Buchstabensuppe 19 / 2017

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Herbst 2017

Fragen zur Freiheit, den eigenen Weg zu gehen Seit geraumer Zeit sind die Worte “Islam”, “Islamisierung” und “Muslime” in aller Munde und erhitzen so manche Gemüter. Doch was sich dahinter verbirgt, ist schwer zu beschreiben und zu sagen. Diese Worte sind inzwischen so aufgeladen, dass jede Person glaubt, ihre Meinung dazu zu haben und öffentlich kund tun zu dürfen. Es handelt sich ja schließlich um Meinungsfreiheit. Doch wo hört Meinungsfreiheit auf, wo fängt sie an? Wer entscheidet darüber, was gesagt werden darf und was nicht? Und wie sagt Georg Kreisler so schön: “Meine Freiheit muss nicht deine Freiheit sein. Meine Freiheit: ja. Deine Freiheit: Nein.” Wer entscheidet also darüber, was Freiheit ist, was der persönliche Sinn des Lebens darstellt? Im Bezug auf das Buch “Zwei Schwestern” von Asne Seierstad und ihre Reportage über den Weg zweier Schwestern in den Dschihad zu ziehen, werden viele Fragen aufgeworfen, die keine allgemeingültige Antwort besitzen. Es werden Fragmente angeboten, die ein Bild ergeben können mit Lücken, die nur die lesende Person selber zu füllen vermag. Das Buch beginnt damit, dass die Schwestern Ayan und Leila eines Tages im Oktober 2013 in die Schule gehen, aber nicht mehr nach Hause kommen. Am Abend melden sie sich bei ihrer Familie, dass sie auf dem Weg nach Syrien sind um dem IS zu folgen. Der Vater reist ihnen hinterher und will sie wieder zurückbringen. Sie wollen nicht. Sie möchten ihrem Leben einen Sinn geben. Sie sinnieren über das Leben nach dem Tod. Über das Paradies in das sie eintreten, wenn sie ihr Leben für Gott opfern. Die Familie stammt aus Somalia und findet in Norwegen ein neues Leben. Der Vater gliedert sich gut ein, die Kinder ebenfalls. Die Schwestern haben Pläne für ihre Zukunft, die eine will Diplomatin werden, die andere Rechtsanwältin. Irgendwann kommen sie mit der radikalen Auslegung des Islam in Berührung, langsam nehmen sie die Meinungen an, dass Norwegen schlecht zu allen Muslimen ist, dass es nur gläubige oder

ungläubige Menschen gibt. Grenzen werden gezogen zwischen Dingen, die von Gott erlaubt und verboten sind. Die einen empfinden, sich durch Regeln befreien zu können, andere fühlen sich dadurch beschnitten. Der Grat dazwischen ist schmal und kann nur selbst entschieden werden. Die Veränderung der Schwestern wird mit

Berichten der Eltern, Geschwistern, Freunden und Freundinnen, Wegbegleitern und Lehrpersonal aufgezeigt. Protokolle von Plena sind ebenso Grundlagen, wie Chatverläufe und Schulaufsätze, die nach ihrem Verschwinden in der Wohnung zurückgeblieben sind. Erklärungen bieten sie nur bedingt, aber ein Weg wird gezeichnet, der anschaulich ist und der im besten Fall für andere eine Warnung ist. Beispielsweise erzählt die Schulrektorin, dass Ayan selbstbewusst argumentierte, warum sie einen Nikab tragen möchte und warum das für sie eine Form der Freiheit ist. Die Rektorin ist etwas perplex: Menschen zum eigenen Denken und Argumentieren zu verleiten, bietet im konkreten Fall eben auch eine spannende Perspektive. Wo beginnt also die

