Kult September 2014

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kult Die besten Blogs aus kult.ch. September 2014.

kult ist die erste Blog-to-Print-Zeitung der Schweiz: Unzensierte Kommentare zum täglichen Leben und dem, was sich in den Medien so abspielt.

Ein Bitz Respekt, bitte! 8. September 2014 Alex Flach Übers Nachtleben zu lästern ist schick geworden. Das gilt nicht nur für nachtruhegestörte Anwohner oder ältere Mitmenschen, die mit den lärmenden Jugendlichen in Trams und Bussen nicht klarkommen, sondern auch für Leute, die gelegentlich (oder gar öfter) selbst ausgehen. Nachtleben und elektronische Musik hätten nichts mit Kultur zu tun, die Clubs seien um Lichtjahre von dem Niveau entfernt, das sie früher hatten, es werde überall dasselbe geboten, das Publikum in den Clubs (zu dem sie nicht selten selbst zählen) habe bezüglich Niveau stark abgenommen, etcetera, etcetera. Dazu würden die hohen Preise kommen die für Getränke und Eintritte gelöhnt werden müssen. Ein Vorwurf der die Tatsache ignoriert, dass das Volk nach immer berühmteren und damit teureren DJs schreit und die Clubs, die sich dem Emporschrauben in dieser Spirale verweigern, stehen der Konkurrenz bald nur noch mit Käpslipistolen gegenüber. Kurzum: Das Nachtleben in seinem Ist-Zustand könne man getrost abschaffen, denn keiner würde es vermissen. … Deppen … Aktuell drehen mehr als 600 Nachtcafés am Rad der Zürcher Nächte, ca. dreimal so viele wie in Bern und Basel zusammen. Auch ich frage mich, welches die ca. 400 Lokale mit Nachtbe-

Photo: Mirza Cosic Cosa willigung zum Kuckuck wohl sind, die ich nicht auf dem Schirm habe (wie gross da der Anteil an Rotlichtbeizen wohl ist?). Und klar: Viele dieser Lä-

den „braucht“ es nicht wirklich. Und trotzdem beleben auch sie diese Stadt. Es gab mal eine Zeit, es ist noch gar nicht allzu lange her (Bis Anfang der

90er), da war die Challenge am Samstagmorgen um 3 Uhr einen guten Club mit genügend Betrieb zu entdecken ca. gleich anspruchsvoll, wie heute jene an einem handelsüblichen Sonntagnachmittag um 3 ein akzeptables Speiserestaurant zu finden, das nicht Volkshaus heisst. Heute hat man die Qual der Wahl und nichts anderes ist einer Stadt, die sich selbst Weltstadt schimpft, angemessen. Das Nachtleben in dieser Stadt hat dazu beigetragen, dass die Schweiz im Ausland nicht mehr nur als Nation der Heidis und Geissenpeter oder als komprimierter Sammeltopf für Banker, die steuermüden US-Bürgern helfen ihr sauer verdientes Geld auf exotische Inseln zu transferieren, wahrgenommen wird. Das Nachtleben sorgt dafür, dass es hier nach 11 Uhr nachts nicht aussieht, als ob sprechende Affen im Albiswald gerade die Übernahme des Planeten von der, durch einen Virus stark dezimierten, Menschheit vorbereiten würden. Wer sich das Nachtleben zum Teufel wünscht, braucht sich bloss mal vorzustellen, wie es hier aussehen würde, wenn es in seiner Gesamtheit tatsächlich zum Teufel gehen würde. Zwingli hätte es wohl gefallen, aber immerhin leben wir nicht 1531 sondern 2014 und die Zeiten, als uns die Kirche den Spass verbieten konnte, sind gottseidank (scusi Alter; nichts Persönliches) vorbei.

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Nachhaltigkeit für Freaks Zu Thema „Nach­ haltigkeit“ gibt es etwa 256 Definitio­ nen und mindestens soviele Beispiele, was es denn bedeutet. So im Stil von: Wenn ich nachhaltig han­ deln will, dann muss ich A und B und C und auch D undsowei­ terundsofort. Das ist ein ziemlicher Stress manchmal, nach der Arbeit müde nach Hause kommen und denken, Shit, muss ich jetzt wirklich auch noch A? Kann ichs nicht einfach mal ... dafür verpeste ich nicht die Luft, so wie die Chinesen. Jetzt heisst diese Lektion „Nachhaltigkeit für Freaks“. Das heisst, es muss einen einfa­ cheren Weg geben, um nachhaltig zu sein, einen, bei dem man nichts auswendig ler­ nen muss. Was muss also ich machen, wenn ich nachhaltig handeln will? Ganz einfach: Ich muss das Leben gerne ha­ ben. Damit meine ich das ganze System, die Menschen, die Erde, Pflanzen, Tiere, Kreislauf, einfach alles um mich herum, überall wo ich bin, und das die ganze Zeit. Denn wenn ich etwas gern habe, dann will ich es beschützen. Sorge tragen. Nicht kaputt machen. Nur, kann man die Menschen überhaupt gerne haben, wenn man sieht, was für einen Scheiss sie dau­ ernd anrichten auf der Welt? Wie kann man die Augen verschliessen vor dem, was täglich passiert? Muss man nicht. Man muss nur den Fernseher ausschalten, die Zeitungen abbestellen, die Newsportale nicht anklicken. Wenn man keine Medien konsumiert, dann wirds extrem einfach. Denn Nachhaltigkeit ist nichts anderes, als Freude am Leben zu haben, und zwar so richtig. Und wenn ihr das macht, dann wird’s immer Leute geben, die Euch für Freaks halten, für „nicht ganz normal“. Aber das kann Euch egal sein. Denn die Welt wurde noch nie von den Normalen gerettet. Herzlich, Rainer Kuhn

seit 1997 Erscheinungsweise: Monatlich (12 x pro Jahr) Auflage: 20‘000 Exemplare Verbreitungsgebiet: Stadt Zürich Herausgeber: Kult GmbH, 8006 Zürich

28. August 2014 Reinhold Weber. Seit langem mal wieder eine Kampagne an den Plakatwänden, die uns nicht auf Hirnlappen, Netzhäute und Sack geht. Ist ja auch beinahe schon Kunst. Und wer hät’s erfunde, hä? Leider falsch. Eine Agence in Paris war’s. Merci, les copains!

21. August 2014 Alex Flach Riptide hat man für den deutschen Markt in “Trio mit vier Fäusten” umbenannt. Wahrscheinlich weil “ins Meer zurückfliessendes Wasser”, die wortwörtliche Übersetzung für Riptide, nicht ganz so lässig klingt. Aber eigentlich war das der Name der Yacht, auf der Cody Allen,

Nick Ryder und Dr. Murray “Boz” Bozinsky lebten. Von Riptide wurden 3 Staffeln und 56 Folgen (1983 bis 1986) gedreht. …und wenn Sie sich jetzt fragen, was Trio mit vier Fäusten alias Riptide mit diesen drei Partylöwen hier zu tun hat, dann sollten Sie sich vielleicht mal eine Folge angucken.

Chefredaktion: Rainer Kuhn Autoren: Reinhold Weber, Midi Gottet, Alex Flach, Henrik Petro, Angela Kuhn, Dominik Patrick Hug, Vanessa Kunz, Christian Platz, Kaspar Isler, Yonni Meyer, Zukkihund, Joy Tieg, Pete Stiefel, Michèle Binswanger. Gestaltung: Fredy Heritsch Kontakt: rainer.kuhn@kult.ch http://www.facebook.com/kult.ch Kultzeitung, kult.ch, kultradio.ch sind Unternehmungen der kult gmbh. www.kult.ch/gmbh

Wir freuen uns über jeden Anhänger: www.facebook.com/zuerilinie


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September 2014

SOZIOBIOLOGIE

20. August 2014 Henrik Petro . Ein Typ fragt 200 Frauen am hellichten Tag, ob sie mit ihm schlafen wollen. Viele sind überfordert, die meisten lehnen ab, immerhin eine sagt «ja». Das sogenannte «soziale Experiment» findet sich auf Youtube: Als Gegenexperiment fragt eine attraktive junge Frau 12 Typen, ob sie Sex mit ihr haben wollen. 6 sagen «ja». Auch das Video gibt es auf Youtube: Keine Überraschung sind die Kommentare unter den Videos. Vor allem Frauen verstehen nicht, was mit den Männern los ist und sind entsetzt bis schockiert. Sind Männer alles Schweine? Jein. Bei diesem Experiment mit einer zufällig ausgewählten, nicht signifikanten Stichprobe kommen wir also bei den Frauen auf eine Quote von 0,5 Prozent, bei den Männern auf 50 Prozent. Männer sind also 100 Mal einfacher zu haben. Stimmt wahrscheinlich. Aber das macht auch Sinn. Erklären lässt sich das mit der Soziobiologie, die – ich gebe es zu – an der Uni meine Lieblingsdisziplin war. Die Soziobiologie erforscht die biologischen Grundlagen jeglicher Formen des Sozialverhaltens bei allen Arten von sozialen Organismen einschliesslich des Menschen. Oder anders gesagt: sie sucht nach biologischen Gründen für das Verhalten von Tieren und Menschen. Dazu gehört auch, warum man sich selber in Gefahr begibt, um jemand anderem das Leben zu retten oder warum man (und frau) fremdgeht. Wie also dieser frappante Unterschied zustande kommt, ist einfach zu erklären. Oberstes Ziel einer Spezies ist die Arterhaltung. Das bedingt, dass man für Nackommen sorgt – und genau dafür ist Sex nunmal da. Dabei ist es von Vorteil, wenn möglichst gute Gene gemischt werden, um die Überlebens-Chancen der Nachkommenschaft zu erhöhen. Oder wenn mit möglichst vielen Sexualpartnern die Gene gemischt werden – das erhöht rein statistisch gesehen die Chance auf eine gute Genkombination. Der grosse Unterschied ist: ein Mann kann sich, sobald er seinen Samen gestreut hat, unverzüglich vom Acker machen und die nächste schwängern. Frauen hingegen müssen sich, wenn sie Pech haben (oder je nach Mann auch Glück) die nächsten zwei Jahrzehnte alleine um den Balg kümmern. Oder anders gesagt: ihre Anzahl Schwangerschaften ist biologisch sehr limitiert (ausser sie heissen Wollny oder Walton oder sonstwas mit «W»). Wobei es durchaus soziobiologischen Sinn macht, wenn der Mann bleibt und bei der Brutpflege und beim Beschützen hilft. Das erhöht nämlich die Chancen, dass sein Balg überlebt und seine Gene weiter vererbt.

Zusammengefasst heisst das: für Männer ist es ökonomischer und einfacher, ihre Gene möglichst breit und oft zu streuen in der Hoffnung, dass die eine oder andere genetisch eine Superkombi ist. Für Frauen wiederum ist es ökonomischer und einfacher, wenn sie sich ihren Genspender besonders sorgfältig aussuchen und ihn an sich binden, damit sie während der anspruchsvollen Brutpflege und Aufzucht bestmöglich unterstützt werden. Damit auch ihnen die Möglichkeit zur unterschiedlichen Kombi nicht gänzlich genommen wird, wurde das Kuckuckskind erfunden. Dies bedingt allerdings, dass sie einen lieben Kerl an sich gebunden hat, der den fremden Balg unwissentlich aufzieht, als wär es sein eigener. Die Natur hat nämlich an alles gedacht. Und was ist jetzt die Moral von der Geschicht? Jungs, nehmt es nicht persönlich, wenn ihr zum 199. Mal einen Korb bekommt. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit euch als Mensch zu tun, egal wie nett und lustig Ihr seid; die Frauen können einfach nicht anders. Bei der Nächsten klappts bestimmt – oder mit genug Beharrlichkeit bei derselben! Also hört auf euch fertig zu machem, wenn ihr die grossartigsten Bräute mit den grössten Luschen zusammen seht. Die Richtige kommt schon noch! Und noch was: wenn euer Selbstwertgefühl bröckelt, weil Ihr Freunde habt, die ständig irgendwelche Sexgeschichten haben, dann denkt daran: sie investieren dafür viel harte, zeit- und nervenaufreibende Akquisitionsarbeit! Wenn Ihr nicht so faul und selbstverliebt wärt, könntet Ihr das auch! Und Mädels: wenn euer Typ einer anderen nachschaut, so tut er dies nicht, weil ihr zuwenig attraktiv seid oder er euch zuwenig liebt. Sondern einfach weil er nicht so geschickt darin ist wie ihr, es unentdeckt zu tun. Und nur weil die Natur diesen Impuls eingebaut hat, heisst das nicht, dass er auch gleich mit der Nächstbesten ihrwisstschonwas. Denn: bei 200 würde er eh von 199 einen Korb bekommen. Und sagt Ihr ihm nicht dauernd, wie grossartig er ist? Eben. Schon drei Zurückweisungen hintereinander würde sein (durch euch aufgeblasenes) Ego nicht verkraften, never ever, darum lässt er es zu 99,5 Prozent bleiben. Ausser er ist ein Neanderthaler. Aber Ihr habt ihn ja bestimmt erwählt, weil er witzig, intelligent, sensibel, fürsorglich usw. ist, und nicht, weil er ein getriebener Testosteronbomber ist, der sich nimmt, was er will… äh, oder doch? Tja, man kann eben nicht den Foifer und s’Weggli, die Tochter des Bäckers und das Retourgeld haben. Aber ich bin sicher, Ihr kommt darüber hinweg. Nachdem Ihr 199 Mal euer Ego habt streicheln lassen.

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DAS VERLORENE WORTGEFÜHL

10. Juni 2014 Yonni Meyer Ich liebe Worte – geschriebene, gesagte, geflüsterte, sogar geträumte. Beispielsweise das Wort „mutterseelenallein“, eine eiserne, leere Einsamkeit beschreibend. Stammen tut‘s von „moi tout seul“, was es noch viel lieblicher macht. Nichts ist schöner, als wenn jemand mit diesem simplen Mittel umzugehen weiss und Emotionen wecken und Dinge zum Ausdruck bringen kann, die bei anderen diesen „GANZ GENAU“-Effekt auslösen. Umso schmerzhafter wirkt im Vergleich der heutige Sprachgebrauch. Mein Feind: dieses verdammte „lg“. Nicht einmal das G kann man noch gross schreiben, weil man dann bigoscht noch den kleinen Finger auf die Shift-Taste halten müsste. Für die verfluchte Smiley-Volkskrankheit hat man dann aber doch noch Zeit. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn man bei jedem Satz mittels eines debilen Mondgesichts klarstellen muss, mit welcher Emotion er verbunden ist? Wenn mir jemand schreibt, dass sein Hund gerade gestorben ist, bin ich doch noch knapp dazu in der Lage, zu verstehen,

dass jetzt nicht der Moment für Bilder von Katzen mit Hüten ist. Dasselbe gilt für Witze: Wieso mache ich eine ironische Bemerkung, wenn ich meinem Gegenüber nicht zutraue, sie als solche zu deuten und deshalb gelb-lachend signalisieren muss, dass „es imfall en Scherz gsi isch“? Wenn’s dann wenigstens bei einem einzelnen Smiley bleiben würde – mittlerweile bekommt man Nachrichten, die mehr Emoticons (ich weiss noch immer nicht, wie man dieses Wort korrekt ausspricht) als Text enthalten. „Hallo *winkendeHand* *Lachsmiley*. Gehen wir heute *Sektglas*? *Lachsmiley* Ich komme mit dem *Fahrrad* *Lachsmiley* Treffen wir uns am *kleinerZugsollwohlBahnhofheissen*? *Lachsmiley* Was ziehst du an *Schuh* *Schuh* *Kleid* *Hut*? Sabine kann leider nicht kommen *Weinsmiley*, sie muss *kreischendesKleinkind*-Sitten. *NocheinWeinsmiley* Aber ich freue mich trotzdem sehr *KonfettiFasnachtsschlange* *Partyhut* *SmileySmileySmiley*“ Lg (FIIIIGG DIIIIII) *Zwinkersmiley*

Der absolute Gipfel an Wortverkrüppelung ist in meinen Augen jedoch folgendes: Wird das Ableben irgendeines Verwandten, Bekannten, Haustiers oder A- bis und mit Q-Promis auf Facebook kundgetan, tauchen innert Sekundenfrist diese idiotischen „Rest in Peace“, „R.I.P.“ und schlimmstenfalls „rip“ auf. Schreibt doch bitte lieber gar nichts, als das Andenken der/ des Verstorbenen mit der schluddrig dahergeschriebenen Abkürzung eines englischen/lateinischen Ausdrucks zu beleidigen. Schreibt eine Nachricht, ein Kärtchen, zündet ein Kerzchen an. Wie auch immer. Aber „rip“? Ich weiss nicht… Naja. Nicht jeder ist ein pingeliger Wortfetischist (damit meine ich mich) – Computerfreaks würden wohl ihren Kopf gegen die Wand schlagen, wenn sie mich mit dem PC umgehen sähen („Aso KONROOOOL, DELEEEEETE… Ah nei!!! Jetz ischs weg! Wiso isches weg? Chum zrugg, Textli!! Ischs jetzt im Datenirwana?! Hallo? Halloooooo?“). Vielleicht sollte ich’s einfach mal chillen. Deshalb von ganzem Herzen: YOLO! cu u. mfg, p. (lol) ;)))))

«DAS NEUSTE» AUF SI-ONLINE 19. August 2014 Midi Gottet DJ Antoine hat sich von seiner Freundin getrennt. Das sogenannte LiebesAus (Man muss diesen Begriff einfach lieben) trat ein. Es sind natürlich alle Beteiligten trotzdem glücklich mit der Situation und wünschen dem anderen Beteiligten alles Gute und so weiter. Und jetzt kommts: Die beiden Hübschen sind schon seit Dezember 2013 getrennt! Und jetzt kommts nochmals: Die SIOnline bringt die Story unter der Rubrik “Das Neuste” – ganze 9 Monate nach dem Break up. Himmel aber auch, liebe SI-Online Redaktion, eure verdeckten Ermittler in der Schweizer Clubszene sind aber echte Trantüten und könnten etwas Crystal Meth auf der Hirnhaut gut vertragen. Ich meine, Hallo! Frauen kriegen schneller Kinder als ihr mit den News über den Konrad rausrückt. Oder ist das eine Art Schonzeit, wie bei der Jagd? Fragt doch beim nächsten Mal einfach unseren Alex Flach. Der weiss meistens schon 9 Monate im Voraus, wer in

der Szene wo und wegen wessen Blasenentzündung verlassen wird.

So, und jetzt weitermachen. Verdammt noch eins, 9 Monate. Tssss….!


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September 2014

SELFIE ALTMODISCHER ART

28. März 2014 Midi Gottet Selfies machen ist ja gut und recht. Machen jetzt ja alle. Und immer wenn etwas alle machen, dann machen es die Adeligen auch, nur um zu zeigen, schaut alle her, wir sind ganz normale Leute, wie du und ich. Tja, danke Mette-Marit und Haakon für diesen Einblick in eure

Normalität. Ach ja – und wenn jetzt noch irgendein Franz von Assisi dort draussen es übers Herz bringen könnte, diesen monarchischen Inzucht-IQ-Bestien die Umkehrfunktion ihrer Smart-Phone-Camera zu erklären, wäre die Welt wieder ein etwas weniger peinlicher Ort. Danke.

