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Korrekte Anwendung des Kollektivvertrags

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ASoK 9/2021

ASoK 9/2021

Die nunmehrige Novelle des LSD-BG bringt insbesondere für Fälle des Hereinarbeitens nach Österreich Änderungen. Dies betrifft die (längst fällige) Harmonisierung des Entsendebegriffs des LSD-BG mit dem Anwendungsbereich der Entsende-RL, der grundsätzlich auf den Einsatz von Arbeitnehmern im Rahmen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringungen zugeschnitten ist. Darüber hinaus wird entsprechend der letzten Adaption der Entsende-RL festgelegt, dass bei längerfristigen Entsendungen nach Österreich nicht nur die hier geltenden Eingriffsnormen, sondern das gesamte zwingende Arbeitsrecht beachtlich ist und entsendete Arbeitnehmer auch einen Rechtsanspruch auf kollektivvertraglich verankerte Aufwandersätze für Dienstreisen im Inland haben. Schließlich kommt es zu einer Adaption des Ausnahmekatalogs, womit auch eine generelle Ausnahme für besserverdienende Arbeitnehmer verankert wird, und zur Festlegung einer Toleranzregelung für Fälle der irrtümlichen Erstattung der ZKO-Meldung. Letztlich wird mit der aktuellen Änderung das Sanktionsregime auf neue Beine gestellt. Nachdem die Höchstgerichte die gleichermaßen für die Verletzung von formalen Verpflichtungen und auch für Unterentlohnungen verankerte Strafenkumulation (Strafe pro Arbeitnehmer) ohne Obergrenzen als unverhältnismäßig erkannt haben, wird damit ein relativ langer Zeitraum der rechtlichen Ungewissheit beendet. Die Lohnkontrolle im Hinblick auf das LSD-BG obliegt grundsätzlich dem Krankenversicherungsträger bzw im Baubereich der BUAK. Bei nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmern (bei Anwendbarkeit einer ausländischen Sozialversicherung) ist die Kontrollbehörde die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem AuslBG und dem LSD-BG des BMF (Zentrale Koordinationsstelle bzw ZKO), für die das Amt für Betrugsbekämpfung die Erhebungen durchführt und die den ermittelten Sachverhalt an das eigens für die Zwecke der Lohnkontrolle eingerichtete Kompetenzcenter LSDB der ÖGK weitergibt. Die Bearbeitung einer auf Verdacht der Unterentlohnung erfolgten Anzeige durch die genannten Behörden und die Ausstellung der Strafbescheide erfolgen durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde.

2. Korrekte Anwendung des Kollektivvertrags 2.1.Zentrale Bedeutung der Kollektivverträge

Das LSD-BG räumt Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich einen zwingenden Rechtsanspruch auf das nach Gesetz, Verordnung oder KV zustehende Entgelt ein. Dieser Anspruch steht für die Zeit des Inlandseinsatzes auch Arbeitnehmern zu, die vorübergehend vom Ausland nach Österreich entsendet werden.3) Korrespondierend dazu erfüllt die Verwaltungsübertretung der Unterentlohnung, wer als Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern dieses Mindestentgelt vorenthält.4) Zum angeführten Mindestentgelt ist einerseits festzuhalten, dass es in Österreich für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft – anders als teilweise im Ausland5) – keine gesetzliche Regelung zur betraglichen Festlegung einer Mindestentlohnung gibt. Der Rechtsanspruch des §1152 ABGB auf ein angemessenes Entgelt ist auf Fälle zweifelhafter Lohnabsprachen beschränkt. Soweit sonstige gesetzliche Regelungen Vergütungsansprüche festlegen,6) handelt es sich um abgeleitete bzw relative Entgeltansprüche,

3) §3 LSD-BG unterscheidet zwischen Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich (Abs1),

Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, die für einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland tätig sind (Abs2), und Arbeitnehmern mit gewöhnlichem Arbeitsort im Ausland, die vorübergehend von

Arbeitgebern mit Sitz im Ausland (EU-Mitgliedstaat, EWR-Staat oder Drittstaat) nach Österreich entsendet werden (Abs3). 4) §29 LSD-BG. Eine Verletzung des Anspruchs auf Mindestentgelt bildet daher die Grundlage für die

