EMOP-Ausstellung im Hamburger Bahnhof: Ayoung Kim, »Delivery Dancer’s Sphere«, 2022
PANORAMA
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Restitution
Das Humboldt Forum erzählt von Tansania und bereitet eine große Rückgabe vor
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Blickfang
David Medallas Träume sind Schäume
Geh doch nach … Schöneweide!
Kaffee, Kuchen und Industriekultur
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Momentaufnahme
Was Künstler und Aktivisten mit der Schlossfassade vorhaben
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News
AYOUNG KIM 28
Aus den Berliner Museen und Ausstellungshäusern
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#berlinistkultur
Die Sparmaßnahmen des Senats werden katastrophale Folgen haben
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Kolumne
Wir sind nicht nachhaltig genug
Lesestoff
Fünf Bücher, die uns aufgefallen sind
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Tagesreise nach Düsseldorf
Die weite Reise lohnt sich für ein Heimspiel von Katharina Sieverding
TANSANIA 8
Diskussion über »Cultural Belongings« im Nationalmuseum von Tansania, 2023
FOKUS
European Month of Photography – EMOP
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Festivalausstellung
Der EMOP zeigt in der Akademie der Künste, was zwischen uns steht
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Polaroids
Die Helmut Newton Stiftung und das Museum für Fotografie feiern das Sofortbild
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Lebenslust
Ins Bröhan-Museum lockt die Wiederbegegnung mit dem Fotografen Will McBride
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Digitale Utopie
Für Ayoung Kim existieren alternative Realitäten nebeneinander – zu sehen im Hamburger Bahnhof
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Gewöhnlich schön
Bei C/O Berlin entfaltet Sam Youkilis sein Instagram-Portfolio
Dörfler
Die Akademie der Künste stellt drei Fotografen vor, die das Landleben in Thüringen dokumentiert haben 33
Radical Beauty im F3 – Freiraum für Fotografie
Kilian Breier in der Alfred Ehrhardt Stiftung Heinz Hajek-Halke bei Chaussee 36 Photography
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Endzeitstimmung im Slowenischen Kulturzentrum Übernatürliches in der Kommunalen Galerie
KOSMOS KANDINSKY
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Avantgarde
Das Museum Barberini entdeckt die geometrische Abstraktion seit Kandinsky
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Künstlerischer Internationalismus in der DDR im Ethnologischen Museum & Museum für Asiatische Kunst Künstlerbücher in der Neuen Nationalgalerie Friedrich Ludwig Jahn im Museum Neukölln
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Nach Baudelaire
In der Sammlung Scharf-Gerstenberg blühen die Blumen des Bösen
Cover: Will McBride, »Kennen Sie Salem?«, 1962
Sophie Taeuber-Arp, »Douze espaces à plans, bandes angulaires et pavés de cercles«, 1939
Unmenschlich
Aenne Biermann, »Feuerwerk«, 1928
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit berichtet von Schicksalen in Griechenland
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Ull Hohn im Haus am Waldsee Historische Postkarten im FHXB Reinhold Weiss in der Braun-Sammlung Ettel
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Frisch restauriert Im Jüdischen Museum wird der Nachlass von Franz Kafka geöffnet
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Düstere Abgründe
Pol Taburet entführt im Schinkel Pavillon in tragische Zwischenräume
