9 minute read

THOMAS RAUCH

Next Article
Strafen

Strafen

Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand

Auflösung von Lehrverhältnissen im Krankenstand Bei einer einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses im Krankenstand

besteht keine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung nach dem Ende desLehrverhältnisses

THOMAS RAUCH*)

Anlässlich der sogenannten Angleichung von Arbeitern und Angestellten1)

wurden die Ansprüche der Lehrlinge auf Krankenentgelt nach § 17 a Abs 1

BAG hinsichtlich der Dauer verdoppelt.2) § 5 EFZG und § 9 AngG wurden

dahin gehend ergänzt, dass im Falle einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsvertrages (eines Arbeiters bzw eines Angestellten) während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand das Krankenentgelt vom Arbeitgeber bis zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit bzw bis zur Erschöpfung des Krankenentgeltanspruchs fortzuzahlen ist. § 5 EFZG und §9 AngG sind auf Lehrverhältnisse nicht anzuwenden (§ 17 a Abs 7 BAG; § 5 AngG). Dies hat zur Folge, dass die einvernehmliche Beendigung eines Lehrverhältnisses während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand keine Entgeltfortzahlungspflicht über das Ende des Lehrverhältnisses hinausgehend bewirken kann. Im Folgenden wird diese Rechtslage näher erörtert.

1. Auflösung von Lehrverhältnissen

Lehrverhältnisse können automatisch, also ohne eine Erklärung oder einen Auflösungsvertrag, nach § 14 Abs 1 BAG mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit oder aufgrund bestimmter Ereignisse, die in § 14 Abs 2 BAG taxativ angeführt sind (insbesondere mit dem Ende der Woche, in der die Lehrabschlussprüfung erfolgreich abgelegt wird),3) enden. §§ 15 und 15a BAG nennen geschlossen die Formen der vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses durch eine Erklärung oder einen Vertrag. Dies betrifft die Auflösung während der Probezeit (§ 15 Abs 1 BAG), die Entlassung (§ 15 Abs 3 BAG), den vorzeitigen Austritt (§ 15 Abs 4 BAG), die einvernehmliche Auflösung (§ 15 Abs 5 BAG) und den Ausbildungsübertritt (außerordentliche Auflösung nach § 15a BAG).4) Die Kündigung wird im BAG nicht erwähnt und daher ist eine Beendigung eines Lehrverhältnisses durch eine Kündigung nicht möglich.5)

*) Dr. Thomas Rauch ist Mitarbeiter der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Wien im

Ruhestand, Fachbuchautor, Seminartrainer und Parteienvertreter in arbeitsgerichtlichen Verfahren. 1) Bundesgesetz, mit dem das Angestelltengesetz, das Gutsangestelltengesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz, das Berufsausbildungsgesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch und das Landarbeitsgesetz 1984 geändert werden, BGBl I 2017/153; siehe dazu Marhold, Ein Torso mit Widersprüchen, Die Presse vom 11. 10. 2017, S 28, online abrufbar unter https://www.diepresse.com/5300454/ein-torso-mit-widerspruchen; Rauch, Arbeitsrecht 2018 (ASoK-

Spezial, Jänner 2018) 8; derselbe, EFZG2 (2021) § 8 AngG Einleitung. 2) Die neuen Regelungen sind mit 1. 7. 2018 in Kraft getreten und auf Krankenstände anzuwenden, die in

Arbeitsjahren eintreten bzw eingetreten sind, die nach dem 30. 6. 2018 begonnen haben; vgl § 20 Abs 11

EFZG; Art X Abs 2 Z 15 AngG; § 36 Abs 11 BAG. 3) Vgl § 14 Abs 2 lit e BAG. 4) Alle Auflösungsformen sind schriftlich vorzunehmen. Beendigungserklärungen von minderjährigen Lehrlingen bedürfen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 15 Abs 2 BAG). Besondere Formvorschriften sind insbesondere beim Ausbildungsübertritt (§ 15a BAG) sowie bei der einvernehmlichen

Beendigung (§ 15 Abs 5 BAG) vorgesehen. 5) Der Austrittsgrund der Aufgabe des Lehrberufs (§ 15 Abs 4 lit g BAG) beruht auf einem freien Willensentschluss des Lehrlings und ist nicht näher zu begründen und kann daher als Quasi-Kündigung angesehen werden; vgl OGH 26. 1. 1994, 9 ObA 287/93.