Freiheit? Wann beschneidet sie das Gegenüber und wann einen selbst? So werden auch erst im Rückblick kryptische Aussagen von ihnen verständlich. Der Vater wandte sich mit seiner Geschichte an Seierstad und hofft, dass durch dieses Buch, die die Geschichte seiner Töchter und Familie darstellt, anderen Menschen die Augen geöffnet werden und die Wachsamkeit geschärft wird, damit es nicht anderen auch so ergeht wie ihm. Dass die eigenen Kinder in den Krieg ziehen. Freiwillig. Beim Lesen dieses Buches / Romans / Reportage / Krimis gibt es viele Emotionen, die hervorgerufen werden, Verständnis, Empörung, Ungläubigkeit, Fragen. Vor allem Fragen wie: Warum ist das möglich? Warum gibt es den Glauben daran, durch Gewalt eine friedliche Gesellschaft zu etablieren? Wie ist das logisch erklärbar? Aber um Logik geht es wohl nicht so sehr bei diesen Themen. Gefühle werden angesprochen. Das Gebrauchtwerden ist ein zentrales Thema. Dem Leben einen Sinn geben, ohne Rücksicht auf Verluste, schließlich werden Dinge ja nicht nur für einen selbst getan, sondern auch für das große Ganze. Für den Einen. Asne Seierstad vermag abermals eine Verstörung bei mir zu hinterlassen, wie auch schon bei ihrem Buch "Einer von uns" über Anders Breivik. Sie bietet dabei zu dem aktuellen gesellschaftlichen Geschehen eine Palette von Berichten an, aus denen ich mir meine eigene Wahrheit basteln kann. Die Vielfältigkeit zum Thema Freiheit und die Suche nach dem eigenen Weg, bringen mir neue Aspekte aus der ich auswählen kann, was für mich Freiheit und Wahrheit bedeutet. Welche Freiheit ich mir dabei heraus zu nehmen wage, wer weiß. Clara Felis Asne Seierstad Zwei Schwerstern Aus dem Norwegischen Nora Pröfrock Kein&Aber 528 Seiten, EUR 26,80 978­3­0369­5774­6


BUCHTIPPS

Von Erbsen und Menschen Gertraud Klemm beweist in ihrem jüngsten Roman abermals eine messerscharfe Seziermethode innergesellschaftlicher Strukturen und zwischenmenschlicher wie intrapersoneller Dynamiken – ohne dabei ihren bitterbösen Humor zu verlieren. In dem bei Droschl erschienenem „Erbsenzählen“ widmet sie sich in gewohnt direkter und eloquenter Erzählweise unter anderem der Frage, welche Ziele und Wünsche eine junge Frau von heute zu verfolgen hat. Annika, Ende 20, die mit dem beinahe doppelt so alten Alfred, der bereits verheiratet war und Vater ist, zusammen ist, blickt kritisch auf die Erbsen-zählenden Gleichaltrigen (und Älteren) um sie herum. Dass dieser vorgegebene Pfad von Paaren (Heirat, Kinder, Eigenheim) nicht Annikas ist, sickert dabei unmissverständlich durch. Sie scheint es sich in ihrem Arrangement mit Alfred ganz gut eingerichtet zu haben. Ungebunden, Liebhaberin für die freien Wochenenden, viel Freiraum und doch einen unverbindlich verbindlichen Partner-Status..., da hilft frau schon mal aus, wenn so-

wohl Mutter als auch Vater ausfallen, den Sohn zum Fußballmatch am Wochenende zu bringen. Dass dies einer der wenigen Freizeitgestaltungen ist, die beinahe ausschließlich von den Vätern beaufsichtigt wird, bemerkt Annika ebenso, wie die unmissverständlich abschätzigen Blicke in ihre Richtung. Dass sie die Rolle der „Familienzerstörerin“ innehat scheint, neben der Tatsache ihres fast kriminellen Alters, noch das kleinere Übel zu sein. Doch Annika scheint es (zumindest für sich

selbst) zu gelingen sich all diesen vorgegebenen Mustern und Schablonen zu entziehen und ein relativ freies, selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass es aber keineswegs bei dieser Sichtweise bleibt – die ja ebenso einseitig wäre – zeigt, dass es der Autorin wohl kaum um ein Befürworten der einen oder anderen Sichtoder Lebensweise geht, auch wenn sie mit einer scharfsinnigen Beobachtungsgabe (unbewusst) anerkannte gesellschaftliche Strukturen, Lebensweisen und Eigenheiten gekonnt aufzeigt. Welch unerwartete Wendungen die Handlung noch nimmt, darauf sei mit anpreisender Vorfreude nur hingewiesen. Leset die Erbsen aus! Linus Rübe Gertraud Klemm Erbsenzählen Droschl 160 Seiten, EUR 19,00 9783990590065

Kleine große Schritte Ruth Jefferson ist seit vielen Jahren mit Hingabe Säuglingsschwester in einem öffentlichen Krankenhaus einer nordamerikanischen Stadt als ihr zum ersten Mal von der Klinikleitung untersagt wird, ein Neugeborenes zu versorgen. Die Eltern wünschen keine Berührung ihres Sohnes durch afroamerikanisches Personal. Doch dann ereignet sich ein Notfall und nur Ruth ist da, um dem Buben zu helfen. Soll sie oder soll sie nicht? Für das Kind kommt ihre Hilfe letztendlich zu spät, für die Eltern liegt Ruths Versagen auf der Hand und sie verklagen sie. Ein anstrengendes, nervenaufreibendes Verfahren beginnt, das nicht nur den nach wie vor alltäglichen (nicht immer offensichtlichen) Rassismus deutlich macht, sondern auch zeigt, wie vielschichtig menschliches Handeln ist und wie viele Wendungen ein amerikanischer Prozess bereit halten kann. Der Inhalt klingt etwas platt, konstruiert, um Themen besprechen zu können, die der

Autorin wichtig erscheinen und in einigen Passagen ist er das sicher auch. Nichtsdestotrotz ist der Roman spannend und beschäftigt sich mit Rassismus auf einer tieferen Ebene als es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Ruth, ihrer (weißen) Anwältin Kennedy und dem Vater Turk erzählt, was ihr zusätzlich Substanz gibt, da der Leser die Möglichkeit erhält, jedes Handeln nachzuvollziehen und die Protagonisten

wirklich kennenzulernen. Natürlich ist das Gerichtsverfahren sehr amerikanisch und erinnert teilweise an ebensolche Filme - das Aussuchen der Geschworenen, das Finden von immer wieder neuen Beweisen, das Ausspielen von Trümpfen und dennoch gibt es eine feinere Ebene wie z.B. darf Rassismus vor Gericht von einer Schwarzen zum Thema gemacht werden und wie reagieren Geschworene, Anwälte, Richter darauf. Ich hab das Buch gerne gelesen und bin dankbar für neue oftmals kluge Gedankenimpulse und kann mir vorstellen, dass es auch vielen anderen so gehen wird. Lena Samek Jodi Picoult Kleine große Schritte C. Bertelsmann 589 Seiten, EUR 20,60 978­3­570­10237­4

Besuchen Sie uns im Internet oder zu einer unserer Veranstaltungen! www.literaturbuffet.com ­ von dort geht's auch weiter zu Facebook und google+. Aber Ihr persönlicher Besuch ist uns natürlich noch lieber! Alle Veranstaltungen finden, wenn nicht ausdrücklich anders angegeben, bei freiem Eintritt in Lhotzkys Literaturbuffet, Eingang Rotensterngasse 2, 1020 Wien, statt. Wir ersuchen aus organisatorischen Gründen um Platzreservierungen!

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BUCHTIPPS

Eine tragische Liebesgeschichte im Roten Wien Es ist ein bisschen riskant, wenn man ein Buch empfiehlt, an dem man “nicht unschuldig” ist. So geht es mir mit Hans Weinhengsts “Turmstraße 4”. Lange Jahre hatte ich geglaubt, ein recht solides Wissen über die deutschsprachige Arbeiterliteratur der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts erworben zu haben. Vor ein paar Jahren kam dann ein Aha-Erlebnis. Da war ich soweit, auch längere Texte in der internationalen Sprache Esperanto zu lesen (und zu verstehen). Einer meiner ersten Romane, die ich las, stammte aus der Feder eines mir unbekannten österreichischen Autors, Hans Weinhengst eben. “Turstrato 4” hieß der Roman - und ich bin in dieses Buch wirklich hineingefallen. Ich war zutiefst beeindruckt von der Schildung des Arbeiter- (und Arbeitslosen) Lebens in der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise 1929. Der verzweifelten Lage ganzer Familien, in denen sukzessive ein arbeitsfähiges Mitglied nach dem anderen auf die Straße gesetzt wurde, ausgesteuert war - also keinerlei soziale Unterstützung mehr bekam -, von einem Tag auf den anderen nicht einmal die primitivsten

