NATO-Beitritt der Ukraine ausschließen!
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt März 2015
Als der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Anfang Februar in der Talk-Show Maybrit Illner den NATO-Beitritt der Ukraine als souveräne Entscheidung der Ukraine behandelte, konnte man sich doch nur wundern, wie ein gestandener Politiker so geschichtsvergessen und unsensibel zugleich sein kann. Man muss an dieser Stelle einmal zu Ende denken, was ein Beitritt der Ukraine zur NATO bedeuten würde. Mit diesem Schritt könnte schnell ein Szenario eintreten, wonach die großen Weltmächte hier in Europa direkt Krieg führen. Die ukrainische Regierung und das ukrainische Parlament zeichnen sich schon jetzt dadurch aus, dass sie beim Einsatz von Militär nicht gerade zimperlich sind. So erklärte der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko die prorussischen Separatisten zu Terroristen, was ein faktischer Freibrief für deren Vernichtung ist. Überhaupt lässt sich eine verstärkte Militarisierung der Politik feststellen. So gibt es enge Verknüpfungen von ukrainischen Politikern mit militärischen Verbänden und Freikorps. Beispielhaft stehen dafür zwei Mitglieder des ukrainischen Parlaments, Semen Sementschenko und Oleh Ljaschko. Sementschenko, Kandidat der Partei Samopomitsch bei den letzten Parlamentswahlen, ist Kommandeur des ukrainischen Freiwilligenbataillions Donbass. Ljaschko, Vorsitzender der Radikalen Partei, hat das Freiwilligenbataillion Asow mitgegründet. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft ihm schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Beide waren jüngst als „neutrale“ Kommentatoren der Entwicklungen in der Ukraine im ZDF zu sehen. Durch diese Verschränkungen wird die Trennung zwischen militärischer und politischer Logik faktisch aufgehoben. Doch auch auf anderen Ebenen ist zu hinterfragen, inwieweit die neue ukrainische Regierung wirklich für – wie Ministerin von der Leyen behauptete –, Demo-
kratie und Pressefreiheit steht. So steht die Ukraine stark unter dem Einfluss einiger weniger Oligarchen. Poroschenko ist beispielsweise, neben seiner Funktion als Staatspräsident, Eigentümer des Fernsehsenders Kanala 5. Und auch der ukrainische Ministerpräsident, Arsenij Jazenjuk, hat gleich mehrere Eisen im Feuer. Er war früher nicht nur Vorstandsvorsitzender einer der größten ukrainischen Banken, sondern später auch Leiter der Verhandlungskommission für den WTO-Beitritt der Ukraine. Die Interessen zwischen Politik und (Militär-)Wirtschaft verschwimmen jedoch nicht nur in der Ukraine, sondern auch international. Der Druck auf einen NATO-Beitritt der Ukraine wird von verschiedenen Seiten befeuert. So haben der transatlantische Think Tank, Atlantic Council, und der Chicago Council on Global Affairs unlängst ein Papier veröffentlicht, in dem sie der US-Regierung und den restlichen NATO-Staaten empfehlen, Milliarden von Euro in die militärische Aufrüstung der Ukraine zu investieren. Befürchtungen, dass eine militärische Unterstützung zu einer Eskalation führen könnte, wird mit der Argumentation begegnet, dass die Situation ja sowieso bereits eskaliere. Wenn man sich diese Gemengelage vor Augen führt, darf ein möglicher ukrainischer Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft nicht wie ein x-beliebiger Verwaltungsakt behandelt werden. Wer – wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Kontrolle der Grenze zwischen der Ukraine und Russland durchgesetzt sehen will, muss Russland auch hinsichtlich seiner sicherheitspolitischen Befürchtungen entgegen kommen. Die Antwort auf eine Entspannung der Lage kann nur heißen, dass die Bundesregierung ihre Bereitschaft gegenüber Putin erklärt, völkerrechtsverbindlich eine NATOMitgliedschaft der Ukraine auszuschließen. In der NATO herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit. Daher hat es Deutschland selbst in der Hand, Russland den Weg zu ebnen: Grenzkontrollen durch die OSZE gegen einen verbindlichen Verzicht einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit wird unverzichtbar sein. Denn Russland hat mit unverbindlichen Erklärungen zu einem Verzicht einer Nato-Osterweiterung durch den Westen in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Um den Frieden in Europa nicht weiter zu gefährden, muss der Status der Ukraine als militärisch neutraler Staat gewahrt bleiben. • Katja Kipping
Aktuelles
Links! 03/2015
Seite 2
„Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus“ Herr Nolle, im Spätsommer haben Sie sich aus dem Landtag verabschiedet. Ein Abgang mit Wehmut? Nein, keineswegs. Ich hatte nie die Absicht, Berufspolitiker zu werden, obwohl ich ein durch und durch politischer Mensch bin. Ich komme seit meinem Urgroßvater aus einem ursozialdemokratischen und antifaschistischen Elternhaus. Den demokratischen Sozialismus habe ich schon mit der Muttermilch aufgesogen. Sie gehörten dem Parlament 15 Jahre lang an. Welche Veränderungen konnten Sie beobachten, etwa bei der Debattenkultur und dem Verhältnis zwischen den Fraktionen? Ja, 15 Jahre Parlamentsarbeit sind genug und irgendwann muss man mit dem Aufhören auch mal anfangen. Als ich 1999 SPD-Abgeordneter wurde, gab es unter König Kurt und seinem Hofstaat eine königlich sächsische Hofopposition und eine königlich sächsische Hofberichterstattung. Ich habe damals dazu beigetragen, wie es der grüne MdL Johannes Lichdi einmal sagte, überhaupt so etwas wie eine Anmutung dessen, dass eine Opposition in Sachsen möglich ist, in die Öffentlichkeit zu tragen, und ich war damals der einzige Unternehmer im Landtag. Amtsmissbrauch und politische Korruption der Mächtigen zum Thema zu machen, galt anfangs auch bei manchen Teilen der Opposition als unpolitisch. Recherchieren, Fragen stellen, investigativen Journalismus fördern und ein landesweit bekannter offener Briefkasten, das war mein Ding. Klartext ohne Wischiwaschi trifft natürlich bei den Anderen nicht auf Gegenliebe. Einmal kam der CDU-Fraktionsvorsitzende Fritz Hähle mit seinem Weltbild völlig durcheinander. Er sprach von der SPD-Fraktion und ihrem „extremistischen Abgeordneten Karl Nolle“. Das war es dann, Nolle als extremistischer Demokrat. Gelegentlich wird vermutet, Landespolitik werde zunehmend von einer Generation gestaltet, die außerhalb der Politik kein eigenständiges (Erwerbs)Leben mehr vorweisen kann. Konnten Sie solche Entwicklungen beobachten? Das Parlament muss ein Spiegelbild der beruflichen und Lebenserfahrungen der Menschen sein. Nur in Ausnahmefällen sollten dort Abgeordnete sitzen, die in ihrem Leben noch keinen Euro zum Bruttosozialprodukt beigetragen haben oder die politisch nicht allein über die Straße
kommen. Leider sind Landtagsfraktionen mit ihren Millionenpersonaletats auch gigantische Geld getriebene Jobbörsen für Abgeordnete und Mitarbeiter. Fraktions- und Parteivorstände verfügen so über wirksame „Integrationsinstrumente“. Das ist bei
stellt. Und dann stellte 2011 das Finanzgericht Leipzig fest, dass ich mich korrekt verhalten hatte. Natürlich gab es eine sehr wirksame Kampagne zu meiner Rufschädigung. Dass man mich politisch aufs Korn nimmt, war zu erwarten, besonders infam war
mit CDU-Schnuller. Egal wie groß der kleine Koalitionspartner ist, er ist immer Zünglein an der Waage. Der CDU sollten drei Erkenntnisse vermittelt werden: dass Demokratie auch dann stattfindet, wenn die Union nicht die Mehrheit hat, dass – Koalition
Bild: Steffen Prößdorf / Wikimedia Commns / CC BY-SA 3.0 DE
„Links!“ sprach mit dem langjährigen SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle.
Regierungsfraktionen noch krasser. Sie verteilen Ministerial- und Ministerposten und produzieren Beamte auf Lebenszeit. Warum sollen die, die in solchen Genuss kommen, die Hand beißen, die sie füttert? Das führt immer wieder zu schwer aufzulösender gegenseitiger Abhängigkeit. Ihnen wird nachgesagt, den Sturz zweier Ministerpräsidenten maßgeblich zu verantworten. Auch Stanislaw Tillich haben Sie mit Ihrem Buch „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ zu dessen DDRVorleben in Bedrängnis gebracht. Welche Bezeichnung trifft auf Sie am besten zu – „Chef-Aufklärer“, „politischer Großwildjäger“? Man hat mir manche Ehrentitel gegeben. Am schönsten finde ich mit Anspielung auf mein Gewicht: „Biedenkopfs und Milbradts dickstes Problem“. Ihre Anfänge als Druckereiunternehmer unternahmen Sie in den 1970er Jahren gemeinsam mit Gerhard Schröder. Nach 1990 bauten Sie in Dresden ein Druckhaus auf, das zwei Jahre nach Ihrem Ausscheiden Insolvenz anmelden musste. Auslöser waren Vorwürfe des Subventionsbetruges, die kurz vor der Buchveröffentlichung lanciert wurden. Das Ermittlungsverfahren gegen Sie wurde 2010 eingestellt. Sind Sie Opfer einer Kampagne? Nach zwei vergeblichen Versuchen, meine Immunität aufzuheben, wurde das Ermittlungsverfahren ohne Schuldspruch 2010, nach 18 Monaten, einge-
jedoch die bewusste Inhaftungsnahme unserer 75 Mitarbeiter. Beim „Sachsensumpf“-Untersuchungsausschuss bilanzierten Sie, in Sachsen würden Menschen, die ins Visier der Herrschenden geraten, „verfolgt, an den Pranger gestellt, traumatisiert, physisch und psychisch zerstört, dienstunfähig krank oder in den vorzeitigen Ruhestand befördert und inflationär mit Ermittlungsverfahren überzogen.“ Welche Rolle spielt die seit 25 Jahren herrschende CDU? Meine Abrechnung und Abschlussrede zum Sachsensumpf sind auf meiner Seite www.karlnolle.de les- und hörbar. Unser Land ist doch seit 1990 vom Hausmeister bis zum Ministerialdirigenten mit einem Gesangbuch durchorganisiert. Gegenüber Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus. Hier steht der Rechtsstaat immer noch auf dünnen Beinen. Sachsen ist bis heute in jeder Hinsicht das Eigentum einer Partei geblieben und die Union ist weiter fest im Kokon ihrer Selbstherrlichkeit und Machtversessenheit eingeschnürt. Ihre Partei, die SPD, ist zum zweiten Mal in der jüngsten Geschichte an einer CDU-geführten Regierung beteiligt. Sie haben das erste schwarzrote Kabinett als Abgeordneter begleitet. Was sollten die Sozialdemokraten aus diesen Erfahrungen lernen? Aufpassen, dass man nicht zum nützlichen Idioten wird, achtgeben, dass man nicht in der zweiten Reihe der Regierungslimousine im Kindersitz landet, beruhigt
hin oder her – das Parlament die Regierung zu kontrollieren hat und nicht zuletzt, dass Demokratie die Mehrheitsfrage stellt, nicht die Wahrheitsfrage. Nolle kommentiert auch mit Rosa Luxemburg: „Anstatt auf Schritt und Tritt den Massen zu zeigen, wie erbärmlich, wie geringfügig das ist, was ihr errungen habt, habt ihr euch logisch gezwungen, diese Lappalien ins Große zu ziehen und uns in übertriebener Weise als etwas ganz Wichtiges, als große Errungenschaft hinzustellen.“ Die Opposition hat den Koalitionsvertrag von CDU und SPD als wenig visionär kritisiert. Kommt der Freistaat mit diesem Fahrplan voran? Im Sinne der CDU bestimmt. Für die SPD bin ich skeptisch. Wir müssen doch niemandem beweisen, dass wir rechnen, schreiben und lesen können. Nun gut, die SPD hat sich entschieden, der CDU beim Regieren zu helfen. Das zahlt sich beim nächsten Gang an die Wahlurne nur dann aus, wenn sie in der Lage ist, Begeisterung im Lande für das zu erzeugen, was ihre Politik grundlegend von der der CDU unterscheidet. Das ist ihre Hauptaufgabe. Die Wähler fragen sich doch jedes Mal: „Wofür brauchen wir die SPD, wenn ihr zu den zentralen Fragen offenbar nichts anderes einfällt als der CDU?“. In Thüringen kam es zum ersten rot-rot-grünen Regie-
rungsbündnis mit einem Regierungschef der LINKEN. Ist ein solches Bündnis auch in Sachsen möglich? Wenn sich in Thüringen erst einmal die von der CDU über die Linke geblasenen Schwefelschwaden verzogen haben, wird sich zeigen, dass ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis durchaus rechnen, lesen und schreiben und sogar mit Messer und Gabel essen kann. Das sind Schritte zur Normalität. Dem Traum von einer grundlegend anderen, gerechteren Gesellschaftsordnung sind wir damit noch nicht näher. Und in Sachsen sind wir aus vielen Gründen selbst von einem solchen Bündnis weit entfernt, da fehlen m. E. auf allen Seiten zwei Dinge: Wille und Fähigkeit. Es wird oft beklagt, dass das Interesse auch an der sächsischen Landespolitik zurückgeht. Was empfehlen Sie, um das demokratische Leben zum Blühen zu bringen? Das hat viel zu tun mit der Wahrnehmung zunehmender sozialer Ungerechtigkeit: bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, mit zunehmender Perspektivlosigkeit und Armut, mit Kinder- und Altersarmut in Sachsen aber auch zwischen Regionen und Stadtvierteln. Bei der Landtagswahl 2014 mit einer jammervollen Wahlbeteiligung von 49 % entfielen z. B. in Dresdner Wahlkreisen auf das ärmere Prohlis-Süd ganze 39,2 %. Im reicheren Loschwitz/Wachwitz gingen dagegen 58,8 % zur Wahl – eine krasse Differenz von bis zu 35 % Wahlbeteiligung zwischen den armen und reichen Stadtteilen. Das gilt entsprechend auch für Leipzig und Chemnitz. Das muss uns doch Beine machen. • Die Fragen stellte Kevin Reißig. Blattkritik Im Ankündigungstext zum Interview „Was die Dresdner Sozialcharta wert ist“ in der Januar-Februar-Ausgabe 2015 heißt es wörtlich: „DIE LINKE und andere Parteien hatten seinerzeit dem Ausverkauf nur zugestimmt, weil eine sogenannte Sozialcharta die Mieter schützen sollte“. Diese Formulierung ist falsch. Tatsächlich hatte der PDS-Stadtverband Dresden beschlossen, dem Verkauf nicht zuzustimmen. Eine Gruppe von Stadträten der damaligen PDSFraktion, neun von 17, hielt sich nicht daran und stimmte im Stadtrat mit den Fraktionen von CDU und FDP sowie der BürgerFraktion für den Verkauf. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Parteizustimmung zum Verkauf, auch nicht mit einer angefügten Sozialcharta. Wir bitten, die anfängliche Darstellung zu entschuldigen. (kr)
Die dritte Seite
Seite 3
03/2015 Links!
Was bringt der Koalitionsvertrag in der Umweltpolitik? Als anspruchsvoll kann man den Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Bereich der Umweltpolitik nicht bezeichnen. Beispielhaft möchte ich dies für die Schutzgüter Klima/Luft und Wasser aufzeigen. Sachsen bleibt auch in der veränderten Regierungskonstellation in seinem Grundverständnis dauerhaft ein Braunkohleverstromungsland. Bereits im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass der Neuaufschluss des Tagebaus Nochten II kommen wird – ohne die übergeordneten Klimaschutzziele zu beachten. Seit dem
Jahr 2000 steigen die Treibhausgasemissionen in Sachsen wieder an. Etwa 60 % machen dabei die Emissionen aus Großfeuerungsanlagen aus, davon stammen etwa 87 % aus der Braunkohleverstromung. Im Bundesvergleich ist Sachsen seit Jahren der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen. Im Wahlkampf hatte die sächsische SPD noch einen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2050 gefordert. Jetzt führt sie mit Minister Dulig das Wirtschafts- und Arbeitsministerium. Seine neuesten Verlautbarungen lassen keine
Hoffnung aufkommen: „Sachsens Kraftwerke sind die effizientesten“. Sachsens Kraftwerke sind allerdings auch Spitzenreiter der Kohlendioxidemission – 2013 emittierte das Kraftwerk Boxberg 19,3 Mio. Tonnen Kohlendioxid (Platz 4 in Deutschland). Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf ist mit über 600 Kilogramm pro Jahr die größte Punktquelle von Quecksilberabgasemissionen in ganz Deutschland. Immerhin kündigt die Koalition ein neues Energiekonzept an, aber den Stillstand der letzten Jahre wird sie schwer aus-
gleichen können. Jetzt bekennt man sich zumindest wieder offen zum Ausbau der Windkraft – Sachsen war hier mit der FDP bei Null angelangt – und zu den Ausbauzielen für erneuerbare Energien des Bundes. Hier lag Sachsen 2011 beim Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch bei 28 %! Die Koalition hat also ein anspruchsvolles Ziel vor sich. Die Ziele des Bundes bei Erneuerbaren Energien: Den „Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens
80 Prozent bis zum Jahr 2050 zu erhöhen. Hierzu soll dieser Anteil betragen: 1. 40 bis 45 Prozent bis zum Jahr 2025 und 2. 55 bis 60 Prozent bis zum Jahr 2035“. Im Bereich des Schutzgutes Wasser ist die Enttäuschung über den Koalitionstext ebenfalls groß. Nach Sächsischem Wassergesetz erlischt eine wasserrechtliche Erlaubnis für Kleinkläranlagen zum 31. Dezember 2015, wenn die Anlage nicht dem Stand der Technik entspricht. CDU und SPD halten am Datum für den dezentralen Ausbau der Abwasserversorgung fest. Gedroht wird mit der zwangsweisen Versiegelung der bestehenden Kleinkläranlagen. Dieser Zwang zur Umstellung besteht für große Teile des ländlichen Raums. Daran ändert auch die neue Koalition nichts, wenngleich sie darauf verweist, dass die Kommunen stärker in die Pflicht genommen werden sollen. Leidtragende sind die Bürgerinnen und Bürger. Das heißt in Sachsen: Auch mit der neuen Regierung bleibt die extreme Ungleichbehandlung mit den verschiedenen Wassernutzern bestehen. Für den Braunkohleabbau werden Fristverlängerungen in Anspruch genommen, nicht jedoch für Abwassereinleiter, obwohl der verursachte Schaden in Braunkohlegebieten für Oberflächenund Grundwässer ungleich höher ist. Dr. Jana Pinka
karierten Mythos vom christlichen Abendland. Das schadet übrigens auch dem Christentum, das zur Staatsdoktrin zurechtgestutzt wird. Gut vorgearbeitet, kann man jetzt sagen. Das „Insbesondere“ steht noch immer im sächsischen Schulgesetz. Und wir Linken? Wir haben es weitge-
Es weiß kaum noch wer! Aber es gab vor nunmehr fast genau elf Jahren im Sächsischen Landtag eine heftige Debatte, vornehmlich zwischen der CDU und der PDS, zwischen Herrn Hähle, dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, und mir, seinem Kontrahenten von links. Es ging am 15. Januar 2004 um den Entwurf der Staatsregierung des „Zweites Gesetz zur Umsetzung des besseren Schulkonzepts“. Die Staatsregierung hatte sich auf Anraten und mit Genehmigung der CDU etwas ganz Perfides ausgedacht: Es sollte die Bildung der Schülerinnen und Schüler „insbesondere anknüpfend an die christlichen Traditionen im europäischen Kulturkreis“ er-
folgen. Für Herrn Hähle war alles harmlos, kreuzbrav, nur ein Bekenntnis, das „die Christen in unserem Land ermutigen wird“ und ansonsten niemandem etwas antut. Er ließ keine Einwände gelten, dass dadurch die europäische Kultur um all ihre anderen Wurzeln beschnitten würde, vornehmlich auch um jüdische und islamische Einflüsse, um Überreste aus der heidnischen Zeit, die sich vor allem in den verchristlichten Festtagen widerspiegeln, und nicht zuletzt – und in ganz besonders bedauerlicher Weise – um die Traditionen der Aufklärung. Es rührte ihn nicht Lessings Ringparabel und nicht das Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft mit immerhin über 500 Einträgen. Er berief sich auf das Erzgebirge mit seinen Weihnachtsbräuchen und leitete sich daraus das notwendige Ende der Trennung von Kirche und Staat im selbst erfundenen Einheitsbrei christlicher Tradition ab. Dieses Ende ist ein Verenden europäischer Kultur in einem kitschig-sentimentalisch verbrämten, klein-
che im Dorf gelassen.“ Dass man bildungsfernen Schichten schichtenferne Bildung anbietet, übersehen wir geflissentlich. Das System reproduziert sich deshalb von selbst. Nun hat der SPD-Vorsitzende Gabriel kürzlich gesagt, es gäbe in der Demokratie ein Recht, Dummheit zu verbreiten. Er hat dabei an Pegida gedacht und Bildungsferne mit Dummheit verwechselt. Oft ist es jedoch eher um die Dummheit gut bestellt, wo man sich auf Bildung beruft: Ralf Stegner, der SPD-Vize, meint, Syriza beschädige die Linke in Europa. Der ist schon so blöd, dass er nicht mehr weiß, wo Links und Rechts ist. Wie sagte doch der Wiener Ernst Jandl? „Rinks und Lechts kann man reicht velwechsern.“ Herr Juncker, der Obersteuerhinterziehungsorganisator der EU, meinte nun wieder, der Grieche Tsipras operiere am offenen Herzen, ohne dass er eine Ahnung davon habe. Leider ist es schlimmer: Tsipras und die Griechen bräuchten offene Herzen, stoßen aber vielerorts auf verschlossene
– in Deutschland bei Schäuble und Merkel zumal und auch bei Herrn Juncker in Brüssel. Herzensbildung fehlt der bildungstragenden Schicht. Frau Lengsfeld hat aber den Vogel abgeschossen. Sie belehrt uns, eine Staatsregierung hätte neutral zu sein. Mit der Forderung nach Weltoffenheit habe die sächsische Staatsregierung jedoch Partei gegen Pegida ergriffen und damit eine „rote Linie“ überschritten. Das ist zu viel Ehre für diese Staatsregierung: Sie hat Wind gesät und Sturm steht zur Ernte an. Die Schnitter stehen nach kurzer Verwunderung bereit: Tillich, Ulbig, Kupfer. Vom Rand des Feldes kommt aber jetzt Konkurrenz. Die dürre Lohnschnitterin Frauke Petry als vorgebliche Alternative ist aber gar keine Alternative – keine zur CDU und schon gar nicht für Deutschland. Die gehört vielmehr zu jenen Leuten, die genau das verkünden, was sich die CDU öffentlich noch nicht allzu laut zu sagen wagt, demnächst aber verwirklichen will. Da wird zusammenwachsen, was zusammengehört!
Warum zusammenwächst, was zusammen gehört! hend verschlafen! Das Feld für PEGIDA war aufbereitet – in der Schule und in der Gesellschaft. Die Linke bedauert Bildungsferne, die Bildung selbst und ihre Inhalte kritisiert sie aber kaum. In der Bildung haben wir sozusagen „die Kir-
Hintergrund
Links! 03/2015
Seite 4
Zu Gast im argentinischen Parlament Links! dokumentiert einen Reisebericht des Bundestagsabgeordneten der LINKEN, Dr. André Hahn Im August 2014 erreichte mich ein unerwarteter Brief aus Buenos Aires. Darin wurde ich vom Jorge Landau, dem Vorsitzenden der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Argentinien – Deutschland, als Zeitzeuge zu einer Veranstaltung zum Thema „Bilanz nach 25 Jahren Mauerfall – Zum Stand der argentinisch-deutschen Beziehungen“ in die argentinische Hauptstadt eingeladen. Wie man auf mich gekommen war, erfuhr ich erst später, unter anderem nach Gesprächen mit dem argentinischen Botschafter in Deutschland. So sollten an dem geplanten Festakt im argentinischen Parlament nicht nur Vertreter der regierungstragenden Fraktionen, sondern auch jemand von der Opposition teilnehmen, und da ich stellvertretender Vorsitzender der deutsch-südamerikanischen Parlamentariergruppe bin und in der Wendezeit auch am Zentralen Runden Tisch der DDR mitgewirkt hatte, sah man in mir offenbar einen geeigneten Gesprächspartner. Zudem hatte ich zuvor auch mehrere Anfragen im Bundestag zum Stand der Beziehungen zu Argentinien gestellt, in denen es um den Tourismus- und Wissenschaftsaustausch ebenso ging wie um die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu UN-Beschlüssen im Zusammenhang mit der extrem angespannten
Finanzsituation des Landes, für die nicht zuletzt auch amerikanische Banken über so genannte „Geier-Fonds“ verantwortlich sind. Nachdem die Fraktion die Reise bestätigt hatte, konnte ich dann im November letzten Jahres nach Südamerika fliegen, um dort neben zwei Kollegen der SPD und einem CSU-Abgeordneten über meine Erfahrungen von 1989/90 zu berichten. Mir war es dabei wichtig, deutlich zu machen, dass hier bei uns in Deutschland beileibe nicht alles so toll ist, wie es CDU/CSU und SPD gern darstellen, und dass vor allem im Osten noch viele Ungerechtigkeiten bestehen, die überwunden werden müssen. Gerade auf diesen Teil meiner Rede wurde ich im Nachgang zur Veranstaltung von Teilnehmern mehrfach angesprochen. Der Festakt wurde im Übrigen auch im argentinischen Fernsehen übertragen. Von vornherein hatte ich auch Wert darauf gelegt, meinen Aufenthalt in Buenos Aires dazu zu nutzen, auch Gedenkstätten für die Opfer der Militärdiktatur, Sozialprojekte und das Goethe-Institut zu besuchen sowie Gespräche mit Abgeordneten des argentinischen Parlaments zu führen. So traf ich z. B. die Vorsitzenden des Geheimdienst-Kontrollausschusses sowie des Sportausschusses zum Meinungsaustausch. Das mit großem Abstand bewegendste Gespräch führte ich mit der Abgeordneten Victoria Donda (Foto), die dafür extra ihren Schwangerschaftsurlaub unter-
brach. Die argentinische Militärjunta ermordete ihre Eltern, sie selbst wurde an ein OffiziersEhepaar „verschenkt“. Von ihrer wahren Identität erfuhr sie erst vor wenigen Jahren. Heute besucht sie ihren „falschen Vater“ dennoch regelmäßig im Gefängnis, wo er seit seiner Verurteilung wegen seiner Beteiligung an den Militärverbrechen einsitzt. Ein erschreckendes Schicksal, das sie nach derzei-
über die aktuelle soziale Lage im Land, über Gleichstellungsfragen und über die Situation indigener Minderheiten sprechen. Beim Besuch in einem ehemaligen Militärgefängnis traf ich eher zufällig noch auf zwei weitere Vertreter der so genannten „Enkel-Generation“. Die Bezeichnung kommt daher, dass nach dem gewaltsamen Tod der leiblichen Eltern die Großeltern der verschwundenen Kinder
tigen Erkenntnissen mit ungefähr 600 Kindern in ihrer Heimat teilt. Trotzdem wollte sie mit mir weniger darüber als vielmehr
über Jahre und sogar Jahrzehnte hinweg nach dem Verbleib ihrer Enkel suchten und Aufklärung einforderten.