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WAS SICH IN NUR 30 JAHREN ALLES VERÄNDERN KANN. UND WAS NICHT. 28. August 2014 Rainer Kuhn 1985 machte ich ein Praktikumsjahr bei WANG Computer (Schweiz) AG. „Sales Administration“ für den Aussendienst. Die Verkäufer. Sie haben Computer verkauft. Grosse Computer, viele Arbeitsplätze. Man kämpfte gegen IBM und NCR und andere Firmen, die Computer verkauften. Die Verkäufert waren die Stars in der Firma. Sie haben Aufträge geschrieben und uns nach hinten gegeben. Wir haben sie dann verarbeitet. Das heisst, die handgeschriebenen Namen und Zahlen in einen Computer eingegeben. In eine vorgegebene Maske auf dem Bildschirm. Der Bildschirm war schwarz. Immer. Auch wenn er an an. Dann sah man die Maske und das, was man eingegeben hat in Grün. Grüne Schrift und grüne Kästchen auf schwarzem Hintergrund, was man aber erst sah, wenn man an der CPU den ON Knopf gedrückt hat und die Zeit während dem Aufstarten der CPU erst mal mit Sachen wie Kaffee trinken, Zeitung lesen oder dem portablen Radio auf dem Schreibtisch verbracht hat. Und es hatte einem Schlitz in der CPU, in den man die Floppy-Disc reinscheiben und das grüne Zeugs darauf abspeichern konnte. Das Telefon auf dem Schreibtisch war die neuste Generation, hatte ein Kabel und eine Repetiertaste, was praktisch war, rief man doch immer wieder dieselben Nummern an, nämlich die von den Verkäufern. Weil man ihre Schrift nicht Lesen konnte. Oder weil man ihnen mitteilen musste, dass der Grossauftrag über 250 CPU’s und ebenso vielen Röhrenbildschirmen verspätet ausgeliefert wird, weil nicht genügend Stückzahlen an Lager sind, weil sein Kollege gestern gerade 300 Stück wegbuchte, obwohl sein Auftrag nicht so dringend war, aber er wollte

Eindruck schinden beim Kunden. Also Repetiertaste. Weil man dann immer erst dem einen, dann dem anderen, dann wieder dem ersten, der, der jetzt nicht liefern kann, und wieder zurück zu dem, der nicht liefern muss, es aber trotzdem macht. Ich war 24, war gerade erst drei Jahre Tennislehrer und ging ein Jahr später studieren. Ausser dem Computer mit der grünen Schrift auf dem schwarzen Bildschirm an meinem Arbeitsplatz und dem Telefon mit Repitiertaste hatte ich nicht so Technik im Alltag. Wenn ich unterwegs war, war ich unterwegs. Da konnte mich niemand anrufen, das heisst, er konnte mich schon anrufen, aber ich war ja nicht zuhause, ich war ja unterwegs, habs drum nicht gehört. Und ich hab auch niemanden angerufen. Wozu auch. Und wie auch. Ich war ja, wie gesagt, unterwegs. Vier Jahre zuvor beendete ich meine kaufmännische Lehre bei der SKA, der Schweizerischen Kreditanstalt. Dort hatten wir die neusten IBM-Kugelkopf-Schreibmaschinen. Mit Korrekturtaste. Was aber bei Durchschlagspapier auf mehrere Kopien des eingespannten Formulars nicht funktionierte. Auf den hinteren

Seiten musste ich mit Tipp-Ex ausbessern. In der Korrespondenz-Abteilung hatten sie einen Telex. Darauf kamen jeden Morgen die aktuellsten Börsenkurse rein, die der Erstjahrstift dann ins Schaufenster hängen musste. Am anderen Morgen kamen dort dann die neuen Kurse rein. Nach den paar Jahren als Tennislehrer wollte ich was anderes machen und dachte, es wäre eine gute Idee, irgendwas mit EDV zu machen, bevor ich studieren gehe, Elektronische Datenverarbeitung, man sagte, das werde im Geschäftsleben immer mehr kommen. Und ausser dem Taschenrechner auf dem Schreibtisch meines Vaters und dem Spiel, welches man am Fernseher anschloss und man dann mit zwei weissen Balken einen weissen Punkt Hin und Her spielen konnte, gabs in meinem Leben nicht viel Technik. Der Taschnrechner meines Vaters konnte + und – und x und ./. und wenn man die Ziffern 7353 drückte und dann den Taschenrechner auf den Kopf stellte, stand auf der grünen Anzeige das Wort ESEL. Ich hatte in meinem Zimmer einen DUAL Plattenspieler mit einem Grundig-Verstärker und zwei Boxen. Und ein kleines Kassettengerät zum Musik mitnehmen oder als Sprachlabor. Die elektronische Welt hat sich in nur 30 Jahren in Quantensprüngen verändert. Wir erinnern uns: 1985 war die Schrift auf den Computern grün und der Hintergrund schwarz, man hatte ein Telefon im Geschäft und eins zuhause. Das wars. Und heute? Schicken wir mit einem kleinen Gerät in der Hand Bildchen um den Globus, streamen Musik in Clouds und steuern Schlafzimmerbeleuchtungen über einen ipad. 1985 hatte ich mein Auto mit Benzin getankt. Das war auch vor 30 Jahren. Und heute?

THE GASLIGHT ANTHEM: GET HURT 19. August 2014 Dominik Hug Du bist Musiker, Leadsänger einer Band und deine Frau trennt sich von dir. Was machst du? a) Du bist Chris Martin, nimmst einige Songs auf mit den weinerlichsten Texten ever und missbrauchst deine Band und deine Fans mit dieser unmelodiösen Scheisse. b) Du nimmst deinen Schmerz, packst deine Klampfe, deine Kumpels, die ebenso deine Bandmember sind und lässt musikalisch die Sau raus – dann bist du nicht Chris Martin, sondern Brian Fallon. Brian Fallon leidet. Der 34jährige wandelt nun auf Solopfaden (zumindest privat) und hat es trotzdem vermieden sich wie Pete Doherty komplett abzuschiessen. Im Gegenteil. Trotz eines Schrankes voller verschreibungspflichtiger Meds hat Fallon verzichtet sich während einer sehr dunklen Phase seines Lebens wegzuklicken und kämpfte sich, bewaffnet mit Stift und Gitarre durch die dunkelsten Ecken seiner Seele. Nicht nur das, er machte sich auch auf nach Kalifornien und bereitete sich mit einem Fitnesscoach auf die kommende Tour mit The Gaslight Anthem vor. Und man siehts ihm auch an, dem Brian. Im Video zu Get Hurt wirkt Fallon topfit und cool, die Haare kurz, die Kleidung schwarz und irgendwie einen Tacken härter. Nach Handwritten, dem bislang letzten Album von The Gaslight Anthem, waren die Erwartungen an die Band immens hoch. Grösser, besser, härter. Doch, was kann man erwarten von dem

neuen Longplayer der vier Herren aus New Jersey? Das Album startet mit Stay Vicious, einem krachigen Opener, der die Thematik vom Verlassenwerden so hochbringt, wie es eben Coldplay nicht gemacht haben. Anstatt weinerlich herumzusülzen lassen Fallon und seine Jungs die Gitarren sprechen und brechen diesen Song runter wie nichts. Starke Kiste. 1’000 Years ist eine äusserst lockere Rocknummer, welche sich schon beim ersten Anhören in den Gehörgang brennt. Und schon der dritte Song ist Get Hurt, dieser dunkle Song, der sich einem Einfluss von Fallons Side-Project The Horrible Crowes nicht lossprechen kann,

jedoch gleichzeitig äusserst radiotauglich wirkt. Bislang drei Songs, alle grossartig. Mit unter drei Minuten Laufzeit gehört Stray Paper zu den eher kurzen Songs im Gaslight-Repertoire. Zum Glück, denn ich finde die Nummer ziemlich grottig. Helter Skeleton ist wiederrum Gaslight at it’s best. Eine geile Rocknummer mit eingängiger Melodie und Text. Die ziemlich ungewöhnlichen Klänge bei Begin von Underneath the Ground lassen den Zuhörer starten in eine vierminütige musikalische Reise fern vom typischen Fallon-Sound. Ein Song, der mit Sicherheit beim weiteren Anhören wachsen wird.

Rock heilt alle Wunden. Fallon gibt sich die einzig wahre Medizin. Rollin’ and Tumblin’ rockt wie ein Erdbeeben. Red Violins, wiederrum ein Song, der nicht so wirklich zu den bisherigen Gaslight-Songs passen will, mich jedoch sehr angesprochen hat. Ich befürchtete schon, dass mit Selected Poems eine zu softe Nummer auf mich zukommt. Der Song beginnt sehr langsam, sehr leise, jedoch nach 45 Sekunden drehen die Herren auf und erzählen eine wunderbare Story über Träume und Dinge, die sich einfach ändern. Emotional. Geil. Ain’t that a shame, rockt, aber nicht so mein Song. Sehr ergreifend Fallons Text zu Break

your heart, einem sehr langsamen und schönen Song. Dark Places rundet das Album ab, eine Nummer wie wir sie von Gaslight bereits gewohnt sind. Ordentlicher Schluss. Besitzer der Deluxe Edition kommen jedoch noch in den Geschmack von vier weiteren Songs. Und wer schon beim Vorgängeralbum “Handwritten” zur Deluxe-Packung griff weiss, die Deluxe Songs dieser Jungs sind kein Beigemüse. Sweet Morphine, irgendwie stellte ich mir beim Anhören Tom Waits vor. Ganz spezielles Stück. Da ist er ja, der Geist des Bruce Springsteen, der, obwohl Brian Fallon sich langsam ob des ewigen Vergleichs mit dem Boss nervt, irgendwie doch wieder hervorbeschworen wurde. Mama’s Boys, ein ordentlicher Song, nach einmaligem Hinhören aber noch nichts Spezielles. Halloween ist ebenfalls ein rockiges Stück, mehr noch nicht. Das Deluxe-Album wird nun abgerundet durch Have Mercy, ein ruhiger Song, der ebenfalls von Fallons Experiment “The Horrible Crowes” inspiriert zu sein scheint. Schönes Stück. Fazit: Get Hurt ist nicht Handwritten. Das Vorgängeralbum war für Neuhörer ein perfekter Einstieg. Get Hurt ist eher komplex, experimentierfreudig und unterscheided sich auch im Songwritting sehr von den früheren Texten Fallons. Ein sehr starkes Album, welches die Vorfreude auf die kommende Tour extrem in die Höhe schiessen lässt.


! A A D TA

IHR HABT ES SO GEWÄHLT!

E N N E I S I R A P E N I DE ! A D T S I I L K C Ä IM NEUEN P Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno.


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UND DER TIGER SAGT: «DAS UNIVERSUM HAT EBEN IMMER NUR SEX MIT SICH SELBER» 8. Juli 2014 Christian Platz. Natürlich wird das Leben oft und gerne mit einem Weg verglichen, auf dem wir Menschen mühsam wandern müssen. Bis wir eines Tages keine Kraft mehr haben, zusammenbrechen, liegen bleiben. Und dann am Wegrand begraben werden. Ein einfaches X aus zwei zusammengebundenen Stecken muss uns am Ende als Mahnmal genügen. Vielleicht steigt ein flüchtiger Teil von uns sodann dem Himmel entgegen. Wie ein Vogel. Wir Lebenden werden es nie wissen. Immer wieder wird das Leben aber auch mit einem Fluss verglichen. Daraus können sich allerdings ganz verschiedene Erwartungen ableiten. Allerlei alte Geschichten berichten zum Beispiel von einem Mann, der lange schon davongeflogen sei, vielleicht hat er niemals gelebt, der uns Menschen als Schwimmerinnen und Schwimmer im Strom des Lebens betrachtet hat; eine Art Fische halt. Wir sollten, so schlug er vor, uns nicht mit der Strömung, treiben lassen, sondern vielmehr gegen den Strom schwimmen. Weil dies seinem Vater besser gefalle. Doch wer hat jenen Vater schon persönlich gekannt? Ich persönlich möchte jedenfalls kein Fisch sein. Ich würde mich lieber wie ein Boot auf dem Fluss des Lebens fühlen. Ein Mississippi-Raddampfer vielleicht. Ich wäre der Rumpf, die mächtigen Räder, die dampfenden Schlote, die schwere Ladung, die dringend nach New Orleans, Louisiana, runter befördert werden muss. Ich wäre aber gleichzeitig auch der Kapitän in seinem Steuerhaus. Meine Stimme wäre gleichsam das mächtige Signalhorn des Dampfers, tuuut, tuuut, tuuut, welches die anderen Schiffe auf dem Fluss grüsst, aufmuntert, gelegentlich vor Gefahren warnt. Mein Freund, der Augenarzt (er praktiziert nicht, seine Familie ist stinkreich) und Tantrika Tiger Gupta (eigentlich heisst er ja Birendra, aber er wird Tiger genannt, weil die gleichnamige Biermarke sein Lebenselixier darstellt), er stammt aus Kochi, Kerala, Südindien, wo die Delfine in der Bucht schwimmen, der Gewürzmarkt seine pfeffrigen Gerüche in der Hitze über die ganze Stadt verbreitet, wo einst die erste Synagoge auf indischem Grund gebaut wurde, wo die Schlangenbeschwörer die Strassen beherrschen, sieht es allerdings ein wenig anders. Für ihn stellt das Leben in seiner Gesamtheit ein Meer dar, wie er mir während einem abendlichen Bootsausflug erklärte, auf dem hektoliterweise Bier getrunken wurde, aus tonnenschweren Glas-Krügen. Wir einzelnen Menschen seien nichts als Wellen, die ein kosmischer Wind auf der Oberfläche dieses Meeres erzeuge. „Die Wellen bäumen sich auf,“ sagt Tiger fröhlich, beinahe singend, „sie sind ein Phänomen, das sich lediglich auf der Oberfläche des Lebens-Ozeans abspielt, sich aber niemals von der Gesamtheit des Wassers, welches dieses Meer bildet, ablösen kann. Die Wellen erheben sich, von kosmischen Winden getrieben, lediglich an der Oberfläche, richten sich schäumend auf, brechen in sich zusammen und vereinigen sich wieder mit dem Ozean. Genauso läuft aus meiner Sicht ein Menschenleben ab.“ „Dieser Ozean ist für mich die grosse Göttin Kali. Die kosmischen Winde sind für mich die Deva-Gottheiten mit ihrer leuchtend blauen Hautfarbe. Die unfassbare Gesamtheit, welche das ganze Geschehen umschliesst, wäre dann Brahma. Also Gott.“

Für Tiger Gupta ist ein einzelnes Menschenleben nie ein isoliertes Phänomen. Es bleibt bis ins Innerste mit dem Urgrund des Lebens, jenem kosmischen Ozean verbunden. Es wird sich niemals davon lösen können. „Ein Menschenleben…“, sagt er bierselig (und ich spüre, dass jetzt der versaute Teil seines Vortrags kommt, denn er ist ein grosser Verfechter jener transgressiven tantrischen Hindu-Sexrituale der linken Hand, die ihm gar nicht ausschweifend genug daherkommen können), „…ist beileibe kein individueller Vorgang. Es stellt immer nur einen Teil einer grossen Bewegung dar. Ein einzelnes Leben ist einfach ein Atom des Lebens an sich, jener Ganzheit allen Lebens, die mit sich selber spielt. Das ist wie kosmischer Sex. Oder kosmische Onanie. Vor diesem Hintergrund stellt auch jede sexuelle Begegnung zwischen Menschen eine Art Onanie – oder halt Inzest – des Kosmos dar.” “Denn wir alle sind doch lediglich klitzekleine Elemente, die einem grossen Ganzen angehören. Untrennbar. Das Universum hat eben immer nur Sex mit sich selber. Wenn wir mit jemanden erotische Spiele treiben, machen wir es im Grunde genommen immer mit uns selbst. Denn alles, was existiert, ist in Tat und Wahrheit eins. Das Andere ist nur eine Illusion, genauso wie das Innen und das Aussen. Alle Spielarten der erotischen Begegnung stammen zudem samt und sonders aus dem Urgrund des Seins. Deshalb kann keine von ihnen unrein sein. Was sie im Urgrund bedeuten mögen, wissen wir Menschen jedoch nicht. Wir machen Sex, weil es uns zwischen den Beinen oder im Kopf kitzelt und inneren Druck abbaut. Oder wir betreiben ihn absichtlich nicht, weil wir inneren Druck aufbauen möchten. Beides ist erlaubt.“ Dabei sei, so Tiger Gupta, jede Bewegung im eigentlichen Sinne heilig. Weil sie einen notwendigen Spielzug darstelle, in jenem grossen Spiel, welches der Kosmos mit sich selber treibe. Deshalb existiere auf dieser Erde auch nichts, vor dem man sich ekeln oder fürchten müsse. Schliesslich habe der grosse Heilige Sri Ramakrishna (1836 – 1886), Hüter des alten Dakshinewar Kali-Tempels, der ganz in der Nähe der nordindischen Ultramegalopolis Kolkata liegt, gerne folgende Meditations-Praxis ausgeführt. In seinem Yoga-Asana, jenem verschärften Schneidersitz halt, habe er im Tempelgarten gerne auf seiner Decke verweilt. Die rechte Hand gefüllt mit SandelholzEssenz, die linke Hand mit menschlicher Scheisse. Abwechslungsweise habe er an diesen beiden Substanzen gerochen. Um dann festzustellen, dass sie beide gut und rein seien. Dass sie einfach nur verschiedene Zustände, unterschiedliche Ausdrucksformen derselben heiligen Zone darstellen würden, die wir Menschen gemeinhin Realität nennen. Dergestalt habe der grosse Heilige die Falle des Ekels überwunden. Und dadurch die essentielle Heiligkeit alles Seienden erkannt. In diesem Moment habe er sich mit jener gigantischen, allumfassenden Bewegung vereinigt, welche wir, mangels eines deutlicheren Begriffs, Gott nennen würden.

noch sind seine Forschungsergebnisse keineswegs von der Hand zu weisen. Tiger Guptas Praktiken sind auf jeden Fall sexuell. Wenn er genug Tiger Beer intus hat, kann er nicht damit aufhören, sie detailliert zu beschreiben. Vor allem jene, die in Bereichen angesiedelt sind, die Ekel und Schmerz transBei diesen kosmotheologischen Ausführungen von Meister Gupta muss ich unvermittelt an den berühmten, oft zu unrecht verteufelten britischen Poeten, Schriftsteller, Sexualmagier, Magus – vielleicht sogar Ipsissimus – Aleister Crowley (1875 – 1947) denken, der seinen Ordensnamen, „Das Grosse Tier“ mit Stolz getragen hat. Er hat seinen Schülerinnen und Schülern nämlich – unter vielem anderen – empfohlen, sich über eine Mülltonne zu setzen und den Geruch des Abfalls stundenlang einzuatmen. Bis sie diesen Geruch mögen. Auch bei ihm war es das Ziel dieser Übung, das Illusionsgeflecht der menschlichen Wahrnehmung abzulegen, die künstlichen Mauern der Konditionierung, die uns Menschen umgeben, zu durchbrechen. Und zu einer Wahrnehmung des reinen Seins zu gelangen. Die Überwindung des Ekels und der Furcht sei dafür unerlässlich. Nun, Tiger Gupta ist ganz sicher kein Mainstream-Hindu. Er ist eben ein Tantriker zur linken Hand. Seine rituellen Strategien zur Transzendierung der Realität beruhen beinahe ausschliesslich auf ausgedehnten sexuellen Ritualen. Was ihn durchaus in die Nähe von Crowley rückt. Sri Ramakrishna seinerseits habe ja, so der indische Volksglaube, ganz und gar keusch gelebt. Auch mit seiner Frau Sarada Devi (1853 – 1920) habe er nie auch nur das kleinste bisschen Sexualkontakt gehabt. Sarada war im Tempel übrigens für die Verehrung der Smashan Kali zuständig. Jener akutesten, gefährlichsten Form der schwarzen Göttin, die das Schwert mit einer ihrer beiden rechten Hände – der oberen nämlich – schwingt. Im Gegensatz zur benevolenteren Dakshin Kali, die das Krummschwert mit der oberen ihrer beiden linken Hände umfasst, um letztere Erscheinung der Göttin hat sich der Sri persönlich gekümmert. Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, schon mal eine Kali mit unzähligen Armen und Waffen gesehen haben, sind sie einfach der mächtigsten Ausformung der Gottheit begegnet. Der Mahakali, dem weiblichen Äquivalent von Gott persönlich, im Hinduismus eben Brahma. Hübsch; nicht? In seiner jahrelang recherchierten, mehrfach preisgekrönten – und gleichzeitig skandalumwitterten – Ramakrishna-Biographie „Kali’s Child“ (erschienen 1995) hat Jeffrey Kripal, Professor für Philosophie und Religionsgeschichte an der Universität von Houston, Texas, die Keuschheit des Heiligen jedoch nicht bloss angezweifelt. Er hat die Nachtseite des Treibens im Dakshinewar-Tempel vielmehr als eine Parade sexueller Ausschweifungen dargestellt, die sogar dem göttlichen Marquis De Sade (1740 – 1814) alle Ehre machen würde. Für dieses Buch hat Kripal in Indien zwar mächtig Prügel kassiert, den-