Bedürfnisse befriedigt werden konnten. Dass unter solchen Umständen, noch dazu in Wien-Favoriten, und dort wiederum im übelbeleumundetsten “Grätzl”, der Kreta, die zarte Pflanze der Liebe nur schwer gedeihen konnte, war klar. Dementsprechend tragisch ist der verzweifelte Versuch von Martha und Karl, das gemeinsame Glück zu finden. Bei einem Besuch in der Sammlung für Plansprachen traf ich dann Christian Cimpa, der dort arbeitet (einige von Ihnen werden sich erinnern, dass Christian bei uns im Literaturbuffet seine schüttelgereimten Bücher vorgestellt hat), und steckte ihn mit meiner Begeisterung für das Buch an - er machte sich an die Übersetzung ins Deutsche, denn eines war klar: Wir wollten dieses Buch einem größeren Publikum

zugänglich machen. Das Team der edition atelier, dem wir von unserem Projekt erzählten, griff die Idee auf und so erschien 83 Jahre nach der Erstveröffentlichung in Esperanto erstmals eine deutsche Übersetzung des autobiografisch gefärbten Roman “Turmstraße 4”. Ich hatte das Vergnügen, ein Nachwort beizusteuern, in dem ich versucht habe, nicht nur das Leben Hans Weinhenghsts, soweit ich es rekonstruieren konnte, zu erzählen, sondern auch einen kleinen Beitrag zur Geschichte der Arbeiteresperantobewegung in Österreich zu leisten. Die Themen des Romans sind heute noch immer oder schon wieder aktuell. Vielleicht kann Sie dieses Buch genauso begeistern wie mich. Kurt Lhotzky Hans Weinhengst aus dem Esperanto Christian Cimpa Turmstraße 4 Edition Atelier 200 Seiten, EUR22,00 978­3­903005­84­6

Ihm bleibt auch nix erspart Joseph Maria Nechyba ist Inspector des k.k. Polizeiagenteninstitutes im kaiserlichen Wien zu Beginn des XX. Jhdts. und dem Publikum von Gerhard Loibelsbergers historisierenden Kriminalromanen seit seinem ersten Fall „Die Naschmarkt-Morde“ (Gmeiner, 2009) als meist gemütlicher, für einen „Ki(e)berer“ erstaunlich gerechtigkeitsliebender, aber, wenn zu sehr gereizt, auch hart zupackender – und -schlagender – Kriminalbeamter bekannt. Darüber hinaus, für einen Mann vor hundert Jahren durchaus nicht sehr üblich, ist Nechyba ein recht begabter Hobbykoch.

Nun haben sich Autor Loibelsberger (*1957) und der eine Generation jüngere Maler und Illustrator Reinhard Trinkler (*1987), bekannt schon von Kottan-Zeichenserien im Bezirksblatt und zuletzt einem „Falco“Comicband („Falco. Die Legende lebt“, gleichfalls Amalthea, 2017) zusammengefunden, um Nechyba auch ein Gesicht zu geben. „Der Bankert vom Naschmarkt“ spielt vom Titel her auf Loibelsbergers Debuterzählung an, lässt seine Handlung aber rund acht Jahre später mit einem schon wesentlich erfahreneren Hauptcharakter abrollen. Ein Neugeborenes wird erfroren an einem kalten Wintermorgen mitten zwischen den Marktstandeln gefunden. Der Kriminalinspector macht sehr rasch die Mutter, ein Dienstmädchen eines in der Nachbarschaft residierenden „von und zu“, ausfindig. Um den am Tod des Säuglings Schuldigen zu erwischen – dann wird auch noch einer der Verdächtigen ermordet –, bedarf es aber doch mehrerer Zeugeneinvernahmen und Verhöre. Dem Kriminalfall selbst hätte etwas detailliertere Ausarbeitung nicht geschadet. Der mitunter derbe, recht großformatige, um nicht zu sagen: grobschlächtige Zeichenstil wird vermutlich nicht jedermanns

Geschmack treffen. Auf den zweiten Blick lässt sich aber doch erfreulich viel Subtilität entdecken. So dominieren in den Straßenszenen trotz winterlicher Kälte – wir schreiben Jänner 1911, der noch nicht ganz überdachte Wienfluss ist zum Beispiel vereist bzw. wie kurz vor dem Eisstoß zu sehen – meist warme Ockertöne, in die auch herumstehende Passanten, oder besser: Gaffer und Schaulustige getaucht scheinen. Andererseits ist der als wenig sympathisch bekannte Adjutant Nechybas, Pospischil, komplett in Grau gehalten. Hinter einigen Nebenfiguren darf man, durch den leicht unterschiedlichen Zeichenstil bemerkbar, Freunde oder Bekannte des Illustrators oder Loibelsbergers eingeschmuggelt vermuten und so weiter. Als Fazit darf man ein ambitioniertes Projekt konstatieren, gewiss mit Ausbaumöglichkeiten, aber jedenfalls ein durchaus gelungener Auftakt. Fortsetzung einer neuen Wiener Comicreihe nicht ausgeschlossen! Martin Lhotzky Gerhard Loibelsberger Der Bankert vom Naschmarkt Amalthea Verlag 96 Seiten, EUR 20,00 978­3­99050­103­0

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BUCHTIPPS

Wer die Geschichten erzählt: Drachen oder Menschen Asha ist die Tochter des Königs, aber nicht wie sonst üblich eine strahlende Erscheinung, sondern eine Iskari, eine Drachentöterin. Sie wird dafür gleichzeitig geliebt und gefürchtet, vor allem wenn sie nach einer erfolgreichen Jagd den Kopf eines Drachen ihrem Vater zu Ehren in das Königreich zurückbringt. Eines Tages wird Asha von ihrem Vater vor die Wahl gestellt: entweder sie bringt ihm den Kopf des ältesten Drachen Kozu oder sie muss seinen brutalen Kommandanten Jarek heiraten, der ihr als Kind das Leben gerettet hat. Für Asha ist die Entscheidung klar und so beginnt der Wettlauf gegen die Uhr. Sieben Tage bleiben ihr, um den Drachen aufzuspüren und Kozu’s Kopf ihrem Vater zu bringen. Auf dieser Jagd wird sie allerdings nicht nur mit den Herausforderungen einer solchen Jagd konfrontiert, sondern auch mit sich selbst, den Blickwinkeln ihres Tuns, durch ihre eigenen Augen und auch durch die der anderen. Allen voran beginnt sie eine Freundschaft mit Torwin, dem Sklaven Jareks, der ihr seine Hilfe anbietet und mit der Asha zunächst nicht viel anzufangen weiß. Eine Reise zu den verschiedenen Schichten

der Wahrheit beginnt und ein Blick hinter Schein, Sein und Vorstellung entpuppt sich ebenfalls als eine Jagd, die Asha verwirrt und die sie nicht zu durchschauen glaubt. Denn nicht alles, was ihr über ihre Kindheit erzählt wurde, ist wirklich passiert. Die Suche nach der Wahrheit bleibt eine Herausforderung. Denn es gibt so viele davon. “Iskari” ist der erste Band einer Trilogie von Kristen Ciccarelli. Es gibt zwei Erzählebenen, die zum Einen im aktuellen Geschehen stattfinden und zum Anderen Rückblenden sind, die Geschichten erzählen, sowohl die Familiengeschichte Ashas als auch die Mythen des Königreichs Firgaad in der Drachen und Geschichtenerzählen eine wesentliche Rolle spielen. Das Buch ist dem Genre der Fantasy zuzuordnen, doch geht es im Weitesten auch darum, was Geschichten bewirken und welchen Einfluss sie auf die eigene Geschichte haben können. Die Herausforderung des Erwachsenwerden oder die Suche nach dem eigenen Selbstbild ist auch immer davon abhängig, was andere über einen sagen und wie die Balance dazu gehalten wird. Clara Felis

Kristen Ciccarelli Iskari ­ Der Sturm naht Heyne fliegt 415 Seiten, EUR 17,50 978­3­453­27123­4

Ein Hoch auf die Gemütlichkeit! »Eines Morgens schliefen sie alle ganz lange, weil der Wecker nicht geklingelt hatte. Ente schlief. Schaf schlief. Maus schlief. Hase schnarchte. Na, und Wendelin Wolf, der schlief auch.« Ein Buch, das so anfängt, kann nur wunderbar werden! Und fürwahr: das neue Buch von der Kinderbuch-Autorin und -Illustratorin Kristina Andres ist überaus gelungen. Wendelin und seine Freunde Ente, Schaf, Maus und Hase erleben fidele kleine Abenteuer in ihrem Alltag. Es sei so viel verraten: ein schwarzes Telefon (Achtung Nostalgiefaktor: eines mit Wählscheibe!), sowie ein Elefantenhut, sowie eine Bettelmaus spielen wesentliche Rollen. Jeden Tag meldet sich Wendelins Tante „Tante Gertrud“ mindestens einmal per Telefon oder schaut vorbei (wenn sie nicht gerade eingeschneit ist).

