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IHK Bodensee-Oberschwaben
Einkaufsstadt Ravensburg
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Im Gespräch mit Prof. Dr. Peter Jany, seit 2008 Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben, über die Zukunft des Innenstadt-Einzelhandels in den Landkreisen Sigmaringen, Ravensburg sowie im Bodenseekreis.
Industrie- und Handelskammer BodenseeOberschwaben Lindenstraße 2 D-88250 Weingarten Tel. +49 (0) 751 4090 info@weingarten.ihk.de, www.weingarten.ihk.de
Prof. Dr. Peter Jany Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben Herr Prof. Dr. Peter Jany, wir stecken mittendrin in einer wirtschaftlich schweren Zeit. Wie beurteilen sie die Aussichten der Innenstädte für die kommenden Monate und Jahre? Über die Zukunft der Innenstädte nach der CoronaPandemie wird häufig spekuliert, denn die Mehrheit der in den Innenstädten angesiedelten Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe haben auch Monate nach dem ersten staatlich verordneten Lockdown bei weitem noch nicht das Umsatzniveau erreicht, das sie für die langfristige Fortführung der Betriebe benötigen. Die Unabwägbarkeiten der kommenden Monate sind nach wie vor groß und wir hoffen, dass die befürchtete Insolvenzwelle nicht mit voller Wucht einsetzen wird. Die Veränderungsdynamik war im Einzelhandel in den vergangenen Jahren bereits sehr stark, Corona hat diese Prozesse noch einmal beschleunigt. Im Vergleich mit den Zustandsbeschreibungen von Innenstädten in anderen Bundesländern können wir uns aber glücklich schätzen, dass unsere Innenstädte bisher überwiegend noch gut „funktionieren“.
Was sind die Gründe dafür, dass die Innenstädte hier in der Region vergleichsweise noch besser aufgestellt sind als anderswo? Vor der Pandemie herrschte in fast allen Städten in unserer wirtschaftsstarken Region nahezu Vollbeschäftigung und sogar Fachkräftemangel. Menschen, die einen guten und sicheren Job haben, verfügen über die notwendige Kaufkraft und konsumieren entsprechend. Hinzu kommen die zahlreichen Tagesbesucher und Urlauber, die Ausgaben im stationären Handel, in der Gastronomie und bei anderen örtlichen Dienstleistern tätigen, sowie die Kaufkraftzuflüsse der Konsumenten aus der Schweiz und aus Vorarlberg. Die Innenstädte, darunter viele historische Altstädte, wurden in den letzten Jahrzehnten hervorragend saniert, bieten eine angenehme Aufenthaltsqualität und sind jeweils einzigartig. Trotz dieser positiven Rahmenbedingungen wachsen die Bäume im stationären Einzelhandel schon seit Jahren nicht in den Himmel und die Folgen der Corona-Pandemie setzen auch unseren Innenstädten erheblich zu.
Was sind die Gründe für die andauernde schwierige Lage des Einzelhandels? Der Onlinehandel hat seine Marktanteile in fast allen Einzelhandelszweigen in den letzten Jahren durchschnittlich um 10 Prozent jährlich ausgeweitet, während der stationäre Einzelhandel mehr oder weniger stagniert bzw. meist nur geringe Zuwächse von 1 bis 2 Prozent erzielen konnte. Die Zahl der Konsumenten, die in der Corona-Krise den Einkauf im Netz intensiviert haben, ist deutlich gestiegen. Selbst der sich bislang auf niedrigem Niveau befindende Lebensmittel-Onlinehandel hat im Frühjahr 2020 eine Verdopplung seiner Umsätze vermeldet. In dem für die Attraktivität der Innenstädte besonders wichtigen
Kennzahlen zur Einzelhandelsstruktur in der IHK-Region Bodensee-Oberschwaben:
Anzahl der Konsumenten: 631.000 Anzahl der Haushalte: 292.000 4.500 stationäre Einzelhandelsbetriebe Sie vertreiben ihre Produkte auf fast 1 Million Quadratmetern Verkaufsfläche Regionale Kaufkraft für den Einzelhandel: 4,65 Mrd. Euro Davon werden ca. 12 Prozent im Online-Handel ausgegeben „Die Innenstadt als Kristallisationspunkt des städtischen Lebens, als sozialer Treffpunkt der Menschen, kann im Zeitalter der Digitalisierung eine Renaissance erfahren.“
Mode- und Schuheinzelhandel werden bereits 25 bis 30 Prozent aller Einkäufe im Internet abgewickelt. Umsätze, die rein stationär aufgestellten Einzelhändlern fehlen und zu weniger Grundfrequenz, also weniger Besuchern in den Innenstädten führt.