zendieren sollen. Wobei der Running Gag seiner Erzählungen in seinen stetigen Hinweisen auf die religiöse Natur dieser Rituale liegt, die sie weit von jeder westlichen pornographischen Dekadenz wegrücke, mit der er überhaupt nichts anfangen könne. Tatsächlich habe ich auf meinem Reisen durch Indien und Nepal die Erfahrung gemacht, dass Hindu-Autoritären die tantrischen Praktiken der linken Hand, wie sie Gupta so treibt, zwar als sehr gefährlich und ungesund bezeichnen, sie keineswegs empfehlen, aber auch nicht durchwegs ablehnen, sondern als Teil ihres himmelweiten religiösen Kosmos akzeptieren. Das ist ein bisschen, wie wenn der Vatikan die Praktiken der Satanisten als Teil des Christentums katholischer Prägung akzeptieren würde. Was ja auch noch lustig wäre… Jedenfalls darf ich davon ausgehen, dass Tiger Gupta – in seiner hübschen kleinen Villa am Stadtrand von Kochi – so ziemlich alles treibt, das man sich in den fiebrigsten sexuellen Träumen und Albträumen nur ausmalen kann. Besondere Bedeutung misst er übrigens der 69er-Stellung zu, die für ihn die Unendlichkeit repräsentiert. Dabei müsse die Frau, betont Gupta gerne, aus ritualtechnischen Gründen, immer oben knien. Als dekadenter Westler könnte ich nun vermuten, dass mein tantrischer Freund einfach gerne ausführlich Ärsche betrachtet, aber dies würde bestimmt zu kurz greifen. Gleichzeitig schwärmt er ja auch immer von der mystischen Macht der “verbotenen Gefässe”, welche man bis zum Rand auffüllen müsse, die ich nur als die Gesässe seiner Ritual-Partnerinnen aufassen kann. Ich habe den Tiger dann einmal unvermittelt mit den Ausdrücken “Sadomasochismus”, “Analverkehr”, “Koprophilie” konfrontiert. Er kenne diese Worte schon, erwiderte er darauf, nach einer längeren Kunstpause, mit einem Ausdruck von Verachtung im Antlitz. Er sei schliesslich ein gebildeter Mann. Aber es handle sich dabei um eiskalte, westliche, wissenschaftliche Begriffe, die mit seinen tantrischen Praktiken nicht das allergeringste zu tun hätten: “Solche Worte entzaubern die Welt”, so Gupta, “auf ihrem unfruchtbarem Boden können tatsächlich nur furchtbare Perversionen und Sünden gedeihen. Es sind derartige Worte, die euch Menschen des Westens den Blick auf die innere Natur der Dinge verstellen!” Seine Rituale treibt er jedenfalls mit einem Kreis von Ladies zusammen, die seine religiösen Anschauungen teilen. Diese erotisch aufgeladenen rituellen Handlungen, sie dauern viele Stunden, so erleben es jedenfalls der Tiger und seine Partnerinnen, setzen mächtige kosmische Kräfte frei, welche in einer komplexen magisch-symbolischen Zone Schubwirkungen anstossen, die sich schliesslich – am Ende einer mystischen Ereigniskette – auf der Ebene der greif-

baren Realität als geschaffene Tatsachen niederschlagen. Allerdings nur dann, wenn die Rituale korrekt ausgeführt werden. Bis ins letzte Detail. Für seine Ladies ist Gupta ganz offensichtlich eine Art Guru, dessen anspruchsvollen Anweisungen sie sich hingebungsvoll fügen, mit dem Ziel – jeweils für einen zeitlosen Moment – in jenen kosmischen Kräften zu schwelgen, die ihre Wirbelsäulen zu glühend heissen Lavaströmen verflüssigen, welche vom Becken aus unter Hochdruck in den Kopf hochschiessen. Und zuletzt ihre Hirne, dank jener unwiderstehlichen Sprengkraft einer erotomagischen Ekstase, explodieren lassen. Wie Feuerwerkskörper am unschuldigen Nachthimmel. Einigen dieser Ladies sind wir auf unseren Spaziergängen durch das malerische Städtchen Kochin schon begegnet. Tiger kennzeichnet diese Begegnungen jeweils mit einem sanften Rippenstoss und einem Zungenschnalzer in meine Richtung. Die Ausstrahlung dieser Ladies erschient jeweils würdig und beherrscht; der kerzengerade Gang, die gepflegten Haare, sanften Stimmen, die sorgfältig platzierten Farbtupfer oder Schmucksteine auf ihren Stirnen, Tikka genannt, die das dritte Auge markieren, die knöchellangen Röcke, die sie auch anbehalten, wenn sie schwimmen gehen… Keine von ihnen würde jemals mit einem knappen Bikini bekleidet am Strand rumlaufen. Ja nicht einmal in einem grosszügigen altmodischen Badekleid. Dies wäre bei weitem zu gewagt. Aber hinter Guptas verschlossenen Türen machen diese Ladies Sachen, die wohl so mancher westlichen Dame – von der Sorte, die ohne weiteres oben ohne, nur mit dem knappsten aller Tangas bekleidet, durch die Badeanstalten zieht – die Schamröte ins Gesicht treiben würden. Wenn man Guptas Überzeugungen durch die westliche Brille betrachtet, erscheinen sie einem wie eine ferne Spieglung unserer moralischen und religiösen Vorstellungen. Doch welche Seite dieses Spiegels ist die surreale? Welche ist die Alice-hinter-SpiegelnSeite? Oder sind beide Seiten nur zwei Teile einer mannigfaltigen Gesamtrealität, die so gross und ominös ist, dass wir sie mit unseren Gedanken nie gänzlich erfassen können, wir sie höchstens im unmittelbaren Erleben flüchtig wahrnehmen können? Falls letztere Variante zutreffen würde, hätte natürlich unser Tiger Gupta gepunktet. Ich persönlich habe noch keine befriedigende Antwort auf all diese Fragen gefunden. Und muss nun bald gehen…. Zuvor möchte ich den Kreis dieser Geschichte allerdings noch schliessen. Man könnte das Leben durchaus auch mit einem motorgetriebenen Flug vergleichen. Und vielleicht haben Menschen wie Baron Manfred von Richthofen (1892 – 1918), jenes gefürchtete deutsche FliegerAss des ersten Weltkriegs, die Welt nannte ihn bekanntlich den Roten Baron, dies auch so empfunden. Dein Leben ist ein Flug. Du bist das Flugzeug und gleichzeitig die Pilotin, der Pilot. Du fliegst durch manches Unwetter, manches Gewitter, gewinnst auch so manchen Luftkampf. Doch an einem schönen Tag stürzt du ab. Unvermeidlichweise. Krachst auf den harten Boden der Realität und zerbrichst in deine Einzelteile, die sodann explodieren, in Flammen aufgehen. Und deine schwarze Rauchsäule steigt empor. Dem Himmel entgegen.


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September 2014

FINDE DEN PROMI

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MENSCHLICHES DASEIN

21. August 2014 Midi Gottet. Normal ist das neue Exzentrisch. 22. August 2014 Jelena Keller 1) Menschliches Leben Die hellbraunen Haare wickeln sich um ihr zartrosa gefärbtes Porzellangesicht. Kugelrunde, blaue, von Angst und Traurigkeit geprägte Augen sehen sich langsam und müde um. Sie scheint nichts weiter zu suchen als die Befriedigung ihrer Sehnsucht nach menschlichem Dasein. Welch Augenweide, in dieser, mit jedem Atemzug düsterer werdenden Umgebung. Ein inniges, drängendes Verlangen nach Wärme und Geborgenheit macht mich konfus. Apathisch mache mich auf den Weg zur Schulhausruine. Als ich dem Mädchen die viel zu grosse, dunkelblaue Jacke ausziehe, merke ich, wie ich zu zittern beginne. Ihr seidiges Haar kräuselt sich wunderschön um ihr makelloses, jugendliches Gesicht. Die Erschöpfung sehe ich nicht. Welch süsslichen Geschmack ihre Lippen verbargen. Ich muss meine Tränen zurückhalten. Wir sprechen kein Wort. Geniessen

nur die Wärme unserer beiden Körper aufeinander. Als wir den Bombenalarm draussen hören, reagieren wir nicht. Tot sind wir sowieso schon. Heute wollen wir nur ein paar Minuten fast lebendig sein. 2) Menschliches Sterben An der Grenze wurden sie erschossen. Mehr wissen wir nicht. Dauernd präsent sind meine Gedanken an die Beiden. Ich stelle mir vor, wie mein Vater in einem Graben liegt, meine Schwester neben ihm, mit dem Kopf auf seiner Brust, ganz so, als könnte er sie noch in seine Obhut nehmen. Ihr weisses Gesichtchen ist geschmückt mit zartrosa Bäckchen und einem Lächeln auf ihrem kleinen

vollen, rosaroten Mund. Eine Hand hat sie ihm auf die Brust gelegt, seine liegt behutsam auf ihrer. Sie sehen friedlich, fast engelsgleich aus, die morgendliche Sonne auf sie herab scheint. Ganz so, als hätte sich das Warten auf Erlösung gelohnt. Plötzlich strömt Blut aus Ihren Mündern, fliesst zur Erde hinunter, hüllt sie in eine immer grösser werdende rote Pfütze. Braune Würmer schlängeln sich hastig aus den jetzt durchlöcherten Körpern. Käfer kriechen aggressiv aus ihren schwarzen Augen, breiten sich schnell über den Gesichtern aus und zerfressen Sie dann gänzlich, bis nur noch eine zerfetzte, schwarzgrüne, verfaulte Hülle von Ihnen übrig bleibt.

Geri Müllers Penis 8. September 2014 Peter Stiefel Der Chef hat gesagt, ich solle hier schreiben, was ich sonst nicht schreiben könne. Deshalb habe ich beschlossen, nochmals über die Affäre Geri Müller zu schreiben. Denn das wirklich Interessante an diesem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Einblick in die Intimsphäre zwischen Mann und Frau war ja das, was man nicht schreiben durfte. Disclaimer: Ich kenne Geri Müller nicht und will mich hier weder über seine Politik noch über ihn als Politiker äussern. Aber niemand verdient eine derartige öffentliche Blossstellung. Man hat Herrn Müller die Hosen runtergezogen und Hinz und Kunz sind mit steifer Oberlippe vorbeigeschnüffelt, rümpften die Nase, diagnostizierten Liederlichkeit und schwenkten dazu den moralischen Zeigefinger – alles natürlich nur, um die eigene Rechtschaffenheit herauszustreichen. Zunächst zu den Nacktselfies. Neulich, als ich wieder mal mit jemandem diskutierte und mich darüber ereiferte, wie jemand hier aus nichtigem Grund blossgestellt wurde, fragte mich mein Gegenüber: „Michèle, bist du etwa erpressbar? Also ich nicht.“ Ich sagte: „Keine Ahnung, ob ich erpressbar bin.“ Und dachte: Blöde Frage. Natürlich bin ich erpressbar! Wer denn nicht? Von den meisten Menschen unter vierzig existiert heute wohl kompromittierendes Material. Und bei allen anderen würde sich genug Stoff finden, dass man ihnen daraus mit der nötigen Böswilligkeit einen Strick drehen könnte. Klar kann man sich fragen, was sich der Mann davon erhoffte, einer ihm fast unbekannten Frau das Bild seines Penis zu schicken. Aber warum eigentlich nicht? Männer neigen ihrem Geschlechtsorgan gegenüber ja oft zu grosser Sympathie, warum also sollte man ihn nicht fotografieren? Wem schadet das? Und was das betrifft, ist die wirklich interessante Frage in dieser Affäre ja ungeklärt: In welchem Zustand hat er ihn fotografiert? Und von welchem Format reden wir hier? Denn merke: Size matters, oh yes. Dann die Kritik an der im Chat artikulierten Phantasie, die Sekretärin „könnte sich bedienen“, wenn sie zufälligerweise hereinspazieren würde. Das

sei frauenfeindlich hiess es. Und dass die arme Frau wegen dieser ungeheuerlichen Phantasie jetzt traumatisiert sein könnte. Oje. Hätte er jetzt über eine wüste Gruppenvergewaltigung mit abschliessender Bukake-Orgie phantasiert, würde ich wohl zustimmen. Aber vielleicht wär da mal ein Realitätscheck angesagt. Was ich von Männern immer wieder zu hören bekomme ist folgendes: Wüssten die Frauen, was Männer den ganzen Tag in ihren Köpfen mit ihnen anstellen, und zwar besonders im Büro, dann würden sie nie mehr mit ihnen reden. Genau so, wie wahrscheinlich niemand mehr Freunde hätte, wenn er wüsste, was diese Freunde zuweilen über ihn denken. Das hat

aber nichts mit schlechtem Charakter zu tun. Es ist menschlich. Schon in meiner bescheidenen Phantasie geht es um einiges härter ab als das, was Geri Müller da scheu artikulierte. Bin ich deswegen frauenfeindlich? Oder ist es nicht vielleicht einfach ein ganz normaler Teil der Sexualität? Es gibt einen Grund, warum wir nicht in die Köpfe der anderen hineinsehen können. In meiner Phantasie kann ich den ganzen Tag brandschatzen und vergewaltigen – solange ich mich ansonsten sozialverträglich aufführe, geht das niemanden etwas an. Entscheidend ist nicht, was man sich vorstellt. Sondern wie man handelt. Alles andere ist Gesinnungspolizei.


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September 2014

«ÖPPIS RÄCHTS»

31. Juli 2014 Pete Stiefel Christoph: „Bueb, chum emal dahere!“ Toni: (mürrisch) „Ich bin nöd Ihre Bueb. Und en Name hani au: Toni heissi.“ Christoph: „Papperlappapp. Solang ich älter bin als du, bisch du de Bueb. Baschta. Und überhaupt: Solang ich s Säge han i dem Land, chan ich sowieso tue und mache, was ich will.“ Toni: „Sie händ gar nöd s Säge i dem Land…“ Christoph: (braust auf) „Chummer no frächer, du elände Soichäib! Was söll das heisse, ich heg nöd s Säge i dem Land? Wer dänn suscht?!“ Toni: „Also ehrlich gseit, sitmer Sie usem Bundesrat ab- und de Herr Muurer inegwählt hät, hät dä scho chli meh z prichte…“ Christoph: (prustet) „De Ueli! Hähä! Das ich nöd lache! De isch ja g’groundet mit sinere Flotte. Mit Papierflüüger isch na nie eine General vode Schwiiz worde. Säb isch eis, wo sicher isch. Toni: (kokett) „Also: De Toni mäldet sich zur Stell. Was isch etz eigetli los, werum hani müese cho?“ Christoph: „Nu nöd so vorluut, junge Maa. Solang ich no s Säge han i dere Partei…“ Toni: „Äh, also…“ Christoph: „Was isch etz wieder nöd rächt?!“ Toni: „De Presidänt vo de SVP bin ich.“ Christoph: (schlägt die geballte Faust auf den Tisch) „Ja, Himmelherrgottsakramänt! Wieso seit mir das niemer!?!? Sit wänn händ mir dänn Schuelbuebe ade Front und ide Schützegräbe und nüme gschtandni Manne mit Haar ufem Buuch?!“ (reibt sich die Hand) Toni: „Ähmm… sit zimmli gnau 6 Jahr. Und ich wirde dänn übrigens am drüüezwänzgischte Auguscht Vierzgi.“ Christoph: „Und was willschmer dademit säge? Sölli der in Franz Karl Wäber gones Geburtstagsgschänk poschte?“ Toni: „Nenei, scho rächt. Han alles, woni bruuche. Und d Chüeh ufem Hof sind gsund und grfääss. Eifach zum säge, dass ich au scho zu de Erwachsene ghöre. Christoph: „Zu Gotthällfs Ziite sind die junge Manne no uf d Alp im Summer oder id Fremdelegion. Und sonen fräche Hagel we dich hettme bestimmt… verdingst… we seitme…?“

Toni: „Verdingt.“ Christoph: „Sägi ja. Aber etz losmer emal zue, Bueb. Chömemer zur Sach. Wieviel Volksinitiative händ mir eigetli scho gunne? Toni: (studiert) „Die meischte. Aso… en huufe. Ämel meh als die Lingge, die händ alli verlore. Und wenigschtens die Initiativene, wo das elände, kriminelle Usländerpack mues verreise, und s nöd – oder nonig – kriminelle Usländerpack dehei im Usland gar nöd erscht söll packe und iireise, sondern deheime bliibe. Und dänn hämmer no e noii Initiative, won ois vor de arme Asylante bewahrt und nur no die Riiche inelaat. Christoph: „Riichi? Grandios! Die Idee chönt vo mir sii! Ine mit! Aber sägemal: Funktioniert dänn das alles au? Toni: „Jaja, ganz bestimmt. Wänn nöd, hämmer no e Duresetzigs-Initiative, wo alles duresetzt. Und e ToibeliNoträcht-Durezwängeli-Initiative, wo de Sozis z Bern ändgültig zeigt, wo de Bartli de Moscht holt, wänns nöd schpuured. Christoph: „Das gfalltmer. Langsam liit mir und minere Schwiiz die Wält z Füesse. Etz gatmer nur no öppis gäg de Strich: Dass nöd immer oieses Volk rächt hät, sondern d Völker mit dem elände Völkerrächt mängisch meh Rächt überchömed als s Schwiizervolk. Weisch, wasi meine, Bueb? Toni: (gluckst aufgeregt) Ja! Wänn die frömde Fötzel-Vögd über oisi Chöpf ewägg bestimmed und meined, sie müesid ois zeige, wieme de Mischt garettlet. Da hetti grad en spontane Iifall: Mer mached e Initiative, wo seit, dass oises Volk rächter hät als die Völker da rundume. Christoph: „Prima Idee, Bueb. Mach das! (klopft Toni väterlich auf die Schulter) Du gfallschmer. Us dir wird bestimmt no öppis Rächts. Toni: (strahlt) Christoph: „Es isch scho nüme we früener. Hützutags muesch di gäge alli und alles duresetzte, au wännt immer eso rächt häsch wie mir. Wenigschtens dehei isch d Wält no in Ornig. Da han ich d Hose aa, und d Frau spuuret. Silvia: „Stöffel, hör uuf lamentiere und chum etz äntli an Tisch, s Zmittag wird chalt. Mach d Türe zue, und wäschder vorher no d Händ!“ Toni: „Ich hau’s etz wieder de Berg uuf. Adie mitenand, und en Guete.“ Referenz: Blocher will Verfassung über Völkerrecht stellen: http://bit.ly/blocher_voelkerrecht

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WIESO SCHAUEN MÄNNER BEIM SEX IMMER NACH UNTEN? 31. Juli 2014 Jelena Keller ACHTUNG! OBSZÖNER TEXT! (Das gefällt dir doch, darum hast du bis hierhin gelesen. Ich mag dich, du kleines Ferkel) Nur schon die Frage an sich macht Frauen nervös. Zumindest die, die die Augen beim Sex offen halten. Und das Licht anlassen. Die anderen können gar nicht wissen, wie solch eine Frage überhaupt aufkommt, wenn sie im Dunkeln vor sich hin stochern lassen. Jedenfalls macht dieses bedeutende Verhalten unsicher, weil Frauen (wie immer) als erstes denken, er kuckt auf unseren BrowniePartyexzess-Scheiss-auf-Fitness-ich-binjung-und-wild-Frühlings-gerolltenBauch. Sogar während dem Sex, auch wenn er noch so spannend ist, kommt dann so automatisch ins Hirn geflattert: “Hätte ich doch bloss den verdammten Muffin gestern Abend weggelassen. Und den vorgestern. Und vorvorgestern. Wusste ich’s doch, dass ich fett bin! Aber sooo fett, dass der da jetzt die ganze Zeit draufkuckt? Augenrollen, stöhnen. Nur nichts anmerken lassen. Bauch einziehen, anspannen. Ufff. Fuck. Ich glaub ich mach mal lieber Doggy Style. Scheisse. Ab morgen esse ich nur noch Salat. Ich schwöre.” Mädels, ich habe ein paar Jungs, die zu den Nach-unten-guckern gehören befragt. Sie schauen euch nicht auf den Bauch. Nein. Sondern auf eure mit Cellulite übersääten Oberschenkel. Und auf eure mit Pickeln übersääte rasier-Mumu. Hahah!! Spass. Erste wichtige Erkenntnis: Männer, die richtigen unter ihnen (Metrosexuelle ausgeschlossen. Es weiss eh niemand, was die überhaupt im Leben so suchen), wollen nämlich im Bett die Kontrolle haben. Wir wollen auch, dass sie die Kontrolle

haben. Und damit sie die Kontrolle behalten können, müssen sie halt immer wieder nach unten sehen, um zu kontrollieren, ob da alles noch in Ordnung ist und plangemäss abläuft. Pimmel-Check. Man will ja nicht versehentlich ins Blaue stechen. Oder dorthin, wo es keinen Eingang, sondern einen Ausgang gibt. Wer auf unserem Steinway Klavier PimmelPiano spielt, muss auch mal überprüfen, ob die richtigen Tasten gedrückt werden. Zweite wichtige Feststellung: Es törnt sie an. Sie fühlen sich dabei stark, selbstbewusst. Ganz wie ein Tiger, der eine Gazelle auseinanderreisst. Auf sie mit Gebrüll. Es gefällt ihnen, den Prozess zu beobachten. Ein NaturGEILmittel sozusagen. Presslufthammer auf der Strasse, Kolbenmaschine in den Hohlraum. Oder so. Das ist Macht. Ausserdem gefällt ihnen eure Muschi an und für sich. Die bekommen sie leider nicht täglich zu sehen. Wenn sie dann mal da ist, muss man sie mit Augenkontakt beglücken,

sie wie eine eigenständige Person behandeln. Hallo sagen. Und sich ihr Aussehen einprägen. Ihr süsses Gesichtchen. Schliesslich weiss man nicht, wann es ein Wiedersehen gibt. Und nein, es ist noch niemandem aufgefallen, dass eure rechte Schamlippe grösser ist. Ganz sicher nicht. Deshalb gilt es nur noch zu sagen: Frauen, entspannt euch verdammt nochmal! Noch nie hat euch einer gevögelt und dabei an Rührei mit Speck gedacht! Es gibt nur eines, das Sexualität gut werden lässt: Sich gehen lassen und machen, was einem Spass macht. Wenn Mann nach unten schaut, ist es ein Kompliment! Er beobachtet gerne? Machts auch. Findet heraus was euch visuell entspricht. Bloss nicht gerade die ganze Zeit in die Augen starren. Mit Herzchen in den Pupillen. Ist voll abtörnend. Das gehört sich dann beim Abendessen. Oder gar nie. Rodeo, meine Lieben. Rodeo ist angesagt.