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Wendelin Wolf, Ente, Schaf, Maus und Hase leben von Tag zu Tag, lassen sich überraschen, was der neue Tag so bringt, geraten in so manch ein Abenteuer, lösen Hürden mit viel Phantasie, erzählen sich Frühstücksräubergeschichten, dichten Märchen um und reisen einmal gar bis zum „Gehtnichtmeer“. Aber vor allem haben sie es gemütlich. Kristina Andres erschafft in flotter Sprache und mit viel Wortwitz Geschichten für die Kleinsten, an denen sich auch größere (und noch größere) Kleinere freuen können, indem sie den Humor in verschiedenen Nuancen einstreut. Begleitet werden die Abenteuer, die lose auf einander aufbauen, von charmanten Zeichnungen. Deutlich wird sowohl durch die Sprache, den Inhalt, als auch die Zeichnungen, dass sie ihren Charakteren, wie auch dem Lesepublikum eine Menge Empathie entgegenbringt. Linus Rübe

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Kristina Andres Warum Sonntage so schön sind. Geschichten von Wendelin und Tante Gertrud G&G Verlag (Nilpferd) 2017 Seiten 60, EUR 14,95 978­3707452044 ab 4 Jahren und für alle


BUCHTIPPS

Eine Geschichte der Narben In dem neuen Jugendbuch von Rafik Schami erzählt Scharif, der Erzähler, von seiner Kindheit und Jugend in Syrien vor dem Krieg, in der Gewalt, Bespitzelung, Verrat und Folter jedoch auch schon lange an der Tagesordnung standen und auch für die Kinder mitzubekommen waren. Scharif berichtet von Sami, mit dem ihn eine sehr enge Freundschaft verband. Gemeinsam überstanden sie die Schule, in der die Lehrer dem Regime gleichgeschalten waren und zum Teil äußerst brutale Methoden anwendeten, gemeinsam verbrachten sie ihre Freizeit, folgten oft dem Rat des schlauen Postboten Elias, kamen immer wieder in Schwierigkeiten und verloren doch nie den Mut. Lesend erhält man nicht nur einen Einblick in das Leben in Syrien vor den Aufständen 2011. Das Buch beschreibt vor allem in zahlreichen Episoden, was Freundschaft und Loyalität in Zeiten von Diktatur und Unterdrückung bedeuten kann.

Anhand der zahlreichen Narben von Sami erzählt Scharif sowohl dessen Geschichte, als auch seine eigene. Schon während der Schulzeit als auch im Studium eigneten sich die beiden ein umfangreiches Wissen über Computer und Internet an, was den offiziellen, den erlaubten und kontrollierten Umgang mit diesen Medien weit überstieg und wurden so zu wichtigen Figuren im sich formierenden Widerstand gegen den Machthaber in den Jahren vor 2011. Als man ihnen jedoch auf die Fersen geriet, mussten die beiden untertauchen. Ein wichtiges, engagiertes und berührendes Buch für Jugendliche, um einen weiteren Einblick auf die Ereignisse und Entwicklungen in Syrien zu bekommen, die uns alle was angehen. Linus Rübe

Rafik Schami Sami und der Wunsch nach Freiheit Beltz & Gelberg 325 Seiten, EUR 18,50 978­3­407­82319­9 ab 14

Als Emil verbrannt wurde Ja, es gibt eine ganze Menge Kinder- und Jugendbücher, die sich mit dem Thema Nationalsozialismus, Verfolgung, Widerstand, Shoah … auseinandersetzen. Philip Kerr ist es gelungen, ein bemerkenswertes, originelles, zugleich aber auch sehr anspruchsvolles Buch zur finsteren Vergangenheit Deutschlands in den 30er Jahren zu schreiben. “Friedrich der große Detektiv” ist der zu Beginn des Buches 12jährige Friedrich Kissel, ein begeisterter Fan von Erich Kästner und dessen 1929 erschienenen Jugendbuchs “Emil und die Detektive”. Er hat das große Glück, dass sein Vater, Kulturredakteur beim Berliner Tagblatt, mit Kästner befreundet ist. Mehr noch - der Schriftsteller ist ein Nachbar der Kissels. So begegnen wir Friedrich also 1931 als Gast bei der Premiere der Verfilmung von “Emil und die Detektive” - Regie führte übrigens Samuel Wilder, später als Billy Wilder weltberühmt. Aber die unbeschwerte Kindheit von Friedrich, dessen sehnsüchtigster Wunsch ist, Detektiv zu werden, und seinen Freundinnen und Freunden geht 1933 zu Ende, als die Nazis an die Macht kommen. Die politischen Verwerfungen der Zeit gehen quer durch die Familie: der ältere Bruder Rolf, ein Jusstudent, outet sich als aktiver Nazi.

