Das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Januar-Februar 2017
Die schrecklichen Terroranschläge der vergangenen Monate und insbesondere der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember haben in der Bundesrepublik zu einer regen Diskussion über die Sicherheit geführt. Eine solche Diskussion ist nicht nur berechtigt, sondern auch geboten. Damit sie wirkliche Erkenntnisse bringt, muss sie rational, überlegt und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik geführt werden. Statt an der renovierungsbedürftigen Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik zu arbeiten, basteln Bundesinnenminister Thomas de Maizière oder Bundesjustizminister Heiko Maas an einer Sicherheitskulisse. Die von ihnen als Lösungen präsentierten Ideen sind gefährlich ineffektiv im Kampf gegen den Terror. Und dadurch ist der mit ihnen einhergehende Eingriff in Freiheit und Grundrechte erst recht unverhältnismäßig. Um als staatlicher Akteur aus der passiven Rolle der Reaktion auf terroristische Aktion herauszukommen und das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen, wäre ein sicherheitspolitischer Runder Tisch nötig, der darüber diskutiert, wie wir in Zukunft leben wollen: Wie das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit gewahrt werden kann, was die Sicherheitsbehörden an neuen Instrumenten benötigen und auf welche sie verzichten können. Wie Kommunen und soziale Gefüge gestärkt oder wieder hergestellt werden können und was wir noch tun können, um dem Terror den Boden zu entziehen, auf dem er bei uns wächst. Der Kampf gegen Terror darf keine sicherheitspolitische Diskussion bleiben. Wir brauchen mehr Geld für Kommunen, Deradikalisierungsprogramme, funktionierende Nachbarschaften, mehr Integrationsarbeit und mehr Mittel für Bildung und für die kommunale Jugend- und Sozialarbeit, damit diese vor allem in den sozialen Brennpunkten besser ist als die der Salafisten oder Rechtsradikalen. Denn der Terror in Europa hat zwar einen internationalen Kontext, ist aber
hausgemacht. Die Attentäter von Paris und Brüssel waren zum Großteil Belgier und Franzosen, die von London Briten, andere haben sich erst in Europa radikalisiert. Eine Verquickung der Sicherheitsfrage mit der Flüchtlingspolitik ist deshalb unlauter und gefährlich: Maßnahmen nach außen, wie Grenzschließungen, Obergrenzen und Abschiebungen, werden nichts daran ändern, dass islamistische und, nicht zu vergessen, rechtsextreme Terroristen bei uns heranwachsen. Und wenn wir nicht wollen, dass Terroristen in destabilisierten Regionen Erfolg haben, müssen wir dort zur Stabilisierung beitragen, statt mit Waffenexporten und Kriegseinsätzen Konflikte zu befeuern. Auf der anderen Seite darf Sicherheit nicht allein auf den Schutz vor Terror reduziert werden, denn mindestens genauso wichtig ist die Sicherheit im Alltag: Natürlich müssen wir darüber reden, ob es richtig war, in 15 Jahren bei den Polizeien des Bundes und der Länder gut 10.000 Stellen abzubauen. Aber mehr Alltagssicherheit bringen auch andere Maßnahmen wie die Einführung von Assistenzsystemen für LKW, ohne die es in Berlin noch mehr Tote gegeben hätte und die zu mehr Verkehrssicherheit führen würden. Wir meinen, dass man in einer Sicherheitsdiskussion hierüber genauso reden muss wie darüber, dass dort, wo heute in U-Bahn-Stationen Videokameras Gewalttaten aufzeichnen, noch vor wenigen Jahren Bahnsteigpersonal gearbeitet hat, das im Zweifel eingreifen oder Hilfe holen konnte. Die Reaktion auf einen Angriff auf die Freiheit, die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt darf nicht darin bestehen, sie freiwillig aufzugeben. Wir dürfen uns nicht die Agenda der Angst aufzwingen lassen, sondern müssen die Herausforderung des Terrors mit den Mitteln des demokratischen Rechtsstaats annehmen und überwinden. Eine verantwortungsvolle Politik muss sich wieder daran orientieren, den Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben, statt die Welle aus Angst und Verunsicherung zu reiten. Es bedarf eines Blickes über den Tellerrand und neuer Ideen, statt immer wieder in die sicherheitspolitische Mottenkiste zu greifen. Das ist mühselig und kostet Zeit. Wer aber behauptet, schnelle Lösungen für komplexe Probleme zu haben, hat die Dramatik nicht begriffen. • Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
Links! im Gespräch
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Afghanistan: Ein Land im Krieg! Zum Ende des vergangenen Jahres sorgten die ersten Sammelabschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan für Empörung. Das Ziel, über komplexe Themen unserer Zeit aufzuklären, verlangt kompetente Gesprächspartner. Im Dresdner Hygienemuseum kann man seit geraumer Zeit sogenannte „Länder-Abende“ erleben, veranstaltet vom European Direct Information Center (EDIC) Dresden. Der jüngste lief am 13. Dezember 2016 unter der Überschrift „Fokus Afghanistan – Zwischen Terror und Wiederaufbau am Hindukusch“. Als wichtigster Gast war Thomas Ruttig angekündigt. Er wirkte von 1988 bis 1989 als Diplomat der DDR in Kabul und ist heute Co-Direktor des Afghanistan Analyst Network (AAN), einer gemeinnützigen Organisation für politische Analysen, die er mitbegründet hat. Leider war Thomas Ruttig aus gesundheitlichen Gründen verhindert. Ralf Richter erreichte den Experten, der sich seit über 35 Jahren mit Afghanistan beschäftigt, telefonisch. Wie haben Sie die Situation Ende der 80er Jahre in Afghanistan erlebt – konnten Sie durch das Land reisen? Wie sicher war es damals? Man konnte sich in Kabul ziemlich frei bewegen und mit dem Auto etwas aus Kabul rausfahren – das ist schon mehr, als heute möglich ist. Mit dem Flugzeug habe ich andere Städte erreicht, aber es herrschte damals auch schon Krieg. Bombenanschläge gab es zwar, aber sie hatten Seltenheitswert. Heutzutage ist das Alltag. Um Kabul herum hatten die sowjetischen und afghanischen Truppen drei Verteidigungsringe installiert – das hat man auch jetzt versucht, aber damals funktionierten sie besser. Ist die damalige afghanische Armee stärker gewesen als die heutige? Wenn man Afghanen fragt, so sagen sie, dass die damalige Armee unter dem Präsidenten Nadschibullah besser organisiert und geführt gewesen sei. Zwar hat damals der äußere Verteidigungsring um Kabul nicht immer gehalten, die Raketen der Mudschaheddin erreichten insbesondere die Außenbezirke, wo die ärmere Bevölkerungsschicht lebte, und es gab immer wieder Tote und Verletzte. Heute sehen viele Afghanen, die damals Nadschibullah sogar aktiv bekämpften, in ihm einen der besten Politiker, die das Land je hatte.
Wie ist es heute? Heute gibt es Kabul den so genannten Ring of Steel, den Ring aus Stahl, eine Postenkette der afghanischen Polizei um das Stadtzentrum. Aber zum Feierabend hin wird der Ring recht dünn, da gleicht der Stahl eher Schweizer Käse. Seit über zehn Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan „engagiert“ und man hat seither den Eindruck, dass es zwar viele Informationen über Afghanistan gibt, die aber letztlich nicht zu Wissen führen. Woran liegt das? Es gibt schon gute Informationen in Medien und akademischen Publikationen, aber die kann man heutzutage nirgendwo mehr zusammenführen. Man muss also viele Quellen anzapfen, und es ist auch hilfreich, wenn man Englisch kann, weil das Meiste und Beste in Englisch publiziert wird. Was von der Bundesregierung kommt, ist natürlich interessengeleitet. Hier geht es um eine Positivdarstellung – Probleme werden eher nicht benannt. Doch inzwischen haben die meisten Leute mitbekommen, dass da einiges nicht stimmt. Man sieht das im Moment auch an der Debatte darum, ob Afghanistan für Abschiebungen „sicher“ ist. Meine Organisation tut auch einiges zur Aufklärung – im Internet findet man uns unter www.afghanistan-analysts.org Viele Migranten kommen wohl nicht umsonst aus Afghanistan … Das hat natürlich mit dem Krieg dort zu tun und auch damit, dass er seit vierzig Jahren an-
hält. Es gab immer wieder die Hoffnung, dass er beendet wird, die aber ständig aufs Neue enttäuscht wurde. Da kann man die Leute schon verstehen, wenn sie sagen, ich halte es zu Hause nicht mehr aus. Wenn man diese Menschen dann als Wirtschaftsflüchtlinge hinstellt, finde ich das zynisch. Die Fluchtursachen sind vielfältig. Natürlich gibt es auch sozialökonomische Ursachen. Aber Armut und Unterentwicklung sind auch Resultate der Kriegsjahre und sind im Kriegszustand auch nicht zu überwinden. Der Wiederaufbau geht schleppend voran, und was vorne aufgebaut wird, wird hinten wieder weg gesprengt. Wenn der Bundesinnenminister sagt, wir haben so
viel in Afghanistan reingesteckt, da müsste man doch auch erwarten können, dass die Leute da bleiben – dann ist das eine überaus verkürzte Sicht auf die Dinge, die den aktuellen Umständen nicht gerecht wird. De Maiziere sollte das besser wissen.
Er weiß es besser. Mit solchen Statements übertüncht man auch, dass die Bundesregierung als großer Geldgeber und Truppensteller eine Mitverantwortung dafür trägt, dass in Afghanistan keine Ruhe herrscht. Was hat denn der gesamte Einsatz der Bundesrepublik in Afghanistan bewirkt? Die Bilanz ist gemischt. Man hat dazu beigetragen, dass sich das Leben vieler Afghanen tatsächlich für eine Weile verbessert hat. Das kann man auch im Afghanistan-Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2014 nachlesen. Aber man weiß nicht, wie nachhaltig das alles sein wird. Man rechnet – und das war zu DDR-Zeiten auch nicht anders – lieber Erfolge als Misserfolge ab.
Was sagen eigentlich linke Afghanen zum militärischen Einsatz des Westens? Linke Afghanen oder solche mit einer linken Vergangenheit haben sich immer gewünscht, dass die westlichen Soldaten stärker gegen die Taliban vorgehen, dass man aber auch gleichzeitig
politisch gegen die Korruption und den „Warlordismus“ auf der Regierungsseite kämpfen möge. Die vereinfachte Darstellung, dass sich eine „gute Regierung“ und „böse Taliban“ gegenüberstehen, unterschlägt, dass die Hälfte der Probleme in Afghanistan durch die Regierung verursacht wird. Die afghanischen Linken hatten gehofft, die demokratischen Staaten des Westens würden ihnen dabei helfen, das zu ändern. Der Westen hat aber nie Afghanistans politischen Pluralismus auch institutionell anerkannt. Es gab nur immer Karzai und die Taliban, doch die Zivilgesellschaft und die Parteienlandschaft wurden kaum wirklich gefördert. Die vielen fortschrittlichen Afghanen sind hängen gelassen worden, und das rächt sich heute. Junge Afghanen haben beim Länderabend berichtet, dass sie nicht unbedingt vor den Taliban geflohen sind, sondern dass sie von der eigenen Regierung gar nichts erwarten und auch nicht wünschen, dass sie vom Ausland weiter unterstützt wird. Was muss denn passieren, damit das Land zur Ruhe kommt? Wenn der Westen die Unterstützung für die Regierung einstellt, bricht diese zusammen und die Taliban könnten wieder an die Macht kommen. Das würde diesen Afghanen auch nicht gefallen. Der Krieg muss beendet werden, damit sich das Land friedlich entwickeln kann. Es braucht ferner Druck, damit sich auch die Regierungsführung zum besseren ändert und endlich beginnt, sich um die Lebensumstände der Bevölkerung zu kümmern. Die lebt fast zur Hälfte unter der Armutsgrenze.
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Uncle Sam fährt durch Brandenburg Laut Philip Breedlove, dem Kommandeur des Europäischen Kommandos der USStreitkräfte, soll es ein „großer Schritt“ werden: Von Februar 2017 an verlegen die USA eine Panzerbrigade in den Osten Europas. Die 4.200 Soldaten sollen rotierend für jeweils neun Monate eingesetzt werden und etwa in den baltischen Staaten an Übungen teilnehmen. Schon im vergangenen Februar bewilligte die US-Regierung 3,4 Milliarden Dollar für ERI, die „European Reassurance Initiative“, die laut den Vereinigten Staaten von Amerika die Sicherheit und den Frieden in Europa stützen soll. Damit die Soldatinnen und Soldaten im Februar ihre Arbeit im Baltikum aufnehmen können, wird die Truppe derzeit nach Polen verlagert. Schon im November ging es in Colorado in den Vereinigten Staaten los, im Januar erreichte die Truppe Bremerhaven, um von dort aus über Land nach Polen geschafft zu werden. Die Soldaten werden von Bremerhaven mit der Bahn durch Norddeutschland nach Osteuropa gefahren. Und nicht nur sie: „Etwa 900 Waggons mit militärischem Material werden per Eisenbahn von Bremerhaven nach Polen gebracht. Dazu kommen ungefähr 600 Frachtstücke, die vom Truppenübungsplatz Bergen-Hohne ebenfalls per Bahn nach Polen transportiert werden. Knapp 40 Fahrzeuge werden direkt über die
Mitte Januar dieses Jahres gab es zwei Meldungen, die sehr unterschiedlich unterschiedliche Menschen beunruhigten. Die Partei DIE LINKE hatte den Entwurf ihres Programms für die Bundestagswahl veröffentlicht. Die Entwicklungsorganisation Oxfam hinwiederum trat vor dem Start des Wirtschaftsforums in Davos mit einer Studie an die Öffentlichkeit. Oxfam stellte fest – und so meldete es dpa –, dass der Wohlstand noch nie in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte so ungleich verteilt gewesen wäre wie heute. Die acht reichsten Männer der Welt (ja, alles Männer) besäßen „gemeinsam ein ähnlich großes Vermögen wie die gesamte är-
Straße von Bremerhaven nach Polen bewegt“, hieß es von der Pressestelle der Bundeswehr. Drei Jahre nachdem die letzten US-Panzer aus Europa abtransportiert wurden, sind sie nun zurück. „Damit setzen wir die Strategie fort, unsere Nato-Alliierten und Verbündete unseres starken und angemessenen Vorgehens angesichts eines aggressiven Russland in Osteuropa und anderswo zu versichern“, so Breedlove. Aber stimmt das auch? Es sei eine Rückversicherung für die
Länder in Osteuropa, die sich durch Russland bedroht fühlten, besonders seit der Annexion der Krim. Tatsächlich aber ist auch der Westen nicht ganz unschuldig an dem Säbelrasseln in Osteuropa. Denn wer mehr und mehr Truppen, Panzer und schweres Gerät an die Ostgrenze der EU verlegt, der provoziert natürlich eine Gegenreaktion. Statt auf Abrüstung und diplomatische Verhandlungen mit Russland zu setzten, wird hier militärisch gedroht. Russlands verärgerte Antwort auf diese
Truppenbewegung der NATO folgt auf dem Fuße. „Wir sind keine untätigen Beobachter, wir ergreifen regelmäßig militärische Maßnahmen, die wir für notwendig erachten, um diese verstärkte Präsenz auszugleichen, die durch nichts gerechtfertigt ist“, sagte der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko. Russland plane eine „völlig asymmetrische Antwort“. Tatsächlich wäre es besser gewesen, die NATO und die USA hätten auf diese weitere Zuspitzung verzichtet, zuträglich für den
Frieden ist das Ganze sicherlich nicht. Die NATO-Russland-Grundakte, die 1997 beschlossen wurde und die eine dauerhafte Stationierung von substantiellen Kampftruppen in den damals neuen NATO-Staaten Osteuropas ausschließt, darf nicht weiter aufgeweicht werden, obschon die polnische Regierung mit dem Hinweis, die veränderte Lage mache die Grundakte ungültig, wieder und wieder darauf drängt. DIE LINKE wird sich dafür einsetzten, dass sich die Bundesregierung dem vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier aufgezeigten Kurs in dieser Frage anschließt. Steinmeier sagte zu der Truppenverlagerung: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“ Es gilt zu hoffen, dass es bei diesem Kurs bleibt und dass sich auch der künftige Außenminister Gabriel diesem Anliegen verpflichtet fühlen wird. Ein erster richtiger Schritt in diese Richtung wäre es, die Sanktionspolitik gegenüber Russland zu überdenken. Konsequentes Abrüsten muss das Ziel der Bundesregierung und der EU sein. Auch gegen einen Partner USA muss man sich hier deutlich positionieren. Nur so kann der Frieden, den die USA vorgeblich stärken wollen, tatsächlich gestärkt werden. Mit Waffengewalt gegen Russland wird sich dies nicht umsetzen lassen. Stefan Liebich
mere Hälfte der Menschheit“ (16.01.17, t-online.de). Am gleichen Tag war im nd von Oxfam auf der ersten Seite zu lesen, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung 50,8 Prozent des Weltvermögens in ihren Kassen hält. Im halbwegs wohlhabenden Deutschland verfügt das reichste Prozent der Bevölkerung über ein Drittel des Gesamtvermögens. Immerhin braucht es bei uns 36 Milliardäre, um so viel Vermögen zu besitzen wie die ärmere Hälfte. Fett macht das die meisten auch nicht. Wie es nun der Zufall will, „LINKE-Kampfansage gegen Reiche“ war die Schlagzeile im nd just neben dem Artikel über die himmelschreiende soziale Ungleichheit in der Welt. Es war die Meldung über den Entwurf des Bundestagswahlprogramms der Partei DIE LINKE. Sie fordert z.B. einen Mindestlohn von 12 Euro, sie will, dass niemand mehr als ein Drittel seines Einkommens für die Miete ausgeben muss. Sie will Renten, die der Altersarmut einen Riegel vorschieben usw.
usw. Dafür wollen die Linken unter anderem kräftig in die Taschen der Reichen greifen, die Macht der Banken brechen, Steuerflucht verhindern und Finanztransaktionen belasten. So weit, so gut. Wer aber war nun worüber beunruhigt? Die Herolde des Kapitals störten die Absichten der LINKE sehr viel mehr als die Erkenntnisse
wird. Der Wahnsinn sieht aber anders aus. Als Beispiel für die Bedeutung des Wortes „Wahnsinn“ gibt das „DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch“ den eigentlich allbekannten Spruch an, „Es ist zwar Wahnsinn, aber es hat Methode.“ Ja, so ist es mit dem Wachstum von Reichtum und Armut. Das ist dem Kapitalismus systemimmanent. „Wahnsinn“ definiert das gleiche Wörterbuch als „psychische Störung, die von Wahn (und Halluzinationen) begleitet wird.“ Und wenn ich dann bei „Wahn“ nachsehe, erfahre ich, dass es sich um eine „Einbildung“, eine „irrige Annahme; falsche Vorstellung, die sich bei jemandem festgesetzt hat“, handelt. Das Fazit jedes vernünftig denkenden Menschen müsste ja eigentlich sein, es gibt nicht mehr Gerechtigkeit als im Programm der LINKEN. Der Wahnsinn jedoch ist dort angesiedelt, wo die irrige Annahme nicht weiter stört, es sei normal, dass acht Milliardäre die halbe Welt besitzen. Freilich steht focus mit seiner falschen Zuordnung des
Wahnsinns nicht allein. Auch noch am gleichen Tag meldeten die Leitmedien, dass Experten Zweifel an den Zahlen von Oxfam anmelden. Die Berechnungen seien irreführend. Für solche Leute fällt mir der Evangelist Lukas ein. Er erzählt das Gleichnis vom armen Lazarus, dem nicht einmal die Krümel vom Tisch des Reichen gegönnt waren. Die waren den Hunden vorbehalten. Nach ihrem Tod kam aber Lazarus zu Abraham in den Himmel und der Reiche musste Höllenqualen leiden. Er bat Abraham, jemanden vom Tode auferstehen zu lassen, um seine fünf Brüder zu warnen, was ihnen bei ihrer Lebensweise nach dem Tod drohe, so dass sie sich bekehrten. Abraham lehnte dies jedoch mit den Worten ab: „Wenn sie nicht auf Moses und die Propheten hören, so werden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Toten aufersteht.“ (vgl. Lukas 16, 19 -31) Ach die Experten und Focus! Sie würden auf ihren Wahn weiter bestehen, selbst wenn Karl Marx vom Tode auferstände.
Wer ist denn nun des Wahnsinns fette Beute? von Oxam. „focus.de“ titelte, „Linke will mit Wahnsinns-Sozialgeschenken der AfD Wähler abjagen“, und schrieb im Weiteren, „die angekündigten Linken-Wahlgeschenke sind utopisch und nicht finanzierbar.“ Empört wurde die Aufforderung der LINKE gemeldet, die Macht der Banken zu brechen. Mag sein, dass das alles durchzusetzen tatsächlich schwierig
Hintergrund
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Sozial-Skandal des Monats gen in die Zwangsrente versetzt. Das alles hat dazu beigetragen, dass die Armutsquote in Sachsen weit über der in westdeutschen Flächenländern liegt und seit Jahren bei etwa einem Fünftel verharrt. Insofern bestätigt sich unsere von Anfang an getroffene Vorhersage: Hartz IV ist Armut per Gesetz. Man möchte hinzufügen: Hartz IV wird immer mehr zum Hauptgrund für Altersarmut. Selbst bei Menschen, die bislang von Hartz IV verschont wurden, macht sich nach wie vor Verunsicherung breit, die insbesondere von rechtspopulistischen Kräften schamlos ausgenutzt wird. Bei alledem sind die Hartz-IVRegelungen trotz mancher Korrekturen der letzten Jahre in sich in vielerlei Hinsicht inhuman, ja
Eine halbe Kinokarte mehr diskriminierend. Bisherige Erwerbsbiografien oder erworbene Qualifikationen werden entwertet, hingegen das Mittel von Sanktionen immer restriktiver eingesetzt. Bis heute weigert sich die Bundesregierung, eine Verordnung darüber zu erlassen, was der Gesetzgeber unter „angemessenem Wohnraum“ versteht. Die Verantwortung dafür wird auf die Kommunen abgeschoben, so dass sich auf Grund der unterschiedlichen Kassenlage ein regelrechter Flickenteppich hinsichtlich der gewährten Kosten der Unterkunft über das gesamte Bundesgebiet legt. Das wiederum führt zur Überlastung der Sozialgerichte. Seit Jahren fordern Sozialverbände, Gewerkschaften und als einzige Partei DIE LINKE ei-
ne beträchtliche Anhebung des Regelsatzes, weil dieser nicht nur weit unterhalb der Armutsgrenze liegt, sondern hinsichtlich des zu Grunde gelegten Warenkorbs zahlreiche Ungereimtheiten aufweist. So stehen für Ernährung pro Tag 4,80 Euro zur Verfügung. Dass man davon nicht in eine Gaststätte, nicht einmal an einen Imbisskiosk gehen kann, versteht sich von selbst. Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur beträgt der Tagessatz 1,50 Euro. Allein für einen Kinobesuch, vom Theater ganz zu schweigen, müsste man schon einige Tagessätze zusammenlegen, wobei die jetzt gewährte Anhebung des Eckregelsatzes von fünf Euro vielleicht nicht einmal für eine halbe Kinokarte reicht. Der Tagessatz für
Bild: Peter Jakobs / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0
Mit der Anhebung des Eckregelsatzes für eine Einzelperson um fünf auf nunmehr 409 Euro per 1. Januar blieb die Bundesregierung dem seit 2005 zu beobachtenden Grundsatz mehr als treu: Schon bei der Einführung von Hartz IV hatte der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Wert auf die Feststellung gelegt, dass sich das Arbeitslosengeld II lediglich auf Sozialhilfeniveau bewegen dürfe. In all den Jahren gehörten die CDU-geführten sächsischen Staatsregierungen nicht nur zu den zuverlässigsten Verteidigern dieses Kurses, sondern versuchten in der politischen Auseinandersetzung immer wieder Nebelkerzen zu zünden. Gegen zahlreiche parlamentarische Initiativen unserer Fraktion behaupten führende sächsische Christdemokraten, voran der Ministerpräsident, Hartz IV sei nach wie vor erfolgreich, verhindere durch die Gewährung von entsprechenden staatlichen Leistungen die Ausbreitung von Armut in allen Generationen. Veränderungen, insbesondere bei der Höhe der Regelleistungen seien nicht notwendig und würden von der Staatsregierung daher auch nicht abgestrebt.
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Wie ist die Lage wirklich? Hartz IV hat in der Tat zu gewaltigen Veränderungen in der Lebenssituation eines großen Teiles der Bevölkerung geführt. Seit 2005 bezogen deutschlandweit bislang fast 15 Millionen Menschen, darunter 4,4 Millionen Kinder, Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld; nicht gerechnet jene, die aus unterschiedlichen Gründen ohne Leistungsbezug blieben. Viele davon hangeln sich bis heute von einem Minijob zum anderen oder wurden mit entsprechenden dauerhaften Abschlä-
Verkehr von unter einem Euro reicht nicht einmal für einen einfachen Straßenbahnfahrschein in Großstädten. Dass für Bildung im ganzen Monat nur 1,55 Euro vorgesehen sind, kommentiert sich von selbst! Worin besteht der dringendste Handlungsbedarf? Für DIE LINKE muss als Zielmarke weiterhin gelten: Hartz IV muss weg! So lange sich dafür keine Mehrheiten finden, sollten wir an unserem Kurs festhalten und wenigstens auf eine Linderung der Belastungen und Armutsrisiken von Hartz IV drängen. Dabei geht es nicht allein, nicht einmal in erster Linie um die Anhebung der Regelleistungen, weil damit das Grundkonstrukt nicht überwunden werden kann. Wir sollten vielmehr mit den Gewerkschaften auf die Schaffung neuer Existenz sichernder Arbeitsplätze drängen und dabei unser Konzept vom öffentlich geförderten Beschäftigungssektor reaktivieren. Der Regelsatz ist natürlich beträchtlich anzuheben. Zunächst könnte man sich der Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes anschließen, nach dessen Berechnungen es für eine Einzelperson mindestens 520 Euro sein müssten. Um endlich dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2010 zu entsprechen, bedarf es einer gesonderten Betrachtung von Kindern, die bei den Regelleistungen nicht wie bisher als halber Erwachsener eingestuft werden dürfen. Deshalb unsere Forderung nach einer Kindergrundsicherung! Auch wir können ökonomische Gesetze nicht aushebeln. Deshalb ist die Höhe des Eckregelsatzes immer auch im Kontext mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu betrachten. Susanne Schaper
Sozialgeschichte des „Dritten Reichs“ Nach seiner Studie „Unterm Hakenkreuz: Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939“ (1999) legt Michael Schneider, zuletzt Leiter des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung und Honorarprofessor an der Universität Bonn, einen Folgeband vor, mit dem er seine Forschungen über die Arbeiter und die Arbeiterbewegung in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft abschließt. Entstanden ist eine Studie von enzyklopädischer Stoffdurchdringung und Umfang, die sich die Aufgabe gestellt hat, an der politischen Chronologie des Zeitenlaufs orientiert, eine Sozialgeschichte des „Dritten Reiches“ zu erarbeiten, welche sowohl die Ziele
und Maßnahmen der nationalsozialistischen Politik gegenüber der Arbeiterschaft als auch deren Alltagsleben und Verhalten im Zweiten Weltkrieg nachvollziehbar macht. Tiefgründig erläuternd ist bereits die Einführung, die umfassend auf Chancen und Problemlagen des Vorhabens vorbereitet. Untergliedert in die Kapitel „Mobilmachung: Um die Einbindung der Arbeiterschaft in die Kriegsführung (I)“, „Arbeiterleben im Krieg (II)“, „Politischer Widerstand: Arbeiterbewegung in Exil und Illegalität (III)“, sowie eine kritische Schlussbetrachtung beantwortet der Band die eingangs gestellten Leitfragen in einer Verknüpfung von politik- und sozialgeschichtlichen
Aspekten, die auf eine gesellschaftsgeschichtliche Gesamtperspektive abzielen. Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen zur NS-Sozialpolitik während des Krieges (S. 378-457) und die umfangreiche Darstellung der vielfältigen Formen des Widerstandes der Arbeiterschaft gegen die NSHerrschaft (Kap. III). Wohltuend vermeidet Schneider übergeneralisierende Urteile über d i e Arbeiterschaft und hebt stattdessen sowohl das Vorhandensein von Konsens mit, als auch eines Dissens gegenüber dem NS-System hervor, was er mit dem Begriff des „widerwilligen Mitmachens“ umschreibt. Demnach waren in der Arbeiterschaft auch in der Kriegszeit
das „Mitnehmen“ der Regimeangebote und das „Hinnehmen“ der Herrschaftsausübung vorherrschend. „Die Mehrheit der Arbeiterschaft war […] weder aufmüpfig noch voll integriert. Arbeiter und Arbeiterinnen haben sich vielmehr in ihrer großen Mehrheit mit den Verhältnissen in einem durchaus widersprüchlichen Prozess ‚arrangiert‘ – um vielleicht ‚mit Anstand‘ durchzukommen und vor allem zu überleben. […] Allerdings: An dieser Überlebensstrategie […] prallten nicht nur die Politisierungsbemühungen der nationalsozialistischen Herrscher, sondern auch die der illegalen und exilierten Arbeiterorganisationen ab“ (S. 1341). Trotz ihrer Fülle ist die Stoff-
darbietung klar gegliedert und durch mehrere Register vorbildlich erschlossen. Etwas aus der Zeit gefallen wirken Angaben wie „Berlin (Ost)“ im Literaturverzeichnis, zudem sollte dem Autor bekannt sein, dass das vierbändige „Lexikon zur Parteiengeschichte“ (1983ff.) zwei Herausgeber hatte, die sich ihrer „Ost“-Etikettierung scheinbar einfach dadurch entzogen, dass sie eine Lizenzausgabe bei einem Kölner Verlag unterbrachten. Dr. Michael Eckardt Schneider, Michael: In der Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1939 bis 1945. 1509 S., Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2014, ISBN 9783801250386.
Thema: R2G
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Die Tragik einer Debatte knüpfen – aber eben, um den reaktionären Anteilen darin zu widersprechen. Das ist der Unterschied zwischen einer popularen Politik im Sinne Gramscis und dem zur Sprachoperation reduzierten Populismus à la Laclau. Gesellschaftliche Hegemonie erreichen Mein Einwand gegen das Projekt des ISM ist ähnlich: Auch hier hofft man, falsche Überzeugungen für etwas Richtiges mobilisieren zu können. Sprich: Man will die vielfach widerlegte Illusion, Emanzipation könnte
len Kämpfen vorstellbar sei. Ja, aber wo genau stimmt das? In Europa gibt es wenig Belege dafür – selbst die von uns zunächst gefeierte Syriza-Regierung hat die Kräfteverhältnisse in ihrem Land eher verschlechtert, weil sie als Puffer zwischen Troika und sozialem Widerstand fungiert. Das einzige Beispiel, das im größeren Stil auf eine produktive Dynamik zwischen Regierung und Volksmacht (die in Lateinamerika im Übrigen seit den 1970er Jahren plural und different und eben nicht als homogenes „Volk“ gedacht wird) verwiesen hat, war der Chavismus in Ve-
Bild: Heinrich Böll Stiftung / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
Selten war die Gemengelage so unübersichtlich. In der LINKEN verbünden sich Kommunist/innen, die sich in der Flüchtlingssolidarität den A.... aufreißen, zur Verhinderung einer Regierungsbeteiligung ausgerechnet mit dem Forum Demokratischer Sozialismus und küren Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zu Spitzenkandidat/innen. Umgekehrt werben Bewegungslinke aus dem Institut Solidarische Moderne (ISM) für einen rotrotgrünen Aufbruch und argumentieren dabei ganz ähnlich wie der rechte Flügel der LINKEN: R2G als Hoffnungsträger.