Sanktionierung der Unterentlohnung gemäß §29 LSD-BG. 5) ZB das Mindestlohngesetz (MiLog) in Deutschland. 6) ZB §10 AÜG, §10 AZG sowie die Regelungen zur Entgeltfortzahlung bei Nichtleistungszeiten.

die regelmäßig an Entlohnungsvorgaben in anderen lohngestaltenden Vorschriften anknüpfen. Derartige Ansprüche unterliegen nur auf Basis des nach dem LSD-BG geschützten und nicht auf Basis des Ist-Entgelts der behördlichen Unterentlohnungskontrolle. Ausgangspunkt für das Mindestentgelt iSd LSD-BG ist daher der für den betreffenden Betrieb maßgebliche Branchen-KV. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Bundeseinigungsamt für Branchen, für die kein KV besteht, durch Verordnung KV zu Satzungen erklären oder Mindestlohntarife bzw Lehrlingsentschädigungen festsetzen. Wenn weder ein KV noch eine solche Verordnung das Entgelt regeln, kann sich uE keine Unterentlohnung iSd LSD-BG ergeben. Andererseits ist zu beachten, dass bei Arbeitgebern, die ihren Sitz im Ausland haben (und daher nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft in Österreich sind), auf jenes in den angeführten lohngestaltenden Vorschriften festgelegte Entgelt abzustellen ist, das am (österreichischen) Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt. Nach den zum LSDB-G erlassenen Richtlinien7) ist diesbezüglich auf jenen KV abzustellen, der im Hinblick auf die konkreten Arbeitsverrichtungen der entsandten Arbeitnehmer in Österreich bei Vorhandensein einer inländischen Gewerbeberechtigung bzw nach dem Unternehmensgegenstand anwendbar wäre.8) Es kommt insoweit daher zu einer fiktiven Anwendung des entsprechenden KV. Die korrekte Anwendung des maßgeblichen KV ist daher von entscheidender Bedeutung. Fehler, die in diesem Zusammenhang auftreten, basieren ua auf der Anwendung eines unrichtigen KV bzw anwendbaren Mindestlohntarifs, häufig aber auch auf einer zu niedrigen Einstufung in das Entlohnungsschema.

2.2.Welcher Kollektivvertrag ist anwendbar?

Der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendende KV richtet sich nach der Branche bzw Organisationszugehörigkeit des Arbeitgebers und nicht nach der Berufszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Bei gewerblichen Tätigkeiten ist entscheidend, welchem Arbeitgeberverband der Wirtschaftskammer (Fachgruppe) der Arbeitgeber als Mitglied angehört, wobei diese Mitgliedschaft ex lege durch die Erteilung einer Gewerbeberechtigung erworben wird. Bei Zweifelsfragen zur Zugehörigkeit der Fachgruppe hat die Wirtschaftskammer diese festzulegen. Mitunter gibt es Bereiche, für die kein KV abgeschlossen wurde. Für Arbeitgeber, die keine gewerbliche Tätigkeit ausüben bzw von der GewO ausgenommen sind, kommen jene KV in Betracht, die die Freiberuflerkammern als gesetzliche Interessenvertretungen sowie freiwillige Berufsvereinigungen, denen sich der Arbeitgeber angeschlossen hat, abgeschlossen haben. Für Arbeitgeber, die aufgrund der Ausübung fachlich verschiedener Tätigkeiten mehrfach kollektivvertragsangehörig sind, können auch mehrere KV zur Anwendung kommen. Hier sind die Kollisionsregeln des §9 ArbVG zu beachten, ua: • Ist die Mehrfachmitgliedschaft auf mehrere abgrenzbare Betriebe (auch Haupt- und Nebenbetriebe) oder organisatorisch und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen bezogen, dann gilt für die dort eingesetzten Arbeitnehmer jener KV, der dem Betrieb bzw der Betriebsabteilung fachlich oder örtlich entspricht. Diese Regelung kommt analog zur Anwendung, wenn es in einem Unternehmen Betriebe bzw organisatorisch abgegrenzte Betriebsabteilungen mit und ohne anwendbaren KV gibt. • Lässt sich eine solche fachlich-organisatorische Abgrenzung innerhalb des Unternehmens bzw Betriebs nicht ziehen, dann liegt ein sogenannter „Mischbetrieb“ vor.

