze, 50% für mich und 50% für Sie freigegeben werden. Ich habe in meinem Besitz alle notwendigen rechtlichen Dokumente, die verwendet werden können, um diese Behauptung wir mit der Bank machen. Ich brauche nur in Ihrem Namen auf den Dokumenten zu füllen und zu legalisieren es in den Hof hier, um Sie als berechtigten Empfänger nachweisen.» Oh, jetzt verstehe ich, Sie deichseln da was und unterschreiben, dass ich der bin, als der ich mich ausgebe! Das ist ja wie bei der Ticketkontrolle fürs Partysanboot. Na jetzt fängt die Sache an mir zu gefallen! «Ich brauche Ihre ehrliche Zusammenarbeit, Verschwiegenheit und Vertrauen, damit wir sehen diese Verhandlung durch. Ich garantiere Ihnen 100% Erfolg in diesem Geschäft, Sie sicher sein, dass diese Transaktion unter einer legitimen Anordnung, die Sie von einer Verletzung des Gesetzes schützt ausgeführt wird.» Ich rekapituliere: Sie wollen, dass ich Ihnen vertraue und ehrlich zu Ihnen bin, zu einem, der sich mir gerade als skrupelloser Halsabschneider offenbart hat? Ich meine, vielleicht hatte Frau Dahlia zwar keine eigenen lebenden Verwandten, aber dafür ein oder gar zwei rumänische Waisenhäuser adoptiert? Diese müssten dann von heute auf morgen ohne einen Penny auskommen?! Ist das nicht etwas hart? Regt sich da nicht der Hauch eines Gewissens? Ach ich Dummkopf, was frage ich Sie so etwas – den Abteilungsleiter einer Bank – in London! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Nein Sir, ich nehme Sie als Vorbild und konzentriere mich gleich wieder auf das bessere Gefühl: Gier! «Ich entschied mich, kontaktieren Sie hoffen, dass Sie diesen Vorschlag interessant finden, Bitte auf Ihrer Bestätigung dieser Nachricht und geben Sie Ihr Interesse werde ich Ihnen weitere Informationen liefern. Dieser Deal hat, so schnell wie möglich durchgeführt werden. Freundliche Grüße, Dr. Brendan Nelson Leiter der Revisionsabteilung Royal Bank of Scotland, Großbritannien.» Herr Nelson – den Doktortitel lasse ich jetzt mal weg, so unter Freunden, die wir inzwischen schon lange sind (inklusive den Lesern, die uns bis hierhin gefolgt sind). Obwohl ich keine Sekunde an der Seriosität Ihres Anliegens zweifelte, alle Ihre Ausführungen logisch, stringent und die dargelegten Beweise schlüssig und ausreichend sind und – wohl das Wichtigste – obschon die Hälfte von 16 Millionen 500 000 Pfund äusserst verlockend ist, so muss ich Ihnen nach langem und reiflichem Überlegen einen Korb geben. Oder um es anders auszudrücken: ich muss Ihnen leider absagen. Der Grund ist die Macht der Sprache. Wenn Sie bei einem derart wichtigen Unterfangen, wo es um soviel Geld geht, sich so wenig Mühe geben, den Brief an mich in einigermassen korrektem Deutsch zu verfassen, Ihnen also nicht mal ein paar Pfund für einen Übersetzer wert sind, dann ist das am falschen Ort gespart. Nicht nur ist es ein Mangel an Wertschätzung und Respekt mir gegenüber – vielmehr beunruhigt mich: wenn Sie in diesem Detail schon schlampig vorgehen, wie ernst nehmen Sie dann erst andere Details, die über (m)ein Leben in Nassau oder in Pöschwies entscheiden? Ich wünsche Ihnen viel Erfolg im weiteren Leben und bis zum nächsten Mal in hoffentlich korrektem Deutsch.


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August 2014

MUSS MAN NICHT HABEN: EINEN NIGHTST-ARSCH.

10. Juli 2014 Reinhold Weber. Aufgepasst an der nächsten Party. Wenn da Leute mit einer geilen Profikamera herumlaufen, und die knipsen dich, ist dein Arsch möglicherweise schon am nächsten Tag auf der Website von Nightst-Arsch. Streck also nicht gleich jedem grossen Teleobjektiv deinen Hintern hin.

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ELTERNVERGLEICH: USA VS. CH 5. August 2014 Yonni Meyer Ich liebe Kinder. Ganz echt. Der Hauptgrund für meine jeweiligen Reisen ins Amiland sind Besuche meines herzallerliebsten Gottibuben. Für mich das herzigste Kind im Universum, jede Reise und alle damit verbundenen Kosten und Strapazen fürschi und hinderschi Wert. Ich würde ihn am liebsten in einen Flauschi-Beutel stecken und als Nackenkissen getarnt mit ins Flugzeug und zurück in die Schweiz nehmen, so vernarrt bin ich in ihn. Eben: Kinder rocken. Lustig ist der Vergleich amerikanischer und schweizer Kinder – und noch viel lustiger derjenige ihrer Eltern. In der Schweiz hört man jeweils quer durch den Migros: „SEBASCHTIAN! ICH HAN GSEIT NEI! JETZ NIMMSCH DAS RINDSGHACKTE WIEDER US DERE TAMPONSCHACHTLE USE UND BRINGSCHES ZRUGG! ABER DALLI! SEBASCHTIAN! EIS … ZWEI …“ In den USA läuft das, gemäss meinen bescheidenen Beobachtungen, irgendwie anders. Ich weiss nicht genau, wieso. Vielleicht ist Schoggierziehung mit Laisser-Faire-Beilage gerade Trend. Oder die Eltern haben Angst, dass sie von ihren Kindern verklagt werden, sobald diese 18 sind (und Auto fahren sowie wählen als auch Menschen in Ländern mit grossen Ölvorkommen abknallen, jedoch AUF KEINEN FALL ALKOHOL TRINKEN dürfen). Auf jeden Fall bricht der Grossteil der Ami-Eltern, die ich bisher beobachtet habe, regelrecht in Frohlocken aus, wenn der kleine Tyler oder die kleine Emily auch nur einen Pieps machen. „Honey, have you puked into my purse again? Have you? You sweet little bug. Mommy would rather if you didn’t do that again, but if it happens it’s totally fine. Alright sweetheart?“ (Schätzchen,

hast du wieder in meine Handtasche gekotzt? Ja? Du süsser kleiner Käfer. Mami wäre es lieber, wenn du das nicht tun würdest, aber falls es wieder passiert, ist das trotzdem total in Ordnung, Liebling). Das alles mit einer Stimme, dass einem beim Zuhören beinahe Zuckerwatte aus den Ohren wächst. Letzten Herbst war ich im Monterey Bay Aquarium. Ein fantastischer Ort! Mit vielen kleinen Amerikanerlis. Auch hier machte sich der Schmusekurs an der Elternfront bemerkbar. Einerseits wurde ich mehr als einmal beinahe von einer Horde quietschender Mini-Dampfwalzen über den Haufen gerannt, weil irgendwo gerade ein Pinguin am Kacken war, was natürlich für einen 5jährigen ganz grosses Kino ist und auf keinen Fall verpasst werden darf. Andererseits kommentierten die kleinen Quasselstrippen alles lautstark mit, was sie gerade sahen, seien es die Hoden einer Flunder oder kopulierende Seepferdchen. Das würde ein Schweizer Kind wohl beides auch machen, nur wäre die Reaktion seiner Eltern wohl gegenteilig zu derjenigen

der Amerikaner. Eine Schweizer Mutter würde wohl brav um Entschuldigung bitten, um dann dem Zwerg klipp und klar zu sagen, dass es kein Kägi-Fret gibt, wenn er nicht SOFORT aufhört, so soutumm zu tun. Ami-Eltern? Die rennen den kleinen Stinkern locker-flockig in ihren Nikes hinterher und hören sich seelenruhig die geschriene Geschichte vom kackenden Pinguin an, streuen sogar dazwischen immer wieder ein hyper-enthusiastisches „He DID?!“ und ein „WOOOW, really?!“ ein und animieren so den kleinen Lautsprecher in Menschenform dazu, noch näher, lauter und noch detaillierter auf das Pinguin-Fäkal-Erlebnis einzugehen. Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht, welche Methode ich besser finde. Kinder brauchen Freiheit und Grenzen und ich als Noch-Nicht-Mutter werde mir bestimmt nicht anmassen, zu behaupten, ich wüsste, wie man’s richtig macht. Vor allem, da ich selber noch eine kindische Riesenfreude an kackenden Pinguinen habe.

