Hochkonflikthafte Eltern
ALEXANDRA LOIDL*
Im Jahr 2023 blickt die bundesweite Familiengerichtshilfe auf ihr zehnjähriges Bestehen zurück. Anlässlich dieses Jubiläums werden in der iFamZ Beiträge und Erläuterungen Einblick in die einzelnen Aufgaben der Familien- und Jugendgerichtshilfe geben.
Trennungsfamilien mit hochkonflikthaftem Beziehungsgeschehen nehmen einen verhältnismäßig großen Teil der Ressourcen des Justizapparats im Bereich Pflegschaftsrecht in Anspruch. Die Arbeit ist nicht nur zeitlich aufwändig, sondern erfordert auch andere Vorgehensweisen als bei weniger konflikthaften Konstellationen. In diesem Beitrag wird erläutert, was in derartigen Fällen zu beachten ist und wie die Arbeit der Familiengerichtshilfe im Bereich Hochkonflikthaftigkeit aussehen kann.
I.Grundlegendes
* Hochkonflikthaftigkeit ist ein Phänomen, mit dem Fachkräfte im Pflegschaftsrecht eher früher als später in Kontakt kommen. Familien in Hochkonfliktphasen sind anders: Sie fallen durch häufige Kontaktaufnahmen, langjährige durchgehende oder wiederkehrende Befassungen, hohe emotionale Intensität in ihren Vorbringen und durch das Scheitern üblicher Vermittlungs- und Befriedungsversuche auf.
II.Was bedeutet Hochkonflikthaftigkeit?
Etwa fünf bis zehn Prozent der Scheidungs- und Trennungsfamilien nehmen Schätzungen zufolge einen hochkonflikthaften Verlauf, binden jedoch zirka 80 % der Kapazitäten von Institutionen.1 Unter dem Begriff hochkonflikthafte Familien werden jene Eltern subsumiert, deren Konflikte ums Kind nach Trennung und Scheidung über eine längere Zeit hinweg andauern, anwachsen und schließlich außer Kontrolle geraten, mit nicht selten negativen Auswirkungen für die Kinder.2 Dabei handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Typische Merkmale der Eltern (zB reduzierte Verträglichkeit, unflexible Denkstrukturen, hohe emotionale Beteiligung an der Elternkommunikation etc) variieren sowohl im Hinblick auf deren Auftreten als auch auf deren Intensität stark.
Der Versuch, den Begriff Hochkonflikthaftigkeit bei Trennung und Scheidung zu definieren, zu klassifizieren und daraus Leitsätze für die Praxis abzuleiten, wird von mehreren Autoren aufgegriffen. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft“ des Deutschen Jugendinstituts werden jene Scheidungs- und Trennungsfamilien als hochkonflikthaft bezeichnet, in denen ein so hohes Konfliktniveau vorliegt, dass „erhebliche Beeinträchtigungen
■ auf den Ebenen des Verhaltens und/oder der Persönlichkeit mindestens eines Elternteils,
*Mag.a Alexandra Loidl ist klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Teamleiterin der Familien- und Jugendgerichtshilfe Wels.
1 Barth/Deixler-Hübner/Jelinek (Hrsg), Handbuch des neuen Kindschafts- und Namensrechts (2013); Dettenborn, Hochkonflikthaftigkeit bei Trennung und Scheidung (Teil 1), Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2013, 231; Dietrich/Paul, Hoch strittige Elternsysteme im Kontext Trennung und Scheidung, in Weber/Schilling (Hrsg), Eskalierte Elternkonflikte2 (2012) 13 (15).
2 Dietrich et al, Arbeit mit hochkonflikthaften Trennungs- und Scheidungsfamilien (2010) 10.
■ der Beziehung zwischen den Eltern untereinander und zwischen ihnen und dem Kind sowie
■ der Nutzung von institutioneller Hilfe zur Klärung der Konfliktsituation vorhanden sind“.3
Bei Hochkonflikthaftigkeit stehen die emotionalen Probleme der Eltern im Vordergrund, die Expartner:innen sind nicht in der Lage oder willens, selbst kleine Konflikte ohne Hilfe des Gerichts zu lösen, die Kinder werden in die Paarkonflikte miteinbezogen, die Beziehung zwischen Elternteil und Kind leidet, die Kinder werden dadurch gefährdet und Versuche, den Konflikt zu beenden, scheitern.4
Hochkonflikthafte Eltern haben häufiger verfestigte Ansichten und Feindbilder, neigen zu Misstrauen, wenig Kooperation und fühlen sich in Konfliktsituationen mit dem/ der ehemaligen Partner:in tendenziell hilflos. Häufig findet sich bei diesen Elternteilen die Selbstwahrnehmung als Opfer, mit einer stark ausgeprägten Tendenz zur Schwarz-WeißMalerei in Bezug auf sich selbst (als den fähigen Elternteil) und den anderen (als den bösen, unfähigen Elternteil). Negative Emotionen wie Wut, Enttäuschung, Trauer und Hass, die trennungsbedingt auftreten, werden weiter im Konflikt mit dem/der Expartner:in ausgetragen und können nicht erfolgreich reguliert werden. Aus diesem Grund fällt es ihnen auch besonders schwer, zwischen Paar- und Elternebene zu unterscheiden (mit dem Ziel, zugunsten der Kinder zu kooperieren). Zudem wird ein besonderes Bemühen um eine positive Selbstdarstellung beobachtet.5
III.Entstehung von Hochkonflikthaftigkeit und Konfliktdynamik
Doch wie entsteht eigentlich hochkonflikthaftes Verhalten?
In der Regel kommt es durch eine Trennung zum Verlust von Perspektiven, was die psychische Stabilität und den Selbstwert negativ beeinflusst und sowohl Ängste als auch psychosomatische Beschwerden begünstigt.6 Bei hochkonflikthaften Verläufen bestehen bei den Paaren zusätzlich Schwierigkeiten, sich emotional voneinander zu lösen. Hinzu kommen bestimmte kognitive Verarbeitungs- und Interpretationsmuster, die die Konflikteskalation begünstigen. Ein Beispiel
3 Dietrich et al, Trennungs- und Scheidungsfamilien, 12.
4 Dietrich/Paul in Weber/Schilling, Eskalierte Elternkonflikte2, 13 (15).
5 Dietrich et al, Trennungs- und Scheidungsfamilien, 13 f.
6 Dietrich/Paul in Weber/Schilling, Eskalierte Elternkonflikte2, 13 (16).
für ein konfliktbegünstigendes Verarbeitungsmuster ist die Übergeneralisierung, dh das voreilige und übertriebene Schlussfolgern ohne ausreichende Grundlage. Dies kann sich zB darin zeigen, dass ein Elternteil ein einzelnes Fehlverhalten eine/r Expartner:in als Beweis für eine totale Erziehungsunfähigkeit nimmt. Ein anderes Beispiel ist das Katastrophisieren, dh die Neigung, negative Aspekte einer Situation oder mögliche negative Konsequenzen in übertriebenem Maße wahrzunehmen. Konkret kann sich dies zB in der Überzeugung niederschlagen, ein angebliches Fehlverhalten einer Expartnerin/eines Expartners führe zu einer dauerhaften psychischen Schädigung des Kindes.
Zum besseren Verständnis der Konfliktdynamik wurden verschiedene Stufenmodelle entwickelt und weiterentwickelt. Als besonders praktikabel und anerkannt in der Fachliteratur hat sich ua jenes nach Alberstötter.7 erwiesen. Basierend auf einem allgemeinen Modell der Konflikteskalation nach Glasl entwickelte Alberstötter ein auf eskalierte Scheidungskonflikte angepasstes Drei-Stufen-Modell, in dem die Einschätzung der Intensität des Konflikts und der personalen Ausweitung zu einem komplexen Problemsystem ermöglicht werden soll.
In der ersten Stufe (zeitweilig gegeneinander gerichtetes Reden und Tun) wird eine Verhärtung der Positionen der Konfliktparteien sichtbar, allerdings verfügen die Parteien noch über die Hoffnung, dass Spannungen durch Gespräche gelöst werden können. Das Konfliktgeschehen kann sich wieder beruhigen.
In der zweiten Stufe (verletzendes Agieren und Ausweitung des Konfliktfelds) nimmt der Konflikt an Intensität und der Anzahl Beteiligter zu. Andere Personen werden einbezogen, der/die Konfliktpartner:in als unveränderlich böse wahrgenommen, wobei trotz Erhitzung und Ausweitung des Konfliktfelds eine Elternkooperation häufig noch möglich ist. Ab dieser Stufe spricht Alberstötter von Hochkonflikthaftigkeit
Auf Stufe drei (Beziehungskrieg) entwickelt sich ein „Kampf um jeden Preis“, bei dem extreme Gefühle von Verzweiflung und Hass dazu führen, dass einerseits eine Distanzierung vom Konfliktgegner stattfindet (verbal und körperlich) und andererseits ein Bedürfnis nach Rache sowie Destruktion entsteht. Dem/Der Gegner:in werden unmenschliche Züge zugeschrieben, die letztlich auch die psychische, physische und materielle Vernichtung moralisch rechtfertigen. Ein Konflikt wird jetzt ohne Rücksicht auf beteiligte Dritte geführt, Kinder werden häufig als Spielfiguren verwendet. Sie werden aktiv oder passiv im Elternkonflikt instrumentalisiert, mit dem Ziel, die Beziehung zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu zerstören. Die Interessen des Kindes können nicht mehr wahrgenommen werden.
Überschneidungsfeld häusliche Gewalt
Häusliche Gewalt und Hochstrittigkeit in Elternbeziehungen sind überschneidende Felder. Kindler 8 plädiert dafür, Fälle mit
erheblicher Partnerschaftsgewalt, unabhängig vom Konfliktniveau und von bisherigen Lösungsversuchen, von Fällen mit hochstrittigem Trennungs- und Scheidungsverlauf getrennt zu betrachten, weil der Schutz vor fortgesetzter körperlicher und psychischer Gewalt vorrangig zu behandeln ist. Eine große Herausforderung besteht darin, herauszufiltern, in welchen Fällen berechtigte Anliegen und Sorgen betreffend Gewalthandlungen vorherrschen und in welchen Parteien sich „lediglich“ aufgrund der Konfliktdynamik als Opfer erleben. Dabei kann auch eine Befassung der Familiengerichtshilfe hilfreich sein. Keinesfalls sollte im Zweifel aber der Opferschutz vernachlässigt werden.
Was hilft bei wem? Grundsätzlich gilt, unabhängig davon, wer mit den Parteien arbeitet: Je niedriger die Konfliktstufe, desto weniger Intervention ist nötig. Je höher die Konfliktstufe, desto aktiver, direktiver und strukturierender ist zu arbeiten.
Auf der niedrigsten Eskalationsstufe (Stufe 1 bei Alberstötter) bezieht sich der Konflikt vorwiegend auf die Inhaltsebene. Ein Perspektivenwechsel der Parteien ist noch möglich, Beratung fruchtet. Die Einstellungen der Parteien und die Handlungsebene sind weitgehend unproblematisch, Selbsthilfekräfte zur Konfliktbewältigung sind noch aktiv. Daher ist das vorrangige Ziel die Regelung von Interessengegensätzen durch Moderation der Konfliktparteien. Es kann auf Sachebene vermittelt werden. So können die Eltern zB bei der Vereinbarung eines Kontaktrechts zwischen Elternteil und Kind ihren Blick auf die Bedürfnisse des Kindes lenken und relevante Faktoren berücksichtigen (etwa Alter von Kind, Bindungsbedürfnisse, organisatorische Bedingungen).
Ab der mittleren Konfliktstufe (Stufe 2 bei Alberstötter) weitet sich der Konflikt auf die Beziehungsebene aus. Reine Vermittlung ist nicht ausreichend, eine stärker geleitete Schlichtung des Konflikts wird notwendig. Die Parteien sind auf Fremdhilfe angewiesen. Dabei sind auch hinter den Positionen liegende Einstellungen der Parteien zu berücksichtigen. So könnte zB eine verdeckte Angst, das Kind nach der Trennung ganz zu verlieren, einen Elternteil dabei behindern, bei der Vereinbarung eines Kontaktrechts rational über verschiedene Optionen zu diskutieren.
Auf der höchsten Stufe (ab Stufe 3 bei Alberstötter) wird der Konflikt auch auf der Handlungsebene geführt. Die Positionen der Parteien sind verfestigt, deren Akzeptanz von Interventionen von Fachkräften sinkt. Insb die Bereitschaft zu gemeinsamen Gesprächen mit dem jeweils anderen Elternteil ist vermindert. Viele Interventionen können aufgrund der dysfunktionalen Konfliktbewältigungsstrategien der Parteien immer weniger an der Eskalation ändern. Dettenborn und Walter empfehlen, Interventionen auf der Verhaltensebene zu setzen (einfachere Lernformen wie Verhaltenskonditionierung durch Belohnung oder „Strafe“ oder Vermeiden negativer Folgen).9 Was sich dadurch ändert, ist vorwiegend äußeres Verhalten und weniger die vorhandenen Einstellungen und Bereitschaften. Ein Machteingriff einer dritten Person oder Institution ist notwendig, um das Verhalten der Parteien zu kontrollieren und zu sanktionieren. Die Notwendigkeit, auf Maßnahmen mit Zwangscharakter und Sanktionsdruck zurückzugreifen, steigt (zB Trennung der Parteien, begleitete Kontakte, Androhung von Ordnungs-
mitteln, Änderung von Obsorgeregelungen). Das Risiko einer Kindeswohlgefährdung steigt, weshalb eine Zusammenarbeit des Gerichts mit der Kinder- und Jugendhilfe angezeigt sein kann.10
IV.Die Arbeit mit hochkonflikthaften Parteien
Nachdem es sich bei hochkonflikthaften Familien bei Gericht oft um aufwandsintensive „Wiederkehrer:innen“ handelt, deren Konflikte sich nicht dauerhaft lösen lassen, ist auch die Familiengerichtshilfe in weiterer Folge häufig mit ihnen befasst. Das Vorliegen von Hochkonflikthaftigkeit kann einen Unterschied in der Arbeit der Familiengerichtshelfer: innen begründen.
Eine hilfreiche Ausgangslage für die Arbeit der Familiengerichtshelfer:innen sind in jedem Fall zumindest vorläufige Regelungen des Gerichts zu Obsorge und Kontaktrecht. Diese können dabei helfen, dem Kindeswohl abträgliche Faktoren hintanzuhalten. So kann zB durch eine vorläufige Kontaktrechtsregelung einem Kontaktabbruch zu einem Elternteil entgegengewirkt oder durch eine Veränderung der Kontaktregelung (zB vorläufige Besuchsbegleitung) Kinderschutz gewährleistet werden. Zudem schaffen vorläufige Regelungen die Basis für die spätere gründliche Erarbeitung einer langfristigen einvernehmlichen Regelung oder – je nach Produkt11 – für die Überprüfung, woran die festgelegte Regelung scheitert.
Bei mittlerer Konflikthaftigkeit (wobei es sich hierbei laut Alberstötter bereits um Hochkonflikthaftigkeit handelt) kann zum Teil das fachliche Repertoire der Familiengerichtshilfe noch voll ausgeschöpft werden. Alle Produkte können durchgeführt werden, es sind keine methodischen Einschränkungen (zB Verzicht auf gemeinsame Elterngespräche) angezeigt. Allerdings ist eine intensivere Moderation der Parteien nötig. Zudem ist bei Interventionsversuchen das Zielmanagement zu überdenken. Beratungsziele sollten sich im niedrigen, realistischen Bereich befinden, was zB bedeuten würde, dass keine harmonische, kooperative Elternbeziehung das Ergebnis der Befassung sein kann, sondern eine Reduktion feindseliger Interaktionen oder ein Erarbeiten konkreter Lösungen für kleine, konkrete Teilbereiche. Wichtig ist dabei, Vorgaben, Aufträge und Vereinbarungen sowie Ergebniskontrolle genau zu formulieren und auf konkretes Verhalten zu beziehen. ZB ist das Ziel, „mehr Informationen bezüglich des Kindes auszutauschen“ wenig konkret und ungeeignet. Hilfreicher wäre es stattdessen, Kommunikationsmittel und -zeiten festzulegen, zB „der Vater schreibt der Mutter freitags ein SMS mit Informationen zur Hausübung am Wochenende“. Hinsichtlich des Zeitmanagements ist zu beachten, dass eher in langfristigen Zeiträumen gedacht werden muss, weil sich Konflikte systematisch selbst befeuern und wie verfestigte Positionen – oben beschrieben – eine Einstellungsänderung der Parteien erschweren.
Ab dem Vorliegen ausgeprägter Hochkonflikthaftigkeit ist ein Hinwirken auf Einvernehmen nicht mit hinreichen-
der Erfolgswahrscheinlichkeit durchführbar,12 weil die Änderung von Verhaltensbereitschaften und Einstellungen nur bedingt möglich ist. Gemeinsame Gesprächstermine verlaufen durch den gestörten Kommunikationsstil der Parteien meist wenig konstruktiv, können aber zusätzliche Kränkungen und Verhärtungen der Positionen hervorrufen. Eine direkte Kommunikation der Eltern kann daher kontraindiziert sein. Für die Familiengerichtshilfe kann dies bedeuten, dass ein Produktwechsel notwendig ist.
Besuchsmittlungen zur Regelung von Kontakten werden beim Vorliegen ausgeprägter Hochkonflikthaftigkeit wenig erfolgsversprechend sein, weil Parteien eher versuchen, die Termine zur Darstellung ihrer Ansichten zu nutzen, als sich auf eine echte Vermittlungsarbeit einzulassen. Auch die intensive Arbeit im Rahmen eines Clearings zur Herbeiführung einer einvernehmlichen Regelung kann ungeeignet sein. Stattdessen kann ein Bericht an das Gericht erfolgen.
Sollte das Gericht weitere fachliche Informationen benötigen, kann die Beauftragung einer Fachlichen Stellungnahme hilfreich sein. Zu beachten sind dabei zusätzliche Inhalte, wie zB die Auswirkungen der Hochstrittigkeit auf die Kooperationsfähigkeit der Eltern, auf die psychische Verfassung der Kinder oder auf das Risiko für eine Kindeswohlgefährdung. Auf Basis der anschließenden Beschlussfassung kann die Einhaltung der beschlossenen Inhalte im Rahmen einer Besuchsmittlung zur Durchsetzung der Kontakte von der Familiengerichtshilfe überprüft werden.
Bei besonders ausgeprägter Hochstrittigkeit ist parallel zur Bearbeitung immer zu beachten, ob zusätzliche Maßnahmen notwendig sind. So können zB durch massive Hochstrittigkeit Umgangsfähigkeit und Erziehungsfähigkeit von Eltern vorübergehend eingeschränkt sein und eine vorläufige Aussetzung von Kontaktrecht oder Obsorge notwendig machen.
Wichtig erscheint die Transparenz in der Arbeit den Parteien gegenüber, auch hinsichtlich der Abbruchkriterien für die Bearbeitung (Was muss passieren, damit zB Besuchsmittlung von der Familiengerichtshilfe beendet wird? Was muss passieren, damit ein Gespräch von der Familiengerichtshilfe beendet wird?). Auch ein gut koordiniertes Vorgehen zwischen Familiengerichtshilfe und Gericht erscheint in dieser Konfliktstufe sinnvoll und notwendig.
Eine Bearbeitung hochkonflikthafter Fälle bei der Familiengerichtshilfe birgt aus fachlicher Sicht viele Vorteile. Standardmäßig ist eine Fallreflexion mit einer/einem zweiten Mitarbeiter:in möglich, was dabei hilft, sich vor dem „Konfliktsog“ zu schützen. So kann auch eine Parteilichkeit, die von hochkonflikthaften Parteien offen oder verdeckt eingefordert wird, leichter verhindert werden. Die Einsicht in den Pflegschaftsakt hilft dabei, sich einen neutralen Blick auf den Fallverlauf zu verschaffen und die Konfliktdynamik gut einschätzen zu können. Auch professionelle Außenperspektiven können eingeholt werden, zB von der Kinder- und Jugendhilfe oder von Betreuungseinrichtungen von Kindern. Durch die Berichtspflicht der Familiengerichtshilfe an das Gericht werden die erhobenen Informationen dokumentiert
und ist eine enge Abstimmung mit Entscheidungsträgern möglich.
V.Fazit
Die professionelle Arbeit mit hochkonflikthaften Familien ist besonders fordernd. Eine angepasste Vorgehensweise bei Gericht und bei der Familiengerichtshilfe kann dabei helfen,
wenig erfolgversprechende Maßnahmen einzudämmen und sowohl den Kindern als auch den Parteien verletzendes Konfliktgeschehen zu ersparen. Nicht zuletzt ist die Wichtigkeit einer guten Zusammenarbeit zwischen allen Fachkräften, die mit hochkonflikthaften Familien befasst sind, zu nennen. Sie hilft nicht nur den Fachkräften selbst, sondern resultiert in noch qualitätsvollerer Arbeit, von der letztlich auch die Kinder profitieren.
Die Auswirkungen von Hochkonflikthaftigkeit auf das Erleben von Kindern
MICHAELA GRUBER / ELKE MIESENBÖCK*
Im Jahr 2023 blickt die bundesweite Familiengerichtshilfe auf ihr zehnjähriges Bestehen zurück. Anlässlich dieses Jubiläums werden in der iFamZ Beiträge und Erläuterungen Einblick in die einzelnen Aufgaben der Familien- und Jugendgerichtshilfe geben.
Hochkonflikthafte Trennungsfamilien nehmen im Arbeitsalltag jener Einrichtungen, die im familienrechtlichen Bereich tätig sind, einen besonderen Stellenwert ein. Sie beanspruchen viele Ressourcen, und oftmals stellt sich die Frage, ob das Agieren der Eltern nicht bereits die Grenze zur Kindeswohlgefährdung überschritten hat. In diesem Beitrag wird versucht, diese spezielle Problematik zu charakterisieren und dabei der Fokus auf das Erleben der Kinder sowie die Auswirkungen von Hochstrittigkeit auf die kindlichen Entwicklungsbedingungen gerichtet. Zudem wird beleuchten, wann eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.
I.Was bedeutet Hochkonflikthaftigkeit?
* Hochkonflikthaftigkeit wird insofern definiert, als diese „ein so hohes Konfliktniveau meint, dass Beeinträchtigungen auf den Ebenen des Verhaltens und/oder der Persönlichkeit mindestens eines Elternteils, der Beziehung zwischen den Eltern untereinander und der Elternteile mit dem Kind sowie der Nutzung von institutioneller Hilfe zur Klärung der Konflikte so erheblich sind, dass eine Reduktion der Konflikte zur Klärung von Alltagsfragen mit herkömmlichen rechtlichen und/ oder beraterischen Hilfen nicht angemessen möglich erscheint und eine erhebliche Belastung der Kinder wahrscheinlich ist.“1 Die folgende Fallgeschichte2 veranschaulicht eine derartige Entwicklung
Fallbeispiel 1
Zum Zeitpunkt der Scheidung im Jahr 2014 war Jonas 5,5 Jahre alt. Die Eltern vereinbarten die Obsorge beider Eltern und ein 14-tägliches Kontaktrecht. In den folgenden drei Jahren stellte der Vater immer wieder Anträge auf Ausweitung der Kontakte, die im Rahmen von Tagsatzungen einvernehmlich gelöst werden könnten.
2017 stellte der Vater einen Antrag auf Festlegung des Hauptaufenthalts bei ihm, wogegen sich die Mutter aussprach. Jonas war zu diesem Zeitpunkt acht Jahre alt. Der Vater gab an,
*Mag.a Michaela Gruber ist klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Teamleiterin, DSAin Elke Miesenböck Sozialarbeiterin und stellvertretende Teamleiterin der Familien- und Jugendgerichtshilfe Bruck an der Mur.
1 Fichtner, Trennungsfamilien – lösungsorientierte Begutachtung und gerichtsnahe Beratung (2015) 65.
2 Die Namen aller Beteiligten und spezifische Details wurden aus Datenschutzgründen in allen Fallbeispielen verändert.
dem Wunsch des Kindes nachzukommen, die Mutter sah darin die Beeinflussung des Vaters. Im Rahmen eines Clearings einigten sich die Eltern auf die Beibehaltung des Hauptaufenthalts bei der Mutter und auf eine Ausweitung der Kontakte.
Ab Jänner 2020, Jonas war elf Jahre alt, wurde von beiden Elternteilen in rascher Abfolge eine Vielzahl von wechselseitigen Anträgen gestellt, die für Jonas die Folge hatten, dass er seinen Vater wenig bis gar nicht mehr sah. Er begehrte dagegen auf, woraufhin seine Mutter psychische Auffälligkeiten an ihm zu erkennen meinte und ihm Psychotherapie zur Seite stellte. Jonas hatte Termine bei Gericht, der Familiengerichtshilfe und bei einem Gutachter zu absolvieren. Er gab an, seinen Vater häufig sehen zu wollen. Diese Termine in Folge von verschiedensten Anträgen hielten bis Herbst 2021 an. In dieser Zeit veränderte sich auch Jonas‘ Haltung, er gab nach und nach an, seinen Vater weniger, schließlich gar nicht mehr sehen zu wollen.
Im Oktober 2021 erging aufgrund der Weigerung von Jonas, seinen Vater sehen zu wollen, der Beschluss hinsichtlich der Aussetzung der Kontakte. Jonas war 12,5 Jahre alt.
Das vorliegende Beispiel zeigt, wie sich die Dynamik in hochstrittigen Familien zuspitzen kann und wie die Kinder darauf reagieren können. Mehr und mehr Anträge werden gestellt, unterschiedliche Institutionen werden mit dem Fall betraut und die Kinder werden von verschiedenen Personen und Institutionen zu ihrer Situation befragt. Es werden, neben den Kindern, Personen aus dem sozialen Umfeld einbezogen, wodurch sich der Konflikt ausweitet. Gängige Beratungs- und Interventionskonzepte zeigen oftmals keine Wirkung.
II.Welche Belastungen ergeben sich für die Kinder?
Kinder reagieren in unterschiedlicher Art und Weise auf diese Flut von Einflüssen. Die Reaktionen können zB von Regression über Einnässen oder Schulschwierigkeiten bis hin zu Überangepasstheit reichen. Nicht selten sind wie im angeführten Fallbeispiel Kontaktabbrüche die Folge. Es gilt jedoch zu beachten, dass nach einer Trennung der Eltern immer Reaktionen der Kinder zu erwarten sind, weil diese damit ihrem Erleben und ihrer Trauer Ausdruck verleihen, zumal die elterliche Trennung auch für die Kinder eine Krise darstellt, Veränderungen mit sich bringt und eine Neuorientierung und damit oft viele Anpassungsleistungen von den Kindern erfordert. Hier kann es als gesund angesehen werden, dass Kinder darauf reagieren und damit zeigen, dass es ihnen schlecht geht und es nötig ist, dass sich jemand um sie kümmert. Nicht übersehen werden sollten allerdings jene Kinder, die scheinbar keine Reaktionen auf die elterliche Trennung zeigen, da hier die Gefahr besteht, dass sich, zB durch unterdrückte Konflikte oder Abwehr, Belastungen nach innen richten bzw bestehen bleiben.
Während die oben beschriebenen Auswirkungen vorübergehende Reaktionen der Kinder auf das Erlebnis der elterlichen Trennung darstellen, können im Fall von Hochstrittigkeit gravierende Belastungen für die Kinder hinzukommen, die sich durch den persistierenden elterlichen Konflikt ergeben. Sie nehmen die Belastungen und das Unglück ihrer Eltern wahr, blicken unsicher in ihre Zukunft, häufig entstehen Ängste und sie fühlen sich alleine gelassen.
Fachleute sind sich einig, dass ein anhaltender Elternkonflikt den vermutlich schädlichsten Wirkfaktor für Kinder nach der elterlichen Trennung oder Scheidung darstellt.3 Wann überschreitet jedoch die Belastung der Kinder durch den elterlichen Konflikt die Grenze zur Kindeswohlgefährdung?
III.Was bedeutet Kindeswohl bzw Kindeswohlgefährdung?
Zur Erörterung dieser Fragestellung sei ausgeführt, dass es sich beim Begriff des Kindeswohls bzw der Kindeswohlgefährdung um einen mehrdimensionalen Begriff handelt, der sowohl psychosoziale als auch rechtliche Aspekte beinhaltet bzw berücksichtigt. Definiert sind einerseits die Voraussetzungen, unter denen ein Kind unversehrt aufwachsen und sich optimal entfalten kann, andererseits wird aufgezeigt, wann ein Eingriff von Seiten des Staates notwendig ist.4 In Österreich wurde versucht, das Kindeswohl in § 138 ABGB in zwölf Punkten zu definieren. Die Vielzahl von Kategorien zeigt, dass es mitunter schwierig ist, festzumachen, ab wann man dezidiert davon sprechen kann, dass ein Umstand oder ein Verhalten das Kindeswohl gefährdet. Hochstrittigkeit wird hier nicht als eigene diagnostische Kategorie angeführt, jedoch wirkt sich diese in mehreren der zwölf genannten Bereiche aus. Ist die Familien- und Jugendgerichtshilfe mit einer
fachlichen Stellungnahme beauftragt, werden alle zwölf Kriterien in den Blick genommen.
IV.Wie wirkt sich Hochkonflikthaftigkeit auf Kinder aus?
Die Folgen können vielfältig sein. Nicht enden wollende Konflikte zwischen den Eltern stellen massive Belastungen für ein Kind dar, besonders dann, wenn Konflikte offen ausgetragen werden. Kinder fühlen sich diesen hilflos ausgesetzt und zwischen den Eltern zerrissen. Aufgrund noch nicht entsprechend ausgebildeter Bewältigungsmechanismen, der grundlegenden kindlichen Tendenz, sich „schuldig“ zu fühlen sowie dem speziellen Naheverhältnis zu den Eltern, geraten Kinder nahezu unweigerlich in – oft unlösbare – Ambivalenzen, Loyalitätskonflikte und andere Problemlagen
Der persistierende Konflikt beansprucht die emotionalen Ressourcen aller Beteiligten. So kommt es nicht selten vor, dass Eltern nicht mehr dazu in der Lage sind, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen, geschweige denn, diese von den eigenen zu trennen und die tatsächliche Belastung ihrer Kinder einzuschätzen. Vielmehr steht die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen im Vordergrund bzw wird dies mit Erfordernissen des Kindeswohls begründet. Mitunter kommt es dazu, dass ein Elternteil aufgrund der eigenen Erlebnisse und Wahrnehmungen davon überzeugt ist, dass das Kind dem anderen Elternteil gegenüber ebenso zu empfinden hat, wie es selbst. Es kommt zu Koalitionsdruck, oftmals auch zur Parentifizierung. Kinder nehmen ihren Eltern gegenüber eine beschützende, aber auch regulierende Funktion ein, wodurch es zu einer Rollenumkehr kommt. Dies wiederum übersteigt die Fähigkeiten eines Kindes, Überforderung auf emotionaler Ebene ist die Folge.
Die Eltern sind mitunter so stark mit ihrem Konflikt beschäftigt, dass sie aus den Augen verlieren, dass Kinder besonders in solch belastenden Situationen Orientierung und Halt von Erwachsenen brauchen, häufig jedoch Gegenteiliges erleben. Im Idealfall zeichnet sich positives Erziehungsverhalten durch feinfühlige elterliche Zuwendung aus, was Kindern Sicherheit vermittelt. Im Fall von hochstrittigen Familienkonstellationen sinkt jedoch die elterliche Zuwendung, die Ressourcen für kindorientierte Erziehung werden geschwächt. Ebenso fließen unweigerlich vorhandene negative Emotionen in die Interaktion mit den Kindern ein.
Anhaltender Streit bedroht jedenfalls die emotionale Sicherheit von Kindern. Die scheinbare Unversöhnlichkeit der Eltern aktiviert Trennungs- und Verlustängste beim Kind. Das Erleben, dass aus einer ehemals geliebten Person, die ein Teil der engsten Bindungspersonen eines Kindes ist, eine dämonisierte Person wird, dies aus Gründen, die für ein Kind nicht verständlich sind, muss jedenfalls zu emotionalen Verunsicherungen führen. Es kann einem Kind signalisieren, dass es bei Fehlverhalten ebenfalls abgelehnt werden könnte. Daraus resultiert eine Angst vor dem Verlassenwerden und das Kind wird sich darum bemühen, dem verbliebenen Elternteil seine Loyalität zu beweisen.
Wird die emotionale Sicherheit von Kindern, die im Übrigen ein Grundbedürfnis darstellt, in ihrem Familiengefüge
bedroht, so kann sich dies in einem erhöhten Ausmaß von Angst und einer erhöhten physiologischen Erregbarkeit zeigen, die die emotionale Überforderung eines Kindes abbilden. Durch die langanhaltende Dauer der Elternkonflikte, einhergehend mit dem bereits erwähnten Koalitionsdruck und der emotionalen Verunsicherung, kann sehr häufig eine zunehmende Verschlechterung der Beziehung der Kinder zum getrennt lebenden Elternteil beobachtet werden. Die gängige Fachliteratur zu diesem Thema weist darauf hin, dass das Kind mangels Handlungsalternativen und zum eigenen Schutz schließlich oftmals einen Kontaktabbruch seinerseits herbeiführt. So führt zB Behrend an, dass ein solches Verhalten „dem Entwicklungsbedarf und eigentlichen Interesse des Kindes klar zuwiderläuft. Es ist Ausdruck schwerwiegender psychischer Belastung, weil die Trennung das Kind zur Preisgabe seiner existentiell wichtigen Bindung an einen geliebten Elternteil führt.“5 Der Kontaktabbruch wirkt mitunter plötzlich und unverständlich, resultiert aber aus den vorangehenden Belastungen, wobei aufgrund von häufigen Befragungen des Kindes durch verschiedene Professionist: innen, (familiären) Einflüssen oder wahrgenommenen Enttäuschungen weitere Belastungen hinzukommen. Ein Kontaktabbruch erscheint hier oftmals für das Kind als geringeres Übel, läuft jedoch seinen Bedürfnissen, wie sie auch im Rahmen der Kindeswohlkriterien unter § 138 ABGB definiert sind, zuwider. In diesem Zusammenhang sei aufgezeigt, dass der Kontaktabbruch bzw die Kontaktverweigerung ein Phänomen darstellt, das nur im Kontext von Scheidungskonflikten und -reaktionen zu finden ist.6
Da das Kind permanent damit beschäftigt ist, das Verhalten und den Konflikt seiner Eltern im Auge zu behalten und möglicherweise kalmierend auf diese einzuwirken, kann es sich nicht auf seine eigenen Bedürfnisse konzentrieren, woraus dysfunktionale Anpassungsstrategien resultieren können. Kurzfristig zeigt sich dies zB in Form von Schwierigkeiten in der Schule oder regressiven Tendenzen. Langfristige Folgen zeigen sich in Problemen der Gestaltung sozialer Beziehungen, einem erhöhten Trennungsrisiko bei späteren eigenen Beziehungen, in verminderter Stressresistenz und Affektregulation.7
Eine weitere Auswirkung persistierender Elternkonflikte kann sich insofern zeigen, als es für befasste Fachkräfte oft schwierig ist, aus den Aussagen der Kinder Rückschlüsse auf deren tatsächliche Bedürfnisse zu ziehen, weil sich die Kinder ausschließlich an den Bedürfnissen der Eltern orientieren (müssen) und ihre eigenen Gefühle im Zusammenleben mit hochkonflikthaften Eltern nicht mehr wahrnehmen und ausdrücken können. Des Weiteren führt die erlebte Hilflosigkeit dazu, dass das Erleben von Selbstwirksamkeit bei den betroffenen Kindern beeinträchtigt ist, was zusätzlich Defizite in der Identitätsentwicklung zur Folge haben kann. Aus diesen Gründen muss von Fachkräften beachtet werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit keine unbeeinflusste Willensäußerung vorliegt. So ist in der Praxis häufig zu beobachten,
5 Behrend, Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht (2009) 180.
6 Behrend, Kindliche Kontaktverweigerung, 51.
7 Walper/Fichtner, Zwischen den Fronten – Psychosoziale Auswirkungen von Elternkonflikten auf Kinder, in Walper/Fichtner/Normann (Hrsg), Hochkonflikthafte Trennungsfamilien2 (2013) 91 (97).
dass Kinder ihren Eltern jeweils genau das erzählen, von dem sie glauben, dass diese es hören möchten, und dies auch in Gesprächen mit Fachkräften tun. Fthenakis und Walbiner beschreiben in diesem Zusammenhang, dass der Kindeswille im Fall von Hochstrittigkeit aus ungesunder Identifikation mit einem Elternteil resultieren kann, die wiederum die emotionale Entwicklung des Kindes negativ beeinflusst. Andere Kinder hingegen übernehmen Verantwortung für den aus ihrer Sicht bedürftigeren Elternteil und verbünden sich mit diesem.8
Es zeigt sich, dass die Auswirkungen von Hochkonflikthaftigkeit auf Kinder äußerst vielfältig und weitreichend sind sowie mehrere der unter § 138 ABGB gelisteten Kindeswohlkriterien berühren. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Kinder, die über einen langen Zeitraum feindseligen Elternkonflikten ausgesetzt sind, eine gravierende Symptomatik aufweisen können, die auch als Strategie dient, sich dem elterlichen Konfliktfeld zu entziehen, jedoch immense Schädigungen nach sich ziehen kann. Die Auswirkungen von Hochkonflikthaftigkeit auf Kinder umfassen das gesamte Spektrum psychischer Störungen des Kindesalters und betreffen sowohl externalisierendes als auch internalisierendes Problemverhalten.9 Nach Walper sind die Belastungen vergleichbar mit jenen bei Vernachlässigung oder Misshandlung.10
Damit in Zusammenhang steht, dass eskalierte Konflikte die Qualität des elterlichen Erziehungsverhaltens beeinträchtigen und bei den Eltern zu verminderter Erziehungsfähigkeit führen. In weiterer Folge wird die Beziehung und/ oder die Beziehungsqualität zu beiden Elternteilen beeinträchtigt.11 Hinzu kommt, dass hochkonflikthafte Eltern oftmals keine Hilfen für das Kind akzeptieren. Nicht alle Eltern sind – wenn auch nicht vorsätzlich – bereit oder in der Lage, an der Situation etwas zu ändern (wie auch bei anderen Gefährdungs-Settings).
Somit gehen eskalierte Konflikte mit einer verringerten Fähigkeit der Eltern einher, insgesamt kindeswohldienliche Bedingungen zu schaffen. Hochstrittige Elternkonflikte stellen eine bedeutsame Risikosituation für Kinder dar. Daraus ergibt sich, dass in allen betroffenen Fällen, ein Hilfebedarf gegeben ist.
V.Wann wird die Schwelle zur Kindeswohlgefährdung überschritten?
„Die Gefährdungsschwelle ist erreicht bzw. wurde überschritten, wenn in hochkonflikthaften Familien summarisch vier Gefährdungskriterien vorliegen:
1.Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des hauptsächlich betreuenden Elternteils oder beider Elternteile aufgrund der kognitiven Verengung auf den Elternkonflikt,
8 Fthenakis, Die Familie nach der Familie (2008) 104.
9 Staub, Wohl des Kindes, 36; Fichtner, Trennungsfamilien, 69; Walper/Langmeyer, Belastungs- und Unterstützungsfaktoren für die Entwicklung von Kindern in Trennungsfamilien, in Volbert/Huber/Jacob/Kannegießer (Hrsg), Empirische Grundlagen der familienrechtlichen Begutachtung (2019) 13.
10 Walper/Langmeyer in Volbert/Huber/Jacob/Kannegießer, Empirische Grundlagen, 13 (24).
11 Walper/Fichtner in Walper/Fichtner/Normann, Hochkonflikthafte Trennungsfamilien2, 91.
2.behandlungsbedürftige Belastungssymptomatik des Kindes, 3.eingeschränkte Bewältigung altersentsprechender Entwicklungsaufgaben und 4.Fehlentwicklung in der Eltern-Kind-Beziehung.“12
Des Weiteren ist nach Kindler.13 der Kipppunkt zur Kindeswohlgefährdung überschritten, wenn gerichtliche Maßnahmen (zB Kontaktregelung oder Änderung des Hauptaufenthalts) nicht ausreichend erscheinen und eine Herausnahme des Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verbesserung der Situation für das Kind führen würde. Eine deutliche Mehrheit hochkonflikthafter Familien bewegt sich allerdings unterhalb dieser Schwelle, ab der eine Kindeswohlgefährdung abgeklärt werden muss. Eine pauschale Beantwortung der Fragestellung ist nicht möglich, es ist immer die Prüfung des Einzelfalls erforderlich.14
Das folgende Fallbeispiel zeigt eine Situation auf, in der die Grenze zur Kindeswohlgefährdung überschritten wurde.
Fallbeispiel 2
Bei der Scheidung der Eltern im Jahr 2013 waren David vier und Thomas zwei Jahre alt. Im Scheidungsvergleich wurden die Obsorge beider Eltern und ein 14-tägliches Kontaktrecht von Samstag auf Sonntag festgelegt. Kurz nach der Scheidung wurden der Mutter vom Vater mehrere Male die Autoreifen zerstochen, was die Kinder mitbekamen. Es kam zu einer strafrechtlichen Verurteilung des Vaters. In weiterer Folge kam es zu verschiedenen wechselseitigen Anträgen und Anzeigen bei der Polizei sowie zu mehreren Kontaktabbrüchen zwischen den Kindern und dem Vater.
Im Zuge diverser Gespräche bei verschiedenen professionellen Einrichtungen äußerten die Kinder immer wieder den Wunsch nach Kontakt zum Vater, infolge der zerstochenen Reifen aber auch nach wie vor Ängste um die Mutter. Bei David wurde im Jahr 2019 eine hyperkinetische Störung diagnostiziert. Der Vater lehnte die vorgeschlagenen Behandlungen (medikamentös und psychotherapeutisch) ab. Die Mutter verweigerte im Gegenzug jeglichen Austausch mit dem Vater und bezeichnete diesen den Kindern gegenüber als Dämon.
Im Herbst 2021 begannen sich bei Thomas Auffälligkeiten zu zeigen, die sich in Zwangshandlungen manifestierten. Nach mehreren Monaten ambulanter psychotherapeutischer und fachärztlicher Begleitung kam es im Sommer 2022 zu einem achtwöchigen Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die dort gestellte Diagnose lautet auf Achse I: Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten bei anhaltender Belastung durch hochstrittige Eltern.
David wollte seinen Vater mittlerweile nicht mehr sehen, Thomas äußerte noch immer den Wunsch nach Kontakt.
Während im ersten Fallbeispiel noch keine klinisch relevanten Auffälligkeiten des Kindes festgestellt werden konnten, zeigt sich hier bereits eine massive Belastungssymptomatik. Es wird deutlich, wie verhärtet die Fronten zwischen den Eltern sein können. Auch wenn beide Eltern kognitiv nachvollziehen konnten, dass der vorherrschende Konflikt und die offene Austragung Thomas so sehr schädigten, dass eine mehrwöchige stationäre Behandlung notwendig wurde, gelang es ihnen dennoch nicht, aus der Konfliktdynamik auszusteigen.
Bei jeglichem professionellen Angebot hat zumindest eine Partei den Eindruck, zu sehr nachgeben zu müssen und dadurch das Gesicht zu verlieren – und für Thomas spitzt sich die Situation weiterhin zu.
VI.Fazit
Es konnte aufgezeigt werden, dass viele unterschiedliche Faktoren in ihrem Zusammenwirken dafür verantwortlich sind, was Hochstrittigkeit bei einem Kind bewirkt. In der Praxis ist es jedenfalls notwendig, umfassende Erhebungen hinsichtlich des kindlichen Belastungsniveaus vorzunehmen, die sich allerdings nicht auf den Elternkonflikt alleine beschränken, sondern seine gesamte Lebenssituation und mögliche weitere Stressfaktoren umfassen sollten, um die spezifische Gefährdung abschätzen und auch konkrete und angepasste Unterstützungsmaßnahmen (zB Einsatz von ambulanten Hilfsdiensten, therapeutische Unterstützungen, Beauftragung eines Kinderbeistands etc) empfehlen zu können. Dies kann zB in Form einer fachlichen Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe passieren, wobei diese im Rahmen ihrer Befassung keine klinischen Diagnosen stellt.
In der Arbeit mit hochstrittigen Familienkonstellationen ist somit ein Augenmerk darauf zu richten, wie Kinder in diesem Kontext geschützt und Eltern zur Inanspruchnahme professioneller Unterstützung motiviert werden können, um den Fokus wieder auf die Bedürfnisse ihrer Kinder richten zu können. Dies bedeutet auch, dass nicht mehr die von den Eltern gestellten Anträge, sondern der Schutz des Kindes in den Vordergrund gerückt werden sollte. Das Verhalten der Eltern wird als Risiko für das Kind bewertet, der Blickwinkel des Kindes wird in den Mittelpunkt gestellt. Bei anhaltender Hochkonflikthaftigkeit erscheint somit eine reine Elternberatung nicht ausreichend, sondern es bedarf spezieller Interventionskonzepte zur intensiven Arbeit mit den Eltern, zudem müssen diese auch Unterstützungsmaßnahmen für die Kinder enthalten. Dabei sollte in zeitlichen Abständen überprüft werden, ob durch die gesetzten Maßnahmen eine Verbesserung für das Kind herbeigeführt werden konnte und ob diese zur Sicherung des Kindeswohls geführt haben. Sind bei den betroffenen Kindern massive Schädigungen festzustellen, die auf den Elternkonflikt zurückzuführen sind, sind die Eltern nicht willens und/oder in der Lage, diesen entgegenzuwirken und haben gerichtliche Interventionen (wie Abänderungen bei Obsorge- oder Kontaktregelungen) nicht zu einer Verbesserung geführt, kann auch im Kontext von Hochkonflikthaftigkeit, so wie bei anderen Formen von Kindeswohlgefährdung, abzuwägen sein, ob ein Eingriff von außen im Sinne einer (vorübergehenden) Fremdunterbringung zum Schutz und zur Entlastung des Kindes erforderlich ist.
Im Fall von Hochstrittigkeit prasselt eine Vielzahl von Faktoren auf die betroffenen Kinder ein, die sich negativ auf deren Lebenssituation auswirken. Aus fachlicher Sicht erscheint es unabdingbar, den Fokus im Umgang mit hochstrittigen Familien auf das Erleben der Kinder zu lenken und dementsprechend in multiprofessioneller Zusammenarbeit Konzepte zu entwickeln, die zu deren Entlastung beitragen und deren Situation verbessern.