Aus dem kurzfristig vereinbarten Fünf-Minuten-Gespräch wurde fast eine halbe Stunde, in der auch die Zerrissenheit der Betroffenen deutlich wurde, denen klar war, dass ihre bisherigen Eltern (sie nennen sie „Aneigner“) vermutlich im Gefängnis landen würden, wenn sie in den Gen-Daten-Banken nach ihrer Abstammung forschten. Als ich die junge Frau fragte, warum sie trotz ihres beklemmenden Schicksals so häufig lache, antwortete sie mit Blick auf ihre „Aneigner“: „Ihre größte Strafe ist, dass wir heute glücklich sind!“ Nach meiner Rückkehr erhielt ich in Berlin wieder einen Brief von Jorge Landau, der mir Folgendes schrieb: „Lieber André, danke, dass Sie keine Mühe gescheut haben, extra in unser Land zu reisen, das so weit von Ihnen entfernt ist, um an der Veranstaltung anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls teilzunehmen. Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement in Bezug auf unser Land und dass Sie unsere schwierige internationale Finanzlage verstehen, der wir aufgrund der globalisierten und wucherischen Handlungen der Banken ausgesetzt sind. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal bekräftigen, was ich Ihnen bereits persönlich gesagt habe: Ich danke Ihnen im Namen meines Landes, dass Sie sich im Bundestag für uns stark gemacht haben“. Ich denke, ein solcher Einsatz für die Länder Südamerikas steht den LINKEN auch künftig gut zu Gesicht. Dr. André Hahn
ganz für die „Alleinherrschaft“ gereicht. Dazu muss auch beachtet bleiben, dass Syriza seit 2009 quasi einen „kometenhaften Aufstieg“ nahm (davor zwischen 3 und 6 %). Ob sie sich als wirklicher Repräsentant einer neuen gesellschaftlichen Bewegung festigen kann, ist offen. Vielleicht liegt hier der Schlüssel zur Erklärung des Koalitionsverhaltens. Jedenfalls werden die noch folgenden Einschnitte, die das „Troika“-Programm erfordert, eine Nagelprobe. Denn Syriza muss den – transformatorischen – Weg aus diesem Diktat hin zu ihren Wahlversprechen erst finden. Aber das Diktat der „Troika“ ist auch demokratierelevant. Es berührt das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes und Staates. Wenn bloße finanzielle Abhängigkeit zum Diktat über wirtschafts-, sozial-, haushaltsund steuerpolitischen Kurs (evtl. noch mehr) wird, gibt es keine staatliche Selbstbestim-
mung und folglich keine Möglichkeit einer Transformation der Gesellschaft. Dann werden auch innere „freie Wahlen“ eine Farce. Insofern wird Griechenland auch Nagelprobe über Formen und Wege sozialistischer Politik. Gerade nun mit dem griechischen Wahlergebnis wäre es sinnvoll, zur Demokratisierung von Wahlrecht und Macht einen Diskurs in der Europäischen Linken voranzubringen, erstens damit die griechischen Linken nicht alleine stehen und zweitens um mit griechischen Erfahrungen auch für die Linken in anderen europäischen Ländern und dem Europäischen Parlament Konsequenzen für Reformen des Wahlrechts abzuleiten. Dabei muss die Demokratisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat ein Grundanliegen bleiben, gegen den neoliberalen Kurs in Europa. Ralf Becker, LAG Frieden & Internationale Politik
Griechenland – eine Nagelprobe Syriza hat in Griechenland die Wahl gewonnen. Viel Euphorie im linken europäischen Lager. Nun müssen die griechischen Linken beweisen, was sie können bei der Bewältigung der Krise von Staatsfinanzen, Wirtschaft und Gesellschaft, die sie nicht zu verantworten haben. Gerade ist der Staatsbankrott abgewendet, das Hilfsprogramm der „Troika“ geht vier Monate weiter. Dabei musste Syriza erheblich Federn lassen. Einige – wenige – Abweichungen vom neoliberalen Diktat sind erhalten. Jedenfalls hat es Syriza noch nicht geschadet, hier zu polarisieren. Aber nun sind einige Wahlversprechen nicht oder nicht sofort umsetzbar. Da muss sich erweisen, ob eine Mehrheit im Volke zu Syriza steht und sich gegen das Diktat der „Troika“ aus EU, EZB und IWF stärkt. Aber da gibt es noch etwas anderes: Nach dem griechischen Wahlrecht bekommt der Wahlsieger mal eben so 50 zusätz-
liche Parlamentsplätze. Was – bitte – ist daran demokratisch? Auch wenn nun die Linken gewonnen haben, wird es dadurch nicht demokratischer. Bisher nützte es den Konservativen in ihrem neoliberalen Gehorsamskurs, nun nützt es der Linken. Was macht man da, wenn man doch einen viel intensiveren Demokratieansatz vertritt? Taktisch scheint es richtig zu sein, erst einmal daran nicht zu rütteln. Denn wichtigere Aufgaben stehen an: Neben der Konsolidierung des Staatshaushaltes, v. a. müssen Korruption und Steuerhinterziehung beendet werden, muss der Arbeitsmarkt in Gang kommen, die Renten und Sozialtransferleistungen Existenzen sichern usw.. Erinnert sei hier an das Brecht-Wort, dass die Hungernden nichts gegen eine Diktatur haben, die den Hunger beseitigt. Mittelfristig aber, bis zur nächsten regulären Wahl (bis dahin ist erst mal durchzuhalten ...!),
muss Syriza die Wahl zur Volksvertretung demokratisieren, indem das Wahlrecht reformiert wird und v. a. die Besetzungsregeln für das Parlament dem Wahlergebnis direkter folgen. Auch das wird eine Probe auf die Volksverbundenheit von Syriza, die sie bis hierher durch dieses gute Wahlergebnis unter Beweis gestellt haben. Denn es gibt nur eine Richtung in Sachen „Volksvertretung“ für linke, sozialistische Politik, die diesen Namen dann auch verdient: Öffnung des Wahlrechts so, dass die Interessen möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger möglichst authentisch repräsentiert sind. Mit einem Wahlergebnis von knapp 40 % eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, kann nicht als demokratisch gelten. Gerade damit könnte Syriza auch das Wahlergebnis für die Zukunft stabilisieren. Das Regieren und Koalieren allerdings wird dadurch nicht einfacher. Nun hatte es für Syriza nicht
03/2015 Sachsens Linke!
Seite 1
März 2015
Am 8. März ist wieder internationaler Frauentag. Ihm und seinen Anliegen widmen wir diesmal eine bunte Doppelseite.
Sachsens Linke
Außerdem schauen wir nach RosenthalBielatal, wo mit Thomas Winkler ein „bunter Hund“ und Genosse
Bürgermeister werden will. Michael Leutert hat als LINKER Abgeordneter an der Münchner
Sicherheitskonferenz teilgenommen und berichtet. Dazu gibt es zwei spannende Terminhinweise.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d
Greifbare Angst
Foto: Dr. Armin Krause
Dorthin, wo es richtig wehtut Ein Beitrag zur Strategiedebatte „In den letzten zwei Tagen habe ich so viel Schwachsinn, Hass und Menschenverachtung von sogenannten Normalbürgern gehört, wie ich mir kaum vorstellen konnte“, schrieb ein vollkommen erschöpfter Mirko Schultze nach zwei Tagen am von uns eingerichteten Dialogpunkt vor dem Camp der Geflüchteten an der Semperoper. Ziel war es, in dieser Situation BürgerInnen mit allgemeinen politischen Problemen einen parteien- und spektrenübergreifenden Anlaufpunkt zu geben, damit sie diese Unzufriedenheit nicht gegenüber den protestierenden Asylsuchenden als Sündenböcke falscher Landespolitik ablassen. Eines sei vorangestellt: Die Gespräche, die wir geführt haben, sind ganz sicher nicht repräsentativ, aber sie zeigen Symptomatiken und lassen zumindest thesenartige Schlussfolgerungen zu politischer Bildung und politischer Wirksamkeit zu, die uns als Partei im tiefsten Inneren treffen müssen. Es war blanker Hass, der uns vor Ort von Teilen der Bürgerschaft entgegenschlug. Unser Resümee: Nein, die Sachsen sind nicht resistent gegen rechte und fremdenfeindliche Einstellun-
gen, wie Kurt Biedenkopf meinte. Diese Einstellungen finden sich bis tief in die Mitte der Gesellschaft. Die GenossInnen und anderen MitstreiterInnen auf dem Theaterplatz waren dort, wo es richtig wehtut. Doch es gab eben auch die andere Seite: Menschen, die ihren allgemeinen Frust auf die Politik im Freistaat loswerden wollten. Mit dabei waren immer wieder eklatante Vorwürfe an uns: „Ihr ändert doch sowieso nichts an Hartz IV und der Rente“, „Ihr seid doch auch nicht anders als die anderen“, „Ihr lebt doch in einem geschlossenen System“, „Ihr immer mit eurer Kapitalismuskritik“, „Ihr hängt doch am Nabel der CDU“, „Ihr habt euch doch nach der Wende eingerichtet in der Opposition“, „Was könnt ihr schon für uns tun“, „Ihr redet nur, verändert nichts und stimmt der Regierung zu“. Deutlich geworden in den Gesprächen ist auch, dass Solidarität dort aufhört, wo die eigene wirtschaftliche Stabilität in irgendeiner Form gefährdet sein könnte. Das Geld für Geflüchtete beispielsweise werde doch woanders mehr gebraucht, könnte für Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft eingesetzt werden. Auf die Frage, ob es fair sei, Menschen, die
nicht in Deutschland geboren wurden, schlechter zu behandeln, folgten oft Antworten wie: „Nein, aber …“ Die Forderung nach mehr Steuergerechtigkeit, den Einsatz der massiven Überschüsse im Landeshaushalt für soziale Maßnahmen? „Ja, aber …“ Seit Jahrzehnten arbeiten wir an konkreten politischen Alternativen für das Land. Wir machen eine vielfältige Oppositionspolitik, geben Gestaltungsvorschläge, gehen die Regierung hart an, wenn sie aus unserer Sicht unverantwortliche und unsoziale Politik betreibt. Wir spielen die ganze Klaviatur des Parlamentarismus und hauen auf die Pauke. Davon kommt im Land offenkundig nicht allzu viel an. Es geht den Leuten nicht um die Nuancen linker oder linkerer Politik. Sie nehmen unsere Politik nicht wahr – und wenn, dann als Stänkerei statt als gerechtfertigte Oppositionspolitik. Und wir erfüllen ihre Erwartungen nicht. Sie sind gar der Auffassung, dass wir aus der Opposition heraus Mehrheiten finden müssten, verändern müssten. Unsere eigenen Untersuchungen belegen: Die Landespolitik wird nicht als eigenständige Ebene wahrgenommen. Was in Dresden im Landtag passiert,
bleibt in Dresden. Was von Landespolitik wahrgenommen wird, ist das Bändchendurchschneiden des Ministerpräsidenten. Wir stecken in einem Dilemma. Das ist in den Gesprächen auf dem Theaterplatz mehr als deutlich geworden. Wenn wir dieses Dilemma auflösen wollen, müssen wir in der kommenden Strategiedebatte nicht nur darüber reden, welche programmatische Agenda wir in den kommenden Jahren setzen wollen. Vielmehr müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Agenda in neuer Form zu den Menschen bringen. Dazu gehört es unserer Auffassung nach, dass wir unsere Rolle als Oppositionsführerin deutlicher machen. Wir können nur Druck aufbauen, aber Entscheidungen treffen andere. Ohne diese notwendigen Veränderungen unseres öffentlichen Agierens werden wir als von den Menschen entrückt wahrgenommen. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass Massen an Mitgliedern diese Aufgabe übernehmen. Wir müssen mit schwindenden Kräften haushalten. Wir müssen Oppositionspolitik neu erfinden. Und wahrscheinlich immer öfter dorthin gehen, wo es richtig wehtut. Antje Feiks, Thomas Dudzak
Bürgerinnen und Bürger greifen unter Gejohle und mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“ oder „Räumen, räumen“ Geflüchtete an. Nein, ich schreibe nicht von Rostock-Lichtenhagen oder von Hoyerswerda Anfang der 90er. Wir alle haben diese Bilder im Kopf. Ich schreibe von Dresden. Im Jahr 2015. Die Bilder ähneln sich erschreckend. Am 2. März geschah genau ein solcher Übergriff auf das Camp von Geflüchteten auf dem Theaterplatz in Dresden. Schon den ganzen Tag über hatte es rassistische Beschimpfungen, Drohungen und unverhohlenen Hass gegen die Geflüchteten und ihre Unterstützerinnen gegeben. Im Anschluss an die PEGIDA-Demonstration kam es dann zu diesen Szenen. Nur den vielen engagierten Menschen vor Ort und dem Eingreifen der Polizei ist es zu verdanken, dass Dresden heute nicht in einer Reihe mit Rostock und Hoyerswerda genannt werden muss. Und am nächsten Tag? Da diskutiert die Landespolitik, ob der Versammlung nun Zelte zustehen oder nicht, um ihren Protest ausdrücken zu können. Ich sage offen: Ich schäme mich dafür nicht nur heimlich. Wir haben in Sachsen mittlerweile eine aggressive, fremdenfeindliche Stimmung in Teilen der Bevölkerung. Die Landespolitik nimmt die Sorgen und Nöte dieser Menschen immer noch ernster als die derjenigen, die von dieser Stimmung bedroht werden. Menschenfeindlichkeit wird manifest. Genau deshalb ist es unsere Aufgabe als sozialistische Partei, uns vor diejenigen zu stellen, die um ihr Wohl und Leben fürchten müssen. Die Angst ist greifbar. Wir müssen Menschen schützen. Gemeinsam gegen Nazis!
Sachsens Linke! 03/2015
Seite 2
Meinungen 70 Jahre Bombardierung Dresdens zwischen „Opfermythos“ und „Bombenholocaust“ Vor 70 Jahren, am 13. Februar 1945, wurde Dresden von US-amerikanischen und britischen Fliegern bombardiert. Die Bombennacht führte zu 25.000 Opfern, Frauen wie Männern, zudem wurden viele Menschen in der Bombennacht obdach- und heimatlos. Nun ist es richtig, wenn DIE LINKE auf einige Eigenheiten des Gedenkens verweist. Wer das Gedenken in Dresden verfolgt, könnte glauben, dass die Zerstörung Dresdens einzigartig ist. Sie ist es nicht, denn bei Bombenangriffen auf Hamburg im Juli 1943 starben deutlich mehr Menschen als in Dresden 1945. Zudem wurde Dresden im Krieg neunmal bombardiert, Köln 262 Mal. Richtig ist auch die Feststellung, dass die Bombardierung Dresdens 1945 eine Spätfolge des Januars 1933, des Vernichtungskriegs der deutschen Nazis ist. Übersehen wird, dass Coventry und Pearl Harbor bombardiert wurden, dass (auch) im deutschen Vernichtungskrieg im Osten gegen Polen und die
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung
Sowjetunion mannigfache Verbrechen durchgeführt wurden. Vergessen ist, dass die NSDAP in der Nazizeit in Dresden stark war und die Stadt eine üble Rolle bei der Deportation von Juden in die KZ-Lager spielte. Dies wird in der selbstverliebten, obrigkeitshörigen Stadt, die von vergangener Größe träumt, die sie zumindest intellektuell nie erreicht hat, gern übersehen. Darf man vor diesem Hintergrund der Bombardierung Dresdens an diese „Täterspuren“ der Stadt erinnern? Ja, man soll, man muss es sogar, um Kriegsursachen und -folgen auseinander zu halten und alles zu tun, damit Deutschland nie wieder in die braune Brühe zurückfällt. Weil das Denken an die deutsche Vergangenheit des Landes der „Dichter und Denker, aber auch der Richter und Henker“ vor Rückfällen schützt, die zu jeder Zeit möglich sind. Damit man nicht bei der Propaganda vom „Bombenholocaust“ landet, wie sie die NPD vorgibt. Sollte man vor diesem Hintergrund, wie es manche praktiziert haben, dem Gedenken des Staates an die Opfer fernhalten und die Opfer nur
und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-
Erinnerung als „Kollateralschäden“ des Kampfes der Alliierten gegen die deutschen Nazis betrachten? Nein, das sollte man nicht. In einem Krieg, der von Hitlerdeutschland verbrecherisch angezettelt wurde, sind furchtbare Verbrechen passiert – von den Deutschen an Juden, Polen und Russen im Osten. Ohne die Kriegsschuld der Nazis zu vergessen und zu verniedlichen, ist es aber erlaubt, Angriffe auf Wohngebiete und schutzlose Flüchtlinge ebenso als Verbrechen im Krieg zu betrachten. Die Annahme, dass in Dresden nur Nazis und keine wehrlosen Menschen starben, geht fehl. Zum Vergleich: Auch wenn der Abwehrkrieg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland nicht zu umgehen war, haben sich die Bomben der Amerikaner und Briten in Leipzig weitgehend auf Industrieanlagen und Verkehrsknotenpunkte beschränkt. Übrigens hat sich später Churchill selbst von diesem sinnlosen Angriff auf Dresden distanziert. Aufklärung über deutsche Schuld und deutsche Verantwortung am verbrecherischen Krieg ist und bleiben notwendig. Legenden und Mythen führen lediglich zur Verdrän-
gung und leisten nur Pegida Vorschub. Es bringt aber auch nichts, über die Verbrechen anderer hinwegzusehen, wozu übrigens auch die Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki gehören, die keinesfalls zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs erforderlich waren, sondern eher zur Steigerung der Profite der amerikanischen Rüstungsindustrie. Dass die Dramatisierung der Angriffe auf Dresden ins antiamerikanische Konzept der SED- und der NaziPropaganda passte, erscheint logisch. Dass eine Bagatellisierung der Angriffe der Bombenangriffe auf Dresden in ein zeitgemäßes linkes Konzept passt, erschließt sich nicht. Wo doch die Konsequenz aus den furchtbaren Kriegsfolgen lauten müsste: Nie wieder Faschismus! Und nie wieder Krieg! A. Willnow, Leipzig Bachmann wieder im Pegida-Vorstand Mit der erneuten Wahl von Lutz Bachmann in den Pegida-Vorstand ist die bisher vorgetäuschte beschönigende Maske endgültig gefallen. Für jedermann wird die hässliche und abstoßende Fratze einer eindeutig rassistischen, ausländerfeindlichen und insbesondere islamophoben Bewegung überdeutlich erkennbar. Ohne Zweifel muss man den Zweck des Vereins endgültig in der Sammlung von menschenrechtsverachtenden, antidemokratischen und zum Teil von faschistischer Gesinnung beeinflussten Kräften sehen. Wer sich jetzt noch in die Pegida, Legida... -Demonstrationen einreiht, der kann sich nicht mehr auf Naivität oder Unwissenheit berufen– er folgt den rechten Rattenfängern und stellt sich damit bewusst gegen die Verwirklichung von Menschenrechten und tritt öffentlich die solidarische Gemeinschaft mit Füßen. Hier helfen weder Sonntagsreden noch Anbiederung bzw. vermeintliches Verständnis. Es bleibt nur der aktive und breite zivilgesellschaftliche Widerstand. Raimon Brete, Chemnitz
Konferenz „Wirksamkeit und Einfluss der Partei DIE LINKE in der Gesellschaft“ 21. März 2015 in Dresden, Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14.
Einladung Zwischenkonferenz zur Satzungsdebatte Der sächsische Landesverband der LINKEN führt am 14. März 2015 eine Zwischenkonferenz zur Satzungsdebatte unter Federführung der Satzungskommission durch, um Satzungsänderungen in partizipativen und demokratischen Prozessen zu gestalten. Dazu möchten wir recht herzlich alle interessierten GenossInnen für den 14. März 2015 ab 11 Uhr in das Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14 in 01067 Dresden einladen. Ablauf: 11:00 Uhr Input zur Geschichte der Parteistatuten der PDS und LINKEN 11:15 Uhr Input zum Arbeitsauftrag der Satzungskommission, zu den Themen und zum Ablauf der Konferenz 11:45 Uhr Debatte zu Schwerpunktthemen (120 Minuten; ggf. in rotierenden Gruppen) - „Kleiner Parteitag“ - Mandatszeitbegrenzung 12:45 Uhr Mittagspause 13:15 Uhr Kleinteilige Satzungsänderungen Gegen 15 Uhr Ende. Für eine bessere Planbarkeit bitten wir um eine Anmeldung unter kontakt@dielinke-sachsen.de oder unter 0351/853270. Wir freuen uns über Eure Teilnahme! Mit solidarischen Grüßen Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin
onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 15.150 Exp. gedruckt.
Ralf Richter, Stathis Soudias.
Redaktionsschluss 27.02.2015
Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.
Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.04.2015.
Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720
03/2015 Sachsens Linke!