Haben Geschäfte ohne eigenen Onlinehandel die Zeichen der Zeit verkannt? Mit dieser Schlussfolgerung würde man es sich zu einfach machen. Der Onlinehandel in Deutschland wird von wenigen Anbietern geprägt, ein mittelständischer Händler verfügt meist nicht über die finanziellen Mittel und das Know-how, um einen eigenen Online-Shop zu betreiben. Nichtsdestotrotz vertreiben über 50 Prozent der Händler laut einer aktuellen IHK-Studie ihre Produkte über mehrere Vertriebskanäle und nutzen den Marktplatz von Amazon oder Ebay bzw. lokale Online-Marktplätze, sind Mitglied des Partnerprogramms von Zalando oder nutzen den Online-Vertriebskanal einer Einkaufsgenossenschaft. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Handelsunternehmen, sich für Gegenwart und Zukunft zu rüsten. Ein Teil der Betriebe, die rein stationär aufgestellt sind und im Internet weder auffindbar sind noch über ein anderes Alleinstellungsmerkmal verfügen, wird die Corona-Krise wahrscheinlich nicht überstehen.
Welche Folgen könnte eine zunehmende Anzahl an leerstehenden Geschäften haben? Eine Vielzahl an nicht adäquat nachbesetzten Ladengeschäften kann in einen Trading-down-Prozess der ganzen Innenstadt münden. Wenn eine Geschäftsstraße erst einmal wahrnehmbar bröckelt, ist eine Neubelebung schwer. Diesen „Point of no return“ zu vermeiden, muss das Ziel der Gemeinschaft der Kaufleute sowie aller Akteure einer Innenstadt sein. Dabei können sich die Städte nicht mehr auf die Anziehungskraft des Warenangebotes verlassen, sondern müssen in Zukunft wesentlich vielfältiger werden. Welche Rolle spielen Wohnen und Arbeiten in der Innenstadt? Wohnen sollte vielerorts einen höheren Stellenwert in den Innenstädten bekommen, denn der Handel braucht die räumliche Nähe zum Kunden. Die Funktion Wohnen ist aber von allen Innenstadtfunktionen die schwächste, denn sie kann keinen Bedeutungsüberschuss produzieren, das heißt, aus diesem Kaufkraftpotenzial kann kein differenziertes Warenangebot aufrechterhalten werden. Die Innenstädte müssen Angebote und Dienstleistungen anbieten, die Menschen aus entfernteren Einzugsbereichen anziehen. Leider haben viele Innenstädte in den vergangenen Jahren auch Arbeitsplätze verloren. So haben Bankfilialen und andere Dienstleister aufgrund der besseren verkehrlichen Erreichbarkeit eher die Randlagen der Innenstädte nachgefragt. Und in der Corona-Pandemie hat sich das Homeoffice fest etabliert. Wenn sich die Erwerbsarbeit in weiten Teilen dezentral organisieren lässt, werden Büroräume in den Innenstädten nicht mehr in dem Maße nachgefragt.
Haben Sie eine Idee, wie die Innenstädte zukünftig zusätzlich belebt werden können? Zuerst einmal muss bei allen Akteuren in der Innenstadt die Erkenntnis reifen, dass alle in einem Boot sitzen. Die vielen Akteure der Innenstadt sind extrem fragmentiert, kennen sich oft gar nicht und rudern häufig alle für sich. Wie soll da das so dringend notwendige koordinierte Handeln entstehen? Diesen Dialog zu intensivieren, ist die Aufgabe der Stadt. Er muss aus dem Rathaus angestoßen und moderiert werden. Die Innenstadt ist eine Gemeinschaftsveranstaltung. Es ist nicht möglich, dass die Kommune die Innenstadt alleine rettet. Neue Radspuren oder ein neues Straßenpflaster machen noch kein attraktives Zentrum. Es geht darum, dass man in der Innenstadt Dinge - im weitesten Sinne - bekommt, die man nirgendwo anders bekommt. Es braucht also mehr Spezialisten und beratungsintensivere Angebote, mehr Erlebnisse und Emotionen sowie eine attraktive Aufenthaltsqualität.