2. Auflösung von Arbeitsverhältnissen während eines Krankenstands 2.1.Allgemeines

Wird ein Arbeitnehmer während eines Krankenstands gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die gesetzliche Dauer bestehen. Das Arbeitsverhältnis endet mit dem Ablauf der Kündigungsfrist bzw dem Eintritt des Kündigungstermins. Seit 1. 7. 2018 gilt dies auch bei einer einvernehmlichen Beendigung während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen solchen (§ 5 EFZG; § 9 AngG). Im BAG ist – abgesehen von § 17 a Abs 8 BAG, welcher aber nur den Ausbildungsübertritt nach § 15a BAG betrifft – eine vergleichbare Bestimmung nicht enthalten.

2.2.Beendigung während eines Krankenstands nach dem BAG

Die Fortzahlung des Krankenentgelts durch den Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausgehend ist nach § 5 EFZG und § 9 AngG auf Auflösungen durch den Arbeitgeber oder wegen eines Vertragsbruchs durch den Arbeitgeber sowie bei einvernehmlicher Auflösung vorgesehen, um zu vermeiden, dass Krankenentgeltansprüche durch vom Arbeitgeber vorgenommene oder verschuldete Beendigungen verkürzt werden (wobei dies nach einer Entscheidung des OLG Linz6) und der Lehre7) –entsprechend dem angesprochenen Zweck dieser Bestimmungen – auf einvernehmliche Beendigungen, die vom Arbeitgeber veranlasst wurden, zu beschränken ist). § 9 AngG kann auf Lehrverhältnisse nicht angewendet werden, weil § 5 AngG die Anwendung von Bestimmungen des AngG auf Lehrverhältnisse ausdrücklich ausschließt. Die Normen des EFZG, die auf Lehrverhältnisse anzuwenden sind, sind in § 17a Abs 7 BAG taxativ angeführt. In dieser Aufzählung fehlt § 5 EFZG. Der Umstand, dass eine § 5 EFZG und § 9 AngG entsprechende Regelung für Lehrverhältnisse fehlt, ist damit begründbar, dass ein Lehrverhältnis vom Lehrberechtigten nicht gekündigt werden kann und die unbegründete Entlassung das Lehrverhältnis nicht beendet.8) Der Lehrling kann daher die Fortsetzung des Lehrverhältnisses mittels Feststellungsklage begehren. Im Rahmen seines Wahlrechts kann der Lehrling auch Schadenersatz (Kündigungsentschädigung) nach § 1162b ABGB begehren.9) Da der Schadenersatz am weiteren fiktiven Verlauf des Lehrverhältnisses zu orientieren ist,10) ist das Krankenentgelt über das (gewählte) Ende des Lehrverhältnisses hinausgehend vom Lehrberechtigten zu bezahlen. Dies gilt ebenso für den Schadenersatz nach § 1162b ABGB nach einem vom Lehrberechtigten verschuldeten vorzeitigen Austritt.11) Für den Ausbildungsübertritt (bzw die außerordentliche Auflösung von Lehrverhältnissen nach § 15a BAG) ist jedoch im BAG eine ausdrückliche Bestimmung enthalten, die den Regelungsinhalten von § 5 EFZG und § 9 AngG folgt (§ 17a Abs 8 BAG) und daher bei der Auflösung durch den Lehrberechtigten12) während eines Krankenstands die