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Sarotti im Tempelhof Museum Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie Steven Holl in der Tchoban Foundation
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Papageien
Im Tier-Anatomischen Theater lebt man mit Vögeln
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Pyrotechnik
Die Kunstbibliothek brennt für das Feuerwerk
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Design
Das Bröhan-Museum stellt gute Gestaltung für Kinder vor
Hans Uhlmann, »Stahlplastik«, 1951
62 Klimagerecht
Nina Fischer und Maroan el Sani tauchen in die Biosphäre ein –in der Schwartzschen Villa
64
Frei für Konflikte
Das Kunsthaus Dahlem würdigt den Deutschen Künstlerbund
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Migration
Im Haus der Kulturen der Welt versammeln sich Gäste und Reisende
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Fahrradgeschichte
Das Technikmuseum schwingt sich aufs Veloziped
INTERVIEW
Monika Ankele
Aus Wien nach Berlin: Direktorin Monika Ankele in der Hörsaalruine
72
Medizinhistorisches Museum
Wie Direktorin Monika Ankele die berühmte Sammlung der Charité dem Publikum vermitteln will
PANORAMA
Der Tänzer Hemedi Kiduku aus Tansania in einem Kostüm aus Lumpen
Was zwischen uns steht
Die zentrale Ausstellung zum EMOP BERLIN unterbricht die permanente Selbstvergewisserung und verhandelt die Fotografie als Medium der Chronik
Der Chronist, welcher die Ereignisse hererzählt, ohne große und kleine zu unterscheiden, trägt damit der Wahrheit Rechnung, daß nichts, was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist.« Würde Walter Benjamin diesen Satz, der in seinen fragmentarisch gebliebenen Thesen »Über den Begriff der Geschichte« auftaucht, auch heute noch so aufschreiben? Eine ganze Generation von Social-Media-Chronisten dokumentiert in ihren Timelines und Newsfeeds unentwegt ihre Storys. Und das Internet vergisst bekanntlich nichts. Aber sind sie damit auch für »die Geschichte« bewahrt?
Mehr denn je sind wir von Bildern und Texten umgeben, von Kommentarleisten, Videoschnipseln, und von Fotografien im Zeitalter ihrer KI-gestützten Reproduzierbarkeit. Wie wohl nie zuvor kommentieren sie Zeitgeschehen ebenso wie persönliche Befindlichkeiten. Sie dokumentieren, sie emotionalisieren und spalten, oft genug »triggern« sie in einer »veränderungserschöpften« und von Krisen geschüttelten
Gesellschaft, wie es der Soziologe Steffen Mau ausdrückt, die eigene Blase. Zugleich wächst das Bedürfnis, genau dem etwas entgegenzusetzen – angesichts der Brüchigkeit von Demokratien, dem Erodieren ihres Fundaments, der Erfahrung von Krieg, Flucht, Exil, von Umweltzerstörung und wachsender Gewalt, von Ausgrenzung und gesellschaftlicher Desintegration. Es wächst das Bedürfnis, mit der eigenen Stimme – und mit Bildern – einzuschreiten, Stellung zu nehmen und dem Zersetzenden etwas Konstruktives entgegenzuhalten. Doch was kann mit Bildern, zumal mit fotografischen, tatsächlich noch gewusst, belegt oder gesagt werden angesichts der skizzierten rapiden Veränderungen und eines gänzlich anderen Produktions- und Rezeptionsverhalten? Es sind doch unter anderem die andauernden technologischen Neuerungen sowie die ungehemmte Nutzung unterschiedlicher Social-MediaFormate mit ihren eigenen Steuerungsmechanismen selbst, die die vielfach beschworene Krise des Dokumentarischen
Raisan Hameed, ohne Titel, aus der Serie »Zerstörung – Mossul 1993–94«, 2022
Simon Lehner, »Father«, 2005–2018 (linke Seite)
Kurz vorm Kippen in den Abgrund
Baudelaire bereitete der modernen Literatur den Weg.