Seite 3
Kandidatur im „Reich der Felsentürme“ Rosenthal-Bielatal ist eine „linke Hochburg“. 2013 gelang es dem Linken Peter Tschirch, mit einer Bürgerinitiative eine Turbo-Eingemeindung zu verhindern. Jetzt sorgt ein anderer Linker gehörig für Aufsehen. 2014 – die Gemeinderatswahl stand bevor. Die Orts-LINKE hatte die Nachricht erhalten, dass nun ein Genosse Winkler zu ihnen gehöre. Etwas ratlos standen sie vor dessen Villa in der Rosenthaler Schweizermühle und fragten an, ob er für den Gemeinderat kandidieren würde? Ein Unternehmer, der einem denkmalgeschützten, architektonischen Kleinod mit einem romantischen Park als seinem Eigentum zu neuem Glanz verholfen hatte – ist das denn einer von uns? „Klar mache ich das für uns!“, war seine Antwort. So klar war die Kandidatur dennoch nicht, denn Thomas Winkler war seit 1987 als linker Abgeordneter in Brabschütz/Mobschatz verwurzelt. Einige Jahre davon selbst als Bürgermeister. Achtung erwarb er sich durch den Erwerb einer verfallenen Wassermühle, der weithin bekannten „Zschoner Mühle“. Mit 22 Jahren unterschrieb er 1985 den Kaufvertrag. Er eroberte sich Freiräume, die es in der DDR nach offizieller Lesart bis heute nie gab. „Mit Geschick, Improvisationstalent und vor allem ohne Scheu, sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen“ (Sächsische Zeitung Pirna) verwandelte er die Mühle mit Hilfe seiner damaligen Partnerin in
ein stadtbekanntes Ausflugsrestaurant. 300 Plätze gibt es in den geschmackvoll eingerichteten Mühlenräumen und im Mühlengarten. Ein besonderes Highlight für Dresdner und Gäste ist die einzige funktionierende Wassermühle der Landeshauptstadt mit ihrem riesigen Wasserrad. Am 12.05.1962 wurde Thomas Winkler in Dresden geboren und verbrachte seine wohl behütete Kindheit im Ortsteil Blasewitz. Die Elbwiesen gegenüber den drei Elbschlössern, das Blaue Wunder, der Schiller- und der Körnerplatz waren sein Refugium. Die Liebe zur Sächsischen Schweiz weckten seine Eltern. Bald entdeckte er mit seinen Freunden per Rad und zu Fuß die reizvollen Täler. 1988 landete er als einer der jüngsten Bürgermeister des Bezirkes Dresden im Rathaus von Brabschütz. Als der verwegene junge Mann mit der langen Haarpracht, Hut und schwarzem Mantel vor dem Rathaus dem eigenhändig aufgebauten Jeep entstieg, riefen die dortigen Mitarbeiter irritiert beim Rat an, ob dieses Unikat da wirklich ihr Chef werde? Er wurde. Und machte sich durch seinen zupackenden, unorthodoxen Stil einen Namen. Die DDR wurde Geschichte, Winkler stürzte sich als Geschäftsführer der Zschoner Mühle in die Marktwirtschaft. Landesvater Kurt Biedenkopf schätzte jungen, innovativen Unternehmergeist und förderte ihn, obgleich Winkler bei der Vorstellung versehentlich statt
seiner Visitenkarte die Mitgliedskarte der PDS zückte. Fernweh trieb den umtriebigen Linken für zwei Jahre mit Lebensgefährtin und Kind als
dem „falschen Parteibuch“ hat sich nie verbiegen lassen. Bis heute steht er zu der „mit den Genen“ mitbekommenen linken Idee und glaubt fest, dass
Landschaftsgestalter ins englische Bournemouth. Er belegte Studiengänge für Politik, mitteldeutsche und sächsische Geschichte und ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Sächsischen Mühlenvereins sowie Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Mühlenkunde und -erhaltung. Die linke Idee ist ihm nie verlorengegangen. Der Mann mit
eine andere Welt möglich ist. Vor acht Jahren erfüllte sich Thomas Winkler einen Traum. Er kaufte die „Villa Jordan“ in der Rosenthaler Schweizermühle und sanierte sie. Den in Italien erworbenen Stuck brachte er an die Decke, schliff selbst die Fußböden ab. Wer das Haus heute betritt, ist verzaubert. Der Anblick des 15.000 Quadratmeter gro-
ßen Parks mit den seltenen Gewächsen lässt den Hut davor ziehen, was er daraus gemacht hat. Spaziergänger sind erwünscht. Ein Wanderweg führt mitten durch das Areal. Der noch weitgehend unbekannte Neu-Rosenthaler zog mit einem überraschend guten Wahlergebnis in den Gemeinderat von Rosenthal-Bielatal ein und hat es geschafft, gehörig für frischen Wind zu sorgen. Mit anderen Unternehmern ist er entschlossen, die ehemals renommierte Schweizermühle wieder zum Leben zu erwecken. Als er bei der Einwohnerversammlung sein Konzept vortrug, sprachen viele von einem „Aha-Erlebnis“ Winkler. „Den Mann umgibt eine Aura“, sagte eine Anwohnerin. Der freundliche, zupackende Hüne ist es gewohnt, Dinge offensiv in Angriff zu nehmen, auf Leute zuzugehen. Er scheut keine Mühe, wenn es um die Beantragung von Fördermitteln geht. Er bringt erfrischende Ideen mit. Mit dem ihm eigenen Enthusiasmus sagt er: „Ich will zeigen: Wir hier in Rosenthal-Bielatal sind wer! Wir leben im reizvollsten Teil der Sächsischen Schweiz!“ Zu denjenigen, die ihn zur Bürgermeisterkandidatur überzeugt haben, gehören auch viele Einheimische, mit denen ihn mitnichten die Weltanschauung, sondern vielmehr Tatendrang und Unternehmergeist verbinden. Viele meinen, ein frischer Wind täte RosenthalBielatal gut. Wünschen wir ihm ein starkes Wahlergebnis! Anja Oehm
Das Mentoring-Programm der LINKEN Sachsen Es gibt heute zahlreiche Mentoringprogramme: von Hochschulen oder Stiftungen, speziell an Erasmus-Studierende oder Erstsemestler_innen gerichtet. Dieses Programm ist anders und meilenweit spannender. Das Mentoring-Programm der LINKEN Sachsen richtet sich an alle, die politisch interessiert sind und sich im linken Spektrum verorten. Dabei ist es egal, ob man schon lange in verschiedenen Strukturen aktiv ist oder gerade erst auf Tuchfühlung mit den politischen Diskursen geht – das Programm ist breit aufgestellt und bietet allen, die Lust haben, hinter die Kulissen zu blicken und tiefer in die politischen Prozesse einzutauchen, eine Menge Möglichkeiten. Ein Teil des Mentoring-Programms sind vier Bildungswochenenden, in denen vor allem methodische und soziale Kompetenzen vermittelt werden. Die Mentees bestimmen selbst, welche Komplexe sie bearbei-
ten wollen. Zielgruppenansprache, Moderation, Aufbau einer Rede, Politikmanagement – dazwischen konnte im vergangenen Programm auch Marx Platz finden. Es gibt genug freien Raum, um der Kreativität freien Lauf zu lassen, Fragen zu klären, sich auszutauschen und fruchtbare Ideen und Lösungen für das am Ende anstehende Projekt zu sammeln. Auch die gemütlichen Abende in der abgeschiedenen, aber wohlig eingerichteten Umgebung sollten erwähnt werden. Durch die enge Zusammenarbeit in einer bunten Gruppe gibt es die Möglichkeit einer guten Vernetzung. Vielleicht entsteht daraus sogar die eine oder andere Freundschaft. Das Mentoring-Programm bietet neben dem Wissenszuwachs an Wochenenden auch andere Gelegenheiten der Bildung. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit einer Fahrt nach Straßburg in das europä-
ische Parlament und nach Berlin in den Bundestag. Für viele bestimmt ein Highlight ist die zweiwöchige „Beschattungsphase“, bei der die Mentees ihre Mentor_innen auf Schritt und Tritt verfolgen. Die Arbeit im Parlament wird greifbarer und der Jahresplan von Abgeordneten transparent. Man war auch einmal auf einem Neujahrsempfang oder bei Abendveranstaltungen geladen. Den politischen Alltag kann man also hautnah miterleben! Das Programm wurde im Jahr 2012 ins Leben zurückgerufen. Seitdem hat es ein weiteres Mal im Jahr 2013/14 stattgefunden und hat somit zwei „Jahrgänge“ engagierter Menschen mit näherer Bindung an die Partei DIE LINKE und erfolgreich vertieften Kompetenzen im politischen Bereich hervorgebracht, worüber wir uns sehr freuen. Es gab im letzten Jahr je zwölf Mentees und Mentor_innen, die alle verschiedene thema-
tische Schwerpunkte haben. Die Mentor_innen kommen aus den unterschiedlichsten Ecken: manche sind auf Stadt-, manche auf Landesebene aktive Mitstreiter_innen für eine solidarische Gesellschaft, und andere wiederum vertreten die Interessen und Positionen unserer Partei im Europäischen Parlament. So verschieden wie die Mentor_innen waren auch die letztjährigen Mentees. Einige sind schon seit Jahren in den Parteistrukturen aktiv, andere engagieren sich außerhalb des Jugendverbands und der Partei. Alle zusammen deckten sie eine große Bandbreite ab: So gab es Umweltexpert_innen, Bildungspolitiker_innen, Engagierte im Bereich Gleichstellung, Inklusion, Asylpolitik usw. Am Ende des Programms sollten alle Mentees nach Möglichkeit neben ihren eigenen Projekten, beispielsweise zu ihren politischen Lieblingsthemen, auch ein gemeinsames auf die
Beine stellen. Letztes Jahr ist es uns leider nicht gelungen, ein gemeinsames Projekt vorzubereiten. Gründe dafür reichen vom akuten Prüfungsstress bis zur aktiven Teilnahme und Mitarbeit vieler Mentees am Wahlkampf. Umso gespannter blicken wir auf die neue Runde des Programms. Wir ehemaligen Mentees sind durch das Programm reifer geworden, sammelten Unmengen wertvolle Erfahrungen, erlangten Kompetenzen und haben nicht zuletzt den Landesverband besser kennengelernt. Unser Dank gilt dem Landesverband und den Mentor_innen, die uns dies ermöglichten. Wer nun neugierig geworden ist: DIE LINKE. Sachsen wird online und vermutlich auch über die Mitgliederzeitung den Start für die nächste Runde bekannt geben. Mitmachen lohnt sich definitiv! Anna Gorskih & Werner Kujat Infos: www.dielinke-sachsen.de
Sachsens Linke! 03/2015
Seite 4
Linke Kommunalpolitik in der Krise Ein langer Titel, ein weites Feld: Kommunalpolitik. Angesichts ihrer unmittelbaren Wirkung auf den Lebensalltag fragt man sich, warum dieses Politikfeld nicht stärker „befarmt“ wird. Im November 2013 geschah dies, als sich linke kommunale MandatsträgerInnen aus den Benelux-Ländern und aus Frankreich in Luxemburg (Remerschen) zu einer Fachtagung trafen. Der dazu entstandene Tagungsband wurde nun mit daran Beteiligten am 26. Januar 2015 im RosaLuxemburg-Salon in Berlin vorgestellt. Dabei waren die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg Stiftung, Dagmar Enkelmann, der ehemalige Mainzer LINKEN-Fraktionsgeschäftsführer, Hermann Stauffer und die für Kommunalfinanzen zuständige Bundestagsabgeordnete Susanna Karawanskij. Dagmar Enkelmann stellte eingangs die Frage: Was kann linke Kommunalpolitik? Sicher nicht leicht zu beantworten. Doch wer Antworten schuldig bleibt, verliert Vertrauen und Wählerzuspruch. Die brandenburgische LINKE musste das im Vorjahr mehrfach schmerzhaft erfahren. Die Kommunalpolitik ist jedenfalls für DIE LINKE ein zentrales Thema, so Enkelmann. Quasi zum Beweis erwähnte die Stiftungsvorsitzende Studien und Analysen
kommunalpolitischen Inhalts. Aus LINKER Sicht nehme die Sicherung der Daseinsvorsorge eine zentrale Stellung ein. Zuvor genau definiert, gehöre sie gar ins Grundgesetz. Ein weiterer wichtiger Gedanke: DIE LINKE frage immer nach den Auswirkungen der Politik von Bund und Ländern auf die Kommunen; Stichwort Politikfolgenabschätzung. Bitter Enkelmanns Feststellung: Städte und Gemeinden hätten keine Lobby. Sie
Milliarden Euro Schulden. Die Antwort der Regierenden bestand in der Ausgliederung hoheitlicher Aufgaben. Das mit dem Ergebnis, dass Geschäftsführer die Entscheidungen treffen, die Schulden aber bei der Stadt bleiben. So wird die kommunale Selbstverwaltung degradiert und das im Grundgesetz verbriefte Recht darauf den Kommunalpolitikern nicht zugestanden. Trotz dieser Schuldensituation gefällt sich die Main-
dass Theaterzuschüsse gestrichen werden, dass öffentliche Springbrunnen nur mittels privater Spenden sprudeln können, oder dass die Grundsteuer B auf 440 Punkte angehoben wurde. Griechische Verhältnisse? Zudem merkte Stauffer an, wir dürften nicht nur kritisieren, sondern müssten auch Lösungen anbieten. So gestalteten sie auch ihre Antragstätigkeit. Wohl auch deshalb der Zuwachs bei den Mandaten. Jetzt kämp-
sitzen am Ende der Entscheidungen, dabei hätten sie kaum reale Mitwirkungsrechte, doch die Lasten für jene Politik sollen sie meist allein tragen. Hermann Stauffer berichtete aus Mainz, die Stadt hätte 1,3
zer Stadtregierung in der Rolle, Steuergeschenke zu machen: So wurden dem vermeintlichen Karstadt-Retter Nicolas Berggruen über 500.000 Euro an Steuern erlassen. Demgegenüber liest man davon,
fen drei LINKE Ratsmitglieder gegen den Rest, insgesamt sechzig. Bei allen länderspezifischen Unterschieden müsse eine Gemeinsamkeit festgestellt werden: „Die mittlerweile nahezu völlige Handlungsunfähig-
keit von Kommunen und Kreisen, den ,Letzten in der Kette‘ der Auswirkungen neoliberaler Kürzungs- und Privatisierungspolitik in der Europäischen Union“. Dies war dann auch Thema von Susanna Karawanskij. Eine stabile Einnahmesituation fehle den Kommunen. Dadurch würden auch die Spielräume geringer. Darin sieht Karawanskij eine Ursache für die Politikverdrossenheit. Nun, der Investitionsbedarf in den Städten und Gemeinden ist recht hoch. Aber Finanzminister Wolfgang Schäuble scheint auf dem Geld zu sitzen, das ihm nicht gehört. Sollte er stattdessen nicht seinen Beitrag zur Auflösung des Investitionsstaus leisten? Doch wenn man eine (schwarze) Null im Finanzministerium hat ... Alternativ schlug die LINKE-Abgeordnete die Einführung einer Gemeindewirtschaftssteuer vor. Im Kern geht es der LINKEN dabei um dauerhafte, verlässliche und deutlich höhere Einnahmen der Kommunen. Allen, ob nun kommunalpolitisch eingebunden oder „nur“ als BürgerIn, dem nicht egal ist, was in seinem Ort geschieht, sei dieses Büchlein empfohlen. Man wird seine kommunale Welt besser verstehen und vielleicht auch selbst lokal aktiver werden. Denn kommunal ist immer lokal! René Lindenau
potenzieller LINKER oder Bündnispartner, sondern gegen die meisten Pegida-Protestierer müssen wir als LINKE den Staat, an dem wir in Thüringen oder Leipzig selbst beteiligt sind, verteidigen! Weiter übersehen die Autoren, dass es sich bei den Protestierenden vielfach um Angehörige der Mittelschichten, des Kleinbürgertums, früheren CDU-, FDP- (und LINKEN-)Anhängern handelt. Hier helfen nicht immer grobe Sprüche, sondern das Aufgreifen von Problemen des Mittelstands, von Gebühren, Zwangsabgaben, der Existenzgründung, der Kreditvergabe ... Aufklärung gegen Rassismus und Rechtspopulismus ist erforderlich, klar. In die Suche nach einem sozial-ökologischen Alternativentwurf sind die Menschen fernab der Parteien und ihr Protest einzubeziehen, und es ist auch die Macht von einflussreichen Netzwerken einzudämmen. Aber: Gegen einen dumpfen Populismus von rechts hilft (allein) kein grobschlächtiger Populismus von links, der, anstatt „ihnen ihre Ängste auszureden“, anstelle muslimischer Flüchtlinge z. B. amerikanische Geschäftsleute als „die Schuldigen“ benennt. Neue Vereinfa-
chungen ersetzen keine aufklärerische Politik, sondern stehen in der Gefahr, anderen, rechten Vereinfachern den Boden zu bereiten. Denn: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“ Notwendig ist stattdessen eine buntscheckige linke Bewegung, die durch Handeln in Verwaltung und in Opposition alternative Vorschläge, eine andere Kultur und Protest ausdrückt, deren Bündnispartner vom DGB, der Flüchtlingsbewegung bis zu den Kirchen reicht, entsprechende Bündnispartner sucht und findet. Eine Bewegung, die nicht vom Dogma eines neoliberalen „Einparteiensystems“ oder -kartells (Külow u.a.) ausgeht, sondern bei aller Unterschiedlichkeit nach Partnern für alternative politische Wege sucht. Und die mit ihrer Politik in und außerhalb der Parlamente in Gestaltung, Protest, Verwaltung und Veränderung nicht darauf wartet, bis „die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Alternative gegen die monopolkapitalistische Herrschaft entwickelt“. Denn: Wir dürfen nicht dort landen, dass wir wieder den BürgerInnen erklären, welche Fragen sie an uns gefälligst zu stellen haben! A. Willnow
Hilft die Suche nach „Schuldigen“? Der Text von V. Külow, E. Lieberam und D. Pellmann, „In die Offensive kommen“ in der jungen Welt vom 30.01.15 verdient eine ausführliche Erörterung. Die Autoren weisen zunächst darauf hin, dass DIE LINKE die „antiaufklärerische Aggression“ von Pegida zurückweisen müsse. Dies tun sie völlig zu Recht, denn die Pegida-Bewegungen, die den Gestus des Empörten bemühen, schüren Ängste, die sich gegen Flüchtlinge und Zuwanderer, insbesondere Muslime richten. Die zutage kommenden Ängste und Ressentiments, der Aufstieg der AfD und der zunehmende Rechtsrutsch der Gesellschaft kommen für jene nicht überraschend, die die Heitmeyer-Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit die obrigkeitsstaatliche Abwiegelung entsprechender Ressentiments durch die Sächsische Staatsregierung und den Alltagsrassismus der „Mitte“ der Gesellschaft zur Kenntnis nehmen. Gestützt wird dieser Rechtsruck durch Abstiegserfahrungen und -ängste einer Mittelschicht und durch Demütigungserfahrungen von Erwerbslosen auf Arbeitsämtern und Jobcentern. In einer Zeit, in der die Mittelschicht zwischen dem „Oben“ und „Unten“
weiter schrumpft und Existenzängste zunehmen, wird durch Pegida „nach unten getreten, nicht nach oben“ (Katja Kipping). Nur ist der gemeinsame Widerstand gegen Pegida nicht geringzuschätzen. In der Bewegung gegen Pegida werden viele Menschen erstmals politisch sozialisiert. Bei den Aktionen finden sich Mitglieder aus SPD, LINKEN, Gewerkschaften, Grünen, Kirchen bis zu Amtsträgern der Verwaltung wieder. Diese gemeinsam erlebbaren Aktionen gegen antiaufklärerische Vorurteile sollten nicht kleingeredet werden, sondern können eine Basis für ein (zukünftiges) gemeinsames Agieren in anderen Fragen darstellen. Nun sind die -gida-Bewegungen gewiss nicht einheitlich. Unter ihren Teilnehmern finden sich Fußball-Hools, Rechtsextreme, Islam-Hasser, aber auch Rentner, die gegen die Kürzung ihrer Rente protestieren wollen, Menschen, die mit ihrer persönlichen Situation unzufrieden sind, und solche, die die GEZ abschaffen wollen. Dass sich darunter auch frühere Wähler der LINKEN befinden werden, legen sowohl Studien zu Wanderungsbewegungen zwischen Wählern der
LINKEN und der AfD in Brandenburg nahe, als auch der Befund aus einer Umfrage des stern, wonach 26 % der LINKEN-Wähler Bereitschaft zeigen würden, an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Sollte der Ratschlag an die LINKE-Verantwortlichen darin bestehen, den Protest-Gedanken stärker aufzunehmen und mit (außerparlamentarischen) Aktionen gegen Prekarisierung und Rentenkürzungen zu verbinden, so ist dies zu unterstützen. Allerdings übersehen die Autoren, dass nicht jeder Protest und Unzufriedenheit (auch in der Geschichte!) nach links, sondern häufig nach rechts geht, wie auch nicht jeder Protestler automatisch ein „Guter“ ist (Der Vergleich zu Spanien und Griechenland geht fehl, weil die explosive Situation in den südeuropäischen Staaten mit der des saturierten Deutschlands nicht zu vergleichen ist). DIE LINKE sollte sich um Unzufriedene bemühen; dennoch ist mancher in seinem Konglomerat aus Sozialprotest und Hass auf Flüchtlinge und noch Schwächere nicht (mehr) erreichbar. Nur weil jemand „gegen den Staat“ ist, wird er nicht zum besseren Menschen, ist er auch nicht ein
Kommunal-Info 2-2015 2. März 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. ÖPNV-Finanzierung Regionalisierungsmittel müssen sichergestellt werden Seite 2
Wohnen Altersgerechter Umbau im Quartier
Seite 3
Metastudie Zur demographischen Entwicklung und Wohnen im Alter Seite 3
Flüchtlinge Novelle zum Baugesetzbuch über Flüchtlingsunterkünfte Seite 4
Stellvertreter des Bürgermeisters Für die Stellvertretung des Bürgermeisters gibt es in der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) verschiedene Regelungen. Unterschieden wird zwischen der aufgabenbezogenen ständigen Vertretung des Bürgermeisters durch Beigeordnete nach § 55 SächsGemO und einer bloßen Verhinderungsstellvertretung, wie sie hauptsächlich in § 54 SächsGemO geregelt ist sowie der Bestellung eines Amtsverwesers nach § 54 SächsGemO, der den Bürgermeister für längere Zeit vertritt. Da die Thematik der Beigeordneten bereits in der vorausgegangenen Ausgabe der Kommunal-Info ausführlich behandelt wurde1, soll sich dieser Beitrag auf die Verhinderungsstellvertretung und den Amtsverweser beschränken.
Bestellung von Stellvertretern Für die Bestellung von Stellvertretern des Bürgermeisters bestehen grundlegende Unterschiede zwischen Gemeinden, in denen Beigeordnete bestellt werden, und Gemeinden ohne Beigeordnete: In Gemeinden, in denen Beigeordnete bestellt werden (Voraussetzung: mehr als 10.000 Einwohner), können neben den Beigeordneten auch Stellvertreter des Bürgermeisters aus der Mitte des Gemeinderats bestellt werden, die den Bürgermeister im Falle seiner Verhinderung vertreten, wenn auch alle Beigeordneten verhindert sind.2 In Gemeinden ohne Beigeordnete sind durch den Gemeinderat aus seiner Mitte ein oder mehrere Stellvertreter des Bürgermeisters zu bestellen. Die Stellvertreter des Bürgermeisters sind nach jeder Gemeinderatswahl neu
zu bestellen, da für die Stellvertreterfunktion nur Mitglieder des Gemeinderat infrage kommen. Für die Bestellung zu Stellvertretern müssen jedoch nicht die Bedingungen erfüllt sein, die für eine Wählbarkeit zum Bürgermeister vorausgesetzt werden (§ 49 SächsGemO). Die Bestellung von Stellvertretern erfolgt durch Wahl im Gemeinderat. Die Wahl ist geheim mit Stimmzetteln vorzunehmen, sofern kein Gemeinderat widerspricht, dass eine offene Wahl durchgeführt wird. Als gewählt gilt, wer die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Stimmberechtigten (der Bürgermeister ist stimmberechtigt!) erhalten hat. Wird eine solche Mehrheit nicht erreicht, findet zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen eine Stichwahl statt, bei der die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los. Steht nur ein Bewerber zur Wahl, so muss er die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Stimmberechtigten erhalten; erreicht er die absolute Mehrheit nicht, so muss ein zweiter Wahlgang stattfinden, bei dem die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht. Werden mehrere Stellvertreter gewählt, kann dies nicht in einem gemeinsamen Wahlgang erfolgen; sondern jeder Stellvertreter ist in einem besonderen Wahlgang zu wählen. Bei der Wahl eines jeden Stellvertreters ist durch die Zahl der vor ihm gewählten Stellvertreter festgelegt, in welcher Reihenfolge er zur Vertretung berufen ist. Bei Verhinderung des Bürgermeisters ist zunächst der erste Stellvertreter vertretungsberechtigt; erst wenn dieser verhindert ist, tritt an seine Stelle der zweite Stellvertreter. Der Bürgermeister hat auf diese Reihenfolge
keinen direkten Einfluss. Die Zahl der Stellvertreter wird zuvor von der Gemeinde festgelegt. Eine Änderung dieser Zahl während der laufenden Wahlperiode ist unzulässig. Da die Funktion als Stellvertreter des Bürgermeisters mit dem Ausscheiden aus dem Gemeinderat endet, ist bei einem vorzeitigen Ausscheiden unverzüglich eine Nachwahl des Stellvertreters durchzuführen. Sind alle bestellten Stellvertreter vorzeitig ausgeschieden oder sind im Fall der Verhinderung des Bürgermeisters auch alle Stellvertreter verhindert, hat der Gemeinderat unverzüglich einen oder mehrerer Stellvertreter neu oder auf die Dauer der Verhinderung zusätzlich zu bestellen. Bis zu dieser Bestellung nimmt das an Lebensjahren älteste, nicht verhinderte Mitglied des Gemeinderats die Aufgaben des Stellvertreters des Bürgermeisters wahr. Die Bestellung zum Stellvertreter des Bürgermeisters kann grundsätzlich nicht abgelehnt werden, lediglich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 18 SächsGemO – Ablehnung ehrenamtlicher Tätigkeit) ist eine Weigerung vertretbar. Das Mandat als Gemeinderat wird dadurch nicht zwangsläufig in Frage gestellt.3 Mit der novellierten SächsGemO durch Gesetz vom 28.11.2013 wurde neuerdings dem Gemeinderat die Möglichkeit eingeräumt, Stellvertreter des Bürgermeisters auch vorzeitig abzuwählen. Der Beschluss über die Abwahl bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder des Gemeinderats (nur die Mehrheit der bei der Gemeinderatssitzung anwesenden Gemeinderäte genügt nicht!). Zwischen Antrag und dem Beschluss muss eine Frist von mindestens zwei und höchstens vier Wochen liegen. Die Stellvertretung endet mit Ablauf des Tages, an dem die Abwahl
beschlossen wird.
