Links! Ausgabe 03/2014

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„Herzenssache“ der Staatsregierung?

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2014

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. So steht es in Artikel 8 der Sächsischen Verfassung. Eine tatsächliche Gleichberechtigung ist jedoch noch nicht erreicht. Der Staat hat deshalb Bedingungen zu schaffen, die geeignet sind, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft herbeizuführen. Gleichstellung bedeutet die chancengleiche Teilhabe von Frauen und Männern in allen Bereichen und auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens“. So findet man es auf den Seiten des sächsischen Sozialministeriums. Natürlich nur nach längerem Suchen, denn die Verantwortlichkeit für die Gleichstellung ist in der Staatsregierung von einem eigenen Ministerium immer mehr in die „Hinterstübchen“ gerückt. Seit 2011 werden Themen wie Gleichstellung und Familie im Sozialministerium in der Abteilung 4 unter „soziale Integration“ gefasst, was man im Umkehrschluss so interpretieren kann, dass der (weiblichen) Mehrheit der Bevölkerung in Sachsen der soziale Ausschluss droht oder dass er bereits besteht. Es gibt also viel zu tun, denn in Fragen der Gleichstellung ist Sachsen bestenfalls Mittelmaß. In Sonntagsreden werden die hohe Berufstätigkeit der Sächsinnen, der Frauenanteil in Führungspositionen und der große Teil an Männern, die Elternzeit in Anspruch nehmen, gelobt. Nicht gesagt wird aber, dass trotz eines fast 70-prozentigen Frauenanteils unter den Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Frauenanteil in den Führungspositionen mit deren Höhe abnimmt – je höher die Führungsebene, desto geringer der Frauenanteil. Nur drei von zehn Ministerien werden von Frauen geführt. In obersten Leitungspositionen der Staatskanzlei finden wir keine einzige Frau, in denen des Innenministeriums nur 10,4 Prozent und in denen des Umweltministeriums lediglich 5,4 Prozent Frauen. Auch werden in Sachsen immer weniger finanzielle Mittel für Gleichstellungarbeit, besonders für Frauenarbeit, bereitgestellt: 2,5 Millionen waren es 2004. 2012 waren es nur

noch 550.000 Euro. So mussten sich viele Frauenprojekte extrem einschränken, oder sie wurden ganz eingestellt. Der Sächsische Landesfrauenrat schrammte hart an der Auflösung vorbei und konnte nur dank der Unterstützung der großen Mitgliedsverbände und der ehrenamtlichen Arbeit der Vorstandsfrauen am Leben gehalten werden. Der im Zuge der Umstrukturierung im Sozialministerium geschaffene Gleichstellungsbeirat ist ein zahnloser Papiertiger, ein willkürlich zusammengesetztes Alibigremium. Fragen wie Beschäftigungsförderungen für Frauen, vorrangig Alleinerziehender und Frauen nach der Familienpause, die Gewinnung von Mädchen und junge Frauen für technische Berufe, Aktivitäten zur Gleichstellung von Frauen in der Privatwirtschaft, wie die Beseitigung der noch immer bestehenden Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, die in Sachsen ca. neun Prozent ausmacht, werden kaum angesprochen, Aktivitäten nicht initiiert. Auch Fragen der drohenden Altersarmut, der niedrigen Renten kommender Rentnerinnengenerationen, werden von Sachsens Sozialministerium nicht diskutiert. Die Mütterrente wird keine grundsätzliche Änderung bringen. Es ist natürlich für viele Frauen schön, dass sie ab Juli – oder wie angekündigt als „Weihnachtgeschenk“ – für ihre Kinder, die vor 1992 geboren wurden, einen Rentenpunkt mehr bekommen, auch wenn es natürlich keine vollständige Gleichstellung, weder zwischen Ost und West noch zwischen jüngeren und älteren Frauen, darstellt. Und selbst beim Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt, einem Feld, das für die Staatsregierung immer ein Aushängeschild war, besteht Handlungsbedarf. Die Frauen- und Kinderschutzhäuser der Kommunen und in freier Trägerschaft, die Interventionsstellen und engagierte Vereine schlagen schon lange Alarm. Initiativen für einen Rechtsanspruch auf Gewaltschutz auf Bundesebene, ausreichende und bedarfsgerechte Finanzierung der Frauenschutzhäuser, psychologische Beratung und Betreuung der Frauen und ihrer Kinder, die häusliche Gewalt miterlebt haben, sind wichtige Forderungen an die Sächsische Staatsregierung. Noch ist Gleichstellung in Sachsen nicht wirklich „Herzenssache“ der Regierung – nutzen wir den 8. März als Kampftag, damit sie es wird!


Links! im Gespräch

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Für eine »ständige Publikumskonferenz«

Wissenschaftlerinnen, die Sie erwähnten, verfolgen die Idee eines Publikumsrates schon seit längerer Zeit und beziehen sich auf das Beispiel Österreich, wo es einen solchen Rat gibt. Der ist dort aber nichts anderes als bei uns der Rundfunkrat, der mit honorigen alten Männern besetzt ist und aus den Rundfunkbeiträgen finanziert wird. Ich sehe da keinen Unterschied, mir scheint es, als bekäme das Kind nur einen anderen Namen. Die Stimme der „kleinen Leute“ hätte dort kein Gewicht. Wenn unser Verein – wir sind ja noch in der Gründung – allerdings groß werden sollte, könnte es sein, dass man uns auffordert, Vertreter zu entsenden. Das steht in den Sternen.

Links! 03/2014 Die Aufregung war groß, als ZDF-Talkmaster Markus Lanz seinen Studiogast Sahra Wagenknecht bei einer Sendung im Januar schroff abkanzelte und sie kaum zu Wort zu kommen ließ. Die Online-Petition „Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag“ sorgte wochenlang für Wirbel und fand etwa 230.000 Unterstützerinnen und Unterstützer. „Links!“ sprach mit der Initiatorin Maren Müller, die bei der Wahl zum Leipziger Stadtrat für die Piratenpartei antritt. Frau Müller, Hand aufs Herz: Hätten Sie sich zum Jahreswechsel vorstellen können, dass Sie kurze Zeit später mit einem einfachen Eintrag ins Internet in alle großen Medien kommen würden? Nein, niemals, ich hätte das nie für möglich gehalten. Sie gehören in etwa zur Generation der Kanzlerin, glaube ich … … ich bin ein paar Jahre jünger. Stimmt, aber im Gegensatz zu Frau Merkel ist das Internet für Sie kein „Neuland“. Wann haben Sie begonnen, es für sich zu entdecken? Ungefähr im Jahr 2000 habe ich damit angefangen, also auch ziemlich spät, aber dafür gründlich. Meist ist man zunächst passiver Nutzer, liest und surft, aber Sie haben mittlerweile auch einen Twitter-Account. Ich habe den Computer zunächst für praktische Dinge genutzt, Bewerbungen geschrieben, Schriftverkehr erledigt. Das Internet an sich habe ich als Informationsquelle gebraucht. Mein Sohn, damals Teenager, hat mich dann auf eine Seite gebracht, das „Schwarze Leipzig“. Sie kennen ja sicher das Wave- und Gothic-Treffen in Leipzig, dieser Szene dient die Seite als Plattform. Dort habe ich mich angemeldet, das war mein erstes Internetforum. Dort bin ich so tief eingetaucht, dass ich das Forum irgendwann auch moderiert habe und Mitglied im Verein Schwarzes Leipzig e. V. wurde. Das war das erste große Aha-Erlebnis dazu, was das Internet bewirken kann, welchen Gewinn für das „reale Leben“ man daraus ziehen kann. Als ich bei der Leipziger LINKEN nach Ihnen fragte, schwang dort ein gewisser Stolz darüber mit, dass Sie einmal Mitglied waren. Wie hat sich Ihr Verhältnis zur LINKEN entwickelt?

Wie ist der aktuelle Stand? Wir sammeln momentan Interessierte und Menschen, die bereit wären, die Vorstandsposten zu besetzen.

Bild: Kevin Reißig

Bild: Ralf Richter

Ich bin aus dem Stadtverband Leipzig ausgetreten aus strukturellen Gründen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich verwirklichen konnte. Irgendwann hatte ich die Nase voll, aber ich werde immer links sein und werde zumindest im Bund immer links wählen. Ich habe auch sehr viele gute Leute in der LINKEN kennengelernt, aber letztendlich hatte ich keine Lust, meine Freizeit in Strukturen zu verbringen, die mich an Aktivitäten und an meiner Entfaltung hindern. Inzwischen sind Sie beim MDR beschäftigt. Hat diese Tatsache beim Schreiben Ihrer Petition eine Rolle gespielt, vielleicht dergestalt, dass Ihr Herz an den Öffentlich-Rechtlichen hängt? Überhaupt nicht. Ich habe in dem Moment, als ich diese Petition losgetreten habe, mit keiner Silbe an meinen Arbeitgeber gedacht. Das klingt vielleicht blöd, aber das ist so. Ich war so erbost über diese ständige, blödsinnige Moderation. Dann ging die Welle los und ich hatte wegen der ganzen Presseanrufe und Interviewanfragen drei Tage lang keine Ruhe mehr. Während ich mit einem Redakteur telefonierte, landeten acht Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter, ich kam nicht hinterher mit dem Antworten. Haben Sie selbst verfolgt, wie sich die Welle aufgebaut und entwickelt hat? Der Blogger Stefan Niggemeier und die WELT waren so ziemlich die ersten. Die WELT hat alles geschrieben, aber nicht das, was ich gesagt habe. Zum

Beispiel, dass ich behauptet hätte, Sahra Wagenknecht sei meine Ikone. So etwas würde ich in hundert Jahren nicht sagen! Je mehr Medien dann berichteten, umso mehr wurde alles aufgebauscht. Den besten Beitrag hatte die Satirezeitschrift „Postillon“, der ist einfach köstlich. Ich habe aber bei weitem noch nicht jeden Bericht gelesen und schon gar nicht die Diskussionen, die sich daraus ergeben haben. Ich will das alles in Ruhe sammeln, das soll auch im Rahmen der Publikumsrats-Gründung passieren. Wann sind Sie auf openPetition aufmerksam geworden, hatten Sie vorher schon Erfahrung damit? Ich zeichne Petitionen, die mich ansprechen, in der Regel mit, vor allem solche aus dem Bereich Soziales, etwa die zur Sanktionsfreiheit bei Hartz IV von Inge Hannemann. Ich zeichne immer viel mit, auch bei der Bundestags-Petitionsseite. Ich mag solche Beteiligungsplattformen sehr gern. Es war also das erste Mal, dass Sie selbst eine Petition initiiert haben, und dann auch noch so erfolgreich. Ja, das lag aber auch am Titel, machen wir uns nichts vor. Hätte ich geschrieben: „Für mehr Niveau in den Öffentlich-Rechtlichen“, hätten wohl weniger Menschen unterschrieben. Sie haben die Petition dann abgebrochen. Warum eigentlich? Die Luft war raus, das Interesse ließ nach. Dann kippte auch in den Medien die Stimmung

sehr bedrohlich, die Petition wurde sogar mit der Judenverfolgung verglichen. So ein Schmarrn! Es haben auch viele ihre Mitzeichnung widerrufen, um die 2 % von den 230.000. Ich wollte die Aufmerksamkeit, die noch da war, nutzen, um das Ganze ein bisschen weiterzuspinnen und es in eine positive Richtung zu lenken, damit es nicht aussieht wie Bashing gegen eine Person, denn das war es schon von Anfang an wirklich nicht. Es ging insgesamt um Niveau und Qualität in den ÖffentlichRechtlichen. Was Markus Lanz abliefert, passt in einen privaten Sender, aber nicht ins Öffentlich-Rechtliche. Wie geht es nun weiter? Es gibt bekanntlich zwei Initiativen, eine zur Gründung eines Publikumsrates, die auch von zwei Medienwissenschaftlerinnen unterstützt wird; Sie würden aber einen Verein favorisieren. Genau. Eine beteiligungsorientierte Internetplattform soll Gegenstand des Vereines sein, damit eine Möglichkeit geschaffen wird, Programme im Öffentlich-Rechtlichen zu bewerten. Ich stelle mir das so vor, dass dort verschiedene Sparten angeboten werden, in denen die Leute angeben können, wie ihnen eine Sendung gefallen hat, wo man auch Beschwerden bündeln kann. Es soll eine Art „ständige Publikumskonferenz“ sein, die sich aktiv einmischt und versucht, die Qualität zu beeinflussen. Das wäre aber etwas anderes als ein Publikumsrat. Ja, ganz sicher. Die beiden

Wie sähe für Sie eine ideale Fernseh- und Rundfunklandschaft aus? Der Mix muss stimmen. Ich will unterhalten werden, meinen guten alten „Tatort“ gucken, auch mal eine Musiksendung sehen, will Nachrichten haben, die nicht im Sinne der Systemkonformität kommentiert werden. Ich möchte keine tendenziösen Dinge, wo Leute in Ecken gedrückt werden. Und ich will Kultursendungen mit Niveau, arte zum Beispiel hat sich richtig gut entwickelt. Ich will Serien sehen, wie sie in Skandinavien produziert werden, die die Menschen in ihrer Zusammensetzung widerspiegeln, die nicht nur die Reichen, Jungen und Schönen zeigen. Der Bildungsauftrag muss stimmen. Ich will auch nicht verblödet werden durch das Weglassen von Nachrichten. Die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF haben zum Beispiel auch Massenproteste in Europa weggelassen, haben einfach nicht berichtet, wenn in Barcelona hunderttausend Leute auf der Straße waren. Das wird einfach totgeschwiegen, obwohl man im Internet sieht, was los ist in der Welt. Können Sie sich vorstellen, wieder in die LINKE einzutreten, wenn die Chancen besser wären, dort etwas zu verändern? Eigentlich habe ich mir vorgenommen, nie wieder in eine Partei zu gehen, zumindest nicht als Mitglied. Diese Strukturen machen mich persönlich krank, behindern mich in meiner Entfaltung. Die Fragen stellte Ralf Richter.


Die dritte Seite

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Brücke statt Bollwerk Die Bilder aus einer Villa unweit von Kiew erinnern an Bagdad nach dem Ende von Saddam Hussein. Wilde Gesellen posieren mitten in der pompösen Villa des gestürzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor Kameraleuten. Seht her, wollen sie sagen, in welchem Luxus der Mann lebte, nun gehört das alles uns. Wenn sich die Männer da bloß nicht täuschen. Auch wenn Janukowitsch vertrieben worden ist, der vor vier Jahren durch eine Wahl in sein Amt kam, die damals auch zahlreiche westliche Beobachter als freieste und demokratischste seit Jahrzehnten in der Ukraine deklarierten, so erscheint die Macht der Oligarchen im Lande ungebrochen. Ungeachtet dessen steht jedoch nach den Protesten auf dem Maidan und anderswo und den gewalttätigen Auseinandersetzungen der letzten Wochen die Ukraine an einem Scheideweg. Der Druck von innen und außen ist immens, die Interessen der einzelnen Akteure sind unterschiedlich bis nahezu unvereinbar. Es ist uneingeschränkt nachvollziehbar, dass die Protestierer ihren Politikerinnen und Politikern in Regierung und Opposition nicht mehr vertrauen. Die Korruption blüht, die Oligarchen füllen sich die Taschen, während viele Menschen im Land Heizung und Lebensmittel nicht mehr bezahlen können. Da ist es gut,

Der Friedrich war‘s! Zum Glück nicht der Friedrich Schiller, sondern der Friedrich mit Nachnamen; der frühere Innenminister und kurzzeitige Agrarminister von der tiefschwarzen CSU. Weil es der war, kann ich mir politisch korrekt den „Mohr“ vom Schiller ersparen und für „Links“ weiterschreiben. Bei Schiller heißt es übrigens, „Der Mohr hat seine Arbeit getan ...“ Aber lassen wir sprachliche Spitzfindigkeiten. Das und der „Schwarze“ haben es mir angetan. Bei Schiller wird Fiesko von einem gut informierten Mohren sozusagen „schwarz“ darüber informiert, dass es ein Mordkomplott ge-

dass es nun die Chance auf einen Neuanfang gibt, auch wenn die Risiken erheblich sind. Das Wichtigste ist zunächst, dass die Ukraine nicht zerrissen, eine Teilung des großen Landes mit seinen Kornkammern im Westen und der Schwerindustrie im Osten verhindert wird. Russland und die Europäische Union sollten sich daher auf einen gemeinsam finanzierten Nothilfefonds verständigen, der dem Land die Chance ermöglicht, reguläre und demokratische Neuwahlen vorzubereiten. Sodann sollten die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder der Europarat, beides Institutionen, in denen die Ukraine, Russland

und die EU-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt mitarbeiten, für eine Auszahlung der Gelder sorgen. So könnte nicht nur verhindert werden, dass dieses Geld umstandslos in die Taschen von Oligarchen fließt, sondern für die anstehenden Aufgaben zum Erhalt der Lebensfähigkeit des Landes und die Vorbereitung von freien, fairen und international begleiteten Wahlen zur Verfügung steht. Über den künftigen Weg des Landes müssen dann jene entscheiden, die von den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine gewählt werden. Diese Wahl wird angesichts der sich bereits präsentierenden potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten gewiss nicht einfach. Ob der rechte Demagoge

und Antisemit Tjagnibok mit seiner Partei „Swoboda“, die „Gasprinzessin“ Timoschenko und ihre Partei „Vaterland“ oder der Boxer Klitschko mit seiner Vereinigung „Udar“ – sie alle stießen auf dem Maidan auf überwiegende Ablehnung. Man will nicht mehr die alten Schmiergeldabzocker und Parteifunktionäre in der Regierung sehen, sondern junge unbelastete Hochschulabsolventen und Fachleute. Eine linke Stimme ist in diesem ganzen Gewirr jedoch kaum zu vernehmen. Die Kommunisten sind seit vielen Jahren eine sogenannte technische Partei im Parlament, die mit den von Oligarchen gelenkten Parteien kollaboriert. Die Herausforderung für neue Linke besteht

nun darin, den Begriff „links“ zunächst auch mit neuen Inhalten auszufüllen. Das wird nicht einfach. Die LINKE in der Bundesrepublik Deutschland wünscht sich für die Zukunft mit der Ukraine einen europäischen Nachbarn, der sich nicht mehr permanent zwischen Russland und der europäischen Union entscheiden muss, der nicht als Bollwerk die Fronten des Kalten Krieges markiert, sondern als Brücke zum gegenseitigen Vorteil fungiert. Reise- und Handelsfreiheit, eine Steuergesetzgebung, die die Macht der Oligarchen bricht, eine demokratische Parteienlandschaft, bei der Rechtsextreme keine Chance haben, der Verzicht auf eine Mitgliedschaft in der NATO wären wichtige Stationen auf dem beschwerlichen Weg in die Zukunft. Mit in Aussicht gestellten Krediten des Internationalen Währungsfonds wären jedoch antisoziale Bedingungen verbunden, die das Leben der Menschen in der Ukraine noch mehr belasten werden. Die Menschen auf dem Maidan, die „Besucher“ in der Villa von Janukowitsch , sie alle machen nicht den Eindruck, als ob das das gewünschte Ergebnis ihres Kampfes sein würde. Die Ukraine braucht jetzt Nachbarn, die nicht zuerst auf Einflusssphären und Absatzmärkte schauen, sondern an einer wirklichen Partnerschaft arbeiten. Stefan Liebich

gen ihn gibt. Zum Beweis wird ein Brief überbracht, aus dem die Verschwörung ersichtlich ist. Jetzt nur keine platten Analogien, aber Edathy, Friedrich, Staatsanwaltschaft, Gabriel, Oppermann usw., das sind die Akteure in der wirklichen Verwicklung und Verschwörung. Der Schiller hat es jedoch geahnt und auf die Bühne gebracht, wie es zugeht bei den Staatsgeschäften - damals in Genua und heute in der „Schwarzen Republik“. Damals mit Fiesko, heute als Fiasko. Der Edathy hat sich schwarz Fotos von nackten kleinen Jungs besorgt – wurde behauptet. Diese Schweinereien sollen uns nicht weiter interessieren. Dafür gibt es Polizei, Staatsanwälte und Gerichte. Das ist aber das eigentliche Problem. Ermittler (und sicher auch Ermittlerinnen) hatten bei Edathy möglicherweise ins einschlägig Schwarze getroffen. Ihm drohten nun schwarze Tage, weshalb wiederum Herr Friedrich – damals noch Innenminister – Herrn Gabriel – da-

mals nur Parteivorsitzender der SPD – unter der Hand, also eigentlich illegal, man kann auch sagen: schwarz, informierte. Es liefen gerade die Verhandlungen für die Große Koalition und Herr Friedrich sah schwarz für deren Erfolg, wenn Misse-

nung gelangte auf zumindest dunklen, wenn schon nicht schwarzen Wegen zum eigentlichen Delinquenten. Sorgte der für Schwärzung und Vernichtung allen belastenden Materials? Jetzt war es an der Staatsanwaltschaft, sich schwarz zu ärgern. Der Schwarze, der Friedrich aber hatte – wie gesagt – seine Arbeit getan, die Post zur Verschwörung überbracht und konnte gehen. Die „Schwarze Republik“ in den Farben Schwarz-Rot war gerettet. Fontane weiß bereits wie im Schluss seines Gedichts „Die Alten und die Jungen“: „Der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an. Sie beherrschen die Szene, sie sind dran!“ Genug des „Schwarzen“, könnte man denken. Diese Republik hat jedoch noch mehr zu bieten. Zum Beispiel Alice Schwarzer. Das ist kein wohlfeiler Kalauer eines übermütigen Glossenschmiedes. Gegen diesen Verdacht bringe ich vor, dass sie immerhin Schwarzgeld schwarz über die Grenze in die Schwarz, Verzei-

hung, Schweiz gebracht hat. Dem deutschen Fiskus wollte sie nicht das Schwarze unter den Nägeln gönnen. Ein Fehler, wie sie jetzt einräumt, um aus Schwarz vielleicht noch Weiß machen zu können. Wenn auch das Sprachspiel nur auf Schwarzer passt, der Schwarzen Schafe haben wir viel mehr. Der Hoeneß wurde ins Licht gezerrt, ein paar andere auch, darunter ein Staatssekretär in Berlin und Liebling seiner Partei. Doch die im Dunklen sieht man nicht (weiß schon Brecht). Es sind viel mehr, sehr viel mehr! Ich will nicht schwarzmalen, aber irgendwie kommt mir vor, dass ein Großteil unserer so genannten Eliten ziemlich verkommen ist. Wie „Schwarze Löcher“ saugen sie gierig alles in sich hinein. Licht geben sie keines ab. Man kann auch sagen, sie sind keine Leuchten und helfen nicht in schwarzer Nacht. Sei‘s drum: Selbst die schwärzeste Nacht endet mit der Morgenröte. So viel nur zu den anstehenden Wahlen. Die Schwarzen können gehn!

„Der Schwarze hat seine Schuldigkeit getan ...“ taten des Edathy ans Licht kämen. Edathy war schließlich nicht irgendwer, sondern Hoffnungsträger der SPD und vormals Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages und aktuell Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund. Sicher ärgerten sich die rosa Genossen schwarz ob der drohenden Gefahr. Die War-


Hintergrund

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Europäische Linksparteien

Spaniens moderne Linke DIE LINKE ist ein Exportschlager. Weniger im Hinblick auf programmatische Eckpunkte oder inhaltliche Debatten um Wahlprogramme; wohl aber im Hinblick auf die 2007 vollzogene Fusion zwischen Linkspartei. PDS und WASG. Kürzlich weilte ich in Ankara, um bei der Taufe einer neuen linkssozialistischen Partei (HDP) als Gastredner dabei zu sein, oder am vergangenen Wochenende in Slowenien, wo sich gleich drei Linksparteien zusammengefunden haben und fortan gemeinsam für einen Politikwechsel kämpfen wollen. Mitglieder der LINKEN sind aktuell gefragt, wenn es darum geht, die verschiedensten Kräfte auf der politischen Linken europaweit zusammenzubringen. Überhaupt gibt es seit knapp zehn Jahren den Trend innerhalb des linken Lagers in Europa, die Kräfte zu bündeln und gemeinsame Wahllisten oder Parteien zu formen. Dies geschieht nicht nur aus einer Situation der Schwäche heraus, nein, zumeist folgen diese Fusionsprozesse dem Wunsch, die jahrzehntelange Spaltung unter Linken zu überwinden. In Frankreich haben Kommunisten und Linkssozialisten die „Front de Gauche“ gebildet, in Griechenland fusionierten gar ein dutzend Linksparteien und Organisationen zu SYRIZA unter der Führung von Alexis Tsipras. Mit Blick auf die vereinte spanische Linke, Izquierda Unida (IU), wirken diese Fusionsprozesse wie zu spät kommende Schüler, die das Läuten zur ersten Stunde einfach überhört haben. Die Izquierda Unida war das erste Fusionsprojekt der neuen Linken in Europa und brachte so Kom-

munisten, Grüne, Bürger- und Friedensbewegte und Linkssozialisten zusammen. Ihren Anfang nahm die IU dabei zunächst nicht als Partei, sondern als loses Wahlbündnis 1986, gruppiert um die Frage der NATO-Mitgliedschaft Spaniens nach dem Ende der FrancoDiktatur. Aus der „Plataforma Civica por la salida de Espana de la OTAN“ entwickelte sich zu den Parlamentswahlen 1986 das linke Wahlbündnis der Vereinigten Linken „Plataforma

tische Partei Spaniens (PCE), die Kommunistische Partei der Völker Spaniens (PCPE), die Sozialistische Aktionspartei (PASOC), die Republikanische Linke (IR), die Progressive Förderation (FP), die Carlisten Partei, die Humanistische Partei und die Partei der Kollektiven Einheit der Arbeiter Andalusiens (Colectivo de Unidad de los Trabajadores – Bloque Andaluz de Izquierdas). Die Tatsache, dass sich die PCE bereits 1986 dafür entschied,

gar noch übertroffen werden. In den Abgeordnetenhauswahlen 1996 erhielt die IU 10,54 Prozent der Stimmen. Die IU ist noch heute vor allem ein Parteienbündnis, denn trotz des Umstandes, dass die IU als eigenständige politische Partei registriert und öffentlich aktiv ist, behielten die konstitutiven Mitgliedsorganisationen und Parteien ihre formale, rechtliche, organisatorische und politische Eigenständigkeit. Bis auf die PCE und das Colectivo de

Bild: Luis García / Wikimedia Commons /CC BY-SA 3.0

de la Izquierda Unida“, das 4,6 Prozent gewann. Bei den Kommunalwahlen 1987 steigerte sich das Wahlbündnis auf 7,18 Prozent der Stimmen und fuhr 1989 schließlich bei den landesweiten Wahlen 9,07 Prozent der Wählerstimmen ein. 1992 erfolgte die offizielle Registrierung der IU als spanische Partei. Die acht Gründungsmitglieder der IU waren die Kommunis-

aktiv an der Herausbildung des Wahlbündnisses IU mitzuarbeiten und schließlich die IU in eine Partei zu transformieren, federte die Auswirkungen des Scheiterns des »real existierenden Sozialismus« für die PCE in Spanien ab. So konnte das sehr gute Abschneiden des Wahlbündnisses bei den Parlamentswahlen 1989 mit 9,55 Prozent der Stimmen 1993 so-

Unidad verließen die anderen Gründungsparteien die IU allerdings in den Jahren zwischen 1987 und 2001 wieder. Es folgte ab Mitte der 90er Jahre eine erste Erneuerungswelle. Heute gehören der IU auch viele kleinere regionale und lokale Gruppen an, z. B. die katalanische Esquerra Unida i Alternativa, der linksalternativ-trotzkistische Espacio Alternativo und das

Colectivo de Unidad. Die IU versucht so seit ihrer Gründung, ihr pluralistisches Profil zu stärken und sich den neuen, globalisierungskritischen und sozialen Bewegungen zu öffnen bzw. als Teil der globalisierungskritischen Bewegung Spaniens in den verschiedenen Sozialforen auf regionaler, nationalstaatlicher, europäischer und globaler Ebene aktiv zu sein. In einer zweiten Erneuerungswelle ab 2007 gewann die Partei über die Partizipation an den AntiAusteritätsprotesten im Land, vor allem in Madrid, viele neue Mitglieder hinzu. Die IU gehörte 2004 zu den Initiatoren für die Gründung der Europäischen Linkspartei (EL) und ist nach wie vor eine der tragenden Säulen der Linken in Europa. Nach massiven innerparteilichen Auseinandersetzung und herben Wahlniederlagen ab 2006 infolge der Tolerierung der ersten Zapatero-Regierung hat sich die Partei nunmehr konsolidiert. So werden ihr derzeit bis zu 17 Prozent der Stimmen für die Europawahlen 2014 zugeschrieben. Möglich sind damit bis zu sechs Europamandate, die sie in die linke Fraktion GUE/ NGL einbringen werden. Inhaltlich steht die Partei positiv zur europäischen Integration und hat vor diesem Hintergrund gegen den Lissabonvertrag mobilisiert. Die IU kämpft noch immer für einen Austritt Spaniens aus der NATO, engagiert sich für eine Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments, mobilisiert gegen die Politik der Troika in Spanien und Europa und vereint so weite Teile der sozialen Bewegungen in Spanien. Dominic Heilig

Kommunalfinanzen – Der Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand Liest man sich den Koalitionsvertrag genauer durch, so gewinnt man den Eindruck, die Große Koalition gründe ihre Arbeit auf dem Prinzip Hoffnung. Hoffnung auf Konjunkturglück. Hoffnung darauf, dass die in Europa schwelende Staatsfinanzierungskrise keine massive Auswirkung auf den Haushalt Deutschlands haben wird. Doch das finanzielle Fundament ist äußerst wacklig, und schon ein kleiner wirtschaftlicher Abschwung kann das schwarz-rote Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Gegengesteuert wird im Koalitionsvertrag in der Steuerund Finanzpolitik nicht, auf eine umfassende Steuerreform wird verzichtet. Nicht mehr auf der Agenda steht leider auch ein umfassendes Konzept zur Stärkung der

Kommunalfinanzen. Die steigende Kommunalverschuldung und der Investitionsstau bleiben absolut unterbelichtet. Im Koalitionsvertrag wird immerhin erklärt, dass die Gewerbesteuer beibehalten werden soll. Doch eine Beibehaltung wird sehr viele Kommunen nicht aus ihrer finanziellen Misere führen. DIE LINKE fordert deshalb die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer mit dem Ziel der Einbeziehung aller unternehmerisch Tätigen und die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, um Ungleichbehandlungen zu beseitigen. Gleichzeitig sollen jedoch die Freibeträge angehoben werden, so dass kleine Gewerbebetriebe und Freiberufler steuerlich entlastet werden können. An dieser Stelle wird

deutlich, dass DIE LINKE auch die Partei des Mittelstands und der Selbstständigen ist. Sonstige konkrete Entschuldungshilfen für Kommunen finden sich im Koalitionsvertrag nicht. Laut Koalitionsvertrag sollen die Kommunen nun im Bereich der Eingliederungshilfe um fünf Milliarden Euro jährlich entlastet werden. An anderer Stelle wird allerdings vereinbart, dass die Kommunen stärker in die Strukturen der Pflege verantwortlich eingebunden werden sollen. Der finanziellen Entlastung stehen also erweiterte Aufgaben gegenüber. Hier wird eher von der linken Tasche in die rechte Tasche gewirtschaftet, und in den Kommunen soll wohl auch wieder nur das Prinzip Hoffnung helfen. Seit Jahren bedarf es einer um-

fassenden Gemeindefinanzreform, die den Kommunen wieder Luft zum Atmen und mehr Selbstständigkeit verschafft. Ein weiterer Baustein dafür wäre Abschaffung der Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder. Der kommunale Anteil am Gesamtsteueraufkommen muss zugleich höher ausfallen als die bisherigen 13 Prozent. Kommunen müssen zum Beispiel gleichfalls ein verbindliches und einklagbares Mitwirkungsrecht im Gesetzgebungsverfahren des Bundes erhalten. Und bei weiteren Übertragungen kommunaler Aufgaben durch den Bund muss dieser die finanzielle Verantwortung tragen. Entsprechend dem Grundsatz: Wer bestellt, zahlt auch. Die Bundesregierung macht die

Rechnung mal wieder ohne den Wirt. Denn wenn man alle Posten addiert, wird die massive strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte augenscheinlich. Entscheidende Zukunftsinvestitionen in den Bereichen Bildung, Forschung, Infrastruktur und sozial-ökologischer Umbau werden weiterhin vernachlässigt. Im Umkehrschluss verdeutlicht dies erneut: Wir brauchen ein sozial gerechtes Steuersystem, das für eine umsichtige Umverteilung von oben nach unten sorgt, eine strikte Regulierung der Finanzmärkte, eine Eurokrisenpolitik zum Wohle der Menschen, besseren Verbraucherbzw. Versichertenschutz und ganz sicher eine deutliche Stärkung der Kommunalfinanzen. Susanna Karawanskij


03/2014  Sachsens Linke!

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März 2014

Sachsens Linke

Vom Europaparteitag berichtet Stefan Hartmann. Volker Külow gibt einen Überblick zur aktuellen Diskussion um ein „Freiheitsund Einheitsdenkmal“ in Leipzig, während Jens Thöricht auf den 13. Februar zurückblickt.

Ralf Becker erklärt, warum ein Erfolg des BMW-Betriebsrates eigentlich aus der Zeit fällt. Die Linksjugend stellt ihre jungen Kan-

didierenden vor, und Simone Hock wartet mit einer sinnvollen Empfehlung auf.

Dialog für Sachsen

hläge einbringen - au Diskutieren und Vorscen .de ww w.dialog-für- sachs

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Klar proeuropäisch

Gute Grundlage für die Europawahlen Das dritte Februarwochenende stand für DIE LINKE ganz im Zeichen der Vorbereitung der Europawahlen im Mai dieses Jahres. Genossen und Genossinnen aus allen Bundesländern trafen sich zur Diskussion des Europawahlprogramms und zur Wahl unserer Liste für die Europawahlen. Wie inzwischen uns allen wohl vertraut, orakelten im Vorfeld des Parteitages eine ganze Reihe von Zeitungen über „tiefe Risse“ oder gar Spaltungen in der LINKEN. Und wie so oft traten genau diese Vorhersagen NICHT ein. Im Gesamtergebnis muss festgehalten werden, dass DIE LINKE sehr erfolgreich ihre innerparteiliche Vielfalt in ein gutes Programm und eine kompetente KandidatInnenliste übertragen hat. Auf dieser Grundlage ist ein engagierter und erfolgreicher Europawahlkampf im Mai möglich! Dieser insgesamt große Erfolg des Parteitagswochenendes beruhte auf intensiver Vorarbeit. Beispielsweise lagen für den Entwurf des Europawahlprogramms nahezu 400 Änderungsanträge vor. Der Parteivorstand bearbeitete durch Übernahme zahlreicher guter Ideen so viele davon, dass nur

noch ca. 80 Änderungsanträge für den Parteitag zu beschließen blieben. Für die Öffentlichkeit interessanter war jedoch die Debatte über die Präambel, also das Vorwort, des Bundeswahlprogramms. Hier gab sehr viele und sehr umfangreiche Änderungsanträge zum Vorschlag des Parteivorstandes, unter anderem einen von ca. 150 GenossInnen aus vielen Landesverbänden und einen vom Landesvorstand Hessen. Im Kern ging es in dieser Auseinandersetzung darum, in welcher Form und Intensität die Europäische Union kritisiert wird. Der schließlich vom Parteivorstand vorgeschlagene Kompromiss entschied sich für eine dialektische Kritik. Ohne die Errungenschaften der EU zu ignorieren, werden politische Fehlentwicklungen konsequent kritisiert. Zugleich aber macht DIE LINKE praktische Vorschläge, wie Europa besser geht: sozialer, friedlicher und demokratischer. Am Ende stimmte eine übergroße Mehrheit der Delegierten dem Programm zu, nur sehr wenige Gegenstimmen und Enthaltungen blieben nach gründlicher Debatte übrig. Es zeigt sich, dass der Weg der LINKEN zu

guten Programmen auch in Zukunft von intensiven Diskussionen gekennzeichnet sein wird. Das steht uns sehr gut zu Gesicht! Auch die Wahl zur Europaliste stand im Zeichen interessanter inhaltlicher Vorschläge, Ideen und Konzepte. Die neue Spitzenkandidatin, Gabi Zimmer aus Thüringen, ist vielen von uns als langjährige Landesvorsitzende in Thüringen und als Parteivorsitzende der PDS bekannt. Auf Platz zwei wurde der Mitbegründer der WASG und Gewerkschafter Thomas Händel aus Bayern gewählt. Dass sich insbesondere Rico Gebhardt aus Sachsen und Dietmar Bartsch aus Mecklenburg-Vorpommern für Thomas Händel einsetzten, zeigt, dass die Geschichten von einer OstWest-Spaltung längst der Vergangenheit angehören. Jedoch ist es in der LINKEN inzwischen üblich, den SpitzenkandidatInnen nicht ganz so gute Ergebnisse mitzugeben. Nur 75 % für Gabi Zimmer sind zwar eine sehr klare Mehrheit, offensichtlich jedoch war es einem Viertel der Delegierten wichtig, an dieser Stelle nicht Geschlossenheit, sondern eine politische Symbolhandlung zu

bevorzugen. Das ist selbstverständlich legitim. Ob es klug, angemessen oder geschickt ist, steht auf einem anderen Blatt, und Delegiertenschelte ist auch nicht notwendig. Conny Ernst aus Sachsen, unsere langjährige Landesvorsitzende, bekam mit fast 84 % auf Platz drei das beste Ergebnis dieses Wochenendes. Eine gute Sache und auch eine Anerkennung der guten Arbeit, die Conny und unser Landesverband geleistet haben. Auch Keith Barlow aus Sachsen wurde auf einen guten zwölften Listenplatz gewählt. Conny und Keith gilt unser Glückwunsch! Bei über zwanzig Kandidaturen für die ersten zehn Plätze ist es klar, dass einige GenossInnen nicht gewählt wurden und vielleicht sogar Verletzungen entstanden sind. Aber das lässt sich nicht verhindern. Da DIE LINKE jedoch eine Programmpartei ist, können wir sicher sein, dass alle wichtigen linken Themen programmatisch aufgenommen sind und dies eben nicht an einzelnen Personen hängt! Die Grundlagen für einen erfolgreichen Europawahlkampf sind gelegt. Stefan Hartmann

Mit großer Mehrheit hat der Europaparteitag unserer Partei in Hamburg das Programm zur Europawahl verabschiedet. Gerade weil Europäische Politik nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern auch den Handlungsrahmen für unsere Politik im Land und in den Kommunen definiert, ist der Beschluss für mich ein klares Zeichen für notwendige Klarstellungen: Wir stellen nicht das Konstrukt der Europäischen Union in Frage, wir kritisieren die herrschende europäische Politik. Wir wollen nicht das Nationalstaatliche betonen, sondern kämpfen für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa. Wir wollen auch keinen Ausstieg aus dem Euro, sondern die Konstruktionsfehler der Eurozone beseitigen. Ein solidarisches Europa braucht deshalb auch eine andere Schuldenpolitik. Wenn wir es mit der Europäischen Idee ernst meinen – einer Idee von Frieden und gelebter Solidarität –, dann muss auch endlich Schluss sein mit Spardiktaten. Wir brauchen ein Wiederaufbauprogramm in den Krisenstaaten, damit sie aus der Krise herauswachsen können. Das Ende der Krise wird nur gemeinsam erreichbar sein. Damit hat der Parteitag inhaltlich klargestellt, wofür DIE LINKE in Europa steht. Wir sind und bleiben eine proeuropäische Partei! Ich bin der Überzeugung, dass wir mit diesen Aussagen nun gestärkt in den kommenden Wahlkampf gehen können. Ab sofort kämpfen wir wieder für starke Ergebnisse am 25. Mai und für eine starke LINKE – hier und in Europa.


Sachsens Linke! 03/2014

Meinungen Die Diäten steigen wieder Die Bündnisgrünen und unsere Partei haben gemeinsam die Erhöhung der Abgeordnetenbezüge abgelehnt. Ich denke, diese Entscheidung hat unsere Hochachtung verdient. Danke den Abgeordneten, die bei ihrer Entscheidung auch an die vielen Probleme der arbeitenden Menschen gedacht haben. Billiglöhner, Leiharbeiter, Zeitarbeiter – egal, wie man heute die Arbeit dieser benachteiligten Menschen nennen will: Die aufgekommene Diskussion zeigte eine breite Empörung in der Bevölkerung. Meine Frage: Kennen die Christdemokraten nicht das Leben der benachteiligten Menschen? Ich musste mich in meinem Leben für manche unschöne Haltung entschuldigen, weil ich mich schämte. Schamgefühl kennt man wohl in der heutigen Politik nicht? Von christlicher Politik hatte ich eigentlich etwas mehr erwartet! Dass die SPD hier gleich für die Füllung der eigenen Tasche mitgespielt hat, konnte man erwarten. In bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, und aus meiner Jugend habe ich klar in Erinnerung behalten: Die SPD ist unsere Partei, die Partei der Arbeiter! Ob diese damalige Aussage heute noch Bestand hat? Ich glaube es nicht. Viele Menschen im Ruhrgebiet mussten „nachlernen“! Diese öffentlich gewordene „kleine Gehaltserhöhung“ sollte in Ost und West zum Nachdenken und dann auch zum Handeln zwingen. Wenn wir als kleine Bürger nicht immer Benachteiligte bleiben wollen, dann muss endlich den Abzockern die starke Hand

Glosse „Herr Krauß ist nun also wieder geweckt geworden. Offensichtlich fangen selbst Nachtmützen vor Wahlen an zu blinzeln. Allerdings ist es nun so spät, dass viele Hebammen die Geburtshilfe bereits aufgegeben haben. Vor drei Jahren waren jedenfalls die Chancen zur Erhaltung eines flächendeckenden Netzes der Geburtshilfe mit Wahlmöglichkeiten für die werdenden Mütter noch weitaus besser“. Originalton Kerstin Lauterbach, gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion.

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur

der Arbeiter gezeigt werden. Gerhard Masuch, Leipzig Zu „Opportunismus pur“ von Raimon Brete (SachsensLinke 01/02 2014, S. 2) Wäre man den Verbrechern des 3. Reiches vor Abschluss ihrer Aufrüstung militärisch rechtzeitig in den Arm gefallen, hätte es den Zivilisationsbruch der Shoa und die millionenfache Tötung wehrloser Russen und Polen nicht gegeben. An dieser Erkenntnis kommt man nicht vorbei. Es ist daher zumindest politische Unbeweglichkeit, die mutige Nachdenklichkeit von Gysi und Liebich als unverfälschte Prinzipienlosigkeit zu deuten. Ein Parteiprogramm ist kein Dogma – und eine wie auch immer geartete reine Lehre führt immer in Sackgassen und sektiererische Abseitspositionen mit weitestgehender Aufgabe jeglicher gestalterischer Handlungsoptionen. Wie auch eine individuelle Ablehnung der objektiven Realität zu identischen Resultaten führt. Ich glaube auch nicht, dass der verwendete unsympathische und zweifelsfrei negativ besetzte Begriff des „sog. Lostretens“ in irgendeiner Weise unsere Partei voranbringt und der Auflösung dieses Diskurses im Sinne unserer Partei dienlich ist. Wolfgang Schumann, Chemnitz Selbstanzeige als Reue? Ha, wer das glaubt, zieht sich wohl die Hose mit der Kneifzange an. Jahrelang haben sie Steuern hinterzogen, das ist ein professionelles Steuerspar- und damit Einkommensmaximierungsmodell gewesen. Das hat

Seite 2 betriebswirtschaftliches Denken zur Grundlage: Alles, was der Staat nicht kriegt, bleibt bei mir, als Unternehmer oder Anleger. Das ist ein Habitus, eine soziale Rolle, ein gesellschaftlicher Status mit entsprechendem Statusdenken und -handeln. Es ist wirtschaftsethisch genau so einzuordnen wie Bestechung, die als Betriebsausgaben Steuern schmälert. Ja, gesellschaftlich wurde es erst unlängst anrüchig. Jahrzehntelang war es betriebswirtschaftliche Normalität. Und da wundert man sich, wenn solche Art „Unternehmer“ mit ihrem exorbitanten Einkommen dann auch massiv nach „Steuersparmodellen“ suchen? Wo Machtdenken die eigenen Grenzen vergessen macht, geht man über gesetzliche Grenzen hinaus. Und man blieb ja auch unentdeckt und straffrei – wie clever man doch sei! Nun drohen, durch entsprechende Regelungen im Bankensektor, massiv Entdeckungsgefahr und Strafverfolgung. Was also ist zur Optimierung des „Steuersparmodells“ zu tun? Der Staat gab doch selber den Wink, um nicht strafverfolgen zu müssen: Selbstanzeige, reuigen Sünder spielen, zahlen. Es ist bloß taktisches Kalkül. Sonst wird es noch teurer, auch Gefängnis wäre möglich. Alles gut? Ja, aber nur, wenn wahrheitsgemäße Angaben gemacht und Nachzahlungen plus Aufschlag geleistet werden. Alice Schwarzer hat diese Kurve gekriegt, nur der öffentliche Rufmord folgt ihr noch. Uli Hoeneß wird sie noch kriegen, durch Richterspruch. Bei ihm sind die Summen aber auch ganz andere. Es ist richtig, Steuerhinterzieher muss man nicht einsperren. Da sie das Geld so lieben, sollte

man sie aber dort treffen: Verdopplung der Steuerschuld ohne Wenn und Aber. Und im Wiederholungsfall oder bei einer Falschangabe der Hinterziehungsbeträge muss man, um Schaden von der Allgemeinheit fürderhin abzuwenden, – enteignen. Denn sie haben ja gerade bewiesen, dass sie renitent die Allgemeinheit schädigen wollen, indem sie rechtswidrig dem Staate Steuern hinterziehen. Schließlich bleibt jedem der pfändungsfreie, Würde sichernde Grundbetrag zum Leben, wie wir ja täglich an Hartz IV und Grundsicherung im Alter sehen. Und ein bisschen sollte man an den Ladendieb denken: „Wir bringen jeden Diebstahl zur Anzeige“. Karl Marx schrieb in seiner „Kritik des Gothaer Programms“: „Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, man muss nur richtig hinsehen und verstehen können! Ralf Becker

in der Bevölkerung. Das haben auch wir LINKEN in verschiedenen Bundesländern erfahren müssen. Wer also wirklich eine Wechselstimmung zum Wohle der Bevölkerung und der LINKEN erreichen will, sollte nicht über Regierungskoalitionen spekulieren, sondern zuerst die sozialen Bewegungen (z. B. attac, Bündnis UmFAIRteilen, Dresden Nazifrei und viele weitere) und die Zusammenarbeit mit ihnen stärken. Rita Kring, Dresden

Zu „Ein eigenständiges Angebot für den Wechsel unterbreiten“ (Sachsens Linke! 1-2/2014, S. 3) Linke Regierungen in Lateinamerika, z.B. in Venezuela, Bolivien, Ecuador, zeigen, dass sie erfolgreich sein können, wenn sie von einer breiten sozialen Bewegung getragen werden. Wenn dies aber fehlt, kann eine linke Regierung bestenfalls einige kleine Verbesserungen durchsetzen, muss aber hauptsächlich im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen handeln, schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Hinzu kommt der öffentliche Druck. Dadurch verliert sie viele AnhängerInnen

Zu „Lanz, Waschmittelwerbung, Rundfunkgebühren“ (Sachsens Linke! 1-2/2014, S. 4) Es geht nicht nur um den Rundfunkbeitrag. Die Bereitschaft, den Rundfunkbeitrag zu bezahlen, würde wachsen, wenn die Bevölkerung stärker über die Programminhalte mitbestimmen könnte. Deshalb gibt es neben der erwähnten Petition verschiedene entsprechende Initiativen (in zeitlicher Reihenfolge u.a. http://publikumsrat.de/, http://publikumsrat. blogspot.de/, http://forum. publikumsrat.org/). Bei stärkerer demokratischer Mitbestimmung in den öffentlich-rechtlichen Medien können auch die erwähnten Angriffe von Rechts zugunsten der Privatmedien besser abgewehrt werden. Neben dieser Demokratisierung ist auch eine stärkere Förderung der freien Radios (http:// www.freie-radios.net / http:// freie-radios.de/, in Sachsen: Radio T in Chemnitz, coloRadio in Dresden und Radio Blau in Leipzig) und ähnlicher Medien in unmittelbarer Bevölkerungskontrolle wünschenswert. So könnten Medien stärker im Interesse der Bevölkerung statt in dem der Herrschenden arbeiten. Uwe Schnabel, Coswig

Nachtmützen vor Wahlen Wem sich diese Nachricht nicht sofort erschließt, dem sei gesagt: Wenn es nach CDU und FDP geht, muss die Volksgesundheit eine Ware werden, sie muss privatisiert werden. Jedoch nicht für die kleine dahergelaufene Hebamme, sondern zugunsten der großen Konzerne. So wie der Strom, die (Tele-)Kommunikation, der Sprit, Lebensmittelvertrieb und -verkauf; so wie so vieles in diesem Land. Wozu brauchen wir Auswahl, wenn wir Mono- und Oligopole haben?

Doch, es wäre tröstlich, würden die „bürgerlichen“ Parteien nur die Gesundheit zur handelbaren Ware zweckentfremden. Die Regierungskoalition will offensichtlich noch viel weiter gehen. Nachdem sie vor Jahren Lehrerinnen und Lehrer erpresste und ihre Gehälter gekürzt hat, beklagt sie heuchlerisch, dass das Land zu wenige Lehrer hat. Mittelfristiges Ziel: die Privatisierung der Bildung. Und so kürzt sie weiterhin, diesmal an der universitären Bildung, erst die Außenstelle der Architektur im

Vogtland, nun in der Universität Leipzig, wo bald wohl mehrere Fakultäten geschlossen werden sollen/müssen; und munter so weiter. Dabei ist es sehr hilfreich, dass in vielen Gemeinden in Sachsen der Investitions- und Sanierungsstau der Schulen mehrere hundert Millionen Euro beträgt. „Die Kommunen sind dafür zuständig“, wird gerufen. Und wo sollen die Kommunen das Geld hernehmen, wenn nicht stehlen? Und, was nun wirklich auch die Ungläubigen überzeugen muss: Die Partei

von „law and order“, also „Recht und Ordnung“ kürzt bei der Polizei. Außer am 13. Februar. Da rücken Hundertschaften aus dem ganzen Bundesgebiet an, um die Nazis zu schützen. Nazis, die es nach König Kurt in Sachsen gar nicht gibt. Um ein Haus zu bauen, beginnt man mit dem ersten Stein. Um einen Krieg anzufangen, braucht man den ersten Schuss. Um die Gesundheit zu privatisieren, entledigt man sich der Hebamme. Der Kreis schließt sich. Stathis Soudias

und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:

Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 25.02.2014

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Archiv, iStockphoto, pixelio. Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725

Die nächste Ausgabe erscheint am 31.03.2014.


03/2014  Sachsens Linke!

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Leipzigs neues Denkmal Nach Robert Musil ist „das Auffallendste an Denkmälern …, dass man sie nicht bemerkt“. Nicht so in Leipzig, und Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) kann davon nur träumen. An der Pleiße werden Denkmäler wahrgenommen und diskutiert, bevor sie überhaupt Gestalt annehmen. Prominentestes historisches Beispiel ist das Völkerschlachtdenkmal, von der Idee über die Finanzierung bis zur Vollendung nach einhundert Jahren ein Werk der Leipziger Bürgerschaft, ebenso wie die partielle Restaurierung des Denkmalkomplexes anno 2013, die ohne das Engagement und den Druck der Leipziger Bürger nicht zustande gekommen wäre. Worum geht es nun beim zweiten Freiheits- und Einheitsdenkmal dieser Stadt? Zunächst zur Geschichte. Das Leipziger Denkmal-Trauerspiel beginnt am 9. November 2007 mit einem Misston aus dem Bundestag, mit dem Beschluss zum Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin. Zum allgemeinen Erstaunen wird die seinerzeit hochgerühmte „Heldenstadt“ Leipzig, der entscheidende Ausgangs- und Kulminationspunkt der friedlichen Revolution, in der Denkmalvergabe übersehen. Erst ein ganzes Jahr später, am 4. Dezember 2008, fordert der Bundestag nach Leipziger Intervention die Bundesregierung im Nachgang auf, „gemeinsam mit dem Land Sachsen und der Stadt Leipzig den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt zur Friedlichen Revolution auf angemessene und sichtbare

Weise zu würdigen“. Das damit verbundene zweitrangige „Juniordenkmal“, mit dem Ursache und Wirkung der Ereignisse 1989/1990 vertauscht werden, ist dem Bund die stolze Summe von fünf Millionen Euro

Denkmal-Jury durfte das Leipziger Publikum im Neuen Rathaus zwischen verschiedenen Entwürfe mit den drei Erstplatzierten: 1. Platz- „70.000“, 2. Platz: „Eine Stiftung für die Zukunft“, 3. Platz: „Herbstgar-

dieser Art bedarf jedoch des authentischen Gedenkortes, ohne historischen Bezug verwandelt es sich in eine Disneyland-Präsentation. Im feinen Unterschied zur friedlichen Revolution von

„Montagsdemonstration“ in Leipzig, 23.10.1989.

Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1023-022 / Friedrich Gahlbeck / CC-BY-SA 3.0

wert. Der Sächsische Landtag kündigt im Juni 2010 zögerlich an, weitere 1,5 Millionen Euro für das Denkmal bereitzustellen. Die Reaktion der Leipziger auf die Denkmalschenkung war von Anfang an verheerend: TED-Umfragen zeigen bis zum heutigen Tage konstant die gleiche Tendenz einer mehrheitlichen Ablehnung. Am 27. Mai 2010 konstituierte sich ein das Denkmalprojekt begleitendes Gremium des neuen Leipziger Stadtrates. Mit der Entscheidung der

ten“, lustwandeln. Das Ergebnis war erneut katastrophal. Dem Betrachter fiel sofort ins Auge, dass zwar für eine Jahrhundert-Brache – den Wilhelm-Leuschner-Platz – akzeptable Gestaltungsvarianten vorlagen, denen aber etwas Schrebergärtnerisches anhaftete. Eine Art Einheits- und Freiheits - Schreberanlage, hoffnungslos von dem in Aussicht gestellten „großen Wurf“ entfernt, denn bereits der Standort hatte keinerlei Bezug zum Jahre 1989. Ein Denkmal

1989/1990 will es bis heute nicht gelingen, das diesem epochalen Ereignis gewidmete Denkmal auf einvernehmlich-„friedliche“ Weise zu gestalten. Der bisherige Verlauf demonstriert eigentlich nur, wie ein Denkmal nicht auf den Weg zu bringen ist. Leipzig will eben kein verordnetes Staatsdenkmal. Das ist der gravierende Unterschied zu Berlin. Der Verfahrensweise der Administration in der Denkmalfrage mangelt es sichtlich am Verständnis des Herbstes 1989

„Wir sind das Volk“. Die bisher praktizierte Denkmalgestaltung nach der Art „ihr wart das Volk – der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“ wird wenig Aussicht auf Erfolg haben und Leipzig bleibt mit seiner demonstrativen Verweigerung à la Heinrich Heine „das Volk, der große Lümmel“. Wenn die Stadt dem Denkmal überhaupt eine Chance geben will, dann bleibt nur ein Lösungsweg: Demokratisierung des Verfahrens, Transparenz, Öffentlichkeit. Falls dieses Problem von Oberbürgermeister Burkhard Jung erkannt werden sollte, dann wird als erstes die Frage des Denkmals an sich, also des „OB“ überhaupt, zu klären sein. Wünschen die Leipzigerinnen und Leipziger das Denkmal tatsächlich? Diese Frage kann nur auf dem Wege eines demokratischen Bürgerentscheids beantwortet werden, den der Stadtrat umgehend beschließen möge. Diese Abstimmung hatte DIE LINKE bereits im Dezember 2012 gefordert. Wir sehen unsere Haltung durch das bisherige Denkmalgeschehen bestätigt und werden die Forderung nach diesem Bürgerentscheid nun erneut in den Stadtrat einbringen. Die schlichte Fragestellung lautet: „Sind Sie dafür, dass in der Stadt Leipzig ein aus Bundes- und Landesmitteln finanziertes Einheitsund Freiheitsdenkmal errichtet wird?“ Der eingangs zitierte Robert Musil sagt an anderer Stelle: „Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“. Leipzig ist anders. Volker Külow

Dresden – der 13. Februar gehört nicht mehr den Nazis Es ist gelungen. Am 69. Jahrestag der Bombardierung Dresdens konnten Geschichtsre-

in der Stadt unterwegs waren, gab es keine Demonstrationen und auch keine Kundgebung

der LINKEN. Sachsen zu diesem Tag: Es war eine Niederlage für die Nazis, die erstmals

Bild: Ralf Becker

visionisten und Vertreter der Ideologie der Ungleichwertigkeit in Dresden keine koordinierte Aktion durchführen. Dank vieler Menschen, die aktiv

der Nazis. Somit ist der 13. Februar 2014 ein guter Tag für das Bündnis „Dresden Nazifrei“ gewesen. Rico Gebhardt, Vorsitzender

seit vielen Jahren am 13. Februar in der sächsischen Landeshauptstadt in überhaupt keiner größeren Gruppenformation in Erscheinung getreten sind.

Dies ist ein großer Erfolg für die Zivilgesellschaft, insbesondere für das Bündnis „Dresden Nazifrei“, das den Nazi-Spuk von den Straßen Dresdens verdrängt hat. Gegen 15 Uhr setzte sich der Täterspurenmahngang mit über 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Bewegung. Der Sänger der „Prinzen“ Sebastian Krumbiegel erinnerte mit seiner Rede am Schützenplatz an einen Überfall auf das Gewerkschaftshaus im Jahr 1933 durch die SA. Lothar König, Jugendpfarrer aus Jena, sagte: „Nazis haben hier faktisch keinen Platz mehr“. Vor einer Erleichterung darüber warnte die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Dresden, Nora Goldenbogen. Mehrere tausende Menschen sorgten bis zum Abend dafür, dass Nazis sich nicht versammeln konnten. Silvio Lang, Sprecher von

„Dresden Nazifrei“ kritisierte, dass sich einzelne Nazis in die Menschenkette einreihen konnten. Die Ordner hatten die Anweisung, nichts dagegen zu unternehmen. Damit verliert die Menschenkette, die ohnehin nur eine symbolische Aktion ist, ihre Wirkung. Eingetrübt ist die Freude darüber, dass die Nazis am 13. Februar nichts zustande bekommen haben, durch die Tatsache, dass am Vortag etwa 350 Nazis durch Dresden marschieren konnten. Zwar gab es Blockaden, die konnten jedoch von der Polizei geräumt werden. Dennoch: Der 13. Februar in Dresden gehört nicht mehr den Nazis. Und dies war und ist das erklärte Ziel des Bündnisses „Dresden Nazifrei“. Jens Thöricht Sprecher der LAG antifaschistische Politik in und bei der LINKEN. Sachsen


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Maßstäbe des 19. Jahrhunderts Das war ja mal wieder eine Nachricht: Bei BMW hat man sich mit dem Betriebsrat darauf geeinigt, dass den Mitarbeitern ein „Recht auf Unerreichbarkeit“ zustehe. Das ist weder ein Witz, noch wäre es nur tragisch, es ist schlicht ein Ausdruck neoliberaler Denkweisen, die ins 19. Jahrhundert zurück wollten. Moderne Technik machte es möglich: Nicht mehr nur Bereitschaftsdienst und Erreichbarkeit zu Hause, nein, nun konnte man auch zu Hause arbeiten. Aber der Chef musste einen natürlich erreichen, online, per Handy, wie auch immer. Dann kamen auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit und ihre schleichende Verlängerung. Von der 35-Stunden-Woche der 1980er Jahre redet heute schon keiner mehr. Und in speziellen Berufen, namentlich in fragilen Absatz- und Exportbereichen, muss man eben arbeiten wie der Umsatz „atmet“. Freizeit, Familienplanung, Zeit für die Kinder, Eltern besuchen oder gar pflegen, was ist das, wozu? Das Unternehmen braucht so etwas nicht. Es braucht den flexiblen, allzeit verfügbaren „Arbeitnehmer“ (LINKE sollten dabei bleiben, „abhängig Beschäftigte“ zu sagen.). Dem diente die Agenda 2010 mit ihren „Arbeitsmarktreformen“. Seither gibt es eine wachsende Horde prekär Beschäftigter wie Leiharbeiter, Pauschalkräfte auf 400-Euro-

Basis usw., Arbeitsnomaden eben. Kernmerkmal ist ihre totale zeitliche Verfügbarkeit für Unternehmen. Ja, die Arbeitskraft ist eben bloß ein „Produktionsfaktor“ wie die Maschinen und Anlagen, und in der betriebswirtschaftlichen Rechnung nur ein Kostenfak-

ausüben. Der Arbeitstag hatte damals 14-16 Stunden! Das ist auch heute wieder der Fall, nur nicht so sichtbar und so stark reglementiert als Zeitperiode in der Fabrik. Vielmehr wird heute auch über Projektverträge schon ganz auf Arbeitszeitregelungen

gen, persönlichen Zielstellungen gearbeitet, was nichts anderes ist als eine Psychologisierung und Individualisierung, eine Internalisierung der Unternehmens(gewinn/ profit)ziele bei den Beschäftigten. Die äußere Fremdausbeutung, die Karl Marx

Fertigungslinie bei Ford, 1913: Anfänge der Fließbandproduktion unter harten Bedingungen. Hat sich daran etwas geändert?

tor. Das war schon im 19. Jahrhundert so. Doch konnte der Unternehmer seine totale Direktionsmacht über die Tätigkeit und Zeit seiner abhängig Beschäftigten nur in der Arbeitszeit innerhalb der Fabrik

verzichtet. Dabei sind dann die beschriebenen Arbeitsaufgaben so bestimmt, dass ein regelmäßiger normaler Arbeitstag gar nicht für ihre Erfüllung/Erledigung ausreicht. Da wird dann mit Besprechun-

noch analysierte, wird so zur Selbstausbeutung der Beschäftigten. Das ist Manipulation, Konditionierung! Aldous Huxleys „schöne neue Welt“ lässt grüßen. Was also der BMW-Betriebs-

rat da erstritten hat, ist leider nur etwas schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Normalität Gewordenes, das verloren ging und neu erstritten werden musste. Technisch gibt es Fortschritt in der Wirtschaft, geistig-kulturell aber sind wir im Rückschritt. Der Einfluss der Wirtschaft reicht in Ideologie und öffentliche Meinung, so dass auch hier derartige „roll backs“ zunehmend auf Akzeptanz stoßen. Das zeigt die Unaufgeregtheit, mit der eine solche Nachricht quittiert wird. Kein Wunder, denn das wissenschaftliche Fundament für die Erklärung solcher Entwicklungen ist ja auch den „LINKEN“ weitgehend verloren gegangen. Was sich aber hier manifestiert, ist eben jener zwanghafte Trend zur Gewinnmaximierung bei (!) tendenziellem Fall der Profitrate durch Produktivitätssteigerung (für Karl Marx war das ein „gesetzmäßiger“ Zusammenhang). Umverteilung wird notwendig, weil eben die wirkliche wirtschaftliche Wertschöpfung die erwarteten Renditen, vor allem in sog. geschlossenen Angebotsmärkten, nicht bringen kann. Also muss die Intensivierung der Arbeit her, das heißt die Verdichtung und Verlängerung der Arbeitszeit. Genau das ist das tiefere Wesen der sogenannten Flexibility. Ralf Becker

Dauerbrenner: Angemessene Kosten der Unterkunft Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für Empfänger von Arbeitslosengeld II übernommen, unter der Voraussetzung, dass diese Kosten angemessen sind. Die Entscheidung darüber, was als angemessen gilt, hat der Bundesgesetzgeber seit dem Inkrafttreten des SGB II im Jahr 2005 den zuständigen Behörden auf kommunaler Ebene und den Sozialgerichten überlassen. Ähnliches gilt für die Regelungen zur Sozialhilfe im SBG XII und für die Bezieher von Grundsicherung im Alter, deren Zahl in den nächsten Jahren ansteigen wird. Das Bundessozialgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen für etwas mehr Klarheit gesorgt. So hat den Richtwerten ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Kosten zugrunde zu liegen. Im Landkreis Zwickau wurde

im letzten Jahr weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein neues schlüssiges Konzept erarbeitet, neue Richtwerte für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft wurden festgelegt. Der zuständige Ausschuss des Kreistages wurde lediglich über die Erarbeitung informiert, der Kreistag mit dem Thema gar nicht befasst. Dabei stellen die Sächsische Landkreisordnung (LKO) und die Sächsische Gemeindeordnung (GemO) klar: Die Hauptorgane der Kreise und Städte sind deren Kreis- und Stadträte. Logischerweise müssten die wichtigsten Vorschriften für eine rechtskonforme Umsetzung der KdU-Paragraphen im SGB II – die KdU-Angemessenheitswerte gehören zweifelsohne dazu – von den gewählten Volksvertretern beschlossen werden. Die meisten Kreise handhaben das bisher auch so. Aller-

dings gibt es keine Rechtsvorschrift, die die Zuständigkeiten exakt regelt, selbst im Sächsischen Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches finden wir dazu keine Aussage. Orientieren wir uns weiter an Landkreis- und Gemeindeordnung. In § 24 der Landkreisordnung ist zu lesen: „(1) Der Kreistag legt die Grundsätze für die Verwaltung des Landkreises fest und entscheidet über alle Angelegenheiten des Landkreises [...] (2) Der Kreistag überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Missständen in der Kreisverwaltung für deren Beseitigung durch den Landrat“. Die Gemeindeordnung legt fast wörtlich Entsprechendes für die Stadträte fest. Die Bestimmung der angemessenen Höhe der KdU zählt mit Sicherheit zu den „Angelegenheiten des Land-

kreises“, müsste also zur Entscheidungsbefugnis der Räte gehören. Zudem wurde die Fehlerhaftigkeit bisheriger KdU-Angemessenheitswerte in vielen Gerichtsurteilen festgestellt, hier liegen also sogar Missstände vor, für deren Beseitigung die Räte sorgen müssten. Das bedeutet: Die Räte sind in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sie müssen kontrollieren, ob in den Verwaltungsvorlagen die relevanten Rechtsvorschriften umgesetzt wurden, allen voran die Forderung nach einem schlüssigen Konzept gemäß den Festlegungen des Bundessozialgerichtes vom 22.9.2009 (B4 AS 18/09 R). Besonders die Linksfraktionen in den Räten der Landkreise und der kreisfreien Städte sollten diese Aufgabe als wichtigen politischen Auftrag annehmen: Hier ist es möglich, auch als Minderheitsfraktion, Änderungen

durchzusetzen und damit wirksame Politik zum Wohl der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu praktizieren. Das setzt voraus, dass linke Räte von Kreisen und kreisfreien Städten durchsetzen, dass die Mietwerterhebungen zur Ermittlung der KdUAngemessenheitskosten in der Kompetenz der Räte bleiben bzw. Behandlung und Beschlussfassung den Räten übertragen werden. Eine fundierte Erarbeitung der Angemessenheitswerte für die KdU war und ist auch notwendig, um unnötige Auseinandersetzungen vor Sozialgerichten zu vermeiden – erstens im Interesse der Betroffenen und zweitens im Interesse der knappen öffentlichen Mittel, denn jeder Prozess vor einem Sozialgericht bindet personelle Kräfte im Jobcenter und verursacht Kosten. Sandro Tröger, Dr. Dorothea Wolff


Kommunal-Info 2-2014 15. Februar 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Klimaschutz 2014 Richtlinie des BMU zum kommunalen Klimaschutz Seite 2

Kommunale Anstalt Anhörung im Landtag zu einem Gesetzentwurf zur AöR Seite 3

Straßenbrücken Aktuelle Studie des Difu zum Zustand der Brücken Seite 4

Krankenhäuser Landkreistag will kommunale Beihilfen erhalten

Seite 4

Hochwasserschutz ausbauen Kaum waren die Schäden beseitigt, die das „Jahrhunderthochwasser“ von 2002 gebracht hatte, kam nach reichlich einem Jahrzehnt die nächste Flutkatastrophe. Zur Zeit sind immer noch Klagen zu hören, dass die Flutgelder für 2013 teilweise nur schleppend zu den Geschädigten gelangen. Hochwasserschutz und Überflutungssicherheit sind deshalb Themen, die für die Entwicklung in den Städten und Gemeinden an Bedeutung gewonnen haben und mit dem Klimawandel immer wichtiger werden. Deshalb befassen sich Fachgremien und Verbände seit geraumer Zeit stärker mit dieser Thematik. So hat z.B. kürzlich das Dresdener Institut für ökologische Raumentwicklung einen Workshop zum Thema „Mit der wassersensiblen Stadtentwicklung fit für den Klimawandel“ für kommunale Praktiker veranstaltet. Bereits am 9. Januar 2014 hatte der Deutsche Städte- und Gemeindeverband ein Positionspapier unter dem Titel Hochwasserschutz weiter ausbauen - Planungsverfahren beschleunigen der Öffentlichkeit vorgestellt, das hier im Folgenden ungekürzt dokumentiert wird. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland sind – mit entsprechenden Folgen – immer häufiger von Hochwasser- und Starkregenereignissen betroffen. Nachdem jetzt in wenigen Jahren hintereinander schon zwei Jahrhundertfluten eingetreten sind, müssen wir auch in naher Zukunft mit solchen Ereignissen rechnen und uns hierauf einstellen. Dies verdeutlicht, dass ein Umdenken im Bereich des Hochwasserschutzes unabdingbar ist. Den Städten und Gemeinden kommt eine zentrale Rolle bei der Frage nach

einem effektiven Hochwasserschutz zu. Sie vergrößern bereits heute durch die Steuerung der Flächennutzung, der Infrastruktur- und der Siedlungsentwicklung Rückhalteräume für das Wasser und vermindern hiermit das Schadenspotenzial. Bund und Länder müssen die Kommunen aber in der Umsetzung konkreter Schutzmaßnahmen „vor Ort“ auch in Zukunft finanziell unterstützen und das Vorgehen – über Ländergrenzen hinweg – koordinieren. Städte und Gemeinden brauchen einen gestärkten Handlungsrahmen, um die Erfordernisse des Hochwasserschutzes effektiver umsetzen zu können.

Länderübergreifende Koordinierung erforderlich

Hochwasser macht nicht an Landesgrenzen Halt. Daher ist es sinnvoll, länderübergreifend in Flusseinzugsgebieten – unter Einbeziehung der betroffenen Städte und Gemeinden – zu handeln. Auf Länderebene muss vor allem eine Zusammenarbeit bei der Festlegung und Umsetzung von HochwasserAktionsplänen und auch die dezentrale Rückhaltung von Hochwasser über die Landesgrenzen hinweg sichergestellt werden. Die derzeit laufende Umsetzung der EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in Deutschland bietet Gelegenheit, die bereits bestehenden Organisations- und Kommunikationsstrukturen zu überprüfen und gemeinsame Hochwasserschutzkonzepte zu erarbeiten beziehungsweise weiter zu verbessern.

Flüsse brauchen mehr Raum – Hochwasserrisiken managen

Die Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre haben vor Augen geführt, dass eine sinnvolle Hoch-

wasservorsorge ausreichende Hochwasserrückhalteräume voraussetzt. Die bislang verfügbar gemachten Flächen reichen nicht aus, um den Hochwasserspitzen wirksam begegnen zu können. Bund und Länder sind daher aufgefordert, den Wasserrückhalt durch steuerbare Flutpolder sowie Deichrückverlegungen sowie deren gemeinsame Finanzierung zu überprüfen. Steuerbare Flutpolder, die anlassbezogen geöffnet werden können, um Hochwasserspitzen zu kappen, sollten vorrangig ausgebaut werden. Diese sind neben der Reaktivierung von Auen eine effektive Maßnahme. In diesem Zusammenhang müssen die Länder prüfen, inwieweit zukünftig auch leichter auf landwirtschaftliche Flächen als Retentionsflächen zurückgegriffen werden kann.

Technischen Hochwasserschutz ausbauen

Neben dem weiteren Ausbau von Hochwasserrückhalteräumen ist eine konsequente Fortsetzung des technischen Hochwasserschutzes erforderlich. Die zurückliegenden Hochwasserereignisse haben gezeigt, dass sich der Aufwand für technische Schutzmaßnahmen wie Notentlastungen, Spundwände oder auch mobile Hochwasserschutzmaßnahmen häufig auszahlt. Je nach regionalen und örtlichen Rahmenbedingungen sind derartige Hochwasserschutzmaßnahmen – soweit noch nicht vorhanden – vorzusehen und im Rahmen einer koordinierten Hochwasservorsorge mit zu betrachten. Darüber hinaus müssen vorhandene Deiche fachgerecht unterhalten beziehungsweise erneuert und – soweit nach den Hochwasserbedrohnungsszenarien erforderlich – ausgebaut werden.

Stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes

Erforderlich ist ein zielgerichtetes Handeln von Politik und Verwaltung im Bereich des Hochwasserrisikomanagements. Hierbei müssen die Erfahrungen aus den Hochwasserereignissen der vergangenen Jahre Eingang in die Bearbeitung von Hochwasserschutzkonzepten finden. Angesichts der nach wie vor notwendigen Maßnahmen zum Wasserrückhalt in hochwassergefährdeten Bereichen sowie dem Ausbau von technischen Schutzmaßnahmen ist der Bund gefordert, sich zukünftig stärker finanziell an vorbeugenden Maßnahmen des länderübergreifenden Hochwasserschutzes zu beteiligen. Bund und Länder müssen daher kurzfristig Vorschläge für ein effektives Hochwasserschutzprogramm in Deutschland erarbeiten, welches auch die Folgewirkungen von Starkniederschlägen berücksichtigt. Etwa die Hälfte der regulierten Überflutungsschäden in Deutschland resultiert aus lokal begrenzten Extremwettereignissen, die auch fernab von Gewässern zu Überschwemmungen und hohen Sachschäden führen.

Beschleunigung von Planverfahren sicherstellen

Ein Blick in die Planungspraxis belegt, dass Verfahren zur Genehmigung und Errichtung von Maßnahmen des Hochwasserschutzes beziehungsweise der Hochwasservorsorge kompliziert und zeitintensiv sind. Damit wird die Sicherstellung eines effektiven Hochwasserschutzes insbesondere in Städten und Gemeinden gefährdet. Planverfahren müssen daher beschleunigt Fortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 2/2014

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Förderschwerpunkte Klimaschutz 2014

Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (kurz: Kommunalrichtlinie) des Bundesumweltministeriums (BMU) bietet auch für das Antragsjahr 2014 umfangreiche Fördermöglichkeiten für den kommunalen Klimaschutz. Im Herbst 2013 wurde die Kommunalrichtlinie erneut an aktuelle Entwicklungen angepasst.

sind ab 2014 die Ausgaben für eine den Beratungsprozess begleitende Öffentlichkeitsarbeit förderfähig. Die Erstellung von integrierten Klimaschutzkonzepten und thematisch fo-

ersten 18 Monate der Projektlaufzeit des Klimaschutzmanagements möglich. Auch das Klimaschutzmanagement an Schulen und Kitas wird 2014 weitergeführt. Im Rahmen von Ener-

von Innen- und Hallenbeleuchtungen sowie die Förderung von Klimaschutzmaßnahmen bei stillgelegten Siedlungsabfalldeponien sind weiterhin förderfähig. Im Förderschwerpunkt

kussierten Teilkonzepten bildet auch im Jahr 2014 das Kernstück der Kommunalrichtlinie. Um die Umsetzung der Konzepte zu unterstützen, bezuschusst die Kommunalrichtlinie die Einrichtung einer Personalstelle für das Klimaschutzmanagement. Klimaschutzmanager können auch 2014 bis zu 250.000 Euro für eine ausgewählte Maßnahme beantragen. Die Antragstellung ist während der

giesparmodellen wird den Kindern und Jugendlichen der bewusste Umgang mit Energie und Ressourcen vermittelt. Neben Zuschüssen für Konzeption und Umsetzung bietet die Kommunalrichtlinie auch finanzielle Unterstützung für investive Maßnahmen. Die Sanierung und Nachrüstung von Lüftungsanlagen, der Einbau von LED Beleuchtungstechnik bei der Sanierung

„Nachhaltige Mobilität“ steht nun die Einrichtung von Wegweisungssystemen für überwiegend alltagsbezogene Radrouten im Fokus. Auch verkehrsübergreifende Mobilitätsstationen, die Optimierung des Wegenetzes für den Radverkehr und die Einrichtung von Radabstellanlagen werden weiterhin bezuschusst.

eine Gewässerentwicklungsplanung, Katastrophenschutz-Einsatzpläne, Optimierung des technischen Hochwasserschutzes in den Kommunen sowie eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit einschließt.

staatliche Förderung in Form von Beratung oder auch zinsvergünstigten Darlehen o. ä. unterstützt werden.

gaberechts (VOB/A und VOL/A) vorliegt, so dass im Falle der Beseitigung von Hochwasserschäden oder -gefahren vom Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung bzw. des Offenen Verfahrens abgewichen werden kann. Die Länder werden in diesem Zusammenhang aufgefordert, bei entsprechenden Befreiungen die vorgesehenen Befreiungszeiträume nicht zu knapp zu bemessen. Die Praxis in den Städten und Gemeinden belegt, dass die Beseitigung von Hochwasserschäden oder –gefahren regelmäßig erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Städten und Gemeinden dürfen mithin keine vergaberechtlichen Hürden bei der Beseitigung von Hochwasserschäden aufgebaut werden.

Fristen für Förderanträge

Mit der Veröffentlichung der novellierten Kommunalrichtlinie können die Kommunen nun mit der Vorbereitung der Anträge beginnen. Vom 01. Januar bis zum 30. April 2014 können diese eingereicht werden – damit haben Antragsteller einen Monat mehr Zeit als bisher. Eine Personalstelle für das Klimaschutzmanagement sowie das hiermit zusammenhängende Anschlussverfahren und die ausgewählte Maßnahme können wieder ganzjährig beantragt werden. Antragsberechtigt sind nach wie vor Kommunen – aber auch andere Institutionen, wie z.B. Bildungseinrichtungen und kommunale Unternehmen, können unter bestimmten Voraussetzungen Anträge stellen.

Förderschwerpunkte 2014

Kommunen, die beim Klimaschutz noch am Anfang stehen, können eine Einstiegsberatung durch fachkundige Dritte beantragen. Um von Anfang an alle relevanten Akteure zu beteiligen, Fortsetzung von Seite 1

Hochwasserschutz ... werden, sofern es sich um Hochwasserschutzmaßnahmen von überörtlicher Bedeutung handelt. Dieses könnte über die Befreiung von der Verpflichtung zur Ausweisung von Ausgleichsflächen, Fristverkürzungsmöglichkeiten im Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung oder die Verkürzung des gerichtlichen Instanzenzuges im Falle von Klagen gegen Hochwasserschutzmaßnahmen erreicht werden. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, das Küstenschutzprivileg des § 68 Abs. 2 S. 2 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) auf Hochwasserschutzmaßnahmen auszudehnen und für Ertüchtigungsmaßnahmen von Deichen und Dammbauten unter Berücksichtigung des geltenden Technikstandards von Genehmigungserfordernissen abzusehen.

Integrierte kommunale Hochwasserschutzkonzepte

Städte und Gemeinden können ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Hochwasservorsorge leisten. In der Praxis ist es Aufgabe der Kommunen, insbesondere durch Steuerung der Flächennutzung, der Infrastruktur- und der Siedlungsentwicklung Rückhalteräume für das Wasser zu vergrößern und damit auch das Schadenspotenzial zu vermindern. Darüber hinaus bietet sich die Erarbeitung integrierter kommunaler Hochwasserschutzkonzepte in Abstimmung mit den Nachbarkommunen sowie den jeweiligen Ländern an, die

Beratung und Einbindung der Bürger

Ein wichtiger Baustein der kommunalen Hochwasservorsorge ist zudem die aktive Einbindung der Bürgerinnen und Bürger. Es muss ein allgemeines „Hochwasserbewusstsein“ geschaffen werden. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit der Bevölkerung. Notwendig ist eine Aufklärung über Hochwasserereignisse sowie über geeignete Prävention „vor Ort“. Hierbei sollte auch über Möglichkeiten von baulichen Maßnahmen an Gebäuden informiert werden. Erforderlich ist eine aktive Zusammenarbeit von Kommunen, Feuer- und Wasserwehr, Landes- und Bundespolizei sowie THW und sonstigen Institutionen, die im Bereich der Hochwasservorsorge beratend tätig sind.

Eigenvorsorge stärken

Mit einer verstärkten Beratung ist auch eine stärkere Eigenvorsorge der Bürger verbunden. Private Vorsorgemaßnahmen der Bürger sollten sich in hochwassergefährdeten Bereichen an der fachlichen Risikoabschätzung orientieren und insbesondere hochwasserangepasstes Bauen sowie sonstige bauliche Vorkehrungen gegen Hochwasserschäden umfassen. Hierbei sollten die betroffenen Bürger durch eine

Versicherungslösungen weiter ausbauen

In hochwassergefährdeten Bereichen obliegt es schließlich den betroffenen Eigentümern, Versicherungsschutz gegen Elementarschäden zu erlangen. Dieses stellt sich in der Praxis schwierig dar. Unter Einbeziehung der Versicherungswirtschaft ist es daher geboten, Rahmenbedingungen zu entwickeln, die einen Versicherungsschutz für betroffene Bürger zu vertretbaren Konditionen ermöglichen. In diesem Zusammenhang sind unterschiedliche fachliche Aspekte wie etwa eine sachgerechte Hochwasservorsorge, Baubeschränkungen oder die hochwasserangepasste Gestaltung von bestehenden Gebäuden („Hochwasserpass für Gebäude“) zu berücksichtigen.

Vergaberechtliche Erleichterungen zur Beseitigung von Hochwasserschäden

Die Beseitigung der Schäden des „Juni-Hochwassers 2013“ habe einmal mehr gezeigt, dass es neben der finanziellen Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder auch auf eine praxisgerechte und zügige Abwicklung der Maßnahmen „vor Ort“ ankommt. Es ist daher auch in Zukunft durch Länderrecht sicherzustellen, dass im Hochwasserfall der Ausnahmetatbestand einer „besonderen“ oder „zwingenden“ Dringlichkeit nach den einschlägigen Vorschriften des Ver-

(aus: Difu-Berichte 4/2013)

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Februar 2014

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Amputation funktionierender Gliedmaßen Liebe Leserinnen und Leser, wenn Haushaltsberatungen in Wahljahren stattfinden, erleben wir meist großes Taktieren. Die Staatsregierung hat kürzlich „Eckwerte“ ihres Entwurfes für den Doppelhaushalt 2015/2016 vorgestellt und sich dabei wieder kräftig selbst gelobt – dafür, dass keine neuen Schulden aufgenommen werden und knapp ein Fünftel des vorhandenen Geldes in Investitionen fließen soll. Das erste ist nichts anderes als verfassungsrechtlich notwendig, das zweite zumindest verkürzt dargestellt: Denn bekanntlich macht es einen großen Unterschied, ob in Beton oder in Köpfe investiert wird. Vieles deutet darauf hin, dass man lieber Geld in Gebäude und Straßen als etwa in Lehrer- und Hochschulstellen stecken will. Wohin das führt, hat die LINKE im Januarplenum aufgezeigt: So leiden beispielsweise die sächsischen Hochschulen inzwischen so unter dem Spardruck, dass ganze Institute vor dem Aus stehen. Gegen den Protest, der sich dort und an anderer Stelle regt, setzen CDU und FDP auf eine alte Taktik: In den kommenden Monaten wird man munter kleine Geldgeschenke verteilen – oder zumindest ankündigen. Ob bei Infrastruktur, Sportförderung oder Kulturräumen: Mit dem einen oder anderen Extra-Milliönchen will man den Eindruck erwecken, man löse Probleme. Dabei kratzt man allenfalls an deren Oberfläche. Stattdessen braucht Sachsen mutige Investitionen in die richtigen Bereiche: Bildung, Forschung, Soziales, Kultur, Verkehr und – nicht zuletzt – in die Energiewende. Dazu sind klare und vor allem langfristige Strategien notwendig. Das alles geht besser, auch ohne neue Schulden – man muss nur wollen!

Ihr Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Im vergangenen Jahr haben die sächsischen Hochschulrektoren in einer Atmosphäre bemühter Harmonie eine dreijährige „Zuschussvereinbarung“ mit der Staatsregierung unterzeichnet. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde dabei vermittelt, dass die Hochschulen nun Planungssicherheit und eine verlässliche Finanzierung erhielten, „Zuschüsse“ eben. Nicht verwiesen wurde freilich auf die ebenfalls zur Vereinbarung zählenden Beschlüsse zum Stellenabbau. Im Januar gab das Rektorat der Universität Leipzig bekannt, im Ergebnis der von der Staatsregierung erzwungenen Sparmaßnahmen in diesem Jahr 24 Stellen zu streichen. Treffen wird es unter anderem die sachsenweit einzigartigen Institute Archäologie und Theaterwissenschaft. Schon nach kurzer Zeit entwickelte sich ein Proteststurm. DIE LINKE hatte deshalb im Januarplenum eine Aktuelle Debatte beantragt. Ihr Titel lautete: „Genug gekürzt! Hochschulen aus der Autonomiefalle befreien – das Beispiel Leipzig“. Das wurde seitens der Koalition und der Wissenschaftsministerin freilich bewusst so missverstanden, dass die Fraktion DIE LINKE an der Hochschulautonomie – also dem Recht der Hochschulen zur Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze – rütteln wolle. Dass dies mitnichten so ist, stellte der hochschulpolitische Sprecher der LINKEN, Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Gerhard Besier, klar: „Der Freiheitsgrad der autonomen Hochschulen besteht darin, zu entscheiden, wo das Messer angesetzt werden soll – mehr nicht“. Ihre Freiheit bewege sich nur innerhalb des vom Freistaat gesetzten Finanzrahmens. Um wirkliche Autonomie zu erhalten, bräuchten sie eine auskömmliche Finanzierung. Stattdessen jedoch schiebe ihnen die Regierung den „Schwarzen Peter“ zu und behaupte, sie würden die Streichungen selbstständig vornehmen. Um die Kürzungsvorgaben der Regierung erfüllen zu können, schlagen die Hochschulen nun altersbedingt freiwerdende Stellen zur Streichung vor – ein Abbau nach dem Zufallsprinzip, mit unabsehbaren Folgen. Prof. Dr. Beate Schücking, Rektorin der von den Kürzungsvorgaben beson-

ders hart betroffenen Universität Leipzig, fand im Interview mit der „ZEIT“ inzwischen klare Worte. „Unsere Universität hat unzählige Hungerkuren hinter sich, nun ist kein Speck mehr da. Wir sollen aber weiter Gewicht verlieren. Inzwischen sind wir bei den Muskeln angelangt, die wir amputieren müssen“. 1993 habe die Universität 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Landesstellen für 20.000 Studierende gehabt, heute seien es nur noch knapp 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – allerdings für mehr als 28.000 Studierende. „Wenn das Sparprogramm von Landtag und Regierung exekutiert wird, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als von 2017 an ganze Fakultäten zu schließen“, folgert sie. Prof. Besier hatte die Staatsregierung vergebens aufgefordert, wenigstens klar zu sagen, dass sie das einkalkuliert. Auch der kulturpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Dr. Volker Külow, wandte sich gegen die Sichtweise, die Hochschulen

seien für den Sparkurs verantwortlich. „Die politische Hauptverantwortung für dieses Kürzungsdiktat trägt die sächsische Staatsregierung. Wenn in Dresden im übertragenen Sinne Revolver und Munition für die Liquidierung wichtiger universitärer Einrichtungen hergestellt werden, ist der Tatbestand der Nötigung erfüllt“, kommentierte er. Mit der Schließung der beiden Institute werde nicht nur die Axt an die Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften, nicht nur an das geisteswissenschaftliche Profil und die klassische Volluniversität, sondern auch an die sächsische Kulturlandschaft gelegt. Daten des Statistischen Bundesamtes belegen die Schlussposition des Freistaates bei der Grundfinanzierung der Hochschulen – Platz 14 von 16 im Bundesvergleich bei den Grundmitteln pro Studierendem und Platz 15 von 16 bei den Grundmitteln je Professur (2011). Die Grundausstattung der Hochschulen ist defizitär, auch wenn die Koalitionsfraktionen sich mühen, die strukturelle Unterfinanzierung als „Märchen“ abzutun. Wenn das Spardiktat, an dem Staatsregierung weiterhin festhält, weiter umgesetzt wird, werden bis 2020 insgesamt 1.042 Hochschulstellen wegfallen. Die Fähigkeit der Hochschulen, externe Forschungsmittel einzuwerben, wird dann umso stärker abnehmen, je weiter der Stellenabbau fortschreitet. Hinter allem stehen Beschlüsse zum Doppelhaushalt 2010/2011, die damals auf Basis von Prognosen zu den Studierendenzahlen getroffen wurden, die längst überholt sind: Heute gibt es in Sachsen fast 50 Prozent mehr Studierende als vorhergesagt. Die Hochschulentwicklungsplanung muss korrigiert und an die tatsächliche Entwicklung der Studierendenzahlen angepasst werden. Hochschulen gehören ins Zentrum der Ausgabenplanung! Die Staatsregierung lässt die Hochschulen stattdessen zu immer neuen Streichkonzerten aufspielen. Mit der Harmonie dürfte es spätestens jetzt vorbei sein.


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PARLAMENTSREPORT

Februar 2014

LINKE beim „Mahngang Täterspuren“ Seit dem Jahr 2010 ist es gelungen, die regelmäßig zum 13. Februar stattfindenden Naziaufmärsche immer weiter aus dem Dresdener Stadtbild zu verdrängen und deutlich zu machen, dass Geschichtsrevisionismus nicht unwidersprochen bleibt. Fester Teil der antifaschistischen Aktionen ist inzwischen der „Mahngang Täterspuren“ vom Bündnis „Dresden Nazifrei“, der zu Schauplätzen von Naziverbrechen im Stadtgebiet und zu den „Wirkungsstätten“ der Täter führt. Daran beteiligten sich auch in diesem Jahr verschiedene LINKE Abgeordnete, darunter die Vorsitzenden der sächsischen und thüringischen Landtagsfraktionen, Rico Gebhardt und Bodo Ramelow. MdL Falk Neubert hatte die Veranstaltung auch in diesem Jahr angemeldet. „PARLAMENTSREPORT“ sprach mit ihm über seine Einschätzung zum Verlauf des diesjährigen 13. Februar.

mit „Dresden Nazifrei“ zustande kommen könnte. Der Mahngang Täterspuren war mit 3.500 TeilnehmerInnen wieder ein großer Erfolg.

1. Wie kommentieren Sie die Geschehnisse rund um den 13. Februar 2014 in Dresden? In diesem Jahr sind am 13. Februar seit Jahren das erste Mal keine Nazis nach Dresden gekommen, um diesen Tag für ihre Zwecke zu missbrauchen und Geschichtsrevisionismus zu propagieren. Das ist ein großer Erfolg und Ergebnis jahrelanger engagierter Proteste gegen diese Naziaufmärsche.

400 bis 500 Nazis einen „Trauermarsch“ durchzuführen. Es waren zwar auch an diesem Tag weit mehr als dreimal so viele Menschen auf der Straße, um gegen Nazis zu demonstrieren, aber der „Trauermarsch“ konnte leider nicht verhindert werden. Dass er in dieser Form überhaupt genehmigt wurde, ist ein Rückfall in die 90er Jahre. Eine prominentere Route als vom Theaterplatz über die Wilsdruffer Straße zum Rathaus ist in Dresden fast gar nicht möglich. Und dass die Nazis mit Fackeln und tönender Musik vor der Trümmerfrau eine Kundgebung abhalten durften, ist ein weiterer Beleg für die Unfähigkeit des Dresdner Ordnungsamtes.

2. Konnte dem rechten Lager in diesem Jahr die finale Niederlage beigebracht werden? Nein, leider nicht. Es ist ihnen gelungen, am Abend des 12. Februar mit

3. Sie haben in diesem Jahr wiederholt den Mahngang „Täterspuren“ angemeldet, der zu Wirkungsstätten von Naziverbrechern führt, um den Mythos von der „unschuldi-

Der 13. Februar in Dresden: O-Töne „Ein ist ein Erfolg der antifaschistischen Proteste, dass es am 13. Februar keine Veranstaltung von Nazis in Dresden gab. Die hatten ihr Erfolgserlebnis aber leider am Vortag. Das verdanken sie einer verantwortungslosen Informationspolitik der Dresdner Ordnungsbehörde ebenso wie der blauäugigen Innenpolitik im Freistaat.“ Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik

„Es war eine Niederlage für die Nazis, die erstmals seit vielen Jahren am 13. Februar in der sächsischen Landeshauptstadt in überhaupt keiner größeren Gruppenformation in Erscheinung getreten sind. Dies ist ein großer Erfolg für die Zivilgesellschaft, insbesondere für das ‚Bündnis Dresden Nazifrei‘, das den NaziSpuk von den Straßen Dresdens verdrängt hat.“ Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

„Der 13. Februar ist ein wichtiges Datum in der Bundesrepublik Deutschland. Der 13. Februar ist Synonym für einen Kampf gegen die Umdeutung von Gedenken. Dresden ist zum Symbol einer aktiven zivilgesellschaftlichen Gegenwehr gegen Naziaufmärsche geworden. Es war mir eine Freude, mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, und dem Jenaer Jugendpfarrer Lothar König Gesicht zu zeigen gegen braunen Ungeist.“ Bodo Ramelow, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag

„Nie wieder Krieg heißt auch nie wieder Faschismus – das ist die Lehre aus der Zerstörung Dresdens vor 66 Jahren. Dresden darf sich nicht als Stätte des europaweit größten Naziaufmarsches etablieren, diese „Tradition“ muss ein für alle Mal beendet werden!“ Heiko Kosel, Sprecher für Europa- und Minderheitenpolitik

gen Stadt“ zu entlarven. Während die Stadtverwaltung den Mahngang 2011 rechtswidrig auf eine andere Route verlegt und damit sinnentleert hatte, lobte ihn die Oberbürgermeisterin in diesem Jahr. Ein Gespräch mit dem Bündnis „Dresden Nazifrei“ kam jedoch nicht zustande. Hat die Stadtverwaltung dennoch dazugelernt? Definitiv ja, zumindest die Oberbürgermeisterin. Ich bin sehr froh, dass Frau Orosz erstmalig den „Mahngang Täterspuren“ als Bestandteil des gemeinsamen Protestes gegen Nazis öffentlich dargestellt und Protest in Sicht- und Hörweite als demokratisches Muss eingefordert hat. Auch ihre Rede mit dem expliziten Verweis darauf, „dass Dresden keine unschuldige Stadt war“, beinhaltete klare und neue Töne. Es wäre schön, wenn in den nächsten Monaten daran angeknüpft werden und auch ein Gespräch

4. Aufgrund Ihrer Beteiligung an den antifaschistischen Protesten 2011 hat die Staatsanwaltschaft Dresden im Sommer 2013 einen Strafbefehl wegen angeblicher „Störung von Versammlungen und Aufzügen” gegen Sie beantragt. Ihn zu akzeptieren, wäre einem Eingeständnis von Schuld gleichgekommen; Sie haben Widerspruch eingelegt. Gibt es inzwischen neue Entwicklungen? Ich habe vor einem Monat noch einmal öffentlich eingefordert, das Verfahren gegen mich entweder einzustellen oder nun endlich eine Hauptverhandlung anzuberaumen. Bisher ist leider immer noch nichts passiert. 5. Sehen Sie sich als Opfer eines politisch motivierten Verfahrens? Es war natürlich interessengeleitet, dass die Staatsanwaltschaft sowohl 2010 als auch 2011 massenhafte Anklagen vom Zaun gebrochen hat. Das war begleitet von Funkzellenabfragen oder der polizeilichen Stürmung der Dresdner Büros der LINKEN. Menschen mit einem solch martialischen Vorgehen davon abschrecken zu wollen, ihre Stimme gegen Nazis zu erheben, ist einer Demokratie unwürdig. Vor diesem Hintergrund ist das Vorgehen der Dresdner Staatsanwaltschaft ganz offensichtlich politisch motiviert.

Gegen Altersdiskriminierung: Rot-Rot-Grün für gerechte Beamtenbesoldung In der sächsischen Beamtenschaft rumort es: Tausende Staatsdienerinnen und Staatsdiener sehen sich bei ihrer Einstufung in die Besoldungstabellen diskriminiert. Im Kern geht es darum, dass bei der Festlegung ihrer Bezüge ihr Lebensalter und nicht ihre Erfahrung als wesentliches Kriterium herangezogen wurde. Die damals gültige Besoldungsordnung machte es also beispielsweise möglich, dass ein 34-Jähriger Neueinsteiger für dieselbe Tätigkeit besser entlohnt wurde als ein 23-Jähriger mit gleicher Qualifikation und Erfahrung. Dagegen legten zwischen 2009 und 2011 insgesamt 11.000 Beamtinnen und Beamte Widerspruch ein, die zunächst ruhend gestellt wurden, um höchstrichterliche Entscheidungen abzuwarten. Kürzlich wurden allerdings alle Widersprüche abschlägig beschieden. Nun wandten sich auch der DGB Sachsen, der Sächsische Beamtenbund, der sächsische Landesverband der Deutschen Steuer-Gewerkschaft und die sächsische Gewerkschaft der Polizei in einem Offenen Brief

hilfesuchend an die Fraktionen des Sächsischen Landtages. Mit einem gemeinsamen Dringlichen Antrag (Drucksache 5/13608) wollten die Fraktionen von LINKEN, SPD und Grünen erreichen, dass die Widerspruchsbescheide zurückgenommen werden und die anstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abgewartet wird. Die Koalitionsfraktionen sahen das Thema allerdings nicht als behandlungswürdig an. „Mit Rückendeckung der CDU-/FDPAbgeordneten betreibt die Regierung Tillich weiter Personalpolitik auf Kosten der Beschäftigten und ihrer Familienangehörigen“, kommentierte der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE, Klaus Tischendorf, die Verweigerungshaltung der Koalitionsfraktionen. Auf die sächsischen Verwaltungsgerichte rollt nun eine Klagewelle zu, etwa 5.000 Klagen wurden eingereicht. Viele Beamtinnen und Beamte setzen sich weiterhin für ihre Rechte ein – die Unterstützung der Fraktion DIE LINKE ist ihnen gewiss.


Februar 2014

PARLAMENTSREPORT

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Gutes Erwerbsleben auch mit Behinderung Ein erfülltes Arbeitsleben gehört für die allermeisten Menschen zu den Grundpfeilern einer glücklichen Existenz. Eine Arbeitsstelle zu finden, von der man leben kann und der man sich mit Freude und Motivation widmet, ist oft eine Herausforderung. Menschen mit körperlichen, geistigen, seelischen oder/und Sinnesbeeinträchtigungen haben es dabei oft besonders schwer, denn viele Unternehmen zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe, als Menschen mit Behinderungen im gesetzlich geforderten Umfang zu beschäftigen. Die Fraktion DIE LINKE hat deshalb mit einem Antrag (Drucksache 5/12796) von der Staatsregierung mehr Engagement gefordert, um für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung den

Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbessern. Dafür sollte sie einen Sächsischen Maßnahmenplan „Arbeit nach Maß für Menschen mit Behinderung“ vorlegen. Dessen Ziele sollten unter anderem darin bestehen, Barrieren beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu beseitigen und die individuellen Potentiale dieser Personengruppe durch entsprechende Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten zur Entfaltung zu bringen. Letztere werden durch Arbeitgeber immer wieder unterschätzt – dabei können gerade Menschen mit Behinderungen besonders motiviert sein. Absichtserklärungen sollten mit konkreten Maßnahmen, Verantwortlichkeiten, Terminen und Haushaltsbudgets untersetzt werden, und zwar zu einer Vielzahl von Aspekten – etwa

zur Berufsorientierung, zum Nachteilsausgleich bei Bewerbungsverfahren oder zur beruflichen Prävention und Rehabilitation. Horst Wehner, behindertenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, wies auf den Handlungsbedarf hin. Aktuell gebe es in Sachsen 11.431 arbeitslose Schwerbehinderte. Während die allgemeine Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2005 um über 40 % zurückgegangen sei, habe sie im Falle von Menschen mit Behinderung um 10 % zugenommen. „Behinderung und Schwerbehinderung sind keine freiwilligen Lebensentscheidungen. Die Gründe für eine Behinderung können jeden von uns treffen“, so Wehner. Nach Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention müsse es Menschen mit Behinderungen möglich sein, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen und entsprechend ihren Fähigkeiten das Arbeitsumfeld frei zu wählen. Auch für die Unternehmen habe deren Beschäftigung Vorteile: „Der tägliche Umgang unterschiedlicher Menschen ermöglicht erst die Ausbildung von Toleranz und Hilfsbereitschaft. Auch Kunden honorieren es, wenn Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung nachkommen, indem sie Menschen mit Behinderung einstellen“. Die Staatsregierung ist allerdings der Ansicht, dass es eines solchen Plans nicht bedarf, und die Regierungsfraktionen lehnten den Antrag ab. Damit ist weiter fraglich, ob Barrieren beim Berufszugang abgebaut werden können.

Förderlücken schließen, bevor sie auftreten Der Freistaat Sachsen profitiert seit Jahren von Fördergeldern, die aus verschiedenen Töpfen der Europäischen Union bereitgestellt werden. Mit den sogenannten „Operationellen Programmen“, die derzeit erarbeitet werden und die noch von der EU-Kommission genehmigt werden müssen, entscheidet der Freistaat, wie dieses Geld verteilt wird. So fließt es z. B. in Schulsozialarbeit, Natur- und Hochwasserschutz, Straßenbau oder in Projekte für benachteiligte Jugendliche. Seit 2014 läuft nun eine neue EUFörderperiode, die bis 2020 andauert und die deutlich weniger Geld nach Sachsen spülen wird als noch die letzte Periode, die 2007 begonnen hatte. Klar, dass es dabei zu harten und langen Verhandlungen um die Verteilung der Mittel kommt. Zwar wurde der mehrjährige Finanzrahmen der EU beschlossen, aber noch ist nicht ganz klar, wie die

genaue Verteilung der Mittel zwischen Bund und Ländern einerseits und auf die verschiedenen EU-Fonds andererseits aussieht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bildung der schwarz-roten Bundesregierung lange gedauert hat. Da der Bundeshaushalt nicht vor Mitte 2014 vorliegen wird, sind auch die Zuweisungen aus dem Bund an die Länder in den nächsten Monaten keineswegs sicher. Dabei beruht das Sächsische Förderprofil zu fast 40 % auf Mitteln von Bund und EU. Daraus entstehen Risiken: Geld, das benötigt wird und eingeplant ist, könnte nicht rechtzeitig nach Sachsen weitergereicht werden. Mit ihrem Antrag „Absehbare Förder­ lücke im Haushaltsjahr 2014 schließen – Umsetzung des Sächsischen Förderprofils durch Zwischenfinanzierung des Landes sichern!“ (Drucksache 5/13579) hat die Fraktion DIE LINKE die Staatsregierung

deshalb aufgefordert, rechtzeitig vorzusorgen. Sie sollte geeignete Maßnahmen ergreifen, um die drohenden Förderlücken zu schließen, und Ausgabereste aus dem vergangenen Haushalt sowie Steuermehreinnahmen nutzen, um eventuell entstehende Löcher zu stopfen. Verena Meiwald, fördermittelpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, wies auf die Risiken hin: „Nach gegenwärtigem Sachstand ist nicht vor Januar 2015 mit ersten Mitteln aus der aktuellen Förderperiode zu rechnen. Die Staatsregierung steht daher in der Pflicht, den bislang absehbaren Ausfall der geplanten Finanzierungsquellen des Bundes und der EU zumindest im Wege einer Übergangsfinanzierung aus eigenen Haushaltsmitteln des Landes zu überbrücken“. Die Regierungskoalition lehnte jedoch ab. Damit könnten dem Freistaat Mittel entgehen, die dringend gebraucht würden.

Plenarspiegel Januar 2014 Am 29. und 30. Januar 2014 fand die 90. und 91. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – „Genug gekürzt! Hochschulen aus der Autonomiefalle befreien – das Beispiel Leipzig.“ Dringlicher Antrag: – der Fraktionen DIE LINKE, SPD und GRÜNE „Widerspruchsbescheide zu Anträgen auf altersdiskriminierungsfreie Besoldung unverzüglich zurücknehmen und Klagewelle verhindern!“ (Drs 5/13608) Gesetzentwurf: – 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE „Gesetz zur Errichtung des unabhängigen Landesbüros für Bürgeranliegen des Freistaates Sachsen“ (Drs 5/13585) Anträge: – „Absehbare Förderlücke im Haushaltsjahr 2014 schließen – Umsetzung des Sächsischen Förderprofils durch Zwischenfinanzierung des Landes sichern!“ (Drs 5/13579) – „Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung durch Sächsischen Maßnahmeplan ‘Arbeit nach Maß für Menschen mit Behinderung‘ grundlegend verbessern!“ mit Stellungnahme der Staatsregierung (Drs 5/12796) In den Berichten der Ausschüsse (Sammeldrucksache 5/13583) war folgender Antrag der Fraktion DIE LINKE enthalten: – „Fall Yazbeck: Lebenssituation von Asylsuchenden im Freistaat Sachsen jetzt endlich spürbar und nachhaltig verbessern“ (Drs 5/12628) mit Stellungnahme der Staatsregierung Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diesen Antrag ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de


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PARLAMENTSREPORT

Februar 2014

Fortsetzung der Diskussion zum Entwurf des Inklusionsgesetzes

Die Fraktionen DIE LINKE und SPD haben einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung, Inklusion und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung, kurz „Inklusionsgesetz“ genannt, vorgelegt. Zwar waren bereits an der Erarbeitung mehrere Verbände und Selbsthilfeorganisationen beteiligt, aber auch nach seiner Einbringung sollte er weiter verbessert werden. Der Diskussionsprozess wurde zunächst mit einer öffentlichen Anhörung im federführenden Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss fortgesetzt und fand in einer gemeinsamen Veranstaltung „Alltägliche, gesellschaftliche und politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Entwurf des sächsischen Inklusionsgesetzes“ am 23. Januar 2014 einen vorläufigen Abschluss. In dieser erhielten die Teilnehmenden als Expertinnen und Experten des Alltags die Möglichkeit zur Mitsprache in eigener Sache. Es zeigte sich, dass wir mit dieser Intention

einen Nerv getroffen hatten, denn die Zahl der Teilnahmerückmeldungen zwang uns zur Raumverlegung. Die CDU-Fraktion stellte ihren größeren Fraktionssaal freundlicherweise zur Verfügung. Am Tag selbst waren dann – trotz des Wintereinbruchs – etwa 80 Gäste anwesend. Unter ihnen waren auch Menschen mit Hörbehinderung, die durch Gebärdensprachübersetzung oder mit Hilfe einer Induktionsschleife das Geschehen verfolgen konnten. Das große Interesse war für uns überwältigend. Es beweist zudem, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft viele Leute in den unterschiedlichsten Situationen und Positionen bewegt. Die Veranstaltung selbst verlief in einer sehr anregenden, wertschätzenden und emotionalen Atmosphäre. Daran hatten die kenntnisreichen und berührenden Eingangsbeiträge einen erheblichen Anteil. Stephan Pöhler, Beauftragter der Sächsischen Staatsregie-

rung für die Belange von Menschen mit Behinderung, sprach dazu, ob die Regelungen im Gesetzentwurf zu Interessenvertretung und Teilhabe im politischen Bereich gemäß dem Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“, sinnvoll und ausreichend sind. Dr. Marion Michel, Medizinsoziologin an der Universität Leipzig befasste sich mit „Alltag und Familie – selbstbestimmt und ganz normal“. Sie erläuterte aufgrund ihrer vielfältigen Erfahrungen aus der Arbeit mit Eltern mit Behinderung, welcher gesetzliche Regelungsbedarf besteht. Ihre Darlegungen zu Forschungsergebnissen und Beispielen regten sehr zum Nach- und Umdenken an. Als Dritter sprach Roland Frickenhaus vom PARITÄTISCHEN Sachsen zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leben. Er zeigte sehr bildlich auf, dass abwehrende oder bremsende Einstellungen bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Inklusion letztlich auf dem Versuch der

Besitzstandswahrung beruhen. Die Beiträge in der anschließenden Diskussion bekräftigten, dass nach Inkraftsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Überarbeitung des gegenwärtigen Integrationsgesetzes sehr notwendig ist, weshalb der Gesetzentwurf begrüßt wird. Hinweise aus der Veranstaltung, aus der Anhörung sowie aus schriftlichen Zusendungen wurden zwischenzeitlich in einem Änderungsantrag verarbeitet. Dieser wurde zusammen mit dem Gesetzentwurf in den mitberatenden Ausschüssen bereits behandelt. Die Regierungskoalition lehnte durchweg ab. Im federführenden Ausschuss wird am 26. März 2014 abgestimmt. Angesichts unserer Erfahrungen aus der Diskussion des Gesetzentwurfes sollten CDU und FDP ihr Abstimmungsverhalten ändern, denn an diesem Tag ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland genau fünf Jahre in Kraft. MdL Horst Wehner

Direkte Anlaufstelle für die Bevölkerung Die staatliche Verwaltung erfüllt keinen Selbstzweck, sondern soll den Bürgerinnen und Bürgern als Dienstleister dienen – und die geltenden Gesetze vollziehen. Das ist nicht immer einfach, denn Rechtsvorschriften werden komplexer, Anforderungen größer. Es kann daher vorkommen, dass sich Bürgerinnen und Bürger durch Verwaltungshandeln benachteiligt sehen oder sich ungerecht behandelt fühlen. Viele schrecken davor zurück, sich in diesen Fällen in eine juristische Auseinandersetzung zu begeben – schließlich dauert das meist lange und ist oft mit erheblichen Kosten verbunden. In anderen deutschen Bundesländern, in Skandinavien und auch auf der Ebene der Europäischen Union wird der Bevölkerung seit langem ein Mittelweg eröffnet: Dort gibt es „Bürgerbeauftrage“ bzw. „Ombudsleute“, an die Beschwerden und Eingaben gerichtet werden können und die das Verwaltungshandeln demokratisch und unabhängig kon-

trollieren. In Sachsen sucht man einen solchen Beauftragten bislang vergeblich. Zwar machte die Frau des ehemaligen Ministerpräsidenten Biedenkopf in den 90er Jahren mit der Idee eines „Büro Ingrid Biedenkopf“ von sich reden, auf ein rechtssicheres Fundament kam ein solches jedoch nie. Das will die Fraktion DIE LINKE nun ändern: Per Gesetzentwurf (Landtags-Drucksache 5/13585) hat sie vorgeschlagen, die Institution eines LandesBürgerbeauftragten zu schaffen, der beim Landtag angebunden und mit umfassenden Informations-, Anhörungs-, Vorlage- und Zutrittsrechten ausgestattet ist. Der Bürgerbeauftragte soll damit den Rechtsstatus eines unabhängigen Verfassungsorgans erhalten. Seiner Kontrolle sollen die Staatsregierung, alle Behörden, Stellen und Einrichtungen des Freistaates Sachsen, die Gemeinden und Landkreise sowie sonstige, der Aufsicht des Freistaates Sachsen unterstehende juristische Personen des öffentlichen Rechts und

deren Zusammenschlüsse unterliegen. Er soll Eingaben wirkungsvoll aufgreifen und auf Lösungen drängen, Missstände oder rechtswidriges Verwaltungshandeln beanstanden können – notfalls im Rahmen einer Klage. Damit könnte er einen unkomplizierten und kostengünstigen, außergerichtlichen Rechtsschutz bieten. Darüber hinaus soll er die Bürgerinnen und Bürger bei ihren sozialen Angelegenheiten beraten und unterstützen. In seiner Einbringungsrede betonte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Klaus Bartl: „Wir beschreiten mit unserem Gesetzentwurf kein gesetzgeberisches Neuland. Wir wollen vielmehr ein seit langem vorhandenes Defizit an außergerichtlicher, parlamentarisch angebundener Kontrolle beseitigen, die in anderen Ländern und der Europäischen Union zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger und der Verwaltungskultur längst Usus ist“. Der Gesetzentwurf wurde in den

Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss überwiesen. Nun wird sich zeigen, ob die Koalitionsfrak­ tionen an einer bürgerfreundlichen Verwaltung interessiert sind, die von den Empfehlungen des Bürgerbeauftragten profitiert.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Kommunal-Info 2/2014

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Kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts Bereits im März 2013 hatte die Linksfraktion im Sächsischen Landtag einen Gesetzentwurf zur Einführung der kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) im Freistaat Sachsen eingebracht. Im November 2013 fand dazu eine öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Sächsischen Landtags statt.

Warum der Gesetzentwurf?

Zuerst wurden 1995 in Bayern, dann 1998 in Rheinland-Pfalz und danach weiterhin in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt in Thüringen die gesetzlichen Voraussetzungen für kommunale AöR geschaffen. Sachsen wäre damit das einzige Bundesland in Ostdeutschland, in dem die kommunale AöR rechtlich nicht verankert ist. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen deshalb auch in Sachsen für die Städte, Gemeinden und Landkreise die Gestaltungsspielräume und Steuerungsmöglichkeiten auf dem Gebiet des Gemeindewirtschaftsrechts erweitert werden. Außerdem wird den sächsischen Kommunen die Möglichkeit eingeräumt, gemeinsame kommunale Anstalten als eine neue Gestaltungsform der interkommunalen Zusammenarbeit zu errichten.

Das Besondere der AöR

Die AöR steht als Rechtsform zwischen dem kommunalen Eigenbetrieb und der GmbH. Im Unterschied zum kommunalen Eigenbetrieb, der als selbständiges Sondervermögen vollständig dem Einfluss der Kommune unterliegt, aber nicht als eigene Rechtspersönlichkeit handeln kann, besitzt die AöR eine eigene Rechtsfähigkeit. Die AöR kann daher anders als der Eigenbetrieb selbständig agieren und freier auf dem Markt auftreten. Durch die Gewährträgerschaft der Kommune unterliegt die AöR als öffentlich-rechtliche Organisationsform einer engeren kommunalen Bindung als eine privatrechtliche GmbH. Zudem darf die AöR im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben öffentlich-rechtlich handeln: sie kann z.B. Verwaltungsakte erlassen und öffentlich-rechtliche Gebühren statt privatrechtlicher Entgelte erheben. Der AöR kann auch das Recht zum Erlass von Satzungen zur Regelung ihrer Aufgaben übertragen werden. Die Kommune nimmt über den Verwaltungsrat, der von ihr bestellt wird, Einfluss auf das Geschehen in der AöR. Die Einflussnahme richtet sich jedoch grundsätzlich nur auf strategische Entscheidungen und nicht auf die Tagespolitik. Die Vertretungsmacht der AöR konzentriert sich beim Vorstand, der die Anstalt eigenverantwortlich lenkt und nach außen vertritt.

Für und wider zur AöR

In 4 von insgesamt 7 abgegebenen Stellungnahmen sprachen sich die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung ohne Einschränkung für die Einführung der kommunalen AöR

in Sachsen aus und sahen im vorgelegten Gesetzentwurf dazu eine geeignete Grundlage. Das waren: Prof. Dirk E. (Universität Münster), Philipp H. (PricewaterhouseCoopers), Dr. Jochen H. (Fachanwalt für Verwaltungsrecht) und Johannes S. (Vorsitzender des Personalrats im Krankenhaus DresdenFriedrichstadt). Verwiesen wurde auch darauf, dass bereits 2002 der 64. Deutsche Juristentag sich dafür ausgesprochen hatte, die AöR als zusätzliche kommunale Unternehmensform in allen Ländern einzuführen. Die beiden kommunalen Spitzenverbände Sachsens (Sächsischer Städ-

Möglichkeit des selbständigen Agierens ähnlich der GmbH, ohne dass die enge kommunale Bindung verloren ginge.  Bei der Ausgestaltung der Anstaltssatzung haben es die Kommunen in der Hand, auf der Grundlage des landesrechtlichen Kommunalwirtschaftsrechts unmittelbar zu bestimmen, welchen rechtlichen und wirtschaftlichen Bewegungsspielraum sie der AöR einräumen wollen, ohne den Zwängen des bundesrechtlichen Gesellschaftsrechts unterworfen zu sein.  Damit ist die AöR als Rechtsform auch sehr geeignet, um ggf. eine Re-

So äußerte der Vertreter der IHK die Meinung, dass die Gewährträgerhaftung auch für kommunale AöR „eine unzulässige Beihilfe im Sinne des Artikels 87 des EG-Vertrages“ darstellen könnte, da sie den Wettbewerb verfälsche. Andere Sachverständige hielten die Gewährträgerhaftung jedoch grundsätzlich nicht für ein Hindernis. Von Prof. Ehlers wurde so entgegengehalten, dass „diese Voraussetzung in den meisten Fällen kommunalen Wirkens nicht gegeben“ sei. Es ließe sich auch dadurch regeln, dass die Gewährträgerhaftung mit dem Zusatz zu versehen wird: „soweit nicht der

te- und Gemeindetag und Sächsischer Landkreistag) erklärten ihre grundsätzliche Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf und meinten, dadurch würden die bereits vorhandenen Gestaltungsformen für kommunale Unternehmen um eine neue Möglichkeit erweitert. Jedoch sahen sie keinen Bedarf für die AöR in Sachsen, da sich hier die Strukturen der kommunalen Unternehmen verfestigt hätten und kaum noch Neugründungen von Unternehmen zu erwarten seien. Allerdings wollte Wolf G. vom Landkreistag nicht ausschließen, dass die AöR für zukünftige Entwicklungen, etwa im Hinblick auf steuerrechtliche Vorteile oder bei möglichen Rekomunalisierungen durchaus als Organisationsform interessant werden könnte. Gänzlich auf Ablehnung stieß das Vorhaben AöR beim Vertreter der IHK Leipzig, der in der Installierung der AöR im sächsischen Gemeindewirtschaftsrecht vor allem die „Balance zwischen Gemeindewirtschaft und Privatwirtschaft gefährdet“ sah und meinte, damit würde das in Sachsen ohnehin nur einfache Subsidiaritätsprinzip auch noch ausgehöhlt werden. Dem wurde von anderen Sachverständigen entgegen gehalten, dass die AöR hauptsächlich nur für die Felder der kommunalen Daseinsvorsorge infrage käme, die für die Privatwirtschaft ja kaum von Interesse wären.

kommunalisierung der Daseinsvorsorgebereiche herbeizuführen. Als weitere Vorzüge wurden in den Stellungnahmen folgende genannt.  Die Steuerbegünstigung: Da die AöR in der Daseinsvorsorge tätig ist und kein Betrieb gewerblicher Art ist, entfiele die Zahlung von Ertrags- und Umsatzsteuern.  Die Kreditwürdigkeit: die Gewährträgerschaft durch die Kommune verschafft der AöR die Möglichkeit sich ebenso gut über Kredite zu finanzieren wie die Kommunen selbst.  Die Vorteile der Steuerbegünstigung und der hohen Kreditwürdigkeit ermöglichen eine günstige Gebührengestaltung in Bereichen der Daseinsvorsorge (z.B. Abfall, Wasser, Abwasser).  Die AöR kann aufgrund ihrer inneren Struktur wirtschaftlich und effizient zu arbeiten, ohne jedoch die Gewinnerzielung als primäres Unternehmensziel haben zu müssen.  Bei der Errichtung einer AöR entfallen eine Reihe nicht unerheblicher Kosten, wie z.B. Grunderwerbssteuer, Notariatskosten, Stammkapital, Kosten für Handelsregistereintragungen und zusätzliche Verwaltungskosten.  Bei der Vergabe von Aufträgen besteht bei der AöR die Möglichkeit des sog. „In-House-Geschäfts“.  Die AöR kann selbst Satzungen und Gebührenbescheide erlassen.  Fördermittel können an die AöR direkt ausgereicht werden, sie müssen nicht über Umwege zu ihr geleitet werden.

Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beeinträchtigt wird“. Die kommunalen Spitzenverbände Sachsens sehen in der Gewährträgerhaftung einen grundlegenden Nachteil, da hier die Kommune einerseits für die Verbindlichkeiten der AöR unbeschränkt haften müsse, auf der anderen Seite aber durch die starke Stellung des Vorstands eine recht starke Verselbstständigung der AöR erfolge. Da würde sich ein gewisses Ungleichgewicht auftun. Von Prof. Ehlers kam der Hinweis, dass der Verwaltungsrat der AöR nicht nur Überwachungskompetenzen haben darf, er müsse auch die Rückkopplung an die Kommune gewährleisten. Richtig sei auch, dass die Sitzungen des Verwaltungsrats grundsätzlich öffentlich stattfinden, wenn es beispielsweise um die Rechtsetzung – also den Erlass von Satzungen durch die Anstalt – geht. Gute Gründe dürften auch dafür sprechen, die Festlegung von Abgaben oder Entgelten für Nutzer und Leistungsabnehmern in öffentlichen Sitzungen zu beschließen. Im Übrigen bringe der Grundsatz der Öffentlichkeit aber „die Gefahr mit sich, dass es zu Vorentscheidungen über die Unternehmenspolitik in informellen Gremien“ komme. AG

Vorzüge der AöR

 Als entscheidender Vorzug der AöR wurde in der Anhörung wiederholt genannt, dass mit dieser Rechtsform die Nachteile sowohl des kommunalen Eigenbetriebs als auch die der GmbH vermieden werden können. Als eigene Rechtspersönlichkeit hat die AöR die

Probleme und Hinweise

Neben den vielen Vorzügen der AöR wurde auch auf Probleme aufmerksam gemacht und wurden folgende Hinweise gegeben.


Kommunal-Info 2/2014

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Kommunale Straßenbrücken marode Kommunalbefragung bei etwa 2.000 Städten, Kreisen und Gemeinden zugrunde. Darin wurde nach Einschätzungen der kommunalen Brückenexperten zum Ersatzneubaubedarf und zur Struktur der kommunalen Straßenbrücken gefragt. Mit Antworten aus 500 Kommunen zur Situation der Straßenbrücken insgesamt (die etwa 14.000 Straßenbrücken repräsentieren) und ebenfalls vertiefenden Angaben zu knapp 500 einzelnen Brücken sind die Ergebnisse repräsentativ für die kommunalen Straßenbrücken in Deutschland. (aus: Difu-Berichte 4/2013)

Keine Vollprivatisierung der Krankenhäuser Viele kommunale Straßenbrücken müssen neu gebaut werden. Notwendiger Investitionsbedarf bis 2030 für den Ersatzneubau der Brücken liegt bei rund 16 Milliarden Euro Ein großer Teil der Straßen in Deutschland befindet sich in der Baulastträgerschaft der Kommunen. Städte, Kreise und Gemeinden sind daher für Bau, Unterhalt und Betrieb zuständig und müssen die Kosten dafür tragen. Dies gilt nicht nur für Straßen, sondern auch für Straßenbrücken. Die rund 67.000 Straßenbrücken, für die die Kommunen zuständig sind (neben Gemeinde- und Kreisbrücken sind das in größeren Orten auch Brücken an Ortsdurchfahrten von Landesund Bundesstraßen), befinden sich häufig in schlechtem oder nur gerade noch ausreichendem baulichen Zustand. Nach einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) müssen viele dieser Brücken bis zum Jahr 2030 entweder saniert oder sogar komplett neu gebaut werden. Die dafür notwendigen Investitionsmittel für den Ersatz von Brücken beziffert das Institut auf rund elf Milliarden Euro bis 2030, hinzu kommen – grob geschätzt – noch etwa fünf bis sechs Milliarden Euro für den Ersatz von Brückenteilen („Sanierung“). Knapp die Hälfte der kommunalen Brücken weist schlechte Zustände auf (Noten ab 2,5 und höher). Schlechte Zustandsnoten der kommunalen Straßenbrücken sind überproportional häufig in den neuen Bundesländern und in kleinen Gemeinden zu finden. In großen Städten besteht vor allem bei langen Brücken erheblicher Ersatzneubaubedarf. Mit der im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), des Bundesverbandes Baustoffe – Steine und Erden (BBS) und der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) erstellten repräsentativen Difu-Studie liegen erstmals deutschlandweit belastbare Daten zur Zahl, Länge, Fläche sowie zum Zu-

stand der Straßenbrücken in kommunaler Baulast vor. Der Sanierungs- und Erneuerungsbedarf betrifft Kommunen deutschlandweit gleichermaßen. Sind im Osten überproportional viele Brücken betroffen, die vor 1945 gebaut wurden, so befinden sich im Westen viele Brücken mittlerweile „im kritischen Alter“ und müssten bald erneuert werden. Laut Studie müssen rund 10.000 (15 Prozent) der Bücken in Kommunen komplett ausgetauscht werden, dies ist aber bisher nach Auskunft der befragten Kommunen nur bei etwa der Hälfte tatsächlich bereits geplant und führt grob geschätzt zu einem jährlichen Investitionsdefizit von 500 Millionen Euro. Unterlassener Ersatzneubau hat erhöhte Instandsetzungsausgaben zur Folge und kann zu Verkehrseinschränkungen führen. Der durch Brückensperrungen entstehende Ausweichverkehr hat wiederum negative Auswirkungen auf andere kommunale Straßenbrücken: So verursacht beispielsweise die Sperrung der Leverkusener Autobahnbrücke eine dreifache Verkehrsbelastung der Mülheimer Brücke in Köln. Kleine Gemeinden haben gemessen an der Einwohnerzahl überproportional viele Brücken mit „Ersatzneubaubedarf“ und damit den höchsten Investitionsbedarf pro Kopf. Absolut gesehen haben allerdings Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern den höchsten Investitionsbedarf, da sie mehr und größere Brücken besitzen. Besonders hohen Ersatzneubaubedarf haben die Kommunen in Nordrhein-Westfalen – u.a. aufgrund überdurchschnittlich vieler Brücken mit hoher Verkehrsleistung – sowie ostdeutsche Kommunen. Diese angesichts der hohen Modernisierungsinvestitionen in den neuen Bundesländern überraschende Diagnose ist einfach zu erklären: Investitionsprogramme der neuen Bundesländer bezogen sich vorrangig auf Fernverkehrswege (z.B. Verkehrsprojekte Deutsche Einheit). Bei der Straßeninfrastruktur der Kommunen gibt es jedoch weiterhin erheblichen und überproportiona-

len Nachholbedarf, da auch das Städtebauförderprogramm „Stadtumbau Ost“ vor allem wohnungswirtschaftlich angelegt war und kaum Maßnahmen zum Rückbau oder zur Erneuerung von technischen Infrastrukturen förderte. So konnten Hauptverkehrsstraßen allenfalls mit dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz finanziert werden. Die Unterfinanzierung der Kommunen beim Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur ist evident. Straßenbrücken sind komplexe und sehr teure Ingenieurbauwerke. Der jetzige Investitionsstau stellt jedoch zunehmend eine Gefahr für die Leistungsfähigkeit des Straßensystems in Deutschland dar. Hier entsteht dringender Handlungsbedarf. Ein mehrjähriges Brückenerneuerungsprogramm könnte den Investitionsstau auflösen, der insbesondere durch eine Häufung des vorzeitigen Ablaufs der Lebensdauer von Brücken aus den 50er- bis 70er-Jahren resultiert. Mittel- und langfristig müssen aber andere Finanzierungsmodelle entwickelt werden. Für die Studie wurden teilweise neue methodische Vorgehensweisen gewählt, da die bisherige Datenlage für die kommunale Straßeninfrastruktur unzureichend ist. Um die Zahl der kommunalen Straßenbrücken belastbar zu ermitteln, wurden erstmalig und in einem neuartigen Verfahren Daten aus geografischen Informationssystemen (GIS-Daten – OpenStreetMap) ausgewertet. Nach einer Methodenanalyse wurde ein flächenbezogener Ansatz zur Hochrechnung der Kosten für den Ersatzneubau gewählt. Die hier vorgenommene Hochrechnung geht insofern weiter als bisherige Studien, da sie auf den beschriebenen neu erschlossenen Datenquellen zu kommunalen Straßenbrücken fußt. Grundlage der Hochrechnung sind außerdem die Kenntnisse von Fachleuten in den befragten Kommunen über den Umfang des notwendigen Ersatzneubaubedarfs bis zum Jahr 2030. Der Studie lag eine umfangreiche