7) Erlass des BMASK, LSDB-Richtlinien 2015 (LSDBR 2015), BMASK-462.203/006-VII/B/9/2015. Die

Frage des fiktiv anzuwendenden KV ist letztlich aber nicht geklärt. Genauso könnte man auf jenen KV abstellen, der in Österreich im Hinblick auf die Gesamttätigkeit des entsendenden Unternehmens anwendbar wäre. 8) Siehe dazu gleich Pkt 2.2.

Bei diesem kommt grundsätzlich jener KV zur Anwendung, der dem Wirtschaftszweig entspricht, der für den Betrieb die maßgebliche Bedeutung hat, dem betreffenden

Betrieb also das Gepräge gibt.

Dieser Vorrang des Wirtschaftsbereichs mit der maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung kommt allerdings nur dann zum Tragen, wenn für die Tätigkeiten innerhalb des Mischbetriebs zumindest zwei konkret anwendbare KV vorliegen. Werden hingegen in einem Mischbetrieb eine KV-unterworfene und eine KV-freie Tätigkeit ausgeübt, unterliegt der Mischbetrieb dem KV, auch wenn dies zu dem Ergebnis führt, dass alle Arbeitsverhältnisse dem KV des eigentlich untergeordneten Bereiches unterliegen. Auf Arbeitnehmerseite gilt der Grundsatz der Tarifeinheit, dh, auf ein Dienstverhältnis kann immer nur ein KV einwirken. Wird ein Arbeitnehmer im Rahmen seines Dienstverhältnisses in mehreren Betrieben oder organisatorisch abgegrenzten Betriebsabteilungen des Arbeitgebers tätig, findet auf ihn jener KV Anwendung, der seiner überwiegend ausgeübten Beschäftigung entspricht.

2.3.Folgen der Nichtanwendung des maßgeblichen Kollektivvertrags

Bei Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit ohne die hierfür erforderliche Gewerbeberechtigung oder mit einer nicht passenden Gewerbeberechtigung wird der bei rechtmäßiger Ausübung anwendbare KV fingiert.9) Die Mindestentgeltregelungen des tatsächlich maßgeblichen (tätigkeitseinschlägigen) KV werden letztlich daher immer – also auch für „Pfuscher“ – schlagend.

2.4.Einstufungskriterien

Die Entlohnungsschemata der Branchen-KV sehen für Arbeiter und Angestellte separate Mindestentlohnungs- bzw -gehaltsregelungen vor. Beiden gemeinsam ist, dass sich das Mindestentgelt in der Regel an der Verwendung des Arbeitnehmers und der Betriebszugehörigkeit orientiert. Die Entlohnung der Arbeiter richtet sich in der Regel nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit bzw fachlichen Ausbildung des Arbeitnehmers, die in Lohngruppen abgebildet wird und innerhalb welcher der Mindestlohn nach Dauer der Betriebs- bzw Berufszugehörigkeit ansteigen kann. Im Angestelltenbereich wird das Mindestgehalt in den KV nach Verwendungs- oder Beschäftigungsgruppen (nach dem KV-IT nach Tätigkeitsfamilien mit Erfahrungsstufen) definiert. Innerhalb dieser Gruppen steigt das kollektivvertragliche Mindestgehalt in der Regel nach den Jahren der Berufserfahrung an. Bei der Einstufung in die Lohn-, Verwendungs- oder Beschäftigungsgruppen sind – wenn die Berücksichtigung von Jahren der Berufserfahrung im KV vorgesehen ist – oft auch die bei anderen Arbeitgebern (auch in EU-/EWR-Staaten) erworbenen Jahre an Berufserfahrung zu berücksichtigen. Nach dem alten Gehaltssystem des KV für die Angestellten in Handelsbetrieben sind zB für die Ermittlung des korrekten Mindestgehalts – egal in welcher Beschäftigungsgruppe – sogar sämtliche erworbenen Angestellten-Berufsjahre anzurechnen. Zu diesem Zweck ist der Arbeitgeber angehalten, sich die Nachweise bzw Informationen über Ausbildung und Berufserfahrung des Arbeitnehmers zu verschaffen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nachweislich aufzufordern, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Im Zuge der Umstellung auf das Gehaltssystem neu des KV für Handelsangestellte (spätestens 1.1.2022) entfällt die Anrechnung sämtlicher Berufsjahre als Angestellter.