Schon vor der Machtergreifung Hitlers haben die Auseinandersetzungen zwischen dem liberalen Vater und dem immer weiter nach rechts driftenden Sohn die häusliche Atmosphäre vergiftet. Gegen den Willen des Vaters nimmt er den kleinen Bruder zum Fackelzug anlässlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit. In der Schule gibt plötzlich ein allseits verhasster Lehrer, der aber ein strammer Gefolgsmann der NSDAP ist, den Ton an

und ekelt den jüdischen Freund Friedrichs, Leo, aus der Schule. Als es zu den Bücherverbrennungen kommt, zwingt Rolf seinen Bruder, sein heißgeliebtes signiertes Exemplar von “Emil und die Detektive” herauszurücken. Friedrichc sieht die brennen Bücherscheiterhaufen, und in der Menge, unerkannt, Erich Kästner. Und dann wird plötzlich aus dem Detektivspiel bitterer Ernst, und für Friedrich geht die Kindheit abrupt zu Ende. “Friedrich der große Detektiv” ist ein tolles Buch, setzt aber die Bereitschaft von Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen voraus, das Buch vor oder zumindest parallel zu einem Jugendlichen zu lesen. Kerr mutet seinen Leserinnen und Lesern viele harte Tatsachen zu, aber er reißt auch grundlegende ethische Fragen an: Wann ist man Mitläufer, wann Mitschuldiger? Wann, wenn überhaupt, darf man einen Eid brechen? Abgesehen davon, ist das Buch natürlich auch ein “Krimi”, allerdings ein etwas anderer als die üblichen Detektivgeschichten für junge Leser. Kurt Lhotzky Philip Kerr Friedrich der Große Detektiv Rowohlt Rotfuchs 251 Seiten, EUR 15,50 978­3­499­21791­3

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VERANSTALTUNGEN

VERANSTALTUNGEN IM NOVEMBER >> Sonntag, 5. November, 11:00 Uhr Mystisches Krimifrühstück mit Anni Bürkl und Petra K. Gungl Abscheuliche Verbrechen vor mystischer Kulisse: rund um das rätselhafte Heiligtum?? von Stonehenge (Petra K. Gungl) und am uralten Salzbergwerk in Hallstatt (Anni Bürkl). Die Autorinnen sprechen darüber, was uns an Geheimnissen so fasziniert, welche Bedeutung mystische Orte in unserer rationalen Zeit haben und lesen aus ihren aktuellen Kriminalromanen: „Höhlenzauber“ (Anni Bürkl) und „Diabolisches Spiel“ (Petra K. Gungl). Anni Bürkl Höhlenzauber Gmeiner Verlag 251 Seiten, EUR 12,40 978­3­8392­2105­1

Petra K. Gungl Diabolisches Spiel Gmeiner Verlag 509 Seiten, EUR 13,40 978­3­8392­1810­5

>> Mittwoch, 22. November, 19:00 Uhr Günther Zäuner Paragraf 301 In Günter Zäuner's neuem Streich kämpft Heinz Kokoschansky um seine Existenz. Wegen seiner kritischen Türkei-Berichte auf seinem Web-Nachrichtenportal springen ständig Sponsoren ab und kündigen die Verträge. Entweder fürchten sie um ihre Geschäftsbeziehungen mit dem türkischen Staat oder sie werden massiv vom Geheimdienst unter Druck gesetzt. Drohungen gegen ihn und seine Familie gehören zum Alltag. Fake-News kursieren und Shitstorms sollen ihn zermürben. Als seine Lebensgefährtin bedroht wird und von einem zwielichtigen Mann gerettet wird, gerät Kokoschansky in einen schweren Gewissenskonflikt. Soll er diesen Mann ausliefern oder ihn decken? Plötzlich verschwindet Kokoschanskys kleiner Sohn. Der Vater rastet aus. Ein abgekartetes Spiel. Von Beginn an eine Inszenierung, um ihn endgültig mundtot zu machen. Ist Ankara der Auftraggeber? Günther Zäuner Paragraf 301 Federfrei Verlag 250 Seiten, EUR 13,30 978­3­903092­91­4

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VERANSTALTUNGEN

K ALE ND E R 2 0 18 ... zum Abreißen ... zum Umblättern ... für Zuhause ... zum Träumen ... für das tägliche Rätseln ... für's Unterwegs sein ... zum Staunen