Aber auch in der bildenden Kunst entfalteten seine
»BLUMEN DES BÖSEN« ihre Wirkung
OSatan, erbarme meines langen Elends dich! Stab der Verbannten, Lampe der Erfinder, Beichtiger der Gehenkten und der Verschwörer, o Satan erbarme meines langen Elends dich!«, heißt es in den 1857 erstmals erschienenen »Fleurs du mal« von Charles Baudelaire (1821–1867). Wegen »Beleidigung der öffentlichen Moral« verboten (1861 erschien eine bereinigte Zweitausgabe), gehört der Gedichtband heute zu den Wegbereitern der Moderne und den Inkunabeln der Weltliteratur. Nicht nur in Deutschland durch unzählige Übersetzungen bekannt – angefangen mit den Übertragungen ausgewählter Gedichte von Stefan George bis hin zu der unlängst erschienenen Übersetzung von Simon Werle –, entfalteten »Die Blumen des Bösen« ihre Wirkung auch in der Kunst. Noch zu Lebzeiten des Dichters schuf Félicien Rops (1833–98), mit dem sich Baudelaire gegen Ende seines Lebens in Belgien befreundete, das berühmte Frontispiz für die belgische Ausgabe der in Frankreich verbotenen Gedichte »Les Epaves« (Strandgut) von 1866. Im Zentrum erscheint der zum Skelett mutierte Baum der Erkenntnis, umgeben von Pflanzen, die die sieben Todsünden symbolisieren. Darüber hält eine dunkle Chimäre das Medaillon Baudelaires in die Höhe, während unten ein Pegasus-Skelett kauert, an dem ein Schild lehnt, das die Sünden in ihr Gegenteil verkehrt: Der Strauß mit einem Hufeisen im Schnabel steht alten Emblembüchern zufolge für die Tugend, worauf auch die Inschrift verweist: »Virtus
Alexander Kanoldt, »Porträt der Tochter Angelina«, Detail, 1935 (links) Schuldt, »Bouncing an Echo (II)«, 2003 (rechts)
durissima coquit« (Die Tugend erweicht auch das Härteste) –eine offene Kampferklärung gegen die »harten« Zumutungen der Realität. Auch für das weitere Schaffen von Rops spielte die Auseinandersetzung mit den Gedichten und den ästhetischen Schriften von Baudelaire eine entscheidende Rolle, wie nicht zuletzt Beispiele aus seiner Serie mit »satanischen« Bildern belegt.
Einen ähnlich starken Einfluss übte Baudelaire auf den symbolistischen Maler Odilon Redon (1840–1916) aus. Auch wenn dieser den Dichter nicht mehr persönlich kennenlernen konnte, fand er zumindest Kontakt zu ehemaligen Freunden Baudelaires, dem er sich seelenverwandt fühlte. Neben den neun Illustrationen zu den »Fleurs du mal« von 1890 scheint sich nicht zuletzt das Motiv des abgeschnittenen Kopfes, dem Redon mehrere Bilder widmete, einer Idee Baudelaires zu verdanken. Darüber hinaus entstand eine bis heute nicht abreißende Vielzahl von Gemälden und Grafiken, Fotografien und Installationen von Künstlern, die ihre Werke nach dem Baudelaire’schen Buchtitel benennen. Anders als die guten Blumen scheinen die bösen nie zu verwelken. So ist in der Ausstellung das gleichnamige Gemälde des belgischen Symbolisten Eugène Laermans (1864–1940) zu sehen, welches sich auf Baudelaires Verehrung für alte Frauen bezieht, oder das ebenfalls »Fleurs du mal« betitelte, 1922–24 entstandene Gemälde der früheren Dada-Künstlerin Hannah Höch (1902–72). Mit seinen sonderbar eckigen Formen scheint es sich einer gegenständlichen Deutung eher zu entziehen, bis man in der Mitte einen seitlich gezeigten Stuhl erkennt, um den sich verschiedene krückenartige Wesen scharen, ihre Blumenköpfe wie aus Holz, als seien es Einrichtungsgegenstände. Ein jüngeres Beispiel für
Bildfindungen in der Spur Baudelaires ist ein Foto aus der Serie von Moritz Wehrmann (»Fleurs du mal« von 2012): Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise nahm er mit einer speziellen Blitztechnik verrottende Blumengestecke aus Kunststoff auf, deren ausgestreckte Blütenarme vor dunklem Hintergrund wie geheimnisvolle Wesen wirken.