9) §2 Abs13 GewO.

Das Mindestentgelt verändert sich nicht nur mit wachsender Betriebszugehörigkeit bzw Berufserfahrung, sondern auch infolge einer auf Dauer angelegten Tätigkeitsveränderung. Unterentlohnungen treten dabei häufig iZm der Nicht- oder zu geringen Anrechnung von Vordienstzeiten bei anderen Arbeitgebern oder der Nichtbeachtung von Zeitvorrückungen auf. Doch auch die Einreihung der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit in eine der vorgegebenen Lohn- oder Verwendungsgruppen ist in der Praxis nicht immer einfach. Nicht zuletzt kann es auch infolge einer KV-Umstellung (zB Verkürzung oder Verlängerung der KV-Normalarbeitszeit) zu Unterentlohnungen kommen. Für fehlerhafte Einstufungen, die auf Auskunft der KV-Parteien oder der ÖGK beruhen, die diese auf Basis vollständiger Sachverhaltsgrundlagen erteilt haben, trifft den Arbeitgeber kein grobes Verschulden. Die Rechtsunkenntnis ist ferner nicht vorwerfbar, wenn der Arbeitgeber sein Verhalten an der höchstgerichtlichen Rechtsprechung oder der Vollzugspraxis der Behörden orientiert. Nicht hinreichend sind aber Auskünfte unzuständiger Behörden bzw berufsmäßiger Parteienvertreter, wie zB von Rechtsanwälten und Steuerberatern.

2.5.Arbeitskräfteüberlassung – Entgeltanspruch nach Maßgabe des

Beschäftigerkollektivvertrags

Überlassene Arbeitnehmer werden durch das AÜG – entsprechend den Vorgaben der Überlassungsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG) – hinsichtlich der Aspekte des (Mindest-)Entgeltanspruchs, der Arbeitszeit und des Urlaubs mit den vergleichbaren Arbeitnehmern im Beschäftigerbetrieb gleichgestellt. Darüber hinaus sieht das AÜG umfassende formal-rechtliche Verpflichtungen für Überlasser und Beschäftiger vor. Vom AÜG ausgenommen ist vor allem die vorübergehende Überlassung zwischen inländischen Konzernunternehmen. Hinsichtlich des Entgeltanspruchs wird zwischen dem (überlassungsunabhängigen) Grundentgelt (Grundanspruch für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Überlasser) und dem Entgelt für den Zeitraum der Überlassung unterschieden. • Für das Grundentgelt ist in erster Linie eine für den Überlasserbetrieb geltende kollektivvertragliche Regelung maßgeblich. Gibt es diese nicht, dann ist das angemessene Entgelt aufgrund eines sacheinschlägigen Kollektivvertrags zu bestimmen, wobei in diesem Fall auch eine auf die Region, in der sich der Überlasser befindet, bezogene Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts zu berücksichtigen, also letztlich auf den unteren Wert der ortsüblichen Istlohn-Bandbreite abzustellen ist. Die Problematik des Abstellens auf ortsübliche Istgehälter wurde im Falle der gewerblichen Arbeitskräfteüberlassung durch den am 1.3.2002 in Kraft getretenen KV für Arbeiter der Berufsgruppe Arbeitskräfteüberlassung entschärft. • Für die Zeit der Überlassung ist auf das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren Arbeitnehmern für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende Mindestentgelt Bedacht zu nehmen. Abzustellen ist hier auf die Mindestentgelte nach dem Branchenkollektivvertrag des Beschäftigers, nicht aber auf die überkollektivvertraglichen Istlöhne des Beschäftigerbetriebs. Darüber hinaus sind – in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie – aber auch die im Beschäftigerbetrieb für vergleichbare Tätigkeiten geltenden „sonstigen verbindlichen Regelungen allgemeiner Art“ zu beachten, es sei denn, der Überlasser und der Beschäftiger unterliegen einer Tarifbindung. • Das so ermittelte Entgelt ist mit dem Grundentgelt zu vergleichen: Sollte Letzteres höher sein, so bleibt dieser Anspruch unberührt; im umgekehrten Fall muss der Über-

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