GOTT IM GHETTO

14. Juli 2014 Jelena Keller Wenn du nicht an Gott glaubst, woran glaubst du dann? 2010 landeten meine beste Freundin und ich auf unserer Kalifornien-Reise auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge, in Oakland. Im verarmten Teil. Im Ghetto. In dem Gebiet der Stadt, vor dem man uns gewarnt hatte. Jeder, dem wir von unserem Vorhaben erzählten sagte, wir sollten mal lieber nicht dort hin mit unserem jugendlichen Leichtsinn. Und wenn, dann nur ins “weisse” Gebiet. Selbsternannte Linke, selbsternannte nicht-Rassisten hatten so geredet. Es musste wirklich etwas dran sein. Oder sie waren alle Heuchler. Unser Gerechtigkeitssinn und die Überzeugung, man müsse selbst gesehen und gefühlt haben, bevor man urteilen darf, brachte uns doch dorthin. Auf dieser Reise erlebten wir endlose Gastfreundschaft, Offenheit, tiefe Freundschaft und lernten mehr über das Leben, denn je. Mit einem Freund besuchten wir verschiedene Familienmitglieder in Oakland. Von den Wohlhabenderen zu den Armen. Eines hatten sie gemeinsam: ihre Leidenschaft für Obama und das

Christentum. Überall der Präsident und christliche Symbole in den Häusern. Wir redeten und redeten. Es ging es nur darum ob man für oder gegen Obama war. Ich fragte, was sich denn verändert habe seit der Obama an der Macht sei. Nichts, sagten sie, nichts. Ausser vielleicht, dass die Welt anders auf Schwarze schaue. Und das sei schon viel. Es freute mich, dass sie zumindest eine kleine Veränderung zu bemerken dachten. Einmal sassen wir in einem verlotterten, dunklen Holzhaus mit einem ebenso düsteren, zugemüllten Garten (das Entsorgen von Sperrmüll sei zu teuer). Wir besuchten die Cousine des besagten Freundes, die mit 22, bereits drei Kinder hatte und bei ihren Eltern leben musste. Als wir hinein gingen begrüsste uns niemand. Die Tür stand einfach offen. Wir setzten uns auf Sofa und sollten warten. Die Cousine, im pinken Trainer, Joint in der Hand, setzte sich gegenüber. Dann musterte sie uns, sagte kein Wort. Ich musterte ebenso. Die Situation verlangte kein “Hallo”, ich wusste, dass man hier nicht viel Wert legte auf Privatsphäre, dass Leute ein und aus gingen und sich meist wenig zu sagen hatten. Ich sah, wie sich ihr süsser, kleiner, etwa vierjähriger Sohn um ihre Gunst bemühte, sie ihn dafür nur zu beschimpfen wusste. “Stop it, motherfucker. Stop that shit.” Ich spielte ein wenig mit ihm. Das Gesicht hinter der Hand verstecken und dann zwischen den Fingern hervorkucken. Er lachte

immer wieder lauthals, wie die Babys in den meistgesehenen Youtube Videos. Sie blies mit düsterer Miene Haschwolken in die Luft, die dem Raum noch mehr Licht nahmen. Draussen schien die Sonne, doch ich fühlte mich unglaublich befangen. Hunderte von Familienfotos, Kruzifixe und Jesusbilder an der Wand. Irgendwann fragte sie: “Glaubst du an Gott?” Ich antwortete: “Nein.” Ihr starrer, harter Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Dann sagte sie kühl: “Ich habe Angst vor Menschen, die nicht an Gott glauben. Sie haben nichts zu befürchten.” Sie fixierte mich abermals mit ihrem Blick und sagte: “Wenn du nicht an Gott glaubst, woran glaubst du dann? Ich überlegte eine Weile, denn ich hatte mir die Frage so nie gestellt. Ich glaubte an so viele Dinge, dass ich sie gar nie zu fassen versucht hatte. Dann antwortete ich: “Ich glaube daran, dass man Gutes tun kann, nicht nur aus Angst, sonst in die Hölle zu kommen oder bestraft zu werden. Ich glaube daran, dass man Menschen gleich behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden möchte. Ich glaube daran, dass man manchmal aus Selbstlosigkeit handeln und damit glücklich werden kann. Ich glaube daran, dass man seine Kinder zu starken, selbstbewussten Menschen erziehen, dass man sie nie erniedrigen, sie in ihrem Tun stützen, ihnen Liebe und Geborgenheit bieten sollte, auch wenn man diese selbst nie erfahren hat. Ich glaube daran, dass ich jeden Tag

selbst entscheide, was richtig ist und dass man nicht auf dieser Welt ist, um einem vorgegebenen Weg zu folgen. Ich glaube daran, dass die Liebe zur Familie und Gott nicht an der Wand manifestiert werden kann, sondern im Herzen. Ich glaube daran, dass jeder Mensch seine individuelle Realität und Wahrheit in sich trägt und dass man diese respektieren sollte. Ich glaube daran, dass Glauben und Beten wundervoll ist, doch dass Taten noch wundervoller sind.” Sie blies Rauch durch die Nase und sah mich weiterhin teilnahmslos an. Entgegnete dann: “Ich bete für deine verlorene Seele.” -”Ich danke dir.” Es tat mir leid, dass ihre Vergangenheit sie zu diesem kühlen, misstraui-

schen Menschen gemacht hatte. Zu jemandem, der keine Perspektiven gehabt hatte und sie sich nicht schaffen konnte. Sie hatte es nicht verdient, dass man sie der Lebensfreude beraubt hatte. Es tat mir weh, dass sich der Teufelskreis mit der nächsten Generation zu schliessen schien. Und da verstand ich, dass nur dieser Glaube ihr ein kleines bisschen Halt bieten konnte. Eine Hoffnung auf Besserung.Wir hatten uns nichts mehr zu sagen und die Zeit schien in der eindringlichen Atmosphäre stillzustehen. Bis wir gingen, und ich das Bild von ihrem süssen Jungen in meinem Herzen festhielt, sodass es mir heute noch präsent ist.


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August 2014

3 DINGE, DIE ICH MIR ZURÜCKWÜNSCHE 15. Juli 2014 Yonni Meyer Ich finde die heutige Zeit mega lässig. Abgesehen von ein paar Schönheitsflecken wie Louis Vuitton und Teenagern. Teenager aber, zu diesem Schluss bin ich mittlerweile gelangt, müssen Scheisse sein. Ich war auch Scheisse. Und wie! Läckdumir! Manchmal denke ich, dass wir alle die Kurve übers Scheisse-Sein nehmen müssen, um dann irgendwann unscheissig zu werden. Nöd wahr. Ihr wisst, was ich meine. Zurück zum Thema. Ich mag die heutige Zeit. Natürlich regt man sich über’s eine oder andere auf, aber das ist okay. Es gibt jedoch ein paar Dinge, die es früher noch gab und die mir heute fehlen. 1. Foifermöcke. Ja, diese klebrigen, vierfarbigen, in buntes Papier gewickelten Zahnarztalbträume. Als ich klein war, fuhr mein Vater jeden Sonntag mit mir und meinem Bruder zum Kiosk und jeder durfte für 50 Rappen chröömle. Das ergab damals noch ein ganzes Sammelsurium an Zuckersüssem, Superklebrigem, Megakünstlichem. Es war ein Traum. Immer bevor das neue Schuljahr losging, gab’s sogar eine Wundertüte. WUNDERTÜTEN! Das war für mich das Allerallergrösste. Heute ist der Foifermocke ein Zwänzgermocke, nur noch halb so gross und nicht mehr halb so lecker. Vor einer Weile habe ich mir mal wieder einen gekauft. Coci-Geschmack. Aber es war nicht mehr dasselbe. Auch die Farben waren nicht mehr dieselben – nur so eine verblasste Version des Originals. Wahrscheinlich müssen die heute vegan sein. Pf. Lieber Foifermocke, ich vermisse dich, ich hoffe, es geht dir gut im Süssigkeitenhimmel. P.S. Falls du dazu kommst, schlag diesem fiesen Zimt-Fireball eins in die Fresse. Das Teil hat in meiner Jugend zu sehr viel Leid beigetragen. 2. Golden Girls. Ich würde mich als Serienjunkie bezeichnen. Und ich bin grosser Fan vieler moderner Serien. Naja. Vieler ist vielleicht übertrieben. „Two and a half Men“ habe ich nie verstanden. Finde ich einfach nicht lustig. Bei „Mad Men“ habe ich mich tapfer durch drei