Der Ausgangspunkt der Ausstellung ist jedoch ein doppelter: Denn es geht nicht allein um bildliche Übersetzungen oder direkte Illustrationen der Gedichte Baudelaires, sondern grundsätzlicher und weniger ikonografisch gebändigt darum, jenem unheimlichen Kippen des Kunstschönen ins Abgründige nachzuspüren, was nicht zuletzt ein Kernanliegen des Surrealismus ist. Das Auseinandertreten der beiden thematischen Stränge lässt sich anhand zweier Werke von Odilon Redon und Arnulf Rainer nachvollziehen: zum einen Redons um 1890 entstandene Kohlezeichnung »Fleur du mal« (Blume des Bösen), die den Kopf einer Figur mit einer Blume in der Hand darstellt, zum anderen Rainers Übermalung desselben Motivs von 1984. Während Redon den dichterischen Ausdruck der »bösen Blume« gewissermaßen direkt ins Bild überträgt, konzentriert sich Rainer auf das Gesicht, dem er einen undeutlichen rötlichen Schatten verleiht. Er erzeugt eine spukhafte Doppelbelichtung, die die Idee der »Fleur du mal« weg von der Botanik in einen Bereich psychischer Zwänge und Ängste lenkt. So sind in dieser Ausstellung keineswegs nur Blumen zu sehen –zumal es »böse« Blumen gar nicht gibt. Baudelaire selbst hat den Blumen kein einziges Gedicht gewidmet (lediglich ein Abschnitt des Gedichtbandes ist mit »Fleurs du mal« überschrieben), wie er sich überhaupt für die Natur nicht entzücken konnte. Auf die Bitte eines Forstmanns, zu einem Sammelband Verse über die Natur beizusteuern, antwortete Baudelaire gar: »Sie wissen doch, daß ich außerstande bin, über die Vegetabilien in Rührung zu geraten […] Ich werde niemals glauben, daß die Seele der Götter in den Pflanzen wohnt, und selbst wenn sie dort wohnen sollte, kümmerte mich das wenig, und ich würde meine eigene für ein sehr viel höheres Gut halten als jene der geheiligten Gemüse.« Stattdessen verstand er seine eigenen Gedichte als »kränkliche Blumen«, wie es in seiner Widmung der »Fleurs du mal« an Théophile Gautier heißt.
Neben den teilweise noch zu Lebzeiten des Dichters entstandenen Illustrationen zu den »Fleurs du mal« sowie den bereits genannten Werken von Laermans, Höch oder Wehrmann geht es in dieser Ausstellung also auch um in den »Fleurs du mal« behandelte Themen. Hierzu gehören die Depression – man könnte sie geradezu als Ausgangspunkt der gesamten »Fleurs du mal« bezeichnen –, die unsittlichen Versprechungen von Eros und Rausch, die Faszination für das Kränkliche und den Verfall oder die Idee des Surrogats bis hin zum Kitsch.
Für Baudelaire, der den ersten Abschnitt des Bandes mit dem Gedicht »Bénédiction« (Segen) beginnen lässt – tatsächlich handelt es sich um den Fluch der Dichter-Mutter, die den Sohn als »Spottgeburt« verschmäht –, sind solche Themen stets der Schauplatz teuflischer Widersprüche. So preist er seine Geliebte für ihre ausdruckslosen Augen (»Kellerlöcher deiner Seele«), ihre aus der Langeweile geborene Bosheit und besingt die Lust an der Lüge: »Was kümmert mich dein Stumpfsinn, deine Kälte? Maske oder Zierde, sei gegrüßt! Ich bete deine Schönheit an.«
An anderer Stelle ist es das an einem Sommermorgen in einer Wegbiegung gefundene Aas, das den Dichter entzückt: das Gerippe, das sich »gleich einer Blume hob und auftat«, überwogt von schwarzen Maden-Bataillonen, die den Anschein erwecken, als ob der faulende Kadaver »von ungewissem Hauch gebläht, vielfältig sich vermehrend lebte«. Eine ähnliche Ästhetik, bei der das Tote
oder Verfallene paradoxerweise lebendig erscheint, findet sich in den Mumien-Fotografien von Gundula Schulze Eldowy wieder oder in den Fotografien von Schuldt: Die wie Flammen in die Höhe ragenden Hände (»Bouncing an Echo«, 2003) scheinen auch in eine andere, höhere Sphäre zu weisen – jenseits der chinesischen Warenwelt, in der sie der Künstler als Teile von Schaufensterpuppen fand. Den Abschluss der Ausstellung bildet die große Rauminstallation des Zero-Künstlers Otto Piene (1928–2014): 13 riesige Blumen aus schwarzer Kunstseide, die jeweils zur vollen Stunde unter stroboskopischen Blitzgewittern und mit ohrenbetäubendem Lärm in der Dunkelheit des Sahurê-Saals aufblühen, entwerfen das Bild einer dunklen Natur, deren beängstigende Übermacht uns ebenso erschreckt, wie uns ihre fremdartige Schönheit fasziniert.