Vertretungsmacht Die Vertretungsmacht der Stellvertreter beschränkt sich – anders als bei Beigeordneten – nur auf Fälle der Verhinderung des Bürgermeisters. Die Verhinderung kann auf rechtlichen Gründen beruhen (etwa im Fall der Befangenheit des Bürgermeisters) oder auch tatsächliche Ursachen haben (etwa bei Krankheit oder Urlaub). Der Bürgermeister kann seinen nach § 54 Abs. 1 SächsGemO bestellten Stellvertretern kein ständiges Arbeitsgebiet mit Vertretungsbefugnis übertragen. Die Vertretungsbefugnis entsteht bei Verhinderung des Bürgermeisters „automatisch“, es bedarf keines besonderen Auftrags im Einzelfall. Der Verhinderungsfall tritt bereits ein, wenn der Bürgermeister seine Verhinderung erklärt; einer Prüfung, ob die angegebenen Verhinderungsgründe tatsächlich vorliegen oder eines Nachweises dafür, bedarf es nicht. Übt ein Stellvertreter die Befugnisse des Bürgermeisters aus, ohne dass ein Verhinderungsfall vorliegt, dann handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam und bedürfen der nachträglichen Genehmigung durch den Bürgermeister. Einseitige Rechtsgeschäfte sind nichtig. Ist ein Vertretungsfall vorhanden, ist die Vertretungsmacht des Stellvertreters unbeschränkt (und auch nicht durch den Bürgermeister beschränkbar), seine rechtsgeschäftlichen Erklärungen sind für die Gemeinde verbindlich, ohne dass es einer eigenen Beschlussfassung des Gemeinderats bedürfte.4 Fortsetzung auf folgender Seite
Kommunal-Info 2/2015
ÖPNV-Finanzierung Landkreistag erinnert Länder an ihre Verantwortung für die Finanzierung des ÖPNV Angesichts der vom Statischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zur Entwicklung der Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Jahr 2014, fordert der Deutsche Landkreistag die Länder auf, ihrer Verantwortung für eine auskömmliche Finanzierung des ÖPNV nachzukommen. „Auch wenn der deutliche Rückgang der Fahrgastzahlen bei Nahverkehrsbussen von 1,1 % im Vergleich zum Vorjahr auch auf Verlagerungseffekte zwischen Bus- und Schienenverkehr durch optimierte und abgestimmte ÖPNV-Angebote zurückzuführen ist, müssen uns diese Zahlen aufhorchen lassen“, sagte Landrat Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages. „Beim ÖPNV darf kein Rückzug aus der Fläche erfolgen. Auch in den ländlichen Räumen reduziert sich die Bedeutung des ÖPNV nicht auf Schülerverkehre und Rufbussysteme. Vielmehr ist der Nahverkehr Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und muss als Beitrag zur Alltagsmobilität der Menschen erhalten Fortsetzung von Seite 1:
Stellvertreter... Beschränkungen Die Vertretungsbefugnis von Stellvertretern, die im Verhinderungsfall des Bürgermeisters tätig werden, gilt zunächst unbeschränkt und erstreckt sich auf alle die Rechtsstellung des Bürgermeisters betreffenden Kompetenzen. Nach der novellierten SächsGemO vom 28.11.2013 kann jedoch durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass sich die Stellvertretung auf den Vorsitz im Gemeinderat und die Vorbereitung seiner Sitzungen (§ 36 SächsGemO) und auf die Repräsentation der Gemeinde zu beschränken hat. Ob nun die zeitweilige Vertretungsmacht von Stellvertretern unbeschränkt bleibt oder auf die o.g. Vertretungsfunktionen eingeschränkt wird, hängt ganz von den konkreten Umständen in der Gemeinde und der fachlichen Befähigung der jeweiligen Stellvertreter ab. Die Entscheidung darüber ist eine Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung und liegt ganz in den Händen des Gemeinderats. Wird die Vertretungsbefugnis von Stellvertretern nun eingeschränkt, dann hat in diesem Falle der Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Gemeinderat einen oder mehrere geeignete Bedienstete zu bestellen, die ihn in den Fällen der Verhinderung im Übrigen vertreten (Vertreter). Kommt es zu keinem Einvernehmen, entscheidet der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Stimmberechtigten allein. Bestellt werden die Vertreter in jedem Fall vom Bürgermeister, der auch – bei der Bestellung mehrerer Vertreter – die Reihenfolge festlegt. Die Bestellung kann widerrufen werden. Die vom Bürgermeister bestellten Vertreter nehmen an den Sitzungen des Gemeinderats und der für ihren Geschäftskreis zuständi-
Seite 2 werden. Er ist nicht zuletzt auch als touristische Infrastruktur wichtiger wirtschaftlicher Standortfaktor.“ Die Länder seien vor diesem Hintergrund aufgefordert, die Landkreise als ÖPNV-Aufgabenträger finanziell angemessen auszustatten, damit sie ihren gesetzlichen Aufgaben der Mobilitätsicherung auch angesichts meist schwieriger demografischer Herausforderungen durch rückläufige Bevölkerungszahlen und eine veränderte Altersstruktur weiterhin gerecht werden könnten. „Die für die Gemeindeverkehrsfinanzierung wichtigen Entflechtungsmittel müssen den Kommunen unbeschadet des Ergebnisses der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen von den Ländern unvermindert bereit gestellt werden. Wir erwarten, dass die Länder ohne Abstriche ihrer bereits seit der Föderalismusreform I bestehenden Verantwortung gerecht werden und nicht auf den Bund verweisen“, führte Sager aus. Von entscheidender Bedeutung sei zudem eine baldmöglichste Einigung über die künftige Höhe der Regionalisierungsmittel, so der Präsident weiter. Die Regionalisierung sei eine Erfolgsgeschichte und habe seit 1996 insgesamt zu einem sehr deutlichen Zuwachs
beim öffentlichen Nahverkehr geführt. Der aktuelle Streit zwischen Bund und Ländern über die künftige aufgabenangemessene Höhe der Regionalisierungsmittel dürfe nicht mit der Frage der Bund-Länder-Finanzbeziehungen
vermengt und müsse vor die Klammer gezogen werden. Nach der Bahnreform stünden die Regionalisierungsmittel den Ländern bereits grundgesetzlich aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes zu. Diese seien in angemessener Höhe auch über 2019 hinaus fortzuschreiben und zu dynamisieren. Das gelte umso mehr, als ein bedeutender Teil der Regionalisierungsmittel über Trassen- und Stationspreise an die Infrastrukturgesellschaften der Deutschen Bahn und damit letztlich auch an den Bund zurückfließe. Sager forderte die Länder zudem auf, die Regionalisierungsmittel nicht nur für eine Weiterentwicklung des Schienenverkehrs, sondern auch für die Sicherstellung von Busverkehren in der Fläche bereit zu stellen. „Das gilt insbesondere dort, wo eine Versorgung über die Schiene nicht mehr gewährleistet werden kann. Angesichts wegbrechender Schülerverkehre sind in den Ländern zudem die sog. § 45a PBefG-Mittel für die Schülerbeförderung zu kommunalisieren, um zu einer effizienteren und europarechtskonformen Verkehrsfinanzierung aus einer Hand zu kommen“, so der DLT-Präsident abschließend. (Dt. Landkreistag, 11. Februar 2015)
gen Ausschüsse mit beratender Stimme teil. Für die Vertreter gelten die Hinderungsgründe wie für Beigeordnete (§ 57 Abs. 2 SächsGemO) und im Übrigen auch die besonderen Dienstpflichten nach § 58 SächsGemO. Die Repräsentation der Gemeinde sowie der Vorsitz im Gemeinderat einschließlich der Sitzungsvorbereitung bleiben den Stellvertretern des Bürgermeisters vorbehalten, weil nur sie über die hierfür notwendige demokratische Legitimation verfügen.
ratsmandat erloschen ist. Eine sonstige Einschränkung der Rechte des Amtsverwesers durch den Gemeinderat ist nicht möglich. Außer den Beschränkungen hinsichtlich des Stimmrechts stehen dem Amtsverweser die gesetzlichen Befugnisse des Bürgermeisters uneingeschränkt zu. Der Amtsverweser ist in Gemeinden mit hauptamtlichem Bürgermeister zum Beamten auf Widerruf, in Gemeinden mit ehrenamtlichem Bürgermeister zum Ehrenbeamten auf Widerruf zu bestellen, sofern er nicht bereits Beamter der Gemeinde ist. Die Ernennungsurkunde für den Amtsverweser wird vom Stellvertreter des Bürgermeisters ausgestellt und ist dem Amtsverweser bei Amtsantritt zu übergeben. Der Amtsverweser führt die Amtsbezeichnung „Bürgermeister“ (bzw. Oberbürgermeister). Er kann deshalb auch eine Satzung mit dieser Bezeichnung unterschreiben.
Im Unterschied zu einem Amtsverweser, der anstelle eines Bürgermeisters bestellt wurde, hat ein vorübergehend zum Amtsverweser bereits gewählter Bürgermeister (der sein Amt nur wegen einer laufenden Wahlanfechtung nicht antreten kann) jedoch ein Stimmrecht im Gemeinderat und seinen Ausschüssen. Da sich seine Legitimation aus einer direkten Volkswahl ableitet, kann ihm das Stimmrecht im Gemeinderat deshalb nicht vorenthalten werden. AG
Amtsverweser Bleibt die Stelle des Bürgermeisters voraussichtlich längere Zeit unbesetzt oder ist der Bürgermeister voraussichtlich längere Zeit an der Ausübung seines Amtes verhindert, kann der Gemeinderat mit der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder einen Amtsverweser bestellen.5 Der Amtsverweser muss die Voraussetzungen erfüllen, die an die Wählbarkeit eines Bürgermeisters nach § 49 SächsGemO gestellt werden, er muss jedoch nicht Bürger der Gemeinde sein. Anders als ein Stellvertreter muss der Amtsverweser nicht dem Gemeinderat angehören. Jedoch ist die Bestellung eines Gemeinderats zum Amtsverweser möglich. Wird ein Gemeinderat zum Amtsverweser bestellt, so ist der Hinderungsgrund des § 32 SächsGemO zu beachten, was zur Folge hat, dass er aus dem Gemeinderat ausscheiden muss. Für einen Amtsverweser gelten nicht die möglichen Beschränkungen wie für einen Stellvertreter des Bürgermeisters, er übernimmt alle Aufgaben und Befugnisse des Bürgermeisters. Da seine Bestellung jedoch nicht auf einer unmittelbaren demokratischen Legitimation durch Wahl der Bürgerschaft beruht, hat er weder im Gemeinderat noch in den beschließenden Ausschüssen ein Stimmrecht. Dies gilt auch für einen zum Amtsverweser bestellten Gemeinderat, weil mit der Übertragung dieses Amtes sein Gemeinde-
Bei Wahlanfechtung Ein zum Bürgermeister der Gemeinde gewählter Bewerber kann im Falle der Anfechtung der Wahl vor der rechtskräftigen Entscheidung über deren Gültigkeit vom Gemeinderat mit der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder zum Amtsverweser bestellt werden, aber nur dann, wenn die Wahlprüfungsbehörde die Gültigkeit der Wahl festgestellt hat oder die Wahlprüfungsfrist ungenutzt verstrichen ist. Der auf diese Weise bestellte Amtsverweser ist – bei einer Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister – Beamter auf Zeit und – bei einer Wahl zum ehrenamtlichen Bürgermeister – Ehrenbeamter auf Zeit. Die Ernennung nimmt der Stellvertreter des Bürgermeisters vor. Seine Amtszeit ist auf zwei Jahre begrenzt, wobei eine Wiederwahl zulässig ist. Er führt die Bezeichnung Bürgermeister (bzw. Oberbürgermeister). Seine Amtszeit als Amtsverweser wird auf die Amtszeit als Bürgermeister angerechnet.
1 Siehe hierzu Kommunal-Info Nr. 1/2015. 2 Vergleichbares gilt für die Landkreise: auch hier können neben den Beigeordneten weitere Stellvertreter des Landrats bestellt werden. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 54, Rn. 3ff. 4 Vgl. ebenda, Rn. 2. 5 Für die Bestellung eines Amtsverwesers anstelle des Landrats gelten nach § 51 Sächsischer Landkreisordnung sinngleiche Bestimmungen. Das gilt ebenso im Falle einer Wahlanfechtung.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Februar 2015
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
PARLAMENTSREPORT Vorwärts in die Vergangenheit
Liebe Leserinnen und Leser, ich kann mir gut vorstellen, dass viele kaum verstehen, was derzeit im Freistaat passiert. Es ist absurd: Die Sicherheitsbehörden schleiften, von „PEGIDA“ getrieben, in Dresden vor übergehend das komplette Versamm lungsrecht. Das gab es noch nie! Als Rechtfertigung diente ein arabischer Twitter-Beitrag, der die Bedrohung einer einzelnen Person belegen sollte. Sicher, Hinweise müssen bewertet, Gefahren bekämpft werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Belieben außer Kraft gesetzt wird. Deshalb wollen wir wissen, wie es dazu kam. Mit einem Dringlichen Antrag forderten wir die Staatsregierung zum Beginn der Landtagssitzung auf, uns aufzuklären. CDU und SPD lehnten ab. Am Abend erreichte uns eine neue bizarre Nachricht: Vor dem großen Toleranz-Konzert mit internationalen Stars hat es eine Bombendrohung gegeben. Die Polizei ging ihr mit Spür hunden nach, ließ die Veranstaltung aber zu. Schon das zeigt, dass das Ver sammlungsverbot in der Woche zuvor offensichtlich völlig überzogen war. Der Innenminister hatte sich derweil geheim mit Köpfen der „PEGIDA“ getroffen. Dabei wurden, wie er erklärte, „Inhalte oder Positionen zur Seite gestellt“. Er habe über die Sicherheit ihrer Aufmärsche sprechen wollen. Warum aber übernahmen das nicht die Versammlungsbehörden, son dern der Minister höchstselbst? Die Antwort ist einfach: Ulbig will Oberbür germeister von Dresden werden, das Frustpotential der „PEGIDA“ parteipo litisch abernten. Bis hierhin mag alles „nur“ absurd gewesen sein. Die Welt schaut auf Sachsen und reibt sich die Augen. Es fehlt aber nicht viel, bis es gefährlich wird – für die Demokratie.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Der Staatshaushalt ist nicht alles, aber ohne ihn ist alles nichts: Dicke Papierbündel in den Büros der Landtagsabgeordneten künden von einer neuen Verhandlungsrunde zu diesem wichtigen Gesetzeswerk. Hinter den Zahlenkolonnen steckt das wahre Leben: Von ihnen hängt ab, ob es in den nächsten Jahren gelingen wird, Probleme wie den Lehrermangel oder den Polizeiabbau anzupacken und den Freistaat für die Zukunft fit zu machen. Eine erste Debatte hat im Landtag bereits stattgefunden. Finanzminister Georg Unland (CDU) hat den Haushaltsentwurf der Regierung eingebracht, die Fraktionen – auch Oppositionsführer Rico Gebhardt – nahmen Stellung. Und obwohl erst in den kommenden Wochen konkret über die Einnahme- und Ausgabeposten gestritten werden wird, zeichnet sich ab, in welche Richtung die Regierung gehen will: Mit leichten Ausgabenerhöhungen will man die schlimmsten Folgen der fünf schwarz-gelben Jahre reparieren, gelangt damit aber an vielen Stellen nicht einmal auf das Niveau zurück, das der Freistaat vor der schwarzgelben Kürzungsorgie seit 2010 schon einmal hatte. Die Devise lautet: Vorwärts in die Vergangenheit, aber nur den halben Weg … Die Staatsregierung rechnet insgesamt damit, dass die Einnahmen und damit der Gesamtumfang des Haushalts bis 2016 leicht wachsen werden, auf 17,23 Milliarden Euro pro Jahr (2014: 17 Mrd.). 2015 will man 171 Millionen und 2016 noch einmal 234 Millionen aus der Haushaltsausgleichsrücklage entnehmen. Denn Unland rechnet Sachsen weiter künstlich arm und unterschätzt
absichtlich die Steuermehreinnahmen, auch um sich keine weiteren Forderungen vom Koalitionspartner SPD gefallen lassen zu müssen. Trotz allem sinken sowohl die Ausgaben für Investitionen als auch die Zuweisungen an die Kommunen – weiterer Substanzverzehr ist vorprogrammiert. Der Spielraum für neue Schulgebäude, Brücken oder Straßen schwindet, Städte und Gemeinden bleiben klamm. Positiv ist nur, dass die Ausgaben für Bildung und Forschung etwas höher ausfallen sollen, wenn auch bei weitem nicht so hoch, wie es notwendig wäre. Rico Gebhardt ging mit dem Entwurf hart ins Gericht und griff Unland scharf an. „Das Prinzip Ihres bisherigen Handelns lautete: Es muss nur genug Geld im Sparstrumpf sein, dann steuert Sachsen auf ein goldenes Zeitalter zu. Stattdessen haben wir monatelange Pegida-, Legida-, Hoygida-, Cegida- und andere Umzüge verunsicherter, wütender Menschen erlebt“. Sachsen brauche keine Finanzpolitik, die hohe Rücklagen als einziges Erfolgsziel ansehe, sondern „eine Politik, die Sachsen und den hier lebenden Menschen, egal welcher Herkunft und welcher Religion, wirklich gerecht wird. Davon aber sind Sie mit diesem Haushaltsentwurf meilenweit entfernt!“ Da helfe auch keine millionenschwere Imagekampagne „So geht sächsisch“, die spätestens jetzt eingestampft werden müsse. Alles andere sei Geldverbrennung – wie bei der Landesbank, deren Ruin Sachsens Steuerzahlerinnen und Steuerzahler jedes Jahr 100 Millionen Euro kostet. Gebhardts Fazit: „Der Regierungsentwurf der neuen
Koalition ist nicht viel mehr als die Reparatur der immensen Bauschäden, die die Vorgänger-Koalition hinterlassen hat“. Die öffentlichen Kassen in Sachsen werden noch immer vor allem aus Quellen gespeist, die nicht im Freistaat sprudeln: Mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen stammen von der EU, dem Bund oder aus dem Länderfinanzausgleich. Die sächsische Wirtschaftsleistung liegt noch immer bei nur 73 % des Bundesdurchschnitts. Es ist absehbar, dass die Einnahmen aus den Solidarpakt- und EU-Mitteln bis 2020 um bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr absinken werden. Gerade deshalb müssen zwei Prinzipien unbedingt beachtet werden: Zum einen darf der Doppelhaushalt keine neuen Probleme mit hohen Folgekosten verursachen – so darf Sachsen beispielsweise nicht länger damit warten, den Lehrermangel zu beheben. Zum anderen muss sich die Staatsregierung in Berlin und Brüssel für höhere Einnahmen einsetzen – etwa mit Vorschlägen für ein Steuersystem, das Gutverdiener und Vermögende stärker in die Pflicht nimmt. Unland aber betrachtet weiter vor allem die Ausgabenseite. Das führt unweigerlich in die Sackgasse. Auch die Linksfraktion wird Änderungsvorschläge zum Haushalt entwickeln – für ein soziales Sachsen, bessere Bildung, mehr Kultur. Dabei arbeiten wir weiterhin nur mit dem Geldbetrag, den auch die Staatsregierung zugrunde legt, kommen also verfassungsgemäß ohne neue Schulden aus. Schon beim letzten Doppelhaushalt haben wir so eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Viele davon werfen wir nun wieder in die Debatte, weil sich in den letzten Jahren in Sachsen kaum etwas bewegt hat. Voraussichtlich im April wird der Landtag dann den Doppelhaushalt 2015/2016 beschließen. Ob bei Polizei und Justiz, der in diesen Tagen heiß diskutierten Flüchtlingsbetreuung, in der Bildung oder bei Sozialem: Der Landtag muss den Entwurf der Regierung verändern, wenn er Missstände beseitigen statt schaffen soll. Die vergangene Legislaturperiode war ein verlorenes halbes Jahrzehnt für Sachsen – wir stellen uns der Aufgabe, den Problemberg der verbrauchten Regierung abzuarbeiten. Weil Reformen aber nur möglich werden, wenn sie im Haushalt festgezurrt sind, werden die kommenden Wochen richtig spannend.
Seite 2
PARLAMENTSREPORT
Februar 2015
Baustelle Bildungssystem: Betrug
beim Kita-Schlüssel, Lehrermangel wird bleiben Beste Bildungschancen von der Kita bis zur Hochschule – dafür soll auch der Doppelhaushalt sorgen. Bei Betreuung und Bildung der Jüngsten genehmigt sich die Koalition allerdings einen lupenreinen Betrug. Lange haben Träger und Opposition gefordert, mehr Kita-Erzieherinnen und -Erzieher einzustellen, also den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Der Koalitionsvertrag verspricht einen kleinen Schritt: Ab September 2015 soll ein Erzieher in Kindertagesstätten statistisch gesehen nicht mehr 13, sondern 12,5 Kinder betreuen, ab September 2016 noch 12. In Kinderkrippen soll dieses Verhältnis ab September 2017 von 1:6 auf 1:5,5 und ein Jahr später auf 1:5 verbessert werden. Die Freude wird aber schnell getrübt. Denn CDU und SPD versprechen zwar, dass „der Freistaat Sachsen die Kosten, die mit dieser Qualitätsverbesserung verbunden sind“, tragen wird. Doch es kommt anders. Denn die Eltern werden mindestens die Hälfte der Mehrkosten bezahlen müssen. Die Kommunen, die Träger der allermeisten Kitas sind, bekommen für das zusätzliche Personal zu wenig Geld vom Freistaat, außerdem sind sie chronisch unterfinanziert. Sie sollen sich deshalb weitere Mittel besorgen – durch höhere Elternbeiträge. In Kindergärten und Horten
steigen diese von 30 % auf 33 % der Personal- und Sachkosten, was den Eltern Mehrausgaben von bis zu 170 Euro jährlich pro Kind beschert. Bei Krippen können die Elternbeiträge von 23 % auf 26 % erhöht werden – Mehrkosten von bis zu 300 Euro pro Kind und Jahr. Natürlich müssen die Kommunen nicht die höchstmöglichen Beiträge erheben. Allerdings werden viele durch ihre Finanznot und die Rechtsaufsicht bei der Haushaltsgenehmigung dazu gezwungen. Damit nicht genug: Bei der Berechnung des Betreuungsschlüssels dürfen künftig auch Assistenzkräfte ein-
bezogen werden, an die es keine fachlichen Anforderungen gibt. Künftig könnte also jede und jeder Fünfte im Kita-Personal keine Fachkraft sein. Für die Eltern heißt das: Mehr bezahlen für weniger Qualität. Wortbrüchig werden CDU und SPD auch bei der Einstellung zusätzlicher Lehrerinnen und Lehrer – obwohl die Schülerzahlen steigen. Unland: „Im Schulbereich haben wir die unbefristete Einstellung von mindestens 6.100 Lehrern bis zum Jahr 2019 sichergestellt“. Damit aber werden nur die Lehrkräfte ersetzt, die in Rente gehen. Von den insgesamt 1.000 zusätzlichen Pädagoginnen
Baustelle Soziales: Ausgleich Seit der Verfassungsänderung gelten auch neue Regeln für den Landeshaushalt. DIE LINKE hatte durchgesetzt, dass neben Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit auch der soziale Ausgleich als gleichberechtigter Grundsatz zu beachten ist. Wer die Regierung fragt, wie sie den sozialen Ausgleich in ihrem Haushaltsentwurf konkret umgesetzt hat, erntet aber nur Worthülsen. Deshalb werden wir genau kontrollieren, ob sich das Land auf Kosten der Schwächsten konsolidieren soll.
Betrachtet man die Aussagen des Finanzministers zum Haushalt, scheint es, als ob die Regierung genau das in Kauf nimmt. O-Ton Unland: „Die beste Sozialpolitik ist diejenige, die Arbeit schafft. […] Die Förderung der Wirtschaft bildet daher auch im vorliegenden Haushaltsentwurf eine bedeutende Priorität“. Zwar setzen CDU und SPD einen LINKEN Vorschlag zur Wirtschaftsförderung um, denn ein Fusionsfonds soll kleinen Unternehmen beim Wachsen helfen. Es wäre aber
und Pädagogen, die der Koalitionsvertrag versprach, ist im Haushaltsentwurf keine Rede mehr. Auch bei den Freien Schulen löst der Etat die Probleme nicht. Die Schulen in freier Trägerschaft waren Opfer von Einschnitten in ihre finanzielle Ausstattung, was sie gegenüber den öffentlichen Schulen benachteiligte. Ein Urteil des Verfassungsgerichts verpflichtet den Freistaat inzwischen, öffentliche und freie Schulen gleich zu behandeln. Allerdings sind die staatlichen Zuschüsse an die Freien Schulen weiter zu niedrig, weshalb sie Schulgeld erheben müssen. Dabei füllen Freie Schulen viele Lücken, die nach den Standortschließungen im öffentlichen Schulnetz klaffen. Auch bei den Hochschulen muss sich die Koalition Kritik gefallen lassen. Denn sie setzt immer stärker auf Drittmittel, um die sich die Wissenschaftler aufwändig bewerben müssen, als auf öffentliche Grundmittel. Der Staat zieht sich also zurück, soll doch die Industrie die Forschung bezahlen. Die Gesellschaft braucht aber auch Erkenntnisse, die zu gewinnen sich vielleicht marktwirtschaftlich zunächst nicht rechnet. Die Grundausstattung der Hochschulen wird weiter abgesenkt. Fazit: Der Haushaltsentwurf vergibt nicht nur Bildungschancen. Er vergibt Chancen für ganz Sachsen.
gibt es nur mit uns
dennoch verfehlt, so undifferenziert zu argumentieren wie Unland. Denn „Arbeit“ ist nicht gleich „Arbeit“. 42 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten in Sachsen arbeiten zu einem Niedriglohn – doppelt so viele wie bundesweit. Überdurchschnittlich sind auch die Zahlen der Langzeitarbeitslosen, der älteren Erwerbslosen, der Hartz-IV-AufstockerInnen, der LeiharbeiterInnen und der Menschen mit Hartz-IV-Dauerbezug. Die Zahl der vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsplätze mit betrieblicher Mitbestimmung im produzierenden Gewerbe hat sich seit 1991 halbiert. Was neu entsteht, ist überwiegend prekäre Beschäftigung. Altersarmut wird vorprogrammiert. Dieses Land hat die Verpflichtung zum sozialen Ausgleich bitter nötig. Auch zwei weitere Beispiele zeigen, dass der Regierungsentwurf sozial politisch verbessert werden muss. So ist fraglich, ob die geplanten Krankenhausinvestitionen ausreichen. Schließlich muss gerade eine alternde Gesellschaft eine hochwertige Klinikversorgung sichern.
Das wird dadurch erschwert, dass die Krankenkassen seit 2015 nichts mehr zu den Klinik-Investitionen beisteuern. Im Doppelhaushalt sind nun 130 Millionen Euro für 2015 und 120 Millionen Euro für 2016 eingeplant. Damit lassen sich zwar die weggefallenen Kassenmittel ausgleichen, allerdings bleiben die Zuschüsse immer noch unter dem Bedarf, den die Sächsische Krankenhausgesellschaft auf 234 Millionen Euro jährlich beziffert. Auch bei der Schaffung einer inklusiven Gesellschaft mit umfassender Barrierefreiheit – zweites Beispiel – besteht Nachholbedarf. Allerdings wird der Etat-Entwurf der Regierung bisher weder den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention noch dem Ziel Barrierefreiheit gerecht. Mit den geplanten drei Milliönchen werden sich keine barrierefreien öffentlichen Gebäude schaffen lassen. Wir LINKE halten nicht nur die diversen Millionärs-Schonprogramme der CDU- und SPD-Bundesregierungen für verfehlt. Wir werden auch beim Landeshaushalt darauf achten, dass er dem sozialen Ausgleich dient!