Staffeln gekämpft, in der Hoffnung, es passiere mal was. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Anscheinend, das wurde mir dann später erklärt, sei das eben genau der Punkt. Dass eben nichts passiere. Aha. Naja, bereut hab ich’s trotz allem nicht, denn ich finde sowohl Jon Hamm als auch John Slattery megasuper. Jedenfalls bin ich grosser Fan von „Game of Thrones“ und „The Walking Dead“ und ich habe schon sehr lange keine so gute Serie mehr gesehen wie „True Detective“. Ich freue mich bereits auf die zweite Staffel (leider mit komplett neuem Cast). Aber, ja, aber: Nichts reicht in meinen Augen an die Golden Girls ran. Die waren so so so gut. Alle vier. Leben tut ja nur noch Betty White und auch sie ist schon 92 (jedoch nicht das kleinste bisschen weniger awesome). Und wenn wir grade bei TV Serien sind, die sich um Girls drehen: Mein Herz brach nach der finalen Staffel Gilmore Girls. Oh, wie ich Lorelai vermisse. Aber: Auch an der Mädchenfront gibt’s Hoffnung. „Girls“. Brillant! Mag ich! Mehr bitte! 3. Pluto. Ja, liebe Kinder, als ich noch jung war, war Pluto noch ein Planet. Wirklich fehlen tut er mir nicht, aber es ist fies, dass er nicht mehr dabeisein darf, nur weil er klein ist. Ausserdem frage ich mich: Was für einen Spruch sagen die Kinder nun auf, um sich die neun… ah nein, acht Planeten zu merken? „Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten“ hiess es mal. Aber P ist ja nun weg. Und es heisst auch nicht mehr „neun“ sondern „acht“, also müsste sich Neptun eigentlich einen neuen Namen suchen. Ich bin für Arielle. Merkur Venus Erde Mars Jupiter Saturn Uranus Arielle. Fände ich gross. Haha, ich habe Anus geschrieben.

SEEN IN A SCENE. ROCKY BALBOAS LEDERJACKE

7. Juli 2014 Dominik Hug Rocky Balboa gilt, ob er es gewollt hätte oder nicht, als Stilikone der Siebziger. Sein Hut wurde zum Kultobjekt. Wir machten uns nun auf die Suche nach seiner Lederjacke. Wir fanden heraus, dieses Stück wurde von Bond Clothes / Bond Fifth Avenue hergestellt. Die Firma ging leider in den frühen Achtzigern Konkurs, so wird es sehr schwer werden noch eine Original Rocky Jacke zu finden. Jedoch, wir stiessen auf eine grossartige und kaufbare Replik dieser Jacke bei trendyleatherjacket.com, www.seeninascene.com

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DER WALD IST MEHR ALS GENUG 25. Juni 2014 Midi Gottet Überfressen und untertrainiert, von Hühneraugen geplagt und mit einer Prostata gesegnet, die, laut Urologe, „die besten Tage weit hinter sich hat“, fuhr ich mit der S5 ins Wehntal. Pascale Trümpy und Corinne Rüegg, die beiden Powerfrauen hinter der Marke „Forest Fitness“, chauffierten mich ganz vorfreudig zum etwas höher gelegenen Waldrand. Auf ihrem Facebook-Profil hatten sie einen Überraschungs-PromiBesuch fürs heutige Training angekündigt. Deswegen haben sich 13 Neugierige angemeldet. Na, wenn das nicht mein Durchbruch für Schöfflisdorf/Oberweningen bedeutete. Wir waren etwas zu früh am Treffpunkt und ich nutzte die Gelegenheit, um noch kurz auszutreten. Aber wie erledigt man sein Geschäft im Wald, wenn man später noch 13 Hände schütteln muss? Genau – mit links. Ha! Pünktlich um 18.45h erschienen alle Teilnehmer. Die Begrüssung war laut und herzlich, wie ein Familientreffen in Funktionswäsche. Sogar die Ehemänner von Pascale und Corinne wagten sich ausnahmsweise auf die anderthalb stündige Tour de Force. Sie dachten wohl, wenn so ein lahmer C-Promi dabei ist, kanns ja nicht so schmerzhaft werden. Tja, das nennt man wohl, in die PromiFalle treten. Pascale nahm die Zügel in die Hand und führte die tratschende Gemeinschaft auf die Strecke. Nach einem kleinen Anstieg gabs ein kurzes Aufwärmen. Aussentemperatur: 7 Grad. Innentemperatur: Stetig steigend. Ein steiles Zwischenstück war Corinne nicht fies genug, also liess sie uns die erste Hälfte mittels tiefen Ausfallschritten hochkraxeln. Die zweite Hälfte „versüsste“ uns Pascale, in dem sie uns auf allen Vieren als „Bergsteiger“ (Knie seitlich auf Schulterhöhe bringen) den Stutz hochjagte. Die nassen Kieselsteine bohrten sich in meine zarten Städter-Handballen. Aua. Doch ich wähnte mich im Ninja-Training und

biss auf die gebleachten Zähne. Oben angekommen sollten wir Rumpfbeugen machen – und zwar mit dem Hintern auf liegenden Baumstämmen balancierend. Meine Shorts, die ich über meinen Thermo-Tights trug, verrutschten ständig. Ich sah aus, wie ein besoffener Förster beim Mittagsschlaf. Was ich stumm in mich hineinfluchte, war nichts fürs Poesiealbum. Mit einem grösseren Po wärs leichter gewesen, doch mein Fett hatte sich schon für die Bauchgegend entschieden. Auf einer Anhöhe mit Waldhütte, nahmen wir alle einen kräftigen Schluck aus unseren Trinkflaschen, die übrigens alle von Pascale in selbstloser Dienstleistung per Rucksack mitgeschleppt wurden. Mein Gentleman-Herz blutete, doch mit jeder gemeinen Übung ging es mir ein wenig besser. Jeder suchte sich eine Sitzgelegenheit, denn wir machten jetzt Bankdips, besser bekannt als die fiese Schwester der Liegestütze. Jeder zählte seine 5 Dips der Reihe nach laut durch und die Gruppe machte mit. Zitterarm-Alarm. Das Selbe in Grün mit Liegestützen, gestützt auf einem liegenden Baumstamm. Tom, der Mann von Pascale, zählte jeweils in chinesisch. Bei Puls 150 spielt einem das Gehirn selt-