NOWHERE TO RUN 17. April 2014 Dominik Hug Vor Jahren zum letzten Mal gesehen, heute Abend mal wieder in den Player gelegt. “Nowhere to run”, oder “Ohne Ausweg”, wie der Streifen hierzulande heisst. Inhalt: Nach seiner spektakulären Flucht aus einem Gefängnisbus sucht Bankräuber Sam (Jean-Claude Van Damme) Unterschlupf. Er findet ihn auf einer einsamen Farm, bei der jungen, attraktiven Witwe Clydie (Rosanna Arquette). Doch die Landidylle trügt. Skrupellose Finanzheie tyrannisieren Clydie, wollen sie mit brutaler Gewalt zum Verkauf ihres Grundstücks zwingen. Sam handelt sofort. Zwischen Ausbrecher, jagenden Cops und Syndikat entbrennt ein erbarmungsloser Kampf. “The best Van Damme movie ever!”, behauptet zumindest das Filmposter. Naja, nicht ganz. Als erstes, die Szenerie erinnert mich knallhart an diverse Folgen von Knight Rider oder dem A-Team. Arme alleinerziehende Farmerin muss gegen böse Industriebarone bestehen. Nur kamen hier nicht Michael und sein Wunderauto zum Einsatz. Regisseur Robert Harmon fing die Atmosphäre der Story ziemlich gut ein. Viel Wüste, viel Wald, etwas See, quasi ein wunderbarer Ausflug aufs Land, unterstützt von einigen wirklich tollen Kamerafahrten. Doch deshalb schaue ich noch keinen Van Damme-Streifen. Der Faktor

Action ist entscheidend. Und zu Beginn verspricht “Nowhere to run” doch einiges davon. Die Flucht aus dem Gefängnisbus, der Tod von Sams Bruder, ein rasanter Einstieg. Doch leider konnte der Film in Folge dieses Level nicht halten. Viele ruhige Szenen, Van Damme beim Zelten, Van Damme beim Nacktbaden (Ha, die wollten wohl noch ein paar Frauen in die Kinos locken), Van Damme beim Grillen (Ha, die wollten wohl noch ein paar Grillmeister… ach, lassen wir das) – sind wir ehrlich, dem Actionhelden beim Würzen von Fleisch zuschauen, das ist nicht das, was ich mir

von einem Actionfilm erhoffe. Unser kickender Belgier darf schon bald seine Campgegend während einer Nachttour unsicher machen. Die beleuchtete fremde Farm zieht den Prügelmann an wie eine Motte. Rosanna Arquette, die sich natürlich nicht extra vor dem Fenster ziemlich ganz nackig auszieht, lässt den Belgier zudem noch ein wenig sabbern. Tags darauf zieht Jean-Claude schon in der Farm ein und darf sich fortan ein wenig mit den Bösen prügeln. Einer der Bad Guys wird übrigens gespielt von Ted Levine, besser bekannt als Capt. Stottlemeyer in der TV-Serie Monk. Kein schlechter Auftritt von Levine. Rosanna Arquette kommt zwar sexy rüber, ist jedoch eine quietschende Nervensäge. Dieses Gekreische war ja wirklich kaum zum Aushalten. In Pulp Fiction gefiel mir die Dame wesentlich besser. Ach ja, noch erwähnenswert, Kieran Culkin, Bruder von Macaulay “Kevin allein zu Haus” Culkin spielt Arquettes Sohn. Jedoch, die Action muss man in diesem Film wirklich suchen. Mal eine kleine Klopperei da, dann wieder blablaknutschknutsch, irgendwie fehlte hier gewaltig was an Drive. Schade, denn aus diesem Szenario hätte man einen weit unterhaltsameren und lauteren Film machen können. Fazit: Ich habe schon für grösseren Quatsch Zeit verschwendet. “Nowhere to run” ist vielleicht kein grosser Wurf, aber vielleicht ein Ansehen wert. Einige Schauwerte hat der Film allemal.


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September 2014

ICE BUCKET CHALLENGE – EIN NACHRUF

28. August 2014 Midi Gottet Farewell Ice Bucket Challenge, es war schön mit dir. Alle haben wir uns, dank dir, einen Eimer Eiswasser über die Rübe geschüttet und dabei versucht das Gesicht nicht zu verlieren. Doch der menschliche Körper ist nicht dafür geschaffen eine Ladung Eis zu ignorieren. Pokerface ade. Dank dir sahen wir, wenn auch nur für ein paar Sekunden und meist mit flachgedrückter Matte, den wahren Menschen. Wahre Emotionen. In einer Welt von perfekten Selfies bietet der vorprogrammierte Verlust der Contenance einen enormen Unterhaltungswert. Und so vielfältig die Entgleisungen der Gesichtsmuskulatur waren, so vielfältig waren auch die Reaktionen im Netz. Die Hater hassten dich, weil sie sich von deiner Peerpressure bedroht fühlten. Einige hassten dich, weil sie zuviel nominiert wurden und manche, weil sie nie nominiert wurden. Es-allenrecht-mach-Gutmenschen kritisierten dich, weil nur 7 % der Spenden in die Forschung gehen und die Ihr-seid-allesLemminge-Facebooker, die sich jeden Tag fremdschämten, konnten nicht genug davon kriegen, den grantigen Nur-7-von-100-Eiswürfel-Mann zu posten. Selbstdarsteller liebten dich und

die Möglichkeit, in nassen Klamotten zu posieren. Der Sommer 2014 benutzte dich als gelungenes Ablenkungsmanöver. Jede andere Krankheit auf der Welt wünschte sich, etwas früher auf so eine Scheiss-Idee gekommen zu sein und spielte kurze Zeit mit dem bösen Gedanken, es mal mit kochend-heissesWasser-Challenges zu versuchen. Ironischerweise hat dich dein Erzeuger nicht überlebt. Und ironischerweise hat dich genau der Spread jenes Clips umgebracht, der den “Rise And Shine” eines ALS-Patienten dokumentiert. Jene Krankheit, die du eigentlich zu heilen versucht hast. In diesem Clip erfuhren die Leute, dass die Pharmaindustrie keinen Cent in die Heilung von ALS investiert, weil die Erkrankten zu schnell daran sterben. Richtig gelesen – zu schnell daran sterben. Danach hörte der Spass auf. Danach hat keiner mehr an dir teilgenommen. Danach haben alle einfach nur noch ihr Geld geschickt. Ohne Banküberweisungs-Screenshot als Beweis. Ohne Eimer und Geschrei. Einfach in stiller Anteilnahme. Farewell Ice Bucket Challenge, es war schön mit dir.

MUSS MAN HABEN: EINEN TURBO-HANDTROCKNER.

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SOMMER IN NIEDERÖSTERREICH

30. August 2014 Rainer Kuhn Peppi, 46 Jahre alt, Landwirt. Steht am Morgen auf, vier Uhr, in den Stall, die Kühe füttern. Das Futter fährt er mit der Schubkarre über den Hof und wirft es den Kühen mit den Händen hin. Dabei lächelt er. Peppi sucht eine Frau. Seine hatte er 1992 geheiratet und neun Jahr später ist sie gestorben. Mit den Nerven, nach der Geburt, sie war nervenkrank. Den Jungen hat er alleine grossgezogen, also seine Mutter, eben. Peppi will schon wieder eine richtige Frau, weil wenn man mal ausfährt, oder in die Berge, oder beim Essen, Mittagessen, das alles ist doch viel schöner zu zweit, dass man nicht alleine essen muss sondern eine Frau und das Kind, eine richtige Familie eben. Peppis Mutter sagt, dass keine mehr in den Stall will, drum findet er keine. Sie gehe gerne in den Stall, aber sie mag auch nicht mehr so, im Alter, aber von den Jungen will ja keine mehr in den Stall. Peppi raucht nicht, trinkt nicht. Aber er geht halt auch nicht gerne aus, aus der Luft komme keine, sagt die Mutter und lacht, stösst ihn an und er lacht auch. Und dann will Peppi eine Schlanke, keine Dicke und rauchen sollte sie auch nicht, aber heute rauchen sie ja alle, wenn er solche Ansprüche habe, so findet Peppi noch lange keine,

und der Sommer ist jetzt dann da und dann der Herbst und schon ist wieder Winter und kalt, und die Geräte müssen unterhalten werden, der Traktor tuts noch, um eine der Schubkarren siehts schlecht aus, zwei müssens schon sein, eine für das Futter, eine für den Mist. Die Heizung im Badezimmer funktioniert wieder, Schalter kaputt, musste er auch erst mal rausfinden. Im Stall hats wieder mehr Platz, seit letzte Woche zwei Säue verreckt sind, einfach so, erst hatte Peppi Angst, Seuche, dann hätte er alle abtun müssen, aber den anderen geht’s recht gut soweit. Auflauf isst Peppi am liebsten, Auflauf von seiner Mutter – Mutter lacht. Lautloses, wissendes Lachen – den müsste eine Frau schon auch können, das ist er sich nun mal gewohnt und viele Freuden leistet er sich ja sonst nicht. Und Tiere gern haben sollte sie auch, wenn nicht die Säue, dann wenigstens die Hühner, die Säue könne er schon weiter übernehmen, nebst den Kühen, ist auch gescheiter, die kennen ihn und eine davon fremdet ein bisschen wenn ein anderer als Peppi den Stall ausmistet, die Kühe geben sonst kaum Probleme, melken, ja, wie gesagt, macht er selber, aber die Hühner brauchen auch Auslauf, und der Hund, und dann ist noch ein bisschen Land da, gleich hinter dem Haus, das

liegt brach, seit dem Tod seiner Frau hat er nichts mehr gemacht, sie hatte da Salat angepflanzt und Kräuter für den Markt, seither ist der Garten verwaist, da könnte man wieder was machen mit dem Flecken. Sein Sohn ist recht herausgekommen, viel zu waschen ist da nicht, ein Hemd und eine Hose für die Woche, ein schönes Hemd und eine schöne Hose für Sonntag, gebügelt, soll doch was hermachen, wenn man vor der Kirche steht und alle können einen sehen. Eigentlich kann er nicht klagen, sagt Peppi, hat ja alles, bloss eben eine Frau, er will nichts überstürzen, bis jetzt ging es auch, aber Mutter meint, in ein paar Jahren ist er fünfzig und sie vielleicht tot hinter dem Haus begraben, sie lacht und stösst Peppi an, und er lacht auch. Hinter dem Haus begraben, seine Mutter, niemals, Mütter sterben nie, aber wo sie recht hat, hat sie recht, die Frauen wollen lieber Jüngere, wenn sie schon in den Stall müssen und ab fünfzig ist man alt, da wird’s erst recht schwierig, und der Sohn ist dann auch bald erwachsen und geht weg vom Hof in die Stadt, etwas erleben, und dann ist er allein mit seinen Säuen und der toten Mutter hinter dem Haus, und der Herbst und der Winter machen die Jahreszeiten unter sich aus, der Sommer kommt schon lange nicht mehr, er tut nur so.

NEULICH NACH DEM OPEN AIR

29. August 2014 Reinhold Weber. Pfoten hinein, 5 Sekunden drinlassen, supertrocken. Den Aufkleber dazu gibt es gratis.

26. August 2014 Midi Gottet. Wahre Freunde halten zusammen.


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STRANDGUT SCHLECHT GESCHOSSEN: DIE EBEN GRAD MIT MÄCHTIG VIEL SPERMA-GISCHT ANGESPÜLTE TOP5 DER SCHÖNSTEN SUMMERBEACH-PICS IM NETZ

September 2014

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RAPPER SIND KEINE MUSIKER? – 500 GRÜNDE DIE DAGEGEN SPRECHEN

25. August 2014 Midi Gottet. Ja, denn irgendwo fand der Sommer diesen Sommer statt, einfach ohne uns. Und ja, es sind diesmal wirklich nur fünf Pics. Lernt damit zu leben.

28. Juli 2014 Jelena Keller Als ich in seine blockhüttenähnliche Behausung hineintrete, begegne ich einer auf dem Sofa sitzenden, schwarzen Person mit Waffe in der Hand. Zuerst schreie ich. Atemstillstand. Dann aber erkenne ich, dass es sich um eine körpergrosse Puppe handelt. «Keine Angst», ruft Joshua auf dem Weg zur Küche über seine Schulter, «der ist nur da, um Einbrecher abzuschrecken.» Ob die Waffe echt sei, frage ich. «Ja klar», antwortet er.Der einstöckige Bungalow ist stickig, düster und schmuddelig, laut dröhnt Sade aus dem Wohnzimmer. Ich trete in den zugemüllten Garten hinaus, um mich zu setzen und eine Zigarette anzuzünden. Einer der zwei Pitbulls rennt auf mich los, kratzt mich aggressiv am Bein, bis ich ihn streichle, dann legt er sich hin und schnauft friedlich aus. Joshua Durham, alias Five-Hunnet (500), hat nicht immer so gelebt. Nach seinem tausendfach verkauften RapTitel «Bubble Gum Pack» wohnte er in einem neuen, schönen Haus in einer besseren Gegend, veranstaltete Partys und unterstützte seine Familie finanziell. Jetzt, da er wieder zu Hause wohnt, weiss er noch viel mehr zu schätzen, was er hatte. «Nach der Wirtschaftskrise verlor mein Stiefvater seinen Job. Meine Mutter

arbeitete zwar, konnte sich die Hypothek jedoch nicht mehr leisten. Also zog ich nach sieben Jahren wieder zurück, um sie zu unterstützen. Zwei Häuser konnte ich mir nicht leisten, aber ich verdiene genug, um zu überleben und ich bin stolz darauf, dass wir nicht dahin zurück gesunken sind, wo wir einmal waren: im Ghetto von Oakland.» Dort sei er immer als «White Boy» beschimpft worden. Obwohl seine Mutter pure Afroamerikanerin und somit dunkelhäutig ist, waren die Gene seines portugiesischen Vaters stärker. Er kennt seinen Erzeuger nicht: «Verschwand wohl nach einem One Night Stand», erklärt der heute 28-Jährige mit einem Schulterzucken. Five – so nennt ihn auch seine Mutter. Ob er das nicht als distanzierend empfinde, von der eigenen Mutter beim Künstlernamen genannt zu werden? «Es lässt mich ihre Anerkennung fühlen. Sie zeigt mir, dass sie mich und meine Musik ernst nimmt», antwortet er mit einem Lächeln im Gesicht. In Oakland, umgeben von Gewalt, Waffen, Drogen, Totschlag, Mördern und verwahrlosten Kindern, beginnt Joshua im Alter von 10 Jahren sich auf dem vom Grossvater geschenkten Klavier das Spielen selbst beizubringen. Er spielt ganz ohne Noten und seiner Grossmut-

ter gefällt es. Die Mutter ist mal im Gefängnis, mal einfach nicht im Stande sich um ihn zu kümmern. Sein Grossvater erkennt das Potential des Enkels und kauft ihm bald darauf ein Keyboard. Er klimpert was das Zeug hält und entdeckt die Welt des Beats. «Das war der schönste Moment meines Lebens. Ich erinnere mich noch genau daran, wie es einfach im Wohnzimmer stand als ich zur Tür hineintrat. So glücklich war ich nicht oft», erzählt der Musiker nachdenklich, mit leiser Stimme. Die lieben Grosseltern sind jetzt tot. Und noch immer steht das Piano in seiner Garage. Auch die ist voller, teils undefinierbarer, Gegenstände. Und doch: Offensichtlich konnte er sich immer wieder ein wenig Platz fürs Spielen freischaufeln. Er setzt sich hin, macht die Augen zu und beginnt, etwas Jazziges zu improvisieren. Melancholie macht sich breit. Ich bin fasziniert von seiner Hingabe, der Leidenschaft, die ich hier beobachte. Das erste Mal an diesem Tag ist er ruhig.Kurz darauf lacht er mich wieder an, als er mir von seinem Stanford Diplom erzählt. Er sei als 14-Jähriger auserkoren worden, an einem Sommer-Jazz-Diplomkurs für musikalisch begabte Kinder an der Stanford Universität teilzunehmen. Mit Stipendium. Grosse Musiker unterrichteten die Kinder. Er sei ein Aussenseiter gewesen, der einzige, der Slang gesprochen habe. Alle anderen Kinder seien aus guten Elternhäusern und Gegenden gekommen und hätten ihn anfangs nicht akzeptieren wollen. Einige Male wurde Five aus dem Unterricht geschmissen, weil man mit seiner Ungezogenheit und seinem Temperament nicht umgehen konnte. Er sei kurz vor dem Aufgeben gewesen, fühlte sich minderwertig. Theorie sagte ihm nichts, er wollte nur «Jammen», und darin war er der Beste. 500 produzierte unter anderem für Snoop Dogg, tha East Sidaz, Richie Rich, Symba und The Jacka. «Oft rufen mich die populären Musiker aus der Bay Area an, damit ich vorbeikomme und ihnen einen Songtext auf die Beats schreibe. Leider bin ich noch einer von vielen, ein ‹No-name›, sodass sie mir einen Scheiss bezahlen», erklärt Joshua. Als wir über seine aktuellen Ziele sprechen, zeigt er mir sein selbst erbautes Studio. Ein kleines Holzhäuschen im Garten, welches er von Grund auf selbst errichtet hat. Da stecke viel Herzblut drin, sagt er. Es sei zwar nicht besonders gut isoliert, doch ist es sein eigenes Studio, das ihm ständiges Arbeiten ermöglicht. Er zeigt mir seine Blasen an den Händen. Wieder fasziniert mich seine Leidenschaft, sein unermüdlicher Kampfgeist und sein Mut, ohne Selbstzweifel einem Ziel zu folgen. Wir hingegen, hätten irgendwo Geld ausgelihen, einen Kredit aufgenommen. Wahrscheinlicher aber, hätten wir gar nie erst begonnen an unserem Traum zu arbeiten. Es ist bereits dunkel, als ich erneut eine Zigarette anzünde und die PitbullHündin namens Diamond streichle. Seine Musik töne nach Drake, kommentiere ich. Er erzählt mir, wie er vor kurzem Backstage Pässe hatte und darauf brannte, ein paar Worte mit Drake zu wechseln. Er sei hingegangen, hätte seinen Namen genannt und seine Bewunderung für ihn ausgesprochen. «Drake wandte sich an seine Bodyguards: ‹Was macht dieser Motherfucker hier? Nehmt diesen Pisser aus meiner Sichtweite!› Ich bin dann ruhig weggelaufen. Schade, dass er nach kurzer Zeit im Rampenlicht bereits so abgehoben ist. Schade. Aber weisst du was? Ich habe das Gefühl, dass er mir noch einmal begegnen wird.» Neue CD auf iTunes probehören und downloaden: Rags to Fortunes – Five Hunnet


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September 2014

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Ein mittagessen mit Tobey Lucas Donnerstag, 28. August 2014 Von Rainer Kuhn

mir sehr entgegengekommen ist, war, dass ich ja all diese Rocksachen konnte, das heisst, mit den Teenies und den 50jährigen in der Midlife-Crisis konnte ich das alles beibringen. Die konnten danach Pink Floyd und solches Zeugs nachspielen.