Meiner Ansicht nach verbindet beide Haltungen etwas miteinander: Man hofft, politische Prozesse durch das Propagieren von etwas Falschem abkürzen zu können. Bei den einen ist das die Hoffnung, eine polarisierende Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht könnte die diffuse Unzufriedenheit in der Gesellschaft mobilisieren und damit eine Perspektive jenseits von Mitte-LinksVerwaltungen eröffnen. Die anderen hingegen wollen ein ziemlich ödes Parteienbündnis als Vehikel für einen gesellschaftlichen Politisierungsprozess nutzen. Meiner Ansicht nach ist beides gleichermaßen falsch. Was den Linkspopulismus angeht, liegt das Problem auf der Hand: Die rhetorischen Angebote an reaktionären Ressentiments und falschen Überzeugungen – von „Obergrenze“ und „Gastrecht“ bis hin zu „die Zinsen sind zu niedrig“ – mögen ein paar Wählerprozente mobilisieren, aber sorgen ansonsten für die weitere Ausbreitung eben dieser Ressentiments und falschen Überzeugungen. Die Herausforderung für Linke besteht zwar durchaus darin, am „Alltagsverstand“ anzu-
parlamentarisch gewählt werden, für eine Politisierung der Gesellschaft nutzbar machen. Aber wäre es nicht richtiger, dieser Illusion erst einmal kollektiv entgegen zu treten? Soll heißen: Linke müssen die neoliberale Wende der europäischen Sozialdemokratien erst einmal überzeugend benennen und erklären: 1) Die Mitte-Links-Regierungen der letzten 30 Jahre haben den Neoliberalismus nicht gebremst, sondern zementiert. 2) Die Erzählung der bürgerlichen Gesellschaft, wonach die Wahl von Politiker/innen und Parteien über die Ausgestaltung der Gesellschaft entscheidet, ist also offenkundig falsch. 3) Wahr ist, dass es das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und der sozialen Organisierung von Vielen bzw. zwischen unterschiedlichen Interessengruppen und ihren Diskursen ist, das über die gesellschaftliche Entwicklung entscheidet. 4) Deshalb geht es immer um Hegemonie und nicht um Regierungsmehrheiten. Das ISM kennt diesen Einwand natürlich und argumentiert, dass eine produktive Dynamik zwischen Regierungspolitik und sozia-
waltungsapparate etc.) wirken auch unter der Ex-Hausbesetzerin Ada Colau. Gleichzeitig aber kann eine institutionell gebundene Linke soziale Konflikte kaum noch vorantreiben, sondern ist gezwungen „zu vermitteln“, sprich Widerstand zu demobilisieren. Selbstverständlich ist hier kein Naturgesetz am Werk. In den kleineren linksregierten Gemeinden der Peripherie um Barcelona herum, wo die realen Organisierungsprozesse stärker und die Macht der Kapital-Lobbys geringer ins Gewicht fallen, scheint Reformpolitik (Rekommunalisierung der Grundversorgung, Demokratisierung der Stadtpolitik etc.) etwas leichter durchzusetzen. Aber das zeigt eben auch: Entscheidend ist, ob Nachbarschaftsstrukturen, eigene Kommunikationswege und soziale Organisierung auf dem jeweiligen institutionellen Terrain Gegenmacht mobilisieren kann. Wie man es auch dreht und wendet: „von unten“ lassen sich die Kräfteverhältnisse
nur dadurch ändern, dass viele sich organisieren, politisieren und Widerstand leisten. (Und zwar nicht nur Bewegungsaktivist/innen mit akademischem Hintergrund. Genau deshalb sind Arbeitskämpfe und Streiks so wichtig. Weil sich hier andere „viele“ organisieren.) Es gibt keine taktischen Abkürzungen für diese Prozesse. Das Tragische an der Debatte im Augenblick ist, dass beide eingangs beschriebenen Positionen in einer Hinsicht recht haben: die AnhängerInnen des Linkspopulismus, wenn sie sagen, dass wir eine antagonistische Gegenposition zu den Verhältnissen formulieren und die sozialen Widersprüche auch so polarisiert zum Ausdruck bringen müssen. Die Freund/innen des ISM, wenn sie betonen, dass ein emanzipatorisches Bündnis nötig ist, das viele unterschiedliche Milieus erfasst: Widerständig-AntiautoritärSolidarische vereinigt Euch! ... Aber bitte nicht entlang von rot-rot-grün. Raul Zelik
nezuela. Doch auch hier waren es nicht die Wahlen, die den Politikwechsel möglich machten. Entscheidend war der politische Bruch davor, nämlich der Volksaufstand von 1989 und das darauf folgende Jahrzehnt der Unregierbarkeit. Dasselbe gilt auch für Bolivien, Argentinien und Ecuador: Erst der soziale Aufstand und die Aufkündigung des Status Quo (plus der Anstieg der Rohstoffpreise) eröffneten Reformspielräume. Faktische Mächte wirken weiter Das lässt sich auf kleinerer Ebene auch für die linksregierten Städte im spanischen Staat konstatieren. Die Protestwelle des 15M war mächtig genug, um radikale Linke in Ämter zu tragen, aber die Kraft ist nicht groß genug, um strukturelle Veränderungen zu erzwingen. Über symbolische Maßnahmen kommen die Stadtregierungen in Barcelona und Madrid bislang kaum hinaus. Woran das liegt? Selbstverständlich an den Kräfteverhältnissen. Die faktischen Mächte (Tourismusindustrie, Immobilien- und Finanzkapital, Medien, Ver-
Peter Porsch: Linke Dispute. Anregungen, Polemiken und Kopfnüsse aus linker APO-Zeit. 162 S., 12,99 Euro, ISBN 978-3-945187-62-3.
Das Büchlein erschien Ende Juni 2016 im verlag am park. Sämtliche Verkaufserlöse fließen auf unser Spendenkonto und helfen so unserem Verein, diese Zeitung zu erhalten.
Links! 01-02/2017
Thema: Die AfD und Rundfunkgebühren
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Wie die AfD steigende Rundfunkgebühren in Kauf nimmt
Ein alter Kinderwitz Das Häschen kommt abgehetzt aus dem Wald gerannt und wird gefragt, was denn los sei. „Der Förster misst bei allen Tieren die Länge der Schwänze und schneidet alle Schwänze über einen halben Meter ab.“ – „Aber Häschen, dann hast Du doch nichts zu befürchten, Du hast doch nur einen kurzen Stummelschwanz.“ – „Ja, sicher. Aber der Förster schneidet erst ab und misst dann“. Was das mit der AfD zu tun hat? Sie missachtet den Grundsatz „Erst messen, dann schneiden“. Am Tag, an dem sie ihren Abschaffungs-Antrag einreichte, brachte sie auch eine Große Anfrage mit 630 Einzelfragen zu den Öffentlich-Rechtlichen in den Geschäftsgang. Darin finden sich durchaus vernünftige Fragen. Etwa: „Welche einzelnen Verfahrensschritte werden zur Änderung von Rundfunkstaatsverträgen durch einen Rundfunkänderungsstaatsvertrag durchlaufen?“ Bis zum 27. Januar musste die Staatsregierung antworten. Hätte die AfD das abgewartet, hätte sie vielleicht gewusst, dass es sinnlos ist, alle Rundfunkstaatsverträge zu kündigen. Insbesondere dann, wenn dieser Wunsch vor allem damit begründet wird, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu teuer sei. Zwei Möglichkeiten Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die anderen Länder wollen sich mit Sachsen auf Verbesserungen an den Rundfunkstaatsverträgen einigen. Dann müsste Sachsen keinen einzigen Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen, sondern die Staatsregierung könnte einen Rundfunkänderungsstaatsvertrag aushandeln. Oder aber die Staatsregierung und das Parlament wollen oder können sich mit den anderen nicht auf etwas Besseres einigen. Dann stünden wir z. B. nach der Kündigung des MDR-Staatsvertrages ohne Mitteldeutschen Rundfunk da und hätten einen Sächsischen Rundfunk als Landesanstalt statt einer Drei-Länder-Anstalt, und vielleicht ein Sächsisches Fernsehen statt dem ZDF. Doch welche Rundfunkanstalten sind die teuersten? Sie vermuten es vielleicht:
die Ein-Land-Anstalten. Selbst die großen, also etwa der Bayrische oder der Hessische Rundfunk, kosten pro Einwohner etwas mehr als der MDR. Der Saarländische Rundfunk kostet pro Einwohner das Anderthalbfache, bei Radio Bremen ist es noch einmal deutlich mehr. Da Sachsen weder so groß ist wie Bayern oder Hessen noch so klein wie das Saarland oder Bremen, würden wir wahrscheinlich dazwischen liegen. Auf jeden Fall würde es deutlich teurer werden. Es gehen Synergien verloren, Dinge müssen doppelt getan und doppelt bezahlt werden. Wenn also alle Landtage dem bundesweit eingebrachten AfD-Antrag folgen würden, und nicht nur der MDR, sondern auch der NDR, der SWR, der RBB, das ZDF und Deutschlandradio aufgelöst würden, würde das zu einer Kostenexplosion führen. Rundfunkbeiträge würden durch Kündigung der Staatsverträge steigen Da aber diese Kosten aus verfassungsrechtlichen Gründen auch weiterhin nicht aus Steuern, sondern nur aus Rundfunkbeiträgen gedeckt werden dürfen, müssten dieselben deutlich steigen, mindestens über 20 Euro, wahrscheinlich aber noch weit mehr, in Richtung 30 Euro. Der AfD-Antrag zur Kündigung der Rundfunkstaatsverträge treibt die Rundfunkbeiträge in die Höhe. Ich höre schon die AfD: Nein, so sei es nicht gemeint. Eigentlich wolle man ja gar keinen Sächsischen Rundfunk, eigentlich wolle man überhaupt keine Rundfunkanstalten im öffentlichen Eigentum, oder höchstens nur noch winzig kleine, die so gut wie nichts kosten. Es mag ja sein, dass die AfD meint,
RTL, SAT 1 und Eurosport würden ausreichen, um uns alle zu informieren und zu unterhalten. Allerdings würden sie mit der Kündigung aller Rundfunkverträge auch den privaten Anstalten die Rechtsgrundlage für ihr Programmangebot in Deutschland entziehen. Politik für große Konzerne Zum anderen sind diese gar nicht die Haifische auf dem sehr unfriedlichen Medienmarkt, es sind bestenfalls die Hechte. Profitieren würden ganz, ganz andere. Der Medienmarkt unterscheidet heute nicht mehr zwischen Printmedien, Radio, Fernsehen und sozialen Netzwerken. Zumindest die jüngeren Nutzer tun das auch nicht mehr. Im Internet folgen sie in den sozialen Netzwerken Links, die abwechselnd zu Zeitungsartikeln, Rundfunkbeiträgen oder Fernsehsendungen führen – und zwar weltweit. Die Medien enden nicht an nationalen Grenzen. Im Internet kommt alles zusammen und verschmilzt nach und nach. Jeder, der bei twitter, google, facebook oder youtube unterwegs ist, weiß das. Welchen Platz belegt eigentlich die gesamte ARD, die angeblich so teuer ist, mit ihren sechs Milliarden Euro Jahresumsatz unter den Medienkonzernen? Den fünfundzwanzigsten. Die Rangliste beginnt mit Comcast, einer US-amerikanischen TVKette, und Google auf Platz 1 und 2 mit jeweils etwa 50 Milliarden Euro Umsatz. Es folgen 15 weitere US-amerikanische Medienkonzerne, dazwischen ein japanischer, ein britischer, zwei französische, ein chinesischer und ein kanadischer Konzern, alles Privatunternehmen. Auf Platz 9 steht mit Bertelsmann immerhin ein deut-
scher Konzern, dessen Umsatz mit 16 Mrd. Euro doppelt so groß ist wie von ARD, ZDF und Deutschlandradio zusammen. Auf Platz 25 dann die ARD als erster Konzern im öffentlichen Eigentum, kurz dahinter folgt noch die BBC, ansonsten sind die Großen alle im Privatbesitz. Weit abgeschlagen auf Platz 72 übrigens das ZDF, kurz hinter dem staatlichen chinesischen Zentralfernsehen auf Platz 69. Warum schreibe ich das? Weil die AfD-Politik, das einzige große Medienunternehmen im öffentlichen Eigentum zu zerstören, – gewollt oder ungewollt – die große US-amerikanische Konkurrenz unterstützt: Google, Facebook, Microsoft, Time Warner, Walt Disney und so weiter. Welche Gefahr soziale Netzwerke im Internet für wahrheitsgemäße Information und Berichterstattung sein können – insbesondere wenn es keine starken journalistischen Gegengewichte gibt –, erleben wir seit Monaten. Öffentlich-rechtlichen Rundfunk verändern! Wir als LINKE wollen ARD und ZDF nicht zerschlagen, sondern erhalten und stärken. Aber wir wollen sie gründlich verändern. Deshalb treten wir dafür ein, die Rundfunkstaatsverträge zu novellieren. Wir wollen nicht, dass das Geld der Beitragszahler für überhöhte Gehälter von Direktoren und Talkmastern ausgegeben wird. Stattdessen wollen wir damit die Finanzierung eines guten, investigativen und kritischen Journalismus absichern. Wir wollen keine Berichterstattung, die – egal ob es um die griechischen Schulden, ein italienisches Referendum, das deutsch-russische Verhältnis oder die USamerikanischen Wahlen geht
Bild: metropolico.org / flickr.com / CC BY-SA 2.0
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland fußt vor allem auf den Rundfunkstaatsverträgen. Im vergangenen Dezember beantragte die AfDFraktion im Landtag, dieselben samt und sonders zu kündigen, und zwar zum 31.12.2016. Als ich den Antrag las, fiel mir ein alter Kinderwitz wieder ein.
– unreflektiert im Mainstream mitschwimmt. Wir wollen saubere, kritische Recherche und journalistische Ausgewogenheit. Das alles gibt es auch bisher, aber es ist leider nicht immer der Standard. Wir wollen ein differenziertes und vielseitiges Angebot für alle Publikumsgruppen aufrecht erhalten und ausbauen, anstatt die Anstalten auf eine unattraktive, sogenannte Grundversorgung zurückzubauen. Auch Sport, Show und Krimi gehören dazu. Wir wollen eine faire Bezahlung auch der freien Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten. Wir wollen, dass beitragsfinanziertes Fernsehen ohne Werbung auskommt, auch online. Wir wollen außerdem eine Demokratisierung der Kontroll- und Aufsichtsgremien. In seiner heutigen Zusammensetzung verkörpert der MDR-Rundfunkrat bestenfalls das, was sich die CDU bei seiner Gründung unter Zivilgesellschaft so vorgestellt hatte, aber keinesfalls die Zivilgesellschaft, wie sie heute ist. Die Rede ist vom lächerlichen Frauenanteil, von der Schieflage zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, davon, dass Kirchen so überrepräsentiert sind, als wären wir ein tiefreligiöses Land, Migranten und andere Minderheiten aber gar nicht vorkommen und so weiter. Auch davon, dass ein eben erst ausgeschiedener CDU-Fraktionschef ohne medienpolitische Erfahrung zum Vorsitzenden des MDR-Rundfunkrates gemacht wurde. Für sozial gerechte Rundfunkbeiträge! Und auch zu den Finanzen haben wir eine klare Position: Weil es einerseits verfassungsrechtlich in Deutschland nicht möglich ist, den öffentlichen Rundfunk wie in anderen Ländern aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren, es andererseits aber auch nicht sinnvoll ist, ausgerechnet die journalistischen Maßstäben genügenden Beiträge im Internet zu verschlüsseln – genau deshalb sollten die Rundfunkbeiträge eben nicht nach dem ungerechten Haushaltsprinzip erhoben werden, sondern wie die Steuern nach dem Prinzip der Progressivität. Wer ein großes Einkommen hat, zahlt mehr; wer etwas weniger hat, zahlt auch weniger, und wer sehr wenig hat, ist vom Beitrag befreit. Das wäre sozial gerecht und ein wichtiger Beitrag zur Reform der Medienanstalten im Gemeineigentum. Sie abzuwickeln, wie das die AfD will, kommt für uns nicht in Frage. Falk Neubert
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Ein sächsischer Innenminister als Rufmörder Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung, Vergiftung und Bruch der Schweigepflicht die Rede. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Albin Nees, Dr. Wolf bereits fristlos entlassen. Ungeachtet der Tatsache, dass Eggerts Behauptungen durch nichts und niemanden bewiesen worden waren, orakelte der Sprecher der Gauck-Behörde, David Gill, dass auf dem Gebiet der DDRPsychiatrie noch viel Schlimmeres zu erwarten sei. Trotz immenser Aufwendungen bei der Suche nach Beispielen wurden keine Beweise für den Missbrauch der Psychiatrie durch MfS-Mitarbeiter gefunden. Fachleute und Ermittler prüften fünf Jahre lang die Vorwürfe, die Eggert erhoben hatte. Das Ergebnis in der nötigen Kürze: Dr. Wolf wurde freigesprochen. Eggert hatte sich 1974 freiwillig in Behandlung begeben. Er war korrekt nach dem damaligen Stand der Wissenschaft therapiert worden. Das MfS war ins Spiel gekommen, weil ein Offizier aus Löbau hatte wissen wollen, ob Eggert bisexuell sei. Dr. Wolf antwortete ihm, dass er das nicht wisse. Ist es heute noch nötig und nützlich, an diese Ereignisse zu erinnern? War es nicht ein bedauerlicher Einzelfall, der vergessen werden kann? Wenn wir bedenken, dass es sich um einen exemplarischen Vorgang in einem politischen Umfeld mit Folgen bis heute handelt, sind einige Verallgemeinerungen erlaubt und von aktueller Bedeutung. Eggerts Auftritt erfolgte als Auftakt und Exempel für den gesetzwidrigen Missbrauch von MfS-Akten im Rahmen der staatlich verordneten Delegitimierung der DDR. Christen wie Gauck, Eppelmann und Eggert, die vor 1990 unter dem „Dach der Kirche“ den Talar des Dissidenten übergeworfen hatten, mutierten mit der „Wende“ zu Racheengeln in staatlichem Auftrag. Die Medienkampagne, von der die „Akteneinsicht“ begleitet
wurde, führte zur Ausgrenzung Zehntausender und zu einer Atmosphäre des Denunziantentums und der Angst. Unter dieser Sicht setzte Peter-Michael Diestel das Wirken der GauckBehörde mit dem McCarthyismus gleich und charakterisierte die Behörde als „Fortsetzung der Stasi mit anderen Mitteln“. Das Wirken der Gauck-Behörde widersprach dem Völkerrecht und dem (provisorischen) Grundgesetz schon deshalb, weil rückwirkend Strafrecht erfunden und angewendet wurde. Zu prüfen ist: Wie viele Bürger wurden Opfer dieser Handlungen, für die hier der Name Heinz Eggert steht? Wie sind sie mit dem christlichen Gebot der Feindesliebe vereinbar? Jetzt, 25 Jahre später, sind die Folgen unübersehbar: Die „Politikverdrossenheit“, die geringe Wertschätzung der Demokratie, die Kritik an den Medien als „Lügenpresse“. Die Hälfte der Ostdeutschen glaubt nicht, dass es Meinungsfreiheit gibt. In dieser Situation haben sich im Dezember 2016 der Papst und
der Bundespräsident zu diesem Thema geäußert. Papst Franziskus hat bei dieser Gelegenheit zwei Begriffe in den politischen Streit eingeführt, die aus dem Griechischen stammen: Koprophilie und Koprophagie. Der erste Begriff bedeutet eine sexuelle Vorliebe für Exkremente, der zweite den Verzehr von Kot. Mit diesen Begriffen hat der Papst das Verhalten von Medien verurteilt, die „Skandale und widerliche Dinge verbreiten“. Gauck hat vor Journalisten gesprochen und die Vorwürfe gegen die „Lügenpresse“ zurückgewiesen. Er hat aber nicht gefragt, woher „die maßlose Wut, ja der Hass auf die Medien gekommen“ sind, die ihn erschrecken. Gauck (allein) weiß, was „Lügenpresse“ ist, denn er hat sie in der DDR jahrzehntelang erlebt. Die Methode „Haltet den Dieb“ als Ausweg des Präsidenten aus der „Krise der Printmedien“? Wer heute die Presse kritisiert, ist ein Denunziant, sagte Gauck. Der Papst sieht das anders. Möglicherweise kennt
Bild: Pellealsing / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen (8. Gebot). Am 18. Januar 1992, vor 25 Jahren, hatte der sächsische Innenminister Heinz Eggert (Bild) seinen großen Tag. Er durfte in der ARD- Sendung „Brennpunkt“ seine Gruselgeschichte erzählen, die er „in seiner Akte“ gefunden haben wollte. Zur Erinnerung: Ab dem 1. Januar 1992 durften die Akten der „Gauck-Behörde“ eingesehen werden, und Heinz Eggert gehörte wie Joachim Gauck selbst zu den Privilegierten, die ihre in den Händen hielten. Heinz Eggert behauptete, er sei in der Psychiatrie in Großschweidnitz (bei Bautzen) im Auftrag von Mitarbeitern des MfS falsch behandelt worden. Man habe ihn mit schweren Psychopharmaka „vollgepumpt“. Er dichtete sich eine „Zwangsjacke“ an. Das MfS habe ihn im Urlaub sogar vergiften wollen. Seine „Enthüllungen“ richteten sich gegen Dr. Reinhard Wolf, den Chefarzt der Psychiatrie. Die Medien stürzten sich wie Geier auf Eggerts Story. Die SUPERZeitung wählte am 10. April als Schlagzeile „Satan in Weiß“. Sie montierte auf der Titelseite Wolfs Gesichtsfoto auf einen westdeutschen Arztkittel. BILD denunzierte einen loyalen Kollegen Wolfs als „Folterknecht“. Zeitungen entfesselten eine regelrechte Treibjagd auf Dr. Wolf und seine Familie. Laut SPIEGEL erfolgte Eggerts „medizinische Umerziehung zum Sozialismus“ in Großschweidnitz. Verbreitet wurde behauptet, Eggert sei auf Order der Stasi krankbehandelt worden. Eine aggressive Meute belagerte nach Eggerts „Enthüllungen“ Wolfs Wohnung in der Klinik, Fotografen verfolgten ihn bis ins Schlafzimmer. Eine Sache wäre sofort zu klären gewesen: Die, dass der behandelnde Arzt gar nicht Dr. Wolf gewesen war. Um glaubwürdiger zu erscheinen, stellte der Minister Strafantrag, was zu Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft (87Js 653/92) führte. Da war von
er das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er gleich die Wahrheit spricht. Ich schließe mit der Feststellung, dass es zu dem Weg, für den Gauck und Eggert stehen, eine Alternative gegeben hätte. Richard von Weizsäcker hat sie am 20. Februar 1992 in Bautzen formuliert: „Die Menschen wollen Aufklärung, nicht Abrechnung. Die Wahrheit soll ans Licht, damit Aussöhnung und Frieden möglich werden. Das geht nur durch Differenzierung. Pauschalurteile führen nicht zur Einsicht, sondern zur Verstockung. Pressefreiheit ist und bleibt ein entscheidender Bestandteil unserer Freiheit. Als Verleumdungsfreiheit darf sie nicht missbraucht werden. Aus der leidvollen Geschichte der DDR ein Objekt für Mediengeschäfte mit gekauften Akten und reißerischer Verbreitung von Angst und Feindschaft zu machen, ist ein widerwärtiger Skandal. Es darf nicht sein, dass die einen verdienen, die anderen verzweifeln“. Wen mag der damalige Bundespräsident gemeint haben, wenn nicht die Eggert und Gauck? Der heutige Bundespräsident und die Bundeskanzlerin als „mächtigste Politikerin der Welt“ hätten es in der Hand gehabt, die Mahnung Weizsäckers zu beachten, der mir im April 1998 in einem von ihm erbetenen Vier-Augengespräch seine Meinung in dieser Frage erläutert hat. Die vom Papst und von Gauck thematisierte Lage im Journalismus ist eine Folge gestriger bewusst begangener Fehler und jetzt kaum noch reparabel. Die Erinnerung der Menschen lässt sich nicht auf Befehl ändern. Prof. Dr. Horst Schneider Quellen: Recherchen Marcel Braumanns im ND vom 20.03.1992 und 5. 3.1993; Horst Schneider: Unter dem Dach der Kirche, Berlin 2010, S. 59 f.; Autorenkollektiv: Wer war wer in der DDR?, Bonn 2001 S. 174; Autorenkollektiv: Siegerjustiz? Berlin 2003, S. 245 f.
Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat! Nach wie vor hat das Zitat von Rosa Luxemburg nichts an Aktualität verloren. Gerade angesichts des Rechtsrucks ist es wichtiger denn je, laut für eine offene, demokratische und emanzipatorische Gesellschaft zu streiten. Dazu gehört es, Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Schieflagen und Diskriminierungsstrukturen klar zu benennen, sie sichtbar zu machen und langfristig zu bekämpfen. Das schließt das
selbstbewusste Benennen linker Alternativen ein. Wir stehen für eine gewaltfreie und selbstbestimmte Gesellschaft, in der sich alle frei entfalten können. Der Kampf um Hegemonie wird mit Blick auf die massiven Angriffe von Rechten und Erzkonservativen auf die Rechte von Frauen*, LGBTTIQ* und besonders Schutzbedürftigen deutlich. Frauenfeindlichkeit, Hass und Gewalt gegen Andersdenkende und -lebende sind salon-
fähig geworden. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Deshalb werden wir uns auch in diesem Jahr am Internationalen Frauen*tag deutlich zu Frauen*- und Freiheitsrechten bekennen. Wir sollten zudem die Gelegenheit nutzen und uns bei allen bedanken, die ebenso dafür streiten. Lasst uns im Sinne Rosa Luxemburgs sagen, was ist: Frauen*rechte sind Menschenrechte! Niemand darf aufgrund seines Geschlechts-
und oder seiner Geschlechtsidentität diskriminiert werden. Wir sollten allen Rückwärtsgewandten deutlich vor Augen führen: Es gibt Widerspruch und wir sind viele! Ja, das sollten wir – am 8. März und an jedem Tag. Anja Eichhorn Natürlich gibt es auch dieses Jahr wieder das Aktionspaket zum Internationalen Frauen*tag. Es ist über die Landesgeschäftsstelle auf Selbst-
kostenbasis bestellbar. Dazu gehören Flyer, Banderolen, Handzettel etc. Gleichwohl erarbeiten wir gerade neue Materialien zur linken Gleichstellungspolitik. Diese sollen euch ebenso zur Verfügung gestellt werden. Solltet ihr zur Vorbereitung des Frauen*tages Unterstützung benötigen oder Fragen haben, dann meldet euch gern Ich freue mich auf und über alle Anfragen! anja.eichhorn@ dielinke-sachsen.de
Geschichte
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Verzerrte Geschichte Stalingrad und der SBZ. Die Wahl eines solchen irreführenden Titels durch Historiker, gar durch ein wissenschaftliches Institut lässt vermuten, dass hier etwas ganz anderes suggeriert werden soll: Der Name Stalins kommt in „Stalingrad“ vor und die sowjetisch besetzte Zone wird in den Buchtexten als durchgehend stalinistisch geprägt dargestellt. Es geht den Herausgebern offensicht-
sen des antifaschistischen Um- und Aufbruchs sei nicht hinreichend erforscht. Welche Kontinuität soll das denn sein? Natürlich gibt es für jede Zäsur auch ein Vorher und ein Nachher, ja, es gab vor 1945 Schwarzmarkt und Prostitution und auch nachher, um Beispiele zu nennen, aber war das für die Gesellschaften vor und nach der Zäsur prägend, wesentlich? Nein, für die Heraus-
Es gibt einen weiteren prinzipiellen Einwand, der wiederum nahezu alle Buchbeiträge betrifft. Bekanntlich wurde Anfang August 1945 durch die vier alliierten Mächte das Potsdamer Abkommen beschlossen, in dem verbindlich geregelt wurde, wie die Siegermächte mit dem besiegten Deutschland zu verfahren gedachten. Das Abkommen enthielt die Ziele und Rege-
geber und Autoren des Buches gibt es eine wesentliche Kontinuität: Sie besteht für sie darin, dass vor 1945 faschistische und nach 1945 stalinistische Diktatur in Sachsen herrschte. Das Buch fußt durchgehend auf dem Vergleich und der weitgehenden Gleichsetzung des faschistischen Deutschlands mit den Verhältnissen in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, also auf der Theorie von den zwei Diktaturen im Osten Deutschlands. Die Jahre 1943 bis 1949 wurden einzig deshalb ausgewählt, um den Nachweis anzutreten, dass Diktatur vor der Zäsur gleich Diktatur nach der Zäsur war. Damit wird die Zäsur selbst ad absurdum geführt. Genau darin besteht das Ziel, denn von der Befreiung vom Faschismus spricht man in manchen Kreisen noch immer nicht gern. Es gab ja Kontinuität.
lungen für die Entnazifizierung und die Entmilitarisierung sowie für die Demokratisierung Deutschlands. Die Sowjetunion hat das Abkommen mit unterzeichnet und war folglich an seinen Inhalt gebunden. Maßstab für die Beurteilung der in Sachsen in der Nachkriegszeit seitens der Sowjetunion getroffenen Maßnahmen muss daher für jeden Historiker zunächst sein, inwieweit sie mit dem Potsdamer Abkommen übereinstimmten. Dieses Abkommen aber wird im Buch nicht einmal erwähnt, geschweige denn als Maßstab genommen. Diese grundsätzliche Kritik des Buches, die sich am Titel und seinem Grundkonzept festmacht, trifft nicht auf jenen Teil zu, der sich ausschließlich mit der nationalsozialistischen Herrschaft in Sachsen in den Jahren 19431945 befasst. Die dazu ge-
lich überhaupt nicht um Stalingrad, weder um die Stadt noch um die Schlacht, was ja auch mit Sachsen nur indirekt zu tun hätte, es geht um die Konstruktion eines direkten Weges des Stalinismus von Stalingrad in die sowjetisch besetzte Zone. Mit diesem Ziel kann und muss man wohl die tatsächlichen historischen Zusammenhänge schon mal weglassen und neue konstruieren. Der Untertitel mit den Jahreszahlen 1943-1949 weist auf ähnliche Konstruktionen hin. Bekanntlich war 1945 das Jahr der endgültigen Niederlage des deutschen Aggressors, der Beendigung des 2. Weltkrieges und der Befreiung Deutschlands vom Faschismus. Es war ein Epochenbruch, ein Jahr, das Europa und seine Landkarte veränderte. Es war auch ein tiefer Einschnitt in der Geschichte Sachsens, der so wie in Deutschland insgesamt einen völligen Neubeginn erforderte. Genau diese Zäsur wird überdeckt, wenn die Herausgeber im Einleitungstext des Buches schreiben: „Dennoch steht das Jahr 1945 nicht für die Stunde Null; der radikale politische und gesellschaftliche Umbruch schloss neben Brüchen auch Kontinuitäten ein“. Und genau auf letztere kommt es den Herausgebern an, auf die Kontinuitäten, in denen sie eine Forschungslücke für Sachsen zu erkennen glauben: Die Kontinuität zwischen dem faschistischen Sachsen und dem Sach-
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-P0613-308 / CC-BY-SA 3.0
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-E0406-0022-001 / CC-BY-SA 3.0
Derzeit wird in der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung ein Geschichtsband unter dem Titel „Von Stalingrad zur SBZ, Sachsen 1943 – 1949“ kostenlos allen Bürgern angeboten. Das Buch ist vom Hannah-ArendtInstitut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden erarbeitet worden und stellt gleichzeitig Bd. 60 der Schriftenreihe des Instituts dar. Das Gesamtanliegen des Buches und die Art und Weise der Geschichtsdarstellung in der Mehrzahl der Beiträge des Sammelbandes verlangen energischen Widerspruch. Die Ereignisse in Sachsen in dieser Zeit werden einerseits aus den historischen Zusammenhängen herausgerissen und weitgehend isoliert dargestellt, andererseits werden Zusammenhänge konstruiert, die es so nie gab. Die Aussagen enthalten Elemente der Geschichtsfälschung. Vor allem jungen Lesern, die mit dem Buch über die Schulen erreicht werden sollen und die diese Zeit nicht selbst erlebt haben, wird ein völlig verzerrtes Bild der tatsächlichen Geschichte vermittelt. Im Folgenden soll auf wesentliche Verzerrungen aufmerksam gemacht werden. Hinterfragt man allein den Titel des Buches, stößt man auf nicht unwesentliche Probleme. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Stalingrad und der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland wirklich? Im Buch wird keiner erklärt, nicht in einem einzigen Beitrag. Gewiss, Stalingrad war eine entscheidende Schlacht im Zweiten Weltkrieg. Für die deutschen Aggressoren brachte sie eine vernichtende Niederlage und sie stellte einen Wendepunkt im Kriegsverlauf dar. Sie war aber bei weitem nicht die einzige durch die Sowjetarmee gewonnene Schlacht. Ja, die Sowjetarmee kam von Stalingrad nach Deutschland, sie kam aber auch von Moskau und Leningrad, vom Kaukasus und von der Krim. Nicht in Stalingrad, sondern in Teheran 1943 und in Jalta 1944 wurde die spätere Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen durch die Siegermächte, also auch durch die westlichen Alliierten, beschlossen. In diesem Zusammenhang, und nur in diesem, kam es zu einer sowjetisch besetzten Zone in Deutschland. Die letztliche Ursache dafür lag aber weder in Stalingrad noch in Teheran oder Jalta, sie lag einzig in der wahnwitzigen Aggression Nazideutschlands und deren Folgen. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen
schriebenen Beiträge sind durchaus informativ. Die Verfälschung setzt mit dem Neubeginn im Osten 1945 ein, der eben angeblich keiner war. In nahezu allen Maßnahmen, die unter Veranlassung oder Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht in den Jahren nach 1945 in Sachsen realisiert wurden, wie Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, Bodenreform, Verwaltungs- und Bildungsreform sieht man zu aller erst eben nicht die Umsetzung des Potsdamer Abkommens, sondern die Verwirklichung sowjetischer und kommunistischer Machtansprüche. Dafür hat man die Vokabel „Diktaturdurchsetzung“ gefunden, die durchgängig verwandt wird und die der Totalitarismusdoktrin entspricht. Ja, lupenreine Demokratie herrschte in der SBZ nicht. Es gab in wohl vielen Fällen eine Bevorzugung von Kommunisten bei der Neubesetzung der von Nazis verlassenen Ämtern oder in der Verwaltungsreform. Aber die Kommunisten waren auch die entschiedensten Nazigegner gewesen und hatten während der Nazizeit außerordentliche Opfer gebracht. Viele von ihnen kamen aus den Konzentrationslagern, aus der Illegalität oder aus der Emigration und sie waren oft auch die einzigen, die als glaubhafte Antifaschisten zur Verfügung standen. Als ob der oben bereits zitierte und auch am Hannah- ArendtInstitut tätige Professor Fritze seinen Kollegen direkt widersprechen wollte, schreibt er: „Als Kommunisten nach 1945 in Ostdeutschland die Macht ergriffen und damit begonnen hatten, ihre Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen, betrachteten sie die Bodenreform und die Verstaatlichung der Betriebe auch als eine Art ,struktureller Entnazifizierung‘. Darüber hinaus sollte ihr gesellschaftliches Projekt als ein soziales Experiment beschrieben werden, das viele faszinierte und mit dem sich Hoffnungen verbanden.“ Es wäre wünschenswert, dass die Linken in Sachsen sich der aktuell produzierten und praktizierten Verfälschung der Geschichte ihres Bundeslandes widersetzen, zumal die Verfälschung mit sächsischem Steuergeld in die Öffentlichkeit gebracht wird. Dr. Rolf Ziegenbein Schmeitzner, Mike, Vollnhals, Clemens, Weil, Franziska (Hg) Von Stalingrad zur SBZ, Sachsen 1943 bis 1949, Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen, 2016, 572 S.