Landkreistag will kommunale Krankenhausbeihilfen erhalten. Keine Vollprivatisierung der Krankenhäuser durch die kalte Küche „Die Landkreise müssen auch in Zukunft in der Lage sein, Krankenhäuser bei Bedarf finanziell zu unterstützen, um eine angemessene medizinische Versorgung in der Fläche sicherzustellen“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags Prof. Dr. Hans-Günter Henneke. Es sei daher als positives und ermutigendes Signal zu werten, dass die Musterklage der privaten Krankenhausbetreiber gegen die vom baden-württembergischen Landkreis Calw gewährten Krankenhausbeihilfen Ende vergangenen Jahres mit Hinweis auf den nur den öffentlichen Krankenhausträgern obliegenden Sicherstellungsauftrag in erster Instanz vollumfänglich abgewiesen wurde. „Zu Recht hat das Gericht den öffentlichen Sicherstellungsauftrag in das Zentrum seiner Argumentation gestellt, der trotz des bestehenden Wettbewerbs Zuschüsse der kommunalen Träger an ihre Krankenhäuser rechtfertigt. Hätte die Klage der privaten Krankenhauslobby Erfolg, würde die Krankenhauslandschaft in weiten Teilen Deutschlands regelrecht umgepflügt – mit unübersehbaren Konsequenzen für die medizinische Versorgungssicherheit speziell in vielen ländlichen Räumen“, betonte Henneke. Der Landkreistag werde den weiteren Gang der gerichtlichen Auseinandersetzung aufmerksam verfolgen. „Sollte sich wider Erwarten doch noch abzeichnen, dass die Rechtsprechung kommunale Krankenhausbeihilfen zur Sicherstellung der Krankenhausversorgung spürbar erschwert, so wird man politisch gegensteuern müssen“, betonte Henneke. „Einer Vollprivatisierung des Krankenhauswesens sozusagen durch die kalte Küche muss rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben werden“, unterstrich der DLT-Hauptgeschäftsführer. Alles andere hieße, die Axt an die Wurzel von öffentlicher Daseinsvorsorge und kommunaler Selbstverwaltung zu legen. (Pressemitteilung vom 23. Jan. 2014)


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betrieb&gewerkschaft bei der 7. DGB-Bezirkskonferenz in Dresden Erstmalig war die Landesarbeitsgemeinschaf t betrieb&gewerkschaft (b&g) bei einer DGB-Bezirkskonferenz mit einem eigenen Stand vertreten. An diesem stellten Sven Scheidemantel (Bundessprecher von b&g), die Landessprecher von b&g Klaus Tischendorf, Jenny Mittrach und Torsten Steidten sowie Jens Thöricht die Positionen der Arbeitsgemeinschaft in und bei der LINKEN. Sachsen vor. Dank geht an dieser Stelle an Klaus Tischendorf und Karl-Friedrich

Zais, die mit einer Spende den Kauf des neuen Informationsstandes ermöglichten. Auf der Konferenz, an der über 100 Delegierte und zahlreiche Gäste teilnahmen, forderte die alte und neue DGB-Landesvorsitzende Iris Kloppich in ihrer Rede im Beisein von Ministerpräsident Stanislaw Tillich die sächsische Regierung auf, nicht länger mit Niedriglohn als Standortvorteil für den Freistaat zu werben. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker nutzten die Konferenz,

um sich mit den Delegierten auszutauschen. Von der LINKEN waren unter anderem die sächsische Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst, die Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann und Dr. André Hahn und die Landtagsabgeordneten Rico Gebhardt, Horst Wehner, Heiderose Gläß, Klaus Tischendorf, Karl-Friedrich Zais und Heinz Hoffmann darunter. Jens Thöricht, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft betrieb&gewerkschaft

Bild: Jens Thöricht

Reisekosten abrechnen: Ja oder nein? Viele Mitglieder zahlen nicht nur ihren Beitrag, sondern sind auch in verschiedenen Gremien und Arbeitsgemeinschaften aktiv. Das geht einher mit vielen Reisen quer durchs Land. Selbstverständlich können die so anfallenden Reisekosten abgerechnet werden, immer bei dem Gremium, für das man unterwegs ist. Das ist richtig und auch gut so. Ich mache das auch so. Im Gespräch mit GenossInnen habe ich aber auch schon gehört, dass sie ihre Reisekosten nicht abrechnen. Warum? Weil sie nach eigener Aussage auf die Erstattung nicht angewiesen sind und die Parteikasse so schonen wollen. Diesen Ansatz finde ich durchaus lobenswert und edel. Und ja, es ist auch richtig, dass die Partei sorgsam mit ihren Finanzen umgehen muss. Allerdings heißt das nicht, dass wir auf die Abrechnung unserer tatsächlichen Aufwendungen verzichten müssen und sollen. Im Gegenteil. Durch Spenden, und hier ist noch einige Luft nach oben, können wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass unsere Partei über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. Ich möchte hier auf das Parteiengesetz verweisen. Danach erhalten Parteien staatliche Mittel entsprechend ihrer Verwurzlung in der Bevölkerung. Die staatliche Förderung von Parteien orientiert sich dabei an drei Kriterien: erstens an ihrem Erfolg bei Wahlen, zweitens an der Höhe der Mitglieder- und Mandatsträgerbeiträge und drittens am Aufkommen an Spenden von natürlichen Personen. So erhält die Partei etwa 30 Pro-

zent der erhaltenen Spenden im Folgejahr als staatliche Mittel. Es macht also Sinn, regelmäßig oder doch zumindest so häufig wie möglich mit Spenden zur Finanzierung unserer Partei beizutragen; Spenden können zudem bei der Einkommenssteuererklärung geltend gemacht werden. Wenn ich für meine Arbeitsgemeinschaft oder für andere Gremien unterwegs bin, spende ich fast immer einen Teil meiner Reisekostenerstattung zurück. Das schont das Budget der Arbeitsgemeinschaft bzw. des Gremiums und hilft der Partei insgesamt. Ich kann also nur jedem empfehlen, zu unser aller Vorteil ähnlich zu verfahren. Und all jene, die bisher abgerechnet haben, könnten in sich gehen, ob sie nicht doch zukünftig hin und wieder einen Teil der Erstattung zurückspenden können. Es lohnt sich! Simone Hock

offensiv zu vertreten. Gängige Argumente gegen die Vergabe steriler Einmalspritzen zielten auf die Angst, die Häftlinge könnten sie als Waffen missbrauchen. In den weltweit bis zu 60 Haftanstalten, die ein solches Programm haben, ist hingegen kein einziger Fall bekannt, in dem ein Bediensteter mit einer Spritze angegriffen wurde. Eine technische Lösung wäre zudem die Vergabe von Sicherheitsspritzen, deren Kanüle sich nach einer Injektion zurückzieht. Problemlos und unaufgeregt führt die JVA Lichtenberg das Modell der Spritzenvergabe bereits seit 15 Jahren durch. Der Weg hin zu einem konstruktiven Umgang mit dieser Herausforderung ist nur möglich, wenn der politische Wille dazu existiert. Menschen in Gefängnissen haben keine

starke Lobby, und die Selbstorganisation von Betroffenen ist zudem unter den Bedingungen der Haft stark erschwert. Gerade die LINKE auf Landesebene ist gefragt, dieses Thema hinreichend aufzugreifen und Perspektiven zu entwickeln. Letztlich müssen die Justizministerien der Länder in die Lage versetzt werden, die Notwendigkeit eines flächendeckenden Spritzenvergabeprogramms zu erkennen. Diese sind aufgefordert, mit den JVAs entsprechende Lösungen zu erarbeiten. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen in den Gefängnissen könnten dann Schritte unternehmen, um die notwendigen Präventionsmaßnahmen durchzusetzen. Ben Kretzschmar Mehr Informationen unter: http://www.drogenundmenschenrechte.de/kampagne

Gemäß § 18 Abs. 1 PartG erhalten die Parteien staatliche Mittel als Teilfinanzierung der ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden und im PartG konkretisierten Tätigkeiten. Maßstab für die Verteilung dieser Mittel ist die Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft. Diese wird zum einen am Erfolg gemessen, den eine Partei bei der jeweils letzten Europa- , Bundes- und Landtagswahlen erzielt hat, zum anderen am Umfang der Zuwendungen natürlicher Personen. Zuwendungen in diesem Sinne sind eingezahlte Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge sowie rechtmäßig erlangte Spenden (§ 18 Abs. 3 Nr. 3 PartG).

Saubere Spritzen für Gefangene! Der Alltag in Gefängnissen zeigt, dass der Grundgedanke der Prohibition, nämlich die Abstinenz, falsch ist. Trotz enormer Kontrolldichte werden in Haftanstalten überall auf der Welt Drogen konsumiert. Eine drogenfreie Gesellschaft ist also auch dort nur eine Illusion. Während die präventive Versorgung von Drogenkonsumenten draußen, in Freiheit, große Fortschritte macht, ist die Situation in Haft sehr kritisch. So sind laut einer Studie des Robert-Koch-Institutes rund ein Drittel aller Gefangenen wegen eines Drogendeliktes inhaftiert. Ein Viertel von ihnen konsumiert auch in Haft Heroin. Die Rate der an HIV–infizierten Gefangenen ist rund 20mal höher als in Freiheit, die der von Hepatitis C Infizierten sogar

40mal. Die Praxis des intravenösen Drogenkonsums ist vor diesem Hintergrund extrem gefährlich. Spritzen sind im Knast Mangelware. Eine sterile Spritze kostet nach Berichten Gefangener an die 30 Euro. Aufgrund der schlechten Versorgung mit Spritzbesteck ist es vorprogrammiert, dass dieses nach dem Gebrauch weitergegeben wird. Auch Eigenanfertigungen von Spritzen sind in Haft Realität, zum Beispiel mit Hilfe von Kugelschreiberminen. Es ist inakzeptabel, dass für Gefangene das Recht auf das für sie erreichbare Höchstmaß an Gesundheit nicht zu gelten scheint. Gerade einmal eine Justizvollzugsanstalt (JVA) – jene in Berlin-Lichtenberg – bietet ein Spritzentauschprogramm an.

Das war nicht immer so. Ende der 90er Jahre war der politische Wille, sich diesem Problem ernsthaft zu stellen, durchaus ausgeprägter. So gab es in der Bundesrepublik immerhin sieben JVAs, die an die Gefangenen Spritzen ausgaben. Die Regierungsübernahme von Schwarz-Gelb in NRW und ein Rechtsruck in Hamburg unter Regierungsbeteiligung der Schillpartei setzte dem ein Ende. Par Ordre du Mufti beschlossen die neuen Landesregierungen, dass es in deutschen Gefängnissen keine Drogen und damit auch keine geeigneten Präventionsmaßnahmen zu geben habe. Aber auch Rot-Rot in Berlin beendete ein Spritzentauschprogramm in der JVA Plötzensee, da man den Druck der Öffentlichkeit scheute und nicht bereit war, die Interessen der Gefangenen


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Jugend

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Unsere jungen Kandidierenden Die linksjugend [‚solid] Sachsen hat auf einem Landesjugendplenum im November 2013 sechs junge Menschen nominiert, die für den Jugendverband und DIE LINKE bei der Landtagswahl 2014 antreten und natürlich auch rege den Wahlkampf unterstützen sollen. Nachdem unsere jungen Kandidierenden fast alle Kreisverbände besucht haben, möchten wir auch hier noch einmal alle sechs kurz vorstellen.

dungspolitischen Zusammenhängen wie zum Beispiel dem KreisschülerInnenrat Chemnitz und dem LandesschülerInnenrat Sachsen. Verwurzelt in der Bildungspolitik, wuchsen mein

Marco Böhme (23) Macht: Studium Stadt- und Raumplanung Themen: Umwelt, Stadtentwicklung, Gleichstellung Das Leben in Sachsen ist kein Zuckerschlecken. Das weiß man spätestens, wenn man auf dem Nachhauseweg von Nazis bedroht wird oder gar nicht mehr nach Hause kommt, weil die Bürgersteige hochgeklappt wurden. Auch lastet ein ständiger Druck auf vielen von uns, sei es in der Schule, wo gute Noten das scheinbar einzige sind,

was zählt, oder im Ausbildungsbetrieb, wo man oft als billige Arbeitskraft missbraucht wird, ohne mitbestimmen oder sich selbst verwirklichen zu können. Wohnen kann man nur noch dort, wo man es sich leisten kann und die Jugendclubs oder die Bandproberäume um die Ecke existieren schon lange nicht mehr. Das und noch viel mehr sind oder werden traurige Realitäten in Sachsen und verkommen zum Normalzustand. In unserem Landesjugendwahlprogramm haben wir Alternativen zu dieser Entwicklung formuliert, die das Ziel haben, ein freies und selbstbestimmtest Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen führen zu können. Dafür will ich streiten. Anja Klotzbücher (19) Macht: Studium Geschichte und Soziologie Themen: Bildung, Ausbildung, Schule, Partizipation „Groß geworden“ bin ich in bil-

Interesse und meine Begeisterung in viele Richtungen: Ich setze mich intensiv mit Antifaund Antiraarbeit auseinander und machte es mir zur Aufgabe, im Rahmen von Kinder- und Jugendarbeitsprojekten junge Menschen mit politischen Prozessen vertraut zu machen und für politische Partizipation zu begeistern. Momentan nehme ich neben meinem Geschichts- und Soziologiestudium an der TU Dresden am Mentoringprogramm der Partei DIE LINKE teil, beschäftige mich mit der Konzeptualisierung eines Jugendbüros in Chemnitz. Nun ist es meine Absicht, mich mit neuen Herausforderungen und veränderten Möglichkeiten einzubringen. Vielleicht nicht in Nadelstreifenanzug und Krawatte, vielleicht unbedarfter als eine Vielzahl der anderen Politikerinnen und Politiker – aber kann das nicht auch eine Bereicherung sein?

schen stets defizitorientiert und nicht ihre Stärken betrachtet? Einen Lichtblick bieten moderne pädagogische Ansätze, welche den Weg der Ressourcenorientierung beschreiten. Niemand sollte wegen einer Etikettierung von Behinderung stigmatisiert werden. Die Normierung muss aufgebrochen werden, denn alle Menschen haben das Recht auf ein gutes Leben, auf soziale Sicherheit, auf Selbst- und Mitbestimmung. Inklusion bedeutet genau dies: Wir sind alle verschieden, individuell. Und das ist auch gut so! Für mich gilt: Gleiche Rechte, freie Entscheidungen, allen individuell nach den Bedürfnissen, hin zu einer inklusiven Gesellschaft.

Frauen werden strukturell diskriminiert, Menschen die Asyl suchen, werden unmenschlich behandelt, die Jugendlichen aus dem Kreis XY haben auf einmal keinen Jugendclub mehr. Die Liste an Dingen, die mich aufregen, lässt sich ewig weiter führen. Aber ich will nicht nur kotzen, ich will verändern. Ge-

Du hast Lust auf Kommnalschnell als verhaltensauffällig, politik, weißt aber noch nicht eine Behinderung wird etiketgenau, wie das alles so läuft? tiert. Warum aber werden Men-

Tätigkeit als Helferin bei dem Leipziger Projekt „Drug Scouts“ beschäftige ich mich auch im Bereich der Drogenpolitik und setze mich für die Entkriminalisierung des Konsums ein. Neben meinen politischen Aktivitäten gehe ich momentan auch meinem Studium der Kulturwissenschaften an der Uni Leipzig nach. Aber auch die Uni ist für mich kein politikfreier Ort, sondern viel mehr genau der richtige Platz, um Dinge kritisch zu hinterfragen. Tom Rumberger (21) Macht: Eventmanager Themen: Jugendkultur, Kulturpolitik, Gleichstellung

nau aus diesem Grund habe ich mich politisch engagiert. Zuerst in einer linken SchülerInnengruppe, dann in verschiedenen antirassistischen und freiraumpolitischen Gruppen in Leipzig, bis ich nun seit 2009 in der linksjugend Sachsen organisiert bin. Und weil ich verändern, mitmischen und mich einmischen will, kandidiere ich: für DIE LINKE, für den Landtag. Wir wollen verändern. Wir wollen Lernfabriken abschaffen. Wir wollen die Verhältnisse endlich zum Tanzen bringen. Anna Gorskih (21) Stadtrat und Gemeindetag sind Macht: Studium Kulturwissenfür Dich abschreckende Worte, schaften aber wie sowas läuft, wolltest Themen: Antirassismus, Asyl, Du trotzdem mal wissen? Kein Drogenpolitik Problem! Wir planen gerade eine kleine Veranstaltung für Mein EngagementMenschen begann zualle interessierten

Termine 02. März 2014, ab 10:00 „Junge Linke – Ab ins Rathaus!“, Vernetzungstreffen für junge Kommunalpolitiker_innen und Kandidat_innen im Jugendhaus Roter Baum, Großenhainer Straße 93, Dresden; Infos unter communal.linksjugendsachsen.de

Marie Wendland (21) Macht: Praktikantin Themen: Jugendmitbestimmung, Demokratie, Gleichstellung

Werner Kujat (23) Macht: Studium Sonderpädagogik auf Staatsexamen Themen: Inklusion, Schule Als Gesellschaft setzen wir ständig Normen, die uns vereinheitlichen sollen. Wer negativ abweicht, gilt beispielsweise

nächst in der Linksjugend Meißen. Allerdings wurden wir schon kurze Zeit später mit dem Problem konfrontiert, dass es viele Jugendlichen in die Großstädte zieht, also versuchten wir, zeitweise lediglich zu viert oder zu fünft, das Beste daraus zu machen. Jetzt in Leipzig liegen mir die Antifa- und Antiraarbeit besonders am Herzen. Durch meine ehrenamtliche

gehört der Jugendclub den Nazis, für Bandproberäume fehlten die nötigen Förderungsgelder, Konzerte wurden von der Stadt verhindert. Und dann fragen sich alle, warum es die Jugendlichen wegzieht ... Es ist Zeit, dass politische Entscheidungen nicht mehr nur nach ökonomischen Zielen bestimmt werden. Deshalb ist DIE LINKE für mich eine Partei, die die tatsächlichen Alternativen bietet. Bilder: Linksjugend

Ich bin seit 6 Jahren aktiv und engagiere mich in unterschiedlichen Projekten – von Musik-, Rettungs- und Kulturvereinen bis hin zu politischen Strukturen. Im Jahr 2011 habe ich mit Freunden das kulturpolitische Reich & Schön Festival ins Leben gerufen, welches bis heute zu den größten unkommerzi-

05. März 2014, Nazis in Chemnitz im Weg stehen: http://chemnitz-nazifrei.de/ 08. März 2014, Internationalen Frauen*kampftag, mehr unter http://www.linksjugend-solid.de/kampagnen/ frauenkampftag-2014/ 09. März 2014, Landesjugendtag und -plenum ab 10:00 im AundO Hostel, Brandenburgerstraße 2, Leipzig; Anmeldung, Infos und geänderte Tagesordnung unter http:// www.linksjugend-sachsen. de/events/landesjugendtagplenum/09032014.html 15. März 2014, 11. Landesparteitag DIE LINKE. Sachsen im Flughafen Dresden 21. März 2014, Equal Pay Day – Tag der Entgeltgleichheit, mehr Infos unter http://www. equalpayday.de/ 23. März 2014, ab 12:00 BRSitzung im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 27. März 2014, Girls‘ Day – Mädchen Zukunftstag, mehr Infos unter www.girls-day.de 28. bis 30. März 2014, Bundeskongress der linksjugend [‘solid] in Frankfurt am Main 12. April 2014, Nazis in Plauen im Weg stehen, mehr unter www.vogtland-nazifrei.de 25. bis 27. April 2014, Verbandswochenende in Kassel, mehr Infos unter http://www. linksjugend-solid.de/events/ verbandswochenende/

ellen Festivals in Sachsen zählt. Unser Hauptanliegen ist dabei, kreative Kultur zu fördern – auch im ländlichen Raum. In der Kleinstadt, wo ich groß wurde,

27. April 2014, ab 12:00 BRSitzung in Dresden Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

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Asyl für Snowden, Geheimdienste abschaffen! Mehr als alle anderen Whistleblower hat Edward Snowden gezeigt, welches Ausmaß die Überwachung durch die westlichen Geheimdienste im 21. Jahrhundert erreicht hat. Die regelmäßigen Veröffentlichungen aus den Dokumenten Snowdens, die Anfang Juni 2013 begonnen haben, dauern auch 2014 noch an. Ein Ende der Affäre ist nicht in Sicht. Schon im Sommer 2013 unternahm Ronald Pofalla im Auftrag der Bundesregierung den peinlichen Versuch, die Angelegenheit für beendet zu erklären, bis bekannt wurde, dass auch das Handy der Kanzlerin jahrelang abgehört worden war. Das Europaparlament startete seine eigene Untersuchung. Da es keine eigenen Untersuchungsrechte besitzt, wäre es wichtig gewesen, den von mir mehrfach geforderten Sonderausschuss einzurichten, statt 15 Anhörungen am Rande des übrigen laufenden Betriebs zu veranstalten. Dennoch konnte dabei viel Interessantes und noch mehr Schockierendes zusammengetragen werden. Es ergibt sich ein Gesamtbild mit einem Netzwerk aus Geheimdiensten, die im Namen der „nationalen Sicherheit“ und der Bekämpfung des Terrorismus in riesigem Umfang Daten miteinander tauschen. Die Dienste, allen voran NSA und GCHQ, agieren

aufgrund viel zu allgemein gehaltener Ermächtigungen, die dann noch regelmäßig übertreten werden. Der Bundesnachrichtendienst ist an diesen Machenschaften aktiv beteiligt, genauso wie die

wa weil es um die eigenen StaatsbürgerInnen geht. Über wachungsprogram me wie PRISM und Xkeyscore dienen der massenhaften Datensammlung. Werden die Daten miteinander ver-

Geheimdienste Frankreichs, Schwedens, der Niederlande, Polens und vieler mehr. Die vorgesehenen Kontrollstrukturen haben völlig versagt. Die Geheimdienste hatten freie Hand, ihre Überwachung auszubauen und ein System zu schaffen, mit dem ein Geheimdienst Informationen von den anderen erhalten kann, die er selbst sich nicht legal beschaffen könnte, et-

knüpft und Profile daraus gebildet, offenbaren sie extrem viel über uns. Sie geben Aufschluss über Bekannte und Freunde, Gewohnheiten, Vorlieben, Probleme. Aus genügend großen Datenmengen kann man Menschen kennenlernen, ohne sie je zu treffen. Um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten, haben die Geheimdienste auch die entsprechenden Rechenka-

pazitäten beschafft. Milliarden Dollar und Euro sind ausgegeben worden. So ist ein Überwachungssystem entstanden, das selbst Geheimdienstkenner überrascht hat. Bemerkenswert ist der Druck, der auf die Protagonisten der Enthüllungen ausgeübt wird. Snowden sitzt noch immer in Russland fest. Der Journalist Glenn Greenwald, der die meisten Dokumente Snowdens aufbereitet hat, lebt in Brasilien und meidet die USA oder Großbritannien. Sein Mann, David Miranda, wurde in Heathrow stundenlang unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung festgehalten. Der Guardian musste unter Aufsicht Festplatten zerstören, der Chefredakteur im britischen Parlament aussagen. Pikant ist, wie Journalisten drangsaliert werden. Skandalös ist es, wie die nach 2001 beschlossenen Anti-Terrorgesetze benutzt werden, um unliebsame Journalisten einzuschüchtern. Das ist genau der Missbrauch der Anti-Terrorgesetze, den wir vor zehn Jahren, als sie beschlossen wurden, vorausgesagt haben. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit der gesamten Anti-Terrorpolitik der vergangen zwei Jahrzehnte und der heutigen Architektur der inneren Sicherheit bleibt dennoch aus. Der Sinn und Zweck von Geheimdiensten wird nicht hinterfragt und

auch nicht der Nutzen von Instrumenten wie Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatensammlung und Austausch von Finanzdaten im Rahmen des SWIFT-Abkommens. Und damit kann auch eine entscheidende Frage, die sich aus dem Skandal ergibt, nicht überzeugend und schon gar nicht abschließend beantwortet werden. Nämlich wie viel Repression und Überwachung die freie, soziale, pluralistische und sichere Gesellschaft, in der wir leben wollen, verträgt und wie viel davon nötig ist, um sie zu erreichen. Diese fundamentale Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit kann so nicht erfolgen, wäre aber angesichts dieses Skandals mehr als überfällig. Natürlich brauchen wir Asyl für Snowden und besseren Schutz für Whistleblower. An den entscheidenden Herausforderungen, die sich aus dem Skandal ergeben, gehen sie aber vorbei. Aus dem Europaparlament heraus werden sich Geheimdienste, wie es DIE LINKE richtig fordert, nicht abschaffen lassen. Daher gilt es immer wieder zu zeigen, in welchem Missverhältnis Freiheit und Sicherheit heute stehen. Dieses Missverhältnis, das ist die Lehre aus dem Skandal, ist zu einer Bedrohung unserer Demokratie geworden. Dort müssen wir ansetzen. Cornelia Ernst

Selbst entscheiden, wie wir leben wollen Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) könnte uns viel Spielraum nehmen In Brüssel und Washington wird gerade ein Vertrag ausgehandelt, der unser Leben stark verändern würde. Bundeskanzlerin Merkel und die anderen Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten haben die EU-Kommission beauftragt, mit der US-Regierung das umfassendste Freihandelsabkommen aller Zeiten auszuhandeln. Dabei geht es um weit mehr als um die Absenkung von Einfuhrzöllen für Jeans oder Maschinen. Ziele sind Angleichung oder wechselseitige Anerkennung von Regulierungen, die dem Handel im Weg stehen könnten. Es geht um die Qualität unserer Nahrung und das Schicksal der Bauern, es geht um unsere Haut und was wir darauf tragen, es geht um die Art zu leben und die Art und Weise, wie wir produzieren können und konsumieren wollen. Im Europaparlament haben CDU/CSU, SPD und FDP die

Verhandlungen euphorisch begrüßt. Der Versuch der Linksfraktion, kritische Stimmen von beiden Seiten des Atlantiks von Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und Bauern ins Parlament einzubringen, wurde niedergestimmt. Lediglich für den Kultursektor konnten wir eine Ausnahme erwirken. Doch unter anderem sind in der Landwirtschaft und bei der Lebensmittelqualität die Unterschiede gewaltig. Mehr als zwei Drittel der europäischen Bevölkerung wollen keine genetisch veränderten Lebensmittel auf ihrem Tisch. In den USA wird fast nur noch solches Saatgut eingesetzt. Der Konzern Monsanto hält fast alle Patente und kassiert dafür bei den Bauern ab. So wird schnell klar, wer hier auf ein Abschleifen europäischer Regeln drängt. Werden sich unsere Bauern angesichts des Preisdrucks dann noch weiter gegen die Gensaat

sperren können? Wollen wir das essen? Wollen wir für diese Produkte die Zölle senken und unsere Verbraucher- und Tierschutzregeln unterwandern lassen? Mit dem Abkommen soll ein „Regulierungsrat“ aus Verwaltungsbeamten geschaffen werden, der beste-hende Gesetze, aber auch Vorlagen für neue Gesetze dahingehend überprüfen soll, ob sie ein Hindernis für den Handel darstellen. Die Parlamente wären kaltgestellt. Dass massiv interveniert wird, zeigt aktuell das Schicksal der neuen Datenschutzrichtlinie der EU, einem der Schwerpunktthemen unserer sächsischen Europaabgeordneten Conny Ernst. Trotz des NSA-Skandals haben die US-Regierung und die US-Handelskammer deren Beerdigung gefordert. Ausgerechnet die deutsche Regierung blockiert nun eine Einigung des Rates mit dem Europaparlament über das

neue Gesetz. Konzerne sollen im TTIP ein Klagerecht gegenüber Regierungen vor einem Sondertribunal aus Handelsex-perten erhalten (ISDS), falls durch ein neues Gesetz zum Beispiel im Umweltschutz die erwarteten Profite von Investoren geschmälert würden. Ich bin entschieden gegen dieses Aushebeln des Rechtssystems. Einzig ordentliche Gerichte haben die Kompetenz zur Güterabwägung. Die Sondertribunale könnten Regierungen einschüchtern, wenn es zum Beispiel um ein Verbot von Fracking geht. Kommunen könnten verklagt werden, wenn sie eine Dienstleistung re-kommunalisieren wollen. Der beginnende Protest hat bereits einen ersten Erfolg erzielt. Die Kommission hat die Verhandlungen zu ISDS ausgesetzt und will nun ein drei Monate dauerndes Konsultationsverfahren durchführen. Es ist aus meiner Sicht sehr

wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Landtage in diesem Verfahren gesunden Menschenverstand einbringen. Über das TTIP-Abkommen zwischen EU und USA entscheidet am Ende das Europaparlament. Es hat bei Handelsabkommen ein VetoRecht. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014 ist es an Ihnen, darüber zu entscheiden, ob dort Abgeordnete sitzen, die den Mut haben, mit Nein zu stimmen. Ein Erstarken der Linksfraktion würde die Unterhändler zweifellos zum Nachdenken bringen. Helmut Scholz


Sachsens Linke! 03/2014

DIE LINKE im Bundestag

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23 Jahre deutsche „Einheit“. Eine Sicht auf Sachsen Der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit propagiert ein „Weiter-so“ in der Vereinigungspolitik. Reicht das wirklich aus oder ist es gar falsch? Vor knapp 23 Jahren kam ich als junger Staatsanwalt von Niedersachsen nach Sachsen. Was hat sich hier bis heute geändert, was ist besser geworden, was muss noch geschehen, was hätte anders laufen können? Die meisten Häuser sind saniert, die Innenstädte haben Farbe und Flair bekommen. Das Angebot in den Geschäften ist reichhaltig. Man kann das ganze Jahr über Südfrüchte kaufen. Die Luft riecht nicht mehr nach Schwefel, da kaum noch mit Braunkohle geheizt wird. Dafür gibt es jetzt Smog und Umweltzonen, die man aufgrund der erhöhten Schadstoffbelastung der Luft nur noch eingeschränkt befahren darf. Ist die Luft wirklich besser geworden? Ich denke, sie ist einfach nur anders geworden, was nicht zuletzt dem erhöhten Verkehrsaufkommen geschuldet ist. Heute kann jeder aus Sachsen in die ganze Welt reisen – theoretisch. Wer im Erzgebirge oder im Vogtland versucht, seine Familie mit einem Stundenlohn unter 5 Euro über Wasser zu halten, kann dies eben nur theoretisch. Von den Menschen im Hartz-IV-Bezug

ganz zu schweigen. Diese haben schon Probleme, sich die Sachen des täglichen Bedarfs zu kaufen. Aber dafür haben wir ja die Errungenschaft der Tafeln. Es ist zwar toll, wie sich Menschen dort engagieren, andererseits ist es für ein so reiches Land wie Deutschland beschämend, dass sich

hältnisse? Selbst Kindererziehungszeiten sind im Osten nach Meinung der Regierung weniger wert. Ach ja, die Straßen sind besser geworden. Man kann einerseits in Sachsen auf der Autobahn mit einem VW-Phaeton in 1,5 Stunden von Polen bis Bayern fahren. Aber wer will

alles rechnen, und es muss eine entsprechende Rendite herauskommen. Selbst bei der Polizei spielt Rentabilität eine große Rolle, denn wie anders ist es zu erklären, dass Polizeireviere ersatzlos eingestampft werden? Stellen werden gestrichen, obwohl die Aufgaben umfang-

das schon und ich weiß nicht, ob dies eine Bereicherung für die breite Bevölkerung ist, wenn andererseits eine Fahrt mit dem Bus aus dem Erzgebirge nach Chemnitz als Tagestour geplant werden muss. Die Autobahnen werden vier-bis sechsspurig ausgebaut, aber der öffentliche Nahverkehr stirbt teilweise. Es ist die Sicht, die sich geändert hat. Heute muss sich

reicher geworden sind. Dies bietet dem Rechtsradikalismus die Möglichkeiten, sich entsprechend auszubreiten. Opfer können von der Polizei teilweise nicht mehr vor rechter Gewalt beschützt werden und müssen deshalb in andere Städte gebracht werden. Vielleicht ist Sachsen ja Vorreiter für ein Opferschutzprogramm, wobei die Gefahr besteht, dass wir in ferner

Bild: Lear 21 at en.wikipedia / CC BY-SA 3.0

Familien mit Kindern und in letzter Zeit auch zunehmend Rentner und Rentnerinnen bei den Tafeln für Lebensmittel anstellen müssen. Aber eigentlich kann es nicht verwundern, denn die Löhne sind noch immer niedriger als in den alten Bundesländern. Warum tut man sich so schwer mit der Angleichung und somit der Schaffung gleichwertiger Lebensver-

Zukunft reine Täterstädte und Opferstädte haben könnten. Dass dies eine Lösung ist, bezweifle ich. Zu DDR-Zeiten gab es Polikliniken mit einer guten ärztlichen Versorgung für jedermann an jedem Ort. Die Polikliniken wurden abgeschafft, heute gibt es monatelange Wartezeiten für einen Arzttermin und im ländlichen Raum fehlt großflächig ärztliche Versorgung. Nun werden Polikliniken wieder eingerichtet, heißen aber jetzt Ärztezentren, denn sie sind ja nun eine Erfindung der demokratischen Regierung. Vor der Wende wurde immer kritisiert, dass die alten SED-Kader auf ihren Stühlen festgetackert waren. Das ist jetzt anders geworden. Wir haben in Sachsen seit 1990 eine CDU-Regierung, und die ist nicht festgetackert. Dank importierter neuester Klebetechnik aus dem Westen sind sie absolut sicher auf ihren Stühlen fixiert. Mancher Einheimische fragt sich inzwischen, was denn nun so großartig anders geworden sein soll bei dieser politischen Kultur. Die Farbe hat sich geändert, aus Rot ist Schwarz geworden. Und das Parteibuch ist nach wie vor wichtig. Es sind eben immer noch die Verhältnisse, die wir nach wie vor ändern müssen. Jörn Wunderlich

Sport und Politik – keine einfache Beziehung Die Olympischen Winterspiele in Sotschi sind noch nicht Geschichte, denn die Paralympics folgen im März. Über Wochen hinweg stand Russland im Fokus der (medialen) Öffentlichkeit, natürlich sportlich, aber auch im Zusammenhang mit Demokratie- und Menschenrechtsfragen. Die deutschen Athleten waren 2014 leider nicht ganz so erfolgreich wie in früheren Jahren, und bei uns gab es sogar den ersten Doping-Fall. Sotschi brachte eine Vielzahl spannender Wettkämpfe mit tollen Leistungen auch unserer Sportler, machte aber auch Defizite deutlich, bei der Nachwuchsförderung allgemein und in einzelnen Sportarten wie Biathlon oder Eisschnelllauf im Besonderen. Hier kommt dann der Bundestag ins Spiel, denn für die Förderung des Leistungssports ist vor allem der Bund zuständig. Unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes versammeln sich derzeit 91.000 Turn- und

Sportvereine mit rund 28 Millionen Mitgliedern. Hinzu kommen viele, die ohne Mitgliedschaften Sport treiben. All diese Menschen sind im Übrigen Wähler, auch hier bei uns in Sachsen. Debatten zum Sport sind im

bessere Förderung des Spitzensports für Menschen mit und ohne Behinderungen, der Kampf gegen Doping sowie die Gewalt im Sport, vor allem im Fußball. Auch wenn für den Breiten- und Schulsport sowie die Sportstätten die Länder

Olympia-Park in Sotschi. Bild: Atos / CC BY-SA 2.0

Bundestag dennoch eher selten, zumindest im Plenum, obwohl im Parlament seit langem ein eigenständiger Sportausschuss existiert. Katrin Kunert als Obfrau und ich als sportpolitischer Sprecher werden die LINKE in dieser Wahlperiode dort vertreten. Zu den Schwerpunkten unserer Arbeit gehören die

und Kommunen verantwortlich sind, muss der Bund hier stärker kooperieren. Bei meiner ersten Rede im Bundestag ging es nicht um die Geheimdienstkontrolle, für die ich ja ebenfalls zuständig bin, sondern um einen Antrag der Grünen, der mir Gelegenheit gab, über das nicht immer einfache Verhältnis von Sport

und Politik zu sprechen. Die Diskussion über Menschenrechte, Homophobie, Umweltzerstörungen und die ausufernden Kosten überschattet seit Monaten die Berichterstattung über die Winterspiele in Russland. Klar ist: DIE LINKE lehnt jede Form von Diskriminierung Homosexueller ganz entschieden ab, egal ob in Russland oder anderswo auf der Welt. Die Debatten nach dem mutigen Outing von Thomas Hitzlsperger haben gezeigt, dass auch wir in Deutschland diesbezüglich noch Nachholbedarf haben. Es ist absolut legitim, kritikwürdige Zustände in Menschenrechts- oder Demokratiefragen auch im Zusammenhang mit Sportgroßereignissen zu thematisieren, wie sie derzeit in Russland stattfinden. Zugleich haben wir alle eine gemeinsame Verantwortung dafür, dass weder das berechtigte Anliegen noch die Sportlerinnen und Sportler politisch instrumentalisiert werden. Auch sollte nicht mit zweierlei Maß gemessen wer-

den. Ich kann mich z. B. nicht daran erinnern, dass im Zusammenhang mit Olympia in den USA die dort immer noch verhängte Todesstrafe öffentlich thematisiert wurde. Die Grünen im Bundestag haben sich – wie Bundespräsident Gauck – entschieden, nicht nach Sotschi zu fahren. Ich halte das für falsch, denn auch hier gilt: Es ist besser, miteinander als übereinander zu reden. Deswegen werde ich die Paralympics in Sotschi besuchen. Die wechselseitigen Boykotte der Sommerspiele von 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles habe ich schon damals für falsch gehalten. Boykotte bringen politisch wenig bis gar nichts; sie schaden aber immer dem Sport. Dr. André Hahn


Geschichte

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03/2014 Links!

Vor 40 Jahren: Nelkenrevolution in Portugal Der entscheidende Auslöser für die Nelkenrevolution waren die blutigen Kriege in den damaligen portugiesischen Kolonien Angola, Guinea-Bissau und Mosambik, die in den 1960er Jahren begannen. Während die übrigen imperialen Mächte ihre ehemaligen Kolonien in die formale Unabhängigkeit ließen, verweigerte sich Portugal der globalen Dekolonisationsbewegung. Allerdings besaß Portugal nicht die politischen, ökonomischen und militärischen Ressourcen, um die Rebellenbewegungen in Angola und Mosambik niederzuschlagen, und spätestens Anfang der 1970er

versuchten, das alte Regime zu verteidigen; sie verhielten sich entweder passiv oder liefen über. Der Putsch verlief weitgehend unblutig. Nach dem Putsch übergab die MFA die politische Führung des Landes an die »Junta de Salvação Nacional« (Junta der Nationalen Rettung), ein Komitee aus höheren Offizieren. Die Junta setzte sich aus verschiedenen politischen Lagern zusammen und bestand nicht nur aus MFA-Mitgliedern. Das Komitee sollte als provisorische Regierung dazu dienen, die Ziele der MFA (Demokratisierung und Ende des Kolonialkrieges) umzu-

Nach dem schnellen Sturz der Diktatur entstand eine Situation, in der weitergehende Hoffnungen möglich schienen. Eine gerechtere Gesellschaft, in der alle gleichberechtigt partizipieren können, schien greifbar nah. Die Strategien hierfür waren vielfältig: Einerseits entstanden graswurzelartige Bewegungen in vielen Städten, ArbeiterInnenkomitees fanden zusammen und Menschen besetzten spontan Wohnraum, Land und Fabriken, um anders zu leben. Andererseits entwickelten die »Partido Comunista Português« (Portugiesische Kommunistische Partei, PCP) und der linke

Bild: Júlio Reis / CC BY-SA 2.5

Jahre war es offensichtlich, dass diese Kriege nicht gewonnen werden könnten. Die Kriegskosten verschlangen etwa die Hälfte der staatlichen Ausgaben und die portugiesische Armee musste gegen die KämpferInnen der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen schwere Verluste hinnehmen. Insgesamt starben bei den Kolonialkriegen ca. 8.300 portugiesische Soldaten und mehr als 100.000 »AfrikanerInnen«. Die Kriege führten bei den einfachen Soldaten und den Unteroffizieren zu einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem Regime. Mit der Erkenntnis, dass für die Beendigung der Kolonialkriege nichts weniger als der Sturz des Regimes notwendig war, wurde aus der Unzufriedenheit politische Opposition. Die oppositionellen Militärs sammelten sich Anfang der 1970er in der »Movimento das Forças Armadas» (Bewegung der Streitkräfte, MFA), einer klandestinen Organisation innerhalb der Armee, und entwickelten hier politisch-ideologisch eine eher linke Tendenz. Die MFA rekrutierte sich hauptsächlich aus den unteren Offiziersrängen und den Soldaten, die gegen die Fortführung der portugiesischen Kolonialkriege waren. Am 25. April 1974 putschte die MFA gegen das Regime und stürzte somit eine der längsten Diktaturen Europas. Weder die Polizei noch die restliche Armee

setzen, und anschließend die politische Macht an eine demokratisch gewählte Regierung übergeben. Die Bevölkerung, für die eher eine passive Rolle (etwa als WählerInnen) zugedacht war, verhielt sich jedoch anders, als es die Pläne der MFA-Militärs vorgesehen hatten. Dies zeichnete sich bereits am 25. April ab. Entgegen dem Aufruf der Putschisten strömten die Menschen auf die Straßen. Der MFA-Putsch entwickelte sich zu einer politischen Revolution und auch erste Ansätze einer sozialen Revolution ließen sich ausmachen. In den folgenden Wochen und Monaten besetzten ArbeiterInnen Fabriken und Ländereien und in den Stadtvierteln und Betrieben bildeten sich basisdemokratische Komitees und Räte. Anderswo streikten ArbeiterInnen für bessere Löhne und Arbeitsverhältnisse. Die postrevolutionäre Phase war gekennzeichnet durch Auseinandersetzungen über die Frage, welches (politische und ökonomische) System etabliert werden sollte – oder anders gefragt, wie weit die Revolution gehen sollte. Es lassen sich dabei zwei Lager ausmachen: Gegen diejenigen, die den Sturz der Diktatur zu einer sozialen Revolution transformieren wollten, standen die Kräfte, die auf die Etablierung einer parlamentarischen Demokratie und einer freien Marktwirtschaft abzielten.

Flügel der MFA einen etatistischen Ansatz und forderten unter anderem die Verstaatlichung der Produktionsmittel, die Enteignung der Großgrundbesitzer und keine außenpolitische Annäherung an die EG. Diese beiden revolutionären Strömungen waren keinesfalls deckungsgleich, gemeinsam war allerdings die Forderung nach einer sozialen Revolution. Die Unterschiede lagen in der Frage, ob dies »von unten« (durch die Schaffung von Gegenmacht) oder »von oben« (durch die Erlangung der Staatsmacht) erreicht werden sollte. »Moderate« Demokraten Ein breites Spektrum von Rechtskonservativen bis hin zu SozialdemokratInnen zielte nach dem Sturz der Diktatur auf die Einführung einer kapitalistischen Demokratie mit Bindung an die westlichen außenpolitischen Verbünde (NATO und EWG). Dies deckte sich gewissermaßen mit den Minimalzielen des Militärs nach Beendigung der Diktatur und der Kolonialkriege, aber die Forderungen der linken Militärs nach einer umfangreicheren politischen und sozialen Umwandlung lehnten die Konservativen und SozialdemokratInnen ab. Es sollte ein formaldemokratisches politisches System aufgebaut werden, in dem parlamentarische Parteien durch Wahlen an die Macht kommen und andere AkteurInnen aus dem poli-

tischen Raum heraus gedrängt werden sollten. So sollten einerseits die revolutionären Militärs in die Kasernen zurückkehren und andererseits die neuen entstehenden basisdemokratischen Strukturen, wie etwa die ArbeiterInnenkomitees, wieder zerschlagen werden. Ebenso sollten die Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln nicht in Frage gestellt werden. »Sozialistische« Regierung unter Druck Die erste Verfassung von 1974 tendierte deutlich nach links und die »sozialistische« Regierung unter Vasco Gonçalves vollzog eine grundlegende Landreform und die Verstaatlichung von zahlreichen Unternehmen. Die Landreform regelte die Enteignung von Großgrundbesitzern und die Verteilung dieses Landes an Bauernkollektive. Ebenso wurden brachliegende Böden an mittellose BäuerInnen vergeben. Insgesamt wurden 1,2 Millionen Hektar Land (etwa 14 % des Staatsgebiets und 25 % der Gesamtagrarfläche des Landes) enteignet und an Kollektive verteilt. Im »heißen Sommer« 1975 verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern. Es bildeten sich rechtsterroristische Gruppen, die Attentate und Anschläge gegen Linke verübten. Im konservativen Norden des Landes wurden nach einer antikommunistischen Hetzkampagne seitens der Kirche Parteibüros der PCP niedergebrannt. Einige linksradikale Organisationen bewaffneten sich ebenfalls und gingen in den Untergrund. Gerüchte über Putschpläne der unterschiedlichen Flügel innerhalb der MFA kursierten. Gleichzeitig erlangten die ArbeiterInnenräte und basisdemokratischen Komitees in den Stadtvierteln vieler Orte einen Grad an politischer Selbstorganisation, durch den sie eine Gegenmacht zur Staatsmacht bildeten. Die Räte und Komitees standen somit auch mit der PCP und ihren Gewerkschaften in politischer Konkurrenz. Die »sozialistische« Regierung von Vasco Gonçalves konnte die politische und ökonomische Instabilität des Landes nicht beenden. Dies führte dazu, dass die »moderaten« Militärs, die inzwischen innerhalb der MFA die Führung hatten, Gonçalves am 19. September 1975 absetzten und durch den »moderaten« José Azevedo ersetzten. Ein Putschversuch von linksradikalen Militärs unter Otelo Saraiva de Carvalho am 25. November 1975 wurde durch einen Gegenputsch der »moderaten« Militärs vereitelt, die die Gelegenheit nutzten, die »sozialistische«

Phase endgültig zu beenden. So ging aus dem politischen Machtkampf das »moderate« Lager aus Sozialdemokraten und Konservativen siegreich hervor, die der Bevölkerung glaubwürdig versichern konnten, dass unter einer »moderaten« Regierung die externen Kredite wieder fließen und so die Wirtschaftskrise vorbei sein würde(n). In den Wahlen von 1975 und 1976 erhielten die Sozialdemokraten und die Konservativen gemeinsam über 75 Prozent der Stimmen, die PCP blieb unter 15 Prozent. Die radikale Linke jenseits der PCP, die sich in über ein Dutzend Parteien und Organisationen aufspaltete, erhielt insgesamt nur 2,81 Prozent (1975), bzw. 3,4 Prozent (1976). Dies zeigte, dass die Bevölkerung angesichts der gewaltsamen Konflikte eine Rückkehr zur Stabilität und Ordnung wünschte. Ismail Küpeli Ismail Küpeli: Nelkenrevolution reloaded? Krise und soziale Kämpfe in Portugal. Reihe Systemfehler , Band 4, ISBN 9783-942885-27-0, edition assemblage


Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Chemnitz, 5.3., ab 10 Uhr Bernsdorfer Friedensfest** Eine Aktion im Rahmen des Chemnitzer Friedenstages Eine Veranstaltung des Kinder-, Jugend- und Familienhilfe e. V. in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Internat für sprach- und hörgeschädigte Kinder und Jugendliche, Bernsdorfer Straße 120, 09126 Chemnitz Dresden, 5.3., 19 Uhr In den Schützengräben – Otto Dix und der Krieg** Mit Anja Eichhorn, Kunsthistorikerin, Dresden WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 13.3., 18 Uhr LEIPZIG LIEST »Die USA unter Obama. Charismatische Herrschaft, soziale Bewegungen und imperiale Politik in der globalen Krise«. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Fritz Haug. Mit Ingar Solty, Autor und Journalist Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 14.3., 18 Uhr LEIPZIG LIEST »Schließzeit« Ein Bibliotheksund Anna-Seghers-Roman** Mit Rudolf Scholz, Schriftsteller und Lyriker, Dresden Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 14.3., 17.30 Uhr LEIPZIG LIEST CRASHKURS KOMMUNE 9 »Realität Einwanderung – Kommunale Möglichkeiten der Teilhabe, gegen Diskriminierung« Mit den Autor_innen Koray Yılmaz-Günay, Referent für Migration bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Freya-Maria Klinger, MdL Sachsen Auf der Leipziger Buchmesse, „Die Bühne“, Messegelände, 04356 Leipzig

habe, gegen Diskriminierung« Mit den Autor_innen Koray Yılmaz-Günay, Referent für Migration bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und Freya-Maria Klinger, MdL Sachsen linXXnet e.V., Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig Leipzig, 15.3., 15 Uhr LEIPZIG LIEST »Roma in Südosteuropa. Soziale und kulturgeschichtliche Skizzen«. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig/Klagenfurt Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 15.3., 18 Uhr LEIPZIG LIEST »Kurvenrebellen. Die Ultras Einblicke in eine widersprüchliche Szene«** Mit dem Autor Christoph Ruf. Eine Veranstaltung von linXXnet e.V. in Kooperation Roter Stern Leipzig 99 e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Könich Heinz, Wolfgang-HeinzeStraße Ecke Auerbachstraße, 04277 Leipzig Chemnitz, 15.3., 11 Uhr Mit Rosa ins Museum: Durch Nacht zum Licht? 150 Jahre Arbeiterbewegung. Mit Achim Dresler, stellv. Museumsdirektor, Chemnitz Eine Veranstaltung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen e.V. in Kooperation mit dem Sächsischen Industriemuseum Chemnitz Sächsisches Industriemuseum Chemnitz, Zwickauer Straße 119, 09112 Chemnitz Dresden, 18.3., 18 Uhr REIHE: JUNGE ROSA Finanzmarkt – Finanzmarktkapitalismus – Finanzkrisen Mit Dr. Jürgen Leibiger, RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen, Dresden WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 14.3., 20 Uhr LEIPZIG LIEST CRASHKURS KOMMUNE 9 »Realität Einwanderung – Kommunale Möglichkeiten der Teil-

Was ist und wie funktioniert eigentlich der Finanzsektor? Welche Rolle spielt er im heutigen Kapitalismus? Wie kommt es zu Finanzblasen und Finanzkri-

Impressum

Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-

sen? Lassen sich Finanzmärkte regulieren und Finanzkrisen vermeiden? Eine kompakte Einführung in Theorie und Politik der Finanzmärkte. Dresden, 19.3., 19 Uhr Kurzbeiträge und Diskussion Antifaschismus als Feindbild Mit Katharina König, MdL, Fraktion DIE LINKE im Thüringischen Landtag; Thomas Datt, Journalist, Leipzig WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 19.3., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Zwangsarbeiter in Chemnitz Mit Dr. Karlheinz Schaller, Historiker, Chemnitz Eine Veranstaltung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen e.V. in Kooperation mit dem Sächsischen Industriemuseum Chemnitz Sächsisches Industriemuseum Chemnitz, Zwickauer Straße 119, 09112 Chemnitz Leipzig, 19.3., 19 Uhr Ausstellungseröffnung und Vortrag »Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Roma im KZ Mittelbau-Dora«** Mit einem Eröffnungsvortrag von Jens-Christian Wagner, Direktor der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora* galerie KUB. forum für zeitbasierte kunst und politische kultur, Kantstraße 18, 04275 Leipzig Leipzig, 19. – 31.3., Mi. – Sa. 16-20 Uhr Ausstellung*»Von Auschwitz in den Harz. Sinti und Roma im KZ Mittelbau-Dora«** galerie KUB. forum für zeitbasierte kunst und politische kultur, Kantstraße 18, 04275 Leipzig Leipzig, 24.3.,19 Uhr Vortrag und Diskussion Die Blicke der Täter: Der Genozid an den Sinti und Roma im Spiegel von Fotoquellen** Mit Frank Reuter, Historiker und langjähriger Mitarbeiter im Dokumentations- und Kulturmine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

zentrum Deutscher Sinti und Roma* Conne Island, Koburger Str. 3, 04275 Leipzig Leipzig, 25.3., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Erich Fromm - unzeitgemäßer Freudomarxist oder Inspirator einer modernen Linken. Mit Prof. Dr. Siegfried Kätzel, Leipzig, Moderation: Dr. Jürgen Stahl Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 26.3., 18 Uhr Erlebnisbericht, Vortrag und Diskussion Syrien - Von der Revolte zum Bürgerkrieg** Mit Ahmad Alsaadi und Benjamin Schumann Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Leipzig, 27.3., 18.30 Uhr Rosa L. in Grünau »Deutschland - ein Wintermärchen« von Heinrich Heine Mit Mike Melzer, Chemnitz Klub Gshelka, Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig Leipzig, 27.3., 19 Uhr Film und Vortrag Zeugnisse von Sinti und Roma im Erinnerungsarchiv des AJZ e.V. Dessau** Vortrag und Film von Jana Müller* galerie KUB. forum für zeitbasierte kunst und politische kultur, Kantstraße 18, 04275 Leipzig Leipzig, 31.3., 18 Uhr Buchvorstellung und Gespräch »Risse in der Zeit. Ein Leben zwischen Ost und West« Mit Prof. Dr. Cornelius Weiss, Wissenschaftler und Politiker, von 1991 bis 1997 Rektor der Universität Leipzig Moderation: Dr. Monika Runge, MdL und Vorsitzende der RLS Sachsen Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig »Cornelius Weiss beginnt seine Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 25.02.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 31.03.2014.

Autobiographie mit der dramatischen Geschichte seines Vaters, der am Ende des Zweiten Weltkriegs [..] Radium vor den Nazis versteckt und es schließlich den Alliierten übergibt. Zugleich lehnt er das Angebot ab, künftig in den USA zu forschen. Als christlicher Sozialist entscheidet sich Carl Friedrich Weiss, mit seiner Familie in die Sowjetunion zu gehen. Was er nicht ahnt: Zusammen mit anderen Wissenschaftlern kommen sie nicht nach Moskau, sondern in das «Wissenschaftszentrum Obninsk» – ein Gulag. Erst nach Jahren darf die Familie Weiss zurück in die Heimat. Sie entscheiden sich für die DDR. Cornelius Weiss wird Chemiker. Nach dem Mauerfall wählt ihn die Leipziger Universität zum Rektor. Nach seiner Emeritierung tritt er in die SPD ein – und wird in den Sächsischen Landtag gewählt. Seine mutigen Auftritte gegen Neonazis machen ihn überregional bekannt. Dieses Buch erzählt eine fesselnde und nahezu unbekannte Geschichte über Wissenschaft im Dritten Reich, in der Sowjetunion und in der DDR – und über den demokratischen Umbruch ab 1989. Und es ist zugleich eine Familienchronik der besonderen Art.« Leipzig, 31.3., 19 Uhr Vortrag und Diskussion »Sie gehören nirgendwo dazu und sind doch überall zu Hause«- 
Die Gegenwart der »Zigeuner«- Wissenschaften** Vortrag von Tobias von Borcke* galerie KUB. forum für zeitbasierte kunst und politische kultur, Kantstraße 18, 04275 Leipzig * Ein Projekt der Initiative „Geschichte vermitteln“ in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und dem Conne Island ** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank


Rezensionen

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Marxsche Abgründe: Lesung über ein Leben in Briefen Marx und Engels galten als eifrige Briefschreiber. Über viertausend Briefe sind von ihnen überliefert. Der Marx-Biograph Francis Wheen meinte dazu: „Ihre umfangreiche Korrespondenz ist ein tolles Gemisch von Geschichte und Klatsch, Politökonomie und Lausbubenzoten, hohen Idealen und äußersten Intimitäten“. Doch um diese beiden Herren soll es vordergründig hier nicht gehen, sondern um die Frau, die hinter ihnen stand: Jenny Marx. Das unstete Leben, Umzüge sowie die Emigration haben viele der Briefe verloren gehen lassen. Als sicher gilt, dass Marx´ Töchter, Eleanor und Laura, die übrigens beide eifrige Briefmarkensammlerinnen waren, Briefe mit „kompromittierendem“ Inhalt oder mit unverblümten Charakterisierungen aussortiert und vernichtet haben. Ähnliches wird auch von Engels behauptet. Dennoch fand sich per Zufall oder aus dritter Hand genug Material der geschriebenen Zeugnisse ihres Lebens, das im Jahr des 200. Geburtstages von Jenny Marx vollständig veröffentlicht werden konnte: 330 Dokumente auf 606 Seiten – dem Dietz-Verlag sei Dank. Entstanden ist ein lebensnahes Bild von Jenny Marx, die schon als junges Mädchen für die sozialen und politischen Probleme ihrer Zeit sensibilisiert war, aber auch Bälle und elegante Kleider genoss. Nach einer Liebe mit einem preußischen Offizier verschlug es die Ballkönigin von Trier in die Arme des damals 18-jährigen Studenten

Karl Marx. Sieben Jahre haben sie ihre Verlobung geheim gehalten. Ein mittelloser Student und eine Tochter aus dem Beamtenadel, deren Halbbruder der preußische Innenminister war, galten nicht als standesgemäße Verbindung. Gerade der

das der „besessene Geistesarbeiter“ mit seiner Haushälterin Hilde Demuth zustande brachte? Dessen Vaterschaft übernahm aber ihr Freund Friedrich Engels. Die Marx-Töchter waren jedenfalls entsetzt, als der sterbende „General“ es ihnen

Herr Minister war um der „Familienehre“ willen alles zu tun bereit, „seine Verwandte aus den Händen des Staatsfeindes Nr. 1, eines Juden (Karl Marx) zu befreien“. Der Gefährdung ihrer Liebe soll sich Jenny immer bewusst gewesen sein. Das lag auch an Marx selbst, der auch anderen Frauen zugetan war. Wer weiß nicht von dem Kind,

gestand. Auch sonst ist bislang unbekannt, wie viele uneheliche Kinder der olle Marx in die (seine) Welt gesetzt hat. Jene Verluste, die auch Karl seiner Jenny zufügte, machten sie zu einer zunehmend kranken Frau. Sie war bei alldem bemüht, die Fassade zu wahren: Die Einheit von Wort und Tat. Diese fängt eigentlich in der Familie an, be-

vor sie dann glaubwürdig die Gesellschaft verändert. Dass der postulierte Anspruch und die Realität kollidieren, das jedoch haben andere auch schon vor- und nachgemacht. Hinzu kamen dauerhafte materielle Sorgen, Existenzängste, Schulden. Nie hatten die beiden ein Verhältnis zum Geld entwickelt, wobei „Mohr“ immer den größten Teil für sich beanspruchte, wenn es welches gab. Der „Besitzbürger“ Friedrich Engels war für sie oft der Helfer in der Not – ob mit Geld oder mit Alkohol, den sie mehr und mehr als „Ersatzmedikament“ gegen ihre Krankheiten einnahm. So starb sie, erst 67-jährig, qualvoll an einem Leberleiden, so wie später auch ihr Mann. Einmal schrieb sie: „Das intime Verhältnis zum Pfandleiher war geblieben, aber der Humor ist weg“. Ihr einziger Reichtum bestand in ihrer natürlichen Anmut, in ihrer Schönheit und in ihrem Geist, so hieß es. Bekannt ist nun auch, dass Karl Marx auf ihre Ausstrahlung setzte und sie als „Schmuckstück“ betrachtete: Sie erhob ihn. Wer aber auf derartige Erhöhung setzt, muss aufpassen, dass er nicht erniedrigt wird. Bedingt durch ihre Armut war die Kindersterblichkeit der Familie Marx so hoch wie in den unteren Schichten der Bevölkerung. Viermal war sie Gast im Hause Marx. Zuletzt beim siebenten, da war Jenny 43. In einem Brief beklagt sie den Tod des „Engelskindes“ Edgar, der mit acht Jahren starb, als den „größten Schmerz“.

Zudem war Jenny Marx für ihren Mann stets so etwas wie eine kritische Sekretärin, Lektorin und Managerin. Sie wurde ihm so zur Vertrauten, sodass sie ihrem Karl als einzige in dessen Arbeit hineinreden durfte. Ein Beispiel: „Schreib nur nicht zu gallicht und gereizt. Du weißt, wieviel mehr Deine andern Aufsätze gewirkt haben. Schreib entweder sachlich und fein oder humoristisch und leicht. Bitte, lieb Herz, laß die Feder mal übers Papier laufen, und wenn sie auch mal stürzen und stolpern sollte und ein Satz mit ihr (...)“. Weniger bekannt ist womöglich, dass auch Frau Marx schrieb. Aus ihrer Feder stammen zahlreiche Theaterkritiken, wo sie in der „Frankfurter Zeitung“ mehrere Aufführungen ihres Lieblingsdramatikers Shakespeare besprach. Mit 60 und mit „bemoostem Haupt“ hat Jenny Marx sich brieflich noch so gefreut, dass diese Kritiken gedruckt wurden. Am 2. Dezember 1881 kam ihr bewegtes Leben zum Stillstand, sie starb. Ein Kauf des Buches und ein Weiterlesen lohnen sich. Denn es wäre ein Weg, sich Marx, seinem Leben und Werk neu anzunähern, es neu zu entdecken, es von Sockeln zu stoßen, wo es nicht hingehört, wo so nur der Blick versperrt wird – auf das Wesentliche: auf das Menschliche. René Lindenau Rolf Hecker, Angelika Limmroth (Hrsg.), Jenny Marx, Briefe. 606 Seiten, 15 Abbildungen, gebunden, 39,90 Euro.

Buchtipp: Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges von Ernst Piper Bei einem großen Jubiläum erscheinen meist mehrere, um das Leser-Interesse konkurrierende Werke – so ist es auch in diesem Jahr, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal jährt. Die „Leit-Medien“ legen sich in solchen Fällen immer rasch auf ihre Favoriten fest: Bereits im Vorjahr wurde die Werbetrommel für das Werk des Australiers Chistopher Clark („Die Schlafwandler“) gerührt – in diesem Jahr nun bekam der Humboldt-Professor Herfried Münkler („Der Große Krieg“) starke mediale Schützenhilfe. Wundert sich ein britischer Kolumnist spöttisch, wieso Clark seine Lesungen nicht mit Pickelhaube hält, so sagt es Münkler, der auch als Militär- und Politikberater fungiert, öffentlich: Wenn die Deutschen am Ausbruch von zwei Weltkriegen schuld waren, wie könnte man dann militärische Einsätze weltweit von der Bundeswehr verlangen? Beide Autoren machen sich also stark um die

Reinwaschung verdient. Nein, die Schuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges wird keineswegs geleugnet – aber die anderen waren doch auch schuldig. Das ist eine Revision des Vertrages von Versailles, in dem die alleinige Kriegsschuld Deutschlands eindeutig festgestellt wurde. Ist es Zufall, dass vor dem Hintergrund der historischen „Befreiung von der Kriegsschuld“ nun in der aktuellen Politik das neue „Falken-Trio“ von der Leyen, Steinmeier und Gauck „mehr außenpolitische Verantwortung“ einfordern und dabei nichts anderes als Militäreinsätze meinen? Wohltuend vom lauten Tschingdarassabumm hebt sich das stille, kluge, ein scheinbar abseitiges Thema behandelnde Werk von Ernst Piper „Nacht über Europa – Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges“ ab. Piper will nicht Geschichte revidieren: Er analysiert. Das Denken und die geistigen Ergüsse großer Schriftsteller, aber auch

Künstler wie Max Liebermann. Und er beschäftigt sich mit den Juden auf allen Seiten der Front – also auch mit den französischen und russischen. Es ist ein zutiefst erschütterndes Buch. Flächendeckend war die Begeisterung für den aufbrandenden Nationalismus und immer wieder wird die „Notwendigkeit“ des Krieges „belegt“, als eine Art Reinwaschung von allem „Welschen“, was doch die geradlinigen aufrechten Deutschen in den letzten Jahrzehnten verdorben hätte. Freilich, was sich hier 1914 entlädt, war während der gesamten Zeit des Kaiserreiches ununterbrochen geschürt worden – nach drei siegreichen „Einheitskriegen“ (1864 bei Düppeln in Dänemark, der Sieg 1866 gegen Österreich bei Königgrätz und schließlich der viel gefeierte Sieg von Sedan im Krieg 1870/71 gegen Frankreich) konnte das Offizierskorps vor Kraft kaum laufen – und die durch Friedensjahre sich verweichlicht fühlende Jugend

dürstete nach „großen Taten“. Mythen wie der vergessene, aber im Dritten Reich allseits präsente und für die Hitler-Jugend zu Gedenkfeiern aufbereitete Langemarck-Mythos werden entzaubert. Die am häufigsten zitierten Sätze eines deutschen Heeresberichtes, die den Mythos begründeten: „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ,Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie …“ Tatsächlich starben die anrennenden, kaum militärisch ausgebildeten Schüler und Studenten wie die Fliegen. Den heroischen Gesang dazu stellten schon Zeitgenossen in Frage: Es sei kaum vorstellbar, dass man mit 30 Kilo Marschgepäck auf durchweichtem Lehmboden gegen Maschinengewehrfeuer eine Anhöhe hinaufrennt und dabei im getragenen langsamen Rhythmus die Hymne singt. Höchst bedenklich ist, in welch’ trauter Einheit durch

alle Bevölkerungsschichten hindurch – Kosmopoliten, Anarchisten wie Mühsam, Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann und jüdische Maler wie Max Liebermann und die Mehrheit der Sozialdemokraten eingeschlossen – es gelang, eine national-patriotische, geradezu kriegslüsterne Grundhaltung zu erzeugen, die erst allmählich in Frage gestellt wurde, als der versprochene schnelle Sieg nicht eintreten wollte. Es stößt bitter auf, mit welchem Engagement sich alle bei der geistigen Mobilmachung einbrachten. Die einstigen Frankreich- und Italienfreunde unter den deutschen Intellektuellen waren schnell bereit, im Freund von gestern den Barbaren von heute zu entdecken. Der Boden für Hitler war bestens bestellt: Zur Olympiade 1936 marschierten die „Jungen Regimenter“ von Langemarck auf … Pieter Potgieter „Nacht über Europa“ erschien im Prophyläenverlag und kostet 26,99 Euro.


Die letzte Seite

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Der aufrichtigste Folksänger des anderen Amerika ist tot Der Vater der amerikanischen Folkmusik, wie er einmal genannt wurde, kam am 3. Mai 1919 in New York als Sohn des Musikwissenschaftlers Charles Seeger und der Geigerin Constance Seeger zur Welt. Schon ein Jahr später zog das Musikerehepaar mit einem selbstgebauten Wohnwagen durch North Carolina, um dort Konzerte zu geben. Nach der Trennung der Eltern besuchte der kleine Pete mehrere Internatschulen der Region. Sein Vater nahm ihn des Öfteren zu kleinen Klubauftritten mit, sodass der junge Pete schon sehr früh mit Livemusik vertraut wurde. 1935 lernte er den Leiter des Folkmusikarchivs, Alan Lomax, in Washington kennen, und es gab erste Berührungspunkte mit dem 5-String-Banjo, diesem scheppernd anarchistisch klingenden Saiteninstrument, in das er sich sofort verliebte. Doch bevor er sich ganz der Musik verschrieb, begann er an der Harvard University ein Journalistikstudium, das er aber bereits nach zwei Jahren abbrach. Er war inzwischen politisch aktiv geworden und interessierte sich mehr für Bildende Kunst. Kurze Zeit darauf traf er die Sänger „Leadbelly“ und „Aunt Molly“ Jackson, zwei bis dahin schon sehr bekannte Blues- bzw. Folkbarden, die seine ersten Vorbilder wurden. 1939 bis 1940 bereisten Pete und Alan Lomax North Carolina und besuchten Konzerte von Countrymusikern, was Pete sehr beeindruckte und ihn von nun an veranlasste, sich gänzlich dem amerikanischen Folksong zu widmen. Bei einem seiner ersten Auftritte, im Washington’s Forest Theatre, schloss er Bekanntschaft mit

dem damals schon legendären Woodie Guthrie, die zu einer langjährigen Freundschaft führen sollte. Beide gründeten das Ensemble „Almanac Singers“, dessen Repertoire hauptsächlich aus dem Liedgut der Arbeiterbewegung bestand. Schon vor und während des Zweiten Weltkrieges sang Pete gegen Faschismus und Ausbeutung, sowie Lieder der Internationalen Brigaden aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs. Auch lateinamerikanische Songs wie zum Beispiel das kubanische „Guantanamera“ (dieses Lied stammte aus der Feder des Freiheitskämpfers Jose Marti, der 1895 ermordet wurde) weckten seine Aufmerksamkeit, oder auch Leadbellys „Good night, Irene“, ein Klagelied eines Schwarzen, der Jahre unschuldig im Gefängnis verbringen musste. 1945, nach Kriegsende, entwickelte Pete Seeger mit etwa dreißig Gleichgesinnten die kommunistische Liedsängervereinigung „People’s Songs“, die es sich zur Aufgabe machte, der damals aufkommenden unpolitisch-kommerziellen Schlagermusik zu trotzen. Es kleines Büro wurde gemietet und ein Volksliedarchiv angelegt, das bis zu 20.000 Songs beinhaltete. Zwölf Monate später gab es bereits mehr als 2000 Mitglieder dieser Interessengemeinschaft, die bestrebt war, die Lieder nicht nur zu sammeln, sondern auch in Klubs vorzutragen. Seegers Song „Where have all the flowers gone“ wurde die Hymne der späteren Friedensbewegung, in Deutschland auch bekannt geworden durch Marlene Dietrichs Version „Sag mir, wo die Blumen sind“. Trotz

des großen Zulaufs von Interessierten und Aktivisten kam es während der von „People’s Songs“ organisierten Veranstaltungen zu antikommunistischen und rassistischen Übergriffen. Am 4. September 1949 versuchte zum Beispiel der KuKlux-Klan, mit brutaler Gewalt ein großes Konzert zu stürmen,

se Scheibe machte „The Weavers“ über Nacht in ganz Amerika populär. Es folgten weitere Aufnahmen, und eine Konzerttournee, die durch die bekanntesten Klubs des Landes führte, wurde organisiert. 1950 war geplant, die Gruppe in Fernsehshows auftreten zu lassen, doch eine von drei ehemaligen

bei dem Pete Seeger mit dem berühmten schwarzen Sänger Paul Robeson auftrat. Mit den Musikern Lee Hays, Fred Hellerman und Ronnie Gilbert erfand Pete Seeger dann das Trio „The Weavers“, das sehr bald riesige Erfolge feiern konnte. Die Firma Decca wurde aufmerksam, und es kam zur Schallplattenproduktion. Die-

FBI-Mitgliedern verfasste, antikommunistische Publikation mit dem Titel „Counterattack“ verhinderte das. Im Juni des gleichen Jahres erschien die in Buchform herausgebrachte Hetzschrift „Red Channel“, die über einhundert Musiker, Schauspieler und Schriftsteller als „Rote“ beschimpfte und denunzierte. Auch die Mitglieder

der „Weavers“ waren betroffen, der Vertrag mit Decca wurde aufgehoben. Das war zur Zeit der sogenannten McCarthy-Ära. Auftrittsverbote in den Konzertsälen wurden ausgesprochen, Schallplatten sollten vernichtet werden, und Pete Seeger drohte wegen „subversiver Äußerungen“ und linkem Liedgut ein Jahr Gefängnis. Das Urteil gegen ihn wurde jedoch nach Berufung wieder aufgehoben. Nach dem peinlichen Abgang des Senators McCarthy schienen sich die kulturellen Zustände wieder zu lockern. „The Weavers“ arbeiteten weiter und Pete Seeger etablierte sich nun mehr denn je als Protestsänger. Gründe gab es genug, der Vietnamkrieg wütete, Rassismus, wenn auch angeblich abgeschafft, herrschte weiter. Sein Lied „We shall overcome“ wurde zum Symbol der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. In den Siebzigern begann er auch, sich gegen die Zerstörung der Umwelt einzusetzen. Er organisierte Folk-Festivals, brachte Songbücher heraus und produzierte unzählige Platten. Die Inhalte seiner Songs blieben kritisch, satirisch und trotzdem humorvoll. Sie strotzten förmlich vor Lebensfreude, und viele wurden Welthits, wie das von der Folkrockband „The Byrds“ gecoverte „Turn Turn Turn“. Pete Seegers Haltung blieb bis ins hohe Lebensalter kämpferisch, und er ließ kaum eine Gelegenheit aus, seine politischen Lieder zum gegebenen Anlass vorzutragen. Er starb am 27. Januar 2014 im Alter von vierundneunzig Jahren. Seine Songs aber leben weiter! Jens-Paul Wollenberg

Aufruf: Gründung eines Informationskreises Außenpolitik Es ist soweit – die Falken sind nun, 12 Jahre nach Ausrufung des „War on terror“, einer Art Drittem Weltkrieg „des Westens“ gegen die Dritte Welt, die im speziellen Fall gern als die „islamische“ tituliert wird – auch in Deutschland soweit, dass sie die Außenpolitik bestimmen wollen. Gauck, von der Leyen und Steinmeier verlangen „mehr außenpolitische Verantwortung“ und meinen dabei mehr Militäreinsätze. Auch innerhalb der Linken bröckelt die Friedensfraktion – wenn der außenpolitische Sprecher der LINKEN über die aktuelle Lage in Mali/Zentralafrika meint, dass „man da etwas tun muss“, denkt er natürlich an die Hilfe für Flüchtlinge. Nur: Wer Flüchtlingen im Kriegsgebiet mit eigenen Helfern helfen will, muss die Helfer schützen. Dafür braucht

man Soldaten. Da die Flüchtlinge zudem nicht alle brav versammelt mit Marschgepäck am Grenzübergang stehen, sondern weit verstreut im Land sind, müssen „Hilfskorridore“ geschaffen werden, zur Not werden diese „frei gebombt“ oder „frei geschossen“. Der simple Ruf „Rein mit den Flüchtlingen in die EULänder!“ löst nicht deren Probleme, verschärft sehr wohl aber die inneren Spannungen in den EU-Ländern in der neuen Krise, die längst noch nicht ihren Höhepunkt erreicht und große Migrationsströme innerhalb der EU ausgelöst hat. Gab es nicht einmal eine Nicht-Einmischungspolitik? Man stelle sich vor, es gäbe Demos von LINKEN und Grünen auf dem Potsdamer Platz, die unzufrieden mit der Regierung sind und diese nun stürzen wollten. In

dieser Situation würde der russische Außenminister Lawrow einfliegen und alle erdenkliche Unterstützung für die Demonstranten versprechen, die die gewählte Regierung stürzen wollen … Genau so aber ist die Lage in der Ukraine, und viel zu wenige Menschen hier haben eine klare Meinung. Was wir zunächst brauchen, ist ein Austausch über geostrategische, sicherheitspolitische und außenpolitische Konzepte. Die westliche Brille muss beiseite gelegt werden, und es müssen auch die Sichten des Irans, der BRICStaaten, der Shanghai-Gruppe oder des neuen südamerikanischen Staatenbundes gemeinsam gelesen und diskutiert werden. Schmoren im eigenen Saft ist nicht von Vorteil: Wer mitreden will, sollte alle Konzepte von links bis

rechts kennen. Dafür soll ein offener Informationskreis Außenpolitik (IKAP) geschaffen werden, der zunächst virtuell entstehen soll. Alle können Links zu Beiträgen speichern, evtl. Artikel scannen, über ihre Cloud teilen – und aus dem virtuellen Raum heraus sollen Diskussionsveranstaltungen an konkreten Orten entstehen, wo die verschiedenen Sichten in offener Atmosphäre überhaupt erst einmal vorurteilsfrei zur Kenntnis genommen werden. Obwohl Sachsen lange Grenzen nach Polen und Tschechien hat, sind die Kenntnisse über tschechische und polnische Außen- und Innenpolitik sehr begrenzt. Zudem leben allein in Dresden 24.000 russischsprachige Menschen – und schauen oft täglich russisches Fernsehen. Was

wissen wir über die russische Außen- und Innenpolitik und die strategischen Interessen Russlands von der Ukraine über die koreanische Halbinsel bis nach Nordafrika, wo sich gerade die Beziehungen zu Ägypten verbessern? Wenn wir die russische Sicht nicht kennen, kennen wir auch nicht die Sicht vieler russischsprachiger Menschen in Sachsen – Gleiches gilt übrigens in Berlin für die Türken. Wer Interesse an der Gründung eines Informationskreises hat, der allerdings nicht auf die LINKE beschränkt sein, sondern von Anfang an nach außen offen sein und bleiben wird, kann eine E-Mail an richterdd@hotmail.com schicken – Betreff: Interesse an Mitarbeit am Informationskreis Außenpolitik. Ralf Richter


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