Februar 2015
PARLAMENTSREPORT
Seite 3
Baustelle Polizei und Justiz:
Notstand wird nicht beseitigt Im Zusammenhang mit Protesten gegen „LEGIDA“ war er wieder in aller Munde: der Personalmangel bei der sächsischen Polizei. Wegen ihm wurde sogar die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt – das bleibt unabhängig davon, wie die dann verbreiteten Ansichten zu bewerten gewesen wären, inakzeptabel. Aber auch abseits solcher großen Einsätze schwindet die Präsenz der Polizei, Streifen brauchen immer länger bis zum Einsatzort. Große Hoffnungen galten daher dem Koalitionsvertrag, der Besserung versprach. Der Haushaltsentwurf zeigt nun, wie wenig davon übrig ist. So gelobt die Koalition, künftig pro Jahr etwas mehr Polizei-Nachwuchskräfte einzustellen – ganze 400. Schon diese Mini-Umkehr der CDU-Innenpolitik bedurfte jahrelanger Proteste. Allerdings werden bis 2025 jedes Jahr bis zu 650 Beamte altersbedingt ausscheiden, der Einstellungskorridor ist also weiterhin zu schmal. So schrumpft Sachsens Polizei weiter vor sich hin, die von der CDU
geschaffene Lücke beim PolizeiPersonal bleibt. Bestenfalls kann verhindert werden, dass sie größer wird. Dabei ist längst erwiesen: Mit jedem aufgegebenen Polizei-Standort in der Fläche steigt die Kriminalität. Eine wirkliche Zukunftsinvestition wäre ein sofortiger Stopp des Stellenabbaus, damit wenigstens die Altersabgänge ausgeglichen werden können. Anstelle von Werbekampagnen („Verdächtig gute Jobs!“) sollte der Polizeiberuf durch verbesserte Besoldung, Ausrüstung und Arbeitsbedingungen aufgewertet werden. Der Personalmangel bei der Polizei ist aber nicht das einzige sicherheitspolitische Problem, das der schwarz-rote Haushalt nur halbherzig anpackt. Erst kürzlich wurde ein Hilferuf der Generalstaatsanwälte laut, wonach Sachsens Justiz mit der Auswertung von Beweismitteln nicht hinterherkommt. Die kriminaltechnischen Institute in Sachsen sind zu schlecht ausgestattet und haben zu wenig Personal, ihre alternde Technik erlaubt keine opti-
male und schnelle Verfolgung etwa von Internet-Kriminalität. Hinzu kommen überlange Verfahrensdauern an den Gerichten, insbesondere an den Verwaltungsgerichten. Auch
hier wird nur zögerlich gehandelt: 36 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte vorrangig für die Staatsanwaltschaften und Sozialgerichte, einhundert Spezialisten für Internet-Kriminalität und ganze zwei neue Verwaltungsrichter sollen für reibungslose und schnellere Verfahren sorgen. Das kann mit so wenigen Stellen allerdings kaum gelingen, zumal die Besoldungs- und Entlohnungsstrukturen die benötigten Experten eher nicht anlocken werden. So bleibt der Haushaltsplan 2015/2016 für den gesamten Bereich der Justiz nur ein finanzpolitischer Feuerwehreinsatz: An Stellen, wo es so laut knirscht, dass es kaum zu ignorieren ist, wird etwas mehr Geld investiert. Auch das sind allerdings nur Symptom-Kuren, Missstände werden nicht an der Wurzel gepackt. Das wäre aber notwendig – im Interesse der öffentlichen Sicherheit in Sachsen und nicht zuletzt von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit.
Baustelle Kommunen: Überforderung
nicht nur bei der Flüchtlingsunterbringung Ein erklecklicher Teil des Geldes, um das bei Haushaltsverhandlungen gestritten wird, landet über das Finanzausgleichsgesetz bei den Kommunen. Kreise, Städte und Gemeinden erbringen Leistungen, die für unser aller Leben wichtig sind: Energie- und Wasserversorgung, Nahverkehr, Schulwesen, Abfallentsorgung, Kultur und vieles mehr. Das fällt ihnen immer schwerer, weil der Freistaat seine Kommunen karg ausstattet. Ihre Aufgabenpalette ist stetig breiter geworden, die Einnahmen wachsen aber nicht entsprechend mit. Deshalb machen Bibliotheken, Schwimmbäder oder Jugendklubs dicht. Gleichzeitig häuft der Finanzminister Jahr für Jahr dreistellige Millionenüberschüsse an. Dabei sollten die Kommunen an den Rücklagen des Freistaates beteiligt werden. Beispielsweise könnten sie eine jährliche Investitionspauschale von 100 Millionen Euro bekommen, damit sie ihre zum Teil marode Infrastruktur in Ordnung bringen können. Davon findet sich aber nichts im Haushaltsentwurf der Regierung, der hinsichtlich der Kommunalfinanzen hinter den Erwartungen zurückbleibt. Beispiel 1: Sportanlagen. Der Breitensport und die Vereinslandschaft stärken nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Zusammen-
halt. Das ist gerade in Zeiten von „PEGIDA“ wichtig. Dennoch gibt es bei Turnhallen oder Fußballplätzen einen Investitionsstau, den der Landessportbund auf eine dreistellige Millionensumme taxiert. Die Sportstättenförderung soll aber quasi halbiert werden. Schlechte Nachrichten für die Kommunen, denn ihnen fehlen Mittel zum Bau und zur Unterhaltung der Anlagen. Dabei sagt der Koalitionsvertrag: „Wir wollen dafür sorgen, dass auch in Zukunft Jeder und Jedem flächendeckend attraktive Sportstätten zur Verfügung stehen“. Beispiel 2: die Jugendpauschale. Mit ihr unter-
stützt der Freistaat die Landkreise und kreisfreien Städte bei der örtlichen Jugendhilfe: Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinderund Jugendschutz und so weiter. So erhielt etwa die Stadt Dresden im Jahr 2014 mehr als 1,5 Millionen Euro. Es leuchtet ein, dass solche Angebote für die jungen Menschen wichtig sind, nicht nur für die Freizeitgestaltung. Allerdings gilt auch bei der Jugendpauschale die Devise „Vorwärts in die Vergangenheit, aber nur den halben Weg“: 2010 wurde sie von 14,30 Euro pro Kind auf 10,40 Euro gekürzt, nun will man bei 12,40 Euro hängen bleiben. Beispiel 3: Probleme bei der
Unterbringung von Asylsuchenden. Ob Kamenz, Meißen oder Schneeberg: Überall wird von chaotischen Zuständen in den Unterkünften geredet. Turnhallen müssen als Notquartier herhalten, Menschen werden zusammengepfercht, die hygienischen Bedingungen sind oft katastrophal. Dabei stehen viele tausende Wohnungen in Sachsen leer. Die Kommunen brauchen schnell mehr Geld, um diesen Wohnraum nutzbar machen und eine menschenwürdige Unterbringung organisieren zu können. Der Not-Zuschuss von zehn Millionen Euro, den die Staatsregierung nun gewährt, reicht bei ständig steigenden Flüchtlingszahlen nicht aus. Der Haushalt muss dafür sorgen, dass die Kommunen dauerhaft in Unterkünfte investieren können! Außerdem sind mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter notwendig, um die oft traumatisierten Flüchtlinge zu betreuen. Der Haushaltsentwurf verspricht für 2015 insgesamt vier Millionen, für 2016 sieben Millionen, um die Kommunen dabei zu unterstützen. Diese Beträge sind lächerlich: Allein die Stadt Leipzig veranschlagt für diese Aufgabe 2015 2,4 Millionen Euro. Nicht zuletzt das Chaos bei der Flüchtlingsunterbringung zeigt: Sachsens Kommunen müssen durch höhere Zuschüsse endlich wieder Luft zum Atmen bekommen!
Seite 4
PARLAMENTSREPORT
Februar 2015
Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt Wer den Film „Schindlers Liste“ gesehen hat, erinnert sich sicher an die bewegende Schlussszene. Der Unternehmer bekommt von seinen jüdischen Arbeitern, die er vor der Vernichtung rettete, ein besonderes Dankesgeschenk. In den Ring, gegossen aus Zahngold, das einer der „Schindler-Juden“ beisteuerte, ist eingraviert: „Wer nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“. Dieser Satz steht in seiner Langfassung – „Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte“ – sowohl im babylonischen Talmud, Traktat Sanhedrin 37a, als auch im Koran (Sure 5:32). Er ist zugleich das Motto eines Zeitzeugen-Erinnerungsprojektes mit dazugehöriger Ausstellung, das vom Jüdischen FrauenVerein Dresden e. V. verantwortet wird und das anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz auf unserer Fraktionsetage gastierte. Es portraitiert zehn Frauen, die sich während der Nazi-Zeit für die Rettung ihrer verfolgten jüdischen Mit-
bürger einsetzten und dabei ihr eigenes Leben riskierten. Geschildert wird beispielsweise das Schicksal von Herta und Kurt Fuchs aus Oberpoyritz bei Dresden. Im Frühjahr 1945 klopften die drei polnischen Juden Josef Szwajcer, Abramek Sztajer und Roman Halter, erst 17 Jahre alt, an ihre Tür. Sie hatten in einem Zwangsarbeiterlager in Dresden, Schandauer Straße 68, Munition herstellen müssen und waren nach dem Bombenangriff auf einen Todesmarsch geschickt worden, von dem sie fliehen konnten. Es blieb nicht unbemerkt, dass das Ehepaar Fuchs ihnen Unterschlupf gewährte. Am 12. Mai 1945, vier Tage nach dem Ende des Krieges, wurden Kurt Fuchs und Josef Szwajcer mitten im Dorf erschossen, wohl von „zurückflutenden SS-Leuten“, wie Herta Fuchs später angab. Der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Rico Gebhardt, dankte dem Verein in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung und erinnerte an den Jahrestag der Auschwitz-Befreiung: „Den Soldaten der Roten Armee, ja der ganzen Welt wurde gewahr, was bis dahin nur die Opfer und die Täter des Holocaust wussten – und nur wenige Menschen ahnten: Die ganze Dimension des Grauens, der Barbarei und der Unmenschlichkeit, die mit dem Völkermord im Namen des deutschen Volkes an den europäischen Juden nicht nur in Auschwitz, aber vor allem dort geschah. Keiner der hierfür geprägten Begriffe wie Genozid, Völkermord, Holocaust, Judenvernichtung u.a. vermögen dieses Ausmaß von Schuld und Entmensch-
lichung, Gewalt und Erniedrigung, Schmerz und Verlust, Trauer und Leid widerzugeben. Es sind vor allem die Bilder, die wir beispielsweise seit dem Besuch der KZ-Gedenkstätten oder nach einem Dokumentarfilm in unserem Kopf haben, von Leichenbergen, von Folterkellern, von medizinischen Versuchen, von Verbrennungsöfen, die Berge von Brillen, Schuhen, Haaren … Bilder, die uns zutiefst erschütterten, die wir nicht wieder loswerden und die immer vor unseren Augen stehen, wenn das Wort Auschwitz fällt“. Es werde in diesen Tagen häufig der drohende Untergang des Abendlandes beschworen. „Auschwitz ist für alle Zeiten Mahnmal des absoluten Kollapses aller sogenannter abendländischer Werte, des vollständigen Zusammenbruchs abendländischer Zivilisation“. Gebhardt verwies auch auf die israelische Gedenkstätte Yad Vashem,
die den Opfern des Holocaust ein Denkmal setzt, und auf den „Garten der Gerechten unter den Völkern“. Letzterer erinnert an all die mutigen Menschen, die größte Gefahren auf sich nahmen, um ihre jüdischen Nachbarn oder geflohene jüdische Zwangsarbeiter vor dem sicheren Tod zu bewahren. Die Liste der „Gerechten unter den Völkern“ enthält auch etwa dreihundert deutsche Namen, die sämtlich die Schutzbehauptung widerlegten, der Einzelne habe nichts gegen die staatliche Judenvernichtung tun können. Im Gegenteil – Gebhardt: „Es kommt immer auf jeden Einzelnen an“. Möge die Erinnerung wachbleiben – an die Opfer, aber auch an jene, die sich für deren Schutz einsetzten: die zehn Frauen, zahlreiche andere Bürgerinnen und Bürger, und auch – Oskar Schindler und seine Frau Emilie.
rellen Erbe, von der Stadt Meißen, von Identität sowie der 300jährigen Tradition der Meißner Porzellan-Manufaktur, sondern Möbel, Kleider, Kissen, Schals, Ringe, Füllfederhalter, Decken, Schneiderbürsten, und diese großenteils produziert im Ausland. Selbst das Markenzeichen, die sich kreuzenden Schwerter, werden im Ausland aufgedruckt. DAS ist kulturloser, flegelhafter Umgang, nicht meine Anfrage.
Dr. Reinhard Fichte (Sprecher der Bürgerinitiative „Manu in Gefahr“) schrieb in einem Leserbrief an die Sächsische Zeitung: „Gut und richtig, dass Herr Sodann als Abgeordneter des Landtages diese Fragwürdigkeiten ungeschminkt beim Namen nennt. Damit beleidigt er nicht die Manufakturisten, wie es der christliche Demokrat Herr Michel benennt. Nein, er hält mit seinen Worten die schützende Hand über die Künstler und Mitarbeiter“. Genau so habe ich es gemeint. Franz Sodann, MdL
Intershop für Nippes So schnell kann es gehen, und man gehört aus Sicht der CDU nicht mehr zum erlauchten Kreis der hoffähigen Opposition, sondern zu den lästigen Quertreibern. Auf der Tagesordnung der 7. Plenarsitzung stand die Fragestunde an die Minister. Unsere Fraktion hatte die Kredite für den Staatsbetrieb, zur Zukunftsstrategie und zum Erhalt der Meissner PorzellanManufaktur als kulturelles Erbe auf die Tagesordnung gesetzt. Meine erste Frage an den Minister für Finanzen, Georg Unland, lautete denn auch: „Sie stellen in Ihren Pressemitteilungen immer wieder die Wahrung, Pflege und Förderung des bedeutsamen Kulturgutes der staatlichen Porzellan-Manufaktur Meißen und deren Identität über die Region hinaus – hört man Meißen, denkt man an Meißner Porzellan – in den Vordergrund. Wie können Sie es vor diesem Hintergrund verantworten, dass aus einem derart wichtigen Kulturgut ein Intershop für Nippes für neureiche Kleinbürger gemacht wird?“ Die Antwort des Ministers war knapp und beschränkte sich auf die Worte: „Das ist eine böswillige Frage, welche ich nicht beantworte“. Der CDU-Abgeordnete Jens Michel fühlte sich daraufhin bemüßigt, eine
Pressemitteilung zu verfassen, Zitat: „Besonders befremdet mich aber ... mit welcher Abschätzigkeit sich Herr Sodann über die Arbeit der Beschäftigten der Porzellanmanufaktur geäußert hat. ... Der Sächsische Landtag ist kein Ort für flegelhaftes Benehmen“. Meine Frage war aber ernst gemeint. Wagen Sie doch einmal einen Blick auf www.meissen.com: Da wird geredet von Meißen Couture 1710. Und kaum ein Wort vom kultu-
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig
Kommunal-Info 2/2015
Seite 3
Demographische Entwicklung und Wohnen Handlungsbedarf für Umbau Arbeitsgruppe „Altersgerechter Umbau im Quartier“ nimmt seine Arbeit auf „Wir brauchen dringend mehr Engagement für den altersgerechten Umbau von Wohnungen“, erklärte Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW anlässlich der Auftaktsitzung der Arbeitsgruppe „Altersgerechter Umbau im Quartier“ des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen des Bundesbauministeriums. Bereits bis zum Jahr 2020 würden nach Studien etwa drei Millionen altersgerechte Wohnungen benötigt das sei mehr als das Vierfache des heutigen Bestandes. Daher sei es dringend geboten, das Engagement der Bundesregierung bei der Finanzierung des altersgerechten Umbaus auszuweiten und zu verstetigen. „Es werden unbedingt weitere Programmmittel benötigt“, so Esser. Die Wohnungswirtschaft will Vorreiter sein, wenn es darum geht, älteren Menschen oder Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. So sollen 2013 rund 350.000 von rund sechs Millionen GdW-Wohnungen einen barrierearmen oder barrierefreien Standard aufgewiesen haben. Das wären 6% aller GdW-Wohnungen. Bundesweit seien dagegen nur etwa 1,75% - rund 700.000 Wohnungen - altersgerecht ausgestattet. Zudem böten GdW-Unternehmen häufig
spezielle Dienstleistungen und Pflegeangebote für ältere Menschen an, die zunehmend durch neue technische Assistenzsysteme ergänzt würden. Angesichts der dynamischen Entwicklung der Zahl der Pflegebedürftigen und einer Verdreifachung der Zahl der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2050 auf gut zehn Millionen Menschen herrscht großer Handlungsbedarf. „Wir brauchen deutlich mehr barrierearme Wohnungen“, erklärte Esser. Diese Herausforderungen müssen überwiegend über Bestandsanpassungen realisiert werden. Erforderlich seien Schwellenreduzierungen, Badumbauten sowie zunehmend technische Systeme als praktische Alltagsunterstützung. Studien zufolge betrage allein der Mehraufwand, um einen altersgerechten Wohnstandard für mobilitätseingeschränkte ältere Menschen zu erreichen, durchschnittlich 7.200 Euro pro Wohnung. „Es muss einen Masterplan ,Wohnen für ein langes Leben’ geben - und zwar auch für jede einzelne Kommune“, forderte Esser. Zentraler Bestandteil eines solches Masterplans müsse die finanzielle Unterstützung kommunaler Demografiekonzepte sein. Denn auch die kommunale Infrastruktur - also Straßen, Verkehr, öffentliche Gebäude und Dienstleistungen - müsse ergänzend zum Programm „Barrierearme Stadt“ angepasst werden. Der Quartiersbezug spiele dabei eine zentrale Rolle... (www.baulinks.de, 23.2.2015)
Einfamilienhaus in der Krise? Unter Leitung des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR) untersucht ein Netzwerk aus deutschen und internationalen Partnern drei Jahre lang Entwicklungen in einem der wichtigsten Immobilienmarktsegmente. In vielen Ländern gilt es als das Wohnideal schlechthin – das Einfamilienhaus. In Deutschland machen Einfamilienhäuser zwei Drittel aller Wohngebäude aus. Mehr als die Hälfte aller Europäer lebte 2011 in einem solchen und auch in Japan und den USA gibt es mehr Einfamilienhäuser als andere Wohnungen. Doch die Zukunft dieses Immobilienmarktsegmentes ist ungewiss. Mit Wirtschafts- und Finanzkrisen, demografischem Wandel, veränderten Familienkonstellationen und Nutzungsansprüchen ändern sich auch die Wohnbedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten der Menschen. Diese Entwicklungen stellen den Immobilienmarkt, insbesondere das Segment der Einfamilienhäuser, langfristig vor besondere Herausforderungen. Was passiert zum Beispiel, wenn die Zahl der Haushalte abnimmt, sich Familienstrukturen ändern, wenn es statt traditioneller Kernfamilien immer mehr Single-Haushalte gibt? Was bedeutet es, wenn junge Leute auf dem Arbeitsmarkt flexibel sein und häufig den Wohnort wechseln müssen? Wie wirkt sich ein Preisverfall am Immo-
bilienmarkt aus, der einerseits dazu führt, dass sich das Wohneigentum als wichtiger Teil der Altersvorsorge nicht mehr rechnet. Der aber andererseits begünstigt, dass sich auch Menschen ein Haus kaufen können, deren Einkommen bisher dafür nicht ausreichte? Wie entwickeln sich Gebiete, in denen viele Einfamilienhäuser bereits leer stehen? Und was bedeutet dies für die Kommunen, die einerseits auf Gebühren für Müllabfuhr oder Straßenbau sitzen bleiben und außerdem an Attraktivität verlieren? Welche Auswirkungen ergeben sich mit Blick auf Flächennutzung, Energieverbrauch und Bautätigkeit? Die Wissenschaftler wollen aufzeigen, welche traditionellen und neuen Nutzergruppen es für Einfamilienhäuser gibt und wie sich ihre Struktur und ihre Ansprüche an den Wohnraum künftig entwickeln werden. Außerdem soll deutlich werden, welche Auswirkungen der Wandel auf Nutzerseite für den Bestand an Einfamilienhäusern, die Preisentwicklung und auch die Höhe des Leerstandes haben könnte. Damit verbunden ist die Frage, welche Herausforderung die Entwicklung im Einfamilienhaussektor für Kommunen und die Siedlungsentwicklung allgemein mit sich bringt und welche Ressourcen aufgewendet werden müssen. Mögliche Entwicklungsszenarien für Kommunen sollen erarbeitet werden. (www.ioer.de)
Metastudie demografische Entwicklung Metastudie zur demografischen Entwicklung und zum Wohnen im Alter Das Institut für Bauforschung hat im Auftrag des Bauherren-Schutzbunds im Rahmen einer Metastudie 14 wissenschaftliche Untersuchungen auf der Basis konkreter Kriterien zum demografischen Wandel und deren Auswirkungen auf das Wohnen und den künftigen Wohnbedarf vergleichend gegenübergestellt. Der Fokus der Analyse liegt auf den selbstnutzenden Eigentümern, die mit 15,6 Millionen Wohnungen 40 Prozent des Wohnungsmarktes repräsentieren. Als zentrales Ergebnis kommt die Studie zu der Erkenntnis, dass mit einer erheblichen Versorgungslücke an barrierefreien bzw. altersgerechten Wohnungsangeboten für die nächsten 15 bis 20 Jahre zu rechnen ist. 2025 werden demnach mindestens zwei Millionen seniorengerechte neue Wohnungen gebraucht. Das heißt, dass bis dahin pro Jahr mindestens 100.000 solcher Wohnungen geschaffen werden müssen. Derzeit bewohnen 93 Prozent der knapp 12,5 Millionen Seniorenhaushalte Wohnungen, die nicht speziell auf die Wohnbedürfnisse älterer Menschen ausgerichtet sind. Dazu gehören vor allem Häuser, die vor dem Zweiten Weltkrieg oder in den 50er und 60er Jahren errichtet wurden. Diese weisen in der Regel zahlreiche Hindernisse und Barrieren auf. Lediglich 570.000 Wohnungen sollen die Anforderungen an barrierefreies oder barrierereduziertes Wohnen erfüllen. Die Metastudie zeigt weiter, dass der Begriff des barrierefreien Wohnens das komplexe Thema Wohnen im Alter nur unzureichend beschreibt. Relevant seien neben neuen Wohn- und Betreuungsformen die Infrastruktur, das soziale Umfeld und die Pflege. Problematisch ist die gegenläufige Entwicklung von Einkommen und Wohnkosten samt zusätzlicher Pflege- und Servicekosten, die zu einer Verschlechterung der Lebenssituation älterer Menschen führt. Diese Schere bewirkt u.a., dass ältere Eigentümer nur bedingt in die Anpassung ihrer Wohnung investieren können. Auch der laufende Unterhalt eines Einfamilienhauses, das in der Regel einst für
eine größere Familie konzipiert war, gestaltet sich so immer schwieriger. Wurden Immobilien bei Eintritt in den Ruhestand noch einmal saniert, werden dann die Ausgaben für die Instandhaltung zurückgefahren. Deshalb ist ein Großteil der geerbten oder gebraucht gekauften Immobilien sanierungsbedürftig. Hinzu kommt, dass in Regionen, die von Alterung und Abwanderung besonders betroffen sind, der Immobilienbesitz als Wertanlage oder Alterssicherung seine Funktion verliert, da Sach- und Verkehrswerte zunehmend auseinanderfallen.
Fazit Wohnen im Alter bedeutet, die gesamte Lebenswelt der älteren Menschen in den Blick zu nehmen. Ein ganzheitliches Verständnis ist notwendig. Die Aufgabe besteht nun darin, differenzierte, mittel- und langfristige gesamtgesellschaftliche Handlungsansätze zu erarbeiten. Dabei können die in der Metastudie zusammengefassten, wissenschaftlich bewerteten Erkenntnisse wichtige Impulse für politische Entscheidungen und aktives Handeln geben. Der demografische Wandel muss angenommen werden, damit gutes Leben im Alter für alle möglich und bezahlbar wird. Auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung gibt der Koalitionsvertrag keine befriedigenden Antworten“, betont Peter Mauel, 1. Vorsitzender des BSB. „Hier besteht weiterhin für Bund und Länder ein akuter Handlungsbedarf.“ Kriterien der Auswertung waren unter anderem Entwicklung und Tendenzen des Wohnungsmarktes, der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum, die Bezahlbarkeit von Wohnen und Wohneigentum, das selbstgenutzte Wohneigentum als private Altersvorsorge, dessen Förderung und Erhalt sowie die Entwicklung im ländlichen Raum. Metastudie zum Herunterladen: www.bsb-ev.de/analysen_und_studien/
Kommunal-Info 2/2015
Seite 4
Flüchtlinge unterbringen nach BauGB Von Konrad Heinze, Chemnitz Das „FlüchtlingsunterbringungsMaßnahmengesetz“ ist die zweite Baugesetzbuch-Novelle (BauGB-Novelle 2014 II) des Jahres 2014. Von der Einbringung des Gesetzesentwurf im Bundesrat bis zum Inkrafttreten am 26.11.2014 vergingen kaum mehr als zwei Monate. Angesichts des noch jungen Datums fehlt es an Beispielen aktueller Rechtsprechung, daher dienen zwei Fachaufsätze als Basis der folgenden Betrachtung. Grundsätzlich ist das „Maßnahmengesetz“ in das BauGB integriert, gilt also unabhängig von umsetzenden Landesgesetzen unmittelbar. In das Dauerrecht aufgenommen wurde die Erweiterung des Katalogs städtebaulicher Belange nach § 1 Abs. 6 BauGB um die Nr. 13, „Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihre Unterbringung“. Weiterhin ist § 31 Abs. 2 Nr. 1 neu gefasst: „ Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern“. Beide Neuregelungen sind von klarstellendem Charakter und verweisen auf die Notwendigkeit und das besondere Interesse der Berücksichtigung in kommenden Bauleitplanungen bzw. die Berechtigung der Befreiung von vorhandenen B-Plänen. Befristet bis 2019 gelten die eingefügten Abs. 8, 9, 10 des § 246 BauGB.
derartige Vorhaben. Weiterhin gelten die entsprechenden umweltrechtlichen Bestimmungen, insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). Nun erlaubt die gesetzliche Änderung Flexibilität, so verweist aber Scheidler insbesondere auf die Beteiligungsrechte der Gemeinde und die Notwendigkeit des Einvernehmens gemäß § 36 BauGB. Insgesamt ist im Hinblick auf die geplante Investitionspauschale im Haushaltsentwurf der Staatsregierung zu bedenken, dass eventuell umgenutzte Einrichtungen weit länger bestehen werden, als die zugehörige Gesetzesänderung. Zumal eine „wohnähnliche Nutzung“ nicht ohne weiteres in eine allgemeine Wohnnutzung zu überführen ist. Weiterhin wäre auch die Signalwirkung zu beachten, wenn Asylsuchende aufgrund der genannten Erleichterung „vor den Toren der Stadt“ und außerhalb der Gesellschaft untergebracht werden sollen. Abs. 8 beinhaltet die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie deren Erweiterung, Änderung, Erneuerung zum Zwecke der Unterbringung Asylsuchender. In Verbindung mit § 34 Abs. 3a entsteht ein Befreiungstatbestand als Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung, insofern diese Abweichung städtebaulich vertretbar ist. Abs. 9 erleichtert die Zulassung der
Unterbringung im Außenbereich, da diese in Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 BauGB als teilweise privilegierte Vorhaben gelten. Die einengende Voraussetzung „innerhalb des Siedlungsbereichs“ ist jedoch interpretationsfähig. Abs. 10 soll die Unterbringung von Asylsuchenden in Gewerbegebieten ermöglichen, ist jedoch mit einigen Schranken versehen. Sind etwa im B-Plan Anlagen für soziale Zwecke ausgeschlossen, erübrigen sich
1
Vgl. Krautzberger/Stüer: BauGB-Novelle 2014 II. Erleichterte Unterbringung von Flüchtlingen , in: DVBL 2 (2015), S. 73-79 und Scheidler: BauGB-Änderung II – das Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetz, in: APF 2 (2015), S. 33-37. 2 Vgl. Krautzberger/Stüer, S. 76 und Scheidler, S. 34. 3 Vgl. Scheidler, S. 37.