Text KYLLIKKI ZACHARIAS, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der Sammlung
Böse Blumen bis 4. Mai 2025
Sammlung Scharf-Gerstenberg smb.museum
Hannah Höch, »Les fleurs du mal«, 1922–1924
Kreaturen der Nacht
POL TABURET entführt in eine Zwischenwelt jenseits des Sichtbaren. Hier lauert die Tragödie
Es sind intensive Rot-, Gelb- und Blautöne, die die Malereien des französischen Künstlers Pol Taburet (geboren 1997) auf den ersten Blick anziehend wirken lassen. Die leuchtenden Primärfarben treffen jedoch auf tiefschwarze Räume, die ins Leere laufen. Taburets ausdrucksstarke Bildsprache der surrealistischen Szenen ist häufig von Nacht, Dunkelheit und der synkretistischen Voodoo-Tradition seiner karibischen Heimat Guadeloupe inspiriert, in der religiöse Gebräuche und Riten zum Alltag gehören. Auf den zweiten Blick eröffnen sich so düstere Abgründe. Seine Arbeitsweise ist instinktiv, Themen und Bedeutungen erschließen sich ihm erst im Laufe des Schaffensprozesses. Zeitgenössische Referenzen verbinden sich mit Einflüssen der klassischen Malerei und des Symbolismus. Neben mit dem Pinsel aufgetragenen Acrylfarben, sind es vor allem Airbrush-Effekte, die Konturen zerfließen lassen, Licht und Schatten akzentuieren. So bricht sein eigenwilliger Malstil spielerisch mit gängigen Konventionen. Häufig überzieht Taburet die Leinwände mit einer dicken undurchlässigen Schicht aus einem Harz-Alkohol-Gemisch, die sich schwer auf den Stoff legt und auf der sich die nebelartigen Airbrush-Linien verteilen.
Für seine erste Einzelausstellung in Deutschland bespielt Taburet beide Stockwerke des Schinkel Pavillons mit neuen Werkgruppen. Die dargestellten Figuren sind Hybride aus Mensch und Tier in zumeist absurden Posen, mal wetzen sie die Krallen, mal fixieren sie die Betrachtenden mit rotglühenden Augen. Die zusammengestückelten Körper offenbaren in ihren Verrenkungen auch eine verletzliche Seite. Sie erinnern dabei einerseits an Figuren von Francis Bacon, andererseits an Darstellungen aus Comics, in denen Körperteile akzentuiert und übergroß dargestellt oder Posen übertrieben ausgeführt werden. Prophetische Visionen eines William Blake treffen auf die dunklen Fantasien eines David Lynch. Immer wieder finden sich auch Verweise zur Trap Music, einem Subgenre des Hip-Hops, das in den 1990er-Jahren in den amerikanischen Südstaaten entstand. Umgangssprachlich bezeichnet »Trap (House)« einen Ort, an dem Drogendeals und illegale Geschäfte abgewickelt werden. Aus diesem Milieu heraus greift Taburet Motive wie Poledance oder Grillz auf. Letzteres bezeichnet mit Diamanten besetzte oder mit eingravierten Schriftzügen versehene Zahnaufsätze aus Gold oder Platin, die als Symbol für Erfolg und Reichtum stehen. Im Gegensatz zu den Figuren wirken die abstrakten Hintergründe seiner Gemälde seltsam flach. Oftmals öffnen
Pol Taburet, »Jumping out of a womb like my daddy is the devil«, 2022
»Orfeo’s heels«, 2022
Bombastische Spektakel
In
der Selbstdarstellung des höfischen Lebens war Pyrotechnik der explosive Höhepunkt. Eine
Kulturgeschichte des FREUDENFEUERS
Feuerwerke sind laut und bunt, kurzweilig aber inhaltsleer. Sie machen Eindruck – wenn auch nur für den Augenblick. Pyrotechnik ist dafür gemacht, effektvoll an sich selbst kaputt zu gehen. Was von ihr bleibt, sind Dreck und Müll. Siegfried Sieber, Pädagoge und Heimatforscher, stellt 1912 in den Deutschen Geschichtsblättern lakonisch fest: »Feuerwerke gehören mit zu dem zahlreichen Kuriositätengerümpel, das die Kulturgeschichtsschreibung nirgends recht unterzubringen weiß«.