same Streiche. Endlich duften wir uns hinlegen – und unsere Beine gegrätscht auf einem Baumstamm hochlagern. Der Auftrag lautete, den wippenden Hintern nie den Boden berühren zu lassen. „Einen schönen Gruss aus der Gynäkologie“, röchelte ich meinem Nachbarn und Leidensgenossen zu. Beim anschliessenden Auf-einem-Bein-Balancieren auf einem (jep, richtig geraten) Baumstamm, machte ich (trotz Positionierung auf einer sehr harzigen Stelle) eine schlechte Falle. Der mitgebrachte Stadt-Züri-Stress liess mich meine Mitte einfach nicht finden. Auch die 90 Sekunden auf einem imaginären Stuhl, angelehnt an einem Baum, brachten nicht die erhoffte Erholung sondern lediglich die Erkenntnis, dass, egal wie man in den Wald schreit, nichts davon zurückkommt – mit Ausnahme von Muskelkater in den Oberschenkeln. Bevor wir uns dem, von Corinne angeteaserten „Dessert“ (ich ahnte Schlimmes) widmeten, trainierten wir, mittels lang ziehen von Therabändern, unsere seitlichen Bauchmuskeln und Schultern. Und gerade als ich liegend, mit Blick in den Waldhimmel, eine gewisse Hänselund-Gretel-Romantik genoss, riss mein Theraband. Wow, wirkt „Forest Fitness“ umgehend? Näh, war wohl eher spröder Gummi. Ein letzter Sprint brachte uns zu einem Naturschutzgebiet mit Sandhöhlen. Erst wies Corinne einen verirrten Teenage-Moto-Crosser in die Schranken, um uns danach mit einer sogenannten Tabata den Rest zu geben. 20 Sekunden Burpees, 10 Sekunden „Erholung“, 20 Sekunden Bergsteiger, 10 Sekunden „Erholung“. Und das vier Minuten lang. Als Wiedergutmachung gabs zum Schluss eine Portion Eiweiss mit Vanillegeschmack. „Wenn du das nicht trinkst, klaut dein Körper das benötigte Eiweiss von deiner Muskelmasse“, erklärte mir Pascale geduldig. Na dann, ex und hopp. In meinem Alter hängt man an jeder Muskelfaser, wie Tarzan an der Liane.

Ich nix Arbeit, du nix Manieren Ein Jobinterview der dritten Art, das ich da kürzlich erlebte. Es begann, wie so vieles, mit einer vielversprechenden Annonce. Fremdsprachler/Dolmetscher D, E, F, Sp, I gesucht, von einer Firma, die sich sehr liebevoll um Zahnarztphobiker kümmert. Die Firma verdient gutes Geld, denn ihr Konzept basiert auf einen Prozess, der denkbar einfach ist. Die Gebisse der Phobiepatienten werden in einer 4 - 7 stündigen OP unter Vollnarkose total saniert. Womit sie dann rumlaufen, ob mit Brücken, Klammern, oder schicken Implantaten,, hängt vom jeweiligen Portemonnaie ab. Und dadurch füllen sich nicht nur die Zahnlöcher, sondern auch die Bankkonten des ausländischen Erfinders, der sich für seinen Wohnsitz eine der steuergünstigsten Gemeinden der Schweiz ausgesucht hat. OK, wenn man erfolgreich ist, darf man von den Kandidaten auch verlangen, dass sie mehrere Wochen auf eine Antwort warten. Wenn man erfolgreich ist, darf man von den Kandidaten auch verlangen, dass sie sehr zeitaufwendige Probeübersetzungen in der Länge einer A4 Seite in allen Sprachen abliefern. Wenn man erfolgreich ist, darf man von mir als Kandidatin auch verlangen, dass ich nach termingerechter Ablieferung wiederum einige Wochen warte, bis ich wieder was höre. Wenn man erfolgreich ist, darf man mir als Kandidatin in der engeren Wahl mitteilen, dass am 30. Juli in Zürich Bewerbungsgespräche stattfinden werden.

Wenn man erfolgreich ist, darf man von mir erwarten, dass ich mich betreffend der nebensächlichen Details wie Wann und Wo nochmals ein paar Wochen gedulde. Wenn man erfolgreich ist, darf man von mir erwarten, dass der zukünftige Chef die jeweiligen Unterlagen erst ein paar Minuten vor dem Eintreffen anschaut. Wenn man erfolgreich ist, darf er von mir verlangen, dass er mich in einer Arroganz der unangenehmen Art mehrmals fragt, ob ich neben der verlangten Sprachen denn auch ganz sicher Schwyzerdütsch beherrsche. Tue ich doch. Sowohl Schwyzerdütsch wie au d’Beherrschig. Wenn er erfolgreich ist, kann er von mir verlangen, dass ich den Eistee, den ich bei meinem Eintreffen in der Hotellobby bestellt hatte, unberührt stehen lasse, weil er nach genau 11 Minuten aufsteht und mich, ohne sich für mein Interesse und das Kommen zu bedanken,

verabschiedet. Er hat noch andere Kandidaten, die er treffen wird. Ich werde von ihm hören. Draussen regnet es weiter. Wenn er erfolgreich ist, darf er nun von mir erwarten, dass ich ihm in einer der gewünschten Sprachen schreibe, was ich über diese Begegnung denke. Halt, Stopp. Geht ja nicht. Er spricht ja nur Deutsch. Cool, dann darf ich ihm in Wolfi’s Sprache ja demnächst mitteilen, dass ich für diesen Job nicht mehr zur Verfügung stehe. Der steuergünstige See ist mir eh ein bisschen zu weit für einen Halbtagsjob. Und der zukünftige Arbeitgeber viel zu weit weg von den Anforderungen, die ich an einen Chef stelle. Insbesondere zum Thema Emotionale Intelligenz, Firmenkultur und Manieren. In diesem Punkt bin ich bisher sehr verwöhnt worden. Und da lasse ich nicht locker. Da bin ich nun wiederum sehr erfolgreich.


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August 2014

LIEBE, FREIHEIT, TOLERANZ UND ANDERE SPIESSIGKEITEN 5. August 2014 Rainer Kuhn

Dabei merkt man auch nicht, dass sich

Jetzt hört und liest man sie wieder, die Supercoolen, die wie jedes Jahr hinter ihren klebrigen Laptops hervorschiessen, wie kommerziell die Street-Parade sei, und die ehemaligen Lehrer regen sich über den Abfall auf, und Drogen, uiuiui, ja, Drogen wurden konsumiert, weischwieschlimm. Weiter wird lustvoll über die Agglo-Mamis und Postschalterangestellten hergezogen, wie spiessig die doch sind und wie peinlich, sich an der Sommerfasnacht in Lack und Leder und stabilobossfarbene Federboas zu hüllen. Ich kann diese Frustbeulen je länger je weniger aus- und verstehen. Worum gehts nochmals genau bei der Street-Parade? Genau: Liebe, Freiheit, Toleranz. Ob der DJ auf dem Bürkliplatz nun Szene-Credibility hat oder nicht, ist völlig wurscht. Ob sich jeder eine Pille oder zwei einwirft ebenfalls. Was die Leute tragen sowieso. Es ist alles ok, leben und leben lassen, auch die, die an diesem Wochenende in die Berge fahren, weil sie damit nichts anfangen können.

die Toleranz längst schon verabschiedet hat und die Street-Parade wie ein Mahnmal dafür steht. Ein Tag im Jahr wird dafür zur Verfügung gestellt. Das muss reichen. Dabei stelle ich mir vor, wie das wäre, wenn alle Leute das ganze Jahr so rumlaufen würden. Das wäre wirkliche Toleranz. Es ist einfach, tolerant zu sein in einer Gesellschaft, in der alles normiert und uniformiert ist, sogar das denken sich nur unter strengen Vorgaben äusern darf. Da kann nichts passieren. Aber dann stelle ich mir vor, wie ich am Postschalter stehe und mich durch die Schalterscheibe hindurch ein Riesenpenis meinen Ausweis verlangt, dann auf seinen Eiern nach hinten läuft, meinen Eingeschrieben holt und mich freundlich lächelnd bittet, die Empfangsbestätigung zu unterschreiben. Und ich tue das, und ich wundere mich auch nicht über den Riesenpenis, ich schaue ihn nicht mal besondern anders an, als wenn der Mann darin sein Kostüm nicht anhätte, ich würde einfach unteschreiben, mich bedanken und mich dann mit einem freundlichen “Auf Wiedersehen Herr Studer” verabschieden. Ich wäre tolerant. Nicht auf Facebook-Wänden oder anderen Diskussionen. Sondern

Vor allem Toleranz ist ein ziemlich inflationiertes Wort. Und es wird immer dann gebraucht, wenn es einem nützt.

im richtigen Leben. Ich würde auch die Lehrerin meines Sohnes nicht diskriminieren, nur weil sie in freizügiger Polizeiuniform inkl. Handschellen unterrichtet. Und wenn die Kassierinnen in der Migros als Piratenbraut, Stripperin, Bunny oder Nonne hinter der Kasse sitzen, dann wär das etwa so gewöhlich wie sich frische Unterhosen anzuziehen am Morgen. Das ist Toleranz: Jeden Morgen eine frische Unterhose. Der Arsch muss sauber bleiben, sonst geht einem nichts mehr daran vorbei. Intolerante Leute atmen noch den Geruch ihres Vortages ein, da hat ein neuer Tag einen schweren Stand. Und ich stelle mir vor, dass ich als wirklich toleranter Mensch dann auch nie auf die Idee kommen würde, gewissen Leuten in gewissen Berufen und gewissen Positionen intolerante Kleidervorschriften zu machen. Ich würde nicht zu denen gehören, die von anderen etwas erwarten. Von niemandem, zu keiner Zeit, an keinem Ort. Und ich würde Initiativen unterschreiben, welche jene Unternehmen abstrafen und sanktionieren, die intolerant gegenüber ihren Mitarbeitern sind. Ich würde sogar Initiativen unterschreiben, die die Intoleranz gegenüber Intoleranten unter die gleiche Strafe stellt wie die Intoleranz selber, und die Vorstellung an eine totale ganzjährige Toleranz, an 365 Tage Liebe und Freiehit, all die Gedanken gefallen wir. Ist das spiessig? Ok. Mir egal. Und die Street-Parade? Das jährlich stattfindende eintägige Flash-MobMahnmal für gelebtes Spiessertum? Sie lässt sich feiern. Sie ist einfach. Ganz im Gegensatz zu den ewigen Nörglern, die nur sind, wenn sie Nörgeln. Vielleicht sollte denen einfach mal einer dann und wann übers Köpfchen streicheln. Oder eine Umarmung schenken. Oder ein Schoggichäferli. Damit sie sich endlich wieder mit der Welt versöhnen können. Und aufhören, jene zu verhöhnen, die das eigentlich längst schon gemacht haben.

REKLAME, DIE WIR GERNE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: MITSUBISHI.

4. Juli 2014 Reinhold Weber Weniger Auto? Meh Dräck? Bitteschön.

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KUBA: LAND VERALTETER IDEOLOGIEN TEIL 4 – ZURÜCK IN ZÜRICH

18. Juli 2014 Jelena Keller Zurück aus Havanna, fahre ich an einem gräulich charmanten Zürcher Montagmorgen mit dem Zug zur Arbeit. Er hat Verspätung, was mich natürlich nicht tangiert, denn ich komme gerade aus dem Chaos in eine geordnete, organisierte, saubere Welt. Ich bin froh, dass mir kein Smog von umweltverschmutzenden Oldtimern ins Gesicht weht, sodass mir schlecht wird und ich Kopfschmerzen kriege. Erst jetzt vernehme ich durch die Lautsprecher, dass der Grund für die Verspätung ein „Personenunfall“ sei. Als ich dann so da sitze, auf der glänzenden, modernen Bank und umhersehe, wünsche ich mir die Kubaner zurück. Ihre von positiver Mimik gezeichneten Gesichter, die Sehnsüchtigen Augen, die gierigen, touristenverschlingenden Blicke, ihre Leidenschaft – egal wofür.

Wir haben buchstäblich alles, einen Wohlstand, dass er vorbildlicher nicht sein könnte. Zugang zur Welt, Diversität in allen Lebenslagen, Meinungsfreiheit, Denkerlaubnis, Entfaltungsmöglichkeiten, Marktwirtschaft, Sicherheit. Trotzdem bringen wir uns massenhaft um, statt in den Strassen vor Freude zu tanzen. Unser Fokus lenkt sich statt auf das Überleben, auf Unbedeutendes. Sorgen gefangen in Kleinlichkeit. Wir haben alles und doch nichts. Ob es uns oder den Kubanern besser geht? Ich weiss es nicht. Im Grunde sind wir ähnlich. Der Kubaner handelt den Zugang zum Westen wie Gold, wir handeln Glück wie das höchste aller Güter. The grass is always greener on the other side. Wichtig ist nur, wie wir unsere Einstellung programmieren. Ist sie erst einmal positiv ausgerichtet – Kommt das freudige Leben ganz von selbst.

SEEN IN A SCENE: WALTER WHITES SONNENBRILLE IN BREAKING BAD

25. Juli 2014 Dominik Hug Wir haben uns für euch auf die Suche nach Walter Whites Sonnenbrille gemacht und wurden auch fündig. In seiner Rolle als Heisenberg trägt Walter eine Sonnenbrille von Smith Optics, Mo-

dell Turnable. Leider wird die Turnable nicht mehr produziert. Das Modell Pavilion kann als Nachfolgemodell angesehen werden. www.seeninascene.com


kult

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August 2014

DER BODEN UNTER UNSEREN FÜSSEN

30. Juli 2014 Yonni Meyer Manchmal steht man mitten im Leben. Steht da. Und lacht. Steht da und es fühlt sich vieles, fast alles, gut an und richtig. Man arbeitet viel, wird aber angemessen entlöhnt – ob mit Geld oder aber vor allem mit Lebensqualität. Man unternimmt viel und bekommt dafür gute Gespräche und Diskussionen und liebe Worte und manchmal etwas Streit zurück, der sich aber wieder versöhnen lässt – und das ist: gut. Und man unternimmt Reisen, mit Freunden, allein. Probiert Dinge, die man nicht kannte und die sich manchmal als hässlich herausstellen und trotzdem war die Erfahrung: gut. Und man entschliesst sich, Neues zu tun, neue Wege zu gehen, lernt Handorgel spielen oder Pfeilbogen schiessen oder Siamkatzen züchten. Und vielleicht wird man dafür belächelt – und man lernt, dass nicht besser ist, als dann seelenruhig zurückzulächeln. Und so ist sogar Spott für einmal: gut. Und dann lernt man vielleicht noch, zu vergeben. Denen, die einem Unrecht getan haben. Aber vor allem sich selber – sich vergeben, dass man vielleicht schon ein Drittel seines Lebens hinter sich hat, aber noch lange nicht der Mensch ist, der man sein könnte, sein wollte. Sich

vergeben, dass man egozentrisch war, oft, und wenig dankbar, noch öfter. Sich vergeben, dass man nicht aufgestanden ist für einen selbst, wenn man es hätte tun sollen, sich den Verrat an einem selber vergeben. Wenn man das kann. Das ist anstrengend und schwierig und aufreibend, aber: gut. Und dann ist auf einmal der Boden weg, auf dem man so sicher und bequem stand, der einem die Basis war für alles andere, Ausgangspunkt der Existenz. Der Boden wird einem weggerissen. Mit Worten wie „Wir müssen reden“. Oder „Sie wissen ja, wir müssen sparen, wie alle anderen Firmen auch…“. Oder „Haben Sie diesen Knoten an Ihrem Hals schon lange?“ Und dann ist nichts mehr gut. Vielleicht wird es das wieder. Ziemlich sicher wird es das wieder, denn es war schon oft nicht gut und wurde es wieder. Aber in dem einen Moment ist der Boden weg. Ohne Vorwarnung, ohne Schonung. Also lasst uns den Boden unter unseren Füssen heute einmal aktiv wahrnehmen. Den Boden und das, was er uns erlaubt, und die Stabilität, die er uns bietet. Ein Hoch auf den Boden, bestehe er nun aus Familie, Freunden, Arbeit, Haustieren. Ein Hoch auf den Boden unter unseren Füssen.

CHUCK NORRIS UND BRUCE LEE WAREN NÄMICHT GANZ GUTE FREUNDE

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DILEMMA 3. Juli 2014 Henrik Petro Der eng anliegende Saum meiner rechten Hosentasche drückte meine Haut wellig nach oben, als ich die Hand hinein schob. Mit den Fingerspitzen tastete ich die Tascheninnenseite ab und stiess dabei an den Rand einer Münze. Ich klemmte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und zog die Hand wieder raus. Das war der Fünflieber, den ich mir für genau diesen Zweck aufgespart hatte. Er war alles, was von dieser Nacht noch übrig geblieben war. Ich drückte im Menü des Automaten, bis ich den Nachtzuschlag fand. Das war gar nicht so einfach um diese Uhrzeit und in meinem Zustand. Genau deswegen wollte ich jetzt einfach nur nach Hause – und zwar bevor die Sonne aufgeht. «Grrrzzzztttgrrrzzzztttgrrrzzzzttt» machte der Automat und spuckte das Ticket aus. Mein Nachtbus stand da, ich musste nur noch einsteigen und er würde mich nach gefühlten 23 Stopps quasi vor meine Haustüre bringen. «Du, sorry», sagte einer hinter mir. Ich drehte mich um. «Ja?» fragte ich aus einem Reflex heraus, obwohl ich genau wusste, was jetzt kommen würde. «Ich habe ein Problem.» Wer hatte das schon nicht, alleine um diese Zeit? «Ich habe leider kein Geld mehr, um den Nachtzuschlag zu bezahlen.» «Das Billet hast du aber?» fragte ich, einer Eingebung folgend. «Ja, ich habe ein Retourticket gelöst», erwidert der absolut durchschnittlich aussehende Mann mittleren Alters. «Na dann warte doch einfach noch ein bisschen, bis der normale Fahrplan wieder einsetzt», so mein Ratschlag. «Dann brauchst du keinen Nachtzuschlag mehr.» «Das geht nicht, denn in einer Stunde ist mein Billet nicht mehr gültig. Und ohne Geld kann ich kein Neues lösen. Aber ohne Nachtzuschlag lässt mich der Chauffeur nicht einsteigen.» Ich blickte zum rauchenden Busfahrer. Er nickte mir zu, ich nickte zurück. Schönes Dilemma. «Ja tut mir leid, bin selber grad blank, da kann ich nix machen.» «Wie lange ist deins denn noch gültig?» fragte er mich. «Bis zum Abend.» Er überlegte kurz, dann: «Können wir

da nicht tauschen? Ich geb dir meins, denn du fährst jetzt eh nach Hause und ich nehme deines und befolge deinen Rat..?» «Sorry, geht nicht, ich habe mein Billet mit dem Handy gelöst, ich kann das nicht einfach so tauschen!» «So ein Zufall – ich auch! Dann lass uns einfach die Handys tauschen!» «Wie stellst du dir das vor?» fragte ich und meinte es durchaus ernst. Aber nur, weil ich nicht mehr so klar denke konnte – oder wollte. «Handys tauschen – das ist ja, wie wenn wir unsere Leben tauschen..!» Aus dem Funkeln in seinen Augen schloss ich, dass er diese Idee gar nicht so abwegig fand. «Ach komm, das war jetzt mehr so rhethorisch gesagt», versuchte ich aus dieser Situation rauszukommen. «Nein nein, das ist doch eine super Idee. Mein Leben geht mir gerade… Im Moment ist bei mir… naja, es müsste halt mal was passieren.» «Sei doch froh, mir passiert gerade zuviel», antwortete ich und wusste im selben Moment, dass ich genau das nicht hätte sagen sollen. Sein Strahlen wurde intensiver. «Na umso besser. Lass uns Handys tauschen – und damit unsere Leben! Nur für einen Tag!» «Ja Moment, da müsste ich also schon wissen…» «Wozu? Lass dich überraschen. Lies meine Whatsapp-Protokolle und entscheide, mit wem du reden möchtest. Wenn das Telefon klingelt und dir die Person

nicht sympathisch scheint – nimm nicht ab! Was spricht dagegen?» Nachdem er mir doch zuerst ein paar Fotos seines näheren und weiteren Umfelds zeigen musste, fing auch mir diese Idee an zu gefallen. Vor allem hatte ich am nächsten Tag nichts wirklich Wichtiges vor, weshalb ich es eine interessante Vorstellung fand, eine Weile lang ein Anderer zu sein. Das ist inzwischen vier Tage her. Und mein Fazit bis jetzt: Es ist eine ganz tolle Erfahrung. Nur – der Typ hat zum Teil schon einen sehr komischen Bekannten- und Freundeskreis. Da gibts ein paar ganz schräge Gestalten darunter! Anderseits hat er ganz nette Kinder. Und ausserdem hatte ich mit einer, auf die er schon sooo lange scharf ist, bereits beim ersten Date exquisit anregenden körperlichen Austausch. Junge, wenn der wüsste, was er verpasst hat! Was mir bisher am besten gefallen hat? Dass ich mal unter seinem Namen eine Kolumne schreiben und veröffentlichen konnte. Also, Du-weisst-schon-wer, wenn du das hier liest: hör auf, dir auf dein eigenes Handy anzurufen. Wenn dir mein Leben nicht passt, dann ändere es. Schliesslich war das Ganze ja deine Idee. Aber schau doch trotzdem ab und zu mal bei deiner alten Kolumne vorbei. So bleibst du, was mich betrifft, auf dem Laufenden…

DER FACEBOOK FLOHMARKT-KNIGGE 7. Juli 2014 Dominik Hug Facebook Flohmärkte sind schwer im Trend. Shari’s Cyber Flohmi, Flohmania und wie diese unzähligen Facebookgruppen heissen, machen Ricardo und eBay tatsächlich das Leben schwer. Doch wie geschäftet man in diesen Flohmärkten erfolgreich? Hier ein kleiner Leitfaden.

10. Juli 2014 Midi Gottet Und was man in diesen Kung-FuFilmli sieht, sind nämicht auch nur Friedenskämpfli. Und jeder, der etwas anderes behauptet, ist nämicht einfach ein Spielverderber. Und der Spielverderber

muss nämicht zur Strafe ins Goal. Und für den Goalie singen wir nämicht immer dieses Lied: Hopp Schwiiz Kanada De Goali treit es Pischama Pischama kaputt Goalie füdliblutt

Verkäufertipps 1. Sei in der Produktbeschreibung so unpräzis wie nur möglich. Je geheimnisvoller, desto interessanter. 2. Schreibfehler sind sympathisch, also pack so viele wie möglich in deine Produktbeschreibungen. 3. Hau überall noch einen dicken Batzen Porto auf den Kaufpreis. Von nichts kommt schliesslich auch nichts. 4. Verkaufe einfach wirklich jeden Scheiss. Auch Papiertaschen von Estée Lauder, die du gratis bei einem Kauf dazu bekommst, darfst du gerne für 17 Stutz verticken. Käufertipps 1. Versuche jeden Preis so weit wie möglich runterzudrücken. Eine Tasche für 200.- CHF in einen Flohmarkt zu stellen ist sowieso eine Frechheit. Offe-

riere 10.- CHF und schreib dazu noch in einer passenden PN, dass du die Tasche auch sofort abholen kommst. 2. Frage auf jeden Fall nach einem Anziehbild. Egal für was. Ob Schuhe oder iPhone, ein Anziehbild ist absolut relevant für jeden ordentlichen Kauf und die Verkäufer machen dies auch stets gerne mit. 2. Artikel gekauft? Gut. Mit der Bezahlung kannst du warten. Facebook Flohmarkt-User sind sehr geduldig. Also verspreche am besten eine Teilzahlung für den übernächsten Monat. 3. Artikel erhalten und unzufrieden?