Auch dieses Interview aus der Reihe „Rockstars des Alltags“ kommt aus der Brasserie Lipp in Zürich. Wie immer. Dieses Mal ists ein bisschen blöd, weil mein Gesprächspartner tatsächlich sowas wie ein Rockstar ist. Auf jeden Fall auf dem Weg dorthin. Und weil so ein Weg recht lang sein kann, haben wir mal wieder ein grosses Rindsfilet reingehauen. Er etwas leichteres. Ein kleines Rindsfilet. Er ist ja auch schon ein Stück voraus.

Machsts Du das immer noch? Nein. Nicht mehr. Ich hab das etwa fünf Jahre lange gemacht. Danach hatte ich verschiedene Coverbands, wo wir dann auf Hochzeiten Sachen wie "Sweet Home Alabama" und U2-Sachen spielen musste.

Was hast Du denn da gemacht? Hast ja eine Riesennarbe auf der Stirn.

Geht ja noch. "Marmor, Stein und Eisen bricht" wär schlimmer gewesen.

Ich sammle die. Du hast ja auch ein paar.

Ja, schon, aber es war mehr so, dass ich vor allem dann gerne Musik gemacht habe, wenn ich meine eigenen Sachen spielen konnte. Ich hatte gemerkt, dass wenn ich all diese Jobs mache und dann abends um zehn nach Hause kam, dann machte ich keine Musik mehr. Dann hockte ich mit einem Bier vor den Fernseher und schlief ein oder so, ich war auf jeden Fall nicht mehr kreativ. Ich hab mich dann aufgerafft und erst mal mein Studium fertig gemacht. Jetzt arbeite ich Teilzeit in einer Personalvermittlungsfirma, das mach ich total gern, und ich hab wieder Zeit für meine eigenen Sachen.

Ja, aber Deine ist bös. Sieht nach einem Eisenpfosten aus. Es war genau ein Eisenpfosten. War als zehnjähriger mit meinen Jungs aus der Pfadi am rumblödeln, da hat mich einer mit dem Auto über den Haufen gefahren. Das hätte mir allerdings gar nicht viel gemacht, aber es hatte mich durch die Luft geschleudert und bin genau mit dem Kopf auf so einen alten Eisenpfosten geknallt. War alles offen. Hast den Schädel gesehen, hab ausgesehen wie einer aus "Walking Dead". Und meine Mutter wollte dann immer, dass ich diese Kitta-Salbe auftrage, damit die Narbe schön verheilt, aber ich wollte das gar nicht, ich fand Narben immer irgendwie geil und immer, wenn sie aus dem Zimmer ging, hab ich mir die ganze Salbe wieder weggewischt. Mit Erfolg. Sie ist immer noch breit und gut sichtbar.

Und dann sagtest Du dir irgendwann, jetzt mach ich mal ein Album. Ich hab schon ein paar Alben gemacht. Aber noch nie eins unter meinem Namen. Mit wem denn?

Und die da? Die habe ich vor drei Wochen eingefangen, mit dem Velo unterwegs und einer nahm mir mit dem Auto im letzten Moment den Vortritt und hat mich voll erwischt. Meine im Gesicht hab ich seit ich fünf bin. Sonntagmorgen um sieben an die Bettkante geknallt. Hat geblutet wie Sau, und meine Eltern fanden kaum einen Arzt, weil am Vor­ abend der grosse jährliche Ärzteball stattfand und alle noch besoffen am Pennen waren. Irgendein Veterinär hats dann gemacht. Seine Nadel war grösser als seine Hand. Und die am Hals und über der Brust? Das war dann ein richtiger Arzt. Aber Du hast was von der Pfadi erzählt. Wie war denn Dein Pfadiname? Stradivari. Das geht ja noch. Aber wie kamen die drauf? Ich habe Geige gespielt, relativ lange. Aber ich kanns nicht mehr, ich hab mit 20 Jahren aufgehört, das war vor zehn Jahren. Angefangen hatte ich mit fünf, ich war so ein Fernsehkind, und als ich im Fernsehen einen Geigenspieler sah, wollte ich das auch. Ich war mit dem Namen auch ganz zufrieden, ich mein, sie hätten mir ja auch einen Scheissnamen

geben können, "Quickie" oder so, einen Kollegen haben sie "Quickie" getauft, der fand das nicht lustig.

Zeugniss stand dann: Schreiben: 3-4 und in Klammer dahinter "LINKSHÄNDER!" Das gäbe heute ein Riesenaufruhr.

losophie studiert. Das Studium hatte ich selber finanziert, ich hab nebenbei an der Musikschule in Wetzikon Gitarrenunterricht gegeben.

Angefangen hatte ich mit so einer IndieBand, aber wir waren nie richtig bekannt. Obwohl, wir hatten mal bei der M4Music den Rock-Preis gewonnen, aber das war damals nicht so bekannt. Heute gehts ab, wenn Du sowas gewinnst, damals bekamen wir 2000 Franken und ein Föteli. Danach konnten wir aber noch eine Kanada-Tournee spielen, das war noch geil. Wie kamt ihr dazu?

Ich spielte Cello. Geil.

Heute bereue ich, dass ich nicht Cello spielen kann. Ich finds ein schönes Instrument.

Geht so. Ich habs nicht gern gespielt. Aber mein Vater spielte Geige, mein Bruder auch, mei­ ne Schwester ebenfalls, mein anderer Bruder spielte Klavier, und da fanden sie, ein Cello wär noch gut, dann hätten wir ein kleines Kammerorchester. Wurde nichts draus. War auch blöd, ich bin Linkshänder, und wir konnten kein Linkshänder-Cello auftreiben, so musste ich das Teil wie ein Rechtshänder halten. Ich hab dann mit dreizehn mit Tennis angefangen.

... ich hab dann so dieses

Haben sie dich in der Schule nicht gezwungen, rechts zu schreiben?

gelernt.

Doch. Eins mit dem Lineal auf die Finger, wenn ich den Griffel links hielt. Aber kaum hatte sich die Lehrerin umgedreht, hab ich den Stift wieder in die Linke hand genommen. Im

Kinderbuch genommen, «Fridolin», das war so ein lustiger Hase und so habe ich zusammen mit den Kindern Noten lesen

Ich ging immer in die Stunde, am Schluss hab ich noch die "Zigeunerweisheiten" hingelegt, das war quasi mein Abschiedskonzert, an der Maturfeier. Dann ging ich ins Militär und danach hab ich Phi-

Du hast das Konsi gemacht? Nein, nichts, ich bin da total reingerutscht. Da war so ein älterer Lehrer an der Musikschule, der hatte Probleme mit der Hand und wollte drei Monate Pause machen. Nebenan hatte es ein Musikgeschäft, wo einer meiner besten Freunde gearbeitet hat, der hat mir das gesagt und mich gefragt, ob ich nicht einspringen wolle. Dann ging ich also da hin und der andere kam einfach nicht zurück. So stand da mit 15 Schülern, und als ein anderer Lehrer auch noch aufhörte, übernahm ich sein Pensum auch noch und hatte plötzlich dreissig Schüler. Ich musste mich richtig durchschummeln, ich konnte ja keine Noten lesen, ich hab dann so dieses Kinderbuch genommen, "Fridolin", daswar so ein lustiger Hase und so habe ich zusammen mit den Kindern Noten lesen gelernt. Aber was

Das war zu einer Zeit, als es noch MySpace gab, und da passierte uns tatsächlich dieses Märchen, dass uns einer geschrieben hat und uns wegen unserem MySpaceProfil gebucht. Und dann? Dann hatte ich eine andere Band, "Signori Misteriosi", das war eine richtig geile Truppe, das hat extrem Spass gemacht, aber die hatte sich irgendwann aufgelöst, weil alle viel zu viel zu tun hatte. Und jetzt hast Du keine Band? Bist quasi alleine? Ja, jetzt hab ich einfach das Album rausgehauen ... ... man haut nicht "einfach ein Album" raus


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September 2014

Ursprünglich dachte ich ja, ich nehm einfach mal ein paar Songs auf, mit ein paar Kollegen, machen ein paar gebrannte CD's und gehen dann ins Gonzo und schiessen uns ab, das war der Plan. Ja, es war richtig Arbeit. Ursprünglich dachte ich ja, ich nehm einfach mal ein paar Songs auf mit ein paar Kollegen, machen ein paar gebrannte CD's und gehen dann ins Gonzo und schiessen uns ab, das war der Plan. Dann meinte Chris, mit dem ich seit über zehn Jahren Musik mache: Komm, wir machen ein bisschen mehr. Wir machen eine richtige Plattentaufe. Ich dachte ok, und hab mal das Exil gebucht für ein Jahr später. Aber ich hatte noch keine Songs.

passiert? Es beschäftigt dich irgendwie das ganze Leben lang. Und das sind bei mir die späten achziger, frühen neunziger. Und die haben bei mir nur etwas mit meinem Bruder zu tun. Er hatte so eine Schreibunterlage, die hat man ja immer vollgeschrieben, und er hatte all die Bands, die er gehört hatte, da drauf geschrieben, Def Leppard, Marillon, Alice Cooper, Van Halen, die waren alle auf dieser Schreibunterlage drauf und ich musste nur ein Zimmer weiter und konnte mir all die CD's anhören.

Und dann hast Du zehn Songs geschrieben ... Zwölf. Ich hab dann in zwei Monaten zwölf Songs gemacht, musste ja, ich hatte ja das Exil gebucht.

Also eher so die amerikanischen StadionRocker?

hab mich in den Südstaaten niedergelassen. Blues, Country, Rock ... ... Lynyrd Skynyrd ... ... Lynyrd Skynyrd, klar ... ... da treffen wir uns, zum Beispiel "Free Bird", als ich aufgehört hatte mit der Geige und auf Gitarre umgesattelt bin, da waren die Siebziger extrem wichtig für mich, und genau "Free Bird", das Solo am Schluss, das wollte ich unbedingt können, ich wollte nichts anderes mehr können als das ... ... das hatte ich nie. Ich wollte nie etwas "auch" können. Ich hab mir das angehört, ging nach Hause und wollte selber etwas in diesem Stil machen. Nicht dem anderen sein Zeugs nachspielen, ich dachte: Das macht ja schon einer, nämlich der, ich will etwas ma­ chen, dass ich mache. Ich bin halt vor allem auch Gitarrist. Da interessiert es Dich, wie die das genau machen, willst diese Fingerfertigkeit haben, übst, ziehst dich damit vorwärts. Aber es geht mir ähnlich, ich lasse mich auch gerne inspirieren.

Ja, total ...

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Ich find das völlig blöd, ich mach da nie mit. Auch Aerosmith, ich finde die einfach grossartig, ist meine Lieblingsband, auf jeden Fall die Band, der ich am meisten zu verdanken habe, und irgendwie ... ja ... ich bin jetzt vielleicht ein bisschen bös, aber viele Leute, die sich so in Zürich bewegen und so Hippie-Bands haben, mit ganz komischen Instrumenten und so, die finden dann Aerosmith schon etwas wahnsinnig Uncooles, so "das geht dann also wirklich nicht", und die nehmen mich dann auch komplett nicht ernst ... Die sind vielleicht zu jung, um es besser zu wissen. Die sind zum Teil älter als ich. Dann sind sie vielleicht zu dumm, um es besser zu wissen. Ich hab Aerosmith ja vor zwei Monaten in Mailand gesehen. Und weisst Du, das ist dann eben schon noch der Unterschied zu Bon Jovi: Jeder Song noch in der Originaltonart. Es ist einfach noch genau gleich wie früher, und er nagelt es. Ich fand die Balladen am geilsten. "Amazing" zum Beispiel, ein Riesensong mit einem Rie­

Welches war der erste Song, den Du geschrie­ ben hast?

lich was darüber machen, und irgendwie ist es dann vergessen gegangen, und jetzt frag ich mich grad, wieso mir das wieder aufgepoppt ist und wir jetzt zusammen hier sitzen ... ... ich weiss nicht, vielleicht, weil Anna

... viele Leute, die sich so in Zürich bewegen und so Hippie-Bands haben, mit ganz komischen Instrumenten und so, die finden dann Aerosmith schon etwas wahnsinnig Uncooles. Kaenzig kürzlich bei Euch im Kult war, Kaspar hat glaub was gemacht über sie, oder wegen Yonni über Reza oder so, mit denen hab ich Musik gemacht, ich dachte deswegen ... ... keine Ahnung mehr, jedenfalls find ich, Dein Song "Travellin' Through" könnte auch ein Aerosmith-Song sein ... Live kommt der rockiger daher, das wird Dir gefallen.

Es ist nicht chronologisch. Dein Album hast Du in Amerika gemacht? Du hast die Songs parallel geschrieben? Nein, ich hab es hier aufgenommen. Ich wollte alle möglichen Freunde, die auch Musik machen, drauf haben. Aber ich bin dann mit den Aufnahmen nach Amerika und hab es dort mischen und mastern lassen.

Zum Teil, ja. Es war noch witzig, es war ein richtiger Challenge, weil überall wo ich alleine auftrat, wurde ich mit "Singer/Songwriter" angekündigt, und ich fragte mich immer: Bin ich das überhaupt? Ich hatte schon ein paar Songs geschrieben, aber ich wollte wissen, ob ich auch ein professioneller Songwriter sein kann, einer der in einer begrenzten Zeit eine Anzahl Songs abliefert.

Ist das ein grosser Unterschied? Ja. Welcher?

Mit was für Musik hast Du denn angefan­ gen? Was bist Du? Jahrgang 83? dann bist Du ja voll in den Grunge geraten, oder? Bin ich, ja. Aber die grösste Rolle dabei, wie ich Musik entdeckt hatte, spielte mein grosser Bruder. Er ist Jahrgang 69, also ein ganzes Stück älter als ich, als ich auf die Welt kam, war er schon ein Teenager. Und als ich in den Kindergarten kam, das war so Ende Achziger, fing ich an, durch ihn die Musik zu entdecken. Ich hab ihm eh alles nachgemacht, er war mein Held.

... ich bin kein Pinball-Wizard, nein, aber in der Polybar, am Adams-FamilyKasten, dort hab ich den Rekord. Das ist ja auch das Alter, in dem man sich am meisten Beeinflussen lässt. Nicht die Pubertät, es ist die Zeit zwischen sechs und zwölf, in dieser Zeit suchst Du deine Vorbilder, laufen und sprechen kannst Du inzwischen, jetzt willst Du wissen, was die anderen machen. Bei mir war das Woodstock. Ich war acht und hab nicht verstanden, was genau da abging, aber ich wusste, wenn ich gross bin, will ich so sein wie die. In diesem Alter hast du ja soviele Sachen, die sich auf einer Ebene abspielen, die du noch nicht in Worte fassen kannst. Sorry, Psychologiestudium, ist nicht so gemeint, aber in dem Alter hast du unzählige Bilder und Eindrücke, die du drum nirgends ablegen kannst. Also was

... Reo Speedwagon und so ...

Was hat Dich als erstes inspiriert?

senvideo. Oder das Album "Nine Lives" ...

Voll, ja. Ich bin zum Beispiel auch süchtig nach Flipperkasten-Spielen, und ich hab mir mal überlegt, das kommt von daher, aus dieser Zeit ...

Man weiss ja normalerweise nicht mehr viel Sachen, an die man sich aus der Zeit als Kleinkind erinnert. Aber eins weiss ich noch, das war bei uns im Wohnzimmer, ich stand auf dem Marmortisch, hatte wahrscheinlich noch Windeln an, war irgendwie am abtanzen, das Lied weiss ich nicht mehr, aber ich ich erinnere mich daran, diese Verbindung von "Das ist eine Band" und "Aerosmith".

... Das ist sehr gut. "Hole in my soul" ist da drauf, "Pink" ...

... Du bist also der "Pinball Wizard" ... ... ich bin kein Wizard, nein, aber ich habe in der Polybar, am Adams-FamilyKasten ... dort hab ich den Rekord. Oder wenn es mir mal nicht so gut geht, jeder hat da so seine eigenen Tricks, wie er da wieder raus kommt, ich gehe nach Hause, hänge auf die Couch und ziehe mir ein paar Folgen "He-Man and the Master of the Universe" rein. Das coolt mich extrem runter, obwohl das nur so eine verdammte Kindersendung aus den Achzigern ist, aber ich fühle mich wieder wie damals im Zimmer meines Bruders, oder Aerosmith hören geht auch, das ist das, was mich am meisten geprägt hatte, auch wenn ich heute auch andere Sachen höre. Mir geht das mit den alten Hippiesachen so, Joan Baez, Melanie, Bob Dylan, Country Joe Mc Donald. Als dann mitte Siebziger die Punks kamen hat mich das total aufgeregt. Ich dachte, die machen mir alles kaputt, die Die Sonne, die Blumen, die Lieder ... ich fand auch, dass die Punks scheisse aussahen, sah keinen Grund, alles kaputt zu schlagen, ich war einfach in einer anderen Welt. Ich hab dann England musikalisch umschifft und

Ich fand das auch immer eine geile Band. Irgendwie die härtere und rauhere Version von Bon Jovi.

... auf eine eigene Art produziert, und abge­ sehen von den einzelnen Songs: Das Album funktioniert auch als Album. Das interessiert heute aber auch niemanden mehr. Du machst eine Single, schickst sie an die Radios, wenn du Glück hast, kommt er in einem Werbespot. Zu Deinem Album: Ist das auch ein Album? Oder sind es einfach zwölf Tracks auf eine CD gepresst?

Hab ich extrem viel gehört, Bon Jovi ... ... Ist unter Musiker aber gerne mal nicht so cool ... ... nein, darfst du nicht zugeben .... sind aber einfach geile Songwriter ... ... haben auch die geileren Melodien, Jon Bon Jovi hat ein extremes Gefühl für gute Choruses, er hat Ende Neunziger mal ein Solo-Album rausgegeben, ein Riesenalbum ... 1997 war das, weiss noch. "Midnight in Chelsea". War aber etwas kopfig. Samborras Soloalben sind da knackiger, zum Teil auch schwerer. Aber vielen Musikern sind die zu populär, um sie cool zu finden.

Es sind eigentlich schon eher zwölf Tracks, wenn ich ehrlich bin. Das einzig Konzeptionelle an diesem Album ist, wie es entstanden ist. Aber inhaltlich hats kein Konzept. Die Songs sind auch vom Sound her zu unterschiedlich. Die Leute sehen schon eine Linie darin. Ich nicht unbedingt. Ich find schon auch. Mir hats gefallen. Ich weiss jetzt nicht mehr, wie ich zu Deinem Al­ bum kam, ich glaub, es wurde mir vor einem Jahr mal zugeschickt ... Ich habs dir geschickt. Helen Diaz sagte mir, ich solle Dir mein Album schicken. Ich habs dann auch bekommen und es lief auch immer in meinem Auto, ich wollte eigent­

Es ist ganz einfach: Wenn du willst, dass dein Album amerikanisch tönt, dann gehst du nicht zu einem Schweizer und sagst ihm, er soll es so machen, dass es amerikanisch tönt, da gehst du doch besser gleich zum Amerikaner nach Amerika. Ich bin da manchmal sehr schnell. Bei der Musik auch: Wenn etwas gut ist, dann ist es fertig. Dann muss man gar nichts mehr ausprobieren. Da muss man nicht mehr schauen, ob vielleicht das eine oder andere Instrument noch ... nein, ist gut. Fertig. Machen wir den nächsten. Ich bin ja eigentlich ein Blueser, und das ist es ja, was am Blues so geil ist: Technik spielt keine Rolle. Klar, da gibts Typen wie Joe Bonamassa, die einen runternudeln können, aber da gibts Leute wie die Robert Johnson, der hat das ja definiert, der verkackts auch mal zwischendurch, es ist lebendig, deshalb kommt der Schmerz auch rüber, ist echt. Der Schmerz von Bonamassa ist wie wenn du ins Unispital gehst und dir eine Infusion mit einer Salzlösung stechen lässt.


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September 2014

MEIN UNTERNEHMEN – MEINE KIRCHE 7. August 2014 Jelena Keller Wenn sich der CEO mit dem Papst Franziskus trifft, dann sprechen sie über Reglemente, wirtschaftliche Ziele, Führung der Mitarbeiter und vor allem: Profit. Heute aber steht eine Sondersitzung an. Eine teuflische Unzufriedenheit sei im Gange, vermutet man. Weniger im oberen Segment, doch deutlich im unteren Stand. Was zu tun sei? Was schon immer getan wurde. Ein wenig Angst schüren aber viel Hoffnung wecken. Wie in der Politik, sagen sie. Das sei menschlich und funktioniere immer. Dann wird eine neue Strategie festgelegt. Der CEO macht Umstrukturierungen, der Papst macht während schwieriger Zeiten einmal mehr auf die Liebe Gottes aufmerksam. Auch auf die Erlösung, die kommen werde, man müsse nur Geduld haben. Die Mitarbeiter und Kirchengänger denken kurz, von Luft und Zuversicht könne man auch nichts zu essen kaufen, doch ergeben sie sich dann der Zuversicht. Eine andere Idee als zu Vertrauen, haben sie nicht. Später geben sich CEO und Papa auf der Toilette High-Fives für die

alles nach Plan, gibt der CEO Boni ab, der Papst erklärt, der Himmel warte auf gute Bürger. Man verspricht Aufstieg in der Hierarchie oder ins Paradies. Beide nehmen sie den Menschen unter sich die Freiheit zu leben. Beide verteilen sie Anerkennung und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Der Glaube lässt die Schafe glücklicher werden, doch nimmt er ihnen auch die Möglichkeit zu hinterfragen. Der Glaube nimmt ihnen die Eigenständigkeit, selbst zu denken, doch lenkt er wundervoll vom eigentlichen Leben ab, vielmehr gibt er ihnen Halt. Der Preis dafür sind wenig Freizeit nach Feierabend und weniger Geld nach Abzug der Kirchensteuer. Weniger Offenheit, dafür mehr Sicherheit.

rhetorische Exzellenz. Weiter delegieren sie dem mittleren Kader, den Priestern und Managern, was zu tun sei. Sie sagen ihnen nicht die ganze Wahrheit, nur so viel, wie es braucht, damit die Menge in Schach gehalten wird. Läuft

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SEEN IN A SCENE: DER PORSCHE AUS LOCKERE GESCHÄFTE

22. August 2014 Dominik Hug Der Wagen wurde nicht nur richtig gut in Szene gesetzt. Nein, der Porsche in „Lockere Geschäfte“ (orig. „Risky Business“) gab auch in Wirklichkeit eine gute Figur ab. Benutzt wurde ein 1979 Porsche 928. Bekommt man heute ziemlich billig nachgeworfen. Einfach mal die Auktionshäuser abklappern. www.seeninascene.com

Was, wenn die Gläubigen doch nicht in den Garten Gottes kommen und erlöst werden? Was, wenn sie durch Arbeit doch nicht endlich zufrieden und reich werden? Hätten sie das bittere Ende gekannt, hätten sie sich dann anders verhalten? Weniger gehofft und mehr gehandelt?

AUF DEM OLYMP DES ALKOHOLSPORTS 2. Mai 2014 Christian Platz Mein Freund Paul ist Extremtrinker. Eine Zeit lang wurde er von einer kleinen aber taditionsreichen Whisky-Destillerie unterstützt, die im verwunschen schottischen Hochland liegt. Dort oben, wo die Winde über das Grün fegen, wo das Quellwasser rein und pur ist. Wie der rosafarbene Gaumen einer Jungfrau. Dieser erste Sponsoring-Vertrag hat unseren Paul hochgebracht. In die Ränge jener ernstzunehmenden, vollberuflichen und lizensierten Extrem-Alkoholsportler, die sich immer neue Ziele stecken, die immer neue Hindernisse überwinden, deren Berufung es ist, immer mehr, immer länger zu trinken, dabei zu triumphieren – und zu überleben. Dies unter den Augen der Medien und damit auch der Weltöffentlichkeit. Wer in diesem Sport seine Sponsoren behalten will, muss sich zunehmend massiveren Herausforderungen stellen. Immer mächtigere Quantitäten, immer härtere Alkoholika, immer länger aushalten, lautet die Devise. Dafür sollte man schon eine eiserne Leber und eine unglaublich stabile psychische Verfassung mitbringen. Ein Balance-Kraftakt zwischen Zirrhose und Delirium Tremens. Natürlich lieben wir es, wenn wir Paul – oder einem seiner Brüder in Spiritu – am Fernsehen oder auf dem Internet dabei zusehen, wie er beispielsweise, während exakt gestoppten 24 Stunden, elegant und erfolgreich 32 Flaschen Fassabfüllung niedermacht. Und dabei nicht mit der Wimper zuckt. Im Rahmen einer Meisterschaft in jener speziellen Hochoktan-Disziplin des Extremtrinkens etwa, der so genannten Königsdisziplin, wir reden hier von 57 bis 77 Prozent Alkohol. Aber insgeheim warten wir Zuschauer halt auch immer ein bisschen auf den Unfall, auf den Absturz, auf die Tragödie. Natürlich gib es beim Alkoholsport hin und wieder schwere Unfälle, tödliche sogar, Risse in der Leber, Magenblutungen, Schädelbrüche, wenn die Athleten mit schwerem Kopf und ungebremster Wucht auf den Tresen knallen. Mit Tränen in den Augen erinnern wir uns etwa an den erfahrenen chinesischen Alkohol-Athleten Sin-Ka Jun, der beim grossen Preis von Kanada, in der monumentalen Alcodrome-Halle zu Toronto,

sein Leben aushauchte, er hatte gerade die einundzwanzigste Flasche Calvados angesetzt. – Die Schreie, das blutige Erbrochene, die Augen, wie sie aus ihren Höhlen quollen. Bilder, die man nie vergessen kann. Aber in den letzten Jahren wurde vom Weltverband viel für die Sicherheit getan. Dieses Element der Gefahr unterstützt die Dramatik des Alkoholsports, befeuert dessen Attraktivität für ein Millionen-Publikum, das beim riskanten Tanz auf dem Vulkan der hohen Prozente mitfiebert. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, die anmelden, dass Jugendliche sich an den Alkohol-Athleten ein negatives Beispiel nehmen könnten. Doch mein Freund Paul hat in einem berühmten Interview zu diesem Punkt Klartext gesprochen: „Auch unsere jungen Fans wissen, dass wir hoch trainierte und disziplinierte Spitzensportler sind. Es ist ihnen klar, dass die Mengen an hochprozentiger Alkoholika, die ich im Rahmen eines Wettbewerbs zu mir nehme, einen normalen Menschen etwa 16 oder 20 Mal töten könnten. Ich kann diese Leistungen nur erbringen, weil ich körperlich und mental extrem fit bin. Ausserhalb meines täglichen Trainings und der Wettbewerbe nehme ich übrigens keinen Tropfen Alkohol zu mir. Natürlich gibt es immer wieder Spinner, die meinen, dass sie uns ohne propere Vorbereitung nachahmen können. Aber das gibt es beim Extrembergsteigen auch. Es steigen ja immer wieder einmal so

Spinner mit einem Wäscheseil in die Eiger-Nordwand ein. Und niemand macht Reinardt Messer dafür verantwortlich. Irre gibt es halt überall. Aber die meisten Fans des Alkoholsports sind ganz vernünftige Leute. Sie lieben die Spannung, die sportliche Eleganz und die ganz spezielle Stimmung an den Wettbewerben. Sie trinken selber in der Regel massvoll und niemals, bevor sie ins Auto steigen.“ Wie alle seine Alkohol-Athletenkollegen macht auch Paul bei Aufklärungskampagnen mit, die vor den Gefahren von Alkohol am Steuer warnen – oder zum massvollen Umgang mit Suchtmitteln und zum regelmässigen Überprüfen der Leberwerte mahnen. Wer das Extremtrinken vernünftig anpackt, mit einem guten Trainer und einem ebenso guten Team im Rücken, wird eins ganz sicher niemals: Alkoholiker. Auch Paul hat einst natürlich ganz bescheiden in den unteren Ligen des Alkoholsports angefangen. Bereits als Jugendlicher hat er im Ortsverband der Bier-Wetttrinker sein beträchtliches Talent unter Beweis gestellt. „Wir wussten, dass der Junge über Talent verfügt, er hatte von Anfang an ein Händchen für den Alkohol. Wir ahnten, dass er einmal ganz nach oben kommen würde, wenn er nur eifrig und ernsthaft dranbleibt“, so Elisabeth Vennetelli, die Präsidentin seines damaligen Alkoholsport-Vereins. Böse Zügen behaupten, dass Frau Vennetelli ihrerseits – in langen Trainingsla-

ger-Nächten – unseren lieben Paul ausgetrunken habe, dies weidlich, bis jeweils nichts mehr gekommen sei. Sie half Paul jedenfalls dabei, seinen ersten Sponsor zu finden, einen sympathischen Bierbrauer aus Unterdorf, für den er dann so manche Meisterschaft in der jungen Bier-Wetttrinker-Liga gewonnen hat. Bald wurde die Alkoholsport-Förderung des Bundes auf das junge Talent aufmerksam. Und schon folgte der Wechsel ins Profilager. Dabei wählte mein Freund Paul einen ungewöhnlichen Weg. Er ging vom Bier sogleich zur hochprozentigen Alkoholika über. Die Weinliga und die Likörliga hat er einfach ausgelassen. Das war, um einen Vergleich aus dem Automobilsport anzuführen, wie wenn einer von der Seifenkistenliga direkt in die F1 einsteigen würde. Lediglich der Jahrhundert-Alkoholsportler Gustav Brauer aus Bayern hat diesen direkten Wechsel vom Bier zum Brand seinerzeit gemeistert, Jahrzehnte vor meinem Freund Paul. Aber das war noch anno Holz, bevor der grosse Krieg die Welt für immer verändert hat, in den Pioniertagen des Alkoholsports, als es noch zwei Verbände gab. Heute gibt es ja nur noch die T1001, ein Millionenbusiness, kontrolliert vom legendären marokkanisch-monegassischen Krösus Jean Byte, einer ominösen Gestalt, meist leicht schwankend unterwegs. Viele Kenner des Sports haben dem

jungen Paul damals den gnadenlosen Absturz prophezeit. Doch er hat alle Kritiker Lügen gestraft. Gleich am Anfang seiner Karriere hat er den grossen Preis von Aberdeen eingefahren, stieg sodann mit Macht in den dritten Rang des Weltklassements auf. Natürlich wurde er von den Sponsoren und den Groupies umschwärmt. Bald schon reichte seine Frau Heidi-Ruth die Scheidung ein. Sie hatte Paul im Grand Tonic Hotel Biarritz bei einer Sexorgie mit vier jener Alkoholsport-Groupies in flagranti erwischt, die man gemeinhin Tresenluder nennt. Seinem Sponsoren hielt er hingegen jahrelang die Treue, jener kleinen aber taditionsreichen Whisky-Destillerie nämlich, die im verwunschen schottischen Hochland liegt. Dort oben, wo die Winde über das Grün fegen und das Quellwasser rein und pur ist. Wie der rosafarbene Gaumen einer Jungfrau. Als dann allerdings der sechste Weltmeistertitel kam, konnte dieser Kleinsponsor nicht mehr mithalten, die Logistik wurde einfach zu komplex. Also hat Paul sich schweren Herzens für einen der drei Grossen im Sponsoring Pool des Alkoholsport-Zirkus entschieden: “Edward Gold Scotch Whisky”. Mit diesem Sponsor zusammen ist er dann von einem Welterfolg zum nächsten gestürmt. Natürlich hat Edward Gold meinem Freund Paul während all dieser Jahr unzählige Signatur-Ausgaben seines Whiskys auf die Leber gebrannt, die dann ihren Weg in die Duty Free Shops dieses blauen Planeten gefunden haben, mit Pauls Konterfei auf den Etiketten. Letztes Jahr wurde Paul bekanntlich in die Ruhmeshalle des Alkoholsports aufgenommen, in Turku, Finnland. Damit war er endlich auf den Olymp seiner Disziplin angekommen.Doch nun bricht der gute Paul bereits wieder zu neuen Horizonten auf. Er wechselt die Disziplin, als 46-jähriger, das hat es noch nie gegeben. Er sattelt nämlich von Whisky auf Wodka um. Sein neuer Sponsor heisst „Lavrentiy Pavlovich Beria Wodka“. Ich bin sicher, dass mein Freund Paul auch diese Herausforderung hervorragend meistern wird. Unter den kritischen Augen der Weltöffentlichkeit, der Kenner, der Tresenluder und der Fans. Ich wünsche ihm alles Glück dieser Welt – und darüber hinaus!


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September 2014

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STRONGER 8. Mai 2014 Midi Gottet Wenn ich heute das Wort „Stronger“ nur schon höre, kriege ich einen spontanen Milchsäureeinschuss. Wieso? Sie wollen wirklich wissen wieso? Weil die schlaffen Muskeln unter meiner Männer-Orangenhaut während diesen 45 Minuten der Verdammnis so viel Milchsäure produzierten, dass sogar Rivella Rothrist bei mir anrief, um günstig etwas Rohstoff für ihre Produktion zu kaufen. Dabei wäre doch der Indigo Fitness Club Zürich so schön. Club Manager Diego Menzi führte mich kurz vor dem High Noon-Ansturm herum, bot mir Wasser oder einen Kaffee an und stellte mich meinen beiden Trainern Chris und Nicola vor. Ich fühlte mich wie Pinocchio, als er im Schlaraffenland ankam. Nur sollte ich mich hier nicht in einen Esel verwandeln, sondern in meinen inneren Schweinehund. Quiiitsch! Wuff! Beim Stronger wird der Muskel bei jeder Übung in die totale Erschöpfung getrieben – und zwar innert 90 Sekunden. Danach kriegt man jeweils 60 Sekunden zur Erholung. Farewell, oh so geliebte Komfortzone. Nicola und Chris gaben abwechslungsweise den Tarif durch. Als ob ein Peiniger allein nicht ausgereicht hätte, um ein paar Lunch-Schwänzer weich zu klopfen.

Nicola liess uns im Warm up je eine Minute Schattenboxen, den Po anfersen, an Ort und Stelle sprinten und CanCan tanzen. Im zehn Sekunden Intervall machten wir alles oberer Anschlag intensiv. Ich wusste nicht, ob ich die minütigen Pausen zum Luft holen oder trinken benutzen sollte. Ich entschied mich fürs atmen. Danach liess uns Chris vier mal eine Minute hüpfen. Hin und her, auf und ab, mit den Zehen nach oben, vor und zurück, Strecksprünge. Jeweils 30 Sekunden langsam, und 30 Sekunden schnell ausgeführt. Bei mir wurde aus „schnell“ ziemlich schnell gleich schnell wie langsam – also Variospeed. Weiterhin versuchte ich aber gute Miene zu sehr bösem Spiel zu machen, denn Diego schoss die ganze Zeit Bilder von meiner leidenden menschlichen Hülle

für die Indigo Facebook-Seite. Wieso gab ich bloss meine Zustimmung dazu? Die Erholminuten nutzte ich diesmal zur Flüssigkeitsaufnahme. Zum Glück schenkte mir Diego vor der Folter noch ein grosses Wasser mit Trinkverschluss, denn ich hatte, wie schon so oft, meine Trinkflasche zu Hause vergessen. Die ersten zehn Minuten waren durch. Das war, wohlverstanden, das Warm up – und ich war nicht nur warm, sondern überhitzt. Dieses Muskel-zur-totalen-Erschöpfung-bring-Konzept hat bei mir schon prima gegriffen. Bravo Leute, bravo. Jetzt war ich nur noch genau elf fiese Übungen vom Dampfbad entfernt. Ach was, ich war das Dampfbad, verkleidet als Midi Gottet. „Also, ihr Indigo-Peiniger, bringen wirs hinter uns.“, dachte ich. „Was habt ihr auf dem Kasten um

mich zu bodigen?“ 1. Liegestütze auf Stepper: #eigentlichMeine Lieblingsübung, #jetztNichtMehr 2. Enges Rudern bis unters Kinn mit Langhantel (30kg): #SchaffteEsNichtMalBisUntersDoppelkinn, #Puddingarme, #SchweissperlenAufStirnAlarm, #erstesSelbständigMachenDesStimmorgansVerzeichnet 3. Schulterstämmen mit Langhantel (30kg): #90 Sekunden=Ewigkeit, #TunnelblickInSpiegelVorMir, #nichtMögenWasIchDortSehe, #Damoklesschwert, #ChrisStand-by-Modus, #help 4. Nackenziehen mit Langhantel (30kg): #Gesichtsverlust, #Gewichtsverlust?, #Sinnkrise, #MundhöhleGoesDürreperiode, #ChrisImmerNoch Stand-byModus, #besorgt 5. Trizepsstütze am Stepper: #KörperspannungAde, #stoischesInDieFerneStarren, #PosingFürFacebookAde, #HintererOberarmInFlammen, #Sinnkrise2 6. Bizeps-Curls mit Langhantel (20kg): #DefinitivNichtsMehrLustigFind, #Langhantelhass, #WunschNachSchreitherapie, #spontanesPraktizierenVonSchreitherapie, #Schamgefühl 7. Ausfallschritt mit Langhantel (20kg) im Nacken: #SchweinehundImNacken, #PhyrowatteImOberschenkel, #EinsSeinMitWackelpudding, #Menta-

lesVerfassenVonTestament 8. Kniebeuge mit Langhantel (20kg) über Kopf: #DefinitiverLanghantelhass, #Hohlkreuz-Eldorado, #StabilWarGestern, #Sinnkrise3 9. Stützposition: #absolutNullErinnerungAnDieseÜbung, #WasImmerEsWar, #warBestimmtBorderlineSchmerzhaft 10. Reverse-Crunches oder das sympathische BauchmuskelübungsBouquet: #MeinSixpackKannMichMal, #Ranzen-Napalm-Hölle, #Mami-NicolaIstGanzFestGemeinZuMir, #Bleifüsse, #Erdanziehung=blödeErfindung, #MasochismusAhoi 11. Burpeeeeeeees!!!!!!!!!: #In DerHölleIst’sBestimmtSchöner, #AchWas,DasHierIstDieHölle #IchHas seAlleMenschen,DieNicolaUndChrisH eissen, #Diego-hörAufMeineRoteBirneZuFotografieren, #LifeSucksBigTime, #90SekundenSindBestimmtVielKürzer, #Grundgütiger-wiesoGeradeIch?, #WTMF? Tja und plötzlich wars vorbei und ich fand mich, heftig japsend, im Dampfbad wieder. Das Einshampoonieren meiner Haarpracht wurde zur zwölften Übung und sogar die, vom Indigo zur Verfügung gestellten, Ohrenstäbli waren schwer wie Hanteln. Ich glaube, ich brauche einen neuen Job. RestaurantTester oder so.