6) OLG Linz 10. 2. 2021, 12 Rs 95/20g, ARD 6750/8/2021 (Lindmayr). 7) Stella, Entgeltfortzahlung bei einvernehmlicher Auflösung während Dienstverhinderung – bleibt alles beim Alten? ecolex 2018, 8 (9 f); Rauch, Einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während eines Krankenstands, ASoK 2021, 245. 8) OGH 18. 9. 1980, 4 Ob 129/79; 13. 4. 2000, 8 ObA 297/99f. 9) OGH 13. 4. 2000, 8 ObA 297/99f; 26. 4. 2001, 8 ObA 177/00p. 10)OGH 20. 8. 2008, 9 ObA 17/08b; 28. 1. 2021, 8 ObA 115/20z. 11)Daher gilt dies insbesondere nicht bei einem vorzeitigen Austritt wegen Aufgabe des Lehrberufs oder aus gesundheitlichen Gründen. 12)Die außerordentliche Auflösung nach § 15a BAG kann vom Lehrberechtigten oder vom Lehrling erklärt werden; vgl § 15a Abs 1 BAG. Die Entgeltfortzahlung nach Ende des Lehrverhältnisses ist aber nach der ausdrücklichen Regelung in § 17a Abs 8 BAG nur bei der Auflösung durch den Lehrberech-

Entgeltfortzahlung nach Ende des Lehrverhältnisses anordnet, wenn das Krankenentgelt noch nicht erschöpft ist.

2.3.Auflösung des Lehrverhältnisses durch einvernehmliche Beendigung

Ein Lehrverhältnis kann nach § 15 Abs 1 und 5 BAG einvernehmlich aufgelöst werden. Die einvernehmliche Auflösung erfordert die vorherige Belehrung des Lehrlings über die Bestimmungen betreffend die Beendigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses (§ 15 Abs 5 BAG). Eine rechtswirksame einvernehmliche Beendigung eines Lehrverhältnisses setzt weiters die Schriftform voraus und bedarf bei minderjährigen Lehrlingen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 15 Abs 2 BAG). Im Unterschied zum Ausbildungsübertritt13) fehlt jedoch eine Regelung zur Auflösung im Einvernehmen während eines Krankenstands.

Wie schon angesprochen, wurden mit 1. 7. 2018 die Bestimmungen zum Krankenstand für Arbeiter und Angestellte angeglichen und § 5 EFZG und § 9 AngG dahin gehend ergänzt, dass auch im Falle einer einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands oder im Hinblick auf einen Krankenstand der Arbeitgeber das Krankenentgelt auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zur Ausschöpfung des Anspruchs oder bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit weiterhin zu bezahlen hat. Im Rahmen der Angleichung wurde auch § 17a Abs 1 BAG geändert, indem die Ansprüche der Lehrlinge auf Krankenentgelt gegen den Lehrberechtigten hinsichtlich der Dauer verdoppelt wurden. Im Zuge dieser Änderung (oder allenfalls danach) hätte auch in das BAG eine Bestimmung zur einvernehmlichen Auflösung im Krankenstand oder im Hinblick auf eine solche aufgenommen werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Wenn der Gesetzgeber eine solche Regelung gewünscht hätte, wäre einer entsprechenden Normierung im BAG nichts im Wege gestanden. Wie schon dargestellt, wurde eine solche Bestimmung anlässlich der Einführung des Ausbildungsübertritts mit der Novelle BGBl I 2008/82 in das BAG aufgenommen (§ 17a Abs 8 BAG). Für die Fälle der unberechtigten Entlassung und des berechtigten Austritts aus Verschulden des Lehrberechtigten fehlt eine solche Regelung, weil sie – wie unter Punkt 2.2. dargestellt – keine Funktion erfüllen würde. Eine Norm zur einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses im Krankenstand könnte zwar eine Funktion erfüllen, ist aber nicht vorhanden und daher fehlt eine Rechtsgrundlage für Entgeltfortzahlungsansprüche in diesen Fällen.14)

