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EINFÜHRUNG


1. Aufgaben und Herausforderungen für Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner Stödte und stOdtebouliches Entwerfen stehen heute, im ersten "urbanen Jotvhundert" der Gmchichte, vor einer Vielzahl neuer Horausforderungen. Dies bedel1tet nicht,

dass die Gn.mdsOIze und Prinzipien des Städtebaus nun gonz andere sein werden als noch im 19. oder 20. Jahr-

hundert. DIe Dynamik und lComplexifOt stOdtlscher Entv.icldung Jedoch. wie sie zum Beispiel im röumlichen und zeitlichen Nebeneinander von Wachstum. Schrumpfung und Stagnation sichtbar wird, erfordert ein noch stärker prozessuales Vcmöndnis von Städtebau als dies i1 den Phasen der Stodt Indvstrfezeitolter notwendig erschien. Stödte, Stodtquort\ere und StOd!reglonen entwIcKerl sich nicht i1 ru eine Rlchtlxlg; zeltgemöße stOdtebal.ic:he "onzepte rnJssen daher auch meIY cis nu'" eine m6giche Raalität beIOcblchtlgen, de es zu 901werfan und zu g&steiten git.

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&I dero1 ptOzesSl des VemOndnis von SI6dlebou etfOteiert auf der ehen SeHe an Obefzeugendes Gescmtton-

zept. das c:ie notwendigen Konstanten in Form von leitmoffven. lleIen und stOcltebo.Alchen Rl!lgeln bes1rnmt.

AndererseIts IN)SS es VerOnderbaReIt, Vcrfabltöt mitdenken. den an StOdtebaJ beteiligten Aldeusguppen Spieroume geoN6ln:ln und oilon aktiven Diskus mit der Stodtgeselschaft "Werdern. Solche robusten und gleichmtig lexit:IWI SIMa und StodlrOume entstehen auf der BasIs Wltegierten Denken!; und Handehs. DcrIer umfasst das stödtebc:ll.khe &'ltwerfen - met1'" aIs,le ZlNOI" - eine Vielzahl von ötonomIschen.laJItI.xeIen, OstheflSChen. sozi.oien. technischen und nicht zuletzt poltischen Aspelden. deren K.ompIexitOt mit der ebenfals mmer komplexer gewordenen Stadt gcwoctuen bt. .0. ~ukh. fnlwvrl ", bIin. in.~, Wldkhe Spur vom Pr0gramm lIJf D~ «Indem ei1 im Pr1rufp endk:itser Prozess der Entwlctekll, K~ Verwt'Ifem I,II1d Enelzens rWnlcher Vor~,"'. ~ ~lfIWnduT1Q.· (fJik.f'mvfHIr)

Städtebauliches Entwerten Ist dermach ein äußerst vielschichtiger; kreativer Prole$$, der gerade für angehende Architel:ten, Stadt- und Landschaftsplaner zu einem herausfordernden Experiment mit Strulctur&n, Formen, landschaft, TopograpNe und vielem melT Yterden mm. Dabei ist das Entwerfen beispIeIswaise eines Gatens nicht werigerwichtlg als der Entw\xf eines Gebäudes. <ie Farn nicht weniger cis das f'Toganvn. der ffeiraum venient cie gleiche Aufrnef1aorTblt wie <ie gebaute Stodt lXId cie Nu12bc:Iteß eines Raums Ist genauso bedeutsam wie seine Osthetlsche QualtOt.

O'l.l_l\InIeow ................... , W

C. Reicher, Städtebauliches Entwerfen, DOI 10.1007/978-3-8348-8257-8_1, © Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012


EINFüHRUNG

2. Städtebauliches Entwerfen von Produkt und Prozess Der Prozess des Entwerfens beschränkt sich nicht mehr nur auf die Entwicldung eines räumlichen Produkts. eines physischen Raums ("hardware"], sondern umfasst in wachsendem Maße auch die Entwicldung von räumlichen Prozessen und den damit verbundenen Strategien ("software"]: Dies können Verfahren zur Kommunikation und Teilhabe sein. Marl<eting- und Brandingstrategien oder sogar neuartige Planungsinstrumente. mit denen qualitälvoller Städtebau ermöglicht und umgesetzt wird. Diesem Aufgabenverständnis folgend differenziert diese Anleitung zum städtebaulichen Entwerfen zwischen Produkt und Prozess. Abhängig von den konkreten Autgabenstellungen erg&ben sich zahlreiche Schnittstellen zwischen Produkt und Prozess. In diesem Buch zum städtebaulichen Entwerfen werden beide Dimensionen ausführlich behandelt auch wenn das Entwerfen physischer Räume im Vordergrund steht. Städtebauliches Entwerfen ist letztlich eine räum-

liche Choreografie aus Strukturen und Füllungen, die auch das Ungewisse und Überraschende miteinbezieht - Eigenschaften, die sowohl der Stadt als Topos wie auch dem Prozess des Entwerfens eigen sind. Städtebauliches Entwerfen als Produkt:

V\

Raumstruldur (des physischen Raums) Gebäude Freiraum

IB

Raumfüllung Nutzung Programm

1

Städtebauliches Entwerfen als Prozess:

Ic

Raumorganisation Planverfahren. -methodik Formelles und informelles Regelwerl<

ID Raumakiivierung Branding und Imagie Ereignis. Inszenierung Partizipation. Teilhabe "Jede Form ist das erstante Momentbild eines Prozesses. Also ist das Werlc: Haltestelle des Werdens und nicht erstantes Ziel." (EI UssitzkyJ

Q.2.1 _ StachbauichM Entwerfen von Produkt und ProDSI

PRODUKT

PROZESS

"

RAUMSTRUKTUR

Gebiiude, FreiRlJm

(i) Geooude

® Freiraum

e

CI

CD

Nutzur..!, Progromm

RAUMORGANISATION

Bauleilplanll1g, Farmelle lI1d infannalle 1'11,1",0, V,mlllzung

RAUMAKT(V(ERUNG

BEBAUUNGSPlAN 0

EVENT

RAUMFÜllUNG

01\"k 0 Albeilen 0 Woh,,", @Platz ®liIlen

/MIjj,rung des Offen~chen ioumes

GesIIlllungsoondblKh

~DIz

Bronding, Bespielung lI1d Ewnls, Bildor, P"lizil'!lion

Qoorliersmanagemenl

lwischennulzlJnllfll

Atlmkfiooen zu, Belebung das OIIontl.hen ioumas


STÄDTEBAULICHES ENTWERFEN

3. Definition und Verständnis: Was ist Städtebau? Städtebau befasst sich mit der räumlichen Ordnung und Gestaltung der Umwelt, im städtischen wie im ländlichen Kontext. Auch wenn die Disziplin Städtebau erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden ist. existiert Städtebau. seit es planende Vorgänge zur Errichtung von Städten gibt. Der Ursprung der Disziplin reicht daher bis in die Entstehungsgeschichte der Stadt zurück, zumal der Bau von Siedlungen bzw. Städten von Beginn an als ein Handlungsfeld mit kulturellen, sozialen, ökonomischen. technischen und gestalterischen Aspekten verstanden wird: Städte hätten schließlich keinen Bestand. wenn sie dauerhaft gegen die Bedürfnisse ihrer Bewohner. gegen äkonomische und ökologische Grundprinzipien und ohne entsprechende Infrastrukturen geplant und gebaut worden wären. Im Laufe der Jahrhunderte hat der Städtebau Lösungen für ganz unterschiedliche Anforderungen entwickeln müssen, weil sich in und mit den jeweiligen Epochen die spezifischen Herausforderungen und die damit verbundenen städtebaulichen Aufgaben verändert haben. Die heutigen Städte. Stadtquarliere und Stadtregionen mit ihren komplexen und teilweise widersprüchlichen Entwicldungstrends stellen den Städtebau wiederum vor zahlreiche neue Herausforderungen und erfordem ein entsprechend vielschichtiges Aufgabenverständnis.

...Ist Stadt- und Raumplanung In der dritten Dlmenslan. Während sich Stadt- und Raumplanung häufig auf zweidimensionale Darstellungen von Stadt und ihren Funktionsbereichen beschränkt. kommen mit dem Städtebau die dritte Dimension der Stadt sowie die Gestaltung des Raumes hinzu. Städtebau ist in diesem Sinne eine gestaltende Stadtplanung. bis hin zur architektonischen Planung des Raumes - vom Stadtquartier bis zur Stadtregion.

•••entwlckell die gebaute Stadt weiter.

Anders als in Phasen rasanten Stadtwachstums, wie sie im Zuge der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert kennzeichnend waren, setzt sich Städtebau in Europa gegenwärtig verstärkt mit den Entwicldungsbedingungen und -möglichkeiten des Bestandes. d. h. der bereits gebauten Stadt, auseinander. Allerdings täuscht auch hier der erste Bndruck einer bereits fertig gebauten Stadt, denn immerhin befrägt die bauliche Veränderungsquote - je nach Standorl- zwischen 2 und 5 Prozent pro Jahr, so dass statistisch gesehen Städte im Laufe von 2 bis 3 Generationen von Grund auf umgebaut werden. Stadtumbau und Stadtemeuerung sind daher beständige Aufgaben im Städtebau. unabhängig von der Frage. ob Städte wachsen oder schrumpfen.

In schrumpfenden Städten. die durch das Aufgeben von Nutzungen und Leerfallen von Gebäuden gekennzeichnet sind. stellt sich beispielsweise die weitgehend neue Aufgabe, abnehmende Dichte bzw. Leere zu gestalten oder temporäre Lösungen für den Erhalt wertvoller Bausubstanz in den Städten zu entwickeln. Städte sind Lesebücher der Geschichte. Jede Etappe der Stadtbaugeschichte hat ihre Prägungen hinterlassen. die es zu respektieren und weiterzuentwickeln gilt. Der spezifische "Fingerabdruck" bestimmt die Identität einer Stadt bzw. eines Quartiers.

...gestallet neue StadHeIle und Quartiere.

Die Wachstumsschübe vergangener Epochen haben nachgelassen. Dennoch besteht gerade in den wachsenden Städten ein enormer Entwicldungsdruck, der entweder mit dem Bau von neuen Stadtteilen und Quartieren auf brach gefallenen Flächen oder der Planung von Stadterweiterungsgebieten beantwortet wird. Solche Stadterweiterungen sind jedoch in der RegelldeinmaBstäblicher als die "neuen Städte" aus den 1950er und 1960er Jahren. Neue Stadtquartiere können vielfach leichter als die vorhandenen Teile der Stadt auf neue Anforderungen an Wohnen und Arbeiten, auf veränderte Lebensstile und neue technische oder gestalterische Möglichkeiten des Städtebaus reagieren. Sie sind daher auch ein spezifisches Merkmal unserer gegenwärtigen Epoche und ihrer gesellschaftlichen und ästhetischen Praxis. "Städtebau beschreibt eine Vision zukünftiger Lebensverhältnisse (Peter Zlonic/cy)

...Ist eine OberelnkunH aus ötlentllchen und privaten Interessen • Der Bau von Städten war immer eine Leistung von öffentlichen und privaten Akteuren, wenn auch mit unterschiedlichem und wechselndem Gewicht. Städtebau kann nicht ausschließlich als private oder als öffentliche Aufgabe angesehen und entsprechend betrieben werden. Mit den sich verringernden finanziellen Möglichkeiten von Städten und Gemeinden kommt den privaten Akteuren ein größerer Handlungsspielraum zu. Die vielen Public-Private-Partnership-Vorhaben (PPP). aber auch die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Intitiativen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene zeugen von dem sich ändernden Kräfteverhältnis und von neuen Allianzen in der Stadtentwicldung und im Städtebau.

...lenkt die räumliche Entwicktung. Städtebau hat die Aufgabe. die räumliche und insbesondere die bauliche Entwicldung zu lenken. Dies umfasst sowohl die Planung der verschiedenen Bodennutzungen. die Festsetzung der Grenzen und der HÖhen der Gebäude als auch die Planung für die Erschließung zukünftiger Nutzungsareale und ihrer baulichen Strukturen. Die Aussagen des städtebaulichen Entwurfes können als eine Hypothese zur künftigen Entwicldung des physischen Raums verstanden werden. Diese Hypothese ist überprüfbar und


8NFOHRUNG

zugleich verönderbor. Der stödtebourlChe Entwurf zeigt olso eine IcOnffige ReolitOt ouf, ohne sie Im Einzelnen detollliert fes1zulegen. Hunter SMdtebClu ventehen wt" die Lenkung der ~rfcIlen. /nsbe$on-dere der bal.llchen Entwlcklvng Im gemelndlchen ~. Dos T01IglaJiIIfe/d emr.ctt lieh von der langllisligen r&mfchen DiIposiIion der BoderolUlzungen und InIh:Js1ru/c1t.vesmJonen bis hin zum En1wur1 des dreIdImeJUlonolen Rahmem fOr die baul::he Ge$toIh.mg. Sehen rechtlichen NiedenchSog IIndetder SWtebClu.in den 8auIeiIpIönwl mit han beiden Haup/pSonor1en des fIOchennulzvngsp/anes und des Bebau~es." (Gerd~

•• .Ilefert die Vorauuatzungen für die Funktionsfähigkeit eines Raumes. Städtebou liefert ein Gerüst das WeichensleIlungen vornimmt und zugleich einen Rohmen für die funktionole Ausprögung des Roumes setzt. Die Vertröglichkeit von Nutzungen, Insbesondere Im Hinblick: ouf NutzungsmIschungen, 'Nird wesentlich dovon bestimmt, 'Nie entsprechende Strukturen im Sinne von Moßstobsvorgoben, von technischer Infrostruletur; von Zonierungen u. o. entwur1lich Iconzipiert werden. Die Lebendigk:eit eines Ortes 'Nird moßgeblich durch dos Zusammenspiel der einzelnen Nutzungen beeinflusst. Dieses Zusommensplel erfordert v.1ederum Regeln und Vorgoben, um eInerseits Gebrouch und Aneignung zu ermOglichen und ondererseits Konflikte zu minimieren bzw. zu vermeiden. HSWteOIlU als Ge.Jtol1ung:$au(gabe umfout die r(k..mkhe AnOldnvng lNld die bCluiche AUIfonnuIIerung der stodti:schen LebllnsbllnM::he. Clrdnung ergIbl $/eh CJUS den etIe.bbaren Be21ehUTJgen zwischen der Notvrdes S/tlndlllfes (Umge.bvng. BodenreJeI. Bewuc/l$. KImo. Wetter) lNld den J:iJnsI6ch vom Memchen hinilM'l gebauten Gegenstönden wie HaU$, Weg. Zaun oder Denkmal, oJe ots EaeugnisJe rnemchicher Kumt

und Technik hlerfOrclos Denkbare und MochbIlre $fehen. H (J~1tfI

Hatzen)

... besHmrnf den laum zwischen dem Gebäude und seinem Kontext.

Stödtebou formuliert den physischen Rohmen für die Zuordnung und die Form von Bouten, Anlogen sov.1e öffentlichen, holböffentlichen und privoten FreirOumen. Der Schwerpunkt liegt dobei ouf der Formu~erung und Umsetzung von räumlichen Zusammenhängen und Bedeutungen. Insofem erfüllen städtebouliche EnfoMjrfe eine Mittterrolle zwischen dem einzelnen Objekt und seinem Kontext: Das Herstellen solcher wechselseitigen Beziehungen zwischen Geböude und Stodtrcum, zwischen Quortierund Gesomßtodt. zwischen Stodtpork und Kulturlondschaft ist ein Kemonliegen städteboulichen Entwer-

fe ...

••. I....rt das Fundament fUr asthallsehe Qual1ftzle· rung und In-Warf-Satzung_ Die quorrtötvolle Gestoltung von Stodtröumen ist mehr denn je zu einem 'NiChtigen Folctor in der Stodtentwick:lung geworden. Städtebou prägt "Adressen" und schofft domit die voraussetzungen für die Ansiedlung von onspruchsvollen Betrieben mit interessanten Arbeitsplötzen, ebenso wie für quolltotvolle Wohnquortlere, die ouch ouf longe Sicht Wertbestöndigk:eit und Wohlbennden versprechen.

.••Ist Vorauuatzung und Ergebnis attraktiver StadfbaukuHur. Die Zulcunft einer Stadt 'Nird moßgeblich dovon obhängen, ob es ilT ge~ngt, ein eigenes, im besten Foll unverwechselbores stödtebaunches Profil zu schoflen. Dies meint nicht so sehr dos einzelne, womöglich Ik:onogansche Geböude, sondem zielt eher ouf den stödteboufichen Zusommenhong: der stcdtplalz. der Pale. dos Viertel. der Campus oder die Innenstodt. Die Art und Weise, 'Nie Gebäude gefügt und Stodlräume gestaltet werden, bestimmt das Gesicht einer Stodt. In der Konlcurrenz um Bnwohner; Koufkraft und Atfroktlvltöt werden solche boulcullurellen Quorrtöten von Stödten immer'Nichliger. Nicht weniger bedellfsom sind ollerdings quo~ftzierte Debotten über Städtebou und Baulcultur; denn sie bilden die gesellschoftliche Grundloge für dos stetige Weiterentwickeln der räumlichen und baulichen Identität einer Stodt bzw. eines Stodt-Vlertels.

.••Ist das Ordnen von sozialen lazlahungen.

Die gebouten strukturen stellen das Gerüst dor, ouf dem die Kommunilcotion und das Hondeln der Menschen bosiert. Sie k:önnen so gestaltet sein, dass gemeinsome Aldivitöfen und Diologe befördert werden; sie IcOnnen ober ouch diesen Im Wege stehen. Ober den Stödtebou werden somit die sozioien Beziehungen geordnet und die Mögkhk:eiten des gemeinschoftlichen Hondels vergrö-

Bert.

"SMd1ebcxJ W ein VOIIll..IDChouendeS Ordnen des l.ItbenftJt.mllt! &f/ichet" Gemeinscholhm. •. H (GfIId AJbfIIs) IU.l _ DI. stadt_ ........ _

Wben, HoacIInllt _

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