ELFEINHALB TECHNO-TRACKS AUS DER ZEIT, ALS ES TECHNO NOCH GAR NICHT GAB 11. August 2014 Henrik Petro Nein, liebe Leserinnen und Leser, die Street Parade und ihre Musik gibt es nicht schon 100 Jahre! Tatsächlich wurde die Parade erstmals 1992 in Zürich durchgeführt, um diese neuartige Musik und ihre Wirkung auf das Wohlund Tanzbefinden einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Damals war Techno nämlich ganz, ganz neu. Also fast. Den Begriff «Techno» verwendete man damals zwar schon genau ein ganzes Jahrzehnt – allerdings für etwas andere Musik. Dass in jenen Tracks aber die Gene heutiger Unz-Unz-Hymnen bereits vorhanden waren, zeigt diese Aufstellung. 1. Jean Michel Jarre «Oxygène IV» (1976) Wir schreiben das Jahr 1976: Lange vor Daft Punk, David Guetta, Bob Sinclair, Étienne de Crécy und und und geben die Franzosen den Ton an. Sie erfinden als erstes sozusagen den Vorläufer von Trance. «Oxygène» ist ein InstrumentalAlbum, das von Jean Michel Jarre komponiert und produziert wurde und im Juli 1977 weltweit erscheint. Das Album verkaufte sich rund 12 Millionen Mal (eines davon kaufte meine damals 28-jährige Mutter). 2. Kraftwerk «Trans Europa Express» (1977) Die Deutschen haben nicht nur das Automobil erfunden, sondern auch die elektronische Popmusik. Die 1970 gegründete Avantgarde-Band aus Düsseldorf veröffentlicht 1977 ihr inzwischen 7. Album. Rückblickend geradezu revolutionär klingen heute die synthetischen, repetitiven und vor allem sehr tanzbaren Beats dieses Albums. Es folgen leider nur noch drei echte Studioalben, wovon aber zwei (nämlich «Die Mensch Maschine», 1978 und «Computerwelt», 1981) unbestritten Meilensteine der elektronischen Musik werden, wie übrigens auch die Maxi-Single «Tour de France», 1983. «Die Mensch Maschine» war mein allererstes, selber gekauftes Album und prägte mich für den Rest meines Lebens.

heit dieses Liedes ist die 6/4-Aufteilung der Basslinie zu nennen, welche gegen den 4/4-Rhythmus gestellt wird, eine für die Popmusik ungewöhnliche Form der Polyrhythmik. Chunsch druus? Steht jedenfalls so in Wikipedia.

3. Telex «Moscow Disco» (1979) 1979 ist das Jahr, in dem erstmals das musikalische Talent der Belgier europaweit Beachtung findet. Ursprünglich als Spass-Gruppe 1978 gegründet, mischt das Trio verschiedene musikalische Stile, darunter Punk, Disco und Synthiepop und verwendet ausschliesslich elektronische Instrumente und Vocoder (inzwschen abgelöst durch und besser bekannt als Auto-Tune-Plugin). «Moscow Disco» ist ihr erster selbstgeschriebener Track. Telex vertreten 1980 ihr Land am Eurovision Song Contest. 4. DAF «Der Mussolini» (1980) 1980 befinden wir uns kurz vor dem Höhepunkt des kalten Krieges (der 1984 erreicht wird) – es herrscht wenig Freude. Die Jugend ist unzufrieden mit dem Establishment, es mangelt an alternativen Lebenskonzepten. In Zürich beginnen die «Opernhauskrawalle». Es ist die Stunde politisierter Bands wie DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft). Die Düsseldorfer Elektropunker werden wohl eher unfreiwillig Mitbegründer der neuen Deutschen Welle, der wohl kreativsten und experimentierfreudigsten Strömung in der Deutschen Popgeschichte. Während die NDW vor allem bespassen will und mit Dada und Gaga

flirtet, haben DAF eine Botschaft – was den Titel so einzigartig energetisch macht. Ihr «Der Mussolini» wird zum tanzbarsten Deutschen Track jener Zeit. 5. Yello «Bostich» (1980) Wer hats erfunden? 1980 sind die Schweizer nicht nur (noch) Weltspitze im Skifahren, sondern spielen auch musikalisch ganz vorne mit. Anders als DAF sind aber Dieter Meier und Boris Blank ganz und gar nicht politisch, sondern multimediale Künstler durch und durch. Bereits die zweite Single «Bostich» wird ein internationaler Clubhit – auch heute noch ein Masterpiece der Musikproduktion. Die grössten Erfolge werden später «Oh Yeah» und «The Race», die noch immer in jeder zweiten HollywoodKomödie zu hören sind. 6. Liaisons Dangereuses «Los Niños Del Parque» (1982) Das Spin-off eines ehemaligen DAFMitglieds, Liaisons Dangereuses, veröffentlicht 1982 «Los Nińos Del Parque» (deutsch: Die Kinder vom Park). Los niños del parque ist eine der meistverkauften Underground-Singles in Deutschland und später aufgrund der markanten Bassline, die mit dem Korg MS-20 erstellt wurde, vielfach gesampelt worden. Als recht eigenwillige Besonder-

7. Front 242 «U-MEN» (1982) Im selben Jahr lassen wieder Belgier von sich hören. Front 242 aus Brüssel ist eine der ersten Elektronik-Bands der 1980er Jahre und gilt für diese Zeit als Aushängeschild der Electronic Body Music (EBM). Sie werden bis heute als Inspiration oder gar als direktes Vorbild für zahlreiche EBM- und Electro-Combos genannt. Auf der Single «U-MEN» (sowie dem brillianten Album «Geography») prägt der neue Lead-Sänger Jean-Luc De Meyer den typischen Front 242 Sound. 8. New Order «Blue Monday» (1983) 1983 kann man getrost als das Jahr feiern, in dem die kontemporäre elektronische Clubmusik ihren Durchbruch feierte (alles zuvor war bloss eine Art experimentelles Vorspiel). New Order legten mit «Blue Monday» den Grundstein zur heutigen minimalistischen und puren elektronischen Tanzmusik: harte, repetitive Beats, dominante Bässe, simple Melodien und Harmonien sowie ein Songaufbau, der noch 30 Jahre später funktioniert: 9. Laid Back «White Horse» (1983) Eine besondere Perle erscheint ebenfalls 1983: Auf der B-Seite der Single «Sunshine Reggae» von Laid Back (Deutschland Platz 1, Schweiz Platz 9) entdecke ich den Track «White Horse». Dabei handelt es sich um Electrofunk vom Feinsten, der wahrscheinlich in 5 Minuten geschrieben und in 15 Minuten eingespielt worden ist. Während die Single «Sunshine Reggae» in den USA floppte, entwickelte sich die B-Seite White Horse, ein gegen Heroin gerichteter Song mit einer eingängigen Basslinie, in den dortigen Clubs zum Hit. Unterstützung erhielten Laid Back von Prince, der einer gemeinsamen Veröffentlichung des Tracks auf

einer Maxi-Single zusammen mit seinem Song «When Doves Cry» zustimmte. 10. Anne Clark «Our Darkness» (1984) Diesen Track – zumindest als Instrumentalversion – könnte man heute wohl an jeder Electroparty spielen und 9 von 10 würden glauben, dies sei der neuste Underground-Hit aus Berlin. Mit gleich zwei Hymnen im selben Jahr («Our Darkness» und «Sleeper in Metropolis») setzt sich die Londoner Wortpoetin und Ikone des Teenager-Weltschmerzes, Anne Clark 1984 ein musikalisches Denkmal zu Lebzeiten. Und verursacht mir jedesmal wieder Gänsehaut. 11. Cabaret Voltaire «Sensoria» (1984) Bereits die Namensgebung verrät, dass diese Musiker aus Sheffield einen hohen intellektuellen Anspruch haben – auch musikalisch. Die Tracks in ihrer Hochblüte (1983-1987) sind komplex, synkopisch und sehr detailreich ausgearbeitet. Zusammen mit den kommerzielleren «Art of Noise» und unseren «Yello» sind es diese drei Bands, die die damals neue technische Möglichkeit des Samplings erstmals bis an ihre Grenzen ausloten. Laut Wikipedia gelten Cabaret Voltaire «als essentiell für die Entwicklung des Detroit Techno». Ehrennennung: Diesen Track als Meilenstein in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik zu bezeichnen, wäre wohl arg in den Hintern gekrochen. Aber wer hätte damals geahnt, dass aus diesem jungen Kerl mit Hut nicht nur einer der erfolgreichsten DJs aus Deutschland werden würde, sondern auch einer der wichtigsten Produzenten und Clubbetreiber? 1986 noch unter dem Namen OFF und zusammen mit Michael Münzing und Luca Anzilotti (die beiden späteren Produzenten von «Snap!» gelten als Erfinder des Eurodance) verdiente sich Sven Väth mit «Electrica Salsa» die ersten ChartsSporen. Weitere Hintergrundinfos: http:// de.wikipedia.org/wiki/Techno


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September 2014

BAUER, LEDIG, SUCHT – DIE LEBENSWEISHEITEN DES ANTON 15. August 2014 Dominik Hug Ich könnte jetzt sagen, dass Rainer Kuhn mich beauftragt hat, Artikel über “Bauer, ledig, sucht” zu schreiben. Könnte ich machen, ja. Aber ehrlich, ich schaus freiwillig. Weils so herrlich doof ist. Weil ich gerne Menschen in peinlichen Situationen beobachte. Und weil hölzerne Dialoge ausgesprochen von Bauern so herrlich urchig wirken als wäre eine Amateur-Theatertruppe am Werk, wirkt speziell Bauer Anton so herrlig daneben. Der 47jährige Bauer aus dem Kanton Luzern, der sich am liebsten mit Tiermotiven kleidet, ist ein Philosoph – oder wäre es zumindest gerne. Hier seine bisherigen Greatest Hits. “Der Mönsch isch es Herdetier und zunere Herde khöre mindeschtens zwööi.” “S Läbä isch es Gäh und es Näh.” “Gut Ding will Weile haben.” “I muess da die Ärdstrahle abstellä.” “Dr Wolf isch es Herdetier.” “Dr Chupferdraht hani müesse häre tue demit du guet chasch schlafe.” “D Liebi isch wienä Pflanzä. Vo Tag zu

Tag muess sie wachse.” “Wenn ich wött mit ere Chueh es persönlichs Gspräch füehre sag i ihre “Paula, mir müesse zämme redä”. “Meh sött ja eigentlich, wenn meh äs Tier het, uf d Gebärdesprach vom Tier lose.” “Me cha im Alltag öpis lerne und meh isch nie usglernt.” “Me muess sich ja immer erscht könnelerne wenn meh mitenander ztüe het.” “Dr Grossvater het aube gseit, wenn d öpis nid chönsch, probiers.”

DIE TOP 5 DER ANSAGEN VON ELTERN, DIE SICH TROTZ ROLLATOR AUF DIE DATENAUTOBAHN WAGEN

Platz 4: «Duu, das Internetz isch scho wieder kaputt!»

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UND WAS HAST DU SO? 22. Juli 2014 Jelena Keller Kennt ihr das, wenn ihr nach vielen Jahren wieder einmal Bekannte oder alte Freunde trefft. Sei es an einem Klassentreffen, an einem Geburtstag oder sonst einer Veranstaltung. Automatisch fühlt man sich zu denen hingezogen, welche man früher gut kannte. Man freut sich anfangs, mustert natürlich, ist gespannt auf die Lebensgeschichten. Voller Erwartungen lässt man sie reden. Und sie erzählen vom gleichen Job wie vor zehn Jahren, manche haben zusätzliche Kurse besucht und dürfen nun Lehrlinge ausbilden, manche haben die Berufsgattung gewechselt. Dann erzählen sie vom Auto, es sei nicht mehr der alte Punto, sondern ein Audi, von der Eigentumswohnung und der neuen Einrichtung. Dann noch wie toll die teure Hochzeit mit 300 Leuten war. Natürlich auch der freudig entgegengestreckte Diamantring. Manchmal von Nachtklubs, in denen man zusammen vor ebenfalls fünfzehn Jahren abhing. Man hat den Eindruck, dass ihre Jugend viel interessanter war als ihr Jetzt. Manchmal sprechen sie noch über die Familie. Sehr gerne über andere Leute. Doch meist handelt es sich um Dinge. Um Besitz. Dann fragen sie: „Und was machst du so?“ Aber eigentlich wollen sie sagen: „Und was hast du so?” Ich antworte: „Nichts, ich besitze nichts dergleichen. Ich habe kein Auto, ich habe keine Wohnung. Ich habe nur einen Hund und ein paar Bücher.” Sie schauen ganz verdutzt und mitleidig, denken, ich hätte mein Leben vergeudet. Sie klopfen sich in Gedanken auf die Schulter und sagen: ” Puuh. Zum Glück habe ich gespart, immer schön gearbeitet, war nie in finanziellen Schwierigkeiten, habe mein Leben geplant und erfolgreich gemeistert.“ Ich erzähle dann von ständig wechselnden Hobbies, vom Studium, von den vielen verschiedenen Jobs, vom Nichtstun, von der Liebe, den Trieben, dem

Nahtod, den gefährlichen Situationen, der Mittellosigkeit, der Verzweiflung, der Umorientierung, den Fehlern, den Begegnungen mit vielen Menschen, dem steten streben nach Wissen und dem Leben als jemand, der alles anfängt und nichts beendet. Sie schauen zuerst fassungslos, dann fragend. Zu gerne hätten sie sich mit mir über etwas Anderes unterhalten. Sie denken, meine vielen Jahre seien einfach verpufft, nichts hätte ich mir aufgebaut. Welch verantwortungsloses Verhalten. Ich sei doch schon immer so eine gewesen. Eine mit dem Kopf in den Wolken. Eine, die sich nicht verändert hat in all den Jahren. Ich sehe ihnen ihre Gedanken an, doch ich lächle. Wie manch einer, weiss ich, was es heisst krank zu sein, davon zu träumen, im Sonnenschein schwimmen zu gehen. In der Einsamkeit des dunklen Zimmers fast zu verzweifeln. Ich weiss, was es heisst, keinen Job zu haben, zu dem man mit dem Audi hinfahren könnte, wenn einen Existenzängste quälen. Ich weiss, was es heisst, einen geliebten Menschen zu verlieren. In solch düste-

ren Zeiten hatte ich mir noch nie eine schönere Wohnung oder ein besseres Auto gewünscht, denn helfen, hätten sie mir sowieso nicht können. In schwarzen Momenten mache ich die Augen zu und denke an all die schönen Reisen, die Lacher mit Freunden, Meeresbrisen mit Wind im Haar, das Kribbeln im Bauch in unvorhergesehenen Situationen und dem Gefühl, das Glück sei für die Ewigkeit an meiner Seite. Dies gibt mir die Gewissheit, dass das Leben absolut wundervoll sein kann und dass ich Schwierigeres überstanden habe. Meine Erinnerungen, Risikobereitschaft und wenig materieller Besitz geben mir Freiheit und Unabhängigkeit. Ich fühle mich sicher im Leben, man kann mir nichts wegnehmen, denn um glücklich zu sein, brauchte ich nur mich und meine Gedanken. Dann frage ich: “Was ist deine Leidenschaft?” Und sie wissen das erste Mal keine Antwort. Ich lächle, denn ich weiss, der Audi lässt sich nicht ins Grab nehmen. Meine Erfahrungen allerdings, begleiten mich überall hin.

REKLAME, DIE WIR GERNE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: BLICK VS. NZZ. w a r i c h still-

21. März 2014 Kaspar Isler Sind Sie ein Bäckermeister? Verdienen Sie Ihre Brötchen als Dekorationsgestalterin oder haben Sie sich für eine Laufbahn als Sportlehrer entschieden? Sobald Sie die Schwelle des Heims Ihrer Erzeuger übertreten, spielt das überhaupt keine Rolle mehr. Mit dem Schritt ins traute Elternhaus werden Sie automatisch zum Computer-Spezialisten – ob gewollt oder nicht. Zumindest wenn Sie vor 1995 geboren wurden, dürfte Ihnen nachfolgende Top 5 der Ansagen von leicht computerbehinderten Eltern durchaus bekannt vorkommen:

Platz 5: Per SMS: «Hoi, ich ha der grad es Emäil gmacht»

Platz 3: «Wo muessi jetzt dä U-B-S-Schtick inetuä?»

Platz 2: «Was PDF-Drucker uswähle? Mir händ nur ein Drucker und de isch vo Känon!»

Platz 1: «Hoi Liebä, ich han en neue Läptop poschtet. Wettsch zum Znacht cho?» Helfen Sie Ihren Eltern und lachen Sie dabei herzhaft – im dankbaren Bewusstsein, dass sie ihnen so ziemlich alles andere beigebracht haben.

18. August 2014 Reinhold Weber “Wir haben die gescheitesten Leser” vs. “Wir die dümmsten, aber die kaufen wie blöd” als Antwort darauf. Ich habe selten etwas Besseres und Witzigeres gesehen und mich halb totgelacht damals in den Neunzigern. Und ich habe dem Röbs Stalder, dem Texter der Blick-Zeilen, glaubs einen oder zwei Ballantines spendiert in der “Kunsthalle” in Basel. Auf die NZZ-Kampagne

schweigend nur neidisch. Heute komme ich nicht mehr so oft zum Anstossen. Häufiger stelle ich mir die Frage: Warum eigentlich machen Verlage gegenwärtig keine schlaue Werbung mehr für ihre Blätter? Machen die überhaupt noch welche? Für ihre Redaktion? Für ihre Inseratseiten? Solche, die mir auffällt? Die ich spannend finde? Die ich kapiere? Die mir gefällt?

Solche, wo ich sage: Das, was die mir gesagt haben, haben die mir aber gut gesagt? Klar, in den Verlagshäusern sind mittlerweile die Erbsenzähler am Drücker. Aber an den Kosten kann es ja wohl nicht liegen. Ein paar sauber gedachte und sauber typografierte Zeilen genügen. Wie man sieht.


Amanda Ammann unterstützt VIVES. www.vives.ch Dieses Inserat ist möglich, Dank einem Engagement von KULT, SPAR und AMMARKT.

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Ein Schweizer Familienunternehmen seit 1989.


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DIESE KRÖTEN GEHEN DIR AN DIE KLÖTEN: DIE VON ALLEN TRIEBTÄTERN SCHON LANGE HERBEI­ GESEHNTE TOP5 DER GEILSTEN TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES IM NETZ

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LEBST DU SCHON ODER WARTEST DU NOCH?

12. August 2014 Midi Gottet. Na ja, die Letzten werden die Ersten sein – beim “Für eine Hand voll Kröten-Contest”.

27. August 2014 Jelena Keller Das ganze Leben mit Warten verbracht. Zuerst darauf gewartet in die Schule zu kommen, dann darauf endlich gross zu werden. Nach dem gross werden darauf gewartet Geld zu verdienen. Als man gemerkt hat, dass Geld Wochenenden nicht ersetzt, hat man dann auf Freizeit gewartet. Gewartet auf das Wochenende, an dem man die Verantwortung der Erwachsenen wieder abgeben kann. Gewartet auf Ferien, auf Weihnachtsgeld, auf den eventuellen Überschuss Ende Monats. Warten auf berufliche Anerkennung, auf die Karriere, auf eine bessere Wohnung und ein besseres Auto. Am Montag wird auf Freitag gewartet, am Freitag auf Samstag, weil man dann nach dem Ausschlafen fitter ist. Man stand auf und war noch immer müde. Also wartet

man aufs Wohlbefinden, bevor man sich zu sehr für etwas engagiert. Man wartet auf die Wäsche in der Maschine, wartet auf die liebste Fernsehserie. Ist die eine Folge vorbei, wartet man auf die nächste. Später auf die Frau, die stundenlang im Bad hockt, um dann wieder etwa gleich auszusehen. Man wartet darauf endlich aus dem Haus zu kommen. Doch das Wetter war schlecht, da wartete man auf die Sonne. Im Winter allerdings, bevorzugt man das Warten auf die Hitze. Ist sie erst da, wartet man auf Herbstregen und kühle Brisen. Auf die grosse Liebe wartet man ein Leben lang. Man wartet darauf, dass die Kinder gross werden, so hätte man endlich mehr Zeit für verrückte Freiheiten. Sind sie erst mal aus dem Haus, wartet man sehnsüchtig darauf, dass sie zum Mittagessen vorbeikommen. Man wartet auf die Zeit in der man wird

REKLAME, DIE WIR GERNE ÖFTER SÄHEN, HEUTE: THE ADVENTURE WORLD.

1. September 2014 Reinhold Weber. Und kurz nach dem 30 Meter hohen Loop wird uns auch noch grau vor den Augen.

Reisen können, doch ist man erst einmal pensioniert, ist einem gar nicht mehr nach Reisen zumute, das Knie schmerzt, der Jetlag zehrt am alternden Körper. Nur auf den Tod, auf den wartet man nicht. Dann wartet man auf ein Zeichen, dass man nicht wird sterben müssen, dass man das Leben irgendwie austricksen kann, endlich ein bisschen mehr geniessen darf. Das Zeichen kommt als lachender Sensenmann mit schwarzem Umhang. Seine tiefe Stimme sagt ruhig und herablassend: „Du bist also der, der sein Leben mit Warten verbracht hat. Nichts weiter als Warten.“ Und wieder erwartet man etwas – nämlich, dass er möglichst bald von dannen zieht. Letztendlich kommt die Gewissheit im Leben, immerhin statt mittendrin, nun zum Schluss: Man hat ausgewartet.

ZÜRCHER STRICHPLATZ 50 PROZENT ERFOLG­ REICHER ALS BUDGETIERT

27. August 2014 Reinhold Weber. Wie gestern an der Jahrespressekonferenz verlautete, kostet der Betrieb des Strichplatzes in Zürich-Altstetten mit seinen neun Verrichtungsboxen nur 280 000 Franken oder 50 Prozent mehr pro Jahr als budgetiert, da auf dem Gelände jeweils mehr amtl. Sexworkenden-BetreuerInnen als Sexworkende anzutreffen seien. Wir gratulieren zu diesem Erfolg.


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10J_RCKSTR_Inserat_290x440_Kult Freitag, 5. September 2014 15:08:25


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September 2014

BEIM STRETCHING ERWISCHT: DIE FRISCH ABGESCHÖPFTE TOP5 DER SCHÖNSTEN MENSCHEN IM NETZ BEI DENEN WIR UNS GERNE MAL EINEN LITER MILCH AUSLEHNEN, WEIL SIE SO SCHÖN IHRE SEHNEN DEHNEN 3. September 2014 Midi Gottet. Diese Fotostrecke wird hier nur aus medizinischen Gründen gezeigt und hat nichts damit zu tun, dass wir eine Hand voll niederträchtiger Klickhuren sind. Okay? Und jetzt alle miteinander! Fünf, sechs, sieben, acht und D E H N E N……

Seite einundzwanzig

In Causa Müller 3. September Pete Stiefel. Ich bin kein Freund von Geri Müller, weder Freund seiner Partei, noch seiner Politik. Aber das tut hier überhaupt nichts zur Sache. Ich kenne Herrn Müller nicht persönlich und nenne ihn deshalb auch nicht Geri (schliesslich bin ich nicht per Du mit ihm – sind Sie’s etwa?). Und ich spreche schon gar nicht vom #gerigate. Denn Häschtäg Gerigate ist Blick am Abend Niveau. Oder Apéro Journalismus, wie dies kürzlich jemand bezeichnete. Ich begegne dem Protagonisten in seiner unrühmlichen Geschichte mit Respekt – ganz einfach, weil er es nicht anders verdient hat. Schon wieder ein Artikel über Geri Müller? Ist nicht langsam genug über diese Geschichte gesprochen worden? Ja, ist es in der Tat – wenn man all die hetzerischen Storys in der nationalen (und mittlerweile internationalen) Medienlandschaft anspricht, dem rollenden Denunzianten-Express, auf welchen bis dato beinahe alle aufgesprungen sind, und den man scheinbar nicht mehr stoppen kann. Nein, ist es hingegen nicht, noch lange nicht, wenn man faire, Hintergründe beachtende und berücksichtigende publizierte Artikel meint. Ich verfolge die Angelegenheit seit dem ersten Tag mit grossem Interesse. Und mit steigendem Ärger darüber, mit welcher Respektlosigkeit mit Menschen umgegangen wird. Richtig: Personen des öffentlichen Lebens besitzen per Definition einen geringeren Anspruch auf Privatsphäre als Otto Normalverbraucher. Aber, und hier liegt ein springender Punkt: Auch eine prominente Persönlichkeit hat Anrecht auf Intimsphäre, und dass anständig mit ihr umgegangen wird. Genau diese Grenze wird in zunehmend drastischem Masse überschritten. Von Medien, welche in ihrer Abhängigkeit von Leser- und Zuschauerzahlen, im täglichen Kampf um Primeur und Schlagzeile immer weiter gehen und vor immer weniger zurückschrecken – auch nicht davor, Gesetze zu brechen. Journalisten hingegen verstecken sich hinter dem Quellenschutz und halten die Pressefreiheit für das höchste Gebot. Im Fall Geri Müller haben sich eine Grosszahl (um nicht erdrückende Mehrheit sagen zu müssen) der Medien darauf eingeschossen, die Person Müller systematisch zu demontieren. Ein Zurück gibt es aus dieser Spirale nicht. Auch nicht für ihre Zulieferer und Informanten. Das haben schon zahlreiche Vorgänger Müllers zu spüren bekommen. Im besten Falle wird ein solches Opfer eines Tages vor dem Richter rehabilitiert, darüber wird eine Kurznotiz verfasst, und der Geschädigte bleibt dann auf dem Scherbenhaufen seiner Persönlichkeit sitzen. Er versucht, möglichst schnell wieder aufzustehen und weiterzumachen. Im angestammten Beruf, oder vielleicht auch als Aussteiger irgendwo im Ausland auf einem Bauernhof. Die Medien aber alleine verantwortlich zu machen, wäre gleichermassen vermessen wie falsch. Steigbügelhalter für eine erfolgreiche öffentliche Demontage einer Person sind unkritische Konsumentinnen und Konsumenten. Ihren Hunger gilt es zu nähren. Im Zusammenhang mit Müllers Selfie-Geschichte treten verschiedenartigen Kategorien auf: Der Konservative
„Es gehört sich nicht, Nacktfotos zu erstellen. Schon gar nicht, diese anschliessend jemandem zu zeigen. Und erst recht nicht, diese Sauerei in einem öffentlichen Gebäude zu veranstalten.“ Die Ansicht, dass menschliche Geschlechtsteile etwas Ekelerregendes sind, darf man haben. Was man hingegen nicht darf: Sie jemandem aufzudrängen, ein Kind damit in seiner natürlichen Entwicklung zu beeinträchtigen – und erst recht nicht, jemanden zu verurteilen,

weil er seinen Penis nicht bloss zum urinieren braucht. Der Moralist
„Das ist doch einfach gruusig, das hätte ich nie von einem Stadtpräsidenten erwartet! In solch einem Amt kann man sich so etwas einfach nicht leisten.“ In der Tat: Man hat in den wenigsten Fällen auch nur einen winzigsten Schimmer, was sich im Privatleben einer Person alles abspielt. Sei es nun Abartiges oder völlig Normales. Es hat Unbeteiligte auch einen Dreck zu interessieren, was man selber so treibt. Solange man dabei keine Grenzen überschreitet, die nicht überschritten werden dürfen. Wer den Mahnfinger erhebt, lenkt dabei eventuell bloss von sich selber ab und ist insgeheim froh, dass nicht schon das eine oder andere eigene pikante Detail an die Öffentlichkeit gelangt ist. Der Gleichgültige
„Igitt, so einer ist doch ein Sauhund. Wer will den von so einem den Pimmel sehen?! Dem würde ich die Hand nicht mehr geben.“ Solche Menschen haben zu allem und jedem ihren Senf dazu zu geben. Was sie lesen oder hören verflüchtigt sich anschliessend meist sehr schnell. Hauptsache, sie haben vorher noch schnell einen Leserkommentar abgegeben, dem am Boden Liegenden einen Tritt in die Magengrube versetzt. Der Intrigant
„Ich habe schon immer gesagt, mit dem ist etwas nicht koscher. Wird Zeit, dass er seinen Stuhl endlich räumt. Ich habe zudem gehört, dass…“ Diese Mitspieler waren entweder von Anfang an involviert, oder sie springen einfach auf den fahrenden Zug auf, weil das ganz praktisch ist. Sie haben etwas gegen die Politik und die Vorgehensweisen von Müller und jetzt ein bequemes Mittel gefunden, einen unbequemen Mitstreiter zu beseitigen, ohne sich dabei ernsthaft selber die Finger schmutzig zu machen. Die Mehrheit hat nicht immer recht. Möglicherweise lag sie falsch, als sie Müller in sein Amt als Badener Stadtpräsidenten gewählt hat. That’s Democracy. Die Mehrheit hat aber ganz bestimmt dann unrecht, wenn oben genannte Player zusammen in nicht repräsentativen Meinungsumfragen das Kästchen „Geri ist nicht mehr tragbar, raus aus allen Ämtern mit ihm!“ anklicken und dabei mittlerweile beinahe 75% auf sich vereinen. Die restlichen 25% teilen sich die „Mir egal“ Ankreuzer und die MüllerSympathisanten. Und weshalb soll diese Mehrheit jetzt nicht richtig liegen? Ganz einfach: Weil sie damit nicht mehr und nicht weniger als das Denunziantentum billigt, es geradezu legitimiert. Oder nochmals vereinfacht ausgedrückt: Es darf nicht immer und jederzeit möglich sein, das Fehlverhalten einer Person (ob es dieses nun tatsächlich gab oder nicht) publik zu machen. Radikal, schonungsund kompromisslos. Ob es sich dabei um eine strafrechtlich relevante Tat handelt: Nebensache. Weil einem die politische Gesinnung des Betroffenen nicht gefällt, sein Gesicht oder einfach seine etwas schluderige Art, weil er sich neben der Norm bewegt. Geri Müller tut gut daran, jetzt nicht aufzugeben. Was ihm von einer Mehrheit als Trotz ausgelegt wird, ist nichts anderes als Rückgrat. Der Mut, sich der Brandung auszusetzen und nicht einzuknicken. (Politische) Gegner besiegt man in der fairen Auseinandersetzung und nicht mit Hinterlist. Bleibt zu hoffen, dass Herr Müller durchhält. Sollte er sich früher oder später dennoch für die Niederlegung des einen oder anderen politischen Amtes entscheiden, dann dürfte dies nicht als Kniefall gewertet werden, sondern als Schutzmassnahme. Den Schutz des seelischen und körperlichen Wohlbefindens, welches derzeit über alle Masse strapaziert wird.


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September 2014

MUSS MAN NICHT HABEN: EINEN WURSTLÖSCHER.

1. Juli 2014 Reinhold Weber. Wir bedanken uns beim Zusender Erik Uhuber, welcher dieses Getränk für uns degustiert hatte. Er ruhe in Frieden.

SCHWIERIG

31. März 2014 Midi Gottet Wenn man seine Kunden dazu auffordert Fotos von sich einzuschicken, welche dann für eine Werbekampagne benutzt werden, dann kriegt man halt auch eine Kampagne mit Fotos, die aussehen als wären sie von Kunden geschossen worden. Ein schönes Beispiel hier: Helena, überglücklich fläzend auf ihrer Neuanschaffung, einer Rattanlounge, in dezentem Rattengrau. Eine leicht unterwässerte Palme wurde (wohl von der Fotografin Yvonne) ins Bild geschoben um dem gewünschten Karibischen Ambiente etwas auf die Sprünge zu helfen. Ebenfalls helfen würde es, wenn der graue Fenster-Storen nicht auf “Bun-

ker” gestellt wäre. Nimmt dem Ganzen etwas die Ferienstimmung. Und das leicht nach hinten verschobene Kissen unten rechts, treibt den Monk in mir förmlich sekündlich in den Wahnsinn. Und wieso Helena GELB als Kontrastfarbe gewählt hat und dann im Drink auf dem Tisch ein BLAUES Röhrchen platziert, weiss wohl auch nur ihr Therapeut. Aber hey, die Beine sind (Achtung Wortkapriole) rattanscharf rasiert. Kann man nicht meckern. Und deshalb wird sich wohl bald jemand finden lassen, der aus dem blauen Röhrli trinkt und mit dem Helena über Gott und die Welt redet um später noch unzählige Pferde zu stehlen – die bald darauf alle etwas verloren in der Stadt rumstehen und dumm aus der Röhre gucken.

Seite dreiundzwanzig

GENERATION FIRLEFANZ 3. September 2014 Jelena Keller Wieso nicht jeder einen trendy Beruf haben kann – Realitätscheck Es gab einmal eine Zeit, da hatte man keine grossen Ansprüche an das Leben und an sich. Man hatte kein Facebook und Instagram, man konnte sich nicht ständig ansehen, wie kreativ, toll, abwechslungsreich, bewundernswert, einfach fantastisch, das Leben aller anderen ist. Man hatte keinen Zwang mitzuhalten, weniger Vergleichsmöglichkeiten. Vergleichen konnte man mit dem unmittelbaren Umfeld oder mit Leuten aus den Medien, die sowieso unerreichbar schienen. Ausserdem hatte man zwei gute Gründe, weitere gefühlte 100 Jahre seinen Beruf auszuüben: Sicherheit und Zufriedenheit im kleineren Rahmen. Man wusste noch nichts über Burnout, Depression, ADHS, Selbstverwirklichung. Und nein, das Leben ist heute nicht schwieriger, sondern weitaus einfacher als damals. Wir arbeiten nicht mehr körperlich schwer, sind abgesichert und verfügen über Unmengen von Hilfsmitteln, die uns den Alltag erleichtern. (Wer sich überfordert fühle, der lege jetzt sein Handy weg und gehe so der Erreichbarkeit und medialen Überforderung aus dem Wege.) Fragen wir doch unsere Grosseltern, ob diese immer zu essen hatten, nicht an Krankheiten gelitten haben, ob sie weniger schwer schuften mussten. Nur hatten sie eben keine Vergleichsmöglichkeiten. Weniger Informationen zur Verfügung haben bedeutete: Vieles nicht einordnen können, weniger verstehen, weniger hinterfragen. Da ging man halt 10 Jahre lang jeden Morgen in die gleiche Bude. Heute allerdings, ist jeder trendy, muss sein Hobby zum Beruf machen, selbstständig werden, eine Auszeit nehmen. Kurzer Realitätscheck: Leute, die sich eine Auszeit leisten können, haben entweder lange geschuftet und gespart oder haben Geld von ihren Eltern zur Verfügung. Man kann nicht einfach so jeden Tag machen was man will. Apropos Eltern: Unsere Eltern haben womöglich schwierige Zeiten erlebt, mussten jahrelang einem unbefriedigenden Job nachgehen. Natürlich ermutigen Sie uns, nicht dieseleben Fehler zu machen, unser ganzes Potenzial auszuleben, zu tun, was uns glücklich macht. Sie wissen nur zu gut, wie lange sich acht Stunden am Tag anfühlen können. So und durch das Internet, entstanden wir, die Generation, ich nenne sie mal, Firlefanz. Nur Flausen im Kopf. Wir, nach ewigem Glück strebenden, freiheitsliebenden, weniger arbeiten wollenden, Selbstverwirklicher. Leider ist die Gesellschaft noch nicht bereit für uns. Der Umbruch ist noch weit entfernt. In der Schweiz wehrt man sich für eine bessere Work-Life Balance, in Deutschland ist man uns schon voraus, arbeitet an freier gestaltbaren Arbeitsmodellen, weil man gemerkt hat, dass sich sonst jeder selbstständig macht. Wie auch immer, sind die Schweizer Unternehmen noch nicht bereit ihr patriarchales Schaffen aufzugeben. Was bedarf es also heute, um einem coolen, trendy Job nachgehen zu können? So effektiv seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Es bedingt 4er Dinge: Talent, Leidenschaft gekoppelt mit Willenskraft und Fachissen. Leute, die mit ihrer Kreativität erfolgreich sind haben ein Talent. Talent ist meist genetische Veranlagung und/ oder die Förderung dessen in der Kindheit. Talent hat, wer Lob und Anerkennung für sein Schaffen bekommt. Am besten nicht nur von der Mama. Niemand auf Facebook oder Instagram kann die Leidenschaft in einem wecken. Leidenschaft ist von Anfang

an da. Von klein auf. Sie entsteht früh, vor allem aber, geht sie nie verloren. Leidenschaft funktioniert aus sich heraus und nicht aus falscher Motivation. Sie funktioniert nicht nur, weil man Vorbildern nacheifert. Dieses Nacheifern liefert nicht genug Benzin für den Motor Leidenschaft. Sie ist immer da und zwingt einen, sie auszuleben. Sie kommt ganz natürlich und aus dem tiefsten Innern. Sie ist der grosse Bruder der Willenskraft. Man braucht sie, wenn die Leidenschaft gerade demotiviert ist und einen Durchhänger hat. Wenn der Kopf nein sagt, wenn man versagt hat. Doch braucht man die Willenskraft niemals so oft, wie wenn man keine wahre Leidenschaft besitzt. Wenn ich etwas liebe, lasse ich es nicht einfach los. Aufgrund dieser Leidenschaft sucht man sich eine Schulbildung, die die Leidenschaft und Willenskraft durch bereichert. Es entsteht: das Fachwissen. Es dauert Jahre, um etwas richtig gut zu lernen. Da reicht es nicht einfach mal ein bisschen was zu produzieren. Natürlich sind da gewaltige Naturtalente, Glückspilze und Söhne von Jemandem, ausgeschlossen. So verhält es sich halt mit kreativen und noch so lässigen Berufen. Man kann eventuell ohne viel Wissen erfolgreich werden. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch klein dass man es schafft und wenn, dass man sich Dank grosser Anstrengung erfolgreich oben halten kann. Jeder, der sich neue Hobbies sucht, sich neu entdecken will, sich auslebt, seinen Horizont erweitert, sollte unbedingt unterstützt werden. Wir sind es unserer Generation schuldig, dass wir

uns selbst besser kennenlernen, uns lieben zu lernen, so zufriedener werden. Sich zu lieben heisst aber nicht, mit den 356 Facebook Friends mithalten zu müssen. Sich zu lieben heisst, zu wissen wer man ist, was man noch sein kann und was einen wirklich zutiefst erfüllt. Wir dürfen uns nur nicht blenden lassen von denen, die sich selbst schon gut genug kennen und lieben. Wir müssen uns nicht vergleichen. Der US-Amerikanische Politiker sagte schon vor mehr als hundert Jahren: “Comparison is the thief of joy.” Tipps und Ideen holen können und sollen wir uns von überall her. Nur imitieren sollten wir nicht. Wir müssen uns Zeit nehmen, um auch neben unserem Job. Erfüllt zu sein. Hobbies bereichern das Leben ungemein. Denn wie gesagt, sich finanzieren zu können von der Reise zu sich selbst, bedarf einiger Voraussetzungen, die leider nicht jeder erfüllt. Ein Hobby jedoch, kann jeder leidenschaftlich und gut ausüben. Wenn wir einmal herausgefunden haben, was wir wirklich brauchen, können wir auch erfolgreich sein. Alles sein, kann jedoch Niemand. Ich danke jedem, der seinem Beruf treu bleibt, sein Handwerk nicht aufgibt, der Gesellschaft lange erlerntes Wissen nicht wieder wegnimmt. Jeder der zufrieden ist im Beruf, ist zu Höchstleistungen bereit und bringt unsere Welt einen Schritt weiter. Ich bewundere Menschen, die stolz sind auf sich, auch wenn sie nicht Fitnessmodel oder Schauspieler sind. Dies zeugt von wahrem Selbstbewusstsein, von Stärke, Sicherheit in sich selbst und vor allem etwas, dass heutzutage schwer zu finden ist: Durchhaltewillen und Kontinuität. Danke für euren Realitätssinn.


SCHWEIZER VERKEHRSKUNDE

Ausser f端r Velofahrer. Versteht sich.

Betrunkene Zeitreisende mit Opel aus den F端nfzigern.

Urologie.

Hipsterverbot.

Hier ist Walter.

Oder aber etwas schneller.

Der Weltraum. Unendliche Weiten.

Gilt nat端rlich nicht f端r reiche Hausfrauen mit Range Rover.

*kicher*

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