Dann lass am besten in der Gruppe öffentlich deine Wut raus. Denn was man in einem Flohmarkt kauft muss ja auch wirklich neuwertig sein. Am besten den Verkäufer noch im öffentlichen Posting taggen und dann darüber herziehen was für ein elendes betrügerisches Schwein er doch ist. Und allgemein, wenn du im Leben sonst nichts zu tun hast, dann gründe deinen eigenen Flohmarkt. Dann kannst du deine narzisstische Ader so richtig ausleben, denn hey, jetzt bist du Admin deines eigenen Flohmis. Das ist schon was. Wow.


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August 2014

UND PLÖTZLICH STACH ICH MIR DIE AUGEN MIT EINER GABEL AUS: DIE UNERWARTET OFFENHERZIGE TOP5 DER BRUTALSTEN YOGA-PANTS-KÖNNENDIR-ECHT-DEN-TAG-VERSAUEN-PICS IM VERDAMMTEN WELTWEITEN NETZ

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BLOOD IN BLOOD OUT

14. Juli 2014 Dominik Hug Taylor Hackfords “Blood in Blood out” aus dem Jahr 1993 ist einer DER Filme meiner Teeniejahre. Inhalt: Nur der Starke überlebt. Gangs und Banden regieren, es herrscht das Gesetz der Straße. Diese Lektion haben die Freunde Miklo (Damian Chapa), Paco (Benjamin Bratt) und Cruz (Jesse Borrego), Mitglieder der “Vatos Locos”, früh gelernt. Mit Blut haben sie ihren Bund besiegelt. Aber das Leben weist jedem an seinen Platz Polizist, Dealer, Junkie. Doch so unterschiedlich ihre Karrieren verlaufen, so fortdauernd ist die Bande des Blutes… Vatos Locos forever! “Blood in Blood out” ist ganz grosses Kino, welches ohne die ganz grossen Namen Hollywoods funktioniert. Damian Chapa, Benjamin Bratt und Jesse Borrego heissen die drei charismatischen Hauptdarsteller dieser Geschichte, welche im Jahre 1972 ihren Anfang hat und welche von den genannten Herren absolut authentisch ans Publikum getragen wurde. Damian Chapa wirkt in der Rolle des “weissen” Mexikaners vielleicht stellenweise zu überdreht und hat den Fuss zu sehr auf dem Gaspedal. Trotzdem liegen die Sympathien in der ersten Hälfte des Films klar bei ihm. Chapa, dessen Rolle mit seiner richtigen Herkunft wohl mehr gemein hat als die meisten ahnen (er ist wirklich mexikanischer Herkunft), machte in Hollywood eine interessante Entwicklung durch. “Blood in Blood out” markierte seine erst zweite Rolle in Hollywood, und dann gleich eine dieser Grössenordnung. Seine Premiere feierte Chapa übrigens in einer kleineren Nebenrolle neben Steven Seagal im Actionhit “Alarmstufe: Rot”. Nach “Blood in Blood out” folgten für Chapa Auftritte in Filmen wie “Street Fighter” oder “Money Talks” und in Serien wie “Eine schrecklich nette Familie”. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Damian Chapa der erste Schauspieler sein wird, der in seinem eigenen Film (Regie, Drehbuch, Hauptrolle: Damian Chapa) Roman Polanski verkörpern wird (siehe Film “Polanski”).

21. Juli 2014 Midi Gottet. Ich habe genug gesehen um zu wissen, dass ich zuviel gesehen habe.

Benjamin Bratt als Paco Aguilar zu besetzen war eine sehr gute Wahl. Vom unsymphatischen Kotzbrocken von Filmanfang bis zum treuen Gesetzeshüter bei Filmende machte die Figur des Paco zwar einen interessanten Werdegang durch, der jedoch hinter der Figurenzeichnung des Miklo und Cruz zurücksteht. Bratt machte jedoch einen tollen Job und konnte sein gesamtes Schauspielspektrum in diesem Film zeigen. Unmittelbar nach “Blood in Blood out” war Bratt noch in “Demolition Man”, “Das Kartell” und “Miss Undercover” zu sehen. Schlagzeilen machte er auch als Lebensabschnittspartner von Julia Roberts. Momentan wurde es jedoch ein wenig ruhig um ihn. Jesse Borrego vervollständigt das Triumvirat der drei Vatos Locos in East Los Angeles. Seine Figur ist die, welche wohl psychisch und physisch am meisten leiden musste. Borrego meisterte diesen Kraftakt jedoch hervorragend und der Absturz seiner Figur, der körperliche Zerfall und ebenso die “Wiederauferstehung” von Cruz wurde von Borrego äusserst beeindruckend dargestellt. Aber auch die Nebendarsteller wurden hervorragend gecasted. Billy Bob Thornton in einer kleinen Nebenrolle als schmieriger Nazi passte perfekt. Delroy Lindo, der in den Neunzigern sowieso eine Menge guter Nebenrolle inne hatte, überzeugte als Anführer der schwarzen Gefangenen San Quentins. Enrique Castillo spielte den Anführer und zugleich die Vaterfigur der Chicanos im Knast ebenso hervorragend. Victor Rivers, der mir ansonsten total unbekannt ist, konnte in seiner Rolle als Magic Mike genauso überzeugen wie die anderen “La Honda”-Darsteller, unter denen sich auch “Machete” Danny Trejo befindet. Ving Rhames war ebenfalls anwesend, jedoch in einer Rolle, die ihm keine Chance gab zu brillieren. Raymond Cruz, der wie Damian Chapa in “Under Siege” eine Nebenrolle besetzte, gab ebenso eine gute Performance ab. Ich könnte hier noch lange so weiter machen. Der Cast von “Blood in Blood out” ist jedoch schier unendlich. Wohl einer der am besten besetzten Hollywoodstreifen. In welches Genre dieser Film fällt ist schwer zu definieren. Knastdrama, Einwandererepos, Actionthriller, “Blood in Blood out” schneidet alle diese Kategorien an und lässt sich nirgends einordnen. Der Film hat seinen familiären Momente, seine freundschaftlichen und stellenweise lässt sich auch eine Prise Humor nicht verbergen. Regisseur Taylor Hackford inszenierte seinen Film absolut routiniert, gibt East Los Angeles ein interessantes und lebendiges Gesicht und war sich auch nicht zu schade in San Quentin Szenen mit grösstenteils echten Gefangenen zu drehen. Beeindruckend. Fazit: “Blood in Blood out” ist einer der Filme, die man einfach gesehen haben muss. 180 Minuten sind natürlich eine beachtliche Laufzeit, aber jede Minute ist es wert gesehen zu werden.


Hier kรถnnte Ihr Auto stehen.


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August 2014

WENN ES DIR AUF DIESER WELT NICHT PASST…: SECHS LUFTIG-LEICHTE SOMMERGEDANKEN

29. Juli 2014 Christian Platz I) Es gibt ja jene physikalische Formel für Arbeit: Wenn auf einen Körper – er befindet sich in unserem schönen Fall auf der geraden Strecke von Punkt A nach Punkt B – eine konstante Kraft wirkt, dann, wir wissen es alle, wird an diesem Körper Arbeit verrichtet. Allein, diese Formel nützt mir nichts. Ich bräuchte zunächst eine andere physikalische Formel. – Jene für Überwindung. II) Suche deine Wunder nicht im Bereich des Ausserordentlichen. Begreife, dass auf dieser Erde alles ein Wunder ist. Geniesse das Wunder deiner blossen Existenz. Geniesse es in deinem Alltag. In jeder Pflanze, die dem Himmel entgegen strebt. In jeder Biene, die eine Blume umschwirrt… Den kennen Sie? Oder etwa nicht? In der einen oder anderen Form ganz sicher. Um jedoch das Wunder der blossen Existenz geniessen zu können, müsste ich zunächst mal die Nichtexistenz kennen. Und sie mit der Existenz vergleichen können. Doch diese Perspektive ist keinem Menschen zugänglich. Weder mir. Noch Ihnen. Und möglicherweise wäre die Nicht­ existenz halt doch um einiges geiler… Zudem weigere mich, mit Verlaub, Mückenstiche, Eiterbeulen und Nichtraucher-Bars als Wunder zu betrachten. Ganz im Gegenteil. Ich scheiss’ drauf! Wenn schon, dann will ich ein grossmächtiges Wunder, das mich in ewige Verzückung und Ekstase versetzt! III) Da kommt mir doch sogleich jenes andere Klischee in den Sinn: Du musst deinen Eltern dankbar sein. Dafür dass sie dich auf diese Welt gebracht haben… Soso. Dankbar für Steuern, für har-

te, erzwungene, undankbare Arbeit, für Manien und Depressionen, für Kopfweh, ungeliebte Pflichten und Orgasmusstörungen; dafür, dass ich permanent den Mächten der Fatalität ausgeliefert bin. Das wäre für mich doch alles nicht da, wenn ich nicht hier sein müsste. Die Eltern mögen einen Kinderwunsch verspürt haben. Aber habe ich wirklich einen Existenzwunsch gehabt? Wenn wir diesbezüglich schon eine Maxime aufstellen müssen, dann würde ich eine weitaus edlere Vorschlagen: Verzeihe deinen Eltern dafür, dass sie dich ungefragt in diese gefährliche Welt hinein geschleudert, in diese schmerzhafte Schwere, und dir das Erbe der Menschheit um den Hals gehängt haben. Das wäre doch mal was! Letztlich versuche ich ja sogar, Gott dafür zu verzeihen, dass er diesen Sauladen hier aufgebaut hat. Aber es fällt mir schwer. Bevor er mir nicht wenigstens ein kleines Zeichen seines schlechten Gewissens sendet. Bösartigen Narzissten mag ich nämlich nicht verzeihen. IV) Und schon kommt es noch besser, spätestens dann, wenn jemand sagt: “Wenn es dir auf dieser Welt nicht passt, kannst du ja abhauen, mach doch einfach Selbstmord.” Ja hat es euch ins Gehirn geregnet? Selbstmord tut weh. Auch mir. Obwohl ich mit der Schöpfung nicht zufrieden, geschweige denn einverstanden bin. Genausogut könnte ich einfache alle Leute umbringen, die mich nerven. Beispielsweise, indem sie solche Sprüche klopfen. Aber das ist mir zu anstrengend. Vor allem das Putzen danach. Aussen und innen… V) Das Leben, ja das Leben ist eine Reise, flöten die Philosophenden unseres zeitgenössischen Alltags… Sicher

ist es das. Aber ganz bestimmt keine Ferienreise. Das Geheimnis an den Ferien ist doch, dass wir uns von einem vertrauten Ort an einen unbekannten Ort begeben. Und dann wieder gerne nachhause kommen. Zu unserem Herd, zu unserem gemütlichen alten Sesselfurzer/-InnenSessel. Oder gehen Sie vom Nichts aus ins Nichts in die Ferien? Ohne irgendwo daheim zu sein? Na dann ist ja gut. Gratuliere. Im Übrigen ist das Endziel meiner Lebensreise wahrscheinlich gerade mal zwölf Busstationen von meiner Wohnung entfernt. Handelt es sich doch um den grossen Friedhof am Stadtrand. Einen grauen bedrückenden Ort, ich meide ihn in der Regel. In die Ferien fliege ich hingegen gern. Mindestens 10’000 Kilometer weit. Am liebsten nach Louisiana… VI) Man müsse Mass halten, höre ich immer. Dies fördere die Gesundheit und ein langes Leben. Sorry. Ich will aber lieber Spass haben. Nachhaltig. Ein Schwenker voll Whisky macht mir deutlich weniger Spass als eine halbe Flasche. Ich will auch nicht nur einmal Sex haben. Ich will noch einmal. Und noch einmal. Und wenn es dann nicht mehr geht, greife ich zur spanischen Fliege. Und wenn es dann nicht mehr geht, ziehe ich mir einige weisse Blitze in mein Hirn hoch. Direkt durch meinen Riecher. Und wenn es dann nicht mehr geht, werfe ich eine blaue Pille ein. Und wenn mich der Whisky nicht umbringt, werden es die Frauen tun. Oder halt die Zigaretten… Dann werde ich dankbar sein! Dann werde ich in Frieden ruhen! Gute Nacht.

Leserbrief Hey Rainer Ein ganz dickes Lob an die alle Kultausgaben dieses Jahres. Bin wohl nicht der Erste, der behauptet, dass es die einzig lesbare, nicht zugemüllte Zeitschrift unserer wunderbaren, aber in vielen Hinsichten doch nicht ganz so wunderbaren Stadt ist. Mit euren Artikeln sprecht ihr mir (vor allem Jelena) direkt aus dem Herzen. Danke dafür! Grüsse Arsenije Pantelic

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REKLAME, DIE WIR GERNE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: FIAT PANDA.

8. Juli 2014 Reinhold Weber Wie üblich wurde auch diese Kampagne schon damals Anfang der Achtziger pre-getestet. Sie war nämlich verdammt frech getextet, ungeleckt fotografiert und bewusst rudimentär gestaltet. Man fragte also ein paar Handvoll Leute vorab, was sie dazu so meinen. 75 Prozent der Befragten fanden die Kampagne a) ziemlich scheisse, b) scheisse, c) sehr scheisse oder d) weiss nicht. Es war ein Desaster. Der Werbeleiter von Fiat Deutschland hat die Kampagne dann trotzdem

– oder gerade deswegen – gemacht. Was polarisiert, gibt zu reden. Ein mutiger, gescheiter Mann. Denn die Kampagne für “die tolle Kiste” wurde zur Legende und etliche Male auszgezeichnet. Kurz: sie war Kult. Veröffentlicht worden sind mehrere Dutzend Anzeigen, über die man heute noch so schmunzeln kann wie zu Zeiten, als die Reklame noch für Millionen von SPIEGEL-, STERN- oder BUNTE-Leser gemacht worden ist und nicht für ein paar Tausend Gefällt-mir-Drücker im Internetz.

NATIONALFEIERTAG

1. August 2014 Rainer Kuhn Heute ist also Nationalfeiertag. Der 1. August. Das Gründungsdatum der Eidgenossenschaft. Der Geburtstag unseres Landes. Wir feiern den Geburtstag der Schweiz. Feiern ist immer auch eine Art “Danke” zu sagen. Danke ans Leben, an die Umgebung, an die Möglichkeiten, die man hat, wenn man irgendwo lebt. Wir leben in der Schweiz. Und sagen drum Danke an das Leben in unserem Land. Ein paar lustige Berufsrevoluzzer kamen auf die Idee, den ersten August abzuschaffen. Kann man machen. Man kann auch am 31. Juli feiern. Oder am 2. August. Historisch ist das eh nicht so genau überliefert. Historisch sind auch ein paar andere Sachen nicht so genau überliefert. Historisch wird historisches

an einem Nationalfeiertag in der Regel meistens eh bloss verklärt zurechtgebogen. Wir können Höhenfeuer anzünden, Gemeindepräsidenten-Reden anhören, ein paar Raketen in die Luft jagen, wir können auch einfach mit ein paar Freunden im Garten sitzen und eins rauchen, was essen, es geht nicht um Vaterland und Muttersprache, um Einheimische oder Auswärtige, es geht darum “Danke” zu sagen, für die Möglichkeiten, die man hier hat. Jetzt hat. Feiern ist immer auch eine Art “Danke” zu sagen. Die beste eigentlich. Drum schafft ab, was ihr abschaffen wollt, das Leben in unserem Land feiern können wir jederzeit. Können wir Woche für Woche. Auch Tag für Tag. Sogar am 1. August.


philantroFiggdi

Rolltreppen Theorie Links gehen

Rechts stehen

Trottoirs immer

Realität HAHAHA! WHATEVER!

Mama

Papa

Kind

3km/h Sc hu lig

Ich

un g.

S c h u li g

u n g!

CHO E N T SN ! D IG U G

L-

7km/h

Im Zug Wochentags

Supermarkt (17:30 Uhr)

Sonntag Abend

Moment! i! Ich ha no es 5erl

Kasse

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LOL! «Work»

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