3. Planwidrige Lücke?

Eine Rechtslücke ist eine – gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung – planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts. Das Gesetz ist in einem solchen Fall – betrachtet bezüglich seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie – ergänzungsbedürftig, ohne dass seine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht.15) Eine Planwidrigkeit liegt meines Erachtens nicht vor, weil § 15 Abs 5 BAG den Lehrling vor einer übereilten bzw unüberlegten einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses schützt, indem die Schriftlichkeit und eine vorherige Belehrung durch die Arbeiter-

12) tigten (entsprechend dem System von § 5 EFZG und § 9 AngG) vorgesehen und auch dies unterstützt die zuvor angesprochene Auffassung, dass sich die Entgeltfortzahlungspflicht nur auf vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen bezieht. 13)Siehe Punkt 2.2. 14)So auch Rauch, EFZG2, § 17a BAG Anm 13. 15)OGH 23. 3. 1976, 4 Ob 313/76; 30. 10. 2017, 9 ObA 107/17a.

kammer oder das Arbeitsgericht16) angeordnet wird (bei Minderjährigkeit des Lehrlings ist überdies die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nach § 15 Abs 2 BAG erforderlich). Die Belehrung hat sich auf die „Bestimmungen betreffend die Endigung und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses“ zu beziehen. Daher sollte in die Belehrung aufgenommen werden, dass im Falle des Krankenstands bei der einvernehmlichen Auflösung der Lehrberechtigte nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist und bei Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 138 ff ASVG von der ÖGK ein Krankengeld bezahlt wird, welches zu beantragen ist.17) Es ist also von einem ausreichenden Schutz des Lehrlings bei einvernehmlichen Auflösungen auch während eines Krankenstands auszugehen. Abgesehen davon liegt eine planwidrige Unvollständigkeit nur dann vor, wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift zwar vorhanden, aber in einer bestimmten Richtung nicht präzisiert ist.18) In der gegenständlichen Konstellation ist jedoch keine Rechtsvorschrift vorhanden, bei der eine Lücke vorliegt, die durch eine Präzision gefüllt werden könnte. Es liegt schlechthin keine Regelung für den Fall der einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses während eines Krankenstands vor, weil – wie schon ausgeführt – ohnedies ein ausreichender Schutz gewährleistet ist. Der mögliche Umstand, dass manche eine Regelung aus rechtspolitischer Sicht für wünschenswert halten, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer Lücke.19) Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Schaffung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu.20)

Auf den Punkt gebracht

Mit 1. 7. 2018 wurden § 5 EFZG und § 9 AngG dahin gehend erweitert, dass auch im Falle der einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands (oder im Hinblick auf einen Krankenstand) der Arbeitgeber das Krankenentgelt nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses (bis zu dessen Ausschöpfung bzw zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers) weiterzubezahlen hat. Gleichzeitig wurden die Ansprüche der Lehrlinge auf Entgeltfortzahlung im Krankenstand verdoppelt. Eine Regelung zur einvernehmlichen Auflösung während eines Krankenstands ist im BAG aber nicht erfolgt. Es fehlt daher eine Rechtsgrundlage für den Anspruch auf ein Krankenentgelt nach der einvernehmlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses. Aufgrund des besonderen Schutzes des Lehrlings bei einvernehmlichen Auflösungen insbesondere durch eine vorherige Belehrung, die auch die Beendigung im Krankenstand und den Anspruch auf Krankengeld nach §§ 138 ff ASVG umfassen sollte, ist ein solcher zusätzlicher Schutz nicht erforderlich und unter anderem deswegen kann nicht von einer planwidrigen Rechtslücke ausgegangen werden.

16)OGH 4. 5. 2006, 9 ObA 20/06s. 17)Abgesehen davon kann der Lehrling als Pflichtmitglied der Arbeiterkammer unentgeltliche Unterstützung in allen arbeits- und sozialrechtlichen Anliegen begehren. 18)OGH 29. 5. 1995, 1 Ob 7/95. 19)OGH 4. 9. 1991, 7 Ob 586/91; 27. 10. 1998, 1 Ob 235/98k. 20)OGH 6. 6. 2000, 10 ObS 236/99z.

This article is from: