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Kulturgutschutz an der Front
from MJ23_3
Was können akademische und museale Kreise für die UKRAINE tun? Wichtig wäre es, die eigenen Ansichten zu überdenken
Das Museum in
(im Osten des
Charkiw) zeigte die reiche Geschichte und Kultur der Stadt und ihrer Umgebung. Am 25. April 2023 wurde das Gebäude von Russland beschossen und zerstört, die Sammlung ging fast vollständig verloren. Zu diesem Zeitpunkt bereitete sich das Museum gerade aktiv auf die Evakuierung vor. Die Direktorin und eine Mitarbeiterin kamen bei dem Angriff ums Leben, weitere Beschäftigte wurden schwer verletzt.
Wenn man über das Schicksal der ukrainischen Kultur im Krieg spricht, konzentriert man sich zumeist auf Verluste, Zerstörungen, Plünderungen und andere Verbrechen. Das ist richtig und notwendig. Die immense Zerstörung von Museen, Archiven, Bibliotheken, religiösen und anderen sozialen und kulturellen Orten, die für die ukrainische Identität, Sprache, nationale Kultur und Traditionen von zentraler Bedeutung sind, ist eine Folge des aggressiven russischen Angriffskrieges, eines Krieges gegen Souveränität und Staatlichkeit. Dennoch darf man nicht vergessen, dass das Kulturerbe nicht nur ein »Opfer« ist, das missbraucht und zerstört wird. Es bringt vielmehr auch ermutigende und inspirierende Lösungen hervor, mit den enormen Herausforderungen umzugehen.
Für Museumsbeschäftigte sind die fünf Hauptaufgaben der Museen – Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen, Vermitteln – eine Selbstverständlichkeit. Doch seit Beginn der Invasion erfahren diese Arbeitsbereiche in den ukrainischen Museen eine enorme Veränderung und Erweiterung. Die Mitarbeiter*innen reagierten mit einer erstaunlichen Selbstorganisation. Schon in den ersten Tagen entstanden Initiativen etwa zur Unterstützung betroffener Einrichtungen und Kolleg*innen, zur Schadensermittlung, zur digitalen Bewahrung und Sicherung, zum Laserscanning und zur Bekämpfung des illegalen Handels, um nur einige zu nennen.
Darüber hinaus übernahmen die Museen eine wesentliche Rolle bei der Dokumentation des Krieges: Sie sammelten Artefakte, dokumentierten Kriegsverbrechen, führten Expeditionen durch und sammelten mündliche Erzählungen von Überlebenden der Besatzung. Die erste Ausstellung über das Kriegsgeschehen wurde in Kyiv nur drei Monate nach dem Ausbruch des Krieges im Mai 2022 eröffnet. Die Museen solidarisieren sich miteinander und halten zusammen, zeigen Mut im Kampf für ihre Werte, beweisen enorme Leistungsfähigkeit und Engagement für ihre Sache.
Wenn Museen trotz aller Widrigkeiten geöffnet blieben, übernahmen sie eine noch stärkere Funktion als Gemeinschaftszentren, fungierten als Luftschutzbunker und veranstalteten sogar Ausstellungen in Kellern. Institutionen, die gezwungen waren, ihre Türen vollständig für die Öffentlichkeit zu schließen, suchten zunehmend nach Möglichkeiten, die Gemeinschaften, deren Geschichte sie spiegeln, auf andere Weise zu unterstützen. Gleichzeitig blieb ununterbrochen die Sorge der Mitarbeiter*innen um die Familien und sich selbst sowie um die Kolleg*innen und Angehörigen, die das Land an der Front verteidigten.
Bereits seit etwa einem Jahr arbeite ich intensiv mit verschiedenen Museen in der Ukraine im Bereich des Kulturgutschutzes zusammen. Aus meiner Wahrnehmung heraus sehen die Kolleg*innen vor Ort die überstandenen Herausforderungen als eine große Chance, ihre Arbeit weiter auszubauen. Abgebaute Ausstellungen, die ständige Notwendigkeit der Priorisierung von Objekten für die Evakuierung – das Verpacken und Verstecken der Sammlungen ist nicht nur mit Schmerz und Bedauern verbunden. Die Situation wird als Gelegenheit betrachtet, die Sammlungen kritisch aus einer anderen Perspektive zu betrachten und die bestehenden Narrative, die unter dem Eindruch der eigenen Kriegserlebnisse geprägt werden, neu zu reflektieren. Die entstandenen Konservierungs und Bewahrungsinitiativen leisten schließlich einen enormen Beitrag zur Vernetzung der Museen und zu ihrer wechselseitigen Integration in eine gemeinsame Erinnerungslandschaft.
Gleichzeitig besteht ein großer Wunsch nach intensiverer Kommunikation, gemeinsamer Arbeit und Kooperationen mit Deutschland und anderen Ländern. Die Kolleg*innen in der Ukraine weisen außerdem auf den Bedarf an Beratung und Begleitung vor allem in der Kulturerbeverwaltung sowie Inventarisierung und Digitalisierung von Sammlungen hin. Beispielsweise wurde mit viel Begeisterung und Anteilnahme aufgenommen, dass die in Deutschland entwickelte Software für Inventarisierung und Veröffentlichung von Museumssammlungen museumdigital regionalisiert und ins Ukrainische und Russische übersetzt wurde. Die Beteiligung deutscher und internationaler Museumsinitiativen wird geschätzt und hat sich bewährt. Parallel dazu äußert sich das Bedürfnis nach der Aufarbeitung traumatischer Erinnerungen (auch im Zusammenhang mit diesem Krieg), schwieriger und schmerzhafter Vergangenheit und umstrittener Geschichten, einschließlich der Reflexion über die repressive sowjetische Vergangenheit.
Das wohl wichtigste, was die akademischen und musealen Kreise jetzt für die ukrainische Kultur und die ukrainischen Museen tun können, ist ein tiefgreifendes Überdenken der eigenen Ansichten. Der Blick auf die Ukraine ist jahrhundertelang vom enormen Einfluss und Druck des russischen Staates geprägt worden, der die ukrainische Identität verleugnete. Es ist notwendig, nach den Wurzeln der eigenen Ansichten zu suchen, sie kritisch zu hinterfragen. Man sollte sich der ukrainischen Subjektivität bewusst sein und die ukrainische Sichtweise respektvoll und aufmerksam wahrnehmen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Befreiung, die Demokratisierung und die Entmilitarisierung am Ende des Zweiten Weltkriegs nur durch eine vollständige militärische Niederlage des Aggressors und eine entschlossene Anstrengung im Kampf auf der anderen Seite möglich war. Wir sollten über den Gebrauch der Sprache und ihrer Formen nachdenken und ukrainische Namen richtig transkribieren; uns informieren und natürlich daran denken, dass es in der Wissenschaft auch um Menschlichkeit und Empathie geht.
Text EKATERINA MALYGINA, Digital Consultant & Equipment Coordinator bei SUCHO (Saving Ukrainian Cultural Heritage Online)
Anastasia Pasechnik und Victoria Berg, »Alone With Myself« (Alleine mit mir selbst), 2022 zu sehen in der Ausstellung »Goldnarben« in Schloss Schönhausen