Städtetag engagiert sich für Flüchtlinge Spitzengremien des Deutschen Städtetages berieten in Berlin. Städte engagieren sich für Integration von Flüchtlingen – Akzeptanz der Bevölkerung aufrecht erhalten Die deutschen Städte sind bereit, in diesem Jahr weitere Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber aufzunehmen und ihre dauerhafte Integration in die Gesellschaft tatkräftig zu unterstützen. Gleichzeitig wollen die Städte aktiv dazu beitragen, die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Toleranz gegenüber Flüchtlingen aufrecht zu erhalten, die sich in den vergangenen Monaten vielfach gezeigt haben. Das machte der Präsident des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, nach den Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Deutschen Städtetags in Berlin deutlich. Der kommunale Spitzenverband appellierte an die Länder, dafür zu sorgen, dass die Mittel des Bundes von jeweils 500 Millionen Euro in den Jahren 2015 und 2016 für die Flüchtlingsversorgung auch vollständig den Kommunen zugute kommen. Vom Bund erwarten die Städte, dass er sich auf Dauer an der Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligt. Städtetagspräsident Maly erklärte: „Viele Menschen, die vor Krieg oder politischer Verfolgung zu uns geflohen sind und noch kommen werden, blei-
ben länger bei uns. Die Städte haben deshalb neben der Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung damit begonnen, für die neu angekommenen Menschen Integrationsarbeit zu leisten, also bei der Wohnungssuche behilflich zu sein, Schulunterricht, Sprachkurse und Kindergartenplätze anzubieten, bei der Anerkennung von Qualifikationen und der Vermittlung in Arbeit zu helfen und die gesellschaftliche Integration voranzutreiben. Das ist nicht einfach zu organisieren, muss aber gerade in diesem Jahr angepackt und von allen wichtigen Kräften unserer Gesellschaft unterstützt werden.“ Als Herausforderung für das Jahr 2015 sehen die Städte auch das Werben für Akzeptanz in der Bevölkerung. „Vielerorts gibt es umfangreiche Hilfsangebote aus der Bürgerschaft und treffen sich Runde Tische, um Spenden und Beratungsleistungen für Flüchtlinge zu organisieren. Die Solidarität ist sichtbar. Aber es gibt auch immer wieder Proteste, wenn neue Standorte für Asylbewerberunterkünfte diskutiert werden. Da geht es um Einstellungen und die in jeder Gesellschaft vorhandene Angst vor dem Fremden. Jetzt kommt es darauf an, die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft zu pflegen, über ihre Grundlagen auch öffentlich zu sprechen und Ängste abzubauen. Dazu sind alle mo-
ralischen Instanzen, wie Kirchen und Religionsgemeinschaften, Parteien, Gewerkschaften und politische Repräsentanten gefragt“, machte Maly deutlich. Er warb gleichzeitig dafür, Flüchtlinge zu respektieren und vor Fremdenfeindlichkeit zu schützen: Die deutschen Städte stehen ein für Toleranz und eine menschliche, weltoffene Gesellschaft, die die Grundrechte achtet. Die Städte wenden sich gegen jede Form der Fremdenfeindlichkeit, der Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe und des Rassismus. Meinungsfreiheit sei zu achten, dürfe aber nicht in Intoleranz oder das Schüren von Ängsten gegenüber Menschen anderer Nationalitäten umschlagen. Um Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft zu erreichen, brauche es menschliche und finanzielle Ressourcen. Deshalb sei es unverzichtbar, dass die Länder die Bundesmittel zur Flüchtlingsversorgung vollständig an die Kommunen weiterreichen, was zum Teil nicht der Fall sei: Außerdem seien die Kommunen darauf angewiesen, dass ihnen die Länder mit dauerhafter Unterstützung des Bundes ihre Ausgaben für Unterbringung, Gesundheitsversorgung und soziale Leistungen für Asylbewerber in vollem Umfang erstatten. Die Kommunen wollen sich bei der
Unterbringung von Flüchtlingen besonders auf anerkannte Asylbewerber, Geduldete und Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention konzentrieren können. Im vergangenen Jahr haben rund 203.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt, das ist der höchste Wert seit 1995. Ende Januar waren insgesamt 178.000 Asylverfahren anhängig, also noch nicht entschieden. Deshalb sei es dringender denn je, dass der Bund das Personal zur zügigen Bearbeitung von Asylanträgen weiter aufstocke. Der Deutsche Städtetag begrüßt in diesem Zusammenhang die Verabredung zwischen Bund und Innenministern der Länder, die Asylverfahren für die derzeit stark steigende Anzahl von Asylbewerbern aus dem Kosovo zu verkürzen und dafür mehr Personal in den Erstaufnahmeeinrichtungen der vom Zuzug besonders betroffenen Länder (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen) einzusetzen. Allerdings könnten die Ursachen für den Flüchtlingsstrom nur im Kosovo selbst bekämpft werden. „Die Probleme müssten da gelöst werden, wo sie entstehen, damit nicht immer mehr Menschen ihrer Heimat Kosovo den Rücken kehren. (Dt. Städtetag, 26.02.2015)
Seite 5
03/2015 Sachsens Linke!
Jugend
Ahoi ihr da draußen! Ich bin Marie Wendland und seit 01.01.2015 die Jugendkoordinatorin der Linkjugend Sachsen. Für alle, die mich noch nicht kennen, ein paar Details zu mir. In Leipzig geboren und aufgewachsen, kam 2008 zur Linksjugend und bin seit 2009 Mitglied im Beauftragtenrat (seit November auch Schatzmeisterin) und vor allem landesweit organisiert. 2011 verschlug es mich nach Dresden, seitdem wohne und lebe ich hier. Wenn ich nicht hinter meinem Schreibtisch sitze, in Sachsen unterwegs bin oder die nächste Veranstaltung vorbereite, verstecke ich mich leidenschaftlich gerne mit einem guten Buch wahlweise auch mit einem kitschigen Liebesfilm in meinem Bett oder bin an der frischen Luft unterwegs. Durch die mittlerweile schon circa fünf Jahre im Beauftragtenrat und die dort gesammelten Erfahrungen kenne ich den Jugendverband gut. Im letzten Jahr habe ich als Wahlkampf-
managerin der Linksjugend gemeinsam mit vielen anderen Köpfen eine großartige Kampagne mit dem Titel „Alles was wir wollen ist diese Regierung stürzen …“ entwickelt. Gerade im Jugendwahlkampf und in Verbindung mit dieser weit ausstrahlenden Kampagne ist mir bewusst geworden, wie viel tolle Ideen, Engagement und Kraft wir als Jugendverband haben, um die Gesellschaft zu verändern. Wir streiten als emanzipatorischer Jugendverband für eine Welt ohne Rassismus, Antisemitismus und Sexismus. Als Jugendkoordinatorin möchte ich dazu beitragen, dass das politische Wirken der Linksjugend Sachsen weiter wächst und intensiver wird. Ich möchte den Landesverband strukturell unterstützen. Ich will dafür sorgen, dass der Laden läuft, Treffen stattfinden können und der bestmögliche Raum geschaffen wird, in dem neue und tolle Ideen wachsen können. Ich möchte mit anderen Leuten zusammen organisieren, veranstalten, planen und koordinieren, denn ich bin überzeugt, wir haben noch Großes vor uns.
Vernetzungstreffen für junge Kommunalpolitiker*innen
Termine
Gestatten: Marie, neue Jugendkoordinatorin
Nach den letzten Kommunalwahlen sitzen für DIE LINKE wieder mehr als 1.000 Menschen in den „kommunalen Vertretungskörperschaften“ Sachsens – also in Gemeinderäten, Kreistagen, Stadträten und dergleichen mehr. Dabei haben 2014 nicht nur viele junge Menschen in ihren Kommunen für ein Mandat kandidiert, sondern viele sind glücklicherweise auch tatsächlich gewählt worden. Damit man mit seinen Ideen, Erfahrungen, Fragen, Problemen und Erfolgen nicht alleine ist, möchten wir alle jungen,
linken kommunalpolitischen Aktiven und Interessierten zu einem Vernetzungs- und Austauschtreffen einladen. Wann, Wo & Währung Das Treffen findet statt am Sonntag, dem 29. März 2015 in der Jugendherberge Chemnitz 1 (Getreidemarkt, 09111 Chemnitz) und dauert von 11:00 bis 18:15 Uhr. Die Teilnahme kostet Dich nichts und die Fahrtkosten können in Euro bei uns abgerechnet werden. Am Freitag und Samstag vorher findet am gleichen Ort übrigens die Vollversammlung
der linksjugend [´solid] Sachsen statt, so dass du beides einfach kombinieren kannst. An wen richtet sich das Angebot? Junge und linke Kommunalpolitiker*innen unter 35 Jahre. Dabei ist es egal, ob Du in einem Gemeinderat, Stadtrat, Kreistag, Ortschaftsrat, einem Ausschuss oder Beirat sitzt. Auch Menschen, die (noch) kein Mandat haben, sich aber vorstellen können, mal irgendwann kommunalpolitisch etwas zu reißen, sind eingeladen.
Anreise, Unterkunft und Verpflegung Nach Chemnitz kommst Du mit dem Bus, dem Zug, dem Auto oder dem Fahrrad. Der Veranstaltungsort ist direkt im Zentrum und fußläufig sehr gut von der „Zentralhaltestelle“ erreichbar. Wenn Du schon am Freitag oder Samstag zur Vollversammlung der linksjugend anreist und dich dort anmeldest, bekommst du auch einen Schlafplatz in der Jugendherberge. Infos & Anmeldung auf www. linksjugend-sachsen.de
08.03.2015, 11:00 Uhr Frauenkampftag mit sächsischer Bündnisdemonstration in Leipzig. 14.03.2015, 11:00 Uhr bis 15.03.2015, 17:00 Uhr Awareness-Workshop-Wochenende der linksjugend [‚solid] Sachsen. 22.03.2015, 12:00 Uhr Dresden: Sitzung des Beauftragtenrates in der Wahlfabrik. 27.03.2015, 18:00 Uhr bis 28.03.2015 Chemnitz: Landesjugendplenum und Landesjugendtag (Vollversammlung der linksjugend [‚solid] Sachsen). 29.03.2015, 11:00 Uhr Chemnitz: Vernetzungstreffen junger, linker Kommunalpolitiker*innen. (Infos & Anmeldung: www.linksjugend-sachsen.de). 11.04.2015 –12.04.2015 Leipzig: Voraussichtlich Stadtjugendtag der linksjugend Leipzig. 11.04.2015, 12:00 Uhr Leipzig: Sitzung des Beauftragtenrates im linXXnet.
Von Freitag, dem 27.03.15, bis Samstag, den 28.03.15, finden in Chemnitz aka „Karl-MarxStadt“ aka „Stadt der Moderne“ aka „Big C-City“ das Landesjugendplenum und der Landesjugendtag der linksjugend [´solid] Sachsen statt. Das Landesjugendplenum ist die Vollversammlung der Mitglie-
der und Sympathisant*innen der linksjugend [´solid] Sachsen. Am Freitag gibt es außerdem ein Socializing-Programm und einen Krypto-Abend, bei dem ihr eure mobilen Geräte verschlüsseln könnt. Wie wichtig das sein kann, hat sich jüngst in Leipzig gezeigt, wo die Polizei nach einer Spontan-
demo 150 Handys und Smartphones beschlagnahmt hat. Was findet sonst noch statt? Kurz gesprochen (das ganze Programm und mehr Infos gibt‘s hier: http://gleft.de/ NF) beschäftigen wir uns mit PEGIDA & Co., dem anstehenden Bundeskongress von linksjugend [´solid] (und wählen un-
sere Delegierten), nominieren eine*n neue*n Jugendpolitischen Sprecher, präsentieren den Jahresplan des Beauftragtenrates und einiges mehr. Am wichtigsten ist für unsere Planung jedoch, dass ihr euch anmeldet. Wo? Wie immer unter: https://anmeldung.linksjugend-sachsen.de/
10.05.2015, 12:00 Uhr Dresden: Sitzung des Beauftragtenrates in der WahlFabrik. 17.06.2015, 08:00 Uhr Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Oswiecim. Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de
Sachsens Linke! 03/2015
Seite 6
Gleichstellung – ein Überblick Zahlenfakten Im Februar 2015 zählt der Landesverband der LINKEN insgesamt 9.096 Mitglieder, der Frauenanteil beträgt 45%. Seit dem 01.01.2014 bis jetzt sind 285 Eintritte zu verzeichnen, wobei aber nur 75 Frauen sind (26 %). Diese Zahlen sind nahezu identisch mit denen in vorangegangenen Jahren. Von dreizehn Kreisvorständen haben immer noch neun die Quotierung nicht eingehalten (2012 waren das ebenfalls neun). Fünf Frauen üben die Funktion der Kreisvorsitzenden aus, immerhin zwei mehr als noch im Jahr 2012. Die neue Fraktion besteht aus insgesamt 27 Personen, wovon 14 weiblich sind. Dem Fraktionsvorstand gehören sieben Mitglieder an, davon sind drei Frauen. Was ist zu tun? 08. März – Internationaler Frauentag In Berlin findet der Internationale Frauen*kampftag statt. Er steht für das Ringen um rechtliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Gleichstellung, sowie für Teilhabe und für ein selbstbestimmtes Leben frei von Diskriminierung und Gewalt – gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur. Mehr als 100 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauen*kampftag haben wir noch allen Grund, am 8. März auf die Straße zu gehen. Erwartungen, Stereotype und Normen zwängen uns alltäglich in geschlechtsspezifische Rollen, werten Weiblichkeit ab und Männlichkeit auf. Über die Kategorie Geschlecht wird politische und gesellschaftliche Macht ungleich verteilt und Menschen werden syste-
matisch ungleich behandelt. Nehmt an der Demo teil oder organisiert eigene Aktionen! Infos findet ihr unter www. frauenkampftag2015.de. 20. März – Equal Pay Day Der Equal Pay Day markiert symbolisch den geschlechtsspezifischen Entgeltunterschied, der laut Statistischem Bundesamt in Deutschland aktuell 22 Prozent beträgt. Umgerechnet ergeben sich daraus 79 Tage (21,6 % von 365 Tagen) und das Datum des nächsten EPD, der 20. März 2015. Angenommen, Männer und Frauen bekommen den gleichen Stundenlohn: Dann steht der Equal Pay Day für den Tag, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, während Männer schon seit dem 1.1. für ihre Arbeit bezahlt werden. Wir fordern euch auf, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Organisiert euch, macht Veranstaltungen, seid in der Öffentlichkeit präsent. Gern könnt ihr die Materialien (Postkarten „My lovely Mr. Singing Club!“ und „Starke Frau“) in der Wahlfabrik bestellen. Was noch? Für die nahe Zukunft sollten wir uns darum bemühen, bezüglich der Einhaltung der Quote konsequenter zu sein. Dies betrifft zum einen die Quotierung der Arbeitsgremien bei Parteiveranstaltungen und auch bei der Besetzung von Podien, und zum anderen die Quotierung der Kreisvorstände. Es reicht eben nicht aus, erst kurz vor der Angst – der Wahl des Kreisvorstandes – Frauen anzusprechen, die kandidieren sollen; es gilt vielmehr, Frauen langfristig in
Frauen-Friedenskampf – uraltes, immer aktuelles Thema Zum 12. Mal lobt die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA in Sachsen aus Anlass des Internationalen Frauentages am 8. März 2015 den „Lysistrata-Frauen-Friedenspreis“ aus. Bereits neun Mal konnte der Preis der pfiffigen „Heeresauflöserin“, denn das bedeutet „Lysistrata“, Name einer Titelfigur des antiken Komödiendichter Aristophanes, verliehen werden. Wir rufen deshalb auf, Vorschläge für eine Preisträgerin 2015 einzureichen. Wir suchen Frauengruppen,
Frauenprojekte und einzelne Frauen, die in der LysistrataTradition zum Frieden anstiften, zum politischen Frieden zwischen den Kontinenten, Völkern, Kulturen auf unserer Erde und zur Gewaltlosigkeit zwischen den Menschen. Die Vorschläge sind mit Begründung bis zum 30. Juni 2015 an die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA Sachsen, Kleiststraße 10a, 01029 Dresden oder ag-lisa@dielinke-sachsen. de einzureichen.
die regionale Arbeit mit einzubeziehen und ihnen auch verantwortungsvolle Aufgaben zu überlassen – Kaffeekochen gehört nicht dazu :-)! Als nächsten Schritt wäre es sinnvoll, eine Person aus dem Kreisvorstand zu ernennen, die sich dezidiert mit Fragen der Gleichstellung und feministischer Politik beschäftigt. Gern wird gesagt, dass alle sich mit dem Thema beschäftigten, es sozusagen als Querschnittsthema begreifen. Beim genaueren Nach- und Hinterfragen, was in diesem Bereich jedoch jedeR Einzelne gemacht hat, wird meist mit Schulterzucken geantwortet. Ein stetiger Kontakt zur kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und zu regionalen Fraueninitiativen kann dabei ein erster Schritt in eine gute Netzwerkarbeit über die Parteigrenzen hinaus sein. Claudia Jobst
One Billion Rising! - Straßenaktion auf der Prager Straße, Dresden
Beginn: 7. März 2015, 14 Uhr RLS Sachsen, Harkortstraße 10, Leipzig.
Tanzen als Akt weltweiter Solidarität! Wer sich von allen menschenfeindlichen Einstellungen und Gewaltformen abgrenzt und gegen Gewalt an Frauen* weltweit stark machen will, ist willkommen, etwas zu unserer Kundgebung beizutragen.
Mitmachen am Aktionsstand „Frauen kämpfen international“ AG LISA /DIE LINKE. Chemnitz
7. März 2015, von 16:00 - 18:00 Uhr auf der Prager Straße, Höhe Cafe Borowski. Lesung und Matinee zum Internationalen Frauentag, Rosa-Luxemburg Stiftung Sachsen Mit Texten von Malwida von Meysenburg, Hedwig Dohm, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Helga Königsdorf und Brigitte Reimann. Texte zusammengestellt von Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler
Beginn: 7. März 2015, um 10:30 Uhr, Johannisplatz in Chemnitz Frauen*kampftag Demo in Leipzig Demonstration gegen Alltagssexismus, Rassismus, Ausbeutung, Homophobie und die als natürlich angenommene Geschlechterteilung in „Mann“ und „Frau“. Gleichzeitig demonstrieren wir für eine offene Gesellschaft, in der alle Menschen selbstbestimmt leben können. Beginn: 08. März 2015 um 14:00, Clara-Zetkin-Denkmal (Johannapark), Leipzig
DIE LINKE im Europäischen Parlament
Seite 7
03/2015 Sachsens Linke!
Perspektiven asylsuchender Frauen in Europa suchende und zum anderen als Frau, deren geschlechtsbezogene Asylgründe weithin ungehört sind. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert „Flüchtlinge“ als Personen, die aus begründeter Furcht vor
Verfolgungsgründe in erster Linie abgestellt wird. Das lässt sich aber im Falle frauenspezifischer Fluchtgründe immer schwer nachweisen, da diese Dinge sich im vorrangig privaten Bereich abspielen, obwohl
len Gruppe“ lässt Raum für weitere Asylgründe ebenso wie das Non-Refoulement-Prinzip, nach dem Menschen nicht in Länder abgeschoben werden können, in denen ihr Leib und Leben bedroht ist.