Das mag bis heute so sein; gut dokumentiert ist allerdings, dass überbordende Freudenfeuerwerke im absolutistischen Europa Hochkonjunktur hatten. Feuerwerke bildeten Höhepunkt und krönenden Abschluss jeder Feierlichkeit an den Höfen: ob zu Geburt, Taufe, Eheschließung, ehrenvollem Besuch, zur Gesundung des Königs oder zu einem Friedensschluss, Vertragsunterzeichnungen, besiegelten Bündnissen oder auch zu wiederkehrenden Jahrestagen wie Karneval, Ostern, Pfingsten, Peter und Paul und Johannistag. Feuerwerke zum Jahreswechsel wurden hingegen erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts populär.
Feierlichkeiten waren im Absolutismus keineswegs lediglich Beiwerk oder Zierrat. Für die höfische Gesellschaft waren Feste konstituierend. Inszenierungen bildeten ein zentrales Instrumentarium für die Selbstlegitimation absolutistischer Herrschaft im effektvollen Zurschaustellen mit ästhetischen Verfahrensweisen wie Performanz, Illustration und Narration. Wettkämpfe, festliche Unterhaltung, prächtig geschmückte Tafeln, Ballett und Musik, Tanz und Spiele, theatrale Darbietungen – oft in Gleichsetzung des Herrschers mit antiken Gottheiten – dienten dazu, den Anspruch auf absolute Macht zu stabilisieren. Zur Verstärkung der Wirkkraft solcher Inszenierungen wurden Schein und Illusion, Trug und Täuschung in ritualisierte Abfolgen integriert, um das Publikum zu blenden und zu überwältigen. Das dichte Aneinanderreihen von immer neuen Effekten, die akustische und visuelle Reizüberflutung und blanker ökonomischer Wahnsinn waren dabei zugleich die Mittel,
mit denen konkurrierende Herrschaftshäuser untereinander einen ambitionierten Wettstreit austrugen, was sie in eine Spirale des gegenseitigen Übertrumpfens führte.
Die fortwährende Verfeinerung von Mechanismen zur Überwältigung und das ruinöse Wettrüsten der Effekthascherei zwischen den Höfen kulminierten in aufwendigen Feuerwerksinszenierungen. Dementsprechend kam der Pyrotechnik in der Selbstdarstellung des höfischen Lebens eine sehr wichtige Rolle zu. Vom 16. bis 18. Jahrhundert bildeten Feuerwerksaufbauten eine autonome Gattung innerhalb der vorrangig ephemeren Festarchitektur. Barocke Feuerwerke waren technisch herausfordernde, monatelang vorbereitete, skrupulös durchgeplante, enorm kostspielige Ereignisse und – im Moment der Aufführung – schlichtweg bombastische Spektakel. Zahlreich überlieferte Stiche machen die enorme Bandbreite und Vielfalt der höfischen Feuerwerke bis heute detailreich anschaulich. Die Ausstellung »Durchgeknallt und abgebrannt. Feuerwerkskünste aus fünf Jahrhunderten« der Kunstbibliothek im Kulturforum setzt durch die Fülle ihrer Bestände einen Schwerpunkt in der Barockzeit mit über 70 Einblattdrucken und 40 Feuerwerksbüchern aus der Ornamentstichsammlung und der Lipperheideschen Kostümbibliothek. Die Kupferstiche waren Teil von Berichten über die jeweiligen Festabende und wurden umfangreich verlegt und verbreitet. Verknüpfte Textverweise verstärkten den Bildeindruck und gaben detailgetreu Auskunft über den Ablauf von Feuerwerksaufführungen. Die schiere Fülle, der Detailreichtum und die komplexe Anordnung der verdichteten Bildelemente in der Fläche faszinieren das Publikum noch heute. Jahrhunderte vor der Entwicklung des Bewegtbilds war es den bildenden Künstlern gelungen, zeitliche Abfolgen im Medium Kupferstich anschaulich darzustellen.
Louis Le Coeur, »Krönung Kaiser Napoleons I. und Joséphine de Beauharnais«, 1806
Monika Ankele
leitet seit März 2024 das das Berliner Medizinhistorische Museum. Damit verbunden ist die Professur für Medizingeschichte und Medizinische Museologie der Charité. Ankele (geboren 1978) ist promovierte Historikerin. Sie war Dozentin für Cultural Studies und Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Wien und lehrte am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin des Hamburger Universitätsklinikums, wo sie bereits als Kuratorin des dortigen Medizinhistorischen Museum arbeitete.
Ab dem 6. März 2025 zeigt Monika Ankele die Sonderausstellung »Hoch hinaus! Das Luftsegelschiff des Ingenieur von Tarden. Psychiatrie, Kultur und Gesellschaft in Berlin um 1900«.
»In unseren Präparaten ist Sozialgeschichte eingelagert«
Die medizinhistorischen Sammlungen der Charité sind berühmt, auch weil manche Exponate schockieren. Das Klischee vom Gruselkabinett will MONIKA ANKELE aber nicht bedienen. Die Direktorin hat größere Pläne
Wie Berlin antikolonial werden will
Der lokale Anteil an der globalen Geschichte von Versklavung und Kolonialismus ist zu wenig bekannt. Ein Modellprojekt fordert nun konsequentes GEDENKEN
Gedenkmarsch für den ostafrikanischen Widerstand gegen den deutschen Kolonialismus am 23. August 2024 im Wedding, angeführt von Mnyaka Sururu Mboro, ein seit 40 Jahren in Berlin lebender Aktivist aus Tansania und seinen beiden Töchtern. Nach Jahrzehnten des zivilgesellschaftlichen Engagements wurde die 1939 von den Nationalsozialisten benannte Petersallee in Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee umbenannt.
Die dezentrale Ausstellung »Dekoloniale – was bleibt?!« thematisiert die jahrhundertelange Verstrickung Berlins in die globale Versklavungs- und Kolonialgeschichte und setzt sich kritisch mit dieser gewaltvollen Vergangenheit auseinander. Sie schaut auf drei prominente Orte der Kolonialität in Berlin-Mitte: das Museum Nikolaikirche, das postkoloniale Afrikanische Viertel und die »Asiatisch-Pazifischen Straßen« sowie auf den historischen Ort der Berliner Westafrika-Konferenz von 1884/85 in der Wilhelmstraße 92. Der mit diesen Orten verknüpfte Kolonialrassismus soll in der Ausstellung sichtbar gemacht und mit widerständigen afrikanischen, asiatischen und diasporischen Perspektiven überschrieben werden, so das Ziel des Modellprojekts »Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt«, im Rahmen dessen die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Each One Teach One und Berlin Postkolonial sowie die Stiftung Stadtmuseum Berlin zusammenarbeiten.
Der europäische Kolonialismus war eng mit den Dogmen des Christentums verbunden. Die Ideologie der Überlegenheit über andere Religionen rechtfertigte deren politische, militärische und epistemische Unterwerfung. Militärpriester segneten die Schiffe und Armeen, die zu ihren Raubzügen nach Nord- und Südamerika, nach Afrika, Asien und Polynesien aufbrachen. Missionare führten mit Händlern und Soldaten die Invasionen an, bevor die kolonialen Verwalter nachfolgten und die Besiedlung begann.
Die Nikolaikirche, Berlins ältestes Kirchengebäude, steht metaphorisch für die Verflechtung von Christentum und Kolonialismus im Allgemeinen und ist spezifischer Berliner Standort der tiefen Wurzeln der deutschen Kolonialverbrechen – seiner »kolonialen Gespenster«.
Fünf von einer Jury im Mai 2024 ausgewählte Künstler*innen, Tonderai Koschke, Charlotte Ming, Percy Nii Nortey, Yangkun Shi und Theresa Weber, haben dazu im Rahmen des Dekoloniale-Residenzprogrammes in der Nikolaikirche ortsspezifische künstlerische Arbeiten entwickelt. Weitere Interventionen finden sich im DekolonialeProjektraum in der Wilhelmstraße 92 (bis Ende Dezember) und am U-Bahnhof Afrikanische Straße.
Im historischen Ausstellungsteil vermitteln acht Lebensgeschichten, inwiefern Kolonialismus und Versklavungshandel mit der Nikolaikirche und dem Stadtmuseum
verwoben sind. In der Kirche finden sich die prunkvollen Grabmäler von drei kolonialen Akteuren: Carl Constantin von Schnitter (1657–1721), Baumeister und Kommandant des brandenburgisch-preußischen Kolonialstützpunkts »Großfriedrichsburg«, Johann Andreas von Kraut (1661–1723), Unternehmer und Staatsbeamter, und Samuel von Pufendorf (1632–1694), Hofchronist und Rechtsphilosoph. An den Gründungsdirektor des Märkischen Provinzialmuseums Ernst Friedel (1837–1918), einen wichtigen Initiator der Kolonialbewegung in Berlin, erinnert eine Ehrenplakette im Innenhof des Märkischen Museums. Andererseits wird von widerständigen Persönlichkeiten erzählt, die in Berlin bisher nicht gewürdigt werden, an anderen Orten der Welt aber Legenden sind: Anton Wilhelm Amo (1703–1759), erster bekannter Philosoph afrikanischer Herkunft in Preußen, und Nana Yaa Asantewaa (1840–1921), Anführerin im Widerstand des Ashanti-Reichs gegen die britische Kolonialmacht, genießen insbesondere in ihrem Herkunftsland Ghana großes Ansehen. Mary Thomas (1848–1905), Kämpferin gegen die dänische
Kolonialmacht, und ihre Mitstreiterinnen werden auf ihrer karibischen Heimatinsel Saint Croix geehrt. Jan Kwaw alias Jan Conny (genaue Lebensdaten unbekannt), westafrikanischer Händler, Heerführer und Kämpfer gegen verschiedene europäische Kolonialmächte, ist sowohl im heutigen Ghana als auch in mehreren Karibikstaaten sowie im Süden der USA populär. Der Ausstellung gingen kontroverse Diskussionen voraus. Sollten Objekte aus der Sammlung des Stadtmuseums Berlin gezeigt werden, wenn nahezu alle Exponate, die etwas über die Kolonialgeschichte erzählen, Träger kolonialrassistischer Ideologien sind? Zeugnisse des Widerstands hingegen sind kaum zu finden. Daher wurde auf die Präsentation von Objekten weitgehend verzichtet. Die Dekolonisierung von Stadtmuseen und Städten ist ebenfalls Thema der Ausstellung.
In der Wilhelmstraße 92 tagte 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz. Im Palais des Reichskanzlers Otto von Bismarck kamen die Gesandten von zwölf europäischen Staaten, der USA und des Osmanischen Reiches zusammen. Sie verhandelten über die
»A Break from Reality« von Percy Nii Nortey im Museum Nikolaikirche