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Pfullendorf

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RITZ

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Pfullendorf – Schritte zur Strom- und Wärmewende

IM GESPRÄCH | Pfullendorf ist eine Stadt im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen mit rund 13.500 Einwohnern. Mit Jörg-Arne Bias, Geschäftsführer der Stadtwerke Pfullendorf, sprachen wir über kommunale Entwicklungen bei der Strom- und Wärmeversorgung und die Rolle der Stadtwerke bei der Energiewende.

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Herr Bias, 85 % des Stroms der Pfullendorfer Stadtwerke sollen 2035 aus erneuerbarer Energie kommen. Wie wollen Sie das umsetzen? Bias: Schon jetzt ist der Anteil der erneuerbaren Energien an unserem Strommix nicht gering, insofern halte ich unsere selbstgesteckten Ziele für realistisch. Wir haben einige Projekte angestoßen, die lange in der Planungs- und Genehmigungsphase waren. Eines davon ist der Bau einer Freiflächenphotovoltaikanlage, Baubeginn ist 2023. Rund 10 der anvisierten 85 % kommen allein aus diesem Projekt. Wir begleiten als Netzbetreiber aber auch andere Anlagenbetreiber. Zurzeit gibt es rund 440 PV-Anlagen auf den Dächern der Gemeinde in unserem Netzgebiet. In Zusammenarbeit mit der Energieagentur Ravensburg wurde der für jeden einsehbare Solaratlas Landkreis Sigmaringen erstellt, der eine erste Einschätzung der Eignung der Dächer für die Installation von PV-Anlagen gibt. Dieser zeigt das noch vorhandene Potenzial auf den Dächern der Stadt. Auch ein oder zwei weitere Freiflächen wollen wir noch realisieren. Auf der Gemarkung haben wir heute zudem drei Windkraftanlagen. Deren Leistung von 9 Megawatt stellt einen großen Anteil dessen dar, was hier an erneuerbaren Energien produziert wird. Es laufen noch Verfahren zur Errichtung weiterer Windkraftanlagen, die beachtliche Population an Rotmilanen in dieser Gegend macht eine Genehmigung aber schwierig. Ist es denn grundsätzlich auch für Stadtwerke sicherer, mehr Energie selbst zu produzieren? Unser Portfolio ist aus vielen Bausteinen zusammengesetzt. Wir beziehen auch Strom aus Schweizer Wasserkraft und Biogas sowohl aus der eigenen Region als auch aus Österreich. Die Eigenproduktion von Strom aus erneuerbaren Energien kann darüber hinaus für einen stabilen kostendämpfenden Beitrag im Strommix sorgen. Den Rest des Marktes, sprich die Preise der anderen Anbieter, kann man nicht einfach ausklammern, es handelt sich schließlich um einen freien Markt. Gehörte die Energieversorgung zur Grundversorgung, könnte man kommunalpolitisch natürlich andere Schwerpunkte setzen. Ich sehe die Stadtwerke aber als einen ausgleichenden Faktor in diesem Markt. Wir planen so weit voraus, als stünde fest, dass es uns auch in Jahrzehnten noch geben wird.

Unser Auftrag ist es, in der Gemeinde für eine sichere Energieversorgung und -infrastruktur zu sorgen, ohne Gewinnmaximierung. Man wird auf diesem Weg aber nicht umhinkommen, Konflikte zu bewältigen und abzuwägen, was Vorrang hat. Diese Grundsatzabwägung sollte nicht im Landratsamt je nach Einzelfall entschieden werden müssen, sondern als gemeinsamer gesellschaftlicher Wille in Form einer Wertetabelle von der Politik festgelegt werden.

Welche Bedeutung hat die Wärme bei der Erneuerung der kommunalen Energieversorgung? Redet man von Energiewende, dann ist meist von Strom die Rede. Bei 60 % der verbrauchten Energie geht es aber um Wärme. Die Energiewende in Privathaushalten muss im Heizungskeller stattfinden, dort befinden sich die größten CO2-Emittenten.

2015 haben wir eine Wärmebedarfskarte ausgerollt und begonnen, den Verbrauch pro Quadratmeter in den einzelnen Quartieren zu ermitteln. Am höchsten war er in der Altstadt, wo aber gleichzeitig die energetische Sanierung der Gebäude schwierig ist. Unsere primäre Aufgabe war also, zunächst in diesem Quartier ein hocheffizientes Nahwärmenetz zur Verfügung zu stellen. Der erste Schritt war der Bau der Heizzentrale in der Museumsgasse. In den dortigen engen Gassen Leitungen zu verlegen ist nicht einfach, da viel handgeschachtet werden muss. Es gibt auch keine Standardanschlüsse, jedes Haus ist anders. Das ist herausfordernd, aber genau deswegen eine Aufgabe der Stadtwerke. Wer anders ist gewillt, sich dieser Problematik zu stellen. Und den Bürgern Lösungen nicht nur für das Hier und Jetzt, sondern für die Zukunft anzubieten. Wir haben ein integriertes Quartierskonzept erstellt und uns Straße für Straße angeschaut: Wo ist welche Gebäudestruktur, wie viel Energie verbrauchen diese, wie ist der Sanierungszustand und wo werden welche Heizungsanlagen verwendet.

Bei einem Heizungstausch muss ein immer höherer Anteil erneuerbarer Energien eingesetzt werden, ab 2026 dürfen auch keine neuen Ölheizungen mehr eingebaut werden. Für uns heißt das, spätestens zu diesem Zeitpunkt da zu sein, um langfristig eine zukunftsfähige Infrastruktur aufbauen zu können. Darüber hinaus wollen wir in den kommenden 15, 20 Jahren flächendeckend leitungsgebundene Wärme in die Häuser bringen. In den nächsten zehn Jahren investieren wir dafür 20 Millionen Euro.

Wie kann man sich einen solchen schrittweisen Ausbau vorstellen? Wir denken in Waben. Jede Wabe ist mit einer Heizzentrale und einem Leitungsabschnitt bzw. -netz für sich genommen funktionsfähig, diese können aber auch hydraulisch miteinander gekoppelt werden. Parallel zur Altstadt entwickeln wir einen zweiten Standort an der Sechslindenschule. Nach Schule, Kindergarten, Freibad und Stadthalle, die bereits über ein Blockheizkraftwerk versorgt werden, sind jetzt auch die angrenzenden Wohngebiete mit in der Planung. Ebenfalls mit einer eigenen neuen Heizzentrale und einer Kopplung an das Netz der Altstadt. Je nachdem, welche Primärenergie gefragt ist, erfolgt der Austausch.

Für unser Wärmenetz haben wir die die Maximalförderung erhalten, als besonders zukunftsfähige Wärmeversorgung. Beispiel Wasserstoff: Wir wissen zwar nicht, ob und wann Wasserstoff durch die Gasleitungen geliefert wird, aber wir wären bereit dafür. Unsere Infrastruktur muss nachhaltig sein. Wir können es uns nicht erlauben, mal in die eine, dann in die andere Richtung zu investieren. Zudem haben wir die Energieversorgung als Ganzes im Blick, Stichwort Sektorenkopplung. Wir holen möglichst viel aus jeder Kilowattstunde Primärenergie heraus, zum Beispiel durch Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen.

Ein Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Belastbarkeit der Netze, wenn mehr und mehr elektrifiziert wird. Wie sieht es in Pfullendorf aus? Wir schauen, wie viel Strom in einer bestimmten Straße abgenommen oder auch produziert wird. Und ziehen Rückschlüsse daraus, ob das Netz leistungsfähig genug wäre, wenn zusätzlich mehrere Wallboxen und Wärmepumpen installiert werden, die in ihrer Spitze das jeweils das 3- bis 4-fache eines gesamten Haushalts benötigen. In Reallaboren wurden die teils schlimmen Szenarien das Netz betreffend – überspitzt hieß es, wir bräuchten in jeder Straße ein Atomkraftwerk – allerdings relativiert. Denn bezieht man den Gleichzeitigkeitsfaktor mit ein, kommt man zu dem Ergebnis, dass selbst zu Spitzenzeiten nur ein Bruchteil der maximalen Strommenge wirklich auch abgerufen wird. Aber wir müssen genau hinschauen und gegebenenfalls reagieren.

Jedes Elektroauto könnte zudem auch als ein Batteriespeicher zur Pufferung genutzt werden. Rechtlich ist das derzeit nicht zulässig, der Strom darf nicht zurück ins Netz. Das muss sich ändern. Wenn wir nicht nur ein sektoren-, sondern auch ein kundengekoppeltes System schaffen, dann begänne dieses zu atmen. Noch weiter gedacht gibt man über eine App ein, wie viele Kilometer man täglich in der kommenden Woche mit dem Auto zurücklegen möchte und gibt den überschüssigen Strom aus dem Akku an einen Stromversorger frei. So könnte die Energiewelt von morgen aussehen. Wir ändern die Spielregeln, denn zentral von oben wird nicht mehr funktionieren.

Wir sehen uns in der Verantwortung, dies für unsere Gemeinde umzusetzen. Seite an Seite mit den Bürgern, den Hausbesitzern und dem Gemeinderat.

»Unsere Infrastruktur muss nachhaltig sein.

Wir können es uns nicht erlauben, mal in die eine, dann in die andere Richtung zu investieren.«

Neuer Bürgermeister von Pfullendorf ist Ralph Gerster.

Der langjährige Bürgermeister der Gemeinde Herdwangen-Schönach tritt ab Januar 2023 die Nachfolge von Thomas Kugler an.

Stadtwerke Pfullendorf GmbH Bahnhofstraße 6 D-88630 Pfullendorf Tel. +49 7552 251790 info@stadtwerke-pfullendorf.de Wirtschaftsförderung Pfullendorf Ansprechpartner: Bernd Mathieu Tel. +49 7552 251111

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