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DIE LETZTE SEITE

Edi Erdmanns allerletzten Worte

Na ... falls Sie's schon gehört haben nicht weinen! Ist ja alles halb so schlimm. Klar wird Ihnen die in wohlgefällige Häppchen zerlegegte Weisheit fehlen, die Ihnen so stets zur Verfügung gestanden hat. Aber: Die Welt dreht sich weiter. Ein wenig langweiliger? Wahrscheinlich. Aber ganz untergehen wird sie schon nicht. Schließlich werden Sie ja bei meinen Kolleginnen und Kollegen bestens beraten, auch wenn diese in nächster Zeit sicherlich noch etwas geknickt sein werden. Denn schließlich verliert man nicht jeden Tag einen Kollegen wie mich! Ich meine ... ich war über 60 Mal das Erdmännchen des Monats, in unserer Buchhandlung. Hintereinander! Aber sie werden mir ja auch fehlen; die guten Ratschläge, die ich ihnen stets erteilt habe. Nuja. Kopf hoch. Es gibt jede Menge Menschen, die von mir etwas lernen können. Und in der Zwischenzeit hoffe ich,

dass Sie nicht allzu gebrochen sind. Tja. Dann bleibt mir nur noch, mich auch von Ihnen zu verabschieden. Natürlich fällt mir auch das nicht leicht. Es war schon in die Tasten hauen zu können und endlich jemandem zu schreiben, der mich versteht. Im Augenblick weiß ich noch gar nicht, ob mir an dieser Stelle - also am ehrenwerten Ende unserer Buchstabensuppe - überhaupt jemand nachfolgen wird. Witzig. Jetzt wollte ich glatt "ersetzen" schreiben. Hehe. Naja ... gerade noch rechtzeitig bemerkt, oder? Zurück zum Thema: zu mir. Wo war ich stehengeblieben? Ah ja. Ich wollte mich verabschieden. Machen Sie's gut und bleiben Sie der Buchstabensuppe treu. Selbst ohne mich ist es das beste Kundenmagazin überhaupt. Die Buchtipps und Veranstaltungsankündigungen bleiben Ihnen ja erhalten und Sie bleiben in guten Händen. Alles Liebe, Eduard Erdmann IV.

Unsere Öffnungszeiten Dienstag – Freitag von 9.00 – 18.00 Samstag von 09.00 – 13.00 Sonntag & Montag geschlossen! Veranstaltungen finden, wenn nicht ausdrücklich anders angekündigt, immer in der Rotensterngasse 2, 1020 Wien, statt. Der Eintritt ist frei. Wir ersuchen um Platzreservierungen! Kontakt: Tel: +43 1 276 47 36 Fax: +43 1 276 47 36 Mobil: +43 6991 585 16 68 mail: office@literaturbuffet.com Web: www.literaturbuffet.com

Impressum Eigentümer, Verleger, Druck: Lhotzkys Literaturbuffet / Andrea Lhotzky Druckort: Wien Preisangaben ohne Gewähr Wer einen Druckfehler findet, darf ihn behalten!

Buch und Fotografie - was für eine Synthese! Im Wallstein-Verlag ist wieder einmal ein schönes und außergewöhnliches Fotobuch erschienen: “bookish!” aus der Feder (und der Fotosammlung) von Günther Karl Bose, unter anderem Professor für Typographie und Leiter des Instituts für Buchkunst in Leipzig. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat das Buch Massenverbreitung gefunden, der Zugang zur Bildung wurde - oft schwer erkämpft - demokratisiert. Lesen war und ist eine anerkannte Kulturtechnik. Bose hat eine bezaubernde, unterhaltsame, oft auch zum Nachdenken anregende Zusammenstellung von Fotografien zum Thema Buch ausgewählt. Das Buch in allen Lebenslagen, könnte man sagen. Vom Schulbuch über “heilige Bücher”, massenwirksame Agitationswerke und das Buch im Kino sind so ziemlich alle Facetten vertreten. Eine wunderbare Synthese Bücher und hervorragende Fotografien! Einen Einblick in das Buch bekommen Sie hier: Kurt Lhotzky

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Günter Karl Bose Bookish! Ein Blick zurück Mit einem Essay von Michael Hagner Wallstein­Verlag 240 Seiten, 275 Abbildungen, EUR 30,80 978­3­8353­3160­0

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