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Neue Töne vom Hannah-Arendt-Institut gegenüber den Mängeln in der eigenen Gesellschaft führten. Aus einem solchen Blickwinkel lehnt er die Totalkritik der DDR und ihre Charakterisierung als Unrechtsstaat ab. Er fordert, neben negativen auch immer die positiven Seiten zu untersuchen. Insofern versteht er den Realsozialismus nicht nur
tor auseinander. Dieser gilt ihm als juristisch unbestimmt und politisch ungenau. Er fälle „ein undifferenziertes, politisch missbrauchbares Unwerturteil über die DDR“. Weiter heißt es: „Jawohl, es gab in der DDR massive Menschenrechtsverletzungen; sie verkörperte aber keine in jeder Hinsicht
rungen akkumuliert, aus denen man, so ist jedenfalls zu vermuten, lernen kann. Wäre es nicht sinnvoll, die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Praxis – statt unter dem wissenschaftsfremden Gesichtspunkt ihrer Delegitimierung – mit dem Ziel zu betreiben, diesen Erfahrungsschatz für das bessere
menschenfeindliche Ordnung, in der ein geregeltes und innerhalb der geltenden Gesetze selbstbestimmtes Leben nicht möglich gewesen wäre. Für die allermeisten war die DDR gerade nicht der Inbegriff des moralisch Verwerflichen“. Fritze hält es für sinnvoll, statt der Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus die DDR mit der BRD zu vergleichen: „Mit dem Realsozialismus ist 1989 ein alternativer Gesellschaftsentwurf untergegangen. Ganz gleichgültig, wie man zu diesem stehen mag: In dieser Gesellschaftspraxis und in ihrem Scheitern sind Erfah-
Verständnis der Gegenwart zu heben und, wo möglich, für die Beherrschung anstehender Herausforderungen, aber auch für die Vermeidung von Irrwegen nutzbar zu machen?“ Dafür werden viele Denkansätze aufgeführt. Als problematisch erscheinen dem Autor auch die Erklärungsmuster für immer noch vorhandene Unterschiede im Denken von Teilen der Bevölkerung in Ost und West. Mit der stärkeren Zuwendung zur AfD im Osten wächst die Problematik erneut. Dem DurchschnittsOstdeutschen wird unterstellt, er sei mit Orientierungen und
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Verfolgt man den Umgang mit der DDR-Geschichte in der etablierten Geschichtsschreibung und Politik, so fällt auf, dass in letzter Zeit vor allem in Veröffentlichungen mit wissenschaftlichem Anspruch neue Töne zu hören sind, die mehr Sachlichkeit und Differenziertheit anmahnen. Fast überdeutlich meldet sich der an der TU Chemnitz und im Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden tätige Prof. Dr. Lothar Fritze zu Wort. Im Berliner Wissenschaftsverlag erschien kürzlich seine Arbeit „Delegitimierung und Totalkritik. Kritische Anmerkungen zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit“. Berücksichtigt man die beruflichen Positionen des Autors, so lässt sein Anliegen doppelt aufhorchen. Er hält die Zielsetzung der Delegitimierung zwar weiter für vertretbar, aber er hält sie gleichzeitig für ein „zweischneidiges Schwert“, das den, der es in der Hand hält, selbst verletzen kann. Diese Zweischneidigkeit erkennt er vor allem darin, dass mit der Forderung nach Delegitimierung der DDR das Ergebnis der Untersuchung praktisch schon vorgegeben und eine ergebnisoffene Forschung nahezu unmöglich gemacht wird. Die Glaubwürdigkeit der so erzielten „Forschungsergebnisse“ sinke damit erheblich. Der Autor lehnt die Charakterisierung der DDR als „totalitär“ nicht von vornherein ab, aber er schreibt, dass die bisherige Forschung nichts zutage gefördert hat, „was die Charakterisierung des Gesamtsystems als totalitär bekräftigen würde“. Er warnt vor zerstörerischer Schwarz-Weiß-Malerei und vor der Selbstgerechtigkeit der Sieger, die letztlich zur Blindheit
als Parteiherrschaft, sondern auch als soziales Experiment, mit dem sich Hoffnungen und Erwartungen von Millionen verbanden. Er bescheinigt der Idee des Marxismus eine ethische Zielsetzung und den berechtigten Anspruch einer zivilisatorischen Neuorientierung. Er spricht von der Faszinationskraft der kommunistischen Ideologie und macht aufmerksam, dass die Menschheitsprobleme nicht gelöst sind. Mithin solle nicht verteufelt werden, worauf die Menschheit vielleicht nochmal zurückkommen muss. Auch mit dem Begriff „Unrechtstaat“ setzt sich der Au-
Wertvorstellungen ausgestattet, die schwer zu den Bedingungen und Anforderungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung passten, er habe diesbezüglich mentale Defizite, die ihn empfänglicher für Populismus machten. „Mit den Mutmaßungen über ostdeutsche Anpassungsdefizite wurde ein stets nutzbares Reservoir fragwürdiger Erklärungsmöglichkeiten geschaffen.“ Dabei wird übersehen, dass die heutige Gesellschaft möglicherweise über Defizite verfügt, die der Ostdeutsche gern überwunden sehen würde. Fazit: „Warum eigentlich sollte man es soweit kommen lassen, dass viele Ostdeutsche das Gefühl gewinnen, die eigentliche Demütigung habe nicht in der DDR stattgefunden, sondern bei dem Versuch ihrer ,Aufarbeitung‘?“ Mit seinen Betrachtungen rückt der Autor erheblich vom gewünschten Meinungsbild der Herrschenden, in vielem auch von den geistigen Produkten des Hannah-Arendt-Institutes ab, obgleich er dort seit Jahrzehnten wirkt. Es bleibt abzuwarten, welche Lösung der Widerspruch findet, ob er ein einsamer Rufer in der Wüste bleibt oder ob er gehört wird. So oder so, zur Kenntnis nehmen sollte man den Vorstoß eines ehemaligen DDR-Bürgers, der heute eine geisteswissenschaftliche Professur innehat, schon, auch wenn er dem Bestreben der Delegitimierung der DDR nicht vollständig abschwört. Denkanstöße zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR bietet er jedenfalls reichlich und die können durchaus auch für die LINKE nützlich sein, der der Umgang mit eben dieser Geschichte noch immer schwer fällt. Dr. Rolf Ziegenbein
Sie machten sie zur Rosa, wie wir sie kennen Vorbilder als Wegweiser. Petra Kelly, Mitbegründerin der Grünen, erkor Rosa Luxemburg zu ihrer „Lieblingsgestalt in der Geschichte“. Ihre Seelenverwandtschaft ging so weit, dass sie Briefe manchmal mit „Rosa L.“ unterschrieb. Und die „Säulenheilige“ selbst? Wer wies ihr den Weg, begeisterte und formte sie? Im jüngsten Ständigen Rosa-LuxemburgSeminar gab Holger Politt die Antwort: Leo Jogiches, Julian Marchlewski und Adolf Warski. In der Leipziger Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen riss es den Luxemburg-Forscher geradezu fort, als er in einem fulminanten freien Vortrag den Glanz der drei sozialdemokratischen Kampfgefährten, im real exi-
stierenden Sozialismus fast vergessen gemacht, aufpolierte und sie als „Mentoren“ und engste Mitstreiter Luxemburgs adelte. „Sie haben sie zu der Person gemacht, die sie für uns ist. Sie haben den Urimpuls ihres Denkens gesetzt. Ihr Verdienst ist es, dass sie Sozialdemokratin geworden ist.“ Politt verhehlte nicht, dass er sich als Philosoph und nicht als Historiker äußere und welche Mühe es ihm bereitet habe, die Zickzack-Geschichte der Arbeiterbewegung „im russischen Teil Polens“ und „um die polnische Frage“ zu durchdringen. Hier können nur die initialen Beziehungen der drei Männer zu Rosa L. angerissen werden, obwohl der Referent deren gesamtes Leben und Wirken in
die Kämpfe ihrer Zeit einbettete. Julian Marchlewski (18661925), Sohn einer deutschen Mutter und eines polnischen Vaters, hatte exzellente Verbindungen zu den polnischen Arbeitern, was dem späteren Quartett von hohem Nutzen war. In Leo Jogiches (18671919), litauischer Berufsrevolutionär jüdischer Abstammung, verliebte sich Rosa 1892. Er wurde ihr engster persönlicher und politischer Partner und blieb es auch nach dem Ende ihrer privatimen Beziehung 1906. Der Dritte im Bunde, Adolf Warski (1868-1937), in Warschau geboren, stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie. 1893 lernten sich alle vier in Zürich kennen. Als einzige Ak-
tivisten in der II. Internationale sprachen sie polnisch, deutsch und russisch, ein Bonus, der ihnen für Kontakte zur deutschen und russischen Sozialdemokratie zugutekam. Luxemburg konnte so auch Karl Kautsky an sich binden. Nachdem sie mit ihren drei Kampfgefährten die Sozialdemokratie des Königreichs Polen (SDKP) und die von Jogiches finanzierte Pariser Exilzeitung Sprawa Robotnicza („Arbeitersache“) gegründet hatte, begann auch ihre journalistische Laufbahn. „Rosa war Leos Feder. Sie ,übersetzte‘, was der beste Kenner der russischen Revolution von 1905/06 und ,begnadete Theoretiker‘ wegen einer Schreibblockade nicht selbst in Worte fassen konnte“, be-
schrieb Politt die Situation. Das mochte sein Philosophenkollege Volker Caysa so nicht stehen lassen. Wie Hannah Arendt sehe er in Jogiches den großen Konspirateur und Organisator, den „Seismographen“ der Stimmungen und Bewegungen der Massen, in Rosa aber den führenden intellektuellen Kopf. 1906 mussten die vier Genossen die Niederlage der russischen Revolution erleben. Eine in Strategie und Taktik völlig übereinstimmende Gemeinschaft blieben sie nicht mehr. So vertraten Luxemburg und Marchlewski unterschiedliche Positionen zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen und zur Diktatur der Bolschewiki. Alles nachzulesen in Holger Politts Schriften. Wulf Skaun
Links! 01-02/2017
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Termine Dresden, 8. Februar, Mittwoch, 18.00 Uhr Wissenschaftliche Slams, Film und Diskussion. International Peace Slam. FILMREIHE HINGESEHEN. Mit Stefan (Serbien, Doktorand am Vodafone Lehrstuhl an der TU Dresden), Siavash (Iran, Research Fellow am Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechner (ZIH)), Caterin (Kolumbien, Doktorand am Institut für Angewandte Photophysik (IAPP) der TU Dresden). Eine gemeinsame Veranstaltung von MEMORARE PACEM. Gesellschaft für Friedenskultur e.V., dem TUD Welcome Center, der Lokalen Agenda 21 für Dresden e.V., dem Abgeordnetenbüro Katja Kipping und der RLS Sachsen. Programmkino Ost, Schandauer Str. 73, 01277 Dresden Als Auftakt slammen drei internationale Wissenschaftler zum Thema Frieden. Danach zeigen wir den Film DRESDEN REFUGE. Chemnitz, 8. Februar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Abschied vom Wachstum - Ende der Wohlfahrt?*** Mit Prof. Dr. Stephan Lessenich (Soziologe). Eine Kooperation der Volkshochschule Chemnitz mit der RLS Sachsen. Veranstaltungssaal, dastietz, Moritzstr. 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 9. Februar, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Zur Anatomie einer Schreckensherrschaft – Nikolaus Wachsmanns Gesamtdarstellung der Konzentrationslager. REIHE: Jour Fixe - Ein ungewöhnlicher Gesprächskreis***. Mit Dr. Harry Stein (Kustos in der Gedenkstätte Buchenwald) und Patrick Pritscha (Historiker). Moderation: Manfred Neuhaus und Klaus Kinner. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 11. Februar, Samstag, 10.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Einheit im Geistigen? Der Präsidialrat des Kulturbundes 19451948***. Mit Prof. Dr. Siegfried Prokop (Historiker).
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 15. Februar, Mittwoch, 19.00 Uhr Revue mit Lesung: Revue für Schernikau. Mit Texten von Ronald M. Schernikau***. Mit Kuku Schrapnell und Fabina Fabulös. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 16. Februar, Donnerstag, 19.00 Uhr Lesung: Flüchtlingsgespräche von Bertolt Brecht***. Mit Konrad Heinze (Politikwissenschaftler) und Mike Melzer (RLS Sachsen). Interim, Demmeringstraße 32, 04177 Leipzig 1940: In der Bahnhofsrestauration von Helsingfors sitzen zwei Männer. Beide sind auf der Flucht und unterhalten sich, sich ab und zu vorsichtig umschauend, über Politik, Asyl, Pässe und den „Wieheißterdochgleich”. Bertolt Brecht schrieb diesen Dialog, während er selbst vor den Nationalsozialisten floh. In ihm vereint er seine Fluchterfahrungen und seine Überlegungen über eine andere Welt. Beide Perspektiven sind aktueller denn je. Leisnig, 16. Februar, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Homer Simpsons Mutter und anderes Lehrreiches aus der Geschichte der USA***. Mit Daniel Kulla (Blogger und Schriftsteller). AJZ Leisnig, Chemnitzer Straße 103b, 04703 Leisnig Die USA sind überall, im Guten wie im Schlechten. In den meisten unserer Vorstellungen fehlen jedoch wesentliche Elemente aus Gegenwart und Vergangenheit, bestimmte gesellschaftliche Vorgänge neben der Populärkultur und wissenschaftlich-technischen Entwicklungen – vor allem die Protest- und Widerstandsbewegungen. Ausgehend von seiner Übersetzung eines Buches über die militante kommunistische Organisation Weather Underground will Daniel Kulla einige dieser blinden Flecken beleuchten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Exemplaren gedruckt.
Chemnitz, 17. Februar, Freitag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: „Take it easy, but take it!“ - Vom ersten 1. Mai bis Occupy Oakland – Klassenkampf & Reaktion in den USA***. Mit Daniel Kulla (Blogger und Schriftsteller). Mediencafé m54, AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09113 Chemnitz Dresden, 21. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: REIHE Junge Rosa - richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 21. Februar, Dienstag, 19.00 Uhr Film und Diskussion: Deutsche Pop Zustände - Eine Geschichte rechter Musik***. Mit Dietmar Post (Regisseur, play loud! productions) Mediencafé m54, Chemnitztalstraße 54, 09113 Chemnitz Dresden, 22. Februar, Mittwoch, 19.00 Uhr Film und Diskussion: Deutsche Pop Zustände - Eine Geschichte rechter Musik. Mit Dietmar Post. Eine Veranstaltung von Dresden Nazifrei und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 22. Februar, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Lieben, lügen, leben. Biografien und Erinnerungen zwischen (Un-)Sichtbarkeit und Agency. Selbstbestimmung gleichgeschlechtlich L(i)ebender von den fünfziger Jahren bis heute***. Mit Jeanette Hilger (Pädagogin). different people e.V., Hauboldstraße 10, 09111 Chemnitz Wie werden Normen, Vorstellungen und Praktiken in Bezug auf gleichgeschlechtliche L(i) eben im Postnationalsozialismus tradiert, gleichgeschlechtlich L(i)ebende gesellschaftlich verortet und wie agieren sie selbst? Um das zu beantworten gilt es, den Blick auf die Selbstbestimmung gleichgeschlechtRedaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 25.01.2017 Die nächste Ausgabe erscheint am 0.03.2017.
lich L(i)ebender, ihrer Ressourcen und Handlungsfähigkeiten zu richten. Im Vortrag werden die Ergebnisse der Masterarbeit vorgestellt sowie Einblicke in die Biografien und Erinnerungen zweier schwuler Männer und einer Frau, die eine Frau liebt, gegeben. In einem Exkurs sollen L(i)eben, Selbstorganisation & Institutionalisierung in Karl-Marx-Stadt, der DDR und im wiedervereinigten Deutschland dargestellt werden. Es werden Schlüsse für pädagogische Vermittlung und politische Bildung gezogen und gemeinsam diskutiert. Leipzig, 23. Februar, Donnerstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: China im Wandel. REIHE: ROSA L. in GRÜNAU. Mit Stefan Hartmann (Stellvertretender Vorsitzender DIE LINKE. Sachsen). KOMM-HAUS, Selliner Straße 17, 04207 Leipzig Leipzig, 23. Februar, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Deutsch-russische Historikerkontakte im Wandel***. REIHE: Deutsche und Russen, Russen und Deutsche. Mit Dr. Claus Scharf (Mainz). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 23. Februar, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Die Anderen der Anderen - Queere Kämpfe gegen Rassismus und Transfeindlichkeit. REIHE: Beieinander und Miteinander? Linke Gespräche zwischen Israel und Deutschland. Mit Lilach Ben David (Anti-rassistische Transaktivistin) und Jennifer Petzen (Lesbenberatung). Galerie KUB, Kantstraße 18, 04275 Leipzig Änderungen sind möglich, aktuelle Infos unter: www.sachsen. rosalux.de Kein anderes Land scheint die deutsche Linke so zu beschäftigen und zu spalten wie Israel. Gleichzeitig verfolgen Aktivist*innen in Israel sorgsam die politischen Entwicklungen in Deutschland. Trotz dieses breiten und gegenseitigen InteDie Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:
resses verlaufen die Diskussionen über die jeweiligen Länder meist nicht in Dialogform. Bei genauerem Hinsehen haben die sozialen Bewegungen in beiden Ländern jedoch vieles gemeinsam, und die jeweiligen politischen Herausforderungen sind ähnlicher als zunächst vermutet. Mit dieser Veranstaltungsreihe wollen wir daher einen Ort schaffen, der zu Gedankenaustausch und Vernetzung anregt. Im Gesprächsformat werden jeweils ein*e Aktivist*in aus Deutschland und Israel von ihren Erfahrungen berichten und über Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen miteinander und mit dem Publikum diskutieren. Eine Veranstaltungsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel-Aviv. Cunnersdorf, 24. Februar, Freitag, 19.00 Uhr Lesung: Flüchtlingsgespräche von Bertolt Brecht***. Mit Konrad Heinze (Politikwissenschaftler) und Mike Melzer (RLS Sachsen). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit Alte Schule Cunnersdorf e.V. Alte Schule Cunnersdorf, Schulweg 10, 01920 Schönteichen Leipzig, 25. Februar, Sonnabend, 10.30-19.00 Uhr Workshop: Der Wert ist der Mann!? Ein Tagesworkshop zu Roswitha Scholz‘ Wertabspaltungstheorem***. Mit Eva Tepest und Moritz Schmeing. Eine Veranstaltung des translib in Kooperation mit der RLS Sachsen. Anmeldung an: translib_ workshop@gmx.de translib, Lützner Straße 30, 04177 Leipzig Leipzig, 28. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Parlamentarische Demokratie und Mehrheitsentscheidung*** PHILOSOPHISCHE DIENSTAGSGESELLSCHAFT. Mit PD Dr. Peter Fischer (Leipzig). Moderation: Dr. Jürgen Stahl. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773
Rezensionen
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01-02/2017 Links!
Stadt des Ungehorsams Für den rasanten (Wieder)Aufstieg Leipzigs, zuletzt symbolisiert durch den Sprung vom Brauseclub RB auf einen Bundesligaspitzenplatz, sind diverse Bezeichnungen im Umlauf. Zu den nichtssagenden bis grässlichen zählen gewiss „Heldenstadt“ und „Hypezig“. Schon fast tot zitiert ist auch Goethes Spruch aus dem Faust I „Mein Leipzig lob ich mir…“. Der Dichterfürst rühmt aber nur scheinbar das „klein Paris“, denn die Sentenz legt er absichtsvoll einem versoffenen und etwas verkommenen Studenten namens Frosch in den Mund. Will man das Erfolgsgeheimnis Leipzigs, den genius loci der Sachsenmetropole lüften, muss man tief in die tausendjährige Stadtgeschichte eintauchen. Im November 2014 trafen sich im Leipziger Rathaus zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum 7. Tag der Stadtgeschichte, um unter dem Motto „Unruhiges Leipzig“ die Historie der Stadt unter dem Blickwinkel von Kritik und Widerstand zu durchforsten. Das Themenspektrum der Vorträge kann man jetzt dank dem Engagement des Universitätsverlages nachlesen. In einem kurzen Vorwort haben die Herausgeber anknüpfend an das Werk „Rebellische Städte“ des marxistischen Sozialtheoretikers David Harvey ihr Verständnis der Stadtgeschichte dargelegt. Als deren roten Faden betrachten sie das hohe Maß an „Unruhe“, an Protest, Kritik, Opposition und Widerstand, das in „Verdichtung und Qualität … doch in besonderer Weise“ Leipzigs Geschichte
prägte. Über Jahrhunderte war die Messe- und Buchmetropole ein Zentrum politischer, sozialer, religiöser und geistiger Auseinandersetzungen. „Leipzig ist voll von der Pluralität und Heterogenität dieser Kämpfe“, lautet einer der Schlüsselsätze. Hier sehen die Herausgeber auch eine Erklärung dafür, dass Leipzig insbesondere im 19. Jahrhundert ein zentraler Ort der Erfindung neuer Assoziationsformen wurde. Hier soll nur auf die revolutionäre deutsche Arbeiterbewegung um Lassalle, Bebel und Liebknecht und auf die fast zeitgleichen Anfänge der Frauenbewegung um Louise Otto-Peters sowie der Kleingartenbewegung verwiesen werden. Der auf gediegenem Papier gedruckte und mit zahlreichen Illustrationen und Fotos solide ausgestattete Band präsentiert 22 Konferenzbeiträge. Das zeitliche Spektrum reicht vom
ersten, allerdings gescheiterten Leipziger Bürgeraufstand 1215/16 bis zu den Anti-Legidaprotesten 2015, denen Erfolg beschieden war. Einen armutsgeschichtlichen Zugang wählte die Historikerin Elke Schlenkrich. Dazu zeichnet sie die Konturen der Armen- und Bettlerpolitik im vormodernen Leipzig nach. Zur Bekämpfung des „Ungehorsams“ der Armen und der durch sie angeblich erzeugten „Unordnung“ setzten die herrschenden Eliten auf die „gute Policey“, ein Synonym für den erwünschten Idealzustand des städtischen Gemeinwesens. Der Beitrag des Publizisten Ralf Zerback „Als Ohnmacht Macht wurde“ dokumentiert das bis in die Gegenwart währende Spannungsverhältnis zwischen der Stadt und der Landesobrigkeit in Dresden anhand des sogenannten „Leipziger Gemetzels“ im August 1845. Nach einem Blut-
bad des sächsischen Militärs mit acht Toten kam es unter der Führung des charismatischen Robert Blum zu einer Volkserhebung, die für einige Tage das vormärzliche Herrschaftssystem auf den Kopf stellte und ein Vorbote der Revolution von 1848 war. Auch spätere Revolutionen kommen im Band nicht zu kurz, wie die Novemberrevolution 1918/19 und der KappPutsch im Jahr 1920. Der Frauenbewegung widmet Susanne Schötz, Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der TU Dresden, unter der Überschrift „Alle für Eine und Eine für Alle?“ einen spannenden und umfangreichen Beitrag. Das Motto war der Wahlspruch der wohl bedeutendsten deutschen Feministin des 19. Jahrhunderts, Louise Otto-Peters. Die Verfasserin legt neue Forschungsergebnisse zu frauenemanzipatorischen Bestre-
Bild: Schnitzel_bank / flickr.com / CC BY-ND 2.0
bungen im Umfeld der Revolution von 1848/49 vor, die später in die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) 1865 in Leipzig einflossen, von dem bis weit ins 20. Jahrhundert Impulse ausgingen. Nach einigen interessanten Beiträgen zur Protestgeschichte in der DDR wie z.B. zum Schwarzwohnen in Leipzig, endet der Band mit einer Chronik der Proteste in Leipzig 1991-2015, die der renommierte Stadtsoziologe Dieter Rink verfasst hat. Selbst engagierten Zeitzeugen dürfte die Vielfalt und Wirkmächtigkeit der Arbeiter- und Sozialstaatsproteste 1991, 2004 und 2008, der siegreiche Bürgerentscheid gegen die Teilprivatisierung der Stadtwerke 2008, die Friedensproteste 1991, 2003 und 2014, die Montagsdemos und Friedenswachen und last but not least die linken antifaschistischen Mobilisierungen gegen die Naziaufmärsche von Christian Worch in den 1990er Jahren zu Legida in der Gegenwart kaum noch in ihrer Gesamtheit in Erinnerung sein. Rinks Schlussresümee: Das in Leipzig 1989 kreierte Protestparadigma hat Eingang in das gesamtdeutsche und ansatzweise sogar europäische Protestgeschehen gefunden. Die Proteste in Leipzig sind Seismographen in Ostdeutschland. Das dürfte auch so bleiben. Dr. Volker Külow Unruhiges Leipzig. Beiträge zu einer Geschichte des Ungehorsams in Leipzig. Herausgegeben von Ulrich Brieler und Rainer Eckert. Leipziger Universitätsverlag 2016, 524 Seiten, 62 Euro.
Vom Palast bis zur Platte „Mutter aller Künste“ pries der alte Römer Vitruv die Architektur. Caesars und Augustus’ Baumeister, Architekt und erster Architekturtheoretiker der Geschichte formulierte drei Tugenden, die Architektur zu beherzigen habe: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). Ob und in welchem Grade die Baukunst der DDR „tugendhaft“ war, erfuhren die Teilnehmer des 20. Jour-fixe- Gesprächskreises. Im überfüllten Domizil der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen hieß Manfred Neuhaus den Kunsthistoriker Professor Thomas Topfstedt willkommen. Als erster in der DDR widmete er sich ernsthaft der architektur- und städtebaugeschichtlichen Forschung zur Baukultur des versunkenen Landes. Seine Antworten auf das Thema „Das bauliche Erbe der DDR − eine Altlast?“ schloss auch die über das Vitruv-Postulat ein. Vorweg-
genommen: Man baute auch in der DDR robust, zweckdienlich und wohlgestaltet. Ehe jedoch der frühere Dekan an der Universität Leipzig, Autor des Grundlagenwerkes „Städtebau in der DDR“ und Aktivist für die Bewahrung von Leipzigs historischer Architektur das Wort nahm, verhieß Manfred Neuhaus dem Auditorium, der Gast werde einen Hör- und Sehgenuss stiften. Das war nicht zu viel versprochen. So erfuhr das Publikum en détail über geschützte Architekturdenkmäler zwischen Ahlbeck und Zittau. Ihr gemeinsames Merkmal: Sie entstanden als steinern-bauliche Zeugnisse des sozialistischen Aufbaus. Vom 1952 eingeweihten Hochhaus an der Berliner Weberwiese wusste jedes Schulkind in der DDR. Etliche Bauten aus den Tagen seit Republikgründung rotteten aus ökonomischen Zwängen in diesen geheiligten Status hinein, was Topfstedt sarkas-
tisch kommentierte: „Die DDR war damit nolens volens ein Freilichtmuseum ihrer eigenen Architekturgeschichte.“ Erst wenn verschlissene Ex-Vorzeigeobjekte als baufällige Halbruinen Gefahr beschworen, durfte die Abrissbirne walten. Beispiel: die anlässlich der III. Weltfestspiele der Jugend 1951 aus dem Boden gestampfte Deutsche Sporthalle an der Berliner Stalinallee. Ein eigenes Kapitel widmete der Architekturexperte auch den jähen Wendungen nach der Wende 1989/1990. Zwei Praktiken bestimmten das nun marktwirtschaftlich begründete Baugeschehen: Bauboom auf grüner Wiese und in Innenstädten, vor allem in Berlin, Leipzig, Dresden, Chemnitz und Rostock, und Abriss politisch gebrandmarkter Baukultur (Palast der Republik!) sowie realsozialistischer Plattenbauten (Berlin Marzahn, Leipzig-Grünau, Eisenhüttenstadt). Auch als Denkmale klas-
sifizierte öffentliche Objekte wurden nicht selten privaten Verwertungsinteressen geopfert. „Diese Praxis hat zu einem Denkmalschwund großen Ausmaßes geführt.“ Doch widerfuhren dem baulichen Erbe der DDR auch „mildere“ Schicksale. Wiederum anhand prominenter Beispiele klassifizierte Topfstedt solche Verfahren als „denkmalpflegerische Sanierung“ (selten realisiert), als „Vernachlässigung und Leerstand“ sowie als „Überformung“ (überwiegend praktiziert). Zu den original sanierten Zeitzeugen der Neubauprojekte in den 1950er Jahren gehörten auch das Ringwohnensemble mit Ring-Café und das Opernhaus in Leipzig. Der Leipziger Bowlingtreff hingegen, 1987 eröffnet, gilt als vernachlässigtes und brachliegendes Beispiel. Um auch Leipziger Exemplare der Überformung anzuführen, ließ der Referent Fotos im Originalzustand und nach der
Umgestaltung aufscheinen: vom Messehaus am Markt, von der früheren Hauptpost am Augustusplatz, vom Häuserblock auf der Jahnallee. Insgesamt lässt sich die Frage, ob die Architekten, Baumeister, Denkmalpfleger der DDR ihr Erbe als Altlasten hinterlassen haben, klar verneinen. Fast drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist es weiter fester Bestandteil vieler Stadtbilder. Dabei bietet ostdeutsche Architektur mehr als eintönige Neubaugebiete. Vielfach überrascht sie mit gewagten Lösungen. Topfstedt bilanziert: Sicher habe es in der baulichen Entwicklung in Ost und West Kontraste gegeben. Doch verstecken musste sich die DDR-Baukultur nicht. „Dass wir auf Augenhöhe mit dem Westen waren, beweist das gesamtdeutsche Interesse an der tieferen Erforschung der DDRBaugeschichte.“ Wulf Skaun
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Grandola – ein Lied für die Nelkenrevolution „Fado“, aus dem Portugiesischen übersetzt „Schicksal“, wird häufig als der portugiesische Blues bezeichnet. Er ist tatsächlich eng mit der Tiefe der portugiesischen Seele verbunden, in ihm spiegeln sich die innigsten Emotionen eines Volkes. Es heißt, den Fa-
Bild: Henrique José Teixeira Matos /Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
Am 25. April im Jahre 1974 machte ein Lied von sich reden, das von einem Lissaboner Privatrundfunksender ausgestrahlt wurde. Es bestätigte symbolisch den Sieg der sogenannten Nelkenrevolution. Ein Militärputsch stürzte unblutig das faschistische Re-
gime, die Soldaten steckten Nelken in ihre Gewehrläufe. Trotz seiner Funktion als revolutionärer Aufruf beinhaltete der Text des Liedes kaum Rebellisches; der von José Afonso leidenschaftlich vorgetragene Song, der den Wunsch nach einem friedlichen Miteinander in Solidarität und Freiheit besang, glich einer Hymne auf die Menschlichkeit. „Grandola, vila morena“ – „Grandola, du dunkelbraune Stadt / Im brüderlichen Land, das vom Volk regiert wird / Dir gilt mein Schwur, Dir Kamerad zu sein / Im Schatten eines starken Baumes, dessen Jahre ungezählt …“ José Afonso wurde am 2. August 1929 als Sohn einer Lehrerin und eines Juristen geboren. Seine Kindheit verbrachte er teils in Portugal, Mosambik und Angola. Seine Schulzeit beendete er 1949 in Coimbra, wo er auch sein Studium der Philosophie und Geschichte aufnahm. Zeitgleich wuchs sein Interesse an Literatur, und er begann, erste Gedichte zu schreiben. Weil ihn der traditionelle portugiesische Musikstil Fado faszinierte, seine Atmosphäre in ihm eine unbeschreibliche Kraft entfaltete, wagte Afonso das Experiment, dieser Musik neue Akzente zu setzen.
do hätten einst nordafrikanische Seeleute nach Portugal importiert, aber das ist nicht mehr nachweisbar. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er durch die begnadete Sängerin Maria Severa einem breiteren Publikum bekannt und gewann rasch an Popularität. Die Sängerin begleitete sich auf der portugiesischen Gitarre, einer mit doppelten Stahlspitzen bespannten Lautenform, die einen ganz eigentümlichen, fast klagenden Klang hervorbringt. Ein Meister auf diesem Instrument war übrigens ein Freund und Kollege Afonsos, der Gitarrenvirtuose Carlos Paredes. Der saß wegen der Diktatur achtzehn Monate lang im Gefängnis und baute in dieser Zeit ein eigenes Instrument. Meisterhaft war auch Jorge Fernando, einst Gitarrist der berühmtesten Fadista (so werden die Fado-Sängerinnen genannt) Amalia Rodriguez. Nach dem Zerfall der SalazarDiktatur verlor der Fado allmählich an Beliebtheit. Der jüngeren Generation schien er veraltet und konservativ, zumal er zunehmend als Folklore abgetan wurde. Dieser Meinung schien auch Afonso gewesen zu sein, als er begann, seine Gedichte zu vertonen. Er bevorzugte die herkömmliche Konzertgitarre als Begleitins-
trument. Seine ersten Schallplatten, die 1953 erschienen, waren noch unpolitisch; er sang damals noch hauptsächlich harmlose Liebeslieder über das Studentenleben. Nach seinem Studium begann er 1955 eine Tätigkeit als Pädagoge und wirkte in verschiedenen Schulen des Landes. Danach erhielt er für vier Jahre eine Anstellung in Mosambik. Wieder in Portugal, wurde er als Sänger Teil des Ensembles „Orfeao“ und des Studentenchors „Tuna Academica“. Es folgten mehrere Soloauftritte in Westeuropa und Afrika. 1960, während einer weiteren Tournee durch Angola und Mosambik, wurde er mit der Resistenzbewegung gegen das unmenschliche Kolonialregime konfrontiert. Fortan trugen die Inhalte seiner Lieder politische Züge, was zur Folge hatte, dass er schnell als wichtigster Sänger der Opposition bezeichnet wurde. 1964 erschien seine erste Langspielplatte, „Cantares de José Afonso“, danach die Scheibe „Baladas e Canções“ und 1966 ein erstes Buch mit Liedtexten. Spätestens in diesem Jahr geriet er ins Visier der staatlichen Geheimpolizei „PIDE/DGS“ und wurde mit Sanktionen bedroht. Aus diesem Grund sah er sich gezwungen, Konzerte und Plattenproduktionen ins Ausland zu verlegen. Die portugiesischen Behörden entzogen ihm die Lizenzen als Lehrer und als Sänger. Doch da sein gerade erschienenes Album „Contigas do Maio“ auf großes internationales Interesse stieß und er daraufhin zahlreiche Konzertangebote aus ganz Europa bekam, war es ihm vergönnt, weiter als Musiker zu existieren. Während einer Tourneepause Anfang 1973 wurde Afonso allerdings in Portugal verhaftet und saß wochenlang im Gefängnis. Dort nutzte er die Zeit, um etliche Prosastücke und Liedtexte zu verfassen. Nach seiner Entlassung produzierte er sein wohl erfolgreichstes Album bei ORFEU „Grandola, vila morena“. Kurz darauf folgten der besagte Staatsstreich und die Rehabilitierung Afonsos. In der Folgezeit engagierte er sich aktiv in der „LUAR“, einer oppositionellen Initiative, die seit der Mitte der Sechziger im Untergrund fungierte und nun linksorientierte Kulturaktionen förderte. 1974 und 1975 gastierte José Afonso erstmalig in der DDR beim „Festival des politischen Liedes“, wo er so euphorisch gefeiert wurde, dass das staatliche DDR-Label Amiga ein Jahr darauf die LP „José Afonso / Grandola / Lieder aus Portugal“ herausbrachte. 1976 komponierte er für einen Dokumentarfilm des
bekannten portugiesischen Regisseurs Antonio da Cunha Telles den Titelsong „Com as Minhas Tamanquinhas“, der im selben Jahr auf Platte erschien und sehr erfolgreich war. Ebenfalls 1976 kam die LP „José Afonso in Hamburg“ auf den Markt, eine Dokumentation seiner Deutschlandtour, die auch durch die DDR führte. Bereits kurze Zeit nach dem Zusammenbruch der Diktatur veränderte sich Afonsos Lyrik merklich. Seit dem Wegfall der politischen Zensur wurden seine Texte konkreter, sie benötigten nicht mehr das poetische Versteckspiel in Form surrealer Metaphern. Vielmehr waren seine Texte jetzt von sarkastischer Spitzfindigkeit durchzogen. Anstelle früherer Protestsongs behaupteten sich nun politisch-satirische Pamphlete in der portugiesischen Liedermacherbewegung. Auch die Musik erfuhr eine Metamorphose. Bis dahin vom Staat verpönte westliche Rockmusik hielt Einzug und beeinflusste maßgeblich die Begleitmusik der Liedermacher. Afonso verstand es geschickt, Formales mit Modernem zu mischen. Dank seiner Liebe zur Folklore Mosambiks bezog er auch afrikanische Elemente in seine Arrangements ein. In den frühen Achtzigern erkrankte José Afonso an einer schweren Nervenkrankheit, die als unheilbar galt. Trotz seines Leidens gab er weiterhin
regelmäßig Konzerte und produzierte noch einige Alben: „Como se Fora Seu Filho“ und „Ao Vivo no Coliseu“. 1985 erschien seine letzte Platte „Galinhas do Mato“, auf der er allerdings nur noch zwei Titel selbst singen konnte, was seinem sich stetig verschlimmernden Gesundheitszustand geschuldet war. Die restlichen acht Songs übernahmen die befreundeten Sängerinnen Né Ladeiraz, Luis Represas sowie die charmante Helena Vieira. Nach mehreren Aufenthalten in amerikanischen und europäischen Spezialkliniken verstarb José Afonso am 23. Februar in Setubal. Er wurde 57 Jahre alt. Seine Gedichte und Lieder beeinflussten unzählige Sänger und Interpreten, so beispielsweise den weitaus jüngeren Songpoeten Sergio Vesely, den man getrost als ebenbürtigen Nachfolger bezeichnen kann. Er erlangte zwar bei weitem nicht den Bekanntheitsgrad des Meisters, stand ihm jedoch in den folgenden Jahren gesanglich und poetisch keineswegs nach: „Singe, Sänger, sing‘, Poet In diesen kalten Nächten Weil die Sprache, die Deinem Liede Schmied ist Weil der Wunsch einer tiefen Empfindung Weil das Korn, das Deine Hand aussät Dem kommenden Morgen das Leben einhaucht“ Jens-Paul Wollenberg
Bild: 69joehawkins /Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
Links! 01-02/2017
01-02/2017 Sachsens Linke!