sie mit offizieller Staatspolitik zu tun haben. Es wäre aber zu kurz gegriffen, frauenspezifische Fluchtgründe könnten laut Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht grundsätzlich anerkannt werden. Die Formulierung der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozia-
1984 hat das Europäische Parlament die besondere Verfolgungssituation von Frauen festgestellt und war damit Vorreiter. Es forderte die Mitgliedsstaaten auf, verfolgte Frauen als eine „soziale Gruppe“ im Sinne der GFK zu betrachten und dementsprechend in die jeweiligen na-
flickr.com/United Nations Photo/ Photo ID 482888. 25/08/2011. Dollo Ado, Ethiopia. UN
Meist ist es so, dass die Bilder von Flucht und Asyl mit Bildern von jungen Männern verbunden sind. Das verwischt die Realität, denn weltweit sind 80 % aller Flüchtlinge weiblich. Frauen gehen hierzulande, wenn von Flucht gesprochen wird, als „Teil der Familie“ in derselben unter. Ganz selten spielen sie im Kontext von Fluchtursachen eine Rolle, obwohl diese zu keiner Zeit geschlechtsneutral waren. In Kriegen und anderen Konflikten hat die Demütigung und Verfolgung von Frauen immer eine besondere Rolle gespielt, wie im Ex-Jugoslawien, wo tausende Frauen aus politscher Rache heraus massenhaft vergewaltigt wurden, oder im Irak, wo DAASH-Terroristen tausende Frauen gekidnappt und versklavt haben. Fluchtursachen sind neben Kriegen und Naturkatastrophen eben auch Vergewaltigung, Zwangssterilisation, restriktive geschlechtsspezifische Gesetze bzw. Sittenregeln (z. B. unverhältnismäßige Strafen für weiblichen Ehebruch), Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung. Dass dies oftmals im Privatbereich stattfindet und von den jeweiligen Staaten toleriert oder unterstützt wird, macht es Frauen, wenn sie aus diesen Lebenslagen ausbrechen wollen, doppelt schwer: Zum einen als Asyl-
Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden. Geschlechtsspezifische Gründe sind nicht explizit erwähnt. Hinzu kommt, dass im Asylrecht auf staatliche
tionalen Asylverfahren einzubeziehen. Seit 1995 fordert das Europäische Parlament auch den Rat sowie die Kommission dazu auf, den Beschluss Nr. 73 des Exekutivkomitees des UNHCR, der frauenspezifische Asylgründe in der Auslegung der GFK anerkennt, in europäisches Recht umzusetzen. Die Europäische Menschenrechtskonvention unterstützt dies nachhaltig. Erst 2005 wurden in der Bundesrepublik zumindest formal frauenspezifische ebenso wie nichtstaatliche Verfolgungsgründe anerkannt, die meisten anderen Mitgliedstaaten haben gar keine Regelungen. Trotz des Fortschritts hierzulande muss festgestellt werden, dass die Anwendung dieser Regelung durch andere Regelungen torpediert wird, die grundsätzlich das Asylrecht außer Kraft setzen, wie das pauschale Flughafenverfahren, das Prinzip der „sicheren Herkunftsstaaten“, die Drittstaatenregelung und die vielen Rückführungsabkommen, mit denen beispielsweise EU-Beitrittskandidaten „gekauft“ werden, um Visaerleichterungen zu bekommen. Insofern bleibt es in den meisten Fällen beim Alten, Frauen müssen auch im Asylrecht hinten anstehen. Cornelia Ernst, MdEP, Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Prinzessinnen und Ritter: Rollenzuschreibungen sind Platzanweiser Bereits vor der Geburt eines Kindes ist eine der häufigsten Fragen an die werdenden Eltern: Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Je nach Antwort ist klar, in welcher Hälfte des Spielzeugund Kinderkleidungsgeschäfts man sich nach passenden Geschenken umsieht: blaue Farben, Auto- und Superheldenmotive sind dann die Geschenke für die Jungen, rosa Farbtöne, Tierbaby- und Prinzessinnenmotive für die Mädchen. Die Botschaft, die bereits den wenige Tage alten Babys vermittelt wird, ist klar – Jungen sind „kleine Racker“, tapfer und mutig, Mädchen sind hübsch, brav und niedlich. Nach einer Auswahl dazwischen, Spielzeuge und Kleidungsstücke, die nicht schon auf Jungen bzw. Mädchen gemünzt sind, sucht man oft vergebens. Die eingeschlagene Richtung in die strikte Trennung von Eigenschaften und Vorlieben der Geschlechter geht im Kindergarten weiter. Jungen sollen sich austoben und draußen spielen, Mädchen sollen basteln und im Puppenraum Mutter-Vater-Kind spielen. „Das ist eben ihre Natur!“ Aber ist es das wirklich? Ist es nicht viel mehr die Erwartung der Erwachsenen und geprägt
durch das Verhalten, das sie den Kindern gegenüber an den Tag legen? Wie geht es nun Kindern, die eben nicht rollenkonform toben oder ruhig spielen, sondern das Gegenteilige bevorzugen oder gar beides wollen? Dann kommen wir schnell zu Beschreibungen wie „die kleine Sabine tobt wie ein Junge“ und „der kleine Markus bastelt wie ein Mädchen“. Schon kommen die Kinder in einen, für sie oftmals noch unbegreiflichen, Konflikt. Sie merken, dass sie mit ihrem Verhalten die Erwachsenen irritieren. Auf Dauer ist es für Kinder anstrengend, diesen Irritationen und immer wieder fragenden Blicken bzw. Kommentaren ausgesetzt zu sein. Es bleibt also entweder die Option, sich immer wieder erklären zu müssen oder sich zu fügen und die von der Umwelt erwarteten Rollenzuschreibungen anzunehmen. Doch damit stehen Kindern nur noch die Hälfte an akzeptierten Verhaltensweisen, Spielzeugen und Berufswünschen und Tätigkeitsfeldern zur Wahl. Mädchen sollen Fürsorge und Haushaltsführung trainieren, sich um Puppen kümmern oder in der Kinderküche kochen, Jungen sollen toben und bauen, sich beim Wettrennen messen
und Sandburgen errichten. Diese Entwicklung fortgesetzt hieße, dass Mädchen später vor allem im Fürsorgebereich tätig sein werden, z. B. in der Kindererziehung, Alten- und Krankenpflege und Jungen vor allem Wettbewerb und im produktiven Gewerbe, z. B. als Ingenieure oder Manager. Und siehe da, genau so ist es auch! Die Zahlen in den Berufsfeldern sprechen eine eindeutige Sprache: Im Pflege- und Erziehungsbereich sind in großer Mehrheit Frauen tätig, Ingenieursstudiengänge sehen es als großen Erfolg, wenn die Frauenquote unter den Studierenden über 10 % liegt. Wenn sich die Vorlieben von Kindern jedoch gar nicht in „typisch Junge“ und „typisch Mädchen“ einteilen lassen, bedeutet die Rollenzuschreibung, ihnen die freie Wahl zu nehmen. Die Erwachsenenwelt überträgt ihr zweigeschlechtlich eingeteiltes Weltbild auf die Kinder. Denn was ist tatsächlich komisch oder unnatürlich an wilden Mädchen oder sanften Jungen? An Ritterinnen und rosa Prinzen? Wird den Kindern nicht ein großes Stück an Entfaltungsmöglichkeiten genommen, wenn die rollenkonformen Entscheidungen bestätigt und
die rollenabweichenden Entscheidungen mit fragenden Blicken oder gar Sätzen wie „Das gehört sich für einen Jungen/ein Mädchen doch aber nicht“ kommentiert werden? Die Antwort ist klar: Ja, es ist eine Einschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheiten der Kinder, wenn von vornherein entsprechend ihres Geschlechts lediglich die Hälfte der Türen offen steht. Und es entspricht auch keineswegs „der Natur“, sondern ist in erster Linie die Folge ihrer Sozialisation. Untersuchungen und Studien zeigen eindeutig, dass Kinder sich sehr stark an Erwachsenen orientieren und auf kritische oder bestätigende Blicke durchaus reagieren. Kinder wollen – wie Erwachsene auch – gelobt und gefördert werden. Und wenn Jungen Bestätigung beim Kochen und Mutter-VaterKind-Spielen erfahren, ist das für sie eine fördernde Bestätigung, ebenso für Mädchen, die Lob für besonders groß gebaute Sandburgen oder für Tore beim Fußballspielen erfahren. Jedoch tun sich Erwachsene ganz offensichtlich sehr schwer damit, aus ihren eigenen zweigeteilten Rollenvorstellungen auszubrechen und nicht-rollenkonformes Ver-
halten nicht als abweichend zu betrachten. Um diesen Kreislauf nicht ewig fortzusetzen, ist es dringend notwendig, aus den einengenden Rollenvorstellungen auszubrechen und Kinder – und in der Folge auch Erwachsene – in dem zu bestärken, was sie gerne und gut machen, ohne durch die Geschlechterbrille zu schauen. Gute Ansätze bieten hierbei geschlechtsneutrale bzw. gendersensible Erziehungsansätze, die eben genau das tun: sie lassen Kinder Kinder sein und geben allen Kindern die Möglichkeit, sich im Toben, Basteln, Klettern und Kochen auszuprobieren, um dann selbst zu entscheiden, welche Tätigkeiten am meisten Spaß machen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist eine geschlechtersensible Berufsorientierung. Denn Rollenzuschreibungen entsprechend des Geschlechts engen die Entfaltungsmöglichkeiten ein und dienen letztlich nur als Platzanweiser in der Gesellschaft. Sarah Buddeberg, MdL
Sachsens Linke! 03/2015
DIE LINKE im Bundestag
Seite 8
Sicherheitspolitik – selbstbewusst in die Debatte Sicherheitspolitik – der Begriff und alles, was damit zu tun hat, ist für viele in unserer Partei immer noch ein rotes Tuch. Er wird oftmals als Euphemismus für eine nach Vorherrschaft strebende, auch auf militärische Mittel setzende Machtpolitik der westlichen Länder verstanden. Die Kriege in Afghanistan und die Ausdehnung der NATO nach Osteuropa scheinen dies ebenso zu bestätigen wie die Forderung nach Kampfeinsätzen der Bundeswehr. Sicherheitspolitik, das ist bislang kein linker Begriff. Die Frage ist: Soll sich DIE LINKE überhaupt an Debatten beteiligen, deren herrschender Diskurs allein der Diskurs der Herrschenden zu sein scheint? Einer der Orte, an denen hochrangig über Sicherheitspolitik diskutiert wird, ist die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), auf der 2014 die Formulierung von der „aktiveren Rolle Deutschlands in der Außenpolitik“ geprägt wurde. In ihren Anfängen als ‚Internationale Wehrkundetagung‘ ab 1963 war sie tatsächlich das Treffen von westlichen SpitzenpolitikerInnen, RüstungslobbyistInnen und Militärs, als das sie manchen heute immer noch gilt. Sicher, auch in diesem Jahr, als ich erstmals an der Konferenz teilgenommen habe, wurden die Debatten von westlichen Funktionsträgern dominiert. In München haben Angela Merkel, Frank- Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen ebenso geredet wie der amerikanische Vizepräsident Joe Biden oder der seit Jahren in der Ukraine sehr aktive ExUS-Präsidentschaftskandidat
John McCain. Es waren westliche Staatschefs, hochrangige PolitikerInnen und Militärs vertreten, mit deren außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen DIE LINKE zumeist nicht übereinstimmen wird. Doch haben an der MSC 2015 auch der irakische Kurden-Präsident Barzani sowie der iranische und russische Außenminister teilgenommen. Nichtregierungsorganisationen wie Green-
auch eine soziale und ökologische Frage ist. Selbst in den Beiträgen westlicher Spitzenpolitiker waren auf der MSC Unterschiede augenfällig. So widersprachen die deutschen Regierungsvertreter Merkel, Steinmeier und von der Leyen entschieden der von US-amerikanischer Seite nicht ausgeschlossenen Option, Waffen an die Ukraine zu liefern. Das alles macht aus der MSC kei-
einbringen. Das weist auf die Ausgangsfrage zurück: DIE LINKE soll sich nicht nur, sie muss sich an aktuellen sicherheitspolitischen Debatten beteiligen. Das Politikfeld Sicherheitspolitik umfasst zunächst einmal alle Überlegungen, Planungen und Gestaltungsprozesse zur internationalen „Friedenserhaltung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Kriegsführung“, wie es Wikipedia definiert. Über
Greenpeace-Direktor Kumi Naidoo bei der MSC
peace, Amnesty International oder ONE hatten kritische Beiträge. Das Forum Ziviler Friedensdienst thematisierte die internationale Flüchtlingskatastrophe in einem eigenen Panel. Dort wurde – ebenso wie an anderer Stelle beim Thema Klimaschutz – formuliert, dass Frieden nicht allein die Abwesenheit von Krieg bedeutet und internationale Sicherheit
ne Friedenskonferenz. Doch es zeigt, dass die Wahrnehmung der Konferenz als rein affirmatives strategisches Treffen der NATO falsch ist. Und es macht eine Tendenz zur Öffnung der MSC und zur Integration anderer Stimmen, anderer Perspektiven deutlich. DIE LINKE sollte dort in Zukunft ebenso hochrangig vertreten sein, wie andere Parteien und ihre Positionen
deren politische Inhalte und Zielstellungen ist damit noch nichts gesagt. Angesichts der Globalisierung, der Auflösung der alten Weltordnung nach Ende des Ost-West-Konflikts und einer allgemeinen Tendenz zur Entstaatlichung internationaler Konflikte ist die Suche nach Bausteinen für eine internationale Sicherheitsarchitektur sinnvoll und notwendig. Dieses
Kinder kosten Geld. Das weiß jeder. Und jeder schreit, dass Kinder unsere Zukunft sind. Von daher kann ich nicht nachvollziehen, warum nicht in die Zukunft investiert wird. Nötig sind bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieher und Erzieherinnen und bundeseinheitliche Standards für kostenfreie Mittagessen. All das muss vom Bund finanziert werden, denn unsere Kinder sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es sollten überall in Deutschland gleichwertige Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern herrschen.
geblich damit der Familienministerin ein Entgegenkommen signalisieren. Entgegenkommen? Schäuble sollte endlich aufhören, seine „schwarze Null“ wie eine Monstranz vor sich herzutragen und auf dem Weg seiner Prozession die Kinder und damit die Zukunft unseres Landes zu opfern. Aber da wird ja lieber überlegt, ob man die Zahl der Panzer um 20 % aufstockt, und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen in die Rüstung fließen. Das ist die Zukunft, wie Schäuble sie sich wünscht. Alles weitere für Kinder und Familien soll Ministerin Schwesig in ihrem eigenen Ressort erbringen. Ein Hohn! Sowohl der Kinderfreibetrag als auch der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende müssen deutlich angehoben werden. Ebenso das Kindergeld und der Kinderzuschlag. Da sollte man vielleicht Herrn Schäuble erst nach-
Feld darf DIE LINKE nicht der politischen Konkurrenz überlassen, indem sie sich der Debatte verweigert. Sie sollte ihre eigenen Vorstellungen einer friedensorientierten Außenund Sicherheitspolitik einfließen lassen. Tun wir dies nicht, erscheinen die gegenwärtigen sicherheitspolitischen Paradigmen auch in der Öffentlichkeit als alternativlos. Das sind sie nicht. Wie in anderen Politikfeldern auch ist es unsere Aufgabe, tragfähige Konzepte zu entwickeln, die zeigen, dass eine andere Sicherheitspolitik möglich ist. Ansatzpunkte dafür sind vorhanden. 2013 erschien das vom LINKEN Außenpolitiker Stefan Liebich herausgegebene Buch „Linke Außenpolitik. Reformperspektiven“, zu dem unter anderem Lothar Bisky, Gregor Gysi und Paul Schäfer beigetragen haben. Sie setzen sich mit den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts aus linker Perspektive auseinander. Aus dem letzten Jahr stammt der von Paul Schäfer, dem ehemaligen E verteidigungspolitischen Sprecher der LINKEN im Bundestag, herausgegebene Band „In einer aus den Fugen geratenen Welt“. Verschiedene Autoren thematisieren darin ebenfalls Fragen, die sicherheitspolitisch relevant sind. Beide Veröffentlichungen stehen nicht isoliert für sich, sondern für Diskussions- und Arbeitsprozesse innerhalb der Linksfraktion im Bundestag und der Linken allgemein. Es gilt sie zu systematisieren und auszubauen. Wir haben allen Grund uns selbstbewusst an Debatten zur Sicherheitspolitik zu beteiligen. Michael Leutert
Panzer statt Kita-Plätze? Nun liegt er vor, der Zwischenbericht zum Kinderförderungsgesetz. Nun wissen es alle: Das Ziel, das schon im Herbst 2013 erreicht werden sollte, ist noch in weiter Ferne. Trotz des Ausbaus in den vergangenen Jahren fehlen für ein bedarfsgerechtes Angebot immer noch 185.000 Kita-Plätze. Zwar ist das Betreuungsplatzangebot gestiegen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Betreuungsquote lag 2014 bei 32,3 Prozent. Es benötigten jedoch 41,5 Prozent der Eltern mit Kindern unter drei Jahren einen Platz. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig kündigte in der Presse an, den Kita-Ausbau weiter vorantreiben zu wollen: „Die Zahlen zeigen, dass das Angebot noch nicht ausreicht.“ Eigenen Angaben zufolge habe sie daher das Sondervermögen für diesen Zweck auf eine Milliarde Euro aufgestockt, damit
in den nächsten Jahren 30.000 Plätze zusätzlich eingerichtet werden könnten. Angehoben ist das Sondervermögen allerdings schon lange, aber was passiert überdies? 30.000 Plätze sind im Vergleich zu den fehlenden 185.000 ein Hohn. Maßnahmen darüber hinaus? Auf diese Frage bleibt die Regierung eine Antwort schuldig bzw. trägt im Bundestag sogar falsche Tatsachen vor. Ebenso schweigt sie sich wohlweislich über die Qualität der Kinderbetreuung aus. Zu große Gruppen, zu kleine Räume, zu geringe Bezahlung, mit anderen Worten, Arbeitsbedingungen, die nicht zufrieden stellen. Und jede vierte Betreuerin hat laut Angaben der ARD keine oder lediglich ein vierwöchige pädagogische Ausbildung. Das wird allerdings von der Regierung bestritten.
Was macht die Regierung? Um sechs Euro will Finanzminister Schäuble das Kindergeld erhöhen, in zwei Schritten: dieses Jahr noch um vier Euro und 2016 dann nochmal um zwei Euro. Den Kinderzuschlag will er um 20 Euro anheben. Er will an-
rangig hören. Ich erwarte von der Regierung dieses Landes, dass sie eine Zukunft gestaltet, in der Kinder gesund aufwachsen können und Familien sich wohlfühlen. Das kann mit Panzern und Aufrüstung nicht erreicht werden. Ich fordere auch, dass endlich einmal ressortübergreifend zukunftsweisend gedacht und nicht immer nur im eigenen Brei herumgerührt wird. DIE LINKE fordert Entlastung für Familien und eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung mit gesunder Vollverpflegung, aber keine Panzer, egal ob mit oder ohne Kindersitz. Jörn Wunderlich
Geschichte
Seite 5
03/2015 Links!
Vergeblicher Versuch, das Volkseigentum für die Bürger der DDR zu sichern Die Gründung der ersten Treuhandanstalt Am 1. März 1990 wurde durch die von Hans Modrow geleitete Regierung der DDR ein Beschluss zur Gründung einer Treuhandanstalt (THA) zwecks Umgestaltung der volkseigenen Betriebe (VEB) gefasst. Die Initiative zur THA-Bildung ging vom Theologen Wolfgang Ullmann, Mitglied des Sprecherrates der im September 1989 gegründeten Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ (DJ) aus. Innerhalb von DJ hatte eine kleine Arbeitsgruppe ein Papier „Zukunft durch Selbstorganisation“ ausgearbeitet, in dem gefordert wurde, von dem vorhandenen Volkseigentum dem Staat soviel wie möglich „zu entwinden“ und den Bürgern der DDR direkt zukommen zu lassen. Die Modrow-Regierung hatte sich in ihrem „Regierungskonzept zur Wirtschaftsreform in der DDR“ zwar zum Eigentumspluralismus bekannt. Aber die Umwandlung von bereits existierendem Volkseigentum war darin nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Ab Anfang Februar 1990 veränderte sich jedoch die politische Situation für die DDR dramatisch. Die Bundesregierung entschied sich am 6. Februar für den raschen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik mittels einer Wirtschafts- und Währungsunion und forderte dafür „Dominanz des Privateigentums an den Produktionsmitteln“ als „ordnungspolitisches Funda-
ment“ ein. Nunmehr stand für Bürgerbewegung und ModrowRegierung unerwartet die Frage auf der Tagesordnung, wie unter den veränderten Umständen, angesichts einer nicht mehr in Jahren, sondern in Monaten zu erwarteten Vereinigung von Bundesrepublik und DDR mit dem Volkseigentum umzugehen sei – für das bald eine Übergangs- bzw. die Bonner
Der Vorschlag, die volkseigene Betriebe zum Volksvermögen zu erklären, sie in Kapitalgesellschaften (AGs und GmbHs) zu verwandeln und über Anteilscheine die Bürger der DDR zu unmittelbaren Mitbesitzern zu machen, wurde nunmehr als Grundidee sowohl von der Modrow-Regierung als auch von den anderen Bürgerbewegungen akzeptiert. Die Über-
Tätigkeit der THA allein an die Regierung, nicht auch auf die Volkskammer. Am 15. März 1990 konstituierte sich die THA mit der Zentrale in Berlin und
15 Außenstellen in den Bezirken der DDR. Das Personal (im Juni 143 Mitarbeiter) stammte aus den Industrieministerien und dem Finanzministerium der DDR. Auf diese Fachleute konnte auch die nach den Wahlen vom 18. März dem zweiten Kabinett Modrow folgende CDUgeführte Koalitionsregierung von Lothar de Maiziére nicht verzichten. Bis zur Währungsunion wurden 3.600 VEB in AGs bzw. GmbHs umgewandelt. Zusätzlich waren seit April von der Treuhand 2.800 meist kleinere, 1972 enteignete Betriebe reprivatisiert bzw. als Joint Ventures auf den Weg gebracht worden. Das von der THA bis Ende Juni 1990 erreichte Etappenziel der Umwandlung der VEB in Kapitalgesellschaften ließ noch offen, wie weit die begonnene Privatisierung gehen und in welchen Formen und in welchem Zeitraum sie vollzogen werden sollte. Auseinandersetzungen darüber wurden parallel zum Aufbau der THA von Mitte April bis Mitte Juni zwischen Ostberlin und Bonn auf Regierungsebene sowie innerhalb der Fraktionen der Volkskammer geführt. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen waren angesichts des dominierenden Einflusses des Bonner Finanzministeriums eine de facto zweite Treuhand, die – unter westdeutschem Management – das Volkseigentum so vollständig wie möglich an private Bieter aus der Bundesrepublik veräußern sollte. Prof. Dr. Jörg Roesler
publiken. Es kam zu nationalen Anfeindungen und Abspaltungsbestrebungen. Die alte Titosche Losung „Bratsvo i Jedistvo“ (Brüderlichkeit und Einheit) war tot. An ihre Stelle trat die Realität bewaffneter Auseinandersetzungen, trat der Jugoslawienkrieg. Die Teilrepubliken strebten, auch unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, ihre Unabhängigkeit an und errangen nach insgesamt rund zehn Jahren währenden, teils brutal geführten Kämpfen die internationale Anerkennung als souveräne Staaten. Was bleibt von Jugoslawien, was bleibt von den hoffnungsvollen Ansätzen der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts? Es bleibt eigentlich nur die Erinnerung an den Versuch, einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus zu beschreiten und eine dritte Kraft in einer bipolaren Welt zu sein. Die Realität des heutigen Serbien, Kroatien, Slowenien,
Mazedonien und BosniensHerzegowina sowie des Kosovo ist eine völlig andere, als sie in den 40er Jahren gedacht und in der Folgezeit – wenn auch sehr unzulänglich – zu realisieren versucht wurde. Das Nationalitätenproblem, die Überwindung eines wirtschaftlichen NordSüdgefälles, die Herstellung einer Arbeiterselbstverwaltung (E. Kardelj), die Errichtung einer wahren Volksherrschaft (M. Djilas) – all diese Ziele wurden nicht erreicht. Stattdessen kam es in Jugoslawien zu einem autokratischen System mit einem auswuchernden Personenkult. Aber auch vom Begründer dieses Systems, von Tito, blieb nicht viel: Die Städte, Straßen etc., die nach ihm benannt waren, sind schon lange wieder umbenannt. Sein Grabmal – das Haus der Blumen – in Belgrad wird von der serbischen Führung als Last empfunden. Was bleibt? Fast nichts. Dr. Hartmut Kästner
ordnungsentwurf der ModrowRegierung zur Bildung einer Treuhandanstalt zu billigen, als dieser am 26.2.1990 dem Runden Tisch vorlag. Seine Zustimmung gab Ullmann, allerdings „nicht ohne Bauchschmerzen“. Hauptkritikpunkt war das Weglassen des Vorschlags der Ausgabe von Anteilscheinen an die Bevölkerung und die Übertragung der Aufsicht über die
Hauptsitz der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz. Bild: Andreas Steinhoff
Regierung zuständig sein würde. Wolfgang Ullmann trat am 12.2.1990 mit den Treuhandvorstellungen von „Demokratie Jetzt“ an die Öffentlichkeit.
zeugung, auf diese Weise einen „Ausverkauf der DDR“ verhindern zu können, veranlasste DJ und die meisten anderen Bürgerbewegungen, einen Ver-
Was bleibt von Jugoslawien? Als am 7. März 1945, also vor 70 Jahren, die Provisorische Regierung des Demokratischen Föderativen Jugoslawien gebildet wurde, war das nur ein Moment in der Geschichte des neuen Jugoslawiens. Der revolutionäre Prozess zur Herausbildung des Staates hatte früher begonnen, nämlich unmittelbar nach dem Überfall Deutschlands auf Jugoslawien (6. April 1941). Wenige Tage später kapitulierte der Staat. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt begannen nationale und patriotische Kräfte, den Okkupanten Widerstand zu leisten. Davon zeugte die heroische Episode der Partisanenrepublik von Uzice (November 1941). Die Partisanen erhielten Unterstützung durch die Sowjetunion und durch England. Ende 1942 gab es bereits ein geschlossenes befreites Territorium und es konnte die Republik von Bihac (Bosnien) gegründet werden. Spiritus rector des Ganzen war der Antifaschistische Rat der Nationalen
Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ), dessen Hauptkräfte die Kommunisten waren. Auf seiner zweiten Tagung in Jajce (29./30. November 1943) bildete der AVNOJ ein Nationalkomitee, das bereits Funktionen einer provisorischen Regierung wahrnahm. Aus diesem Nationalkomitee entstand die Provisorische Regierung. Nach den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung am 11.11.1945, die eine überwältigende Mehrheit für den Rat und damit für die Kommunistische Partei ergaben, wurde am 29.11.1945 die Föderative Volksrepublik Jugoslawien ausgerufen. 37 Jahre lang war es Josip-Broz Tito, der dem Land den Stempel aufdrückte. Er war die überragende Figur im Widerstandskampf gegen die deutschen Okkupanten, gegen die faschistischen Ustascha-Kämpfer und die Tschetniks. Während des Widerstandskampfes war er zum Marschall ernannt worden und stand an der Spitze des
AVNOJ. Am 29. November 1945 wurde er Ministerpräsident der Volksrepublik Jugoslawien. Nach der Annahme einer neuen Verfassung von1953 wurde Tito am 14. Januar 1953 in das Amt des Staatspräsidenten gewählt, das er ab 1963 auf Lebenszeit innehatte. Er starb am 4. Mai 1980 wenige Tage vor seinem 88. Geburtstag. Er selbst soll die Kompliziertheit des Aufbaus eines brüderlich-verbundenen, demokratischen Jugoslawiens wie folgt umschrieben haben: „Ich regiere ein Land mit zwei Alphabeten, drei Sprachen, vier Religionen und fünf Nationalitäten, die in sechs Republiken leben, von sieben Nachbarn umgeben sind und mit acht Minderheiten auskommen müssen.“ Nach Titos Tod hatten viele Politiker und Wissenschaftler das Auseinanderfallen Jugoslawien erwartet. Das trat nicht sofort ein, es begann aber ein Prozess des starken Artikulierens nationaler Interessen durch die Teilre-
Links! 03/2015
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Seite 6
Termine Leipzig, 7. März, Sonnabend, 14.00 Uhr Lesung und Matinee zum Internationalen Frauentag***. Mit Texten von Malwida von Meysenburg, Hedwig Dohm, Anna Seghers, Bertolt Brecht, Irmtraud Morgner, Christa Wolf, Helga Königsdorf und Brigitte Reimann, zusammengestellt von Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler (Leipzig). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 11. März, Mittwoch, 19.00 Uhr Impulsreferate und Gespräch. PEGIDA: Zerfall des Mythos von der “Mitte”***. Mit Andrea Hübler, RAA Sachsen e.V. - Opferberatung; Juliane Nagel, MdL, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik in der Linksfraktion im Sächsischen Landtag; Max Lill, Politologe; Moderation: Steffen Juhran. Eine gemeinsame Veranstaltung des Europabüro der MdEP Dr. Cornelia Ernst, des WIR e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 12. März, Donnerstag, 18.00 Uhr Leipzig liest. „Verfolger und Verfolgte. Antiziganismus in Ungarn“***. Mit der Autorin Magdalena Marsovszky. Moderation: MdL Juliane Nagel. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig In Großstädten Europas tauchen bettelnde obdachlose Roma-Gruppen auf, die offensichtlich aus einem südosteuropäischen Staat kommen. Von diesem Anblick sprechen viele schnell von „Wirtschaftsflüchtlingen“. Doch wenn das so ist, wie mag es diesen Menschen in ihrem Herkunftsland ergangen sein? Unter welchen Umständen haben sie gelebt, dass ihnen das Dasein auf der Straße in Wien, München oder Berlin erträglicher ist als das Leben zu Hause in den eigenen vier Wänden? Diesen Fragen ist die Au-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert
torin nachgegangen und hat die Situation von Roma in Ungarn untersucht. Leipzig, 13. März, Freitag, 18.00 Uhr Leipzig liest. „Begegnungen mit Don Quijote“. Herausgeber Werner Röhr stellt das Werk von Karl Schmückle vor. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Die Ausgabe umfasst die wichtigsten philosophischen, historiographischen und literaturkritischen Schriften von Karl Schmückle aus den Jahren 1923 bis 1936. Leipzig, 14. März, Sonnabend, 14.00 Uhr Leipzig liest. „Bruno Apitz. Eine politische Biographie“***. Mit dem Verfasser Dr. Lars Förster, Historiker (Chemnitz). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 14. März, Sonnabend, 18.00 Uhr Leipzig liest. „KARL MARX: ABER WAS HAT ER UNS ÜBERLASSEN“. Volker Braun im Gespräch mit Wolfgang Fritz Haug über den gerade erscheinen Band 8/II des Historisch-Kritischen Wörterbuches des Marxismus. Galerie KUB, Kantstraße 18, 04277 Leipzig Die rund 80 Artikel des neuen Bandes dieses „Jahrhundertwerks“ (Oskar Negt) spannen den Bogen von „links/rechts“ bis „Maschinenstürmer“. Doch ins Zentrum platziert das Alphabet die Einträge zu Marxismus, Marxismus Lenins, Marxismus-Leninismus, MarxismusFeminismus. Um die Subjekte mit ihren Motiven und Erfahrungen geht es in Haugs Artikel über das „Marxistsein“ als geschichtliche Individualitätsform. Leipzig, 17. März, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Drohneneinsatz – Auftakt zum Roboterkrieg der Zukunft. Mit Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-
Norbert Schepers, Politikwissenschaftler, Politik- und Organisationsberater, Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 18. März, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Der globale Modemarkt oder vom langen Weg bis zu sauberer Kleidung***. Mit Dr. Bettina Musiolek, Wirtschaftswissenschaftlerin, Mitgründerin der Clean Clothes Campaign – Kampagne für saubere Kleidung in Deutschland, Gründerin der Allianz SACHSEN KAUFT FAIR. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Der Textildiscounter Primark symbolisiert, dass Kleidung zunehmend als schnelllebiges Wegwerfkonsumgut gilt, das irgendwo auf unserer Erde unter oft schlimmen, wenig hinterfragten Bedingungen hergestellt wurde. Die Referentin zeigt diese Bedingungen, wie bekannte Markenfirmen von der weltweiten Ausbeutung profitieren und wie KäuferInnen beitragen können, dass es so nicht bleibt. Leipzig, 19. März, Donnerstag, 18.00 Uhr Offener Gesprächskreis. Jour Fixe. Ein unkonventioneller Gesprächskreis. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
Schaller, Historiker (Chemnitz). Eine Veranstaltung des Abgeordentenbüros Michael Leutert, MdB und der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen. Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Ältere Männer, Frauen und Zwangsarbeiter sollten die zum Kriegsdienst Einberufenen ersetzen. Dadurch vollzog sich ein einschneidender Wandel in der Belegschaftsstruktur in Fabriken. Das NS-Regime schuf eine skrupellose Maschinerie des Arbeitseinsatzes, die sehr stark vom Rassismus geprägt wurde. Ein Klima der Angst überlagerte den Fabrikalltag, in das aber auch immer wieder Menschlichkeit, Mitgefühl und Solidarität Breschen schlugen. Chemnitz, 21. März, Samstag, 10.30 Uhr Vortrag und Diskussion. Becher, Fallersleben, Brecht und die Hymne***. Mit Prof. Dr. Siegfried Prokop, Historiker (Bernau bei Berlin). Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und des Rothaus e.V. Chemnitz. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, Chemnitz
Hier werden frei variierend übergreifende Themen debattiert, Publikationen und Projekte vorgestellt. Johann Sebastian Bach und die Musikstadt Leipzig sind Thema des Abends.
