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Stoß vom Sockel

OTTO VON BISMARCK war schon zu Lebzeiten

ein Denkmal, heute kann man seinem Andenken im öffentlichen Raum kaum entkommen. Doch die Bewertung seiner Person hat sich grundlegend verändert

Reichskanzler Otto von Bismarck wurden bereits zu dessen Lebzeiten über dreißig Denkmäler gewidmet – obwohl er selbst von dieser Art der Würdigung nicht allzu begeistert schien. Zumindest äußerte er sein Unbehagen in Bezug auf die erste Bismarck­Statue von 1877 in Bad Kissingen. Bei einer Sitzung des Deutschen Reichstags im November 1881 behauptete er: »Was Statuen anbelangt, so muß ich doch sagen, daß ich für diese Art von Dank gar nicht empfänglich bin. Ich erlebe das in Kissingen, es stört mich in Promenadenverhältnissen, wenn ich gewissermaßen fossil neben mir dastehe.« In anderer Hinsicht arbeitete er jedoch durchaus daran, seine Selbstinszenierung als Schmied des geeinten Deutschen Reiches zu verbreiten, und gab ikonografische Topoi mit militärischen Emblemen vor, um als Kämpfer der Nation wahrgenommen zu werden.

Nach Bismarcks Tod vervielfachte sich das zumeist steinerne Gedenken an den »Eisernen Kanzler« im öffentlichen Raum: Im Jahr 1906 waren es schon über 300 Standbilder, Säulen, Obelisken und Türme; heute sind über 700 Erinnerungsorte inklusive Straßen­ und Ortsbezeichnungen dokumentiert. Auch in der Alltagskultur kam die nationale Kultfigur als lukratives Merchandising gut an, vom Heringsglas bis zum Bierhumpen wurde jede Menge Bismarck verkauft. Selbst als Kettenanhänger oder Christbaumkugel hing sein charakteristischer Kopf nicht unbedingt ironisch gemeint an Hälsen, Uhren und Zweigen. Die Nutzung des Namens für die Bewerbung von Getränken (»Bismarckquelle«, »Bismarck Bräu«, »Fürst Bismarck Doppelkorn«) ist bis heute ungebrochen.

Bierkrug »Fürst Bismarck«, um 1890 bis 1. April 2024 Zitadelle Spandau zitadelle­berlin.de

BismarckStreit. Kultfigur und Denkmalsturz in einer interaktiven Ausstellung.

Doch gab es von Beginn an kritische, spöttische und auch aggressive Reaktionen auf die glorifizierende Erinnerung. Die heutige »Denkmalstürmerei« gegen Bismarck ist nicht neu. Gründe zur Problematisierung des Bismarck­Kults, der sich schnell von der realen Person entfernte, gab und gibt es viele. Amüsant wirken sicherlich die Pamphlete gegen die ästhetischen Zumutungen durch Bismarck­Teller, ­Vasen und ­Aschenbecher. Doch insbesondere die Nutzung der Kanzler­Biografie für eine nationalistische Überhöhung eines 1871 geeinten – und sich kriegerisch ausdehnenden –Deutschlands steht in Verbindung mit dem bis heute anhaltenden Unbehagen auf der einen Seite und der empörten Verteidigung seines Andenkens auf der anderen Seite. Aktuell ist es hauptsächlich Bismarcks Rolle im deutschen Kolonialismus, die zu Auseinandersetzungen führt.

Das Ausstellungsprojekt »Bismarck­Streit« versteht sich als Diskussionsbeitrag zur aktuellen Debatte auf den drei Ebenen Geschichte, Kunst und Interaktion: Es werden historische BismarckObjekte gezeigt und Informationen bereitgestellt über Bismarck als Person, vor allem aber zur Geschichte der – zum Teil gestürzten –Denkmäler. Eine Verknüpfung gibt es dabei auch zur Ausstellung »Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler«, in der die verlorene Bismarck­Büste der Siegesallee mit einer Intervention thematisiert wird. Die spielerischen und doch ernsthaften künstlerischen Arbeiten zeigen die vielen Möglichkeiten, auch außerhalb des Museums und jenseits von Zerstörung mit Bismarck­Denkmälern umzugehen. Der portugiesische Künstler Márcio Carvalho beschäftigt sich mit Praktiken des Erinnerns und wie diese das individuelle und das kollektive Erinnern beeinflussen. In seiner Zeit in Berlin stellte er fest, dass der Bismarck­Mythos besonders nachhaltig im kollektiven deutschen Gedächtnis verankert ist und setzte sich mit dem Aspekt des lange vergessenen und wenig sichtbaren Kolonialismus auseinander. Sein Gemälde sowie seine massenhaft reproduzierbaren Bismarck­Köpfe – letztere können bei Begleitveranstaltungen auch angefasst und benutzt werden – zeigen die auszubauende Perspektiverweiterung, in der auch nichtdeutsche Erinnerungen an deutsche Geschichte eine Rolle spielen.

Monumental Shadows ist eine Gruppe, die das Andenken an Personen der Kolonialzeit buchstäblich vom Sockel holt. Im Oktober 2021 kleidete sie das Bismarck­Nationaldenkmal im Berliner Tiergarten in Papier, bemalte die Figur und ließ die Abformung schließlich symbolisch stürzen, um einen öffentlichen Diskurs über den Zusammenhang von Kolonialismus und heutigem Rassismus anzustoßen. Die sechs Meter hohe Papierfigur und der Film der Performance sind in der Ausstellung zu sehen.

Die deutsch­polnische Künstlerin Georgia Krawiec befasst sich in ihren Arbeiten mit den Themen Identität, Überwachung der Gesellschaft, Vergänglichkeit und Entschleunigung. Ihre Arbeitsweise zeichnet sich besonders durch den manuellen Eingriff in die fotografischen Prozesse aus. Krawiec beschäftigt sich mit analogen und hier vor allem mit frühen Formen der Fotografie wie der naturwissenschaftlichen Cyanotypie, die sie auch bei den Eicheln aus nach dem Reichskanzler benannten Bismarck­Wäldchen anwendet. Ihre Arbeiten sollen den Blick auf die Allgegenwart Bismarcks selbst in der Natur wenden.

Die Hamburger Gruppe Projektion Bismarck befasst sich in intensiven, aber nicht invasiven Bespielungen des riesigen und massiven Bismarck­Denkmals im Elbpark mit den Möglichkeiten einer dauerhaften Debatte im öffentlichen Raum. Die Gruppe möchte erreichen, dass sich die Auseinandersetzung mit Bismarck nicht nur im geplanten Sockelmuseum und einem möglichen »Gegendenkmal« erschöpft, sondern dass wechselnde kritische Inhalte auf den Körper des Eisernen Kanzlers projiziert werden, temporär oder stetig ab Einbruch der Dunkelheit. Das breite Spektrum ihrer Arbeiten, das politische, aber auch poetische Themen aufgreift, wird ebenfalls als Projektion in der Ausstellung zu sehen sein – zusätzlich zu weiteren humorvollen und doch kritischen kleineren Werken.

Einen großen Raum nehmen die für das Publikum zur Verfügung gestellten Angebote ein, die eigene Meinung kreativ kundzutun. Vom Guerilla­Knitting über Denkmal­Kommentare bis zur Abstimmung über Umbenennungen von Bismarck­Straßen wird ermöglicht, Streit auf konstruktiver Ebene zu führen und die Ausstellung als Ort der demokratischen Debatte weiterzuentwickeln.

Text URTE EVERT, Leiterin des Museums

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