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Januar-Februar 2017
Sachsens Linke
Ab sofort gibt es vier statt zwei Kreisverbands-Seiten mit interessanten Neuigkeiten. Weitere Themenseiten beschäftigen sich mit dem SachsenLB-Debakel und den Perspektiven eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses.
Außerdem geht es im den in Berlin heiß diskutierten Fall Andrej Holm, einen europapolitischen Ausblick auf das spannende (Wahl-)
Aktuelle Infos stets auch
schüchterungen fort, während sich der Landrat mit Wruck traf – ein zweites Kaffeekränzchen mit Faschisten, nur ohne Staatsschutz. Diesmal war die Kritik deutlich, doch Harig antwortete: „Ich rede mit wem ich will!“ Tage zuvor hatten Nazis MolotowCocktails auf die Flüchtlingsunterkunft „Spreehotel“ geworfen. Der Angriff auf Mitglieder der linksjugend [´solid] Bautzen am 30.12.2016 war ein trauriger Höhepunkt. Mindestens zehn vermummte Neonazis attackierten die Antifaschist*innen, die Verletzungen wie einen Kieferbruch, eine Platzwunde oder eine Schädelprellung erlitten. Die Polizei sprach verharmlosend von „Auseinandersetzungen“ zwischen Rechten und Linken. Es sollte nun klar sein, dass Gespräche mit Neonazis nicht erfolgreich sein können, und dass sich hinter der schönen Fassade
Bild: Unukorno / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
bürgermeister mit einem Gesprächsangebot. Ein Oberbürgermeister, der von unserer Partei, DIE LINKE, mitgetragen wird, sodass sich öffentliche Kritik von unserer Seite in Grenzen hielt. Ahrens traf sich mit den Köpfen der rechten Szene, was zwar vom Staatsschutz überwacht wurde, in unseren Augen aber ein Kaffeekränzchen war, und stigmatisierte gleichzeitig auch linke Aktionen als „Stellvertreterdemos“. Danach hieß es, es gehe die Rechten „um eine Beruhigung der Situation“. Die Antwort folgte prompt. Nachdem die Ämter den Geflüchteten im Oktober die Teilnahme an einem SolidaritätsBürgerfest verweigerten, gab es Anfang November neue Gewalttaten und Verletzte. Nur durch den Druck unserer Bundestagsabgeordneten Caren Lay wurde bekannt, dass ein Asylsuchen-
der mit einer Schreckschusspistole bedroht worden war. Die neue Eskalation schien für Landrat Harig Anlass gewesen zu sein, auf das Gesprächsangebot von NPD-Kreischef Marco Wruck einzugehen. In den folgenden Wochen wurden vermehrt linke Jugendliche verfolgt, bedroht und fotografiert. Auf eine Skate-Anlage wurde ein Brandanschlag verübt. Die Neonazis feierten in den sozialen Netzwerken ihre Erfolge, lobten Ahrens für das Gespräch und bekamen Solidaritätsbekundungen aus dem ganzen Land. Bautzen überzogen sie mit Graffitis wie „AFA (Antifaschistische Aktion) wegboxen“, „Nazikiez verteidigen“ und „NaziZone“. Genoss*innen mussten Morddrohungen an ihren Hauswänden ertragen. Im Dezember setzten die Rechten ihre Ein-
Bautzens ein stinkender brauner Haufen verbirgt. Die rechte Bedrohung wird nicht abnehmen, kündigt „Stream.BZ“ doch das „Kampfjahr 2017“ an. Schon vor Jahren konnten Nazis Fackelumzüge veranstalten und Menschen angreifen. Vor allem sorbische und alternative Jugendliche waren Opfer, heute sind es vermehrt Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen. Schon damals waren Politik und Polizei untätig. Die CDU schweigt die Probleme tot. Stattdessen verortet sie „den Feind“ auf der falschen Seite, setzt das Engagement von Antifaschist*innen mit den Gewalttätern von rechts gleich und übernimmt die Phrasen „besorgter Bürger*innen“. Die gefestigte rechte Szene Bautzens konnte sich fast ungestört ausbreiten. Mittlerweile besteht sie aus vier
unter
e www.dielinke -sachsen.d
Kaffeekränzchen mit Faschisten Bautzen, 2016. Nachdem im Frühjahr die geplante Flüchtlingsunterkunft im „Husarenhof“ angezündet wurde und Gaffer die Feuerwehr behinderten, spitzte sich die Situation im September weiter zu. Die „Sachsen Demonstrationen“ riefen zur Kundgebung auf dem Kornmarkt, linke Kräfte zum Protest. Schon vorher forderte der „AntiAntifa-Fotograf“ Benjamin Moses, einer der führenden Köpfe der rechten Szene, über seine Facebookseite „Stream.BZ“ auf, „keine linken Aktivitäten zu dulden“, den „Nazikiez zu verteidigen“. Oberbürgermeister Ahrens, Polizeichef Stiehl und Landrat Harig (CDU) wurden informiert, blieben aber untätig. So eskalierte die Situation. Die Rechten versuchten, zu den Gegendemonstrant*innen zu gelangen, Flaschen flogen, Geflüchtete, die an der Gegendemo teilnahmen, wurden beleidigt und provoziert. Die Polizei musste die Teilnehmer*innen der linken Kundgebung ins Jugendzentrum Steinhaus eskortieren, das später von randalierenden Neonazis angegriffen wurde. Die Schuldigen waren für die Polizei jedoch nicht die rechten Gewalttäter, sondern die Geflüchteten. Was danach geschah, verhalf Bautzen zu trauriger Berühmtheit. Nachdem es immer wieder Angriffe auf Geflüchtete gegeben hatte, hetzte ein Mob 80 „eventorientierten Jugendlichen“ und „Einheimischen“ – so die Polizei – 20 geflüchtete Jugendliche durch Bautzen. Die Ämter reagierten mit einer Ausgangssperre für Geflüchtete, eine Sicherheitszone wurde eingerichtet, die Polizeipräsenz erhöht. Eine linke Kundgebung konnte nur mit Mühe stattfinden, da 400 „Einheimischen“ den Kornmarkt belegten. Tags darauf trafen sich dutzende rechte Gewalttäter auf dem Schützenplatz, um das Bürgerbüro der Linken zu stürmen, was verhindert werden konnte. Keine Woche später veröffentlichten die Bautzener Rechten ein de-facto-Erpressungsschreiben. Sollte die Stadt ihre Forderungen nicht erfüllen, werde es weitere Demos und „Aktionen“ geben. Anstatt mit aller Härte gegen die rechten Demokratiefeind*innen vorzugehen, reagierte der Ober-
Jahr 2017 und die Rentenansprüche von DDR-Bergleuten, für deren Gewährung sich die LINKE in Bund und Land einsetzt.
großen Gruppen: „Stream.BZ“, die „Anti-Antifa“-Gruppe von Benjamin Moses, „rechtes.kollektiv Bautzen“, die jüngste der Gruppierungen, die „Sachsen Demonstrationen“, geführt von Marco Wruck, und die „Nationale Front Bautzen“. Die Reichweite dieser Gruppen ist groß, sie bekommen Unterstützung von der „Brigade Halle“ und aus dem Ruhrgebiet. Geschlossene Jugendklubs und die soziale Spaltung haben den Neonazis in die Hände gespielt. Das größte Problem ist aber ein anderes, das in Bautzen besonders ausgeprägt zu sein scheint: Der Alltagsrassismus. Das hat auch der Oberbürgermeister erkannt, wie er uns im Gespräch mitteilte. Es brauche Aktionen und Veranstaltungen für die Zivilgesellschaft, mit der Stadt als Anmelder. Zudem wolle er die Schulen politisieren und die Jugendarbeit durch neue Jugendzentren und die Einstellung von Streetworkern verbessern. Dagegen ist nichts einzuwenden. Es bleibt abzuwarten, wie er seine Vorstellungen umsetzt. Als wir ihn auf sein Treffen mit den Rechten ansprachen, entgegnete er, er habe den Gruppierungen Gesichter zuordnen wollen, und plane keine weiteren Gespräche. Das wäre gut. Landrat Harig ist ein hoffnungsloser Fall. Die größte Sorge bereiten uns jedoch die sogenannten „Neuen Rechten“. Eine Basisgruppe der „Identitären Bewegung“ soll es geben, und die Gruppe „Wir sind Deutschland“ paart in ihrer Zeitung „Denkste“ Forderungen nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit, die aus dem Wahlprogramm der Linken abgeschrieben wurden, mit Rassismus. Die Redakteure und die neurechten, teils reichsbürgernahen Veranstalter der Foren „Von Bürgern für Bürger“ stammen aus der Mitte der Gesellschaft und sind in der Stadt anerkannt. Wir brauchen eine neue Strategie. Stadt, Kreis und Land müssen ein Konzept gegen das Naziproblem vorlegen. Die Zustände in Bautzen kann man nicht mit den üblichen Mitteln bekämpfen. Wir werden weiter Widerstand leisten und uns nicht vertreiben lassen! Linksjugend Bautzen
Kraftvoll, lebendig, leidenschaftlich
Genau 328 neue Mitglieder konnten wir im vergangenen Jahr in unserem Landesverband begrüßen. Das ist eine Hausnummer. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in einem Nichtwahlkampfjahr jemals so viele Neumitglieder aufgenommen hätten. Und selbst im Vergleich zu den Wahljahren 2013 und 2014 ist das ein sattes Plus. In der Gesamtpartei sieht das Bild kaum anders aus. Mitgliederzuwachs wie seit Jahren nicht mehr. Und besonders im November und Dezember ergriffen Menschen Partei – nämlich unsere. Politisches Engagement liegt wieder im Trend. Gerade bei jungen Menschen. Und das gibt uns allen Kraft: Unser Wahlkampf ist und bleibt ehrenamtlich. Gelingt es uns, nicht nur unsere vielen Mitglieder – ob alt oder jung, ob neu oder schon länger dabei – in unseren Wahlkampf einzubinden, gelingt es uns, so viele Aktive wie möglich auf die Straße zu bringen, kann uns ein kraftvoller, ein lebendiger Bundestagswahlkampf gelingen. Und DIE LINKE kann gestärkt aus dem Wahlkampf hervorgehen. Neulich, auf einer Kreiswahlversammlung, hat ein Kandidat für den Direktwahlkreis etwas Bemerkenswertes gesagt: Die Leidenschaft ist zurück in der Politik. Ich finde, er hat Recht. Ich finde, es liegt nun an uns, diese Leidenschaft auch gegenüber den Wählerinnen und Wählern zu zeigen. Klar zu machen: Wir sind da, wir streiten für die sinnvollen, für die sozialen Lösungen. Und: Wir setzen auf Hoffnung statt auf Angst. Und genau das macht den Unterschied.
Sachsens Linke! 01-02/2017
Meinungen
Kann die Linkspartei historisch versagen? (Zu: Wulf Gallert: “Macht oder Ohnmacht der Linken“, nd 27. Dezember 2016) Ja, die Linkspartei kann historisch im Hinblick auf die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie versagen – vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklungen. Was kann sie aus der Geschichte lernen? Einiges. Als die KPD in den zwanziger Jahren nicht nur die wirklichen Faschisten der NSDAP, sondern auch die vermeintlichen „Sozialfaschisten“ der SPD bekämpfte, hat die KPD ein politisches Bündnis auch in einer Koalitionsregierung mit der SPD verunmöglicht. Freilich ohne die Verhältnisse in den zwanziger Jahren mit den heutigen Verhältnissen gleichsetzen zu wollen. Dennoch sind historische Analogien ein bewährtes methodisches Instrument in der Geschichtswissenschaft, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrungen fände ich es geradezu fahrlässig, im Bundestagswahlkampf auf eine
Machtoption zur Regierungsbeteiligung zu verzichten – nicht allerdings als Lagerwahlkampf. Und das geht. Es muss nur vernünftig kommuniziert werden und könnte der Wahlbevölkerung auch Hoffnung machen. Hoffnung ist eine positiv besetzte Empfindung, die gegen den Hass und die Menschenverachtung der Rechten wirken kann. Ob es zu einer Regierungsbeteiligung bei entsprechenden Wahlergebnissen reichen wird, kann nur der Souverän „Wahlvolk“ entscheiden. Aber auf diese Eventualität muss sich die Linkspartei vorbereiten. So richtig es für die PDS in den neunziger Jahren im Wahlkampf war, auf die Losung „Veränderung beginnt mit Opposition“ zu setzen, so falsch kann es nach mehr als 20 Jahren sein, sich dauerhaft mit der Oppositionsrolle zufrieden zu geben. Die Partei kann sich auch in einer dauerhaften Oppositionsrolle verschleißen und letztlich überflüssig machen. Und darin gebe ich Wulf Gallert völlig Recht, der diesen Zustand mit Ohnmacht beschreibt.
Seite 2 Was könnte die Linkspartei mit einer Regierungsbeteiligung befördern? Sie könnte mit SPD und Grünen den Abschied von einer neoliberalen Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik im wirtschaftlich stärksten Land der EU einleiten und damit auf andere Länder einwirken. Sie könnte die sozialen Sicherungssysteme armutsfest machen und den Übergang zu einer solidarischen Bürgerversicherung in der Krankenversicherung einführen – wie das auch Christoph Butterwegge für möglich hält. In der Außen- und Sicherheitspolitik sehe ich allerdings die größten Hürden für ein künftiges Regierungsbündnis. Denn seit dem Fiasko des Münsteraner Parteitages 2000 hat die Partei wenig Anstrengungen unternommen, um ihre Grundsatzpositionen angesichts der Konflikte, Kriege und Terrorbedrohungen von wirklichkeitsfremden Illusionen zu befreien und auf realistische Grundlagen zu stellen, ohne die Ideale von Frieden, Völkerverständigung und die Durchsetzung von Menschen- wie Bürgerrechten preiszugeben. Mehr Dialektik im strategischen Denken und mehr politische Pragmatik sind angebracht! Denn Politik ist die Kunst des Möglichen und nicht des Wünschenswerten! Dr. Monika Runge (MdL 1994 – 2014), Leipzig
niederen Motiven. Bezahlen müssen die Abgeschobenen in der nach vor nicht stillgelegten Blutmühle Afghanistan. Man kann es nicht oft genug betonen, die Sicherheitslage dort hat sich bis heute nicht verbessert, der Eingriff der unheiligen Militärallianz u. a. von NATO-Armeen hat die Situation eher verschärft. Dies berichteten vielfach zahlreiche Hilfsorganisationen. Wenn bei ihren Projekten Militär aufkreuzte, animierte das die Taliban erst recht zu ihren abscheulichen Zerstörungswerken. In dieser Situation freut sich der bayerische Innenminister, denn acht abgeschobene Afghanen durfte Joachim Herrmann (CSU) „abbuchen“. Sein Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) freut sich auf mehr solcher Abschiebungen. Was da geschieht, ist nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten indiskutabel, sondern jeder christliche Blickwinkel ist da verloren gegangen. Er wurde auf dem Altar der Macht geopfert, aus Angst vor der zunehmend rechtsradikal auftretenden AfD, und derselben zehn Tage vor Weihnachten auf ihren völkischen Gabentisch gelegt. Schon einmal glaubten Konservative, wenn sie nur die Forderungen von Rechtsradikalen erfüllten, könnten sie sie beherrschen. Es ist bekannt, wer am Ende herrschte (heute kann man auch die SPD mit Anteil an den schäbigen Asylrechtsverschärfungen nicht von dieser Kritik ausnehmen). Mit ein bisschen politischer Bildung wüsste man das. Historische Bildung würde geschichtsvergessene Entscheidungen vielleicht nicht immer verhindern, sie jedoch erschweren. Maßgeblich verantwortlich für diese Abschiebungen ist heute Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Er stammt aus einer Hugenottenfamilie, die im 17. Jahrhundert vor der Verfolgung durch französische Behörden aus Metz nach Brandenburg floh. Mit seiner Familie kamen auf Grundlage des Potsdamer Toleranzedikts (erlassen von Friedrich Wilhelm von Brandenburg, 1865) etwa 20.000 Menschen nach Brandenburg, die erheblich zur wirtschaftlichen Stärkung des Landes beitrugen. Haben Herr Minister seine eigene Flüchtlingsgeschichte vergessen? René Lindenau, Cottbus
Ein Hauptschwerpunkt war nochmals der Finanzplan 2017, der dann auch gemeinsam mit den Plänen der Kreisverbände auf dem kleinen Parteitag beschlossen wurde. Zwei Anträge auf ein separates Wahlkampfbudget für LAGs wurden hingegen abgelehnt. Einen breiten Raum nahm die Diskussion mit unseren Parteivorstandsmitgliedern und der Vorsitzenden ein. Wesentlicher Inhalt hier, wie konnte es anders sein, waren natürlich die Wahl 2017 und die Entscheidungen dazu im PV. Es ging um die Art und Weise der Festlegungen zum Spitzenteam unserer Partei, über die erst im zweiten Anlauf beschlossene Wahlstrategie und auch um Gregors Wahl zum Chef der Europäischen Linken. Und natürlich spielte der Wahlkampf 2017 im Landesvorstand eine erhebliche Rolle, speziell die konkreten Methoden und Aktionsformen sowie die Arbeit des Wahlplenums. Der LV beschloss hier die Entwicklung einer Wahlkampf-App. Weitere Themen der Dezembersitzung waren: der Antrag aus Sachsen zum Online-Mitgliederentscheid; der Stellenplan des Landesvorstandes; die mögliche Geldanlage Sachsens in unserer parteinahen Immobilien GmbH Vulkan. Im Januar ging es neben dem Wahlkampf unter anderem um die durchweg positiv eingeschätzte Mitgliederentwicklung im Landesverband und in der linksjugend. Intensiv wurde über das von der LAG Asyl und Migration eingebrachte Grundsatzpapier „Für eine offene und menschliche Gesellschaft“ diskutiert, im dem es um eine geschlossene Position unserer Partei zum Thema Migration und Integration ging. Dabei muss man nicht immer schon auf alle Fragen eine Antwort haben, aber man sollte sich über die Richtung einig sein. Und man war sich einig: Dieses Papier ist notwendig und wichtig und muss nunmehr auf allen Ebenen mit Leben erfüllt werden. Auch in der Landtagsfraktion. Bernd Spolwig
Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Exp. gedruckt.
Ralf Richter, Stathis Soudias.
Redaktionsschluss 25.01.2017
Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.
Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.03.2017.
Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720
Asyl ist Menschenrecht, ... möchte man meinen. Nicht aber in deutschen Breitengraden, fürchte ich. So verlogen, inhuman und heuchlerisch wie amtierende Regierungspolitiker von der SPD bis hin zur Union, insbesondere der CSU sind, machten sie den 14. Dezember 2016 zum schwarzen Tag, indem sie mit der Abschiebung afghanischer Kriegsflüchtlinge begannen. Menschen, die – Schutz suchend in Deutschland – ihrem von Krieg und Terror zerrütteten und zerstörten Land entkamen, werden von nun an dorthin abgeschoben: Afghanistan gilt als sicheres Herkunftsland!? Unter Juristen nennt man das wohl Beihilfe zum Mord! Es ist alles so unfassbar, macht wütend und traurig. Dabei könnten sie es besser wissen, sollten sie und sie wissen es auch, was die Sache noch schlimmer macht. Die Bundesregierung handelt aus billigen wie
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Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.
Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,
Das Neueste aus dem Landesvorstand Dezember 2016 / Januar 2017
01-02/2017 Sachsens Linke!
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Einmal Stasi, immer Stasi? Der Fall Andrej Holm Fall der Mauer und das Ende des MfS dem nach nur viereinhalb Monaten ein Ende setzten – zum Glück, wie Holm selbst sagt. Seitdem sind 27 Jahre vergangen, die weitaus längere Zeit in seinem Leben, in der er es – der Kreis schließt sich – zum allgemein erkannten Stadtsoziologen und Gentrifizierungskritiker gebracht
nes Jugendlichen vor 27 Jahren. Sogar Straftaten verjähren, Betrug beispielsweise nach fünf Jahren oder bewaffneter Raub nach 20. Doch hier kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Geschichte ist nicht einfach Geschichte. Offizielle Erinnerung ist ein politisches Machtinstrument. Sie kann zur Legitimation oder Delegitimation ganzer
aus allen Rohren gegen „StasiHolm“, die Berliner Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD standen ihnen in nichts nach, und natürlich musste man auf den unvermeidlichen Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, in seinem Hass gegen alles, was von der LINKEN kommt, nicht lange warten.
hat. Mit seiner Geschichte war Holm im eigenen Umkreis und seit einem taz-Interview 2007 auch öffentlich stets offen und selbstkritisch umgegangen. Diese kurze Stasi-Geschichte eines Jugendlichen vor 27 Jahren hätte gut als das behandelt werden können, was sie ist: Eine kurze Stasi-Geschichte ei-
Staaten oder Utopien dienen. Davon zeugt unter anderem die Ostdeutsche Vor- wie Nachwendegeschichte. Und die herrschende Geschichtserzählung kann auch ganz konkret gegen den Exponenten einer linken Wohnungspolitik in Stellung gebracht werden. So schossen einige Berliner Medien schnell
Wie dünn der Stasi-Vorwurf war, muss selbst Holms Gegnern bewusst gewesen sein, denn als herauskam, dass Holm im Fragebogen zur Einstellung an der Humboldtuniversität 2005 angegeben hatte, nicht Hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS gewesen zu sein, konzentrierten sich die Angrif-
fe plötzlich auf den Vorwurf der Lüge. Holm selbst beteuerte, nicht gewusst zu haben, dass er in den viereinhalb Monaten als Offiziersschüler schon als Hauptamtlicher geführt wurde. Generell und erst recht nach 27 Jahren ist das denkbar. Doch wer bei der Stasi war, und sei es als Heranwachsender, dem wird nicht geglaubt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war zu spüren, dass der Rückhalt in der rotrotgrünen Koalition für Holm sank. Insbesondere der Regierende Bürgermeister Müller, SPD, ließ deutlich durchblicken, dass er Holm gerne los wäre. Die Berliner LINKE hielt jedoch an Holm als Experten auf dem politisch wichtigen Gebiet Wohnen fest. Grotesk wurde das Ende der Inszenierung. Nachdem DIE LINKE als Reaktion auf üble Attacken von CDU, FDP und AfD gegen Holm im Parlament ein gemeinsames Bekenntnis der Koalitionspartner zu Holm gefordert hatte, verkündete der Regierende, ihn entlassen zu wollen. Die Begründung war neu: Er habe die Chance, sich kritisch mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen, in den Wochen zuvor nicht genutzt. Ob dies das wahre Motiv ist, darf bezweifelt werden. Das Urteil im Fall Holm scheint von Anfang an festgestanden zu haben: lebenslänglich. Einmal Stasi, immer Stasi. Dahinter aber standen handfeste politische Interessen. Deshalb durfte auch über 27 Jahre nach Mauerfall nicht differenziert werden. Es gibt Vergangenheit, die nicht vergehen darf – und wenn sie nur viereinhalb Monate lang war. Michael Leutert
kultur, „eine Mischung aus gesinnungsethisch aufgeladener Irrationalität, politischer Infantilität und Parteienkalkül“, entpuppt sich folglich als ein „soziales Großexperiment“ zur Abschaffung Deutschlands, um einen bekannten Sozialdemokraten und Bruder im Geiste Fritzes zu zitieren. Mit ihren „Weltverbesserungsideen“ zur „radikalen Überwindung des Hergebrachten und Bestehenden“ verstoße die herrschende Politik gegen den antitotalitären Grundkonsens der Bundesrepublik. Um das totalitäre Projekt der „politisch-medialen Klasse“ zu stoppen, plädiert Fritze für eine „Änderung der Herrschaftsverhältnisse“. Das könne durch ein entsprechendes Wählervotum geschehen. Einzig hierin, im Plädoyer für die Abwahl der herrschenden Politik, unterscheidet sich die
akademische Rechte, wie sie Lothar Fritze vertritt, von der militanten Rechten. Ansonsten begeht der professorale Biedermann mit seinem Zeitungsbeitrag geistige Brandstiftung. Wie groß die Übereinstimmung mit der militanten Rechten ist, belegt eine Passage aus der Rede von Holger Apfel, dem Fraktionsvorsitzenden der NPD, vom November 2004 im Sächsischen Landtag: „Multikulti..., der famose Gegenentwurf zum Nationalstaat, zur ethnischen Homogenität... Über Jahrzehnte haben Sie keine Gelegenheit ausgelassen, die Fundamente unserer Gesellschaft auszuhöhlen. Über Jahrzehnte haben Sie die Schleusen der Überfremdung geöffnet, wo sie nur konnten. Nun wundern Sie sich allen Ernstes, dass wir über Terrorismus sprechen müssen?“ Jochen Mattern
Bild: Nikolas Tosse
„Die Vergangenheit ist nicht tot – sie ist nicht einmal vergangen“, schrieb einst William Falkner. Mit Blick auf die Ereignisse im Land Berlin kaum einen Monat nach dem Start der rotrotgrünen Koalition möchte man bitter ergänzen: Manchmal soll sie auch nicht vergehen. Was ist geschehen? Bei der Bildung des rotrotgrünen Senats hat die LINKE Senatorin für Bauen und Stadtentwicklung, Katrin Lompscher, den 46jährigen parteilosen Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm zu ihrem Staatssekretär gemacht – ein echter Coup. Holm ist nicht nur als entschiedener linker Kritiker eines nur auf Profitinteressen ausgerichteten Wohnungsmarktes und der entsprechenden Politik dahinter bekannt. Zugleich gilt er als der wohl kompetenteste Experte für eine soziale Wohnungspolitik und ist eng mit wohnungspolitischen Initiativen vernetzt. Seine Ernennung war eine klare Ansage: DIE LINKE meint es ernst. Dass dies nicht allen in Berlin passen würde, war klar. Und schon bald wurde öffentlich ein Vorwurf erhoben, der in diesem Land offenbar immer noch ausreicht, um jeden genaueren Blick zu verweigern: Stasi! Zu den Fakten: Aus einer Familie mit antifaschistischer Vergangenheit und Beziehung zum MfS stammend, hatte Andrej bereits 1985 mit 14 Jahren seine Bereitschaft bekundet, später als Hauptamtlicher Mitarbeiter zum MfS zu gehen. Im September 1989 begann seine Ausbildung zum Offizier der Staatssicherheit, bevor der
Die akademische Rechte Nur wenige Tage nach der Wahl des Wortes „Volksverräter“ zum Unwort des Jahres 2016 konnten die Leser der Sächsischen Zeitung entnehmen, weshalb das Unwort, ungeachtet seiner zweifelhaften historischen Herkunft, in den öffentlichen Sprachgebrauch zurückgekehrt ist. In einer als Essay bezeichneten Anklageschrift mit dem Titel „Der böse gute Wille“ bezichtigt deren Autor die „politisch-mediale Klasse“ hierzulande, Verrat am deutschen Volk zu begehen. Zwar nicht im Wortlaut, denn das Unwort taucht in dem Zeitungsbeitrag nicht auf, doch dem Sinn nach. Bei dem Ankläger handelt es sich um Lothar Fritze, einen Philosophen und Politikwissenschaftler; Fritze lehrt an der TU Chemnitz und ist Mitarbeiter am Hannah-ArendtInstitut für Totalitarismusfor-
schung in Dresden. Einem größeren Publikum bekannt geworden ist der Professor mit einem umstrittenen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1999. In der Frankfurter Rundschau sprach er aus Anlass des 60. Jahrestages des Bürgerbräukeller-Attentats auf Hitler dem Attentäter Johann Georg Elser das moralische Recht ab, Hitler mit einer selbstgebauten Bombe zu töten. Im HannahArendt-Institut hatte der Artikel eine heftige Auseinandersetzung ausgelöst, in deren Ergebnis der Direktor des Instituts, ein Kritiker Fritzes, in handstreichartiger Form von seinen Gegnern abgesetzt worden war. Im aktuellen Artikel für die Sächsische Zeitung diagnostiziert Lothar Fritze einen Kulturkampf, in dem der „Fortbestand des deutschen Volkes und des deutschen National-
staates“ auf dem Spiel steht. Die Bundespolitik, deren Aufgabe es ist, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, verfolge mit ihrer Asyl- und Flüchtlingspolitik das Gegenteil. Statt die „nationalen Beharrungskräfte“ zu stärken, wie es ihre Aufgabe wäre, strebe die herrschende Politik, laut Fritze, eine „ethnische und kulturelle Durchmischung“ der Deutschen an, sprich eine multikulturelle Gesellschaft. Langfristig habe der „Bevölkerungsumtausch“, der sich gegenwärtig im Land vollziehe, die Schaffung einer „ethnisch und kulturell unifizierten Weltgesellschaft von Gleichen“ zum Ziel. In der nivellierten Weltgesellschaft wäre jede kulturelle Besonderheit bzw. völkische Eigenart getilgt – auch die „nationale Identität und kulturelle Homogenität“ der Deutschen. Die sogenannte Willkommens-
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DIE LINKE im Erzgebirge
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Vorbereitung auf den Wahlkampf Hoffnung vermitteln – im Erzgebirge. Wir haben das niedrigste Durchschnittseinkommen bundesweit, deshalb noch immer mit dem Problem der Abwanderung zu kämpfen. Geringverdiener können von ihrem Einkommen kaum leben. Strukturell wird Jahr um Jahr abgebaut, sei es bei Kitas, Schulen, beim Öffentlichen Personennahverkehr. Auf der anderen Seite besitzen einige wenige so viel, dass es fast schon unverschämt ist. Wir kämpfen nicht für Reförmchen, sondern wir treten an, um Missstände grundlegend zu bekämpfen. Wir haben hier im Erzgebirge viele Anknüpfungspunkte. Es geht um nicht weniger als um ein gerechteres Leben für alle, um Lebensplanungs-
sicherheit. Zu erreichen ist dies nur durch konsequente Umverteilung – und wenn Politik wieder beginnt, vom Menschen und seinen Bedürfnissen her zu denken. Wir werden im Bundestagswahlkampf vor Ort sein, uns Diskussionen stellen und unsere Ideen werben – hoffnungsvoll, alltagsbezogen, engagiert und mit neuen Ideen. Dabei stehen nicht vermeintlich einfache Lösungen im Mittelpunkt, sondern das, was möglich und für eine gesunde Gesellschaft nötig ist. Beide Stimmen für DIE LINKE sind immer auch linker Protest gegen herrschende Politik und dabei die einzig verlässliche Wahl, weil wir uns auch nach dem Wahltag nicht verbiegen.“ Antje Feiks
Bild: Martin Heinlein / CC BY 2.0
Die Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus. Im Rahmen einer Klausur des Kreisvorstandes unter Hinzuziehung der AG Zukunft legte DIE LINKE im Erzgebirge erste Grundsteine für den Wahlkampf. Der wird einer der härtesten seit der Wiedervereinigung, da unsere Demokratie mehr gefährdet ist denn je, Rechtspopulismus auf dem Vormarsch ist, eine europaweite Tendenz des Rückzugs in die Nationalstaaten spürbar ist, Solidarität und sozialer Zusammenhalt schwinden. Auch das gesellschaftliche Klima, die Härte und Häufigkeit von Anfeindungen gegenüber uns LINKEN mehren sich. Das alles sind Ergebnisse radikaler Kürzungspolitik der letzten Jahre, der Agenda 2010, wachsender Ungleichheit in der Gesellschaft. Deshalb haben wir als LINKE keine geringere Aufgabe als die, den Menschen Hoffnung zu machen. Gemäß der Bundeswahlstrategie der LINKEN lautet unser Anspruch: „Hoffnung statt Angst“, denn eine andere Gesellschaft ist möglich. Dazu Kreisvorsitzender Klaus Tischendorf: „Es gibt kaum einen anderen Landkreis, in dem man die Widersprüchlichkeit der Gesellschaft so deutlich sieht wie
Den zweiten Platz verteidigen
Am 3. Dezember kamen Mitglieder und Interessierte zum zweiten U40-Vernetzungstreffen der Linken im Erzgebirge zusammen. Gemeinsam beschäftigen sich die Teilnehmer mit der Bundestagswahl 2017. Der Direktkandidat des Wahlkreises Erzgebirge I, Klaus Tischendorf, erläuterte seine Vorstellungen für den Wahlkampf. So würde er gern die Bereiche Gesundheit, Bildung, Alter und Infrastruktur thematisieren. Er rechnet mit einer höheren Wahlbeteiligung als beim letzten Mal, wobei er vermutet, dass ein großer Teil der Nichtwähler die AfD wäh-
len wird. Daher gelte es, den guten zweiten Platz hauptsächlich gegen die AfD zu verteidigen. Klaus sieht in der Zusammenarbeit mit SPD und Grünen eine Chance, die wir nutzen sollten. Rot-Rot-Grün müsse bereits im Wahlkampf erlebbar sein. Des Weiteren stellte er fest, dass die Menschen im Erzgebirge anders angesprochen werden müssen als die in den großen Städten. Es müsste darum gehen, die Stammtische zurückzugewinnen und auch die Erfahrungen der Älteren zu nutzen. Gemeinsam wurde überlegt, wie sich die Jugend in den
Wahlkampf einbringen kann. Gleich zu Beginn einigten sich die Teilnehmer, dass sie den Wahlkampf mit kreativen Projekten begleiten und jüngere Wähler direkt ansprechen wollen. Bei der Überlegung, wo diese Zielgruppe am besten erreicht werden kann, wurde das Potential von Wahlkampf auf Festivals und anderen Veranstaltungen erkannt. Stück für Stück kam eine Sammlung von Events zusammen, bei denen man vertreten sein möchte. Mit diesen Ideen wurde das Treffen mit einem positiven Ergebnis beendet. Tobias Wetzel
Partei ergreifen Am 16. Januar versammelten sich Mitglieder der Partei DIE LINKE aus den Kreisverbänden Erzgebirge, Mittelsachsen und Zwickau in der „Parkschänke“ in Limbach-Oberfrohna, um im Wahlkreis 163 (Chemnitzer Umland - Erzgebirgskreis II) ihren Kandidaten für die Bundestagswahl 2017 zu nominieren. In seiner Rede zur Eröffnung sprach der Landesvorsitzende Rico Gebhardt zu aktuellen politischen Themen und machte deutlich, dass uns in diesem Jahr der wohl härteste Wahlkampf seit 1990 bevorsteht. Sandro Tröger, Kreisvorsitzender in Zwickau, unterbreitete dann im Namen aller drei Vorstände den Vorschlag, Jörn Wunderlich erneut als Direktkandidaten aufzustellen. Anschließend sprach Jörn über seine Arbeit in Berlin, in seinem Wahlkreis sowie in der Region und legte damit auch Rechenschaft über die Zeit seit 2013 ab. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland, den Sorgen und Ängsten vieler Menschen sagte Jörn, dass es mehr als je zuvor darum gehen muss, alle Menschen am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu lassen und für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören, die Probleme ehrlich anzusprechen, Wege aufzuzeigen, um damit Hoffnung zu vermitteln. Und es geht darum, Partei zu ergreifen für die Mehrheit des Volkes.