Die Nationalhymne der DDR entstand im Oktober 1949, nach Beschluss 1950 sollte sie zur gesamtdeutsch angelegten Nationalhymne werden. Im Westen entschied 1952 ein Briefwechsel zwischen Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss, dass die dritte Strophe des „Deutschlandliedes“ die Nationalhymne der Bundesrepublik wird. Seit 1990 gab es angesichts des von vielen Bürgern empfundenen Hymnen-Dilemmas verschiedene Vorschläge für einen „Hymnen-Mix“. Der Diskurs um die deutsche Nationalhymne ist auch heute noch nicht beendet …
Chemnitz, 20. März, Freitag, 16.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Arbeit unterm Hakenkreuz. Chemnitzer Fabrikarbeiter im Zweiten Weltkrieg*** Mit Dr. Karlheinz
Dresden, 24. März, Dienstag, 18.00 Uhr REIHE: JUNGE ROSA. Das Spiel zwischen Lust und Moneten - Kommerzialisierung im Fußball***. Mit Adam Bednarsky,
mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.
Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773
Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter
Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 27.02.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 02.04.2015.
Geschäftsführer Roter Stern Leipzig. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 25. März, Mittwoch,19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Griechenland nach den Wahlen neue Hoffnung für ein geplagtes Volk? Mit Stathis Soudias, Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 26. März, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU „denn alle Kreatur braucht Hilf´ von allen …“ – eine Brechtlesung in vier Kapiteln Mit Mike Melzer (Chemnitz) Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Die Lesung widmet sich den Ideen und der Gedankenwelt des armen B.B.. In einer Zeit, in welcher der „Klassiker der Vernunft“ auf unpolitische Liebeslyrik (sehr schöne nebenbei) und „klassische Zeitstücke“ beschränkt wird, will dieses Programm Texte Brechts mit aktuellen Bezügen zu Gehör bringen. Leipzig, 31. März, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Die Lüge –ein legitimes Mittel der Politik?*** Mit Dr. Jürgen Stahl (Leipzig). Moderation: Dr. Monika Runge RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dem moralischen Gebot „Du sollst nicht lügen!“ steht nicht erst heute die Auffassung von der Nützlichkeit der Lüge im persönlichen und politischen Umgang entgegen. Aber kann die Lüge ein Mittel einer auf Emanzipation gerichteten Politik sein? Und welche Relevanz hat sie überhaupt für die Politik, die doch auf die Durchsetzung von Interessen gerichtet ist? ***In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank
Rezensionen
Seite 7
03/2015 Links!
„Fourschbar“ oder der Osten in uns Uwe Steimles CD: 25 Jahre Kehre – Eine Heimatstunde 74:19 Minuten Osten satt – und das Ganze uff gud Sächs‘sch unter dem typischen Steimle-Stichwort: 25 Jahre Kehre – denn: „Das war keene Wende, das war ne Kehre!“ So sagte es Steimle schon in der Anstalt auf 3sat, als diese noch von Urban Priol und Georg Schramm moderiert wurde. Was ist der Osten 25 Jahre nach dem Ende der DDR? Wenn man Steimle hört und erlebt, dann steigen längst vergessen geglaubte Erinnerungen auf. Hört man Namen wie Vaclav Neckar (Krokodil Theophil) oder Zsusza Koncz mit den zugehörigen Melodien, sieht man wieder die Bilder im Kessel Buntes. Zumindest trifft das auf die Generation 40plus Ost zu. Die CD „Fourschbar“ wurde im Leipziger Kabarettkeller der „Academixer“ aufgenommen und entstammt somit einem Steimle-Heimspiel. Gelegenheit, um „die Zugereisten“ aufzuspießen, die Hausfrauengesellschaft der „Führungskräfte“, die sich mit dem Kauf von „Bio-Birnen“ aus Chile die Zeit vertreiben, während ihre Männer in den Rathäusern dafür sorgen, dass die alten Dresdner Birnenbäume gefällt – und durch „fruchtlose“ Birnenbäume ersetzt werden. Es ist noch ein anderer Aspekt, der einen nachdenklich werden lässt: Wer heute in Dresden Sächsisch spricht wie Steimle, ist ja schon fast ein Widerständler, es fällt nur offenbar keinem
mehr auf. Die Generation der 60er Jahrgänge sprach noch in Sachsen in der Jugend mit großem Selbstverständnis das heimatliche Idiom – und verbrachte die letzten 25 Jahre nach der „Kehre“ damit, es sich abzutrai-
den geborenen Ostdeutschen eben nicht die Sprache des grimmig dreinblickenden Grenzers, sondern es ist die Stimme von Eberhard Cohrs, O. F. Weitling, Jürgen Hart und anderen „Kulturschaffenden“ – es ist
onenfach. Während im Westen viele immer noch den „Verlust“ von Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland bedauern – das die meisten von ihnen allenfalls als Kleinkinder erlebt haben –, verlassen Jahr für Jahr
nieren, weshalb Steimle-Hören schon eine Wohltat für die Ohren ist. Denn Heimat hat etwas mit heimatlichen Klängen zu tun – und Sächsisch ist für
die Sprache der Unterhaltung, des Humors, der Gemütlichkeit und vor allen Dingen: der Heimat. Und Heimat ging und geht für Ostdeutsche verloren. Milli-
Tausende nach dem Studium oder der Ausbildung die Heimat zwischen Erzgebirge und Kap Arkona, die ihnen zwar Ausbildung, aber keine Arbeit
geben kann – und so sind nach Steimles Worten viele Veranstaltungen im Westen fast „Vertriebenentreffen“ – der NeuVertriebenen allerdings, die die heimatliche Scholle nicht mehr ernährt. Die Massenabwanderung hält an – allen „Heimkehrerprogrammen“, wie sie gerade DIE LINKE in Brandenburg auflegt, zum Trotz. Bedenkt man, dass ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR ca. 90 Prozent der Führungskräfte in Wirtschaft und Politik in Ostdeutschland aus dem Westen stammen, so wäre es in der Tat an der Zeit, eine ganz andere Quote als die Frauenquote zwischen Rügen und Erzgebirge zu fordern. Nein, Steimle mag zwar Sächsisch reden, aber er spricht in erster Linie dann doch aus der ostdeutschen Seele. Die Lage in Sachsen ist nur symptomatisch für Ostdeutschland. In Sachsen, einem Land, in dem seit 25 Jahren nur Ministerpräsident werden kann, wer ein Katholik ist und mithin einer Minderheit von 4 bis 5 Prozent angehört – und das im Kernland des Protestantismus. Steimle „echauviviert“ sich „fourschbar“... zum Vergnügen der Hörerinnen und Hörer aus dem Osten oder mit Ost-Affinität. Da tut es auch nicht so weh, wenn man das Gefühl hat, einiges schon aus anderen Programmen des Kabarettisten zu kennen – aktuell ist es allemal. Leider. Die Buschfunk-CD kostet im freien Handel unter 15 Euro. Ralf Richter
Ruandas Sturz in den Genozid nicht während des Völkermordes, sondern schildert den Schulalltag an einem katholischen Mädchenpensionat in Ruanda der 1970er Jahre, zwei Jahrzehnte vor dem Genozid. An dieser Schule hoch oben im südwestlichen Bergland, unweit einer der Nilquellen, lernen die Töchter ranghoher Politiker, Militärs, Geschäftsleute und Diplomaten, aber auch die mittelloser Bauern unter strenger katholischer Aufsicht. Doch die scholastische Idylle trügt. Ruanda ist seit einigen Jahren unabhängig, und mit der sozialen Revolution haben sich auch die einstigen Machtverhältnisse zwischen den Tutsi und den Hutu zugunsten der Hutus verschoben. Eine gesellschaftliche Veränderung, die auch im Bildungswesen ihre Folgen zeigt. Der Zugang zum Bildungssystem ist für Kinder der Tutsi durch eine Quote, schon oft Quell ewigen Unfriedens, geregelt. Doch für die Schülerin Gloriosa, eine Hutu, ist das noch nicht genug: „Auf zwanzig Schülerinnen zwei
Tutsi, das ist also die Quote, und wegen der haben Freundinnen von mir, echte Ruanderinnen vom Hauptvolk, dem Volk-der-Hacke, in der Schule keinen Platz mehr bekommen“. Die Schule wird zum Mikrokosmos, in dem sich die Mechanismen der Gewalt und des Has-
Bild: Ludovic Péron / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Im eben erst vergangenen Jahr 2014 dominierte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren unseren Erinnerungshorizont. Der rwandische Genozid, der vor 20 Jahren stattfand und bei dem fast eine Million Menschen binnen 100 Tagen getötet wurde, blieb dagegen weitgehend unbeachtet. Dieser Lücke des Gedenkens hat sich der Verlag Das Wunderhorn mit der Übersetzung von Scholastique Mukasongas im Original 2012 erschienenem und mit dem Prix Renaudot ausgezeichnetem Roman „Notre-Dame du Nil“ angenommen. Die Autorin wurde 1956 in Rwanda geborenen und musste schon in ihrer Kindheit die Gewalt und Demütigungen des ethnischen Konflikts in Ruanda erfahren. Mit 17 Jahren ging sie nach Burundi ins Exil. Ein Großteil ihrer Familie fiel dem Völkermord in Ruanda 1994 zum Opfer. Sie lebt heute mit ihrer Familie in der Normandie. Der Entwicklungsroman „Die Heilige Jungfrau vom Nil“ spielt
ses spiegeln, und entlarvt den ethnischen Wahn und die kolonialen Altschulden. Die Schülerin Modesta, die selbst halb
Hutu, halb Tutsi ist, sagt zum Ursprung des Rassenwahns: „Dass es in Ruanda nun mal zwei Rassen gab. Oder drei. Das haben die Weißen gesagt, sie haben es herausgefunden. Sie schrieben es in ihren Büchern. Gelehrte kamen extra dafür angereist, maßen alle Schädel“. Aber auch nach der Unabhängigkeit sind es Europäer wie Pater Herménégilde, der belgische Anstaltsgeistliche, der in antisemitischer Weise gegen die Tutsi hetzt, die für ihn wie „die Juden“ seien. Doch bevor der mörderische Hass in seinem unausweichlichem Pogrom mündet, erzählt die Autorin, ermöglicht durch die gewählte Schreibform des Tagebuchs, wunderbare Geschichten über das ‚normale‘ Leben ruandischer Mädchen. Über eine Schülerin, die zu einer Regenmacherin geht, damit diese ihr ein spezielles Liebespuder für ewige Treue ihres motorisierten Freundes abmischt. Das belgische Königspaar, das seine einstige Kolonie mit einer Visite beehrt, der
zairische Botschafter, dessen liederliches Treiben mit einer Schülerin die Mutter Oberin geflissentlich übersieht, aber auch die bekannte Gorilla-Forscherin Dian Fossey und der deutsche Fotojournalist Robert Lebeck umkreisen das Geschehen an der Mädchenschule wie bunte Himmelskörper. Scholastique Mukasonga ist ein packender Roman voll unerträglicher Spannung gelungen. Sie hat unter dem trügerischen Schutz einer Schwarzen Madonnenstatue einen Ort des Friedens geschaffen, der nach und nach vom Hass gefangen genommen wird. Es graut einem beim Lesen, wenn man sich daran erinnert, dass das Entsetzliche, das dann losbricht, sein exaktes Vorbild in der Realität hat. Andreas Haupt Scholastique Mukasonga: Die heilige Jungfrau vom Nil. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014. 24,80 Euro.
Die letzte Seite
Links! 03/2015
Seite 8
Klaus der Geiger – bekanntester „Straßenpaganini“ Deutschlands sowie Seemannsschnulzen zum Besten gaben, entwickelte sich nun eine ernstzunehmende Qualität der Asphaltkunst. Ihre Texte, die hauptsächlich solistisch mit Gitarrenbegleitung gesungen wurden, gewannen rasch an politischer Bedeutung. Oppositionelle Soldatenlieder, die der 48er Revolution oder Songs gegen Atomkraft waren beliebt. Die neue Musikantengeneration
man auch ohne elektrische Verstärkung, englischen Singsang und Hochschulabschluss Musik machen konnte, dass selbst Jugendliche und Hörer, die zum ersten Mal mit dieser Musizierweise konfrontiert wurden, ein kleines Stück anderes Bewusstsein mit heimnahmen. Auch gründeten sich erste Straßenmusikensembles mit außergewöhnlichen Namen, wie z. B.
Ebenso bevorzugte er Schlagerparodien, die so manchen Passanten zu faszinieren vermochten. Konfrontationen mit Ordnungshütern blieben freilich nicht aus. Unangemeldete Auftritte wurden geahndet, so geschehen 1971 in Nürnberg: Weil Klaus der Geiger sich der Polizei widersetzte und nach ihrem Straßenverweis auf Wunsch des Publikums weiterspielte, kam es
„Mobiles Einsatz Ohr Kester Bochum“, „Schrott und Spott“ aus Franken oder „Die 3 Tornados“. In diesem Umfeld wurde „Klaus der Geiger“, wie von Wrochem sich nunmehr nannte, prompt bekannt, zumal er auch in Studentenklubs sowie in Jugendzentren auftrat. Er verstand es, bekannte Melodien, die hauptsächlich aus der Klassik-, Rockoder Folkmusik stammten, mit aktuellen, aggressiven und pointierten Texten zu unterlegen.
zu einem Handgemenge, er wurde verhaftet. Aus Protest trat er in den Hungerstreik. Nach seiner Entlassung zog er fünf Jahre lang durch die Lande, wohnte im Bauwagen, in Kommunen und Hüttendörfern. Er beteiligte sich an Demonstrationen gegen Atommüll-Transporte, war bei Streiks und Hausbesetzungen aktiv, gab Konzerte für Obdachlose, sang und spielte gegen Neonazis, Immobilienhaie, Wohnungsspekulanten, Umweltverschmutzung
Bild: Rs-foto / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Der am 20. Januar 1940 in Dippoldiswalde geborene Klaus von Wrochem wurde schon als Kind mit der klassischen Musik konfrontiert. Besonders das Spiel auf der Violine hatte es ihm angetan. 1960 begann er folgerichtig ein Studium an der Musikhochschule Köln, bevor er sich der moderneren Klassik widmete und bei Karl Heinz Stockhausen und Mauricio Kagel studierte. Acht Jahre später ging er in die USA, wo er sich der zeitgenössischen Komposition der Avantgarde zuwendete. So hatte er eigentlich sehr positive Voraussetzungen für eine glänzende Künstlerkarriere, wäre er nicht von der in den Endsechzigern entfachten Hippiekultur sowie der aufkommenden Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg infiziert worden. Er zog einen Schlussstrich, kehrte 1970 nach Köln zurück, wohnte in einer Kommune und beschloss, niemals wieder als Sinfoniker in Konzertsälen aufzutreten. Es trieb ihn auf die Straße, auf den Boulevard und auf die „Dom-Platte“, um Straßenmusik zu machen. Seine Botschaft hieß von nun an: Puristisch politische Klarheit mit radikaler Sprache in der Tradition der alten Bänkelsänger. In den Siebzigern und Achtzigern wurde das Straßenbild zumindest in den Großstädten der BRD von einer neuen Form der Straßenmusik geprägt. Handelte es sich in den Fünfzigern und Sechzigern meist um bettelnde, oft kriegsversehrte Harmonikaspieler, die harmlose Schlager über Bierseligkeit
begann eine Rebellion gegen die kaufrauschsüchtige Hektik und Alltäglichkeit der geleckten Sauberkeit vor den Supermärkten. Die meist ungehobelt vorgetragenen Couplets wurden frecher, voller Spott und Sozialkritik, sie schockierten, provozierten und irritierten, veranlassten den einfachen Straßenpassanten, innezuhalten, zuzuhören und – je nach Originalität der jeweiligen Performance – nachzudenken. Viele Akteure bewiesen, dass
und Rassismus. Auch international war er präsent. Im Jahr 2000 gab er zusammen mit dem Straßenmusikensemble „Rukiwerch“ in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ein verwegenes kleines Konzert an den Pforten des Regierungspalastes. Bei den brisantesten Protestaktionen gegen Maßnahmen des westlichen Militärs wie in Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan war Klaus der Geiger stets zugegen. Und wenn sich die Gelegenheit ergab, war er an Orten, die im Fokus des Weltgeschehens standen, wie beispielsweise die Anti-Atomkonferenz (ikk) 2003 oder der G8-Gipfel in Heiligendamm 2008, selbstverständlich ebenfalls singend vor Ort. In den letzten Jahren befasste er sich mit der klassischen Musik und interpretierte Werke von Bach, Schostakowitsch oder Bartok. Ab und zu agitiert er weiterhin auf den Straßen, manchmal unterstützt von seinen Kindern oder dem Trio „Drei Geiger unter euch“. 2011 erhielt er den deutschen Weltmusikpreis „Ehren-RUTH“, überreicht während des Tanz- und Folkfestivals in Rudolstadt. Eine Hommage an Karl Valentin und Liesl Karstadt, gemeinsam erarbeitet und aufgeführt mit seiner Tochter Antje von Wrochem, sowie ein Astor-Piazzolla-Programm mit dem Gitarristen Marius Peters 2014 bestätigen seine künstlerische Vielfalt. Am 20. Januar 2015 feierte Klaus von Wrochem seinen 75. Geburtstag. Wir gratulieren nachträglich ganz herzlich! Jens-Paul Wollenberg
„Es war alles falsch, es waren unsere besten Jahre“ „Es wird nie ein Mensch fliegen“, so behauptet überzeugt der Bischof gegenüber den Leuten – nachdem der „Schneider von Ulm“ beim Versuch, das Gegenteil zu beweisen, auf dem Pflaster zerschellt ist. So jedenfalls in Bert Brechts gleichnamiger Ballade. Nun, es haben trotzdem immer wieder Menschen versucht. Und auch wenn nicht der Mensch selbst fliegt, sondern von ihm beherrschte Maschinen, ist der Bischof längst widerlegt. Der Mensch fliegt. Und nur dann, wenn seine Maschinen versagen, zerschellt er weiterhin am Boden. „Der Schneider von Ulm“ ist der Titel einer endlich auch auf Deutsch erschienenen Monografie über die Kommunistische Partei Italiens von Lucio Magri. Übersetzungen des 2009 veröffentlichten Bandes liegen seit Jahren vor. Es ist bezeichnend für den Zustand der deutschen Wissenschaft und des deutschen Verlagswesens, dass die jetzt vorliegende Ausgabe nur durch die finanzielle Unterstützung etlicher Wissenschaftler
sowie der Rosa-LuxemburgStiftung im renommierten Argument-Verlag erscheinen konnte. Der britische „Guardian“ urteilt in seiner Rezension: „Manchmal spürt man den Schmerz eines Menschen, der sein Leben lang für ein besseres Italien gekämpft hat, um schließlich einem so lächerlichen Widersacher wie Silvio Berlusconi gegenüberzustehen – besiegt nicht etwa von den Massen, sondern von den Märkten“. Man könnte sich wohl kaum einen kundigeren Analytiker des Scheiterns der einstmals mit Abstand größten Kommunistischen Partei in Westeuropa vorstellen. Lucio Magri hat die Geschichte dieser Partei ein Leben lang mitgestaltet. In leitenden Funktionen ebenso wie auch als Ketzer, als ihm die Parteilinie untragbar zu werden schien. Das Resultat seiner Dissidenz war im Jahr 1971 die Tageszeitung „Il Manifesto“, die – trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten – im Gegensatz zur KP bis heute überlebt hat. Mit Magri gemeinsam gegangen waren
führende Intellektuelle der Partei wie Luigi Pintor und Rossana Rossanda. Gelesen wurde ihr Blatt aber weiterhin auch in Kreisen der KPI, denn Teile des Jugendverbandes und einzelne Parteigliederungen, aber auch die linke Metallarbeitergewerkschaft und linke Intellektuelle teilten die Kritik der Gruppe um „Il Manifesto“. Aus der Zeitung, die so tatsächlich kollektiver Organisator wurde, entstand 1974 die „Partei der proletarischen Einheit für den Kommunismus“. Am Gründungsparteitag nahmen Vertreter fast sämtlicher Befreiungsbewegungen aus der so genannten Dritten Welt teil. Lucio Magri wurde der Generalsekretär. Ein wesentliches Ziel bestand seit Anbeginn darin, die eigene Existenz überflüssig zu machen. Dies wäre dann erreicht, wenn die KPI ihre wesentlichen Fehler korrigiert hätte und innerparteiliche Demokratie umgesetzt würde. In wohl allen anderen Ländern wäre eine solche Abspaltung von der hegemonialen Kommunistischen Partei
als Feind behandelt worden. Es ehrt die KPI, dass sie diesen üblichen Weg nicht gegangen ist. 1984 bot Enrico Berlinguer, damals Generalsekretär, die Rückkehr in die Mutterpartei an. Das Angebot wurde angenommen, wichtige Personen der Gruppe wie Lucio Magri in wichtige Leitungsfunktionen kooptiert. Doch war es bereits zu spät, um wirksam den Kurs zu ändern. 1991 folgte die schmähliche Selbstauflösung der Partei. Magri und der Kreis um ihn stimmten gegen diesen Schritt. Anschließend organisierten sie sich in der neuen „Partei für die Kommunistische Neugründung“ (PRC) sowie in der Friedensbewegung. Um schließlich auch das Scheitern der PRC erleben zu müssen. Als im vergangenen August bei der europäischen Sommeruniversität von Attac in Paris Wissenschaftler_innen aus zahlreichen Ländern bei einem Workshop über das Erstarken rechter Parteien auf dem Subkontinent debattierten, wurde von etlichen Teilnehmen-
den die eklatante Schwäche einer linken außerparlamentarischen Bewegung und der linken Parteien als eine Ursache dafür benannt. Sichtbar unruhig dabei wurde der Italiener Matteo Albanese. Er merkte schließlich an: „Ihr jammert auf hohem Niveau. In Italien gibt es schon längst keine Linke als gesellschaftliche Kraft mehr“. Lucio Magris Buch untersucht und schreibt also die Geschichte eines Scheiterns. Sachkundig und schonungslos gegenüber der eigenen Partei wie auch gegenüber der kommunistischen Bewegung insgesamt. Und doch wird sein historischer Optimismus bereits im Buchtitel deutlich. Der „Schneider von Ulm“ ist zwar nicht geflogen, aber der Mensch fliegt doch. Der Kapitalismus, davon war auch der greise Lucio Magri zutiefst überzeugt, wird nicht das Ende der Geschichte sein. Volkmar Wölk Lucio Magri: Der Schneider von Ulm; XXIII + 458 S., Hamburg: Argument, 2015, geb., 46 Euro.