In der Diskussion sprachen Genossinnen und Genossen der Kreistage Zwickau und Erzgebirge, der Stadtratsfraktion in Hohenstein-Ernstthal sowie aus den Ortsverbänden in Rochlitz und Burgstädt. Alle dankten Jörn für seine Geradlinigkeit, Ehrlichkeit, Sachkompetenz und Tätigkeit im Wahlkreis und Unterstützung der Partei vor Ort. So unterhält Jörn drei Wahlkreisbüros in Rochlitz, Limbach-Oberfrohna und Stollberg. Die Junge LINKE bedankte sich bei Jörn für die vielfältige Unterstützung und Förderung und versprach, ihn in seinem Wahlkampf zu unterstützen. Im Ergebnis der Wahl wurde Jörn Wunderlich mit 98,4 % der Stimmen zum nunmehr dritten Mal in diesem Wahlkreis als Direktkandidat aufgestellt. Die „Internationale“ beendete die Mitgliederversammlung, die auch durch die gute technische Unterstützung der Landesgeschäftsstelle ein Erfolg war. Andreas Salzwedel
Kurz gemeldet Mit einer Gegenstimme nahm der Kreistag unser en Antrag zum Nahverkehrsplan an (SachsensLinke! vom Dezember). Vielleicht haben nun einige Nahverkehrsinteressierte Lust auf die Mitarbeit in einer AG. Bitte meldet euch bei euren LINKEN Kreisräten in der Region! *** Bis Ende 2016 sollte ein neues Schulgesetz beschlossen werden. Nun hat die CDU-
SPD-Koalition die Verabschiedung verschoben. In Vorbereitung weiterer Debatten nicht nur im Landtag wollen sich LINKE Landtagsabgeordnete mit allen Interessierten weiter über den aktuellen Stand und die derzeitige Unterrichtssituation im Erzgebirgskreis verständigen. Wir laden deshalb herzlich ein zum nächsten Bildungspolitischen Stammtisch in unserem Landkreis (Anzeige oben)!
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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau
01-02/2017 Sachsens Linke!
Kreistag Zwickau vertagt Zuckerplätzchen Am 7. Dezember 2016, einen Tag nach dem Nikolaustag, wurde im Kreistag Zwickau der Haushalt 2017 beschlossen. In einem Kindergedicht heißt es fröhlich: „Niklaus, komm in unser Haus, pack deine große Tasche aus. Stell den Schimmel untern Tisch, dass er Heu und Hafer frisst. Heu und Hafer frisst er nicht, Zuckerplätzchen kriegt er nicht.“ Zuckerplätzchen gab es – vergleichsweise –- für die Eltern schulpflichtiger Kinder in dieser Kreistagssitzung noch nicht, als die große Tasche Haushaltsplan ausgepackt wurde. Ein Antrag unserer Fraktion, Erziehungsberechtigte bei den Eigenanteilen an den Schülerbeförderungskosten zu entlasten, wurde zur Beratung an die Fachausschüsse zurück verwiesen. Das eigentliche Ziel – eine für Eltern kostenfreie Schülerbeförderung in Sachsen – liegt ohnehin nicht in Verantwortung der Landkreise, sondern in der des Landtages in Dres-
den. Doch weder im Schulgesetz noch im Doppelhaushalt ist eine Änderung auf Landebene zu entdecken. Ein Blick in andere Bundesländer aber zeigt: Es ist keine überzogene Forderung nach zu viel Hafer, und am fehlen den Heu
kann e s a u c h nicht liegen! Sachsen hatte 2016 über 770 Millionen Euro mehr in der Kasse. Bedenkt man dann noch, dass der Freistaat seit 2011 etwa 4,4 Milliarden Euro mehr Einnahmen
erzielt hat als geplant, ist die Frage nach Heu, Hafer oder Zuckerplätzchen beantwortet. In weiteren Änderungsanträgen zum Kreishaushalt wurden zusätzliche Mittel für Projekte der Jugend hilfe und de ren
Übernahme in die Regelfinanzie rung sowie mehr Engagement im Naturschutz durch Errichtung und Betrieb einer Naturschutzstation im Landkreis beschlossen. Insgesamt hat der Haus-
halt des Landkreises Zwickau ein Volumen von 377 Millionen Euro. Kurios ist die Entwicklung der Kreisumlage. Sie sollte nicht steigen, wurde aber nun um 0,58 % auf 33,41 % erhöht. Damit generiert der Landkreis seinen Anteil von Bundesmitteln an Städte und Gemeinden (Umsatzsteuerbeteiligung) für Leistungen, die zur Hälfte durch den Landkreis erbracht wurden. Fazit: Es bleibt unter den gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen für den Landkreis Zwickau eine große Herausforderung, seine Aufgaben, wie im sozialen Bereich die Integration von Asylbewerbern und ausländischen Flüchtlingen oder in der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur zu erfüllen, sondern auszufüllen. Die nächsten Monate werden zeigen, wie gut der beschlossene Haushalt ist. Oder anders gesagt: wieviel Spreu unterm Hafer sein mag. Fraktion DIE LINKE im Kreistag Zwickau
DIE LINKE. Zwickau nominiert Sabine Zimmermann als Direktkandidatin im Wahlkreis 153 zur Bundestagswahl Am 28. Januar 2017 traten die Genossinnen und Genossen des Kreisverbandes Zwickau in der Glauchauer Sachsenlandhalle zusammen, um die Direktkandidatin im Wahlkreis 153 zur Bundestagwahl zu nominieren. Die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann, die seit 2005 im Parlament sitzt, bewarb sich erneut und machte in ihrer Bewerbungsrede deutlich, wie wichtig der Kampf um soziale Gerechtigkeit ist. Gerade in den neuen Ländern verdienen die Menschen noch immer über 20 Prozent weniger als die Kolleginnen und Kollegen in den alten Bundesländern. Diese Billiglohnlandmentalität in den neuen Bundesländern, im Osten Deutschlands ist neben den gebrochenen Arbeitsbio-
Termin „Verbot oder Legalisierung – Wie muss zeitgemäße Drogenpolitik aussehen?“ Diskussionsveranstaltung mit Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag 7. Februar 2017, 18 Uhr, Aktiv ab 50 e. V., Kopernikusstraße 7, Zwickau (barrierefrei)
grafien nach der Wende wesentlicher Grund für Altersarmut, die in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Wie es besser gehen kann, machte Sabine Zimmermann am Beispiel Österreich deutlich. In unserem Nachbarland
zahlen alle in die gleiche Rentenkasse ein, wobei Arbeitgeber einen größeren Anteil leisten als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch der Landesvorsitzende der LINKEN, Rico Gebhardt, verwies gleich am Anfang der
Versammlung darauf, dass man in der Euphorie der Gründung einer gesamtdeutschen LINKEN im Jahre 2007 die Unterschiede zwischen Ost und West und somit die besonderen Herausforderungen der Menschen in Ostdeutschland etwas aus den Augen verloren habe. Dies müsse sich ändern, denn im 26. Jahr nach der Wiedervereinigung ist es schlicht ein Unding, dass die Menschen im Osten weniger verdienen als im Westen und auch die Renten im Osten niedriger sind als im Westen. Sabine Zimmermann wird auch weiterhin für mehr soziale Gerechtigkeit streiten. Dafür erhielt sie ein eindeutiges Votum der Genossinnen und Genossen in der Sachsenlandhalle, die sie mit 97,6 % zur Direktkandidatin bestimmten.
Der Frauentag naht: Jetzt anmelden! Wie in den letzten Jahren sollen zum Frauentag am 8. März wieder kleine Blumensträuße gebunden und mit einem roten Fähnchen versehen werden. Um die notwendige Vorarbeit zu erledigen, treffen wir uns alle am 7. März 2017 ab 14.00 Uhr in der Kreisgeschäftsstelle (Zwickau Leipziger Straße 14). Jede und jeder kann mitmachen und sich die Sträuße,
die sie oder er zum Verteilen braucht, mitnehmen. Diejenigen, die übrig bleiben, werden wieder von der Jugend in der Stadt Zwickau verteilt. Ihr sollt natürlich nicht nur zum Arbeiten vorbeischauen. Sicher findet auch wieder ein reger Austausch zwischen Jung und Jünger sowie zwischen den Basisgruppen statt. Auch ein Kaffee ist noch drin.
In den letzten Jahren haben wir 500 bunte Grüße verteilt. Vielleicht werden es dieses Jahr noch mehr. Daher meldet euch doch bitte bei der Kreisgeschäftsstelle an. Damit ich alles planen und vorbereiten kann, muss ich wissen, wie viele Leute kommen und wie viele Blumen in die Orte mitgenommen werden. Ich danke euch schon jetzt sehr herzlich! Sascha Wünsch
Kurz gemeldet Crimmitschau zeigt Herz Im Dezember gab es gleich mehrere Aktionen der Bürgerinitiative „Crimmitschau zeigt Herz“, zu deren Unterstützern auch Mitglieder aus dem Ortsverband DIE LINKE. Crimmitschau gehören. Eislaufen, Theatervorstellung für Kinder und jetzt jüngst ein Blick hinter die Kulissen des Crimmitschauer Theaters konnten die Kinder von Geflüchteten dank des Engagements der BI erleben. Mehr: gleft. de/1Av LL-Ehrung Zwickau Die Zwickauer Kreisverbände von DIE LINKE und SPD hatten auch dieses Jahr gemeinsam zur Ehrung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufgerufen, der wieder mehr als 60 Menschen gefolgt waren. Sabine Zimmermann, Oberbürgermeisterin Pia Findeiß und MdL Mario Pecher (beide SPD) würdigten in ihren Redebeiträgen den Einsatz der beiden für soziale Gerechtigkeit und Freiheit. Mehr: gleft.de/1As DIE LINKE. Crimmitschau nominiert OB-Kandidat Am 21. Januar 2017 nominierte der Ortsverband Crimmitschau den 25-jährigen Kevin Scheibel als ihren Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl. Kinder- und Jugendarbeit in der Stadt sowie eine Verbesserung der BürgerInnenbeteiligung sind für ihn wichtige Themen. Mehr: gleft.de/1At Jahresauftakt im politiKKontor Am 12. Januar 2017 fand im politiKKontor in Kirchberg der Jahresauftakt statt. Neben einem kurzen Rückblick auf das ereignisreiche Vorjahr und einer interessanten Diskussion gab es auch einen Ausblick auf die diesjährigen Vorhaben. Es wird u. a. verschiedene Thementage zur Renten- und Ostpolitik, zur Pflege- und Gesundheitspolitik, zum Rettungswesen und Kultur geben. Ein Höhepunkt wird sicher das für den 20. Mai geplante Kinderfest in Wilkau-Haßlau. Ein spannendes Jahr liegt vor uns. Wir freuen uns darauf und auf Euch! gleft. de/1Au
Sachsens Linke! 01-02/2017
DIE LINKE. Kreisverband Meißen
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LINKS bewegt: Sofortmaßnahme Tonnagebegrenzung! Wer über die Staatsstraße 177 nach Meißen will, kann sein blaues Wunder erleben. Die Haarnadelkurve sorgt seit langem nicht nur für Unmut, son-
dern sie ist eine Gefahr für Ordnung und Sicherheit. Anwohner, Brummifahrer, Feuerwehr und Rettungskräfte sind sich einig: So kann es nicht
weitergehen. Angeschoben durch Kommunalpolitiker der LINKEN scheint nun Bewegung in die Sache zu kommen. Nach langen Diskussionen
Brennpunkt ländlicher Raum „In der Konstellation sind wir lange nicht mehr zusammenkommen“, war die einhellige Meinung. Trotz Kälte und Glätte trafen sich Genossinnen und Genossen sowie parteilose Mandatsträger der LINKEN aus den Ortsverbänden Riesa, Großenhain, Nünchritz, Gröditz und Stauchitz zu einer gemeinsamen Mitgliederversammlung in der Nünchritzer WackerSporthalle. Anlass war eine Diskussionsrunde zum Alternativen Entwicklungsprogramm für Sachsen (Aleksa), das die Linksfraktion im Landtag vorbereitet. Über 30 Interessenten, darunter Landtagsabgeordnete Kerstin Lauterbach und Kreistagsfraktionschefin Bärbel Heym, diskutierten über Probleme und Perspektiven in der Region und über Lösungsansätze bis 2030. Dr. Jana Pinka, Vorsitzende der
Steuerungsgruppe „Aleksa“, und ihr Fraktionskollege Enrico Stange erwiesen sich als kompetente Gesprächspartner und verstanden es sehr gut, die Teilnehmer einzubeziehen. So wurden aus den veranschlagten 90 Minuten schnell mehr als zwei Stunden. Redet man über die Perspektiven des ländlichen Raums, kommt man am Begriff „Mittelzentren“ nicht vorbei. Dieser umfasst die gesamte Aufgabenpalette von der Infrastruktur über den ÖPNV bis zur medizinischen Versorgung, der Daseinsfürsorge, um das Leben lebenswerter zu gestalten. Auch Querschnittsaufgaben wie eine moderne, den Ansprüchen gerecht werdende Familienpolitik gehören dazu. Die vielschichtigen Lösungsvorschläge wurden konkret erfasst und finden in der Diskussion und Erarbeitung
von Aleksa 2030 ihren Niederschlag. Weitere Schlaglichter der Diskussion seien genannt: Gütertransport von der Straße auf die Schiene; bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen und Mitbestimmung (mit dem Blick auf einen Bürgerhaushalt); Sicherung des ÖPNV mit dem Schwerpunkt Schülerbeförderung. Kreisgeschäftsführer Harald Kühne informierte über aktuelle Vorhaben im Kreisverband: 2. März, 18.00 Uhr, Mückenschenke Großenhain: Veranstaltung mit MdB Caren Lay 4. März, 10.00 Uhr: Gesamtmitgliederversammlung des Kreisverbandes Meißen 3.-8. April: Kampagnenwoche zum Pflegenotstand 16. Mai: öffentliche Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht in Meißen
Kurze Wege für kurze Beine statt Losverfahren! In Riesa werden seit mindestens 2007 (Grund)Schulstandorte geplant. Seit dem Sommer 2016 soll es losgehen. Planungskosten von etwa einer Million Euro schlugen bereits izu Buche. Das neue Konzept lässt wieder den Verdacht entstehen, dass Entscheidungen nicht im Sinne der Kinder und einer optimalen Bildung getroffen wurden. In dem Stadtgebiet, in dem die meisten Kinder leben und die meisten Kitas liegen, soll eine Grundschule geschlossen werden. In einem anderen Stadtgebiet, in dem die wenigsten Kinder leben und die wenigsten Kitas vorhanden sind, soll ein
Grundschulstandort erhalten bleiben bzw. ausgebaut werden. Damit das möglich wird, werden die Grundschulbezirke aufgehoben. Damit werden bald oft Lose über den Schulbesuchsort entscheiden. Kinder, die jetzt den Schulweg zu Fuß zurücklegen können, müssten den Bus benutzen, selbst wenn sie gegenüber einer Grundschule wohnen. Die Entscheidungsträger rühmen sich, durch die Schließung Kosten zu sparen. Ein Stadtentwicklungskonzept, das vorhanden ist, wird aber in die Planung gar nicht einbezogen. Nach dem Motto: Was kümmert uns unsere Planung von gestern?
Die hatte allerdings auch schon Kosten verursacht. Während das größte Entwicklungspotential einer Stadt gemeinhin im Zentrum zu sehen sind, gilt das für Riesa offenbar nicht. Stattdessen wird in die Peripherie investiert und gehofft, dass sich mehr Bürger dort niederlassen. Sollte das allerdings so sein, wären dort neue Einrichtungen wie Kindertagesstätten zu bauen, die vorhandenen Häuser im Zentrum müssten wohl wegen fehlenden Bedarfs schließen. Das sind Kostenpunkte, die bei der Entscheidung zum derzeitigen Konzept keine Rolle spielten. Das ist aus Sicht der LINKEN zu kurz gedacht.
und vielen Medienveröffentlichungen gelang es nun, Vertreter der Stadt, der Polizei, des Landesamts für Straßenbau und Verkehr und aus der Politik zu einer „Vor-Ort-Begehung“ zu bewegen (Foto). Das Wirtschaftsministerium fehlte trotz Einladung. Die Begehung hat gezeigt: Die Zustände am Plossen sind gefährlich und unhaltbar. Zwar gibt es auch dank des jahrelangen, beharrlichen Drängens vor allem des Meißener Stadt- und Kreisrates Andreas Graff (DIE LINKE) einige Erfolge. Die Straße ist beidseitig für Gefahrguttransporte gesperrt und mit Schildern „LKW 2. Gang“ sowie einem Spiegel versehen. Allerdings, so der für Meißen zuständige LINKENLandtagsabgeordnete Sebastian Scheel, ist es unerklärlich, dass die S177 an dieser Stelle
als Staatsstraße für den überörtlichen Verkehr gilt. Zwei normale 40-Tonnen-Sattelschlepper kommen dort nicht an einander vorbei, weshalb diese Straße für den Güterverkehr ungeeignet ist. Das hat auch das Landesamt erkannt und ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet, damit die Kurve ausgebaut wird. „Das begrüße ich. Allerdings werden bis zur Fertigstellung noch Jahre vergehen. Bis dahin führt aus unserer Sicht kein Weg an einer Tonnagebegrenzung vorbei“, so Scheel. Dringend notwendig sind auch Sofortmaßnahmen für Umleitungen und Maßnahmen, die gewährleisten, dass Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge entsprechend der gesetzlichen Frist bei Gefahr im Einzugsbereich des Plossen vor Ort sind. DIE LINKE bleibt dran!
Kurz gemeldet Gut Holz! Die Landtagsabgeordnete Kerstin Lauterbach traf sich mit den fünf Erstplatzierten des diesjährigen Kegelwettbewerbs des Seniorenzentrums „Helene Schmieder“ in Großenhain. Es ist schon eine langjährige Tradition, dass sie den Wettbewerb mit einem Wanderpokal unterstützt. „Geselligkeit und Sport sind sehr wichtig im Alter“, meint Lauterbach und versprach während einer lustigen Kaffeerunde, bald wieder vorbeizukommen. Kegelkönig in diesem Jahr wurde übrigens seit langer Zeit wieder einmal ein Mann: Karl-Heinz Melde. Dank an Ehrenamtliche An jedem Werktag ist unser Bürgerbüro für die Bürgerinnen und Bürger geöffnet. Kreis-und Stadträte sowie Kerstin Lauterbach führen hier Sprechstunden durch. Zu Hartz IV und Rente gibt es regelmäßig „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ohne Ehrenamtliche wäre das nicht zu schaffen. Mit einem Neujahrsabendbrot in der „Mücke“ sagte Kerstin Lauterbach Dankeschön. Arbeitsgespräche bei der ARGE in Riesa Ende Dezember nutzte der Landtagsabgeordnete Sebastian Scheel den Wahlkreistag zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der ARGE in Riesa, Steffen Leonhardi. Im Gespräch wurden Fragen
wie Rückgang der Arbeitslosenzahl, die Entwicklung der Arbeitslosenquote und die Problematik Langzeitarbeitslosigkeit erörtert. Einen wesentlichen Einflussfaktor für den Erhalt der Betriebe und Kleinunternehmen sahen die Gesprächspartner in der Bereitschaft und Möglichkeit der Unternehmen, höhere Löhne zu zahlen. Das Fehlen von Fachkräften macht sich auf dem Markt immer stärker bemerkbar. Wenn ein Unternehmen nicht mit guten Arbeitsbedingungen und guter Entlohnung aufwarten kann, scheint seine Existenz auf lange Sicht gefährdet. Bürgergespräche im Meißner Bürgerbüro Im Rahmen der Bürgersprechstunden traf sich Sebastian Scheel unter anderem mit Bürgern in Meißen. Unter anderem ging es um die Staatliche Porzellanmanufaktur und die Kirchenfinanzierung in Deutschland. Nicht selten finden Bürger den Weg in unser Bürgerbüro wegen öffentlicher Debatten, in denen Sebastian Scheel als Ansprechpartner erkannt wird. Neben diesen Gesprächen im Haus für Viele(s) und bei Bürgern finden auch Besuche in Institutionen statt. So nimmt Sebastian Scheel nicht selten Briefe von Betroffenen zum Anlass, um mit Ihnen über ihr Anliegen in einen persönlichen Austausch zu treten, so geschehen etwa im Geriatrischen Zentrum Radeburg.
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DIE LINKE. Kreisverband Bautzen
Bautzener LINKE in Berlin Selbstverständlich war auch die Bautzener LINKE bei der großen Liebknecht-LuxemburgEhrung am 15. Januar in Berlin vertreten. Wir legten Nelken für Karl und Rosa nieder, auch Heinrich Ruynat mit einer aktuellen Arbeit durfte nicht fehlen. Dann erlebten wir den Jahresauftakt der LINKEN im Filmtheater Kosmos. Dort sprachen Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Sahra Wagenknecht. Wieder umjubelt wurde die Spanierin Maite Mola, Vizepräsidentin der Europäischen Linkspartei. In Hochform waren auch Christoph Butterwegge, Kandidat der LINKEN für die Bundespräsidentenwahl, Bernd Riexinger und Oskar Lafontaine sowie Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender bei VW Braunschweig. Und wir kamen auch in den Genuss von Auftritten eines Frontsängers der türkischen Grup Yorum, des Liedermachers Heinz Rudolf Kunze und des Kabarettisten Reiner Kröhnert. Wir hoffen, dass ihr auch 2018 wieder dabei sein werdet!
01-02/2017 Sachsens Linke!
Provokationen gegen Russland beenden – Eskalation verhindern! Im Rahmen der NATO-Militäroperation „Atlantic Resolve“ werden mehr als 2500 Militärfahrzeugen für insgesamt 4000 Soldaten der US-Armee von Bremerhaven durch die Lausitz nach Polen verlegt. Als ich einen der NATO-Militärtransporte in der Lausitz sah, entsann ich mich eines Zitats des Schriftstellers Thomas Mann: „Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens“. Der Anblick dieses Truppenaufmarsches mag bei jedem Menschen andere Gedanken auslösen; aber Gedanken sollten wir uns alle machen, denn: Bei der NATO-Operation „Atlantic Resolve“ handelt es sich um eine der größten Militäroperationen seit dem Ende des Kalten Krieges zur Verlegung von Truppen nach Osteuropa. DIE LINKE lehnt zu Recht die USAufmarschmanöver und die logistische Unterstützung durch die Bundeswehr ab. Diese Provokation gegenüber Russland kann gefährlicher Auslöser einer Eskalationsspirale werden, denn Russland wird der zunehmenden Bedrohung an seinen Außengrenzen nicht tatenlos zuschauen. Erneut zeigt sich, wie leichtsinnig die deutsche Po-
litik agiert, wenn es um die Beziehungen zu Russland geht. Als hätten die Wirtschaftssanktionen, die sich als Eigentor gerade für die ostdeutsche Industrie erwiesen haben, nicht schon genug Schaden angerichtet, lässt sich Deutschland nun auch für Kriegsspiele vor den US- und NATO-Karren spannen. Verantwortungsvolle Politik mit Weitblick sieht anders aus! Ich schließe mich der Forderung an, dass die Übernahme der Logistik durch die Bundeswehr gestoppt und der Transport durch Deutschland untersagt werden muss. Ich fordere die politischen Verantwortlichen auf, sich den „Aufgaben des Friedens“ zuzuwenden, wozu auch die Entspannung und Verbesserung des polnisch-russischen Verhältnisses gehört. Dazu braucht es sicherlich ebenfalls ein klares Wort an die russische Seite, aber ganz gewiss keine Panzer. Da die US-Truppen auch in Żagań und somit in unmittelbarer Nachbarschaft zur Lausitz stationiert werden, bin ich entschlossen, gemeinsam mit unseren polnischen Pa r tn e r n auch vor Ort die „Aufgaben des Friedens“ zu erfüllen. • Heiko Kosel
Solidaritätscamp 2017 Europacamp erstmals in der Slowakei! Entstanden als „Politcamp“, auch als „Friedenscamp“ durchgeführt, hat sich das alljährliche Treffen Linker aus Deutschland, Tschechien u.a. Länder als „Europacamp“ etabliert. Und nun Solidaritätscamp? Das Ständige Forum der Europäischen Linken – der Regionen (SFEL-R) hat einhellig beschlossen, das Europacamp 2017 in der Slowakei auszutragen. Hier fand es noch nie statt, obwohl die Komunistická strana Slovenska (KSS - Kommunistische Partei der Slowakei) langjährig im SFEL-R ist und vereinbarungsgemäß das Europacamp im Wechsel durch die Mitglieder vorbereitet und organisiert wird. Ein wichtiger Grund, warum sich das SFELR für die Slowakei entschied,
ist, dass die slowakischen GenossInnen unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten. Da sie sehr stark unter dem Druck der konservativen Kräfte standen und stehen, sogar ein Parteiverbot drohte und sie den Einzug ins Parlament nicht schafften, stehen ihnen keine staatlichen Mittel zur Verfügung. Das schränkt ihre politische Handlungsfähigkeit weiter ein. Deshalb soll das Europacamp im Zeichen der Solidarität und Verbundenheit stehen. Die slowakischen GenossInnen laden nach Baňská Štiavnica ein, einem Ort im Slowakischen Erzgebirge. Die Stadt ist seit 1993 Weltkulturerbe der UNESCO und umgeben von einem Landschaftsschutzgebiet. Die Stadt wurde über Jahrhunderte vom Goldund Silberbergbau geprägt.
Fast gleichzeitig mit der Bergakademie Freiberg wurde auch hier eine Bergakademie gegründet. Neben dem touristischen Teil wird es wieder politische Gespräche geben. Dazu soll von deutscher Seite Wolfgang Gehrcke eingeladen werden und dazu ein junger engagierter slowenischer Genosse, der auf einer Tagung in Berlin über seine Erfahrungen in der Mitgliedergewinnung sprach. Um allen die Anreise zu ermöglichen, soll ein Bus genutzt werden, der eine ausreichende Auslastung voraussetzt. Solidarität mit den slowakischen GenossInnen, verbunden mit einem interessanten touristischen und politischen Programm, soll das kommende Europacamp ausmachen. Eure Teilnahme ist wichtig. Die Anmeldung über Sabine Lichtwald: europacamp@sfel-r.de
Das vorläufige Programm 25.05.17 – Anreise
27.05.17 – Politischer Tag
- abends Lagerfeuer mit Spanferkel
- Begrüßung durch den Bürgermeister von Baňská Štiavnica
26.05.17 – Touristischer Tag - Besuch des Schloßmuseums Kaštieľ vo Svätom Antone - Besuch des Bergbaumuseum im Freien (Banské múzeum v prírode) - Bootsfahrt auf dem Počúvadlianske jazero- Tanzabend mit Auftritt von slowakischer Folkloregruppe
- Politbasar - Diskussionen „Europa neu starten!“ mit GenossInnen des ZK der KSS, KSČM, Wolfgang Gehrcke (angefragt) und des slowenischen Genossen (angefragt) - Tanzabend 28.05.17 – Abreise Mehr: www.gleft.de/1zt
Sachsens Linke! 01-02/2017
Das SachsenLB-Debakel und die Folgen
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SachsenLB: Milliarden-Schaden durch Selbstüberschätzung SachsenLB. Möglich gemacht wurde die Wundertüte erst durch eine komplizierte Struktur, die am Ende den sächsischen Steuerzahler für alle Verluste haften ließ. Mit diesem Ausfallbürgen in der Hinterhand ließen sich billig Kredite aufnehmen, um Hausdarlehen
auch das nicht mehr. Die Verluste am amerikanischen Hypothekenmarkt ruinierten die Bank innerhalb von Tagen. Als im August 2007 die ostdeutsche Landesbank kollabierte, wurde in einer Nacht- und Nebelaktion der Notverkauf an die Landesbank Baden-Württem-
Bild: segovax / pixelio.de
aAls Anfang der 1990er Jahre die SachsenLB ins Leben gerufen wurde, waren alle von einer Erfolgsgeschichte überzeugt. Die einzige ostdeutsche Landesbank sollte den Freistaat bei der Erfüllung seiner Aufgaben finanziell unterstützen. Der ursprüngliche Gedanke, eine ostdeutsche Landesbank für alle neuen Bundesländer zu schaffen, war bereits im Einigungsvertrag festgehalten. Die Realität war eine andere. Die einzelnen ostdeutschen Länder suchten sich Partner im Westteil und die Idee verschwand auf dem Müllhaufen der Geschichte. Sachsen aber wollte nicht als Juniorpartner auf die Gefälligkeiten der westdeutschen Zentralen angewiesen sein und entschied sich für eine eigenständige Landesbank. Was in anderen Bundesländern funktionierte, konnte doch für Sachsen nicht falsch sein. Man war sich seiner Sache so sicher, dass die Macher der SachsenLB den großen Banken im Geschäftemachen nacheifern wollten. Dabei waren ihnen kaum Grenzen gesetzt. Stück für Stück wurden die Geschäfte weg vom Kreditgeschäft und hin zu Spekulationsgeschäften verschoben. Es war die Zeiten, in denen große Räder gedreht wurden. Neue Geschäftsmodelle versprachen gute Gewinne bei so gut wie keinem Risiko. Wirklich verstanden, was da eigentlich gehandelt wurde, haben allerdings die Wenigsten. Die Landesbank gründete eine Tochter in Irland und entzog
im großen Stil aufzukaufen. Attraktiv wurde das Ganze, weil die eigenkapitalschwache SachsenLB dafür kein Eigenkapital nachweisen musste. So wurden aus einem Euro Kredit an die Zweckgesellschaft 25 Euro Geschäft in Übersee. Die große Party an den weltweiten Finanzmärkten war 2007 zu Ende. Die angeblich risikolosen Geschäfte entpuppten sich als riesiger Schwindel, und die Landesbanken hatten sich damit im großen Kasino verzockt.
berg (LBBW) hektisch vorbereitet und abgeschlossen. All das geschah am Sächsischen Landtag vorbei, wie der Sächsische Verfassungsgerichtshof im Nachgang bemängelte. Ein Kostenpunkt stand damit fest: Die Sachsen bürgen für bis zu 2,75 Milliarden Euro an möglichen Ausfällen der „faulen Wertpapiere“. Rund 1,5 Milliarden Euro sind in den letzten Jahren bereits geflossen. Alles deutet darauf hin, dass der gesamte Betrag der Bürgschaft
Zahlungen durch den Freistaat aus Steuermitteln für die SachsenLB-Bürgschaft, in Millionen Euro
sich mit sogenannten Zweckgesellschaften zunehmend der öffentlichen Kontrolle. Der spätere Chef der Landesbank, Herbert Süß, bezeichnete diese Geschäfte selbst als Wundertüte, ließ sie aber nicht einstellen. Schließlich sprudelten aus diesen Geschäften noch Jahr für Jahr große Gewinne für die
Als erstes traf es die kleine Landesbank aus Sachsen. Viel zu klein, um den drohenden Milliardenverlusten wirtschaftlich Stand zu halten, wurde ihr erst mit einer Sicherung ihrer Zahlungsfähigkeit durch die deutschen Sparkassen über 17 Milliarden Euro aus der Patsche geholfen. Wenig später half
abgerufen werden wird. Aber diese Zahlungen sind nur eine Seite der Medaille. Mit dem Verkauf und dem Ende der SachsenLB begann eine Reihe von Untersuchungen und zum Teil Verfahren gegen die Verantwortungsträger. Diese „Bemühungen“ des Freistaates
sollten die Schuld feststellen und den Schaden begrenzen. Wie wenig erfolgreich der Freistaat damit war, zeigt die Übersicht. Mit den Verfahren gegen die Vorstände Herbert Süß und Stefan Leusder sollte laut Sächsischer Zeitung vom 2. Dezember 2016 das „Ende des Trauerspieles“ erreicht sein. Seit fast neun Jahren ermittelte die Justiz in Sachsen. Es sollten Schuldige für das milliardenschwere Debakel gefunden werden. Das war ein fast fruchtloses Unterfangen, wie wir heute feststellen müssen. Diese Unterfangen dürfte die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übrigens mit weiteren Millionenbeträgen in zweistelliger Höhe belasten. Die juristische Aufarbeitung des Skandals verlief dennoch alles in allem unbefriedigend. Insbesondere die politischen Entscheidungsträger im Verwaltungsrat ließ man unbehelligt, Finanzminister Georg Unland (CDU) unterließ es bewusst, sie zur Verantwortung zu ziehen. Die verantwortlichen Bankerinnen und Banker ließ die Staatsanwaltschaft durch einen Formfehler entkommen. Dabei haben nach Ansicht des Sächsischen Rechnungshofes
und der Richter die Beteiligten ihre Kontroll- und Aufsichtspflichten grob verletzt. Ein vorsätzliches Handeln konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Laut Zeugenvernehmung wurden die Gewinne aus hochspekulativen Geschäften gern zur Kenntnis genommen. Die möglichen negativen Folgen wurden in den Gremien aber wohl nicht ausreichend in Betracht gezogen. Risikoberichte wurden entweder ignoriert oder gar nicht erst abgefragt. Der Vorstand und die Mitglieder im Verwaltungsrat, insbesondere im Kreditausschuss, sind also ihrer originären Aufgabe der „Pflicht zur Aufsicht“ nicht nachgekommen. Angesichts der über Jahre hinweg sprudelnden Einnahmen war offensichtlich niemand bereit, die Geschäfte in Frage zu stellen. Am Ende stehen nun die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Naivität und Großmannssucht der Entscheidungsträger gerade. Politische Konsequenzen für das Handeln von Banken, die eine Wiederholung solcher Desaster ausschließen, wurden bis heute nicht gezogen. Sebastian Scheel
Die „Aufarbeitung“ Einnahmen von Haftpflichtversicherungen Ergebnis der Bilanzprüfer Michael Weiß (Landesbankchef bis 2005)
30,5 Millionen Euro
Reiner Fuchs (Stellvertreter von M. Weiß)
Ermittlungen zum Strafverfahren und Geltendmachung von Schadensersatz gescheitert
27 Millionen Euro Strafverfahren endete wegen fehlender Unterschrift einer Staatsanwältin, ein Verfahren wegen Schadensersatz gab es nicht
Hans-Jürgen Klumpp 25.000 Euro gezahlt (Vorstandsmitglied) Gerrit Raupach Vergleich, 30.000 Euro (Vorstandsmitglied) gezahlt Werner Eckert 50.000 Euro gezahlt (Vorstandsmitglied) Yvette Bellavite-Hövermann verhandlungsunfähig (Expertin für Risikobewertung) Herbert Süß (Vorstandsmitglied)
Geldauflage von 180.000 Euro (2012) und von 80.000 Euro (2017) gezahlt
Stefan Leusder (Vorstandsmitglied)
Geldauflage von 20.000 Euro (2012) gezahlt, Auflage von 80.000 Euro (2017) nicht – der Prozess geht weiter
Thema: R2G
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01-02/2017 Sachsens Linke!
Rosa Luxemburg wird das Zitat zugeschrieben: „Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten“
hielten. Sowas ist man aus den Fernsehformaten nicht mehr gewöhnt. Statt öder Phrasen-
drescherei und ewigem Monologisieren gingen die Vertreter aufeinander ein, zeigten Ver-
Bild: Sebastian Scheel
Die Orientierung der meisten Parteien auf eine imaginierte Mitte hat zur Folge, dass viele ihrer Positionen kaum noch unterscheidbar sind. Da die großen „Volksparteien“ an Bindungskraft verloren haben, wird die Mehrheitsfindung schwieriger. Die „große Koalition“ scheint auf absehbare Zeit festgemeißelt. Unter dem Motto „Dem Trübsinn ein Ende: Gibt es eine Chance auf r2g und für einen Politikwechsel nach der Wahl?“ hatte das Forum Demokratischer Sozialismus am 26. November in die alte Konsumzentrale nach Leipzig geladen. Zum
Podiumsgespräch trafen sich die Generalsekretärin der SPD Katarina Barley, der Fraktionsvorsitzende der LINKEN Dietmar Bartsch und der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen Anton Hofreiter. In den letzten Wochen kam es mit großem öffentlichem Interesse im politischen Berlin bereits öfter zu ähnlichen Gesprächsrunden. Es liegt so etwas wie Hoffnung in der Luft, dass sich ein Lager aus Mitte und Links finden könnte. Dementsprechend groß war auch das Interesse. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, eine knisternde Spannung lag im Raum. Die erste Überraschung waren die Teilnehmer auf dem Podium selbst. Man kennt, respektiert und mag sich –Duzfreunde, die sich entspannt angeregt unter-
Bild: Antje Kind
Dem Trübsinn ein Ende
ständnis und erklärten unterschiedliche Standpunkte. Die beiden Moderator*innen hatten so keine große Mühe, das Gespräch am Laufen zu halten. Bei so viel Übereinstimmung über Fragen wie die Spaltung in der Gesellschaft, den Kampf gegen die rechtspopulistische AfD und einen überfälligen Politikwechsel musste schon explizit darauf hingewiesen werden, dass alle Parteien großen Wert auf ihren eigenständigen Wahlkampf legen. Bei allem Enthusiasmus darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Frage: „Wie hältst Du es mit einem Mitte-Links-Bündnis?“ in allen drei Parteien umstritten ist und die politischen Differenzen an diesem Abend charmant zur Seite gewischt worden sind. Alles in allem war es eine gelungene Veranstaltung, die Lust auf eine noch stärkere Suche nach alternativen politischen Angeboten macht. Damit Wahlen endlich auch wieder etwas ändern! Sebastian Scheel
FDS-Akademie: Nicht nur ein Angebot der politischen Bildung Die Ende November des letzten Jahres stattgefundene FDS-Akademie hatte nicht nur die erwähnte Podiumsdiskussion mit Dietmar Bartsch, Anton Hofreiter und Katarina Barley zu bieten, sondern sehr viel mehr. In verschiedenen Workshops ging es um Einblicke in die Arbeit im Europaparlament und Europapolitik, um Erfahrungsaustausch in der Kommunalpolitik, um Öffentlichkeitsarbeit im Allgemeinen und eine erste Beschäftigung mit Themen für unser Bundestagswahlprogramm. Es ging um das Erstarken der Rechten, um linke Parteien und ihre Zukunft in Europa, die Bedeutung von Parteien in der heutigen Zeit, um Digitalisierung und viele weitere Themen. Ein breites Angebot, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerne annah-
men. Darüber hinaus bot die Akademie die Möglichkeit, sich individuell auszutauschen, von den Erfahrungen der anderen zu lernen, Kontakte zu knüpfen. Ich selbst war unter anderem beim Workshop zum Wahlprogramm dabei und fand, dass es dort interessante Anregungen gab. Etwa die, das Wahlprogramm einmal ganz anders aufzubauen, orientiert nach Zielgruppen. Für Eltern und Alleinerziehende etwa wollen wir bessere Kinderbetreuung, kurze Schulwege, kostenlose Schülerbeförderung, steuerliche Entlastungen und anderes. Doch diese Punkte finden sich nicht unter Schlagworten wie „Eltern“ oder „Alleinerziehende“, sondern verteilt in verschiedenen Kapiteln. Seien wir ehrlich: Wer nimmt sich ein Wahlprogramm und sucht
sich auf endlosen Seiten zusammen, was für ihn und seine individuelle Lage von Interesse ist? Die Frage ist doch, für wen wir das Programm schreiben – für uns oder für den potentiellen Wähler, die potentielle Wählerin? Ich denke, es wäre auch eine Art Dienstleistung, eine Form der Barrierefreiheit, wenn wir unser Programm auch im Aufbau an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren würden. Alleinerziehende wollen eben wissen, was wir im Falle einer Wahl für sie tun wollen, und zwar kompakt in einem Kapitel oder noch besser in einem Absatz. Viel Text ist nicht immer viel Inhalt. Und noch eine Botschaft im Wahlkampf halte ich für wichtig. Die Menschen wollen nicht nur wissen, was wir wollen, sondern auch, wie wir das erreichen wollen.
Ob wir bereit sind, auch Verantwortung zu übernehmen. Und da bin ich ganz klar dafür, zu sagen: DIE LINKE macht einen eigenständigen Wahlkampf mit dem Ziel, möglichst stark in den Bundestag einzuziehen. Gibt es dann rechnerisch eine Mehrheit für ein Mitte-Linksbündnis aus LINKE, SPD und Grünen, muss über Inhalte geredet werden, und können wir dann viele unserer Ziele umsetzen, bin ich auch dafür, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Und ja, mir ist bewusst, dass es bei einer Koalition immer auch um Kompromisse geht, dass wir nicht alle unsere Ziele werden umsetzen können. Doch je stärker DIE LINKE im Bundestag vertreten ist, desto stärker ist ihre Position auch in möglichen Koalitionsverhandlungen. Nach dem Motto „Al-
les kann, nichts muss“ sollten wir den Wahlkampf führen und nicht schon vorher sagen, was alles nicht geht. Verbreiten wir Optimismus, dass wir es können, wollen und auch schaffen. Lassen wir dieses ewige „aber“ hinter jedem Satz weg. Diese Aufbruchsstimmung – und ich rede jetzt wirklich nur über diese gefühlte Stimmung –, die sich bei den Sozialdemokraten mit der Nominierung von Martin Schulz gerade breit macht, wünsche ich mir für uns. Denn nur wer von sich selbst überzeugt ist, selbst voller Leidenschaft brennt, wird andere überzeugen und gewinnen können. In diesem Sinne wünsche ich mir, wünsche ich uns einfach einen frischen, modernen und natürlichen erfolgreichen Wahlkampf! Begonnen hat er schon. Simone Hock
Sachsens Linke! 01-02/2017
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Kohleausstieg? Wir bleiben dran! Auch 2017 möchten wir uns als linksjugend wieder in den Ende-Gelände-Prozess einbringen. Ende Gelände besteht nun seit mehr als zwei Jahren als Anti-Kohle-Bündnis, das Massenaktionen gegen Braunkohleinfrastruktur organisiert. Beim letzten Treffen des Bündnisses im Dezember in Oldenburg konnte nach langer Diskussion ein gemeinsames Vorgehen für 2017 beschlossen werden. Es wird zwei große Aktionen geben, mit denen wir wieder klarmachen wollen, dass endlich ein Datum für einen Kohleausstieg her muss und wir dabei nicht länger warten dürfen! Auf dem Landesjugendplenum im Oktober 2016 haben wir als linksjugend Sachsen die Forderung nach einem Kohleaus-
Linksjugend goes International Hanna Manoilenko studiert „Gender Studies“ an der CEU (Central European Buisness School, Ungarn) und kommt ursprünglich aus Kiew. Gemeinsam mit der linksjugend Sachsen und den Abgeordnetenbüros WIR-AG und Interim wurden zwei Veranstaltungen zum Thema „Geschlechterordnung in der (post-)sowjetischen Gesellschaft“ durchgeführt. Ein kleines Feedback von Hanna, die zum ersten Mal in Deutschland war, über die Veranstaltungen und ihren Besuch bei uns: Mein Besuch bei DIE LINKE und der linksjugend war ein großar-
tiges Erlebnis. Es war mein erster Besuch in Deutschland und die Organisator_innen der Diskussion haben es geschafft, ihn so aufregend wie möglich zu gestalten. Ich habe mich so sehr gefreut, viele junge, engagierte und offene Menschen kennen zu lernen. Ihr Interesse am Thema der Geschlechterordnung in der sowjetischen Gesellschaft und der aktuellen Situation in meinem Heimatland, der Ukraine, machten meinen Aufenthalt sehr warm und freundlich. Ich bin den Menschen sehr dankbar, die Zeit gefunden haben, um zu meiner Präsentation zu kommen, zuzuhören und Fra-
gen zu stellen. Zusammen haben wir es geschafft, Ähnlichkeiten auszumachen, wie die Geschlechterordnungen in der (post-)Sowjet- Gesellschaft, wie in der Ukraine, und der ehemaligen DDR, funktioniert haben. Ich habe viel von euch gelernt. Ein weiser Mann hat mal gesagt, dass es in diesen gefährlichen Zeiten, Zeiten von extremer sozialer Ungleichheit, Überpopulation, Klimawandel – ich würde noch die rasend schnelle Globalisierung hinzufügen – wichtig ist, uns selbst daran zu erinnern, was wir alles gemeinsam haben; wie wunderbar wir alle in unserer
Unterschiedlichkeit sind und dass wir alle Verantwortung für uns tragen. Daher glaube ich ernsthaft an internationale Kooperationen, Erfahrungsaustausch wird dringend benötigt. Ein besonderer Dank geht an die Menschen, die meinen Besuch organisiert haben. Ich musste mir um nichts Sorgen machen. Vielen Dank an Franzi, meine „Managerin“ und Quelle der Inspiration. Danke für Deine Geduld, Deine endlose Energie und enorme Empathie. Ich freue mich darauf, all meine Schnuckis in der Ukraine begrüßen zu dürfen. Protokoll: Franziska Fehst
Jakob Müschen ist neuer Jugendkoordinator Wie die eine oder der andere vermutlich mitbekommen hat, gab es einen personellen Wechsel in der Landesgeschäftsstelle. Marie geht in ihren wohlverdienten „Ruhestand“ und stürzt sich als Koordinatorin voll und ganz auf das Pfingstcamp und seine Planung. Stattdessen werde ich ab jetzt eure Fahrtkosten bearbeiten, Landesjugendplena vorbereiten, mich mit dem Jugendbus „rumärgern“ und euer Ansprechpartner für alle Fragen rund um den Jugendverband sein. Viele von euch dürften mich in den letzten Jahren bereits kennengelernt haben, einigen bin ich noch unbekannt. Daher zunächst ein paar Worte zu mir. Ich heiße Jakob Müschen, bin 24 und seit guten drei Jahren im Landesverband unterwegs. Aus Hamburg kommend bin ich 2011 nach Sachsen gezogen und habe 2015 meinen
B.A. in Politikwissenschaft an der TU Dresden abgeschlossen. Seit dem Jahr wohne ich in Leipzig, wo ich bereits seit Anfang 2013 bei der Linksjugend aktiv bin. Ich mache meinen Master in Halle/Saale. Politisch unterwegs bin ich gefühlt, seitdem ich (kritisch) denken kann, in Hamburg neben allerlei Antifa-Kram vor
allem in der Bildungs- und Landesschüler*innenpolitik. Doch auch Sachsen und seine Zustände kenne ich oberflächlich schon länger, da ich seit etlichen Jahren regelmäßig am 13. Februar in Dresden dabei bin. Mit euch zusammen habe ich viel vor. Neben dem politischen Tagesbetrieb und auch allerlei Verwaltungszeugs, das mit der JuKo-Stelle verbunden ist, haben wir 2017 natürlich auch wieder ein Wahljahr, wobei ich zuversichtlich bin, dass wir einen großartigen Wahlkampf führen werden. Auch die Bildungsreisen (nach Griechenland, Polen und in die Ukraine) bilden neben dem Pfingstcamp einen Schwerpunkt r. Damit es dazwischen nicht langweilig wird, gibt es natürlich auch wieder Landesjugendplena mit Debatten um das bedingungslose Grundeinkommen und R2G sowie ei-
ner Festigung der AwarenessStrukturen. Ebenfalls geplant sind Gedenkstättenfahrten und natürlich all das, was ihr mit uns zusammen auf die Beine stellt! Um möglichst viele von euch auch persönlich kennenlernen zu können, würde ich mich freuen, euch bei euren Plena in den Basisgruppen zu treffen und mich mit euch zu vernetzen. Bei allen Fragen bin ich für euch natürlich per Mail und Telefon zu erreichen, außerdem sitze ich mindestens zwei Tage die Woche in Dresden im Büro in der Kleiststraße und werde den Rest im Leipziger LinXXnet oder Interim verbringen. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit und darauf, mit euch zusammen für Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit und gegen Nazis, Rechtspopulist*innen und andere regressive Idiot*innen zu kämpfen! Jakob Müschen
stieg 2025 beschlossen. Das Thema Energiewende wird uns auch in unserem Jugendwahlkampf eine Rolle spielen. Der erste Ende-Gelände-Aktionszeitraum wird vom 25. Bis zum 27. August 2017 im Rheinischen Braunkohlerevier stattfinden. Des Weiteren kommt in diesem Jahr im November die #COP23 nach Bonn. Die #COP23 ist ein weiterer Klimagipfel zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommen, bei dem die Bundesrepublik wieder einmal versuchen wird, sich als „Energiewendeweltmeister“ darzustellen. Um diese absurde und falsche Inszenierung nicht einfach so stattfinden zu lassen, wollen wir diese Bühne nutzen, um zu zeigen, dass Klimaschutz keine hohle Phrasen braucht, sondern Taten. Bleibt informiert und kommt zu den Aktionen in diesem Jahr! Auf geht‘s, ab geht‘s, Ende Gelände! Mehr Informationen: www.ende-gelaende.org Paul Gruber
Termine 8. Februar, 19:00-23:00 Uhr, Conne Island, Leipzig: Lesung „Wörterbuch des besorgten Bürgers“. Infos: gleft.de/1Am 10. Februar, 19:30 Uhr, Club Hängemathe, Dresden: Argumentationstraining Aufstehen gegen Rassismus. Infos: gleft. de/1An 10. Februar, 20:00-23:00 Uhr, Lokomov, Chemnitz: Schernikau Revue. Infos: gleft.de/1Aj 15. Februar, 19:00-21:00 Uhr, Wir-AG, Dresden: Schernikau Revue. Infos: http://gleft. de/1Ak 26. Februar, 12:00 Uhr: BR-Sitzung in Dresden. Ort wird noch bekannt gegeben. 4. März, Leipzig Connewitz: Naziaufmarsch verhindern! Vermutlich werden Gegenproteste organisiert, hört euch bitte um! 16. März, 17:00-20:00 Uhr, Haus der Begegnung, Dresden: Reisebericht Nordkorea. Infos: gleft.de/1Al 17.-19. März, Chemnitz: voraussichtlich Landesjugendplenum. Bitte merkt euch den Termin vor, Genaueres wird noch bekannt gegeben. www.linksjugend-sachsen.de
DIE LINKE im Europäischen Parlament
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01-02/2017 Sachsens Linke!
Europa im Taumel: 2017 wird ein Jahr der Entscheidung sion und Rat für das Parlament und hat Mitspracherechte. Die Tragik der Geschichte besteht darin, dass Martin Schulz als EP-Präsident diese Rechte missbrauchte, als Vertreter der Großen Koalition, aber auch zu seine Eigenzwecken, weil er glaubte, das Parlament sei er. Sein schlechter Ruf im Parla-
tes bestätigt zu werden. Zuvor hatte er sich selbst Chancen für das Amt des EP-Präsidenten ausgemalt. Zeitgleich warf der italienische Fraktionschef von Sozialisten und Sozialdemokraten (S&D) Pittella seinen Hut in den Ring, weil er verhindern wollte, dass auf europäischer Ebene nur noch Konser-
nen. Wir forderten zusätzlich, sich gegen die Austeritätspolitik besonders gegenüber Griechenland aufzustellen. Zwischen den vier Wahlgängen verhandelten Fraktionsmitglieder der linken Fraktionen, einzeln, zusammen, und innerhalb der eigenen Fraktion. Auch unsere Fraktion hatte nach lan-
vative den Vorsitz haben (Rat, Kommission und Parlament). „Die große Koalition ist beendet“, erklärte er. Das war der offene Bruch mit den Konservativen, was es noch nie im EP gegeben hatte. Damit war klar, dass die S&D auf der Suche nach neuen Freunden war, in kurzer Zeit mussten sie um Vertrauensvorschuss bitten. Die Grünen haben dafür konkrete Forderungen gestellt, wie die Überweisung von CETA an den EUGH. Diese Zusage wurde in der Hitze des Gefechtes von Pittella erweitert, seine Fraktion wolle er für die Ablehnung von CETA gewin-
gen quälenden Debatten eine Kandidatin aus Italien aufgestellt, Eleonora Forenza, die ihre Sache sehr gut gemacht hat. Nun ging es aber um den letzten Wahlgang: Tajani gegen Pittella. Es brachte uns fast den Bruch in der Fraktion, dass we-
nigstens die Mehrheit für Pittella stimmte. Fakt ist, dass diese Debatten in unserer Fraktion, in der einige Delegationen, wie die PCP aus Portugal, die Konföderalität zu Eigenzwecken ausnutzen, um Entscheidungen auszubremsen, nachwirken. In der GUENGL läuft ein harter Richtungskampf, der nicht nur den Umgang mit Europa beinhaltet, sondern auch mit einem unterschiedlichen Parteien- und Politikverständnis verbunden ist. Konföderalität als Instrument, um eigene nationale Interessen rücksichtslos durchzuboxen, ist das Gegenteil von Föderalität, die separatistische Zerstörung jedes Ansatzes zur Öffnung der Fraktion. Wie geht es nun weiter im EP? Mit der Beendigung der GroKo im EP hat sich eine neue Koalition, eine neoliberale Rechtskoalition etabliert. So grässlich das ist, bietet dies doch die Chance für einen Neuanfang in der Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen Mitte-Links. Diese Chance dürfen wir nicht vergeben. Wir müssen Vertrauen aufbauen, gemeinsame Ansätze, die wir ja seit Jahren haben, entwickeln. Inwieweit das gelingt, wird Einfluss auf die Richtung europäischer Politik haben. Dazu müssen alle bereit sein, auch die Linken in Europa, in der GUENGL-Fraktion und der Europäischen Linkspartei. Bevor es zu spät ist. Cornelia Ernst
gert. Überschattet wurde die Konferenz vom Ableben des Kommandanten Fidel Castro. Ihm zu Ehren legten die Teilnehmer eine Schweigeminute ein. Wieder referierte Ellen Brombacher, diesmal zum Wahlkampf in Berlin. Denn der hat Vorbildcharakter für die Wahlkämpfe 2017! 2017 wird auch im Zeichen des 100. Jahrestages der Großen Oktoberrevolution stehen. Das Schlusswort hielt Ellen Brombacher. Sie wies erneut darauf hin, dass ohne die Auf-
nahme der friedenspolitischen Grundsätze der LINKEN ein rot-rot-grünes Bündnis unmöglich ist. Verabschiedet wurde auch ein Brief an Sahra Wagenknecht, in dem wir ihre Arbeit würdigen und die Anfeindungen gegen sie verurteilen. Ebenso verabschiedet wurde ein Kondolenzschreiben an das kubanische Volk zum Tode von Fidel Castro. Die Konferenz fand ihren Abschluss mit dem gemeinsamen Singen der Internationale. Katrin Weber-Jakulat
Bild: DIE LINKE. in Europa / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0
Der Alptraum von 2017 dürfte wohl sein: Im Februar siegen italienische Rechte und Nationalisten in den Neuwahlen, im März der Rechtspopulist Wilders in den Niederlanden, im April Le Pen in Frankreich, im September bilden Merkel und Petry eine Rechtskoalition. 2018 siegt Strache in Österreich. Wer das für verrückt hält, den erinnere ich daran, dass mit Trump ein Narzisst und Rechtspopulist zum US-Präsident gewählt wurde, bei dem man nicht abschätzen kann, ob er morgen China oder Europa den Handelskrieg erklärt, Frauen das Wahlrecht verbietet oder Kindern ab 6 Jahren das Tragen von Waffen verordnet. Mittlerweile scheint alles möglich, alles, was rückwärtsgewandt ist. Friedliche und emanzipatorische Weltsichten sind out, ein grandioser Verfall von zivilisatorischen Werten vollzieht sich vor unseren Augen, so dass Menschen wie Björn Höcke schadlos für ehrenwert erklärt werden können – von einem Richter! Und der Jahresauftakt der Hautevoleé von Europas extremer und populistischer Rechter in Koblenz ist wie ein Wetterleuchten für die Antieuropäer des Kontinents. Eine der ersten großen Niederlagen auf europäischer Ebene war im Januar die Wahl des neuen Präsidenten des Europaparlamentes. Mit dem neuen Präsidenten kommt ein Gründer der Forza Italia und persönlicher Freund von Berlusconi, dessen Pressesprecher er war, ins Amt, ein strammer Rechter, homophob und ein eingefleischter Kommunistenhasser. Der EP-Präsident ist mit stärkeren Rechten ausgestattet als ein Parlamentspräsident in Dresden oder Berlin, er sitzt am Tisch von Kommis-
ment war die Basis dafür, dass jeder der sieben EP-Präsidentschaftskandidaten sich davon abgrenzte, um möglichst viele Stimmen zu ergattern. Für die Sozialdemokraten, welche die bis in ihre eigene Fraktion hinein verhasste große Koalition mit zu verantworten hatten, war das ein Klotz am Bein. Sie mussten um das Vertrauen der linken Fraktionen buhlen und das sehr spät. Dazu kam, dass sich der eigensüchtige Chef der ALDE (liberale Fraktion) Verhofstadt auf die Seite der Rechten schlug, um als Koordinator für die Brexitverhandlungen seitens des Parlamen-
Bundes- und Landeskonferenz der KPF Am 19.11.2016 fand zum dritten Mal die Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform der LINKEN in Berlin statt. Genossin Ellen Brombacher sprach im Bericht des Sprecherrates über Vorkommnisse der jüngsten Vergangenheit, die Situation in Thüringen und die bevorstehende Bundestagswahl. Nach meinem Empfinden war die Stimmung dieses Mal anders als bei der letzten Konferenz. Erklärbar wäre dies durch die Bundestagswahl 2017. Immer-
hin gibt es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung: Die einen ziehen sie in Erwägung und loten aus, wie sich das gestalten könnte, die anderen lehnen das ab, weil DIE LINKE. in einer rot-rot-grünen Koalition friedenspolitische Statuten aufgeben und die Staatsräson Deutschlands anerkennen müsste. Nicht wenige forderten deshalb, Oppositionspartei zu bleiben und sich nicht mit der etablierten Politik gemein zu machen, son-
dern weiter die „Systemfrage“ zu stellen. Nach Wahlen zum Bundessprecher- bzw. Bundeskoordinierungsrat bildete die Verabschiedung der Vorlagen „friedenspolitischer Baustein“ für das Wahlprogramm 2017 und „Mobilisierung zur LL-Demo“ am 15. Januar 2017 den Abschluss. Eine Woche später fand die Landeskonferenz der KPF in Chemnitz statt. Gäste waren unter anderem Ellen Brombacher, Jürgen Herold, Prof. Eckhard Lieberam und Dieter Sie-
Sachsens Linke! 01-02/2017
DIE LINKE im Bundestag
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CDU und SPD lassen Osten im Stich Auch weiterhin sollen Menschen im Osten, die auf ein langes und hartes Arbeitsleben zurückblicken, mit weniger Rente abgespeist werden. Besonders tragisch ist dies für Härtefälle wie die zumeist gesundheitlich geschädigten Beschäftigten in der damaligen DDR- Braunkohleveredlung. Deren Ansprüche (u.a. auf früheren Renteneintritt) wurden nach der Wende zunächst auch anerkannt, ab 1996 nach dem Auslaufen von Übergangsregelungen wurden die Betroffenen aber im Regen stehen gelassen. Ebenso entfielen für Neuzugänge ab 1997 die Rentenaufschläge für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen, mit denen ihrer harten Arbeit bei niedrigen Einkommen Rechnung getragen wurde. Zwei besonders betroffene Gruppen, für die wir uns mit Gesetzesinitiativen einsetzen. Am 12. Januar traf ich mich in meinem Regionalbüro in Borna mit Günter Freitag, dem Sprecher der Solidargemeinschaft der Bergleute der Braunkohleveredlung Borna-Espenhain, um mich mit ihm über die Situation der ehemaligen Bergleute der Braunkohleveredlung und speziell über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zur Wahrung o.g. Rentenansprüche auszutauschen. Im Antrag enthalten ist die Forderung, dass die Betroffenen als „Bergleute unter Tage, gleichgestellt“ behandelt werden und somit, auch rückwirkend, nach
Erreichen des 60. Lebensjahres abschlagsfrei in Rente gehen können. Im Gespräch mit Herrn Freitag stellte sich heraus, dass diese Variante der Beseitigung dieser Ungerechtigkeit eine von 15 Lösungsmöglichkeiten ist, die von der Solidargemeinschaft eingebracht wurden. Es ist die Lösung, die laut Herrn Freitag von der Solidargemeinschaft favorisiert wird.
nen gesprochen hätten. In Anbetracht, dass die Forderungen seit fast 20 Jahren unverändert bestehen, scheint Frau Kolbe seit den frühen 90er Jahren keinen Kontakt mehr mit den Betroffenen zu haben. Viele der Bergleute leiden heute noch an Folgeerkrankungen ihrer schweren Tätigkeiten. Gab es 2014 noch über 600 Mitglieder in der Solidarge-
Frau Kolbe warf uns außerdem vor, den Bergleuten „falsche Hoffnungen“ gemacht zu haben. Wenn wir aber auf die vergangenen Wochen schauen, so war es ihre sächsische Parteikollegin Petra Köpping, die auf einer Veranstaltung der Solidargemeinschaft Anfang Januar versprochen hatte, sich bei ihren Kollegen in Berlin für ihre Interessen stark zu machen.
Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang der Debattenbeitrag der Leipziger Bundestagsabgeordneten Daniela Kolbe (SPD) in der Bundestagsdebatte am 19. Januar, in dem sie behauptet, unser Antrag entspreche nicht den Interessen der Bergleute, und fragt, wann wir das letzte Mal mit den Betroffe-
meinschaft Borna-Espenhain, sind es heute nur noch 383. Das Zeitfenster, die Lebensleistungen dieser Menschen anzuerkennen, schließt sich langsam. Auch deshalb ist das Verhalten insbesondere der Abgeordneten der Sozialdemokratie ein Affront gegenüber den Bergleuten.
Das Abstimmungsverhalten der SPD, die den Antrag abschmetterte, ist die tatsächliche Enttäuschung, die die Bergleute nun verarbeiten müssen. Fast höhnisch muss ihnen der Kommentar von Staatsministerin Köpping (SPD), offensichtlich in völliger Unkenntnis der Sachlage, im Nachgang er-
scheinen: „Der Antrag der Linken ist leider nicht geeignet gewesen, den Betroffenen zu helfen. Er geht völlig am Thema vorbei. Die Linke fordert, dass die Bergleute der DDR-Braunkohleveredlung künftig nach Erreichen des 60.Lebensjahres vorzeitig und abschlagsfrei in Rente gehen können. Aber die betreffenden Bergleute sind im Schnitt bereits 75 Jahre alt und seit Langem in Rente“, meint Köpping. Dass mit einer rückwirkenden Anerkennung die geforderten Ansprüche gewahrt blieben und exakt das die Ungerechtigkeit beseitigen würde, scheint ihr nicht klar zu sein. Gern bieten wir ihr, bei einer gemeinsamen Diskussion mit der Solidargemeinschaft, etwas Nachhilfeunterricht im Rentenrecht an. Weit weniger Aufmerksamkeit haben darüber hinaus die „OstKrankenschwestern“ erhalten, deren Ansprüche ebenfalls nicht voll anerkannt werden. Unser Antrag, diesen Zustand zu ändern, wurde mehrheitlich abgelehnt, ohne überhaupt im Detail diskutiert zu werden. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich sehr gut überlegen, wer sich wirklich für ihre Interessen einsetzt und wer lediglich vor der Bundestagswahl „gut Wetter machen“ möchte. SPD und CDU haben jedenfalls eindrucksvoll bewiesen, dass sie kein echtes Interesse daran haben, an einer gerechteren Gesellschaft zu arbeiten. Axel Troost
Trump macht Ernst – was wird aus den Beziehungen zu Mexiko? Der neue US-amerikanische Präsident macht ernst. Bereits in den ersten Tagen nach seiner Ernennung wurde unter anderem deutlich, dass seine nationalistischen, protektionistischen und auch rassistischen Töne gegenüber Mexiko kein leeres Wahlkampfgetöse waren. Trumps Drohungen, in den USA Strafzölle gegen US- oder internationale Unternehmen, die in Mexiko produzieren lassen, zu verhängen, hat in Mexiko große Besorgnis ausgelöst. Trumps Dekret, wirklich eine Mauer zu Mexiko bauen zu lassen, deren Kosten Mexiko tragen solle, wurde fast wie eine Kriegserklärung aufgefasst. Beim Treffen der Deutsch-Mexikanischen Parlamentariergruppe, deren Vorsitzender ich bin, mit einer Mexikanischen Delegation unter Führung von Carlos de Icaza, Staatssekretär im Außenministerium Mexikos (im Bild rechts), waren deshalb die Auswirkungen der Präsidentschaft von Trump das beherrschende Thema. Die Mexikaner stellten die Situation
sowohl politisch wie ökonomisch als sehr ernst dar. Angesichts dessen praktiziert die mexikanische Regierung eine Doppelstrategie. Zum einen will sie in Verhandlungen mit den USA versuchen, die Beziehungen auch unter Trump auf eine vernünftige Grundlage zu stellen und negative Folgen der geplanten Maßnahmen abzuwenden. Bereits Mitte Januar haben sich dazu Vertreter beider Staaten in Washington getroffen. Daneben aber in-
tensiviert Mexiko seine Beziehungen zu anderen, bereits vorhandenen Partnerstaaten. Dies gilt nicht nur für die politischen und wirtschaftlichen, sondern ebenso für soziale und kulturelle Beziehungen. Zu diesen Partnerstaaten gehört auch Deutschland. Nicht zuletzt diesem Zweck diente der Besuch. Als Vorsitzender der deutschmexikanischen Parlamentariergruppe habe ich Staatssekretär de Icaza unsere Solidarität mit Mexiko zugesagt. Ange-
sichts der positiven Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko in den letzten Jahren besteht eine gute Grundlage, sie weiter auszubauen. Und wir haben den Mexikanern noch eine Botschaft für ihre amerikanischen Verhandlungspartner mit auf den Weg gegeben: Gerade wir hier in Deutschland wissen, dass Mauern langfristig keine Probleme lösen können, im Gegenteil, sie schaffen welche. Wir sollten uns bewusst machen, dass das, was Mexiko zurzeit passiert, nicht allein Mexikos Problem ist. Was in den USA durch den Wahlsieg Trumps geschieht, ist ein Novum in der internationalen Politik. Mit einem Mal wird auch gegenüber einem bisherigen Partnerstaat eine äußerst aggressive Politik praktiziert. Gerade dass Trumps Politik in ihrer Argumentation und Handlung nicht wirklich rational ist, weil sich – wie eingangs beschrieben –nationalistische, wirtschaftlich-protektionistische und rassistische Begrün-
dungen vermischen, macht sie so gefährlich. Trumps Politik ist unkalkulierbar, nicht nur gegenüber Mexiko. Beispielsweise sind rund 1.700 deutsche Firmen in Mexiko aktiv, darunter BMW und Volkswagen, dessen Werk in Chemnitz ein VW-Schwesterwerk in Silao hat. Schon morgen kann es die deutschen Handelsbeziehungen zu den USA treffen, da Strafzölle nicht gegen einzelne Unternehmen, sondern gegen Staaten verhängt werden. Die politischen Auswirkungen eines Handelskriegs lägen auf der Hand. Wir brauchen deshalb nicht nur eine solidarische Haltung zu Mexiko, wir brauchen eine eigene deutsche und europäische Strategie des Umgangs mit einem US-Präsidenten Trump. Michael Leutert
Kommunal-Info 1-2017 30. Januar 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.
Lebendige Städte Städte und Handel gemeinsam für lebendige Innenstädte Seite 2
Flucht und Asyl Zum aktuellen Stand am Beginn des Jahres 2017 Seite 3
Intensivseminare Argumentieren in Texten und Reden Freies Reden und sicheres Auftreten Kommunaler Haushalt - Kommunale Wirtschaft Seite 4
Die Doppik kommt erst 2018 ! (?) Von Alexander Thomas1
Einstieg2 Der Sächsische Landtag hat am 13. Dezember 2016 ein Drittes Gesetz zur Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung beschlossen und damit grundlegende Änderungen an den Regelungen für die kommunale DOPPIK vorgenommen. Das Gesetz trat noch Silvester 2016 in Kraft. Die Spielregeln der quasi kaufmännischen Buchhaltung wurden in den letzten Jahren oft geändert. In der Regel waren es aber vorrangig die Fristen, die angepasst werden mussten. Beispielsweise die für die Vorlage der Eröffnungsbilanzen oder das Aufschieben des Konzernabschlusses bis nach 2020. Nunmehr wird eine endgültige Regelung zum „Einschwingen“ auf das neue Haushaltsrecht angeboten, die folgende Ziele anpeilt:3 „Die durch den Transformationsprozess zu Tage getretenen systembedingten Umbrüche ließen sich in vertretbarer Weise abmildern, ohne die doppischen Grundsätze aufzugeben. Die Neuregelung würde eine vollständige Kompensation der durch Investitionen in der Vergangenheit verursachten Mehrbelastungen im Ergebnishaushalt gewährleisten. Davon umfasst wären neben den Abschreibungen auf das in der kameralen Zeit angeschaffte oder hergestellte Vermögen auch Rest-Abschreibungen auf ‚DDR-Vermögen‘. Für künftige Investitionen kämen hingegen die doppischen Maßstäbe unmittelbar zur Anwendung, indem sie im Ergebnishaushalt in voller Höhe zu erwirtschaften wären.“
Expertenanhörung im Innenausschuss In der am 27. Oktober 2016 im federführenden Innenausschuss durchgeführten Anhörung von Sachverständigen wurden die unterschiedlichen Auffassungen schnell deutlich. Der Finanzbürgermeister Thomas Schubert aus Coswig sowie Ralf Leimkühler vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag stellten sich voll inhaltlich hinter den vorliegenden Gesetzentwurf. Ebenso Rechtsanwalt Dr. Georg Brüggen, welcher jedoch noch den Aspekt eines wohl notwendig erscheinenden (nicht antastbaren) Sockels beim Basiskapital ansprach4. Sehr kritisch nahm Prof. Dr. Isabelle Jänchen von der Fachhochschule der öffentliche Verwaltung und Rechtspflege Meißen zu den angedachten Änderungen Stellung. Diese hebeln das mit großer Mühe eingeführte doppische System aus und führen durch die leicht auszubuchenden Altabschreibungen zu verzerrten Anreizstrukturen bei den kommunalen Verantwortungsträgern. Im Ergebnis wird den Kommunen die Liquidität für Reinvestitionen fehlen und damit deren dauerhafte Leistungsfähigkeit perspektivisch schwächer werden. Eine ebenso grundsätzliche Ablehnung des Gesetzentwurfes wird durch Anke Hamann, Vertreterin des Sächsischen Landkreistages, dargestellt. Mit der Freistellung der Kommunen von der Pflicht zur Erwirtschaftung der Abschreibungen für Altinvestitionen würde das Kernelement der ursprünglichen Doppik-Einführung (nämlich der Leitgedanke der Generationengerechtigkeit) außer Kraft gesetzt und damit die Sinnhaftigkeit des gesamten Reformvorhabens in Frage gestellt. Statt dieses zu kurz gedachten Vor-
schlages, hätte sich der Landkreistag eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik durch die Staatsregierung gewünscht. Folgt man dem Szenario des Gesetzentwurfes, so werden in den nächsten beiden Dekaden die liquiden Mittel fehlen, um die kommunalen Investitionen bei zu ersetzenden Altanlagen zu realisieren. Gleichzeitig werden den Landratsämtern mit den Übergangsregelungen ihre rechtsaufsichtlichen Kontrollinstrumente gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden genommen.
Fehlende Akzeptanz Der Landkreistag sieht durch das (zwischenzeitlich beschlossene) Reformprojekt das doppische Regelungskonzept in seiner ursprünglichen Form als gescheitert an. Statt eines Ressourcenverbrauchskonzeptes entsteht ein Mischmodell aus weiterhin verbindlichem kameralen Haushalt und einer nur auf Neuinvestitionen abstellender tatsächlich vollständiger Beschreibung des Aufwandes. „Wir haben erhebliche Bedenken, dass dieses Zahlenwerk vor Ort vom Bürger oder den Gemeinderäten auch verstanden wird. Auf eine Auseinandersetzung mit der zentralen Fragestellung, wie sich Art und Umfang kommunaler Leistungen und deren Finanzierung in der Zukunft ändern müssen, um die Aufgabenerfüllung noch sicherstellen zu können, wird vollständig verzichtet. Statt Haushaltsdisziplin erreicht der Freistaat eine Erhöhung des Ausgabenniveaus zulasten der Zukunft. Die Landkreise gehen davon aus, dass die vorgesehenen Änderungen keinen Beitrag zu mehr Akzeptanz des Reformvorhabens im kommunalen Bereich leisten können.“ Die gefundene Lösung in der Ge-
setzesnovelle unterteilt sich in zwei zeitlich auseinander fallende Ansätze.
Zwischenregelung für 2017 Zunächst gelten Haushalte vorrübergehend weiterhin als gesetzmäßig, auch wenn sie nicht ausgeglichen sind. Diese kritische Sonderregelung wird um ein Jahr bis Ende 2017 verlängert. Die Haushalte müssen nicht einmal mehr den kameralen Ausgleich5 aufweisen, wenn entsprechende Liquidität aus Vorjahren zur Verfügung steht. Für die Kommunen, welche für 2017/18 einen Doppelhaushalt erlassen, gilt diese Sonderregel sogar noch ein Jahr länger. Reichen in der Haushaltsbewirtschaftung die Erträge nicht aus, um die anfallenden Aufwendungen zu decken, bleibt die Ausnahmeregelung der so genannten sanktionslosen Verrechnung mit dem Basiskapital als Übergangsregelung (nunmehr dauerhaft) bestehen. Die Defizite, welche durch Abschreibungen auf „Altanlagen“ (alle bis Ende 2017 angeschafften Anlagegüter) zurückzuführen sind, brauchen nicht mehr als Fehlbetrag dargestellt, sondern dürfen gegen das Basiskapital verbucht werden. Änderungen gibt es auch für Gebietskörperschaften mit Haushaltsschieflagen. Die Frist zur Erreichung eines gesetzmäßigen Haushaltes wird um ein Jahr auf vier verlängert. Der Nachweis ist weiterhin über ein Haushaltsstrukturkonzept zu erbringen, in welchem die zu ergreifenden Konsolidierungsmaßnahmen darzulegen sind.
Die neue DOPPIK ab 2018
Statt wie ursprünglich vorgesehen6 2013 wird das kaufmännische Prinzip der DOPPIK erst mit Wirkung des JahFortsetzung auf folgender Seite
Kommunal-Info 1/2017
Seite 2
Städte und Handel für lebendige Innenstädte Städte und Handel sollten Zusammenarbeit für lebendige Innenstädte vertiefen Der zunehmende Online-Handel, die Digitalisierung und der gesellschaftliche Wandel verändern die Einkaufsgewohnheiten sowie die Nachfrage der Menschen. Deshalb sollten Handel und Immobilienwirtschaft ihre Zusammenarbeit mit den Städten vertiefen, um gemeinsam innovative Lösungen für die Innenstädte zu erreichen. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse aus Ludwigshafen, erklärte hierzu: „Einkaufen zu gehen ist nicht mehr alleiniger Auslöser für einen Besuch in der Innenstadt. Die Menschen besuchen dort Events, lassen sich unterFortsetzung von Seite 1
... Doppik erst 2018 res 2018 tatsächlich eingeführt. Erst für ab diesem Zeitpunkt erworbenes Anlagevermögen müssen die Abschreibungen durch entsprechende Erträge erwirtschaftet werden. Als Gegenpol zu den erleichterten Verrechnungsmöglichkeiten mit dem Basiskapital wird eine Mindestkapitalausstattung definiert. Diese liegt bei einem Drittel des zum 31. Dezember 2017 festgestellten kommunalen Basiskapitals. Der so definierte Sockelbetrag darf nicht unterschritten werden (eingriffssicherer Grundstock an Eigenkapital). Mit der beschlossenen umfangreichen Übergangsregelung für „Altanlagen“, wird diese Übergangszeit sehr lange dauern. Für das 2016 in Görlitz-Weinhübel neu gebaute Grundschulgebäude mit einer regelmäßigen Nutzungsdauer von 50 Jahren ist die Pflicht, die Abschreibungen für dieses Gebäude vollständig zu erwirtschaften, beispielsweise bis zum Jahr 2066 ausgesetzt! Es sind künftig zwei Arten von Abschreibungen darzustellen. Zum einen die für bis 2018 angeschafften abnutzbaren Anlagen (können ganz oder zum Teil mit dem Basiskapital verrechnet werden) und die für nach 2017 erworbenen Aktiva (sind vollständig durch Erträge zu erwirtschaften). Um die Wirkung der gefundenen Übergangsregelungen zu prüfen, wurde das Staatsministerium des Innern beauftragt, im Jahr 2023 eine diesbezügliche Evaluation vorzulegen, die darstellen soll, „ob und ggf. inwieweit die neuen Steuerungs- und Verrechnungsinstrumente den Wirkungserwartungen des Gesetzgebers entsprechen und das Spannungsverhältnis zwischen den Schwierigkeiten der Systemüberleitung, der Sondersituation des Wiederaufbaus während der Laufzeit von Solidarpakt I und II und dem Ziel der Generationengerechtigkeit angemessen auflösen“ 7.
Konkretes Beispiel Für die Stadt Meißen hat der Stadtrat in der Eröffnungsbilanz zum 01. Januar 2013 ein Anlagevermögen von 250 Mio. Euro festgeschrieben8. Fast 60% dieses Vermögens kann durch Eigenkapital (in der DOPPIK als Basiskapital bezeichnet) in Höhe von 157 Mio.
halten, treffen sich zum sozialen Austausch und erleben Kultur. Urbanes Leben in den Städten verbindet Einkaufen, Wohnen, Arbeiten und Kultur und ermöglicht Kommunikation und Begegnungen. Ein zukunftsfähiger Einzelhandel mit attraktiven Geschäften gehört unbedingt dazu. Wir brauchen für starke Innenstädte eine Verantwortungsgemeinschaft von Stadt, Handel und Eigentümern, das heißt eine engere Zusammenarbeit des Handels und der Immobilienwirtschaft mit der Stadt sowie der Händler untereinander. Über diese Themen sind wir als Städtetag mit Handel und Immobilienwirtschaft in guten Gesprächen.“ Der Deutsche Städtetag veröffentlichte Fortsetzung auf Seite 4
Euro untersetzt werden. Aus dem ermittelten Anlagevermögen resultieren jährliche Abschreibungen von knapp 7 Mio. Euro. Die Finanzplanung im städtischen Haushalt geht von Investitionen in mindestens dieser Größenordnung aus, so dass sich das Anlagevermögen im Finanzplanungszeitraum nicht vermindern wird. Schöpft die Stadt nunmehr den vom Gesetzgeber eröffneten Rahmen aus, so kann sie ihr Basiskapital auf bis zu ein Drittel (= 52 Mio. Euro) abschreiben. Verteilt auf die nächsten zehn Jahre könnten somit pro Periode 5 Mio. Euro als Verlust verbucht werden, ohne dass der Haushalt gegen geltendes Recht verstoßen würde. Anders ausgedrückt: der städtische Haushalt kann eine Dekade lang mit jährlich 10% Defizit abschließen und genügt dennoch der fortgeschriebenen sächsischen Doppik!
Mehr Fragen als Antworten Die beschlossene DOPPIK-Novelle lässt selbst eingefleischte Fans des neuen Rechnungswesens ratlos zurück. Der Freistaat selbst hat im Dezember vergangenen Jahres den Doppelhaushalt für 2017/18 beschlossen. Dabei spielten Überlegungen zur Einführung der staatlichen DOPPIK keine Rolle. Auch perspektivisch bleibt das Thema nur für die kommunale Ebene aktuell und relevant! Dennoch wird das Thema Erhalt der Infrastruktur als wichtig für die Entwicklung von Sachsen eingeschätzt. Anders jedoch als bei der kommunalen Doppik-Übergangregelung setzt die CDU/SPD-Koalition beim eigenen Straßen-Aktiva auf Vermögenserhalt9. Auch der Sächsische Rechnungshof empfiehlt dringend Investitionen in Größenordnung der jährlichen Abschreibung, um so den weiteren Wertverfall der sächsischen Staatsstraßen zu stoppen10. Das 2007 beschlossene Reformprojekt des kommunalen Rechnungswesens hat sich als nicht richtig durchdacht erwiesen. Städte, Gemeinden und Landkreise waren gezwungen, mit viel Aufwand und hohen Kosten eine Bilanz aller Vermögensgegenstände zu erstellen. Ihr mühevoll und in bürokratischer Gründlichkeit centgenau ermitteltes Eigenkapital dürfen sie nun im Sinne einer Pauschalwertberichtigung in der Höhe von bis zu 66% zur Ausbuchung von Verlusten verbrauchen. Das
die von permanenten Finanzsorgen geplagten Kommunen von der Absetzung ihrer Defizite Gebrauch machen werden, ist stark anzunehmen. Das intensive werben des Vereins sächsischer Bürgermeister11 für die Änderungen, „die einen einfachen Haushaltsausgleich ab Januar 2017 ermöglicht“ sind dafür ein Indiz. Die Einführung des jetzt geltenden Modells wäre ohne großen Aufwand möglich gewesen, in dem alle neu getätigten Investitionen im Anlagevermögen registriert und auf diese Weise nach und nach eine vollständige Vermögensaufstellung entsteht. Bei Betrachtung der eigentlich mit der Reform des Rechnungswesens beabsichtigten Zielsetzung einer Generationen gerechten und nachhaltigen Haushaltswirtschaft stellt sich das Ergebnis als vergiftetes Geschenk dar. Mit der jetzt möglichen sanktionslosen Verrechnung von 2/3 der Abschreibung aller bisherigen Investitionen mit dem Basiskapital werden die kommunalen Haushalte dauerhaft um ihre Liquiditätsreserven gebracht, verlieren Investitionskraft und verlagern die Probleme weiterhin in die Zukunft. Durch das kaufmännische Rechnungswesen liegt eine deutlich verbesserte Datenlage zu den kommunalen Kassen vor. Dies muss aber auch in der Auseinandersetzung mit dem Freistaat Konsequenzen haben. Durch eine Neujustierung der Steuerverbundquote anhand der aktuellen Datenbasis muss eine den Aufgaben angemessene Finanzausstattung beim Freistaat eingefordert werden. Dies hätte notwendigerweise eine umfassende Reform des seit langer Zeit faktisch unveränderten sächsischen Finanzausgleiches zur Folge. Für die Periode bis einschließlich 2018 ist diese Chance allerdings bereits vertan. Sowohl Staatshaushalt als auch Finanzausgleichsgesetz sind bereits beschlossen. — 1 Diplomverwaltungswirt (FH) und parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater 2 Ergänzend wird auf den Beitrag „Wo stehen wir bei der DOPPIK-Einführung?“ aus Kommunal-Info 06/2016 verwiesen, der inhaltlich eng an dieses Thema anknüpft. 3 Drittes Gesetz zur Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung vom 13. Dezember 2016, Landtagsdrucksache
6/6016, verkündet im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 16/2016 vom 30. Dezember 2016 4 Diesen Aspekt griff die CDU/ SPD-Koalition mit einem entsprechenden Änderungsantrag noch auf. 5 Im kameralen Haushalt musste der Saldo aller Einzahlungen und Auszahlungen (aus laufender Verwaltungstätigkeit) positiv sein. Wobei zusätzlich Überschüsse darzustellen waren, um die Investitions- und Finanzierungstätigkeit abzusichern (seinerzeit bezeichnet als Mindest- bzw. Sollzuführung zum Vermögenshaushalt). 6 Gesetz über das neue kommunale Haushalts- und Rechnungswesen vom 07. November 2007, Landtagsdrucksache 4/8532, verkündet im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 13/2007 vom 24. November 2007 7 Siehe Begründung im Änderungsantrag der CDU/SPD-Koalition vom 24. November 2016 zum eingeführten eingriffssicheren Grundstock 8 Siehe Stadtrat Meißen, Beschlussvorlage Nr.: 16/6/086 „Feststellung der Eröffnungsbilanz der Stadt Meißen zum Stichtag 01.01.2013“ 9 Siehe Antrag der CDU/SPD-Koalition „Vermögenserhalt bei Staatsstraßen sichern“, Landtagsdrucksache 6/6107 10 Sächsischer Rechnungshof, Beratenden Äußerung „Erhaltung der staatlichen Straßeninfrastruktur“, Landtagsdrucksache 6/4907 11 Siehe Schreiben VEREIN SÄCHSISCHER BÜRGERMEISTER e.V. vom 23. November 2016 an die Mitglieder des Sächsischen Landtages
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Kommunal-Info 1/2017
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Flucht und Asyl - wo stehen wir 2017? Von Konrad Heinze, Chemnitz Im Jahr 2016 wurden nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flucht (BAMF) 321.371 Neuzugänge im EASY-System (IT-Anwendung zur Erstverteilung der Asylbegehrenden auf die deutschen Bundesländer) registriert. Das sind deutlich weniger als die 890.000 Menschen, die im Vorjahr in Deutschland Schutz suchten.1 Unverändert stammt der Großteil der Geflüchteten aus den Staaten Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea. Den Zugängen gegenüber stehen 722.370 Asylerstanträge in 2016 und 441.899 Erstanträge in 2015. Die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Registrierung der Ankunft und jener der formalen Asylantragstellung, welche auch als EASY-Gap bezeichnet wird, liegt darin begründet, dass das BAMF personell nicht entsprechend aufgestellt war. Zum einen fehlte es an EntscheiderInnen, welche die Asylanträge inhaltlich prüfen, zum anderen mangelte es an einer adäquaten Abstimmung zwischen den Behörden der Bundesländer und dem BAMF. In der Folge konnten Asylverfahren zuweilen über Monate nicht eröffnet werden, diese Wartezeiten kommen zu der eigentlichen Bearbeitungsdauer eines Asylantrages noch hinzu.2 Letztere sind, trotz eines massiven Stellenaufbaus im BAMF über das Jahr 2016 hinweg, weiterhin als problematisch einzuschätzen. So betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer ab der offiziellen Antragstellung bis zur Entscheidung im dritten Quartal 2016 zwar 6,6 Monate, schwankte aber je nach Herkunftsland zwischen 3,7 und 19,2 Monaten.3 Zum Stichtag des 31.12.2016 waren 433.719 Verfahren noch nicht entschieden, diese sollen aber bis zum Ende des zweiten Quartals 2017 abgearbeitet werden.4 Festzuhalten ist, dass sich seit Sommer 2016 zunehmend eine sinkende Qualität bei der Bearbeitung von Asylanträgen abzeichnet. Dies ist teils auf die verkürzten Ausbildungszeiten des neu eingestellten Personals, teils auf die angestrebte Neuorganisation des Asylverfahrens (etwa die Kategorisierung in „gute“ und „schlechte“ Bleibeperspektive5, die inhaltliche Trennung von Anhörung und Entscheidung oder die Zielstellung der Beendigung eines Asylverfahrens binnen 48 Stunden) zurückzuführen. Im Gesamten steigt damit die Zahl der vor den Verwaltungsgerichten angefochteten Asylbescheide. Jene Gerichte haben allerdings nicht die Aufgabe, „Korrekturinstanz für Fehler des Bundesamtes zu sein.“6
Sächsische Asylstatistik Die gesunkenen Zugangszahlen spiegeln sich in der sächsischen Asylstatistik wider. Mit Stand vom 30.11.2016 wurden 14.043 Asylsuchende registriert, weit weniger als im Vorjahr (69.900), aber immer noch über dem Niveau von 2014 (11.786). Auch in Sachsen stammen die meisten der über den Königsteiner Schlüssel zugewiesenen Geflüchteten aus Syrien, gefolgt von Afghanistan, Irak, der Russischen
Föderation und Libyen.7 Ferner reduzierte der Freistaat seine Erstaufnahmekapazitäten von rund 20.000 Plätzen zu Beginn des Jahres 2016 auf nun rund 6.000 Plätze.
Keine globale Entspannung
breite Kritik von VertreterInnen aus Wissenschaft und freier Wohlfahrtspflege.14 Weiterhin attestiert die Bundesintegrationsbeauftragte, Aydan Özoguz, dem Gesetz schwere Mängel.15
Wohnsitzauflage fraglich
Eines muss in aller Deutlichkeit gesagt sein: dass weniger Geflüchtete in Deutschland ankommen, ist kein Zeichen einer globalen Entspannung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) warnt zurecht davor, „mit Blick auf die zurückgehenden Flüchtlingszahlen zur Tagesordnung überzugehen.“8 Weltweit verzeichnet das UNHCR mit 63,5 Mio. Menschen auf der Flucht einen neuen historischen Höchststand.9 Tatsächlich sind wesentliche Fluchtursachen der letzten Jahre, wie die Eskalation des Bürgerkrieges
Allen voran ist die Wirksamkeit der kommunal relevanten Maßnahme der Wohnsitzauflage fraglich. Zur Zeit sehen die Länder mehrheitlich von einer Umsetzung ab, begründet wird dies mit dem Hinweis, die weitere Entwicklung der Asylzahlen abzuwarten.16 Dies trifft momentan auf den Freistaat Sachsen zu, wenn auch die Staatsregierung bereits deutlich gemacht hat, dass sie die Anwendung der Auflage innerhalb des Landes, und damit auf kommunaler Ebene, nach § 12 Abs. 3 und 4 AufenthG
in Syrien als auch die dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan, nach wie vor aktuell. Hinzu kommt die jüngste politische Krise in der Türkei. Mit ihr wird das EU-Türkei-Abkommen, dass de facto Flüchtenden den Weg nach Europa versperren soll, brüchig.10 Dies soll nicht als Alarmismus missverstanden werden. Prognosen über globale Fluchtbewegungen, nach Europa oder über künftige Zugangszahlen in Deutschland sind nur begrenzt aussagefähig bis spekulativ.11 Letztlich soll deutlich werden, dass die derzeitige Situation als Atempause zu begreifen und daher bestmöglich zu nutzen ist. Jetzt ist der Zeitpunkt, die vielfach im letzten Jahr geschaffenen Maßnahmen zur Integration und gesellschaftlichen Teilhabe auszubauen und zu etablieren. Denn „angesichts des demographischen Wandels werden sich die Kommunen künftig einer gezielten Integrations- und Migrationspolitik nicht verweigern können.“12 Den Rahmen hierfür soll das am 31.07.2016 in Kraft getretene Integrationgesetz vorgeben.13 Selbiges erfährt
grundsätzlich für rechtens hält.17 Darüber hinaus ist aber festzuhalten, dass für die Behauptung der integrationsfördernden Wirksamkeit einer Wohnortbeschränkung die empirische Basis fehlt. Verglichen mit dem von 1996 bis 2009 gültigen Wohnortzuweisungsgesetzes, dass der Gruppe der SpätaussiedlerInnen galt, stellt ein Forschungsbericht des BAMF fest: „Die Effekte des Wohnortzuweisungsgesetzes auf die Integration der (Spät-) Aussiedler in den Kommunen werden von den Experten nicht eindeutig bewertet. (…) Die Integrationserfolge sind stark abhängig von kommunalem Engagement in der Integration.“18 Eher ist zu erwarten, dass eine Unterbringung per Auflage im peripherem Raum eine genau gegenteilige, nämlich hindernde Wirkung entfaltet. Letztlich ist zu sagen, dass Integration per Verordnung bereits in der Vergangenheit nicht funktionierte und auch weiterhin nicht funktionieren kann. So sind wiederum die Kommunen, die Verwaltung als auch die Zivilgesellschaft gefragt, die Vorstellung einer integrativen Gesellschaft mit Leben zu füllen. Das wird eine der zen-
tralen Aufgaben der kommenden Jahre sein. — 1 Mit Beginn 2017 wird die EASY-Statistik eingestellt, da sie aufgrund von Fehl- und Doppelerfassungen sehr ungenau ist. Dies ist bei der Angabe der Zahlen für 2016 zu bedenken, musste doch für 2015 die EASY-Statistik von 1.091.894 auf die angegebenen 890.000 korrigiert werden. 2 Vgl. Fraktion Die LINKE im Bundestag: Kleine Anfrage Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das dritte Quartal 2016. Antwort der Bundesregierung, BT.-Drs. 18/10575 vom 06.12.2016, S. 2. 3 Vgl. ebenda, S. 11. 4 Vgl. Rheinische Post: Berg der nicht entschiedenen Asylanträge wächst weiter, vom 30.12.2016. 5 Vgl. Voigt, Claudius: Bleibeperspektive. Kritik einer begrifflichen Seifenblase, Münster 29.06.2016. 6 Pro Asyl: Memorandum zeigt Qualitätsmängel beim BAMF, vom 30.11.2016. 7 Vgl. Landesdirektion Sachsen: Asylbegehrende nach Hauptherkunftsländern im Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 30. November 2016 in Sachsen, vom 20.12.2016. 8 DStGB: „Wir schaffen das!“, Pressemitteilung Nr. 02/2017, Berlin 02.01.2017. 9 Vgl. UNHCR: Global Trends 2015, Genf 20.06.2016. 10 Derweil sucht die EU-Kommission nach Möglichkeiten, dass Modell des genannten Abkommens als „Migrationspartnerschaften“ auf Staaten wie Niger, Nigeria, Senegal, Mali, Äthiopien, Tunesien und Libyen ausweiten. 11 Das zeigte nicht zuletzt die Erfahrung des Jahres 2015, als die zu erwartende Zahl der ankommenden Geflüchteten stetig nach oben und Anfang/Mitte 2016 wiederum nach unten korrigiert wurde. 12 Aumüller, Jutta: Handlungsmöglichkeiten kommunaler Integrationspolitik, vom 01.11.2012. 13 Siehe Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil I Nr. 39, Bonn 05.08.2016, Seite 1939ff. 14 Siehe Rat Für Migration, Pro Asyl, Der Paritätische, Diakonie Deutschland: Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Integrationsgesetzes, Berlin 19.05.2016. 15 Zeit Online: Integrationsbeauftragte kritisiert eigenes Integrationsgesetz, vom 07.07.2016. 16 Vgl. DStGB: Stand der Wohnsitzauflage in den Ländern, Stand 09.11.2016. 17 Vgl. Nagel, Juliane: Kleine Anfrage Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete. Antwort der Staatsregierung, Drs.-Nr. 6/5952, vom 26.08.2016, S. 2. 18 Haug, Sauer: Zuwanderung und Integration von (Spät-) Aussiedlern - Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen des Wohnortzuweisungsgesetzes, Nürnberg 2007, S. 159.
Kommunal-Info 1/2017
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Intensivseminar Kommunikation in der Kommunalpolitik II Argumentieren in Texten und Reden Freitag, 24.03.2017 ab 18:00 Uhr bis Sonntag, 26.03.2017 ca 14:00 Uhr
Intensivseminar Kommunaler Haushalt - Kommunale Wirtschaft Freitag, 12.05.2017, ab 18:00 Uhr bis Sonntag, 14.05.2017, ca 15:00 Uhr „Alte Schule“, Schulweg 10, Schönteichen OT Cunnersdorf
„Landhotel Frankenberg“, Dammplatz 3, Frankenberg Im Mittelpunkt des als Workshop angelegten Seminars stehen Argumentationen, die wir als roten Faden für Texte oder Reden verwenden können. Wir werden uns dafür mit der Logik von Argumenten und mit dem sinnvollen Aufbau von Texten und Reden beschäftigen.
Intensivseminar Kommunikation in der Kommunalpolitik III Freies Reden und sicheres Auftreten Freitag, 05.05.2017 ab 18:00 Uhr bis Sonntag, 07.05.2017 ca. 14:00 Uhr „Hotel Schlossblick“, Markt 8, Trebsen Wir wollen üben, aus dem Stegreif kleine Reden zu halten. Dabei liegen die Übungsschwerpunkte auf Unbefangenheit, Spontaneität und spielerischem Umgang mit ernsthaften Themen.
Schwerpunkte: Kommunaler Haushalt: Haushaltssatzung und Haushaltsplan – was beinhalten beide? Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen? Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was ist eine vorläufige Haushaltsführung? Welche Abweichungen vom Haushaltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen? Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen? Was ist ein Haushaltsstrukturkonzept? Was steht im Jahresabschluss und in der Eröffnungsbilanz und nach welchen Grundsätzen sind sie zu erstellen? Welche Übergangsregelungen zur DOPPIK gelten ab 2017? Kommunale Einnahmen: Wie können Mandatsträger Einfluss auf den kommunalen Haushaltsplan nehmen? Wo kommen die kommunalen Einnahmen her? Wie werden Gebühren und Beiträge kalkuliert? Auf welcher Basis steht der sächsische kommunale Finanzausgleich? Welche finanziellen Auswirkungen hat der Wegzug eines Einwohners?
Referent: Dr. Christian Wirrwitz (Dozent, Trainer, Coach)
Dr. Thomas Voigt geb. 19.11.1960
gest. 30.12.2016
Der plötzliche Tod von Thomas Voigt hat uns zutiefst berührt. Er war seit 2013 ein gefragter Referent in unseren Veranstaltungen zur kommunalpolitischen Weiterbildung. Noch im Oktober 2016 trat er auf einer unserer Fachtagungen zum Thema „Öffentlicher Personennahverkehr“ auf. Thomas Voigt war promovierter Historiker und zuletzt als SPD-Mitglied zweiter Beigeordneter des Landkreises Leipzig. Er war über die Parteigrenzen hinweg ein anerkannter und geachteter Kommunalpolitiker. Thomas Voigt, der durch seine hohe Fachkompetenz unsere Weiterbildungsveranstaltungen bereichert hat, wird uns fehlen. Wir werden sein Andenken in Ehren halten. Der Vorstand des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V.
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Städte und Handel ...
dazu Anfang Januar auch ein Diskussionspapier sowie „Best-Practice-Beispiele“ aus 20 Städten. Auf Basis einer Umfrage des Deutschen Städtetages bei seinen Mitgliedsstädten wurde dieses Diskussionspapier erarbeitet, das Ideen und
Vorschläge für die zukünftige strategische Ausrichtung von Stadt und Handel enthält und Schwierigkeiten benennt. Dabei stellt sich die Situation sehr unterschiedlich dar: Einerseits ist der Handel in strukturstarken Städten mit erheblich steigenden Mieten belastet; andererseits gibt es in strukturschwachen Stadtteilzentren Probleme durch vermehrten Leerstand und es droht die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr ortsnah gesichert zu sein. Die zunehmende Digitalisierung und intelligente Vernetzung unterschiedlicher Dienstleistungs- und Versorgungsbereiche wirkt sich nachhaltig auf die Innenstädte aus. Im Jahr 2020 werden nach Schätzungen etwa 20 Prozent des Einzelhandelsumsatzes online abgewickelt werden. Neue Handelskonzepte und Mobilitätsangebote ändern die Kunden- und Lieferströme. „Deshalb müssen wir vermehrt innovative Lösungen mit allen Beteiligten erarbeiten. Der Handel in den Ladengeschäften und der Online- Handel sind künftig nur gemeinsam denkbar und sollten kun-
Kommunale Unternehmen und die Rechte und Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten: Einführung in das Kommunale Wirtschaftsrecht Unter welchen Voraussetzungen darf eine sächsische Kommune wirtschaftliche Unternehmen führen? Welche Unternehmensformen des öffentlichen und des privaten Rechts kommen für kommunale Unternehmen infrage und was muss im Gesellschaftsvertrag einer GmbH enthalten sein? - Welche „fakultativen“ Regelungen sind möglich? Welche Aufgaben hat ein Aufsichtsrat in einer GmbH? Welches sind wesentliche Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Organen von Unternehmen? Wie können Interessenskonflikt der kommunalen Vertreter in Aufsichtsräten aufgelöst werden? Können Unternehmen und Beteiligungen ohne weiteres veräußert werden? Was gehört als Mindestinhalt in einen Beteiligungsbericht? Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater) Teilnehmerbeitrag: 20,00 EUR
denorientiert verknüpft werden. Und wir müssen auch eine gute Versorgung der Bevölkerung in den Stadtteilen sicherstellen. Einzelhandelskonzepte der Städte tragen zu einer positiven Entwicklung des Handels bei, wenn sie eindeutige Prioritäten setzen, die in Zusammenarbeit mit den Beteiligten vor Ort erarbeitet, in kurzen Intervallen aktualisiert und mit ,langem Atem‘ umgesetzt werden“, machte Städtetagspräsidentin Lohse deutlich. Einige „Best-Practice-Beispiele“ seien genannt: Masterpläne, Einzelhandelskonzepte, Zentren- Entwicklung (Bochum, Bremen, Dresden, Düsseldorf, Freiburg, Hamm, Köln, Leipzig, Mannheim, München, Münster, Nürnberg, Offenbach, Stuttgart u. v. a.); Online-Stadtpläne mit Informationen über Einzelhandel (Augsburg, Münster); Stadtportal zum Thema Einkaufen, das mit Händlern von Geschäftsstraßen kooperiert und Angebote bündelt (Bremen, Düsseldorf, Güstrow, Münster, Rostock, Wuppertal);
City-Shopping-App für Smartphones mit Infos zu freiem WLAN (Bremen); Vermarktung von EinzelhandelStart-ups (Düsseldorf); Modell der Business Improvement Districts, d. h. Akteure eines begrenzten Geschäftsgebiets steigern innerhalb von 5 Jahren die Attraktivität des Gebietes, finanziert durch kommunale Abgabe aller Grundeigentümer (Hamburg); attraktivere Geschäftsstraßen durch Kooperationen fördern (Berlin, Köln); Gestaltungskatalog für Außengastronomie (Münster); Online-Datenbank über Einzelhandelsleerflächen (Stuttgart); Konzept „Nahversorgung“ für Stadtteile ohne Lebensmittelversorgung (Stuttgart); „OF Loves U“, Online-Portal und Kampagne, die Identität fördern (Offenbach). Das Diskussionspapier des Deutschen Städtetages „Zukunft von Stadt und Handel“ ist abrufbar im Bereich Fachinformationen, Stadtentwicklung unter www.staedtetag .de
Dezember 2016 / Januar 2017
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Haushalt: Kein Aufbruch trotz Geldschwemme
Liebe Leserinnen und Leser, „Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert, und handelt; statt zu reden noch und noch. So was hätt‘ einmal fast die Welt regiert! Die Völker wurden seiner Herr, jedoch: daß keiner uns zu froh da triumphiert. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Zurzeit denke ich oft an dieses Brecht-Zitat – auch weil in den letzten Jahren rechnerisch fünf Nazi-Straftaten am Tag verübt wurden, wie meine Fraktionskollegin Kerstin Köditz errechnete. Ich dachte daran, als der Landesrichter Jens Maier im Vorprogramm zu Höckes Dresdner Rede erklärte, die NPD sei „die einzige Partei“, „die immer geschlossen zu Deutschland gestanden hat“. Biedere neue Hassprediger wollen die NaziGräuel per „erinnerungspolitischer Wende“ zur Fußnote machen, um ihre Pläne umzusetzen. Frauke Petry weiß übrigens, dass sie ihren Rivalen Höcke braucht, ein Großteil der AfD stützt ihn. Ihre Kritik an ihm ist reine* Taktik. Das Grundgesetz ruht auf dem tätigen „Nie wieder“ als Antwort auf die Menschheitsverbrechen des Hitlerfaschismus. Die NPD war nie Teil dieses Konsenses, bei der AfD bezweifle ich, dass sie es ist. Es bleibt unsere Aufgabe, sich Nazis entgegenzustellen. Immer und überall! Ich habe mich deshalb gefreut, als Justin Sonder vom Chemnitzer Stadtrat zum Ehrenbürger gemacht wurde. Der 91-Jährige hat die Todeslager überstanden und bleibt ein unermüdlicher Aufklärer. Er hat erlebt, wie Minderheiten litten, nachdem die Machthaber sie zu Sündenböcken gestempelt hatten. Diese Strategie verfolgen Nazis auch heute. Wir müssen ihnen in den Arm fallen! Deshalb wollen wir zum Beispiel, dass Asylsuchende, die Opfer rechter Gewalttäter geworden sind, ein vorübergehendes Bleiberecht bekommen. Noch einmal Brecht: „Ändere die Welt; sie braucht es.“
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Ein Hoch auf sprudelnde Steuereinnahmen! CDU und SPD können in den Jahren 2017 und 2018 so viel Geld verteilen wie noch nie in der jüngsten Geschichte des Freistaates. 37,5 Milliarden Euro umfasst ihr Haushaltsplan, den der Landtag im Dezember mit ihren Stimmen beschloss. Der Ministerpräsident gab sich trotzdem demütig. „Viele Bürgerinnen und Bürger haben aber gerade im ausgehenden Jahr deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht einiges nicht richtig läuft. Ich nehme das sehr ernst. Wir gehen in der Politik darauf ein“. Rico Gebhardt, LINKEN-Fraktionschef, bezweifelt das. Tillich habe bisher „nach solchen Reden trotzdem so weiter gemacht“. Seine Vorgabe vom Herbst 2009, beim Landespersonal mehr als ein Fünftel der Stellen zu streichen, habe „dem Personalnotstand an den Schulen, bei der Polizei, in der Justiz und weiteren Bereichen den Weg geebnet.“ Dabei gehe es Sachsen finanziell gut. „Verglichen mit dem, was CDU-Finanzminister Unland all die Jahre an Horrorszenarien vorgelegt hat, erleben wir eine Geldschwemme. Sagen Sie mal, Herr Finanzminister, Ihnen müsste es doch im Moment richtig schlecht gehen. Sie sind als Trickser entlarvt. Seit Jahren rechnen Sie das Land künstlich arm.“ Das komme uns alle teuer zu stehen, denn Sachsen stehe deshalb im Wettbewerb der Bundesländer um Nachwuchs schlecht da. Nun seien umso größere Anstrengungen notwendig. Das Mindeste sei ein Stellenentwicklungskonzept.
den Stellenabbau an den Hochschulen zu stoppen, verbinden CDU und SPD mit der erpresserischen und lebensfremden Auflage, die Studierendenzahl bis 2025 von 105.000 auf 95.000 zu senken. Auch im Kultur-Etat ist von den Rekordeinnahmen nichts zu spüren, nur wenig mehr fällt ab für die Kulturräume. Sparten und Häuser bleiben existenzbedroht, Kunstschaffende müssen weiter Gehaltsverluste hinnehmen. Kaum Fortschritt auch im Wirtschaftsressort: Die Digitalisierung wird nur zaghaft begleitet, der Öffentliche Nahverkehr wenig gefördert. Einen Strukturwandelfonds für das nahende Ende der Braunkohleverstromung wird es nicht geben.
Die Linksfraktion habe gegenfinanzierte Vorschläge gemacht, um den Landeshaushalt zur „sozialen Offensive“ zu machen. Die müsste „die Existenzängste, die immer mehr Menschen befallen, an der Wurzel packen.“ Dafür sei Geld da, es müsse genutzt werden. „Es geht um die soziale Sicherheit. Angst bekämpft man mit Hoffnung.“ Der Plan der Staatsregierung bleibe aber eine „reine Reparaturwerkstatt“.
etwa Wärter*innen, Dolmetscher*innen und Psycholog*innen, auch einige Richter*innen und Staatsanwält*innen. Allerdings wird bei den „Mittelbau“Beschäftigten an Gerichten und Staatsanwaltschaften weiter abgebaut. Auch sonst bereitet die CDU-Regierung den Freistaat nicht darauf vor, dass ab dem Jahr 2023 mehr als die Hälfte des Justizpersonals altersbedingt ausscheidet. Die Polizei durchläuft mindestens bis 2022 ein Tal der Tränen, bis spürbar mehr Beamte verfügbar sein werden. Es wären mehr Einstellungen notwendig, damit neben den Neueinsteigern auch die Wachpolizisten in den regulären Dienst übernommen werden können.
Das zeigt sich in den Etats der Ministerien. Im Sozialbereich spiegelt sich die Einnahmesituation nicht, viele Bereiche bleiben unterfinanziert – Krankenhausförderung, Jugendhilfe, Familienbildung und -erholung, Suchthilfe. Auch Wissenschaft und Kultur hält die Staatsregierung kurz. Die Grundfinanzierung der Hochschulen bleibt niedrig, was vor allem diejenigen spüren, die den Betrieb am Laufen halten, ohne einen Lehrstuhl innezuhaben – der „Mittelbau“ also, wissenschaftliche und künstlerische Beschäf2.0 tigte. Ihren Y-NC CC B m/ kr.co Plan, ic fl / men ©G
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Sachsen hat in den letzten Monaten und Jahren viel über Bildung, öffentliche Sicherheit und Justiz diskutiert. Nun gibt es zwar etwas mehr Justizpersonal,
An den Schulen – Stichwort Lehrkräftemangel – bringt der Landeshaushalt allenfalls geringe Verbesserungen. Es gibt weiter keinen Stellenplan, der die steigenden Schülerzahlen berücksich-
tigt. Es bleibt auch bei der tariflichen Benachteiligung der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Den Unterricht sichert dieser Haushalt nicht flächendeckend ab. Auch in der Landwirtschaft bleiben Dauerkrisen ungelöst. Den vom Produktionsüberschuss ausgelösten Milchpreisverfall will Umweltminister Schmidt (CDU), bekämpfen, indem sein Haus die Zentralisierung der Milchwirtschaft fördert. Besser wäre es, Betriebe zu erhalten, breitere Vermarktungspaletten zu fördern. Fazit: Die Landesregierung lässt die größten Hausaufgaben unerledigt. Dabei drängen viele Fragen, die Rico Gebhardt formulierte: „Wie machen wir Sachsen in all seinen Regionen attraktiv für kluge Köpfe und geschickte Hände? Wie schaffen wir mit einer
verlässlichen Infrastruktur Hoffnung und Vertrauen? Wie schaffen wir soziale Sicherheit für die Menschen, die Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder haben, die Angst vor einem Lebensabend haben, den sie nicht selbst bestreiten können, die sich Sorgen um den Frieden in Europa und in der Welt machen?“ Die Antworten der LINKEN setzten auch bei der Tatsache an, dass sich die Oberschicht mit Hilfe der Steuerpolitik von CDU und SPD ihrer Verantwortung fürs Gemeinwesen entziehen kann. Die Hauptlast tragen deshalb Menschen ohne großes Vermögen sowie kleine und mittelständische Unternehmer*innen. Das durchschnittliche Nettoeinkommen aller Sachsen einschließlich Rentenbezieher liegt mit 1.168 Euro übrigens in etwa bei dem, was ein vollzeitbeschäftigter Mindestlohn-Beschäftigter erhält. Das alles verschweigt diese Regierung freilich, wenn sie den Steuerzahler*innen dankt. Ändern wird es nur eine andere politische Mehrheit!
PARLAMENTSREPORT
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Dezember 2016 / Januar 2017
Kommt schnell Hilfe, wenn wir sie brauchen?
Diese Sicherheit gibt es leider nicht immer. In Schapers Heimatregion Chemnitz war der Rettungsdienst seit 2014 nur in etwa drei Vierteln aller Fälle innerhalb der gesetzlichen Frist von zwölf Minuten am Einsatzort. Im Rettungszweckverband der Versorgungsbereiche Landkreis Leipzig und Region Döbeln liegt die Quote bei 93 Prozent. „In ganz Sachsen wird die Hilfsfrist durchschnittlich in nur 86,5 Prozent der Fälle eingehalten. Damit wird die gesetzliche Vorgabe von 95 Prozent um 8,5 Prozent verfehlt. Das klingt nicht dramatisch, genau das ist es aber. Denn bei Notfalleinsätzen stehen oft Menschenleben auf dem Spiel“, so Schaper. Deshalb sei es auch problematisch, wenn Notarztdienste unbesetzt bleiben. Diese Dienste umfassen jeweils zwölf Stunden, die von den Trägern an insgesamt 79 Standorten koordiniert werden. 2015 waren 54.881 dieser Dienste zu leisten, in 1.153 Fällen
gelang das nicht. Statistisch gesehen bedeutet das, dass die Notarztstandorte nur an rund 340 Tagen besetzt waren. „Da kann man nur hoffen, dass in dieser Zeit wirklich nichts passiert.“
hatte die Linksfraktion auch nach Daten zu den Notaufnahmen. Immer wieder wird diskutiert, dass sie auch unnötigerweise von Patienten genutzt werden, die eigentlich zum kassen-
Bild: Julian Schüngel / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0
Diesmal klingt sie am Rednerpult traurig, die Sozialpolitikerin der Linksfraktion, Susanne Schaper. „Wer weiß, vielleicht könnte unser Genosse und Freund Lothar Bisky noch leben, wenn der Rettungsdienst damals die Chance gehabt hätte, früher da zu sein.“ Der ehemalige PDS-Bundesvorsitzende war 2013 den Folgen eines Treppensturzes erlegen. Schapers Worte weisen auf ein Problem, das alle angeht: Kommt schnell Hilfe, wenn wir sie brauchen?
Informationen wie diese entstammen den Antworten der Regierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion „Rettungsdienst und Notfallmedizin im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/4892). Viel Relevantes konnte das Sozialministerium nicht liefern, die Wissenslücken sind ebenso groß wie die Heimlichtuerei. So kann oder will man beispielsweise nicht mitteilen, wie viel Rettungseinsätze kosten, oder wie viele Notfallsanitäter, Notfallassistenten oder Rettungssanitäter unter den insgesamt 3.745 nichtärztlichen Beschäftigten sind. Gefragt
ärztlichen Notdienst hätten gehen können. Das zeigt den zunehmenden Allgemein- und Fachärztemangel. In wie vielen Fällen das vorkommt, weiß das Sozialministerium aber nicht. Obwohl es zehn Wochen Zeit hatte, um die 41 Fragen zu beantworten, liefert es den Abgeordneten nur lückenhafte Informationen. Beim Thema Hilfsfristen verwies man schlicht auf andere Parlamentsanfragen, die ihrerseits keine erschöpfenden Antworten liefern. „Eine schwache Leistung, ob aus Ignoranz, Arroganz oder aus Unvermögen“, findet Schaper.
Ihr Fraktionskollege Mirko Schultze, Sprecher für Rettungswesen, stellte die Forderungen der Linksfraktion vor, die sie aus den Antworten ableitet. Dazu gehört ein „Rettungsdienst-Notfallmedizin-Bericht Sachsen“, der die Informationslücken ausfüllt. Die Regierung müsse darauf hinwirken, dass alle Rettungsleitstellen und -fahrzeuge mit genug ärztlichem und nichtärztlichem Fachpersonal besetzt sind und bleiben, damit die Hilfsfrist eingehalten werden kann. Sowohl die angestellten als auch die neben- oder freiberuflich tätigen Notärzt*innen brauchten ein arbeitszeitgerechtes System, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Nicht zuletzt müssen an weiteren Krankenhausstandorten ambulant-stationäre Gesundheitlich-Medizinische Versorgungszentren entstehen, um die Notaufnahmen zu entlasten. Insgesamt wird deutlich, dass Sachsens Regierung zu wenig über die Lage des Rettungs- und Notfalldienstes weiß. Schapers Fazit: „Ich danke allen engagierten Menschen, die den Rettungs- und Notfalldienst trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten. Nicht nur ihretwegen, sondern im Interesse von uns allen fordere ich die Koalition auf: Verschaffen Sie sich endlich ein umfassendes Bild von der Lage, damit Sie die Probleme lösen können!“ Denn wir alle müssen uns darauf verlassen können, dass uns im Notfall schnell geholfen wird, in unserem eigenen Interesse und in dem unserer Familien und Freunde.
Menschenrechte: Abstriche mit sächsischer Zustimmung
Bild: Barnaby_S / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0
Vor zehn Jahren, am 13. Dezember 2006, beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die UN-Behindertenrechtskonvention bekräftigt allgemeine Rechte der Menschen mit Behinderungen, soll ihre Würde schützen. Sie ist auf staatlicher Ebene durch Gesetze und Maßnahmen
umzusetzen, auch in Sachsen. Hier gibt es zwar einen Landesaktionsplan; aber der geht über die Geschäftsbereiche der Staatsregierung nicht hinaus, wie Horst Wehner kritisiert. Als Abgeordneter befasst er sich in der Landtags-LINKEN mit Inklusionspolitik und verfolgte die Debatten zum „Bundesteilhabegesetz“, das wenige Tage vor Weihnachten sowohl im Bun-
destag als auch im Bundesrat verabschiedet wurde. Die Linksfraktion hatte sich kurz vor der Abstimmung in der Länderkammer mit einer Aktuellen Debatte im Landtag – „Behindert ist man nicht – behindert wird man! Abstriche an Menschenrechten im Bundesteilhabegesetz nicht zulassen!“ dafür eingesetzt, dass die sächsische Staatsregierung dem Gesetz dort nicht
zustimmt. Zwar hatten viele warnende Stimmen und besonders die Proteste von Betroffenen dazu geführt, dass noch kurz vor der Beschlussfassung im Bundestag zahlreiche Änderungen am Gesetz vorgenommen wurden, aber die volle Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention enthält es trotzdem nicht. Das Gesetz schränkt zum Beispiel das Recht auf freie Wahl des Wohnorts ein, wie insgesamt auch das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, vor allem im Freizeitbereich. „Wenn beispielsweise nur ein Betreuer zwei Menschen mit Behinderungen begleitet, von denen einer ins Kino und der andere aufs Fußballfeld will, dann gibt es ein Problem“, so Wehner. Notwendige Maßnahmen unterlässt die Regierung derweil. So erhalten beispielsweise hörbehinderte Menschen bei der Ausübung von Ehrenämtern immer noch keinen leichteren Zugang zu Gebärdensprachdolmetschern. „Denn Kostendeckelung war von Anfang an eine wesentliche Zielgröße der Regierung“, kritisiert Wehner. „Ich meine, die Durchsetzung von Menschenrechten gehört nicht unter Haushaltsvorbehalt, sie ist eine gesellschaftliche Pflicht. Wir müssen umfassende Barrierefreiheit schaffen, die ja auch Menschen ohne Beeinträchtigung im Alltag nützt“.
Dezember 2016 / Januar 2017
PARLAMENTSREPORT
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Sachsen lässt sein Personal im Stich Einen Großteil unseres Lebens verbringen wir am Arbeitsplatz. Grund genug, auch im Job darauf zu achten, dass Gesundheitsrisiken gering bleiben. Das gilt nicht nur für körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten wie die des Stahlwerkers oder der Altenpflegerin, sondern auch für alle, die im Büro sitzen. Arbeitgeber*innen dürfen die Gesundheit ihrer Beschäftigten nicht gefährden. Der Freistaat, der Zehntausende – darunter viele Lehrkräfte und Polizeibeamte – beschäftigt, ist keine Ausnahme. Personalabbau, Aufgabenhäufung, Arbeitszeitverdichtung, Überstundenhäufung und der wachsende Altersdurchschnitt schwächen allerdings Motivation und Leistungsfähigkeit. Die Linksfraktion fordert ein systematisches Gesundheitsmanagement für den öffentlichen Dienst (Drucksache 6/7167). Die Regierung muss zunächst die Ursachen der hohen Krankenstände insbesondere bei der Polizei, im Justizvollzug und bei der Berufsfeuerwehr erforschen. Der Erfolg von Modellprojekten, etwa des 2016 gestarteten Programms „Ein nachhaltig wirksames Betriebliches Gesundheitsmanagement in sächsischen Justizvollzugsanstalten“ muss untersucht werden.
des Justizvollzugs oder der Berufsfeuerwehr. Auch in der allgemeinen Verwaltung sind die Symptome akut“. Die CDU-geführten Regierungen hätten den Personalabbau im Dienste des Fetischs „schwarze Null“ gefeiert und dabei nicht bedacht, welche Konsequenzen er für das Landespersonal hat. „Das rächt sich jetzt.“ So weisen die Beschäftigten der Justizvollzugsanstalten mit durchschnittlich 36 Fehltagen jährlich den bundesweit höchsten Krankenstand auf. Seit 2003 fielen im Justizvollzug 400 Stellen weg. „Die verbliebenen Beschäftigten sind an der Grenze ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit angelangt. Hier muss die Politik gegensteuern. Dazu gehört ein besseres, umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement“. Dem pflichtet Innenpolitiker Enrico Stange bei. Auch die Polizei arbeite an, bisweilen über der Belastungsgrenze. Zusätzliche Anforderungen wie die Absicherung von Demonstrationen, Fußballspielen und Asylunterkünften
Wer hat Angst vorm bösen Wolf?
verschärften die strukturelle Personalkrise. „Die Zahl der angefallenen Mehrarbeitsstunden der Polizeivollzugsbeamten lag im Oktober 2016 bei 93.915. In den November wurden 137.704 Stunden übertragen.“ Der Berg schwinde nicht, obwohl weniger Asylsuchende kommen und Demonstrationen wieder seltener sind. Entsprechend alarmierend sei der Krankenstand. In der freien Wirtschaft liege er durchschnittlich bei vier, bei der sächsischen Polizei aber bei 8,4 Prozent. 2015 entstanden 342.966 Ausfalltage.
Weite Teile der Lausitz sind in Aufregung. Der Grund sind polnische Immigranten der Spezies canis lupus: Wölfe behelligen nicht Rotkäppchen im Märchen, sondern – ganz real – die Besitzer von Weidetieren. Meldungen über Wolfsrisse häufen sich, oft sind Schafe die Beute. Landwirte protestieren, was man auch im Landtag hört. Sachsens Regierung hinterfragt kaum verhohlen den Schutzstatus der vom Aussterben bedrohten Wölfe, Rufe nach Abschüssen werden lauter.
Ideen zum Gesundheitsmanagement könne sich die Regierung von der Gewerkschaft der Polizei oder aus anderen Bundesländern holen, etwa aus Nordrhein-Westfalen. Es sei zwar gut, so Stange, dass die Regierung einen „Handlungsleitfaden Gesundheitsmanagement“ entwickelt hat. Der werde aber nicht umgesetzt, was der Rechnungshof schon 2015 bemängelte. Derweil leiden viele Landesbeschäftigte einsam weiter.
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Klaus Bartl, Rechtsexperte der Linksfraktion, verwies in der Debatte auf die 1986 verabschiedete OttawaCharta der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen. Sie definiert Gesundheitsförderung als „einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“. Das Klischee, dass es im öffentlichen Dienst „ruhig zugehe“, sei falsch – „und das nicht nur in den anerkannten und kräftezehrenden Dienstzweigen der Polizei, der Justiz,
LINKEN-Politikerin Kathrin Kagelmann mahnt Sachlichkeit an. Der Wolf erobere seinen natürlichen Lebensraum zurück - selbstverständlich dürfe das nicht die wirtschafliche Existenz von Weidetierhaltern bedrohen. Beim Umgang mit Isegrim komme es allerdings auch auf „ökologische Systemzusammenhänge“ an. Raubtiere nähmen einen wichtigen Platz im Ökosystem ein; Wölfe ernährten sich nur zu etwa einem Prozent von Nutztieren, den Rest machten wildlebende Huftiere und Kleinsäuger aus. In Russland wisse man: „Wo der Wolf lebt, wächst der Wald“. Das Nahrungsangebot reguliere ihre Population, weshalb eine mit Waffengewalt durchgesetzte Obergrenze, wie sie der AfD auch für Wölfe vorschwebt, Quatsch sei. Nicht alle Wölfe seien das Problem, sondern einzelne. Die dürften bereits vergrämt oder „entnommen“ werden. Das alles beruhige freilich nicht den Schäfer, der durch die Wölfe Tiere verliert. Ihm müsse geholfen werden. Zwar seien in manchen Fällen – etwa bei Vorfällen in den Kreisen Görlitz und Bautzen – noch nicht alle Herdenschutzvarianten ausgereizt worden, sagt Kagelmann. Die gezahlten Entschädigungen für nachweisbare Wolfsrisse genügten aber keinesfalls, um den hohen Aufwand für Schutzmaßnahmen, Kontrolle und Schadensbearbeitung auszugleichen. Die Linksfraktion wolle deshalb die Förderinstrumente verbessern, etwa in Form von Flächenprämien. Anstatt dem Reflex „Abschießen!“ zu folgen – es sei keineswegs sicher, dass die Wolfspopulation stabil ist –, solle der Mensch „die Herausforderung des Zusammenlebens annehmen“. Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn Wolf.
Wer mitmischen will, muss die Grundzüge des Staats- und Regierungssystems kennen. Politische Erwachsenenbildung gehört deshalb zum lebenslangen Lernen. Allerdings ist es in Sachsen nicht gut um sie bestellt. Der Anteil der politischen Bildung an der Weiterbildung nimmt ab. In seiner Expertise „Stand und aktuelle Perspektiven der politischen Erwachsenenbildung im Freistaat Sachsen“ stellt der Bildungswissenschaftler Klaus-Peter Hufer einen Rückgang um fast ein Viertel zwischen 2010 und 2015 fest. Politische Bildung habe in Sachsen „eine eher randständige Position“. Der Sächsische Volkshochschulverband beklagt, „dass in den letzten zehn Jahren keine Erhöhung der Mittel für die Allgemeine Erwachsenenbildung erfolgte.“ Dabei müssten die Einrichtungen dringend mehr investieren, vor allem im ländlichen Raum. Gerade dort seien mehr Dialogund Begegnungsmöglichkeiten, generationsübergreifende, aufsuchende wie mobilitätsunterstützende Angebote ebenso nötig wie eine Stärkung
der Zivilgesellschaft. Sachsens Weiterbildungsgesetz von 1998 ist veraltet und legt keinen Schwerpunkt auf die politische Erwachsenenbildung. Sie muss, anders als etwa in Nordrhein-Westfalen, nicht verpflichtend angeboten werden. So findet sie auch nicht flächendeckend statt. Wie der jüngst veröffentlichte Sachsen-Monitor zeugt, wächst das Problem mangelhafter politischer Bildung auch in den jüngeren Generationen. Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) macht dafür freilich nicht die Regierung verantwortlich. Vielmehr hätten die älteren Lehrerinnen und Lehrer wegen ihrer DDR-Erfahrungen die Diskussionskultur an den Schulen verkümmern lassen. Sich selbst nimmt Kurth natürlich aus, hat sie doch den Lehrerberuf der Politik wegen aufgegeben. Sie sollte allerdings ein Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann bedenken: „Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst“.
Die Linksfraktion will die politische Erwachsenenbildung stärken (Drucksache 6/5108). Marion Junge, Sprecherin der Linksfraktion für Weiterbildung, formuliert Forderungen: „Die 2014 beschlossene Weiterbildungskonzeption muss mit Leben erfüllt und weiterentwickelt werden. Das Weiterbildungsgesetz muss die geförderten Weiterbildungseinrichtungen verpflichten, politische Bildung anzubieten. Veranstaltungen zur Demokratieförderung und politischen Bildung sollten entgeltfrei sein. Gute Weiterbildung ist freilich nicht zum Nulltarif zu bekommen. Der Freistaat muss deshalb die Erwachsenenbildung endlich besser finanzieren und einen Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub einführen, wie ihn 14 der 16 Bundesländer gewähren“. Die Regierung aus CDU und SPD wies das alles von sich. Auch sie weiß offenbar, dass ein Mangel an politischer Bildung am Ende die mündigen Bürgerinnen und Bürger hemmt, die sich einbringen wollen.
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Staatsregierung lehnt mehr politische Bildung ab
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PARLAMENTSREPORT
Dezember 2016 / Januar 2017
Sind die Russland-Sanktionen vernünftig?
Plenarspiegel
Dezember 2016
Ende November begleitete ich etwa 50 VertreterInnen sächsischer Wirtschaftsunternehmen auf einer vom Ministerpräsidenten geleiteten Delegationsreise nach Tatarstan. Tatarstan liegt westlich des Urals, ist die bevölkerungsreichste der autonomen Republiken Russlands und betreibt eine hochentwickelte eigenständige Wirtschaftspolitik. Das Land verfügt über zahlreiche zum Teil unerschlossene Erdöl- und Erdgasvorkommen. Nicht zuletzt deshalb stand die viertägige Reise unter dem Thema „Innovative Produktionsausrüstungen und -technologien für den Maschinenbau,
guten Geschäftsbeziehungen zwischen sächsischen und tatarischen Unternehmen dieser Branchen zu vertiefen. Besonders in den Bereichen Rohstoffförderung und -verarbeitung sollten Sachsen und Tatarstan ihre Potentiale und ihr Knowhow nutzen, um langfristige Kooperationen ausund aufzubauen. An der Energieuniversität Kazan werden mehr als 9.000 Studierende und Doktoranden aus verschiedenen Regionen Russlands, den GUS-Ländern, Asien und Afrika zu Fachkräften für Energiesysteme ausgebildet. Hier
Die 45., 46. und 47. Sitzung fanden zwischem dem 13.12.2016 und dem 16.12.2016 statt. Die Linksfraktion war mit diesen parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Behindert ist man nicht – behindert wird man! Abstriche an Menschenrechten im Bundesteilhabegesetz nicht zulassen!“ Anträge „Voraussetzungen für ein systematisches Gesundheitsmanagement im öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen schaffen - Analyse der Ausgangssituation umfassend betreiben“ (Drs 6/7137) „Politische Erwachsenenbildung stärken“ (Drs 6/5108) Große Anfrage „Rettungsdienst und Notfallmedizin im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/4892) sowie Entschließungsantrag (Drs 6/7668) Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE zur Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses zum „Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Freistaates Sachsen für die Haushaltsjahre 2017 und 2018 (Haushaltsgesetz 2017/2018 HG 2017/2018)“ (Drs 6/7657) Alle Änderungsanträge der Linksfraktion zum beschlossenen Doppelhaushalt finden Sie unter www.edas.landtag.sachsen.de/ Alle Reden zum Haushaltsplan und seinen Einzelplänen, zum Haushaltsbegleitgesetz sowie zum „Gesetz zu den Finanzbeziehungen zwischen dem Freistaat Sachsen und seinen Kommunen“ finden Sie auf unserer Internetseite unter Dokumente bzw. Plenum: www.linksfraktion-sachsen.de
Petrochemie- und Kunststofftechnik, Fahrzeug- und Flugzeugindustrie sowie Landtechnik.“ Vorrangiges Ziel der Gespräche war es, die bereits
wurde ein sächsisches EngineeringZentrum für Energie-Effizienz gegründet. Ziel des Projektes, das in Kooperation mit der Dresdener SARAD
Mitglieder für die Bundesversammlung am 12. Februar in Berlin gewählt Am 12. Februar wählt die 16. Bundesversammlung die neue Bundespräsidentin bzw. den neuen Bundespräsidenten. Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Länderparlamenten gewählt werden. Der Sächsische Landtag bestimmte, dem Wahlvorschlag der Linksfraktion entsprechend, unter anderen die folgenden Mitglieder dieses Gremiums: Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Armutsforscher und Agenda2010-
Kritiker, Kandidat der LINKEN für das höchste Staatsamt) Luise Neuhaus-Wartenberg, MdL Simone Luedtke, Oberbürgermeisterin von Borna Rico Gebhardt, MdL Susanne Schaper, MdL Horst Wehner, MdL Kerstin Köditz, MdL
GmbH realisiert wird, ist vor allem die Zusammenarbeit bei der Forschung und Entwicklung im Bereich Umweltmesstechnik, um eine sichere Öl -und Gasversorgung zu gewährleisten. Außerdem geht es darum, die Energieeffizienz der Industrie- und Rohstoffunternehmen beider Länder zu verbessern. Im weiteren Verlauf besuchten wir ein Werk der „KAMAZ-Gruppe“ in Naberezhnye Chelny. Das Unternehmen gilt mit 54 % Marktanteil als größter russischer LKW-Hersteller. Der Komplex beinhaltet den gesamten technologischen Produktionszyklus – von der Entwicklung und Produktion über die Montage der Komponenten und Zulieferteile bis zum Absatz der Fahrzeuge inklusive Serviceleistungen. Zukünftig wird auch die Elektromobilität bei KAMAZ Einzug halten. Vorgesehen ist zunächst die Produktion von Bussen für Moskau und St. Petersburg. Auch Smartsysteme für Pilotfreies Fahren werden entwickelt. Mit Innopolis und Alabuga lernten wir zwei Sonderwirtschaftszonen des Landes kennen. Seit 2006 sind in Russland mehr als 30 solche nicht unumstrittene Industriezentren entstanden. Hauptsächlich ausländische Investoren sollen sich in diesen umfassend erschlossenen Arealen ansiedeln. Man bietet ihnen eine komplette Infrastruktur, Steuer- und Zollerleichterungen sowie andere Sonderregelungen und administrative Vergünstigungen. Außerdem werden durch die Ansiedlung von Unternehmen einer Branche Synergieeffekte angestrebt. Auch deutsche Unternehmen investierten bereits an diesen Standorten. Angesichts der für beide Seiten zukunftsweisenden Gespräche bezweifle ich weiterhin, dass Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland die richtige Antwort sind, um Probleme infolge des Ukraine-Konfliktes zu lösen. Ich freue mich, dass sächsische Unternehmen weiter an einer Zusammenarbeit mit russischen, speziell tatarischen Firmen, interessiert sind. Dr. Jana Pinka Mehr zur Reise: bit.ly/2houfxN
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig