Links! Ausgabe 04/2014

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Drei Jahre nach der verheerenden Reaktorkatastrophe von Fukushima Daichii

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2014

Als hätte die Naturgewalt von Erdbeben und Tsunami in Japan mit tausenden Todesopfern, hunderttausenden Verletzten, Millionen Obdachlosen und Schäden in Milliardenumfang nicht genug Grauen verbreitet, hält sie eine zusätzliche Katastrophe bereit, deren Folgen erst allmählich begreifbar werden. Als vor drei Jahren in Fukushima ein Reaktorblock nach dem anderen in die Luft flog, saß ich gebannt vor dem Bildschirm und ahnte mit etwas Vorstellungskraft, dass das die schwerste Atomreaktorkatastrophe sein würde, die die Menschheit bisher erlebt hat. Für Laien schienen sich die Explosionen in Block 1, 2 und 3 kaum zu unterscheiden. Aber für Experten wie Helmut Mayer, ehemaliger Betriebsleiter des AKW Biblis, schoss der Adrenalinspiegel hoch, als der dritte Block explodierte. Sofort erkannte er, dass sich diese Explosion von den anderen unterschied. Sie sah aus, als ob eine Atombombe explodierte. Und er sollte Recht behalten. Der Super-Gau einer Kernschmelze war als relativ unwahrscheinliches Restrisiko eingetreten. Täglich strömen Tausende Tonnen kontaminiertes Wasser in den Ozean, verseuchen Fische, Tiere und Pflanzen und Strahlung wird durch Wind und Regen über breite Gebiete verbreitet. Über 100.000 Personen mussten innerhalb der 20-km-Sperrzone ihre Heimat verlassen, leben immer noch zum großen Teil in Wohncontainern, haben ihre Heimat und ihre Beschäftigung als Fischer wohl für immer verloren, weil die Strahlendosis um das Tausendfache zu hoch ist, um

in diesem Gebiet gesund zu überleben. Trotzdem will die japanische Regierung das Sperrgebiet für Heimkehrer öffnen. Nicht weil dies gesundheitlich unbedenklich wäre. Nein. Vielmehr will die Regierung damit der Betreiberfirma Tepco Kosten ersparen, die sie an die Atomflüchtlinge bis ein Jahr nach Aufhebung des Evakuierungsbefehls für die Verluste zahlen muss. Bisher wurden zwar lediglich die Wohngebiete, aber nicht das gesamte Gebiet dekontaminiert. Die Strahlungswerte und der in der Umgebung herumliegende notdürftig in Plastesäcken verstaute Atommüll tut sein Übriges zur hohen Strahlenbelastung. Und die Regierung hält wesentliche Informationen vor der Bevölkerung geheim, ja unterbindet sogar eine kritische Berichterstattung in den Medien. So werden die Menschen noch einmal in die Irre geführt und ihrem Schicksal ausgeliefert. Die geschmolzenen Brennstäbe aus den Reaktorkernen herauszuholen, ist nur sehr schwer möglich, weil dafür erst noch geeignete Technologien entwickelt werden müssen. Selbst wenn das gelingt, veranschlagt die Betreiberfirma rund 40 Jahre für den Rückbau der Atomruinen. In Deutschland gibt es sechs mit Fukushima baugleiche Siedewasserreaktoren, von denen bisher nur zwei abgeschaltet sind. Das Sicherheitsproblem dieser Reaktoren besteht darin, dass sie nur über ein einziges Kühlsystem verfügen. Fällt das aufgrund einer Störung des Pumpsystems oder eines Stromausfalls aus, besteht die Gefahr einer Kernschmelze mit allen Folgen. Das kann auch ohne Erdbeben und Tsunami geschehen. Deshalb muss am Atomausstieg in Deutschland festgehalten werden. Denn schon regen erste Stimmen an, wie die vom ehemaligen CSUVerkehrsminister Ramsauer, über eine Verlängerung der Laufzeiten für die AKW nachzudenken.


Links! im Gespräch

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»Am besten wären freundschaftliche Verhältnisse« seitige Berichterstattung gepflegt – man stellte sich bedingungslos auf die Seite der „Aufständischen“, ohne zu sagen, wer diese Leute sind. Der russische Vorwurf, dass viele von denen aus der Westukraine nach Kiew gekarrt worden sind, stimmt. Viele Menschen in der Westukraine leben und arbeiten den Sommer über im Westen – viele in Spanien, Italien, Frankreich – als Saisonkräfte und kommen dann den Winter über in ihre Heimat. Diese Leute haben schon etwas von der Welt gesehen und waren in der Tat unzufrieden mit den Verhältnissen in der Ukraine.

Im Februar feierte in Dresden das Deutsch-Russische Kulturinstitut (DRKI) sein 20-jähriges Bestehen. Das DRKI war die Keimzelle des ersten Russischen Zentrums im deutschsprachigen Raum, das im Herbst seit fünf Jahren bestehen wird. In seiner Rede anlässlich der Vereinigung der Krim mit Russland erinnerte der russische Präsident Wladimir Putin die Deutschen daran, welches Glück es bei der Wiedervereinigung gegeben habe – seit Anfang der 90er Jahre seien die Russen über viele Länder verstreut. Wer sich in Deutschland an den November 1989 erinnert, solle auch die Menschen auf der Krim verstehen. Anlässlich der Irritationen im Ukraine-Konflikt zwischen Russland und Deutschland sprach Links! mit dem langjährigen Leiter des Deutsch-Russischen Kulturinstituts, Dr. Wolfgang Schälike. Herr Dr. Schälike, Dresden hat im gesamten deutschsprachigen Raum das erste Russische Zentrum bekommen. Vielleicht können Sie einleitend etwas zur Geschichte des Hauses sagen? Die reicht in der Tat weit zurück. Gleich nach dem Krieg war es für die Sowjetunion noch unklar, was einmal aus der sowjetisch besetzten Zone wird. Aus diesem Grund kaufte die Sowjetunion in Ostdeutschland Immobilien – ca. 200 Stück an der Zahl. Hier in Dresden gehörte dazu diese Villa auf der Zittauer Straße, außerdem Schloss Albrechtsberg. Das ist eines von den drei Elbschlössern. Ich erinnere mich daran, dass es zu Zeiten meiner Kindheit noch Pionierpalast war und dort jedes Jahr tausende Pioniere hinkamen. Genau. Wie gesagt, nach 1945 waren die Würfel noch nicht gefallen – eine DDR-Gründung, wie sie ja dann schließlich 1949 erfolgte, war in dieser frühen Nachkriegszeit für niemanden absehbar. Auch in Moskau war man ja damals nicht auf die deutsche Teilung eingestellt, sondern man hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sich Deutschland so wie Österreich entwickelt, also ein blockfreies Land wird, das zu keinem Militärbündnis gehört. Damit hätte die Sowjetunion gut leben können. Außenminister Lawrow

Welche Meinung haben Sie zu Janukowitsch?

Bild: Ralf Richter

wünscht sich für die Ukraine ebenfalls den Status eines blockfreien Landes. Denkt heute wie auch 1945 bei Deutschland in Russland niemand über eine Teilung der Ukraine nach? Russland ist an stabilen Verhältnissen in der Ukraine interessiert. Eine Teilung wäre nicht unproblematisch. Am besten wäre es wohl für beide Länder, wenn sie freundschaftliche Verhältnisse miteinander pflegen würden. Bedenken Sie: Es gibt wohl an die drei Millionen Ukrainer in Russland, viele arbeiten dort. In der Ukraine gibt es viele gemischte Familien, ebenso in Russland. Wenn Wladimir Putin von Brudervölkern spricht, dann meint er das auch wirklich so. Denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine familiäre Erfahrung vielerorts, deshalb sollen Ukrainer möglichst einfach nach Russland zu ihren Verwandten reisen können und Russen aus Russland zu ihren Verwandten in der Ukraine. Das wäre wohl kaum möglich, wenn die Ukraine in die EU aufgenommen würde, EU-Außengrenze wäre und womöglich noch NATOLand. Das kann man sich in der Tat in Russland kaum vorstellen. Ich habe Flugzeugbau bei Moskau studiert und ich sehe auch

praktische Probleme. Denken Sie nur an die unterschiedlichen Normen in der EU und Russland – bis jetzt produziert die Ukraine sehr viel für den russischen Markt, nicht nur Raketen- und Militärtechnik. Dann kennen Sie ja die EUNormen in der Landwirtschaft. In dem Moment, wo die Ukraine den russischen Markt verlieren würde, hätte sie doch nicht automatisch einen festen Platz auf dem EU-Markt. Es würde große auch wirtschaftliche Instabilitäten geben und das nicht nur in der eher agrarisch geprägten West-, sondern auch in der industrialisierten rohstoffreichen Ostukraine, wie zum Beispiel in der Donbass-Region. Wenn Sie wissen, wie die Planwirtschaft von Moskau aus für die gesamte Sowjetunion funktionierte, dann wissen Sie, dass sehr viel aus Russland in der Ukraine investiert wurde. Das Verhältnis scheint durch die Geschehnisse auf der Krim zwischen der Ukraine und Russland stark belastet. Russland ist da in einer schwierigen Lage, und die Ukraine nicht minder. In Russland macht man dafür insbesondere den Westen verantwortlich. Es ist bekannt, wer Klitschko finanziert und wie viel die Amerikaner in die sogenannte Opposition investiert haben.

Wenn Sie aber genau zuhören, dann lässt Russland zwar an der derzeitigen Putschistenregierung kaum ein gutes Haar – fünf Minister in Kiew und der Generalstaatsanwalt sind Parteigänger der russlandfeindlichen Rechtsextremen –, aber man kritisiert nicht das ukrainische Volk sondern vielmehr eine äußerst unverantwortliche Politik der EU, die die Ukraine vor die Wahl gestellt hat: Entweder ihr seid für die EU oder ihr seid für Russland. Und es war doch jedem klar, der ein wenig die Verhältnisse in der Ukraine kennt, dass das die Meinungen spaltet. In den Westmedien wird uns die Botschaft verkauft, in Kiew hätten EU-freundliche Kräfte die korrupte Janukowitsch-Clique gestürzt. Wenn man russische Medien verfolgt, hat man das Gefühl, dass darin die Rolle der Nazis, die ja zweifellos kräftig mitmischen, doch stark überbetont wird. Da ist etwas dran. Der „Rechte Sektor“, das sind 4.000 Mann, also 40 Hundertschaften. Dass die eine ernsthafte Bedrohung für Russland darstellen, bei allem martialischen Auftreten, kann man wirklich bezweifeln. Gleichwohl sieht man in Kiew keine Regierung, mit der man verhandeln könnte. Der Westen hat seit Beginn der Krise eine äußerst ein-

Ehrlich? Da hat eine Oligarchen-Clique die andere Oligarchen-Clique abgelöst bei den letzten echten Wahlen, als Janukowitsch gewann. Man hält übrigens in Russland selbst nicht besonders viel von Janukowitsch. Medwedjew soll sich geweigert haben, ihm die Hand zu geben. Es ist doch schon auffallend, dass Janukowitsch nicht in der Ost-Ukraine oder auf der Krim geblieben ist, finden Sie nicht? Offenbar ist er sich nach seinen Amtsjahren nicht so sicher, dass man ihn in der Ost-Ukraine wirklich will. Was will man in der Ost-Ukraine? Ich denke, man pokert. Für manche könnte es wohl unter einer EU-Anbindung besser sein, andere sehen die Zukunft in einer engeren Bindung an Russland. Wer wird die besseren Angebote machen? Aus meiner Sicht ist heute nicht absehbar, wohin die Reise in der Ukraine geht. Übrigens sollte man auch noch zwei Dinge in Betracht ziehen. Sowohl die Ukraine als auch Russland sind Länder, die erst noch ihre eigene Identität finden müssen. Auch der russische Nationalismus ist sehr stark, das vergisst man im Westen bei aller Putin-Kritik. Vielleicht ist Wladimir Putin das letzte Bollwerk gegen die russischen Nationalisten? Was wird geschehen, wenn diese nach der Macht greifen, in einem Land voller Atomwaffen mit über einhundert Nationalitäten? Wenn der Westen klug ist, wird er Putin unterstützen – auch jetzt in dieser für ihn nicht einfachen Zeit. Die Fragen stellte Ralf Richter.


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Von Sotschi über Kiew zur Krim Als jemand mit sehr vielen Kontakten – auch persönlicher Art – sowohl nach Russland als auch in die Ukraine fühle ich mich subjektiv sehr stark von den Ereignissen dort und von ihrer Reflexion in den hiesigen Medien betroffen. Bereits während der Olympischen Spiele von Sotschi hatten ja nahezu alle mir bekannten aufmerksamen und kritischen Fernsehzuschauer das Gefühl, dass die Grundtendenz der Berichterstattung nicht so ganz mit der Realität, wie sie auch durch die Statements von Sportlern und Offiziellen immer wieder dargestellt wurde, korrespondierte. Da dies alles schon eine Weile zurückliegt, sei hier von detaillierteren Betrachtungen dazu abgesehen. Auch die an Einseitigkeit nichts zu wünschen übriglassende mediale Reflexion des Geschehens auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew (ukrainisch: „Maidan Nesaleschnosti“) soll hier nur erwähnt und nicht vertieft werden. Dass die antirussische und Putin dämonisierende Berichterstattung mit den Ereignissen um die Krim nochmals eskalierte, erklärt sich meiner Überzeugung nach nicht so sehr aus der Sorge um die Verletzung internationalen Rechts (territoriale Integrität der Staaten, siehe Ex-Jugoslawien, Kosovo, Ex-Sowjetunion – über all das hatten unsere Leitmedien sehr wohlwollend berichtet), sondern mehr aus der Frustration der USA (und in deren Gefolge der EU und ihrer nahezu gesamten Medien-

Wilhelm und Jacob Grimms Sammlungen von Sagen und Märchen kennt wohl jede und jeder. Zumindest gehört hat man schon davon. Aber wer kennt schon die „Gesta Romanorum“ (Die Taten der Römer)? Nur so viel: Es ist eine in Latein geschriebene Sammlung von „Exempeln“ aus dem Mittelalter. Ins Deutsche übersetzt hat sie 1842 ein gewisser Johann Georg Theodor Graesse, seines Zeichens Privatbibliothekar des sächsischen Königs Friedrich August II. Da gibt es eine merkwürdige Geschichte. Der ungarische König Conan belagert ein Schloss. Die Schlossherrin erkennt von der Mauer herab, dass dieser Ungarnkö-

landschaft) darüber, dass man zwei bis drei Tage lang glauben durfte, einen genialen geostrategischen Schachzug getan zu haben, um gleich darauf einen kleinen, aber nicht unwesentlichen Teil dieser „Beute“ dauerhaft der neuen Einflusssphäre wieder entgleiten sehen zu müssen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als die nächste wichtige Kategorie des Völkerrechts, die bei anderen Gelegenheiten (s. o.) sehr gern bemüht wird, spielte in diesem Falle gar keine Rolle. Für mich ist es übrigens nicht ohne Pikanterie, wie der willkürliche Akt eines Sowjetführers – die Krim wurde 1954 von Chruschtschow in einem Anflug von Selbstherrlichkeit von der Russischen SFSR an die

Ukrainische SSR verschenkt –, der in jedem anderen vorstellbaren Fall nur schlimmstes Unrecht hätte bewirken können, von westlicher Seite in diesem Kontext plötzlich als absolut normal und völkerrechtskonform angesehen wird! Ebenfalls interessant ist die vielfach in den hiesigen Medien kolportierte Argumentation der neuen ukrainischen Regierung, wonach die Abtrennung der Krim nicht verfassungskonform sei. Allerdings: Wäre diese Verfassung von den neuen Herrschenden nicht außer Kraft gesetzt worden, wäre ja Viktor Janukowitsch noch Präsident und die Krimfrage hätte sich so gar nicht gestellt! „Russland ist auf der Krim mit Streitkräften einmarschiert.“

Wer hat das eigentlich gesehen? Sollen wir das unseren „objektiv“ berichtenden Medien nach allen anderen Rechercheleistungen einfach so abnehmen? Ich bin skeptisch. Was wir wirklich wissen – nicht nur zunächst das Parlament, sondern auch eine überwältigende Mehrheit der Krimbevölkerung hat in einem demokratischen Verfahren für einen Beitritt zur Russischen Föderation gestimmt. Auf der Krim handeln sogenannte „Selbstverteidigungskräfte“, allerdings im Gegensatz zum „Maidan“ ohne Gewalt und vor allem ohne Blutvergießen. Ist dies mit dem „Begriff „Annexion“ tatsächlich zutreffend beschrieben? Es bestand für Russland nach aller Logik überhaupt keine Notwen-

digkeit – selbst wenn es aggressive Absichten verfolgt hätte –, mit Streitkräften dort einzurücken. Für die Menschen auf der Krim haben sich mit dem neuen Regime in Kiew aber die Lebensgrundlagen verändert, zum Beispiel sollte die russische Sprache als Amtssprache verboten werden. Obwohl die Halbinsel also 1954 von der Russischen SFSR an die Ukrainische SSR überging, hat sich die Krimbevölkerung – stets russisch orientiert – immer loyal zur Ukraine verhalten, zunächst, weil sich im Rahmen des Gesamtstaates UdSSR ohnehin nichts wirklich Substanzielles verändert hatte, später im Rahmen einer weitgehenden Autonomie. Jetzt sind die Grundlagen dieser Loyalität zerstört worden. Für die ukrainische Bevölkerung insgesamt, der entscheidende Verbesserungen ihrer Lebenslage dringend zu wünschen wären, ist es eher sehr fraglich, ob die „neuen“ Bedingungen wirklich Fortschritte bringen. Aus unmittelbarer Kenntnis der Situation habe ich daran erhebliche Zweifel. Zum Schluss sei angemerkt, dass in breiten Kreisen – vor allem der älteren Einwohner der Ukraine und Russlands – die aktive Einmischung Deutschlands in diese Krise vor dem Hintergrund seiner geschichtlichen Rolle, gelinde gesagt, sehr skeptisch gesehen wird. Dr. Reinhold Gläß ist Professor der Universität der Nationalbank der Ukraine und Ehrendoktor der Universität Kostroma (Russische Föderation).

nig ein sehr schöner Mann ist. Heimlich schreibt sie ihm, falls er sie zur Frau nähme, würde sie ihm die Burg übergeben. Der Ungar lässt sich darauf ein. Die Ehe wird vollzogen. Die bereits vorhandenen Kinder der Frau fliehen. Das war der erste Tag. Was aber tat der grausame Magyare schon am zweiten Tag? Er übergab die frisch angetraute Frau zwölf Ungarn, „um sie öffentlich zu beschimpfen“, und schon am dritten Tag „ließ er sie am ganzen Körper bis an die Kehle durchbohren“. Die Begründung? „Ein solches Weib, die vor fleischlicher Lust ihre eigene Stadt ins Verderben gestürzt hat, muss auch einen solchen Ehemann bekommen“. Bei der Lektüre war ich bisher immer erzürnt über die Grausamkeit, mit der sexuelles Begehren von Frauen bestraft wurde. Männern ist dies ja in den meisten Sagen und Märchen nicht nur gestattet, Frauen sind dann auch noch der Preis für Heldentaten. Wie es heute ist, mag jede und jeder selbst bewerten. Die ganze

Sache schien mir aber gerade deshalb Anfang März im Umfeld des Frauentages zitierenswert. Und dann kam uns allen etwas dazwischen: die Ukraine und die Krim. Die Geschichte jedoch blieb mir im Kopf! Wie das? Mir fielen plötzlich die vielen „Freierinnen“ ein, die sich der sie „belagernden“ EU und NATO willig ergeben hatten oder das noch machen wollten. Ist doch geil – oder? An Folgen malte man sich die schönsten Beglückungen aus. Nun drohte nach dem Vollzug der Vermählung nicht gleich der qualvolle Tod. Die Beschimpfungen

wollte man es nicht hören. Und hätte man die Finger von der Liaison gelassen, wie es einige durchzusetzen versuchten, sollte man hinterher jammern wie die stolze Prinzessin im Märchen vom König Drosselbart: „Ach hätte ich ihn doch genommen, den König Drosselbart!“ Vom Märchen wissen wir, dass sie ihn schließlich „genommen“ hatte – nicht freiwillig und zunächst unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Dieses Märchen hat aber ein „happy-end“. Der die Braut zunächst zum Betteln gezwungen und bösen Schikanen ausgesetzt hatte, entpuppte sich am Ende doch als der verschmähte König und späte Glücksbringer. Wer glaubt, dass es auch heute so enden könnte, ... siehe oben. Oder es wäre anzunehmen, dass Stolz und freier Wille einer Seite zuvor gebrochen werden müssten, ehe das Glück einkehren könnte. Dass im Fall der Ukraine gleich zwei Freier konkurrierend auftauchten, machte die Sache nicht besser und ließ kaum alternati-

ve Perspektiven erhoffen. Die Wirklichkeit enteilte ohnehin der Analogie zu Märchen und Sagen. Wie sie sich am Tag des Erscheinens dieser Kolumne darstellen wird, ist noch nicht abzusehen. Den Freiern ist die Braut nicht mehr wert als ein Regenwurm, den man in zwei weiterlebende Hälften zerteilen kann. An die Stelle ästhetischer Sprache tritt im Kampf um die Hälften die Brutalität der Schmähreden. Durch die Sprachrohre dröhnen die gegenseitigen, vergangen geglaubten Schuldzuweisungen. Die Welt aber hat Angst. Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und fünfundsiebzig Jahre nach dem Aufflammen des größten Weltenbrandes aller Zeiten, des Zweiten Weltkrieges, geht die Furcht vor neuerlicher Wiederholung um. Moment mal! „Ausbruch“? „Aufflammen“? Nein, das gilt für Kriege nicht. Sie werden noch immer von Menschen gemacht. Märchen und Sagen sind hierzu übrigens sehr präzise.

Die Taten der Europäer blieben aber oft nicht aus. Die Griechinnen und Griechen, Portugiesen und Portugiesinnen und manch andere Völkerschaften können das Lied davon singen. In der Ukraine


Hintergrund

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Europäische Linksparteien

Ein weißer Fleck färbt sich rot Kurz vor den Europawahlen im Mai dieses Jahres sieht es für die Europäische Linkspartei (EL) gar nicht so schlecht aus. Im zehnten Jahr ihres Bestehens legt sie in der politischen Stimmungslage europaweit zu. Zwar gibt es in einigen europäischen Staaten überproportional hohe Zuwächse für Parteien der radikalen Linken, wie in Spanien oder Griechenland. Die griechische Linke SYRIZA liegt stabil zwischen 25 und 29 Prozent, die Vereinigte Linke Spanien (IU) rangiert bei 16 Prozent in Umfragen. Neu, und deshalb besonders, ist aber die Tatsache, dass Parteien links der Sozialdemokratie in vielen Ländern der Europäischen Union an Stärke gewinnen. Dies führt dazu, dass die Linksfraktion im Europäischen Parlament derzeit in Vorwahlbefragungen mit knapp 18 Prozent als drittstärkste Fraktion gehandelt wird. Nun sind Umfragen noch keine Wahlergebnisse und in die Zahlen mischt sich nach wie vor ein großer Wermutstropfen. Denn nicht in allen Mitgliedsstaaten der EU verfügt die Europäische Linke über Mitglieds- oder Partnerparteien. Dies betrifft vor allem den Osten des Kontinents. Schlimmer noch: Hier gibt es kaum nennenswerte und verankerte Linksparteien, die zukünftig ihren Weg in die EL oder die Linksfraktion im Europäischen Parlament finden könnten. Gründe dafür gibt es zahlreiche. Mit Sicherheit gehören dazu ein starkes antikommunistisches Moment in den Transformationsstaaten des ehemaligen Ostblocks, Wirtschafts- und So-

zialkrisen sowie Symbol- und Betätigungsverbote für die politische Linke. Die Europäische Linke ist also gespalten in Ost und West. Mit dem EU-Beitritt Kroatiens verfügt die Linksfraktion im Europaparlament (GUE/NGL) nun über zwei Abgeordnete aus osteuropäischen EU-Staaten, die nicht Mitglied der starken tschechischen Linken KSCM sind. Nikola Vuljanic (Hrvatski laburisti – Stranka rada) aus

Rede ist von der „Vereinten Linken Sloweniens“, der aktuell zwischen sechs und neun Prozent der Stimmen zugeschrieben werden. Bei der slowenischen Linken handelt es sich genau genommen um keine Partei, sondern vielmehr um ein Bündnis dreier Linksparteien, die alle noch nicht lange im politischen Geschäft des Landes mitmischen. Dreh- und Angelpunkt ist die „Initiative für demokratischen

Gemeinsam mit der „Partei für nachhaltige Entwicklung“ und der „Demokratischen Arbeitspartei“ haben sie Anfang März das Parteienbündnis der „Vereinten Linken Sloweniens“ ins Leben gerufen. Der Andrang von Interessierten in Ljubljana war übergroß und auch das Medieninteresse war erstaunlich. Sämtliche slowenischen Fernsehstationen und wesentliche Tageszeitungen verfolgten die Unterzeichnung der Koopera-

Mitglieds- und Beobachterparteien der Europäischen LINKEN. Grafik: european-left.org

Bild: Luis García / Wikimedia Commons /CC BY-SA 3.0

Kroatien und Alfred Rubiks von der Sozialistischen Partei Lettlands sind die einzigen Vertreter Osteuropas in der parlamentarischen Vertretung der Linken in Europa. Dies kann sich mit den Wahlen am 25. Mai nun ändern. Denn eine neue Linksformation nimmt Anlauf auf einen Sitz im EP. Die

Sozialismus“, die aus den Sozialprotesten im Frühjahr und Sommer des vergangenen Jahres entstanden ist. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe vor allem junger Menschen, die Massenproteste gegen die Austeritätspolitiken der Troika im ehemaligen EU-Musterschülerland Slowenien organisierten.

tionsvereinbarung. Als Taufpaten und Mitunterzeichner des gemeinsamen Wahlantritts zu den Europawahlen waren der Spitzenkandidat der Europäischen Linkspartei, Alexis Tsipras und das EL-Vorstandsmitglied der LINKEN, Dominic Heilig geladen. Die Chancen für das Wahlbündnis, die Bürgerin-

nen und Bürger von ihren alternativen und links-ökologischen Inhalten jenseits der Vierprozenthürde zu überzeugen, stehen also nicht schlecht. Denn die Vereinte Linke Sloweniens schließt mit ihrem Wahlantritt eine Lücke auf der politischen Bühne, die die ehemalige Kommunistische Partei der Teilrepublik Sloweniens in Jugoslawien nach ihrer Transformation zur Sozialdemokratischen Partei hinterlassen hatte. Der Linken ist es in nur einem Jahr gelungen, die parteifern organisierten Proteste gegen die Sozialkürzungspolitiken nach dem Vorbild Griechenlands zu bündeln und in ein Wahlbündnis zu transformieren. Mehr noch: Die slowenische Linke will sich dauerhaft etablieren und hat vor diesem Hintergrund einen Aufnahmeantrag bei der Europäischen Linkspartei gestellt. Dass ein Erfolg der slowenischen Genossinnen und Genossen bei den Wahlen und deren Mitgliedschaft in der EL bzw. GUE/NGL eine positive Sogwirkung für die Linke im Osten Europas haben wird, ist bereits jetzt deutlich. In Bulgarien, Ungarn, Kroatien und weiteren Staaten der Europäischen Union haben linke Organisationen und Parteien überaus positiv auf die Entwicklungen in Ljubljana reagiert und schöpfen daraus wieder neue Kraft. Für die Europäische Linke könnten diese Ereignisse dazu führen, auch in den osteuropäischen Ländern endlich Fuß zu fassen. Die Spaltung der EL zwischen Ost und West würde damit um ein Vielfaches kleiner. Dominic Heilig

Sorbengesetz: Sachsen muss nachziehen „Neues Sorbengesetz für Brandenburg heizt Diskussion in Sachsen an“ titelte eine Zeitung in Brandenburg. In der Tat: Die Diskussion ist in diesen Tagen breit gefächert, bei den Sorben selbst, in der politischen Öffentlichkeit der Oberlausitz und auch in den Parteien. Allein die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag machte aus der Herausforderung Konkretes: Sie veranstaltete in Bautzen eine hochkarätig besetzte Diskussion zum Thema „Mit- statt Fremdbestimmung“. Die Domowina als Interessenvertreterin der Sorben wertet die Novellierung des Gesetzes in Brandenburg als „historisch bedeutsamen Akt im Sinne des sorbischen Volkes“. Abgesehen davon, dass mit dem verbesserten Sorbengesetz in Brandenburg ein Wahlversprechen der LINKEN erfüllt wurde, erfüllt es

zuallererst Forderungen der Sorben selbst. Was sollte nun aber in Sachsen getan werden? Sachsen, das Land, in dem mit dem Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung 1948 ein neues Kapitel des Minderheitenrechts in Deutschland eröffnet wurde, hat eine besondere Verpflichtung. Man schaut auf dieses Bundesland. Nach der „Wende“ galt das Sorbengesetz aus dem Jahre 1948 zunächst als sächsisches Landesrecht fort. Ende 1997 wollte die CDU dieses Gesetz im Rahmen der „Rechtsbereinigung“ ersatzlos streichen, Die damalige PDS-Fraktion übernahm mit einem Entwurf zu einem neuen Sorbengesetz die Initiative und brachte die Staatsregierung dazu, mit einem eigenen Gesetzentwurf nachzuziehen. In diesen Tagen wird das damals auf der Grundlage des Ent-

wurfs der Staatregierung (der PDS-Entwurf durfte es natürlich nicht sein!) einstimmig vom Sächsischen Landtag beschlossene Gesetz fünfzehn Jahre alt. Zwar noch nicht allzu sehr in die Jahre gekommen, weist es dennoch, wie schon bei seiner Verabschiedung, Mängel auf. Eine Novellierung ist darum dringlich. Sachsen, in dem zwei Drittel der Sorben leben, darf nicht hinter Brandenburg zurückbleiben. Die Liste von notwendigen Veränderungen ist nicht klein. Obenan sollte das Verbandsklagerecht für den sorbischen Dachverband stehen. Gerade in Sachsen ist das Fehlen des Verbandsklagerechts bei den Schließungen sorbischer Mittelschulen und bei der durch den Bergbau bedingten Zerstörung des sorbischen Siedlungsgebietes schmerzlich spürbar geworden. Es ist so und bleibt

so: Gerade für Minderheiten ist die Einklagbarkeit von Rechten von enormer Bedeutung. Nicht minder wichtig ist die minderheitenrechtliche Stärkung des sorbischen Siedlungsgebietes, insbesondere beim Abbau von Braunkohle und, wie auch aktuell ins Gespräch gebracht, von Kupfererz und Kaolin. Sorbische Dörfer sind Heimstätte von sorbischer Bevölkerung, ihrer Sprache und Kultur. Auch der Bericht zur Lage des sorbischen Volkes sollte angesichts der Gefährdungen für die sorbische Sprache und Kultur und der sie stützenden Einrichtungen anders gestaltet und erstattet werden: Er sollte die internationalen und die EU-Verpflichtungen zum Schutz von Minderheitenrechten und Minderheitensprachen und eine klare Bestandsaufnahme, Wirkungsanalysen der Fördermaß-

nahmen und Perspektive der Landespolitik in diesen Fragen beinhalten. Die breite öffentliche Diskussion ist dringend erforderlich. Es geht auch um die Sensiblisierung. Auch in den Kommunen, und nicht zuletzt in den im Landtag vertreten demokratischen Parteien. Die Legitimation des Sorbenrates ist zu erhöhen, seine Kompetenz zu erweitern. Die Zusammensetzung des Rates, der die Sorben in ihren Angelegenheiten beim Landtag vertritt, müssen die Sorben selbst wählen können. Zu regeln wäre auch die dringend notwendige Koordinierung der Ministerien in Angelegenheiten der Sorben, was nur auf der Ebene eines Beauftragten für sorbische Angelegenheiten bei der Staatsregierung gut laufen kann. Mithin: Der Regelungsbedarf ist groß. Heiko Kosel


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April 2014

Sachsens Linke

Thomas Dudzak und Stefan Hartmann blicken zurück auf den Landesparteitag und betrachten das Wahlprogramm der sächsischen LINKEN, das von den Delegierten einstimmig verabschiedet wurde. Tilo Wirtz schautz zurück auf die Entstehungsgeschichte

der WASG. Halina Wawzyniak erläutert, warum die Abschaffung der Sperrklauseln bei Wahlen wünschenswert ist. Michael Leutert macht

deutlich, warum LINKE Haushaltspolitik glaubwürdig sein muss, während Caren Lay LINKE Vorstellungen zur Energiewende verweist.

Dialog für Sachsen

hläge einbringen - au Diskutieren und Vorscen .de ww w.dialog-für- sachs

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Kein Wechsel ohne uns

11. Landesparteitag beschließt Landtagswahlprogramm einstimmig Am 15. März 2014 trafen sich die Delegierten auf der Besucherplattform des Dresdner Flughafens, um das Wahlprogramm für die diesjährigen Landtagswahlen zu beschließen. An diesem Ort, an dem auch 2009 bereits das Programm für die letzte Landtagswahl beschlossen worden war, endete damit auch ein vierjähriger inhaltlicher Verständigungsprozess. In den vergangen Jahren hatte die Partei eine Vielzahl von Leitlinien erarbeitet und verabschiedet, die die inhaltliche Grundlage des nun beschlossenen Wahlprogramms bildeten. Rico Gebhardt, Landesvorsitzender und designierter Spitzenkandidat für die Landtagswahl, hatte den Landesparteitag eröffnet. In seiner Rede nannte Gebhardt Soziale Sicherheit, Soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt als die drei Leitgedanken, die dem Programmentwurf zugrunde lägen, was die Partei von der herrschenden schwarz-gelben Regierung abgrenze. Der Markenkern der Partei stehe damit weiterhin im Mittelpunkt. Der Partei sei aber klar, dass alles, was verteilt werden solle, zunächst produziert werden müsse. Deshalb stehe das The-

ma Wirtschaft und Arbeit ganz oben im Programm. „Soziales und Wirtschaft sind zwei Seiten derselben Medaille“, heißt es dazu in der Präambel. Im Hinblick auf den derzeitigen Ministerpräsidenten sagte Gebhardt: „Tillich degradiert die Menschen zur Ressource.“ Und weiter: „Ich sage: Für uns als LINKE ist der Mensch nicht Mittel zum Zweck, sondern Ziel und Wert an sich.“ Sachsen brauche daher den Wechsel, der nur durch LINKE, SPD und Grüne gemeinsam erreicht werden könne. Bei allen programmatischen Differenzen vereinen diese drei Parteien die Vision einer humanen Gesellschaft und ein gemeinsames Wertefundament. „Wenn wir diesen Fakt nicht verschweigen, dann geben wir den Menschen in Sachsen die Chance, eine politische Wechselstimmung zu entwickeln, denn dann wissen sie, wer mit wem und wozu den Politikwechsel in Sachsen schaffen kann!“, so Gebhardt. Auch Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender und designierter Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Thüringen, Klaus Lederer, Berliner Landesvorsitzender, und Katja Kipping, Parteivorsitzende der LINKEN, stimmten die Delegierten auf

die bevorstehenden Wahlgänge ein. So verwies Klaus Lederer auf die bundesweite Bedeutung der bevorstehenden Landtagswahlen: „Das, was in Sachsen im August passiert, was in Thüringen und Brandenburg passiert, wird bundesweit von Bedeutung sein.“ Und weiter: „Wir müssen das politische Koordinatensystem nach links verschieben!“ Bodo Ramelow verwies auf die ähnlichen Herausforderungen, vor der DIE LINKE in Sachsen und Thüringen stehe. So müsse im Hinblick auf die zunehmende Aufgabenübertragung an die Kommunen die Finanzierung geklärt werden: „Wer will, dass die Kommunen Aufgaben übernehmen, der muss die Kommunen auch ausfinanzieren!“. Dies sei der LINKEN klar. Katja Kipping forderte ihre Partei auf, auch selbstbewusst zu Erfolgen in der Regierungsbeteiligung wie die Absenkung des Wahlalters in Brandenburg zu stehen. In Bezug auf die kommenden Europawahlen stellte sie noch einmal die Position ihrer Partei klar: „Wir haben in Hamburg eine wichtige Entscheidung getroffen: für uns kommt der Rückzug ins Nationale nicht in Frage.“ Vor dem Beschluss des Pro-

gramms stand für die Delegierten eine intensive Antragsdebatte. Mehr als 150 Änderungsanträge waren zum zweiten Entwurf des Wahlprogramms eingegangen, teilweise auf Anregung von außerparteilichen Bündnissen und Interessenvertretungen. Kurz nach 18.00 Uhr folgte schließlich die Schlussabstimmung über das Programm mit dem Titel „Besser leben in Sachsen“, das einstimmig angenommen wurde. Rico Gebhardt fasste in seinen Schlussworten noch einmal den Anspruch an das Wahlprogramm zusammen: „Dieses Landeswahlprogramm ist unser politisches Rezept für eine Gestaltung des Landes ohne CDU in der Regierung.“ Angesichts der aktuellen Welle fremdenfeindlicher Aktionen beschloss die Partei außerdem einen Dringlichkeitsantrag, der ein offensives Vorgehen gegen die NPD fordert: „Wir werden ihnen zeigen, dass sie nirgends ungestört rassistische Hetze verbreiten können“, heißt es in dem Beschluss. Thomas Dudzak Informationen zum 11. Landesparteitag finden sich auch im Internet unter http://www. dielinke-sachsen.de/partei/ parteitag/11-landesparteitag/

Auf dem 11. Landesparteitag in Dresden haben wir einen langen Verständigungsprozess abgeschlossen. Über vier Jahre haben wir unter uns, aber auch unter Einbeziehung verschiedenster Akteure aus der Gesellschaft diskutiert, wie wir uns ein besseres Leben in Sachsen vorstellen. Dieser Prozess mündete nicht nur in eine Vielzahl von Leitlinien, sondern nun auch in unser Wahlprogramm für die kommende Landtagswahl. Dieses Programm, das wir konsequenterweise unter den Titel „Besser leben in Sachsen“ gestellt haben, ist unser inhaltliches Angebot für einen Politikwechsel in Sachsen an alle Menschen im Freistaat. Um Missverständnissen vorzubeugen: Uns zieht es nicht um jeden Preis in die Staatskanzlei. Im Gegenteil. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass uns auch die Oppositionsbänke nicht zu hart sind. Wir können Opposition. Doch uns muss auch immer wieder klar sein: Ohne uns wird es keine gänzlich andere Politik in diesem Land geben, fernab der CDU. Wir kämpfen für einen politischen Wechsel, für einen spürbaren demokratischen Aufbruch, für langfristige soziale Sicherheit, Wohlstand und Perspektive für alle, die hier leben. Sollte dies am Wahlabend zu anderen Mehrheitsverhältnissen in diesem Land führen, so müssen wir dem offen gegenüberstehen. Wir werben um Zustimmung für unsere Politik. Wir müssen damit rechnen, diese zu bekommen. Ein politischer Wechsel in diesem Land sollte deshalb nicht an uns scheitern. Dass wir bereit dazu sind, Verantwortung zu übernehmen, haben wir mit unserem Programm dokumentiert.


Sachsens Linke! 04/2014

Meinungen Zur EU(-Wahl) (Sachsens Linke! 03/2014, S. 1) Die „Idee von Frieden und gelebter Solidarität“ ist eine linke, nicht auf Europa und erst recht nicht die EU beschränkte Idee. Dagegen führten Gründungsmitglieder der Vorläuferorganisationen der EU schon seit Beginn Krieg (z. B. Kolonialkriege) und wollten ihre wirtschaftlichen und Herrschaftsinteressen auf Kosten anderer Menschen durchsetzen. Nach langen Jahren Frieden hat die EU im Bündnis mit der NATO unter starkem Einfluss der BRD den Krieg wieder nach Europa gebracht (Zerschlagung Jugoslawiens). Staaten, die sich nicht unterwerfen, werden mit Sanktionen (z. B. Iran) und Krieg bedroht. Neben der aggressiven Politik nach außen und innen (z. B. Polizeieinsätze, Kürzungsdiktate) ist die Förderung der Wirtschaft und damit der wirtschaftlich Mächtigen Hauptziel der EU. Auch die Regional-, Bildungs- und Sozialprogramme sind dem Ziel unterworfen, die Menschen besser wirtschaftlich verwerten zu können. Was Regierungen nicht im Inland durchsetzen können, setzen sie häufig in der EU und damit in allen Mitgliedsstaaten durch, weil die EU noch undemokratischer als die Mitgliedsstaaten ist. Die-

se und viele weitere Kritikpunkte sind Ausdruck der EU-Grundsatzorientierung und können somit nur durch eine EU-Überwindung beseitigt werden. Und wir LINKEN sollten erfolgreiche Abwehrkämpfe gegen die EU-Politik nicht als „Errungenschaften der EU“ verklären. Rita Kring, Dresden Abwasserkonzept der Regierung birgt sozialen Sprengstoff Die EU fordert hundertprozentigen Kläranlagenanschluss oder vollbiologische Kleinkläranlagen bis 2015. Das ist wieder so ein 100 %-Diktat, denn EU-Richtlinien lassen keine Abweichung von der Regel zu – gleichgültig, ob es die Lage vor Ort erfordert oder eine andere Lösung besser ist. Diese Gesetze setzen Wissenschaft und Technik außer Kraft. Dass es auch anders geht, zeigten die Technischen Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen (TGL) der DDR mit der Festlegung, „verbindlich, soweit nicht andere Lösungen möglich sind“. Diese kategorische Forderung stellt die ländlichen Gemeinden und ihre Bewohner vor unlösbare finanzielle Probleme, denn auch eine 6000 € teure Kleinkläranlage erzeugt Abwasser, das entsorgt werden

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muss. Nur selten fließt ein Bach vorbei, der genügend Fließwasser für die Abwasseraufnahme führt. Ansonsten verbleiben nur ein Abwasserteich zur Verdunstung oder eine normgerechte Versickerungsanlage für den Grundstückseigentümer. Und die kostet das Gleiche wie die geförderte Kleinkläranlage, nur ohne staatliche Förderung! Außerdem darf sich im Umkreis von 200m kein Brunnen befinden, wie andere Gesetze es fordern. Da verbleibt dann wieder nur ein Kanal zum nächsten ausreichenden Fließgewässer. Solche Kanäle gab es schon für die alten Mehrkammerklärgruben und ihr restliches Abwasser als Teilortskanalisation, auch „Bürgermeisterkanäle“ genannt. Dort hat sich aber die juristische Lage völlig geändert, weil sie oft über private Grundstücke verlaufen. Sie wurden und werden mangels Einnahmen nur unzureichend gewartet, befinden sich in sehr schlechtem Zustand. Da kommen unbezahlbare Lasten auf die Gemeinden zu. Für Grundstücke an solchen vorhandenen oder möglichen Leitungen würden sich im Zuge der Gemeindeplanungen auch Gruppenkläranlagen auf Basis der Abwasserzweckverbände oder Abwassergenossenschaften beschließen lassen. Deren Vorteile: Staatliche Förderung für Gruppenanlage und Anschlusskanal, klare Verant-

wortung für die fachliche Betreibung. Der Anschlussnehmer muss nur seine Mehrkammerfaulgrube kurzschließen und die Leitungsrechte gewähren. Er leistet Gebühren und Abwasserbeitrag, die deutlich geringer sind als seine Kosten bei einer vollständigen Anlage auf seinem Grundstück. Aber die Last der Renovierung und Unterhaltung kommt wieder auf die Gemeinde zu. Die betroffenen Grundstückseigentümer haben auch ohne die Gemeindeaktivitäten die Möglichkeit, sich zu einer Abwassergenossenschaft mit gleichen Vorteilen zusammenzuschließen. Planungsbüros und Genossenschaftsverbände zur Beratung gibt es ausreichend. Was wird aber mit denen, die in den letzten Jahren solche niedrigen Einkommen hatten, dass sie diese teure Technik nicht bezahlen können? Zu den zigtausenden Euro Umrüstungskosten kommen die jährlichen Inspektions- und Wartungskosten von 200 bis 400 €! Allein mit einer Verordnung Druck zu machen (wie im Vorjahr geschehen) und das Ganze den örtlichen Wasserbetrieben aufzudrücken, kann doch wohl keine Lösung sein. Wir unterstützen die Forderung der Lommatzscher Bürgermeisterin, Frau Dr. Maaß, (SZ 28./29.12.2013) nach gründlicher Beratung und einem Umdenken. Dr. Michael Röhner & Dr. Eckehard Franz

Karl Liebknechts Schreibmaschine wird virtuell Im Jahr 2014 jährt sich der Ausbruch des I. Weltkrieges zum 100. Mal. Das Erbe des antimilitaristischen Kampfes von Karl Liebknecht („Der Hauptfeind steht im eignen Land“) und Rosa Luxemburg gegen die damalige Kriegspolitik ist bis heute innerhalb der LINKEN sehr lebendig. Seine Aktualität gewinnt der seinerzeitige konsequente Friedenskampf der beiden KPD-Mitbegründer auch daraus, dass die nach 1990 vergrößerte BRD schon wieder von Mali bis zur Ukraine unverhohlen deutsche Großmachtpolitik betreibt. Für die Leipziger LINKE, die im Geburtshaus von Karl Liebknecht in der Braustraße 15 ihren Sitz hat, bleibt die zeitgemäße Pflege seines Vermächtnisses eine ehrenvolle Aufgabe. Um dieser Verpflichtung auf originelle und kreative Weise ge-

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur

recht zu werden, entstand die Idee, ab Anfang August 2014 die im Liebknecht-Haus präsentierte Original-Schreibmaschine von Karl Liebknecht „ins Netz“ zu stellen. Am 22. März wurde dazu auch ein entsprechender Beschluss auf dem Stadtparteitag gefasst. Es handelt sich bei dieser historischen Schreibmaschine um ein relativ frühes Modell. Die „Caligraph 2“ war die erste Volltastaturmaschine (mit Großund Kleinbuchstaben) und wurde ab 1882 bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein gefertigt. Für jeden Buchstaben existiert ein eigener Typenhebel, der über ein hölzernes Tastenhebelwerk ausgelöst und von unten auf das in eine Walze eingespannte Papier aufgeschlagen wird. Für den Schreiber blieb der Text zunächst unsichtbar, wollte er die Walze nicht zur

Kontrolle manuell anheben. Im Zuge des Projekts soll nun eine Webseite entstehen, auf der die Schreibmaschine visuell und funktionell umfassend präsentiert wird. Neben Hintergrundinformationen zum Objekt, seinem ehemaligen Besitzer und seinen (ggf. auf dem Original getippten) Reden und Schriftstücken existieren auch interaktive Elemente. Zum einen wird es möglich sein, eine (um eine Achse) drehbare 360°-Ansicht der Schreibmaschine am Bildschirm zu bewegen und so einen räumlichen Eindruck zu erlangen. Zum anderen wird in einer zweiten Ansicht ein Abbild der Originaltastatur als virtuelle Tastatur eingeblendet, mit der eigene Texte in der Manier klassischer Schreibmaschinen erstellt werden können. Dies richtet sich vor allem an Nutzer von Tablet-

Computern. Bei der Interaktion mit dieser virtuellen Schreibmaschine ertönen authentische Geräusche bei Tastendruck, „Papiereinlegen“ und Zeilenanschlag. Die getippten Texte können exportiert und gedruckt werden. Der Leihgeber der Maschine – das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig – ist von dem Vorhaben begeistert. Wir hoffen nun, dass möglichst viele Menschen die Idee aktiv unterstützen, denn sie kostet natürlich Geld. Die dafür notwendigen Kosten in Höhe von ca. 2.500 Euro sollen über ein Einzelsponsoring der insgesamt 75 Schreibmaschinetasten zu je 35 Euro zusammen kommen. Die SponsorInnen werden dann auf der Webseite namentlich aufgeführt. Die ersten 10 Tasten sind schon vergeben. Volker Külow

und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Archiv, iStockphoto, pixelio. Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725

Glosse

Der Endsieg ist nah! von Uwe Schaarschmidt Was wäre die moderne Politik ohne Hitler? Schlicht nicht möglich – denn ohne Hitler kommt sie nicht aus. Wo immer im Namen von Freiheit, Demokratie und Rüstungsexporten ein Krieg um Ressourcen, Wegerechte, Produktionsstandorte und Absatzmärkte angezettelt wird, ist Deutschlands berühmtester Seitenscheitel alternativlos und wird auch in Amerika sehr gern genommen. Egal, ob der Schurke nun Araber (Saddam, Assad), Serbe (Milosevic) oder seit neuestem Russe (Putin) ist – Hitler ist er in jedem Falle! Ein wenig Hitler in der Kriegserklärung ist so unersetzlich wie die Auster auf dem Buffet des Wohltätigkeitsballes oder eine SpiegelTV-Reportage aus den Kemenaten geschasster Despoten, die kürzlich noch geachtete Verhandlungspartner auf dem diplomatischen Parkett oder Gastredner auf Wirtschaftskonferenzen waren. Es kommt immer, wie es kommen muss. Zu Beginn der Maidan-Proteste belehrte der Rummelboxer Vitali Klitschko den inzwischen bei Adolf Putin untergekrochenen Gauleiter der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, über die schlimmen Folgen der Gewalt. Diese Warnung des vitalen Ghandi der Boxarenen hätte der SA-Mann vom Dnepr ernst nehmen sollen – dann wäre ihm das Schicksal von Rudolf Hess erspart geblieben. Stattdessen trinkt nun Julia Timoschenko, die liebste Patientin von Angela Merkel und Werner Schulz, literweise Zielwasser, um irgendwann den freien Oberkörper des KremlFührers vom Pferd schießen zu können. Für die westliche Welt dürfte dies kein unersetzlicher Verlust sein: Im Bunker der Minsker Reichskanzlei wartet schon der nächste Hitler auf den Sturm der Schwarzroten Armee!

Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 25.03.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 30.04.2014.


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10 Jahre Aufruf der Initiative Arbeit & soziale Gerechtigkeit Im März 2004 verweigerten einige bayrische SPD-Genossinnen und -Genossen um den Schweinfurter Gewerkschaftssekretär Klaus Ernst dem Basta-, Hartz- und Kriegskanzler Gerhard Schröder den Gehorsam und gingen mit ihrem Aufruf „Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ an die Öffentlichkeit. Sie stellten fest, dass sich die SPD von ihren Grundsätzen verabschiedet habe. Die SPD sei zur Hauptakteurin des Sozialabbaus sowie der Umverteilung von unten nach oben geworden und zum Kanzlerwahlverein mutiert, der alles negiert, wofür diese Partei für über hundert Jahre stand. In der Arbeitsmarktpolitik hätte die SPD ausschließlich den Druck auf die Arbeitslosen erhöht, ihre Steuerpolitik sei gekennzeichnet durch eine soziale Schieflage und Umverteilung von unten nach oben, das paritätisch finanzierte Rentensystem sei beschädigt worden, die Gesundheitspolitik ginge zu Lasten der Patienten und sozial Schwachen, während die Bildungspolitik der Elitenförderung diene und die Universitäten verarme, während das Bekenntnis zur Tarifautonomie lediglich „taktisch“ sei. Die Rebellen resümierten: „Wir gehen diesen Weg nicht mehr mit.“ Weiter: „Wir treten für ein Bündnis mit allen politischen Kräften und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Ausbau des Sozialstaates und für ein sozial gerecht finanziertes Gemeinwesen einsetzen. Aus diesem Bündnis könnte eine bei der nächsten Bundestagswahl wählbare soziale Alternative

entstehen.“ Dieser bitteren Abrechnung mit der deutschen Sozialdemokratie vorangegangen war eine Reihe von politischen Tabubrüchen der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer seit ihrem Regierungsantritt 1998. Dinge hatten ihren Lauf genommen, die selbst unter dem „Geistig-moralischeWende“-Kanzler Helmut Kohl vorher als undenkbar erachtet worden waren. Bereits fünf Jahre vor dem Aufruf der WASG hatte Rot-Grün den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Ausland durchführen lassen, ab 24. März 1999 im Kosovo.

schlossen wurden und ab spätestens 1. Januar 2005 (Hartz IV) in Kraft traten. Verbunden damit war ein Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik. Die schwarz-gelbe Opposition von rechts sorgte im Bundesrat für eine Verschärfung der rot-grünen Pläne. Die Opposition von links war gelähmt, denn seit der Bundestagswahl im August 2002 saß die PDS nur noch über zwei Direktmandate im Bundestag. In dieser politischen Situation war der Aufruf ein Fanal. Tatsächlich begann sich unter der Initiative eine flächendeckende politische Bewegung zu formieren. Häufig in Gewerkschafts-

litisch Aktive aus dem Umfeld der PDS und Menschen, die ihre ersten Schritte in der Politik machten, gingen euphorisch bis naiv an die Arbeit, der rot-grünen Regierung den Kampf anzusagen. Der Verein WASG wurde im Januar 2005 als Partei gegründet. Ziel war ein eigenständiger Wahlantritt zur Bundestagswahl 2006. Dies ging bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22.05.2005, die von Rot-Grün spektakulär verloren wurde. Gerhard Schröder stellte daraufhin die Vertrauensfrage, die seine Kanzlerschaft vorzeitig beendete. Sein alter Widersa-

Das Liebknecht-Haus - Heimat der vereinigten Partei DIE LINKE. Bild: SK49 / Wikimedie Commons / CC BY 3.0

Am 14. März 2003, ein Jahr vor dem Aufruf, hatte Kanzler Schröder seine Agenda 2010 verkündet, während seit Februar 2002 an den Hartz-Gesetzen gearbeitet wurde, die vom 23. Dezember 2002 bis 24. Dezember 2003 nach und nach be-

häusern konstituierten sich Orts- und Landesverbände. Im Juli 2004 gründete sich die inzwischen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit genannte Gruppe als Verein. Gewerkschaftsmitglieder, unzufriedene SPD-Mitglieder, po-

cher, Oskar Lafontaine, kehrte auf die politische Bühne zurück und regte ein Wahlbündnis zwischen PDS und WASG an. Mit 8,7 Prozent kam bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 die Linkspartei.PDS in den Bundestag und etablierte eine Kraft

links von SPD und Grünen. Der mit dem gemeinsamen Wahlantritt begonnene Annäherungsprozess mündete in der im Juni 2007 vollzogenen Verschmelzung von Linkspartei.PDS und WASG zur Partei DIE LINKE. Jüngst mehren sich Stimmen, die den mit der Gründung der WASG verbundenen Westaufbau insbesondere nach dem Verlust von einigen Fraktionen in Länderparlamenten als gescheitert betrachten wollen und gutheißen, dass Übergangsregelungen zu Gunsten der Westverbände ausgelaufen sind. Dazu ein paar Zahlen. Zur Bundestagswahl 2002 erzielte die PDS im „Osten“ 1.700.348 Stimmen und im „Westen“ 378.855. Zur noch nicht einmal erfolgreichsten Bundestagwahl 2013 wurden im „Osten“ 1.866.669 Stimmen und im „Westen“ nunmehr 1.888.030 Stimmen – hier fünfmal so viele wie 2002 – verbucht. Länderparlamente hin oder her, der Bestand der Bundestagsfraktion entscheidet sich im Westen auf dem Fundament der WASGGründung. Und gibt es auch im Westen weniger Mitglieder – vom Wahlergebnis her steht es fifty-fifty, das wäre zukünftig zu beachten. DIE LINKE ist eine gesamtdeutsche politische Kraft und kein ostdeutscher Traditionsverein. Heterogenität, unterschiedliche Erfahrungen und auch regionale Besonderheiten sollten als Bereicherung begriffen werden. Denn das vormalige West-Spielbein der PDS ist seit der Bundestagswahl 2007 zum zweiten – unverzichtbaren – Standbein der Partei DIE LINKE geworden. Tilo Wirtz

„Ein Angebot für ein besseres Leben in Sachsen“ Unbestritten: Mit unserem Wahlprogramm zur Landtagswahl haben wir eine ganze Reihe guter inhaltlicher Positionen beschlossen. Nun können und dürfen wir uns aber nicht der Hoffnung hingeben, dass diese Vorschläge von ganz allein fruchten. Nur die wenigsten WählerInnen lesen tatsächlich in einem Wahlprogramm, noch weniger werden sich die ganzen 90 Seiten zu Gemüte führen. Deshalb gilt: Die guten Konzepte und Ideen müssen nun auch raus auf die Straßen und Plätze gebracht werden. Wir stellen dem Programm das Kapitel zu Wirtschaft und Arbeit voran. DIE LINKE setzt auf ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Wirtschaften mit guter Arbeit und guten Löhnen. Wir wollen uns für eine moderne Industriepolitik einsetzen als Weg zu einer stabilen und selbsttragenden Wirtschaft, anstatt Sachsen weiter als „verlängerte

Werkbank“ zu entwickeln. Dazu setzen wir auf eine Stärkung von Forschung und Entwicklung, auf den Wissenstransfer aus den Hochschulen, auf den Ausbau von Technologiezentren. Wir wollen als LINKE, dass sich der Freistaat in diese wirtschaftliche Entwicklung einbringt, mit öffentlichem Risikokapital für Start-up-Unternehmen aus Praxis und Wissenschaft und einem „Innovationsfonds Sachsen“ für Risikokapital Unternehmensgründungen aktiv fördert. Mit diesen Positionen wollen wir uns aber nicht zur Wirtschaftspartei transformieren. Wir verwässern damit nicht unseren Markenkern. Unser Programm ist getragen von dem Dreiklang der sozialen Gerechtigkeit, sozialen Sicherheit und sozialem Zusammenhalt. Diese drei Leitmotive sind Dreh- und Angelpunkt unserer Politik. Die Betonung von wirtschaftlicher Entwicklung und guter Arbeit ist daher

nur die alte Erkenntnis, dass alles, was wir im Sinne dieser Leitmotive verteilen wollen, auch erwirtschaftet werden muss. Es stärkt die Glaubwürdigkeit unserer sozialen Position. So setzen wir uns selbstverständlich weiter für den Mindestlohn ein, wollen ein Vergabegesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung definierter Sozial- und Umweltstandards koppelt, und engagieren uns für einen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit. Wir werden in Sachsen wieder aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben, indem wir ein Landesarbeitsmarktprogramm mit Orientierung auf die Bekämpfung des Fachkräftemangels auflegen. Wir werden uns für berufliche Weiterbildung und den Abbau der Zugangsbarrieren zur Erwerbstätigkeit starkmachen. In diesem Programm erschlie-

ßen wir aber auch neue Positionen, die mit unserer Partei zunächst nicht identifiziert werden. Dass wir uns der KleingärtnerInnen und der Freiwilligen Feuerwehr ausführlich widmen, ist das eine. Das andere aber ist, dass wir erstmals ausführlich unsere Vorstellungen für eine Erneuerung der öffentlichen Verwaltung dokumentieren. Wir sind die Partei, die sich für eine effiziente und bürgernahe Verwaltung einsetzt. Wir wollen die stärkere Verpflichtung der öffentlichen Hand für das öffentliche Wohl. Wir wollen eine zweigliedrige Verwaltung und die Abschaffung der Landesdirektion. Im Sinne einer transparenten Politik und Verwaltung wollen wir ein Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg bringen, das Sachsen als eines der letzten Bundesländer bisher nicht hat. Dass sich diese Vorstellungen natürlich auch mit der adäquaten personellen Aus-

stattung der Verwaltung und den angemessenen Arbeitsbedingungen und Vergütungen, sowie dem Ausbau der Mitbestimmungsrechte der im öffentlichen Dienst Beschäftigten verbindet, unterscheidet uns von der herrschenden Politik. Auch werden wir konsequent auf den Erhalt des öffentlichen Eigentums, insbesondere der öffentlichen Daseinsvorsorge, hinwirken. Aus diesem Verständnis heraus wollen wir eine „Privatisierungsbremse“. Es gibt sicherlich noch viele andere Botschaften, die wir mit unserem Wahlprogramm gesetzt haben. Sicherlich findet jede und jeder noch einen anderen Punkt, der ihr oder ihm besonders wichtig ist. Wichtig ist aber auch, zu betonen, dass wir mit unserem Programm ein umfassendes Angebot machen. Nicht weniger als ein Angebot für ein besseres Leben in Sachsen. Stefan Hartmann


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Hürde genommen – mehr Chancengleichheit bei den Europawahlen Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht statt von einer Hürde von einer Sperrklausel gesprochen, denn genau das besagen alle Regelungen, nach denen eine Partei erst dann über Stimme und Sitze in einem Parlament verfügt, wenn sie mehr als einen willkürlich festgelegten Prozentsatz der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Egal, ob es sich um fünf Prozent bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag oder um drei Prozent bei Wahlen zum Europäischen Parlament handelt – es fehlt an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen und damit den Gedanken der repräsentativen Demokratie einzuschränken. Deshalb war es zu erwarten

und ist trotzdem eine gute Entscheidung, dass die von Union, FDP, SPD und Grünen gegen die Stimmen der LINKEN eingeführte 3-Prozent-Sperrklausel zur Europawahl für verfassungswidrig erklärt wurde. Damit sind Wahlrechts- und Chancengleichheit der politischen Parteien hergestellt. Viele, die aus unterschiedlichsten Gründen für eine Beibehaltung der Sperrklausel waren, sagen nun, das Urteil schwäche die Abgeordneten, werde zu Chaos im Parlament führen, das zu einer Schwatzbude zu verkommen drohe, und die Entscheidungsfindung erschweren. Ich sage, die Bevölkerung ist der Souverän! Eine 3-Prozent-Hürde bei den Europawahlen hätte – hochgerechnet auf die Wahl 2009 – bedeutet,

dass zehn Prozent der gültigen Stimmen (das sind 2,8 Millionen Wahlberechtigte) nicht an der Sitzverteilung des Europaparlaments beteiligt sind. Wir müssen lernen, damit umzugehen, was und wie der Souverän gewählt hat und haben kein Recht zu sagen: Wir lassen Ihre Stimme mal unter den Tisch fallen, weil wir sonst unsere Arbeit nicht organisiert kriegen. Politik ist die Suche nach Mehrheiten und das Finden von Kompromissen. Ein Parlament ohne Sperrklauseln hat die Chance, ein Parlament zu werden, in dem das Argument, das Zuhören und die freie Debatte mehr zählen als die Macht in Stein gemeißelter Mehrheiten. In aller Konsequenz heißt dies für mich, dass auch die 5-Prozent-Hürde im deutschen Wahl-

recht fallen muss. Auch wenn damit einhergeht, dass wir uns dann im Parlament mit rechten, nationalistischen Parteien wie der AfD werden auseinandersetzen müssen. Eine starke Demokratie wird das nicht nur aushalten, sondern aus dieser öffentlichen, parlamentarischen Auseinandersetzung noch gestärkter hervorgehen. Aber nicht nur Sperrklauseln sollten der Vergangenheit angehören. Das Wahlrecht sollen auch alle Menschen erhalten, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben. Es darf nicht länger an die Staatsbürgerschaft gebunden sein. Sehr weitgehend ist die Forderung nach der Senkung des Wahlalters auf 0 Jahre. An dieser Stelle sage ich gleich, dass eine häufig damit einhergehen-

de Forderung nach einem sogenannten Familienwahlrecht in meinen Augen Unsinn ist. Die Wahlstimme ist nicht übertragbar. Aber Kinder sollen die Möglichkeit haben, zu entscheiden, ab wann sie wählen gehen wollen. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass ein drei Monate alter Säugling diese Entscheidung trifft, aber die Festlegung eines Wahlalters ist genauso willkürlich wie die Festlegung einer Sperrklausel. Mit der Diskussion um das Wahlrecht von Geburt an geht die Debatte um ein Wahlrecht für all jene Menschen, die auf Grund einer richterlichen Anordnung unter Betreuung in allen Angelegenheiten (sog. Vollbetreuung) stehen, einher. Auch ihnen muss es gewährt werden. Halina Wawzyniak

Bundeshaushalt 2014 – Für eine LINKE Politik, die sich rechnet Als Finanzminister Wolfgang Schäuble im März den Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2014 vorgestellt hat, enthielten die Eckdaten wenig Überraschungen: Der Entwurf umfasst 298,5 Milliarden Euro und damit drei Prozent weniger als 2013. Die größten Einzelposten bleiben weiterhin Arbeit und Soziales (122,3 Milliarden Euro), Verteidigung (32,8 Milliarden Euro) und Schuldentilgung (30,1 Milliarden Euro). Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung liegt aber vor allem auf der Absenkung der Nettokreditaufnahme von 25,1 auf 6,5 Milliarden Euro. Damit scheint das selbstgesteckte Ziel von Schäuble, 2015 einen Haushalt ohne strukturelle Neuverschuldung zu präsentieren, greifbar nah. Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts wird jedoch immer mehr zum Mantra, dessen

volkswirtschaftlicher Nutzen kaum in Frage gestellt wird. Obgleich der Finanzminister in seiner Planung von der relativ guten Konjunktur, die ihm mehr Steuereinnahmen bringt, und den niedrigen Zinsen, welche die Ausgaben für die Schuldentilgung um 18 Milliarden absinken lässt, profitiert, bleibt eine Deckungslücke. Sie umfasst sogar nach Berechnungen wirtschaftsliberaler Ökonomen mehrere Milliarden Euro. Das ist kaum verwunderlich, gilt es doch, Wahlgeschenke wie den Verzicht auf Steuererhöhungen, die Mütterrente oder die Rente mit 63 zu finanzieren. Um die Haushaltslöcher zu stopfen, greift der Finanzminister in die Sozialkassen. So kostet beispielsweise das Vorhaben der Bundesregierung, älteren Müttern in Zukunft zwei Erziehungsjahre bei der Rente anzurechnen, mehrere Milliarden

Euro. Laut Haushaltsentwurf wird es nicht durch Steuern finanziert, sondern aus der Rentenkasse. Auch für die Rente mit 63 soll unter anderem das Polster der Rentenversicherung herhalten. Auf die Versicherten können so in absehbarer Zeit statt der Entlastungen, welche die Rentenversicherung errechnet hatte, Beitragserhöhungen zukommen. In die gleiche Richtung geht die Kürzung des Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds um 3,5 Milliarden: Der Bund spart kurzfristig Geld, was für die Beitragszahler auf höhere Beiträge hinauslaufen könnte. Dies wiegt umso schwerer, als selbst nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds der Bund jährlich auf Steuermehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich – insbesondere durch eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden – verzich-

tet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Bundesregierung im Entwurf für 2014 ihrem Ziel, einem Bundeshaushalt ohne strukturelle Neuverschuldung näher zu kommen, die seriös-nachhaltige Finanzierung des Haushalts untergeordnet hat. Die ‚schwarze Null’ wird immer mehr zu einer abstrakten Größe, die sich nur aus sich selbst rechtfertigt. Die Aufgabe der LINKEN in den beginnenden Haushaltsverhandlungen ist es aber nicht allein, die Bundesregierung für diese Politik zu kritisieren. Wir müssen zugleich belegen, dass eine andere Politik nicht nur inhaltlich notwendig, sondern auch finanziell zu realisieren ist. Dafür müssen unsere Konzepte und Vorschläge gut aufeinander abgestimmt sein und sich rechnen. Sie dürfen zusammen nicht mehr oder sogar ein Vielfaches mehr kosten als der Bund nach

unseren eigenen Berechnungen einnehmen wird. Wenn schon zwei Anträge der Fraktion zur Rente und den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ein Volumen von 20 Milliarden haben, das gesamte Steuer- und Finanzkonzept der Linksfraktion aber ‚nur’ 52 Milliarden Mehreinnahmen aufweist, wird deutlich, wo wir uns noch verbessern müssen. Wichtig wird es in diesem Kontext auch sein, uns über prioritäre Maßnahmen zu verständigen. Das Argument hingegen, wir seien doch nicht die Regierung, also bräuchten wir auf die Finanzierbarkeit nicht zu achten, ist falsch. Wir laufen sonst nicht nur Gefahr, uns in den Haushaltsberatungen lächerlich zu machen. Wir berauben uns auch selbst unserer Wirkungsmöglichkeiten. Schließlich wollen wir doch, dass linke Politik Realität wird, oder?! Michael Leutert


Kommunal-Info 3-2014 26. März 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Wohnmodelle Gemeinschaftliche Wohnmodelle für die Zukunft Seite 2

Kommunalrecht Wichtige Änderungen im Überblick

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Passivhäuser Nachhaltiger Bau und Betrieb von Gebäuden

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Gewählt, und nun? Grundlagenseminare für die kommunalpolitische Arbeit

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Kommunalpolitik in Sachsen Am 25. Mai werden die Bürgerinnen und Bürger in Sachsens Städten und Gemeinden an die Wahlurnen gerufen, um neben den Wahlen zum EU-Parlament die Kommunalvertretungen für fünf Jahre neu zu wählen. Welche Stellung nehmen Gemeinden und Landkreise in der politischen Ordnung ein? Was heißt kommunale Selbstverwaltung? Diese und manch andere elementare Fragen stellen sich dann insbesondere für die „Neulinge“ in der Kommunalpolitik. Gewählt werden am 25. Mai die Vertretungen  in den Landkreisen (die Kreistage),  in den Gemeinden und Städten (die Gemeinderäte bzw. Stadträte),  sowie in Ortschaften (die Ortschaftsräte). Gesetzlich werden keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Städten und Gemeinden gemacht. Die Bezeichnung „Stadt“ tragen Gemeinden entsprechend ihrer Einwohnerzahl, Siedlungsform und charakteristischer Verhältnisse mit typisch städtischem Gepräge.

Die Kommunale Ebene

Gemeinden, Landkreise und Gemeindeverbände (Verwaltungsverbände, Verwaltungsgemeinschaften) bilden die kommunale Ebene der Verwaltung, sie sind nach Artikel 82 der Verfassung des Freistaates Sachsen die Träger der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden, Landkreise und Gemeindeverbände sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts, sie erledigen im eigenen Namen und eigener Verantwortung öffentliche Aufgaben in ihrem Wirkungskreis und können dazu auch Verwaltungsakte erlassen. Die Verbandsversammlung eines Ge-

meindeverbandes geht nicht wie die Gemeinderäte und Kreistage aus Wahlen hervor, sondern durch die Entsendung von Vertretern der sich zusammenschließenden Gemeinden. Zur kommunalen Ebene gehören unterhalb der Gemeinden außerdem die Ortschaften, für die bei den Kommunalwahlen am 25. Mai auch die Ortschaftsräte gewählt werden. Die Ortschaften sind jedoch keine rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, sie haben nur eine begrenzte Zuständigkeit innerhalb ihrer Ortschaft.

Das Recht der Selbstverwaltung

Die kommunale Selbstverwaltung wird durch Artikel 28 des Grundgesetzes gewährleistet. Danach haben die Gemeinden das Recht, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Gleiches gilt für die Landkreise in Bezug auf die Wahrnehmung der überörtlichen, regionalen Aufgaben. Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland geht auf die Stein’sche preußische Städteordnung von 1808 zurück, die seinerzeit ein Bestandteil der Reformen des preußischen Staatswesens war. Selbstverwaltung der Kommunen bedeutet im rechtlichen Sinne zunächst, die eigenverantwortliche Erfüllung von öffentlichen Aufgaben in ihrem Wirkungskreis durch eigene Organe und eigene Verwaltung. Als selbständig handelnde Körperschaften verfügen sie über eigene Finanzen, die sie in eigener Verantwortung einsetzen können. Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung sind insbesondere solche Rechtsgarantien wie  die sog. Allzuständigkeitsvermutung,

d.h., die Gemeinde wird vorderhand für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft als zuständig erklärt, sofern diese nicht schon per Gesetz anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen wurden. Das Prinzip der Allzuständigkeit gilt, wenn „die Belange des örtlichen Bereiches berührt sind und die Durchführung innerhalb der räumlichen Grenzen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde möglich ist.“1  Den Gemeinden und den Landkreisen wird eine Eigenverantwortung zugewiesen, durch die sie ihre Aufgaben ohne staatliche Vormundschaft oder Weisung nach eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen realisieren können. Die Einwirkungsmöglichkeit des Staates beschränkt sich hier auf eine Kontrolle der Gesetzlichkeit.  Zu den elementaren Selbstverwaltungsgarantien gehört weiterhin das Satzungsrecht der Gemeinden und Landkreise. Hiernach können sie ihre eigenen, weisungsfreien Angelegenheiten durch Satzungen zum „Gemeinderecht“ bzw. „Kreisrecht“ erheben. Jedoch sind weder die Gemeinden noch die Landkreise so etwas wie „kommunale Republiken“, die sich ihre Kommunalverfassung selbst geben können. Sie sind Teil des Verwaltungsaufbaus des jeweiligen Landes, was u.a. auch darin zum Ausdruck kommt, dass das jeweilige Land die kommunale Gesetzgebung bestimmt. Gemeinden und Landkreise können also nur im Rahmen der vom Land beschlossenen Gesetze Satzungen für ihre eigenen Angelegenheiten erlassen. Die wichtigsten Gesetze des sächsischen Kommunalrechts sind:  die „Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen“,  die „Landkreisordnung für den Frei-

staat Sachsen“,  das „Sächsische Gesetz über kommunale Zusammenarbeit“. Im Zuge Fortentwicklung des sächsischen Kommunalrechts durch Beschluss des Sächsischen Landtags im November 2013 gibt es eine Reihe von Änderungen in diesen und weiteren kommunalrelevanten Gesetzen. Sofern noch keine gedruckten Ausgaben dieser Gesetze vorliegen, besteht auch die Möglichkeit, diese aus dem Internet herunterzuladen unter www.revosax.sachsen.de/.

Schulen der Demokratie

In § 1 der Sächsischen Gemeindeordnung werden das Wesen und die Stellung der Gemeinde in der politischen Ordnung wie folgt bestimmt:  „(1) Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des demokratischen Rechtsstaates.“  „(2) Die Gemeinde erfüllt ihre Aufgaben in bürgerschaftlicher Selbstverwaltung zum gemeinsamen Wohl aller Einwohner durch ihre von den Bürgern gewählten Organe sowie im Rahmen der Gesetze durch die Einwohner und Bürger unmittelbar.“ Nach dieser Bestimmung sind die Gemeinden die „Keimzelle der Demokratie“ (Bundesverfassungsgericht) 2 – ohne kommunale Demokratie also kein demokratischer Rechtsstaat! Deshalb gelten die Gemeinden schlechthin als „Schulen der Demokratie“, ein Begriff, den der französische Philosoph und Politiker Alexis de Tocqueville (1805-1859) prägte, nachdem ihn bei seiner Reise durch die USA das dortige kommunalpolitische Leben tief beeindruckt hatte. Gemeinden werden als das ursprüngFortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 3/2014

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Wohnmodelle für die Zukunft Gemeinschaftliche Wohnformen gewinnen an Bedeutung. Sie sind ein wichtiger Ansatz zur Bewältigung des demografischen Wandels. Im In- und Ausland gibt es eine Reihe von erfolgreichen Praxisbeispielen. Der demografische Wandel mit all seinen Facetten wird zunehmend in den Städten und Gemeinden sichtbar. Er stellt uns vor nie gekannte Herausforderungen, die beim Grundbedürfnis „Wohnen“ ganz real und greifbar werden. Deutschland steht unmittelbar vor einer demografischen Wohnrevolution. Entsprechend der Faktenlage zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland – „wir werden älter, weniger und bunter“ verändern sich Bedürfnisse und Anforderungen an das Wohnen in gravierender Weise. Bereits im Jahr 2030 werden die über 65-Jährigen rund ein Drittel der Bevölkerung stellen. Das stärkste Wachstum findet in der Gruppe der über 80-Jährigen statt. Demgegenüber gibt es heute nur 600.000 Wohnungen, die dem Anspruch „barrierearm“ genügen. Das entspricht einem Anteil von rund 1,5 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Bereits im Jahr 2020 wird mit mindestens drei Millionen solcher Wohnungen die fünffache Anzahl benötigt. Weitere Veränderungen sind bei den Familienstrukturen (z. B. Single-Haushalte, Patchwork-Familien, Kleinfamilien) und Lebensformen (z. B. hohe Mobilität durch die Anforderungen der modernen Arbeitswelt) festzustellen. Beziehungs-, Bindungs- und Unterstützungssysteme entstehen zunehmend außerhalb der Familie als Gegenpool zur Tendenz einer wachsenden Individualisierung bis hin zur Vereinsamung. Diesen Prozess gilt es in Einklang zu bringen mit der neuen Vielfalt von Al-

ter und Altern in einem Miteinander der Generationen. Im Ergebnis ist ein Paradigmenwechsel vom „Wohnen im Alter“ zum „Wohnen für alle“ überfällig. National und international gibt es bereits erfolgreiche Beispiele für gemeinschaftliche Wohnformen.

Fortsetzung von Seite 1

Kommunalpolitik... liche Feld für die politische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger angesehen. Durch das Mitwirken in der Kommunalpolitik findet eine politische Sozialisation statt und können demokratische Normen und Verhaltensmuster entwickelt und erlernt werden. Allerdings können nur starke Gemeinden ihren Verfassungsauftrag als Grundlage und Glied des demokratischen Rechtsstaates erfüllen.3 Kommunale Selbstverwaltung im politischen Sinne bedeutet vor allem das ehrenamtliche Wirken der Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung der kommunalen Angelegenheiten. Es gehört zum Wesen kommunaler Selbstverwaltung, dass sie vom Engagement der mit den örtlichen Verhältnissen besonders vertrauten Bürger/ innen getragen wird. Das schafft Bürger- und Sachnähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität der Entscheidungen und garantiert damit eine höhere Qualität und Akzeptanz der Aufgabenerfüllung bei den Einwohner/innen. Sinn einer politisch verstandenen

Wohnungen, Wohnumfeld, Wohnformen und Quartiere müssen gleichermaßen den Anforderungen von Jung und Alt entsprechen und dazu beitragen, dass sie die spezifischen Kompetenzen

rum in einem Quartier oder als Ort des Wohnens in nachbarschaftlichen Gemeinschaften von Familien, Alleinstehenden und Älteren in separaten, abgeschlossenen Wohneinheiten. In privat- und trägerinitiierten gemeinschaftlichen Wohnprojekten engagieren sich Menschen, um gemeinsam maßgeschneiderte Lösungen zu realisieren. Das in der Rechtsform eines Vereins organisierte Mehrgenerationenprojekt „Heller Wohnen“ in Schwäbisch Hall zum Beispiel ist Heimat für Familien, Alleinstehende und

aller Generationen und aller Bewohner wechselseitig unterstützen. Wohnimmobilien – im Bestand und im Neubau – sollten in ihrem Lebenszyklus stärker wechselnden Bedürfnissen, unterschiedlichen Bewohnern und Nutzungen gerecht werden können, als dies bislang der Fall ist. Die Politik sollte ein besonderes Augenmerk auf bezahlbaren Wohnraum legen. Brennpunkte sind bekanntermaßen die Ballungsgebiete, in denen die Miet- und Immobilienpreise seit einigen Jahren kontinuierlich steigen. Mehrgenerationenhäuser haben sich flächendeckend zum Erfolgsmodell entwickelt, sei es als Begegnungszent-

Menschen mit Behinderung, die in individuellen Wohnungen leben und Gemeinschaftsräume nutzen können. Integriert ist eine Wohngemeinschaft für Studenten und Auszubildende. Vorgesehen und bei Bedarf aktiviert werden kann eine Pflegewohngemeinschaft. Die Zusammenarbeit und der Dialog der Generationen prägt die Hausgemeinschaft und strahlt auch auf die Nachbarschaft im Wohngebiet aus. Im Beginenhaus in Tübingen leben Frauen unterschiedlichster Herkunft zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Das Haus wird von einer Stiftung getragen.

Selbstverwaltung ist es, der Übermacht der Verwaltungsbürokratie entgegenzuwirken und die Entfremdung zwischen Verwaltung und Bürger durch ihre Beteiligung an der Verwaltung zurückzudrängen.4 Auch und gerade deshalb, weil kommunale Verwaltung zunehmend einer Professionalisierung unterliegt und durch wachsenden Einsatz hauptberuflicher Angestellter und Beamter gekennzeichnet ist, braucht sie als kreativen Gegenpol das Ehrenamt. Um das zu gewährleisten, müssen die Rechte der kommunalen Vertretungen gestärkt werden, sie dürfen als kommunale Hauptorgane nicht zum Anhängsel der Verwaltung werden. Eine Besonderheit und Wesenselement kommunaler Selbstverwaltung besteht darin, dass das kommunale Mandat im Gemeinderat ausschließlich ehrenamtlich wahrgenommen wird. Darin unterscheiden sich die gewählten Mandatsträger/innen im Gemeinderat erheblich von Berufspolitiker/ innen in Bundes- und Landtag. Das bedeutet aber auch, dass die Arbeitsweise des Gemeinderats bzw. Kreistags sowie der Ausschüsse so organisiert werden muss, dass die gewählten Mandatsträ-

ger/innen ihre Tätigkeit auch ehrenamtlich ausüben können. Sitzungen des Gemeinderats und seiner Gremien sollen deshalb zeitlich so gelegt werden, dass auch Berufstätige die Möglichkeit haben, den Pflichten in ihrem Mandat nachkommen zu können. Ehrenamtliche Tätigkeit bedeutet nicht zwangsläufig unentgeltliche Tätigkeit. Eine Aufwandsentschädigung gehört heute regelmäßig zum Ehrenamt. Der Charakter des Ehrenamtes bleibt solange gewahrt, bis dies nicht zum Hauptberuf wird. „Bürgerschaftliche Selbstverwaltung“, wie es in § 1 der Sächsischen Gemeindeordnung heißt, wird nicht nur über die gewählten Organe realisiert, sondern auch „durch die Einwohner und Bürger unmittelbar“. Deshalb gehören zu einer lebendigen kommunalen Selbstverwaltung auch die Formen der direkten Demokratie (Bürgerbegehren und Bürgerentscheid) und der Bürgerbeteiligung (Einwohnerversammlung, Einwohnerantrag, Bürgerhaushalt u.a.m.). AG

Anforderungen von Jung und Alt

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Hegele/Ewert, Kommunalrecht im Freistaat Sachsen, 3. Aufl., S. 28.

Unterstützung in der Nachbarschaft

Eigenständiges Wohnen und Unterstützung in der Nachbarschaft, sei es bei der Kinderbetreuung, bei handwerklichen Aufgaben oder beim Einkaufen, sind gefragt. Gerade in diesen nachbarschaftlichen Netzwerken liegt eine große Chance zur Gestaltung von Wohnen und Leben im demografischen Wandel. Zeitgemäße Impulse für Architektur und Wohnungsbau setzt das Netzwerk Wohnen unter der Federführung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Unter demografischen Aspekten wurden gelungene Projekte im Neubau und im Bestand national und international zusammengestellt. In Eschweiler zum Beispiel wurde das ehemalige Kaufhaus Breuer als Wohn- und Geschäftshaus mit barrierefreien Wohnungen umgebaut. In der Innenstadt von St. Gallen (Schweiz) wurde eine leer stehende Stickerei in 17 Wohnungen umgebaut. Die Wohnfabrik Solinsieme ist so konzipiert, dass für Hausarbeiten, handwerkliche Tätigkeiten und Gästeempfang gemeinsam genutzte Räume in der Hausgemeinschaft zur Verfügung stehen. Kommunen und Bürger, Planer, Architekten, Stadtentwickler, Wohnungswirtschaft und Kreditinstitute sind gemeinsam gefordert, nach realisierbaren Lösungen für das Generationen-Wohnen zu suchen und diese umzusetzen. Im Fokus muss der Aufbau von interdisziplinären Netzwerken stehen. Daraus können neue Verantwortungsbündnisse für das Wohnen der Generationen wachsen, in denen sich Einzelne für das Gemeinwohl engagieren, um die Zukunft des „Wohnens für alle“ zu bauen. (Sabine Neumann-Braun) (www.gemeinderat-online.de, 3/2014) 2

BVerfGE 79, 127 (149). Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 1, S. 5 sowie Naßmacher/Naßmacher: Kommunalpolitik in Deutschland, 2. überarb. Aufl., S. 24f. 4 Vgl. Kommunale Selbstverwaltung. Rechtsgrundlagen-Organisation-Aufgaben…, 3. überarb. Auflage, S. 34f. 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


März 2014

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Hilfe für die Jugendhilfe

Liebe Leserinnen und Leser, das Urteil gegen Uli Hoeneß wurde lange und mit Spannung erwartet. Nun muss der ehemalige Präsident des FC Bayern ins Gefängnis, auch wenn ihm viele Fans weiterhin die Treue halten dürften. Eines aber ist deutlich geworden: Frechheit lohnt sich nicht. Was hat das mit sächsischer Landespolitik zu tun? Der Fall Uli Hoeneß, der leider nicht so einzigartig ist, wie man vermuten möchte, setzt eine wichtige Frage auf die Tagesordnung: Wollen wir weiterhin akzeptieren, dass millionenschwere Steuerbetrüger per Selbstanzeige ihr Heil in der Flucht suchen können? Der Grundsatz, wonach vor dem Gesetz alle gleich sind, gerät in Gefahr, denn Steuerhinterziehung ist eben kein Kavaliersdelikt. Ob unser Gemeinwesen funktioniert, hängt ganz erheblich davon ab, ob alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu seiner Finanzierung beitragen. Jeder Euro, den wir an Steuern zahlen, kommt uns indirekt wieder zugute: Etwa wenn wir unsere Kinder zur Schule schicken, Straßen befahren, das Theater besuchen, in Wäldern und Parks spazieren, die Straßenbahn nutzen. Das alles und vieles mehr ist nur möglich, wenn alle mithelfen. Wer das verweigert, gefährdet den sozialen Frieden. Mit Diskussionen zur Kinder- und Jugendhilfe und Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum hat die Fraktion DIE LINKE übrigens auch beim Märzplenum gezeigt, dass sie für sozialen Zusammenhalt einsteht. Nicht durch Gerichtsurteile und Strafzahlungen soll das Gemeinwesen bekommen, was ihm zusteht, sondern durch vorausschauende Politik.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Die CDU regiert den Freistaat seit nahezu einem Vierteljahrhundert. Ihre Dominanz zeigt sich auf allen Ebenen. So gehören auch alle sächsischen Landräte dieser Partei an. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Köpfe der zehn Landkreise die Staatsregierung nun einhellig für deren Kinder- und Jugendpolitik kritisiert haben. Gemeinsam legten sie im November 2013 ein jugendpolitisches Positionspapier vor, über das im März in Vorbereitung auf den Doppelhaushalt 2015/2016 verhandelt wurde. Konkret bemängeln die CDU-Landräte, dass der Freistaat die Kommunen bei der Kinder- und Jugendhilfe im Stich lässt, obwohl das Land gemäß § 82 SGB VIII dazu verpflichtet ist, „auf einen gleichmäßigen Ausbau der Angebote hinzuwirken“. Dazu zählen Leistungen, die öffentliche und freie Träger für junge Menschen und Familien erbringen, also etwa Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Jugendschutz, Familienberatung sowie die Kindertagesbetreuung. Für die Schule, die eindeutig in die Verantwortung des Kultusministeriums fällt, konstatieren die Landräte gar, es bedürfe „dringender Verbesserungen im Schulsystem, insbesondere ausreichende[r] personelle[r] und qualitativ bedarfsdeckende[r] Ressourcen, damit das System Schule wieder aus sich heraus fähig ist, Schullaufbahnen auch verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher erfolgreich zum Abschluss zu bringen.“ Weil auch die Fraktion DIE LINKE die mangelhafte Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe seit langem kritisiert, beantragte sie eine Aktuelle Debatte zum Thema „Hilfe für die Jugendhilfe! Verantwortung der Sächsischen Staatsregierung bei der

Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen“. Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssten sich dem Gesetz nach an alle Kinder und Jugendlichen richten und dürften nicht nur „Feuerwehr“ spielen, wenn es zu spät sei, so Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE. Die Jugendpauschale, mit der Sachsen die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe unterstützt, wurde im Jahr 2010 um ein Drittel gekürzt und bei 10,3 Mio. Euro eingefroren. Das setzt die Landkreise bis heute erheblich unter Druck und hat zur Kürzung und Schließung von Angeboten geführt. Auch die Betriebskosten der Kindertagesstätten steigen kontinuierlich. Die Pauschale, die der Freistaat den Trägern gewährt, ist jedoch seit zehn Jahren gleich geblieben. „Im Jahr 2000 hat die kommunale Ebene 581 Millionen Euro für die Kosten der Kindertagesbetreuung aufgewendet. Im Jahr 2011 waren es schon 1,16 Milliarden Euro. Wir haben es fast mit einer Verdoppelung der Kita-Kosten zu tun. Der Freistaat ist hier gefordert“, so Klepsch. Problematisch seien auch die steigenden Kosten für die Hilfen zur Erziehung, also für sozialpädagogische Familienhilfe, ambulante Einzelfallhilfe und stationäre Unterbringung. Zwischen 2000 und 2011 wuchsen sie trotz einer zurückgegangenen Anzahl junger Menschen um 16 Prozent auf 200 Millionen Euro. Planungssicherheit gebe es auch nicht in der Schulsozialarbeit. Auf ein Jahr befristete Verträge und prekäre Beschäftigung bei den pädagogischen Fachkräften hätten gravierende negative Auswirkungen, gab Klepsch zu bedenken. „Die von mir

genannten Punkte sind kein sozialpolitisches Gejammer der LINKEN oder Besitzstandswahrung von Sozialpädagogen. Der Landkreistag hat dieses Papier vorgelegt, und die Landkreise sind am Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit“, so Klepsch. Die Finanzierung der Jugendhilfe müsse neu ausgerichtet, Kitas ausreichend ausgestattet werden. Schulsozialarbeit und präventive Angebote seien auszubauen. Ihre Kollegin Kathrin Kagelmann verwies auf ihre Erfahrungen als Kreisrätin in ihrem Heimatkreis Görlitz. Auch sie zeigte sich überrascht von der Kritik der CDU-Landräte an der CDU-Regierung: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal fast Mitleid mit meinem CDU-Landrat haben würde, der seit Jahren um einen nicht zu konsolidierenden Haushalt kämpft und dann immer wieder landespolitische Nackenschläge erhält“. Ihr Landkreis habe 2012 durch die Kürzung der Jugendpauschale erheblich weniger Geld in die präventive Jugendhilfe stecken können. Dadurch seien 15 Projekte und acht Vollzeitstellen weggefallen, auch zahllose Kleinprojekte wie Jugendfreizeiten und Klubs seien gestorben. Es sei fatal, dass versucht werde, mit Lohndumping bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Freien Träger gegenzusteuern. „Ich finde, Sie verhalten sich enorm egoistisch gegenüber Ihren Kommunen. Sie lassen Ihre Leute, die Kommunalpolitiker vor Ort, im Stich!“, rief sie den Koalitionsfraktionen zu. Es wird sich zeigen, ob die CDUgeführte Staatsregierung wenigstens Forderungen aus ihren eigenen Reihen ernst nimmt, wenn sie schon die Kritik der Opposition fortwährend ignoriert.


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PARLAMENTSREPORT

März 2014

Barrierefrei wohnen bis ins hohe Alter Die Ausgaben fürs Wohnen stellen in den allermeisten Geldbeuteln den größten Posten dar. Auch in Sachsen wird bezahlbarer Wohnraum zunehmend knapp, gerade in und bei Großstädten. Wenn Wohnungen dann auch noch barrierefrei sein sollen, weil ihre Bewohner etwa aus Altersgründen körperlich beeinträchtigt sind, tendiert das Angebot schnell gegen Null. Die Staatsregierung zeichnet wegen des Wegfalls von knapp 160.000-180.000 Haushalten in den kommenden zehn Jahren zwar das Bild eines entspannten Wohnungsmarktes. Dabei verschweigt sie aber, dass dieser Leerstand vor allem in kleinen Städten und Gemeinden im ländlichen Raum entstehen wird, nicht aber in den Großstädten. Gerade dort besteht aber ein hoher Bedarf.

Mieter, die von Hartz IV betroffen, wohngeldberechtigt oder auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, nicht bezahlen.

Sachsens Haushalte werden älter und einkommensschwächer. Die nach 1990 gebrochenen Erwerbsbiografien führen zu geringeren Rentenansprüchen. Altersarmut bedroht Generationen von Geringverdienern, „Aufstockern“ und Vollverdienern mit Niedriglohn. Schon die durchschnittlichen Arbeitseinkommen in Sachsen liegen nach übereinstimmenden Zahlen des Statistischen Landesamtes und der Bundesagentur für Arbeit knapp 700 Euro unter denen im Westen. Wenn Wohnraum umgebaut wird, damit er barrierefrei und/oder altersgerecht wird, liegen die Nettokaltmieten inzwischen aber schnell über 8 Euro. Das können Mieterinnen und

Wohnungen müssen umgebaut und modernisiert werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund notwendiger energetischer Sanierungen. Wie aber lässt sich das bewerkstelligen? Mit ihrem Antrag „Schaffung barrierefreien Wohnraums durch Um- und Neubau bedarfsgerecht fördern“ (Landtags-Drucksache 5/13743) hat die Fraktion DIE LINKE Antworten vorgeschlagen. Die Staatsregierung soll sich demnach beim Bund dafür einsetzen, dass ein Förderprogramm aufgelegt wird. Damit sollen Um- und Neubau von barrierefreiem und generationengerechtem Wohnraum unterstützt werden. Auch eigene Fördermaßnahmen sollen entwickelt

sierung nicht auf die Mieten umlegen. Mit zinsverbilligten Förderdarlehen seien diese Investitionen nicht möglich, die Rückzahlungszeiträume wären viel zu lang. Daher müsse der Staat Zuschüsse zahlen.

werden. Insgesamt solle sichergestellt werden, dass die Netto ­kaltmieten die Zahlungsfähigkeit insbesondere einkommensschwacher Menschen und Menschen mit Behinderungen nicht überfordern. Enrico Stange, wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, sprach sich dagegen aus, Mieter und Wohnungsunternehmen mit den Kosten alleinzulassen: „Energetische Sanierungsstandards sind nicht Mietersache, sondern eine gesamtstaatliche Vorgabe. Auch die Schaffung von Wohnraum, der es ermöglicht, weite Phasen des Alters in den eigenen vier Wänden zu verbringen, ist nicht mieterseitig zu stemmen“. Die Wohnungsunternehmen könnten, da sie die Mieterinnen und Mieter nicht verlieren wollen, die Kosten von Sanierung und Moderni-

Die Staatsregierung schätzt, dass es in Sachsen 43.000 barrierefreie oder zumindest barrierearme Wohnungen gibt. Horst Wehner, behindertenpolitischer Sprecher der Fraktion, verwies hingegen auf den tatsächlichen Bedarf: „Etwa 600.000 Menschen mit Beeinträchtigungen leben in Sachsen. Mindestens 350.000 bezeichnen wir als schwerbehindert. Von diesen Schwerbehinderten haben allein 250.000 eine körperliche Beeinträchtigung. Der Sozialverband VdK Sachsen hat darauf hingewiesen, dass im Freistaat ein Bedarf von fast 145.000 pflegegerechten und barrierefreien Wohnungen besteht“. Schwerbehinderung sei keine freiwillige Lebensentscheidung, so Wehner. Wenn Wohnungen altersgerecht umgestaltet werden, ließen sich auch in Medizin- und Pflegesystem Kosten sparen. Diese deckten einen Gutteil der Aufwendungen, die für den Umbau angefallen sind. 16 Wohnungswirtschaftsverbände, Wohnungsunternehmen und Betroffenenverbände unterstützen die Forderungen der Fraktion DIE LINKE. Die Staatsregierung sollte nun handeln, damit die Mieten künftig auch für kleine Geldbeutel bezahlbar bleiben.

Sichere Hilfe bei häuslicher Gewalt Häusliche Gewalt, also Gewalt in Familien und in Partnerschaften besonders im Wohnumfeld, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Fast 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen, häufig auch mit Kindern. Die Ursachen sind vielfäl-

tig. Stärker wird dieses bisherige „Tabu-Thema“ in der Öffentlichkeit angesprochen. Das seit 2002 geltende Gewaltschutzgesetz hat sicher dazu beigetragen – aber das reicht nicht mehr aus. Besonders die personelle und finanzielle Situa-

tion der sächsischen Frauenschutzhäuser und Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder macht es notwendig, diese Angebote zu sichern und auszubauen. Um im März ein Frauenthema zu behandeln, aber nicht nur deshalb, setzte die Fraktion DIE LINKE das Thema häusliche Gewalt auf die Tagesordnung des Landtages. Wenige Tage zuvor hatte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) einen neuen Bericht vorgestellt, der Gewalt gegen Frauen mit weltweiter Perspektive darstellt. Der gemeinsam mit der SPD-Fraktion eingebrachte Antrag „Hilfestruktur für Opfer und Betroffene von häuslicher und Beziehungsgewalt in Sachsen verbessern und sicherstellen“ (Landtags-Drucksache 5/13374) zielt darauf, dass sich die Staatsregierung auf Bundesebene dafür einsetzen möge, für die Opfer häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Hilfe durchzusetzen. Für Beratungs- und

Hilfeeinrichtungen sollen bundesweit einheitliche Standards gelten, insbesondere bei deren Finanzierung. Auch die Personalaus­ stattung soll dem Bedarf angemessen sein. Da die sächsischen Kommunen ohnehin unter chronischem Geldmangel leiden, brauchen sie dabei allerdings Hilfe vom Land. „Es ist an der Zeit, dass politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger Maßnahmen gegen diese weitverbreitete Gewalt ergreifen. Hierbei müssen die Bedürfnisse und die Rechte der Gewaltopfer nicht nur auf dem Papier berücksichtigt, sondern auch in der Praxis umgesetzt werden“, forderte die gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Heiderose Gläß, in ihrer Einbringungsrede. Die Koalitionsfraktionen stimmten dem Antrag jedoch nicht zu. Sie sehen offenbar keinen Handlungsbedarf, obwohl die Familie durchaus nicht für alle eine heile Welt darstellt.


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PARLAMENTSREPORT

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Selbstlob und Kritik für Sachsens Kulturpolitik Regierungserklärungen sind meist keine Höhepunkte des Parlamentsbetriebes, sondern eher Projektionsflächen des Selbstlobs der Mächtigen. Sie können sich aber zu interessanten Tagesordnungspunkten entwickeln. Die Fachregierungserklärung der Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, zum Thema „Mehr als ein Verfassungsauftrag – gemeinsam fördern und pflegen wir unsere Kunst und Kultur in Sachsen“ wurde mit Spannung erwartet. Verantwortlich dafür war die Diskussion um den geschassten Intendanten der Dresdner Semperoper, Serge Dorny. Allerdings sollte dieser Fall nicht darüber hinwegtäuschen, welche Probleme im sächsischen Kulturbereich bestehen. Dr. Volker Külow, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, und Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Soziokultur, wiesen auf den großen Handlungsbedarf hin. Zur kulturpolitischen Bilanz der letzten fünf Jahre stellte Volker Külow fest, dass der Anteil der Kulturausgaben am Gesamthaushalt stetig gesunken sei und noch rund zwei Prozent betrage. Ernst sei auch die Lage der Kulturräume, die inzwischen die Landesbühnen aus Eigenmitteln teil­finanzieren müssen. Das Orchester der Landesbühnen bleibe indes auf der Strecke; überhaupt warteten Sachsens Theater und Orchester noch immer auf Planungssicherheit, seien weiter strukturell unterfinanziert. „Ansonsten kennzeichnen gerade seit Ihrem Amtsantritt permanente Rückzugsgefechte

die freistaatliche Kulturpolitik. Der Freistaat versucht sich mehr und mehr aus seiner politischen Verantwortung zu stehlen“, kritisierte Külow. Das zeige sich auch bei Betriebsbzw. Rechtsformwechseln bei bedeutenden Kultureinrichtungen wie dem Staatsbetrieb „Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten“ und der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB). Hinzu kämen Kürzungen an den Hochschulen. An der Universität Leipzig drohe die Abwicklung der Theaterwissenschaften und der sachsenweit einzigartigen Archäologie, obwohl bald in Chemnitz das Haus der Archäologie feierlich eröffnet werden soll. Annekatrin Klepsch wies auf zwei weitere kulturpolitische Baustellen hin. So solle die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen zukünftig ver-

stärkt den internationalen kulturellen Dialog fördern. Allerdings sei ihr Projektetat im Doppelhaushalt 2013/14 – erstmals nach zehn Jahren – um lediglich zehn Prozent erhöht worden. Dies fange beinahe den Inflationsausgleich auf, erlaube der Stiftung aber nicht die notwendige Entwicklung im Interesse der Kunstförderung. „Wie die Kulturstiftung in den nächsten Jahren in die Lage versetzt werden soll, innovative Projekte sowie freischaffende Künstlerinnen und Künstler in Sachsen verstärkt zu fördern, dazu gab es heute keine Aussagen“, bemängelte Klepsch. Auch die Themen Soziokultur und Literatur habe sie in der Regierungserklärung vermisst. Das Selbstlob der Staatsregierung steht auch in der Kulturpolitik ohne Grundlage da. Der Freistaat verdient neue Impulse.

Am 12. und 13. März 2014 fanden die 92. und 93. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – „Hilfe für die Verantwortung der Staatsregierung bei tung der Kinder- und Sachsen“

Jugendhilfe! Sächsischen der AusstatJugendhilfe in

Anträge: – Fraktionen DIE LINKE und SPD: „Hilfestruktur für Opfer und Betroffene von häuslicher und Beziehungsgewalt in Sachsen verbessern und sicherstellen“ (Drs 5/11374) – „Schaffung barrierefreien Wohnraums durch Um- und Neubau bedarfsgerecht fördern“ (Drs 5/13743)

Gestiegene Verantwortung: Justizwachtmeisterdienst aufwerten! Der Fall Marwa El-Sherbini, die 2009 im Landgericht Dresden aus ausländerfeindlichen Motiven brutal ermordet wurde, zeigt: Sicherheit in sächsischen Gerichten ist nicht naturgegeben. Im Gerichtssaal sorgen Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister für die Sicherheit der Anwesenden. Obwohl diese Berufsgruppe zahlenmäßig klein ist, hat sich ihr Aufgabenspektrum in den vergangenen Jahren erweitert, die Verantwortung ist größer geworden. Waren früher vor allem Akten und Post zu befördern, so werden Justizwachtmeister heute zunehmend als „Sicherheitsfachkräfte“ im Bereich des Sicherheits-, Sitzungs- und Vorführdienstes eingesetzt. Sie müssen brisante Situationen eigenständig erkennen, situationsangemessen handeln und insgesamt auf alle Beteiligten deeskalierend wirken.

Plenarspiegel März 2014

In ihrer Besoldung spiegelt sich diese Verantwortung allerdings nicht wieder. Bisher liegt der Verdienst im Justizwachtmeisterdienst weit unter dem im Polizei- und Strafvollzugsdienst. Nach wie vor werden die sächsischen Wachtmeister in der Besoldungstabelle niedriger eingestuft als etwa ihre Kollegen in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Auch Beförderungen lassen im Freistaat länger auf sich warten als anderswo. Hinzu kommt, dass an sächsischen Gerichten immer mehr private Sicherheitsunternehmen engagiert werden, um die Justizwachtmeister zu unterstützen. Rechtlich ist allerdings nicht klar geregelt, wie sie zusammenarbeiten sollen und wer im Zweifelsfalle weisungsbefugt ist. Im Ernstfall muss das Zusammenspiel allerdings schnell und reibungslos funktionieren, sonst

stehen im schlimmsten Fall Menschenleben auf dem Spiel. Die Fraktion DIE LINKE hat den Antrag „Besoldung im Bereich des Justizwachtmeisterdienstes bei Gerichten und Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen verbessern“ (Landtags-Druck­ sache 5/12599) eingebracht. Darin wird unter anderem gefordert, Besoldung und Aufstiegschancen der Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister zu verbessern, indem sie in eine höhere Besoldungsgruppe eingruppiert werden. Zudem soll künftig darauf verzichtet werden, private Sicherheitsunternehmen heranzuziehen, wenn es darum geht, die hoheitlichen Aufgaben des Justizwachtmeisterdienstes zu erfüllen. Die Regierungsfraktionen lehnten die Vorschläge erwartungsgemäß ab.

Änderungsanträge: » Drs 5/13990 und Drs 5/13991 zum Gesetzentwurf der Staatsregierung in Drs 5/9812 „Drittes Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches“ » Drs 5/13998 zum Gesetzentwurf der Staatsregierung in Drs 5/12953 „Wiederaufbaubegleitgesetz“ » Drs 5/14002 zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion und der FDPFraktion in Drs 5/13124 „Gesetz zur Änderung des Waldgesetzes für den Freistaat Sachsen“ Sammeldrucksache 5/13911: In den Berichten der Ausschüsse waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: – „Pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung in Sachsen zu „multiprofessionellen Teams“ entwickeln“ (Drs 5/12417) – „Besoldung im Bereich des Justizwachtmeisterdienstes bei Gerichten und Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen verbessern“ (Drs 5/12599) – „Subsidiaritätsbedenken und ggf. Subsidiaritätsrüge nach Artikel 12b des EU-Vertrages zum Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über ein Europäisches Netz der Arbeitsvermittlungen, den Zugang von Arbeitskräften zu mobilitätsfördernden Diensten und die weitere Integration der Arbeitsmärkte (COM(2014) 6 final)“ (Drs 5/13804) Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die regierungstragende Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de


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PARLAMENTSREPORT

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Viel Interesse an sorbischer Mitbestimmung Die Beispiele Krim und Kosovo zeigen: Der Welt bekäme es besser, wenn die Probleme von Minderheiten friedlich in bestehenden Staaten gelöst würden statt durch gewaltsame Grenzverschiebungen. Nun droht weder eine Abspaltung der Lausitz noch eine sorbische Mobilmachung gegen den deutschen Staat, aber es wäre auch für die hiesige Mehrheitsgesellschaft im Europa der offenen Grenzen ein Gewinn, wenn die slawische Sprache und Kultur des kleinen sorbischen Volkes künftig mehr Rückenals Gegenwind bekäme. Dass diese Frage nicht wenige Menschen bewegt, bewies das gut besuchte Forum zur Zukunft der politischen Mitbestimmung der Sorben, dass die Landtags-Linksfraktion am Aschermittwoch im Bautzener sorbischen Gasthaus „Wjelbik“ durchführte. Die Resonanz war umso erfreulicher, als gerade am Aschermittwoch die Konkurrenz der politischen Termine groß ist und sich fast zeitgleich in Chemnitz Antifaschisten aus dem ganzen Land trafen, um einem Naziaufmarsch entgegenzutreten. Unter den fast vierzig Teilnehmern befanden sich von Seiten der LINKEN neben dem sorbischen Landtagsabgeordneten Heiko Kosel auch Cornelia Falken und Marion

den sächsischen Prüfstand zu stellen.“ Und weiter: „Es gibt einen weit verbreiteten Wunsch, mit einem Verbandsklagerecht die sorbischen Interessen bei Eingriffen ins sorbische Siedlungsgebiet u. a. durch Braunkohle-Bergbau oder KaolinAbbau, besser wahren zu können. Es bestehen aber erhebliche Zweifel, ob die in Brandenburg gefundene Regelung praktikabel ist, wie der international anerkannte Minderheitenrechtsexperte Prof. Stefan Oeter befürchtet. Insofern sollten wir in Sachsen für ein Verbandsklagerecht ohne die Einschränkungen wie in Brandenburg kämpfen.“

Junge sowie Marcel Braumann, neben seinem Job als Pressesprecher der Fraktion Vertreter der „Sorbischen Linken“ im Landesrat. Aus Brandenburg war der minderheitenpolitische Sprecher der dort regierungstragenden Linksfraktion im Landtag, Jürgen Maresch, gekommen, der auch stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Beirates der Stiftung für das sorbische Volk ist. Der Vorsitzende der Domowina, Dawid Statnik, lobte DIE LINKE in Brandenburg für das neue Sor-

bengesetz. Der bisherige, nach Experten-Meinung stark defizitäre minderheitenpolitische Zustand im Nachbarland konnte somit trotz der Bremsklötze des Koali­ tionspartners SPD verbessert werden. „Das begrüßen wir“, so Heiko Kosel, „da wir für ein möglichst hohes und einheitliches, Landesgrenzen übergreifendes Niveau der Sorbenpolitik in beiden Bundesländern eintreten. Deshalb ist es auch richtig, interessante Neuregelungen in Brandenburg in einem intensiven Diskurs der sorbischen Gremien mit der Landespolitik auf

Doch auch für ihre innerparteiliche sorbische Kandidatenauswahl bekam Sachsens LINKE eine interessante Anregung von Prof. Oeter und Thede Boysen, dem friesischen Büroleiter des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers: So sollten sich nach dem Vorbild USamerikanischer Vorwahlen die sorbischen Kandidaten der Partei auf öffentlichen Veranstaltungen im sorbischen Siedlungsgebiet vorstellen und von allen Sorbinnen und Sorben, die das wollen, ausgewählt werden. Damit sei auch die in kleinen Gruppen bestehende Manipulationsgefahr ausgeschlossen – ein gutes Modell!

Kommunaltour: Zwischenbilanz Noch ist es zu früh, um alle Ergebnisse meiner Frühjahrstour 2014 abschließend zu bilanzieren. Sie steht in diesem Jahr im Zeichen der Kommunen, des kommunalen Miteinanders. Doch aus den Begegnungen mit kommunalen Entscheidungsträgern und Gesprächen mit Politikbetroffenen lassen sich erste Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ableiten. Wer die richtigen Fragen stellt, erhält so manche überraschenden Antworten, und auf das Zuhören kommt es an. Das scheinen die Mächtigen verlernt zu haben. Denn nur wer aufmerksam zuhört, erkennt die Chancen zum richtigen Handeln. Als grundlegendes Problem wird allerorts die mangelnde Finanzausstattung der Kommunen empfunden und beklagt. Aber nicht immer liegt es am (unbestritten) mangelnden Geld. Ob im Gespräch mit Elvira Hellmich, Leiterin des AWO Gesundheitszentrum am Spiegelwald in GrünhainBeierfeld, zur Entwicklung der Mutter/Vater-Kind-Klinik im Erzgebirge oder mit der Geschäftsleitung der Plauener Stadtwerke Strom zum Thema Grundversorgung und Stromabschaltungen oder mit dem Oberbürgermeister von Hohenstein-Ernstthal, Lars Kluge (CDU), zur regionalen Wirtschaftsentwick-

lung – eines wird ganz deutlich: Trotz hervorragender Strukturen und materieller Voraussetzungen, die in den letzten Jahren in vielen Bereichen zweifelsfrei geschaffen wurden, sind die Menschen, die sich für ihre Aufgaben engagieren, wichtiger als alles andere. Andererseits wächst der Unmut über politischen Stillstand und erlebte Willkür, der sich im Streben nach mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung artikuliert. Und es sind gerade die Aktivsten und Engagiertesten, die sich zunehmend in ihrer Willens- und Handlungsfreiheit eingeengt und behindert sehen. Sie stoßen immer öfter an die Grenzen staatlicher Förder-, Bildungs-, Gesundheitspolitik. Ist es die Arroganz der Macht oder die Ohnmacht der Bevölkerung, wenn es für eine 8-Jährige keine Ausnahmeregelung bei der Benutzung des Schulbusses gibt, weil ihr Zuhause 1960 m von Schule entfernt liegt, die Satzung zur Schülerbeförderung jedoch 2000 m Entfernung für die Nutzung vorschreibt? Ein anderes Beispiel: In Riesa wird engagierten Bürgerinnen und Bürgern, denen die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Mitmenschen am Herzen liegt, mit fadenscheinigen Begründungen die Einrichtung eines Umweltmesspunktes verwei-

gert, obwohl mit der Offenlegung der Messergebnisse die jahrelangen Streitigkeiten über den Grad der Feinstaub- und Lärmbelästigung vom Tisch wären. Leider müssen wir immer öfter beobachten, dass der Mensch hinter Satzungen, Verwaltungsstrukturen und „übergeordneten Interessen“ zurücktreten muss. Dem gegenüber feiert die Staatsregierung sich und ihre Erfolge selbst mit Slogans wie „Alles für Sachsen!“, „Sachsen stärken!“, „Wir sind Sachsen“ u. a. Es geht aber zuvorderst nicht um das Land, die Region, die Heimat – das wäre zu kurz gesprungen. Es muss um die Menschen im Land, um die Akteure in der Region, um die Sächsinnen und Sachsen, die hier ihre Heimat sehen, gehen. Es ist die den Menschen vergessende CDU-Politik der Leuchttürme, die dem widerspricht. Deshalb ist es auch verständlich, dass die Zahl derer wächst, die sich eine politische Veränderung, einen Politikwechsel wünschen. Das geht nur in gemeinsamer Verantwortung von Rot-Rot Grün. Das ist auf kommunaler Ebene tagtägliche Praxis. „Rot-Rot-Grün muss von unten wachsen“ – so eine Forderung, die in einem Bürgerforum in Döbeln erhoben wurde, das ich gemeinsam mit Hennig Homann aus der SPDLandtagsfraktion bestritt.

Fazit: Das Verhältnis von Staat und Bürgerinnen und Bürgern muss auch in Sachsen neu ausgerichtet werden. Zu weit haben sich die Regierenden von den Menschen und deren tatsächlichen Problemen entfernt. Die Ent-Demokratisierung der Gesellschaft hat eine neue Stufe erreicht, die zum Streben nach mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung führt. Die verkrusteten Strukturen in der staatlichen Verwaltung und in der Staatspartei CDU behindern notwendige Innovationen. Es ist Zeit für den Politikwechsel. Rico Gebhardt

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Kommunal-Info 3/2014

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Änderungen im Kommunalrecht Im November 2013 hatte der Sächsische Landtag eine Reihe von Änderungen im sächsischen Kommunalrecht beschlossen. Im Folgenden werden einige wichtige Änderungen in der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) benannt, die in der Regel analog auch in der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) geändert wurden.

 Anfragen an den Bürgermeister (§ 28)

Anfragen an den Bürgermeister über einzelne Angelegenheiten der Gemein-

holten Verstößen der Gemeinderat ein Mitglied für mehrere, höchstens jedoch für drei Sitzungen ausschließen. Analog gilt das wie für die bisherige

 „Sport“ im Aufgabenkreis (§ 2)

In der SächsGemO (wie der SächsLKrO) wird der Sport im Aufgabenkreis hervorgehoben. Damit erfährt der Sport zwar eine Aufwertung in der kommunalen Tätigkeit, ohne dass er jedoch zur kommunalen Pflichtaufgabe erklärt würde oder zwingend bestimmte finanzielle Verpflichtungen damit verbunden wären.

 Unterrichtung der Einwohner (§ 11)

Die Gemeinde informiert ihre Einwohner laufend über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten ihres Wirkungskreises. Jetzt soll das auch in elektronischer Formen geschehen (z.B. über das Internetportal der Gemeinde/ des Landkreises).

 Ehrenamtliche Tätigkeit (§ 17)

Wie bisher sind die Bürger der Gemeinde zur Übernahme und Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtet. Künftig kann die Gemeinde auch Nicht-Bürgern eine ehrenamtliche Tätigkeit mit deren Einverständnis übertragen.

 Einwohnerversammlung (§ 22)

Der Bürgermeister muss nicht mehr zwingend die Einwohnerversammlung selbst leiten. Er kann das an einen von ihm beauftragten leitenden Bediensteten weitergeben, sofern der Gemeinderat nicht eines seiner Mitglieder damit beauftragt. Gemeinderäte und Vertreter der Gemeindeverwaltung müssen nun den Einwohnern für Fragen zur Verfügung stehen, bisher sollten sie das lediglich.

 Bürgerbegehren (§ 25)

Das gesetzliche Mindestquorum für ein Bürgerbegehren wurde auf 10% herabgesetzt. In Gemeinden (jedoch nicht in Landkreisen) besteht weiterhin die Möglichkeit, durch Bestimmung in der Hauptsatzung das Quorum auf bis 5% herunter zu setzen. Künftig müssen die erforderlichen Unterschriften für das Bürgerbegehren spätestens nach einem Jahr bei der Gemeinde eingereicht werden. Richtet sich das Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es nun innerhalb von 3 Monaten (bisher 2) nach der Bekanntgabe des Beschlusses bei der Gemeinde eingereicht werden.

 Akteneinsicht (§ 28)

Nunmehr kann ein Fünftel der Gemeinderäte (bisher ein Viertel) in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen, dass der Bürgermeister den Gemeinderat informiert und diesem oder einem von ihm bestellten Ausschuss Akteneinsicht gewährt.

Beschluss des Gemeinderats seinen Widerspruch eingelegt, ist unter Angabe der Widerspruchsgründe eine Sitzung des Gemeinderats einzuberufen, die spätestens 4 Wochen nach der ersten Sitzung stattzufinden hat (bisher war das auf 3 Wochen befristet). Wurde vom Bürgermeister gegen Beschlüsse von beschließenden Ausschüsse Widerspruch eingelegt, hat in diesen Fällen nun der Gemeinderat in gleicher Weise über den Widerspruch zu entscheiden.

 Ortschaftsrat (§ 67)

de sind binnen einer angemessenen Frist zu beantworten. Konkretisiert wurde, dass diese Frist grundsätzlich vier Wochen zu betragen hat.

 Fraktionen (§ 35a)

Bisher galt schon, dass die Gemeinde den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt für die sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren konnte. In Gemeinden ab 30.000 Einwohnern sollen ihnen jetzt Mittel gewährt werden. Außerdem kann durch Geschäftsordnungsregelung vorgesehen werden, dass Arbeitnehmer der Fraktionen zu nichtöffentlichen Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse Zutritt haben. In den Landkreisen galt bisher, dass den Fraktionen nach § 31 SächLKrO angemessene Mittel zu gewähren waren. Nun heißt es nur noch: Der Landkreis soll den Fraktionen Mittel aus seinem Haushalt für die Geschäftsführung gewähren.

 Gemeinderatssitzung (§ 36)

Der Bürgermeister kann nun den Gemeinderat nicht nur in schriftlicher, sondern auch in elektronischer Form einladen. Er soll künftig nicht mehr mindestens einmal monatlich einberufen werden, sondern nur noch, wenn es die Geschäftslage erfordert. Der Gemeinderat ist unverzüglich einzuberufen, wenn es ein Fünftel der Gemeinderäte (bisher ein Viertel) unter Angabe des Verhandlungsgegenstandes beantragt.

 Antrag auf Tagesordnung (§ 36)

Bisher konnte nur auf Antrag von mindestens einem Fünftel der Gemeinderäte ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats gesetzt werden. Jetzt steht dieses Recht auch einer Fraktion zu, unabhängig von ihrer Stärke.

 Ausschluss von Sitzung (§ 38)

Bisher konnte ein Gemeinderat bei grobem Verstoß gegen die Ordnung vom Vorsitzenden aus dem Beratungsraum verwiesen werden, womit der Verlust des Anspruchs auf die auf den Sitzungstag entfallende Entschädigung verbunden war. Nun kann bei wieder-

Regelung auch entsprechend für sachkundige Einwohner, die zu den Beratungen zugezogen sind.

 Überweisung an Gemeinderat (§41)

Ein Fünftel aller Mitglieder (bisher ein Viertel) eines beschließenden Ausschusses kann verlangen, dass eine Angelegenheit dem Gemeinderat zur Beschlussfassung unterbreitet wird, wenn sie für die Gemeinde von besonderer Bedeutung ist. Wichtig ist: dieses Mindestquorum von einem Fünftel bezieht sich auf die Gesamtzahl der Mitglieder des Ausschusses, nicht nur auf die Zahl der gerade anwesenden Mitglieder.

 Besetzung der Ausschüsse (§ 42)

Weiterhin gilt der Grundsatz, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse der Mandatsverteilung im Gemeinderat entsprechen soll. Kommt eine Einigung über die Zusammensetzung eines Ausschusses nicht zustande, können die Mitglieder von den Gemeinderäten auf Grund von Wahlvorschlägen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl unter Bindung an die Wahlvorschläge gewählt werden. Neu ist jetzt aber die Möglichkeit, dass anstelle der Wahl der Ausschussmitglieder der Gemeinderat jetzt beschließen kann, dass sich alle oder einzelne Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammensetzen. In diesem Fall werden die Ausschussmitglieder dem Bürgermeister von den Fraktionen entsprechend der ihnen zustehenden Sitze schriftlich benannt. Die von einer Fraktion benannten Ausschussmitglieder können von dieser auch abberufen werden und durch andere ersetzt werden. Neu ist auch, dass die Mitglieder der Ausschüsse sich im Einzelfall durch andere Gemeinderäte vertreten lassen können.

 Sachkundige Einwohner (§ 44)

Neu ist die Bestimmung, dass Mitglieder des Gemeinderats und Bedienstete der Gemeinde nicht als sachkundige Einwohner berufen werden können.

 Widerspruch des Bürgermeisters (§ 52)

Hat der Bürgermeister gegen einen

Dem Ortschaftsrat werden wie bisher zur Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben angemessene Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Die ortschaftsbezogenen Haushaltsansätze müssen jetzt im Rahmen der Gesamtausgaben der Gemeinde unter Berücksichtigung des Umfanges der in der Ortschaft vorhandenen Einrichtungen festgesetzt werden (bisher sollten sie das lediglich).

 Aufhebung der Ortschaftsverfassung (§ 69a)

Dieser Paragraph wurde gänzlich neu eingefügt. Danach kann die Ortschaftsverfassung durch Änderung der Hauptsatzung zur nächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte aufgehoben werden, wenn der Ortschaftsrat fortdauernd beschlussunfähig ist. Wurde die Ortschaftsverfassung auf Grund einer Vereinbarung nach Gemeindezusammenschluss auf unbestimmte Zeit eingeführt, kann sie nur mit Zustimmung des Ortschaftsrats aufgehoben werden, frühestens zur übernächsten regelmäßigen Wahl nach ihrer Einführung. Der Beschluss des Ortschaftsrats bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder. Ist die Zahl der Ortschaftsräte während der Wahlperiode auf weniger als die Hälfte der festgelegten Mitgliederzahl gesunken, entscheidet an seiner Stelle der Gemeinderat.

 Vertretung in Unternehmen (§ 98)

Werden in ein Unternehmen in Privatrechtsform (z.B. GmbH) Vertreter der Gemeinde entsandt, müssen diese über die für diese Aufgabe erforderliche betriebswirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde verfügen, bisher sollten sie das lediglich. Auch in einen Aufsichtsrat dürfen nur Personen entsandt werden, die über die für diese Aufgabe erforderliche betriebswirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde verfügen. Außerdem sollen künftig von der Gemeinde keine Personen für den Aufsichtsrat bestimmt werden, die Arbeitnehmer des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens sind. AG


Kommunal-Info 3/2014

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Energieeffizient bauen Nachhaltiger Bau und Betrieb von Gebäuden Die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Bauen und Betreiben von Gebäuden ist auf einen Bewusstseinswandel angewiesen. Gefragt ist der adäquate Umgang mit den verfügbaren Ressourcen. Zukünftige Energiestandards sollten den Aufwand pro Person oder Nutzer mehr in den Vordergrund stellen. Das Bauwesen hat an Ressourcenverbrauch und Klimawandel einen erheblichen Anteil. Gebäude verbrauchen in Deutschland 50 Prozent aller der Erde entnommenen Stoffe, verursachen 60 Prozent der Abfälle und verbrauchen die Hälfte der produzierten Endenergie. Weltweit resultieren ein Drittel der Treibhausgasemissionen aus dem Bau und Betrieb von Gebäuden. Die Bewältigung dieser Herausforderungen kann nur durch eine ganzheitliche Strategie in unterschiedlichen Handlungsfeldern gelingen. Für Gebäude gilt es, systemische Lösungsansätze zu entwickeln, die passive sowie aktive Strategien für die fünf grundlegenden Energiethemen eines Gebäudes behandeln: Wärme, Kälte, Luft, Licht und Strom. Passive Strategien versuchen den Energiebedarf des Gebäudes zu minimieren – also beispielsweise die Wärme innerhalb des Gebäudes zu erhalten oder den Strom effizient zu nutzen. Aktive Maßnahmen optimieren die Energieversorgung – so sollen Wärme und Strom effizient gewonnen werden. Die Effizienz des Energieverbrauchs von Gebäuden wird über unterschiedliche Standards definiert.

Novelle der Energieeinsparverordnung

Der Energiestandard, also praktisch die Effizienz des Gebäudes, kann durch gesetzliche Vorgaben, durch Fördergrenzen oder durch private Forschungsinstitute definiert werden. Er beschreibt häufig, wie hoch der Energiebedarf des Hauses pro Quadratmeter und Jahr ist. Auch der Ressourceneinsatz oder die Emissionen pro Nutzfläche, Wohneinheiten oder Person können limitiert werden. Der Mindeststandard für energiesparendes Bauen in Deutschland wird durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) gesetzlich auf Bundesebene festgelegt und mit jeder Novellierung in einem wirtschaftlich zumutbaren Rahmen prozentual verschärft. Am 16. Oktober 2013 wurde die Novellierung der EnEV, den Energiestandard EnEV 2014, beschlossen. Mit dem Inkrafttreten der Novellierung ist im Frühsommer 2014 zu rechnen. Die EnEV beschreibt neben den Bilanzregeln ein „Referenzgebäude“, sozusagen den Stand der Bautechnik in Deutschland, über das die Mindestanforderungen festgelegt werden („Neubaustandard“). Förderinstitutionen wie die KfW definieren ihre eigenen Standards mit Bezug zum Referenzgebäude (EnEV 2009-Neubaustandard), um zukunftsträchtige Optimierungen wirtschaftlich attraktiv zu machen. Die KfW-

Effizienzhaus-Standards werden in Relation zum Referenzgebäude der EnEV definiert. Folgende Förderstufen werden angeboten: KfW-Effizienzhaus 40, 55, 70, 85, 100 und 115 für Neubau und Bestand. Das Effizienzhaus 70 darf beispielsweise den Jahres-Primärenergiebedarf von 70 Prozent und den Transmissionswärmeverlust von 85 Prozent gegenüber dem EnEV 2009Referenzgebäude nicht überschreiten. Zusätzlich hierzu haben sich unabhängige Standards im Wortgebrauch etabliert. Zu diesen zählen unter anderem das Solarhaus, das Niedrigenergiehaus und das 3-Liter-Haus, für die es keine wirklich festgeschriebenen Definitionen gibt. Diese sind in erster Linie Baukonzepte, Demovorhaben mit Forschungscharakter oder schlicht Marketingbegriffe.

Passivhaus-Standard

Der Passivhaus-Standard ist klar durch Anforderungen und Kennwerte definiert, stellt jedoch keine gesetzliche Verpflichtung dar. Das Passivhaus ist ein Musterbeispiel für eine klare und umfangreiche, im Unterschied zu anderen weitgehend bauphysikalisch begründete Definition, die hinsichtlich der mittlerweile verfügbaren aktiven Technologien aber der Fortentwicklung bedarf. Festgelegt sind hier ein Heizwärmebedarf von nicht mehr als jährlich 15,4 Kilowattstunden pro Quadratmeter, eine Heizlast von nicht mehr als 10 W/m² und ein Primärenergiebedarf inklusive Beleuchtung, Belüftung, Haushaltsstrom und Hilfsstrom

von nicht mehr als 120 kWh/(m²a). Weiterhin gefordert sind eine nahezu wärmebrückenfreie Konstruktion, eine hohe Luftdichtheit, sichergestellt durch einen Blower-Door-Test, sowie ein UWert der Fenster von kleiner gleich 0,85 W/(m²K). Dieser Standard wurde für Wohngebäude entwickelt und nach und nach auf Nichtwohngebäude übertragen. Das Passivhaus definiert heute das Optimum des energieeffizienten Bauens und wird von der KfW analog der Effizienzhaus-Standards 40 und 55 gefördert.

Nutzen und Herausforderungen

In der Regel wird bei der Errichtung eines Passivhauses von Mehrkosten in Höhe von zusätzlich fünf bis zehn Prozent gegenüber einem herkömmlich errichteten Gebäude ausgegangen. Die höheren Investitionskosten amortisieren sich aufgrund des geringeren Energiebedarfs und den damit einhergehenden geringeren Betriebskosten bereits nach wenigen Jahren. Eine Herausforderung stellt die Bedienbarkeit der komplexeren Gebäudetechnik durch den Nutzer dar, denn oft werden die theoretisch errechneten Bedarfswerte aufgrund der nicht sachgerecht bedienten (oder bedienbaren) Technik nicht erreicht. Weiterhin ist der vom Passivhaus-Standard vorgegebene Heizwärmebedarf von gerundet 15 kWh/(m²a) nur mit erheblichem Aufwand und teilweise mit gestalterischen Einschränkungen zu erreichen. Insbesondere die letzten 10 kWh/(m2a) bringen gemessen an den Mehrkosten nur

eine geringe Effizienzsteigerung.

Absoluter Energiebedarf pro Person

Die Steigerung der Energieeffizienz in Bauten und die Nutzung erneuerbarer Energieträger senken den Energie- und Ressourcenverbrauch sowie die CO2-Emissionen pro Quadratmeter Wohnfläche. Seit Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung sinkt dementsprechend der Energiebedarf pro Quadratmeter von Neubauten kontinuierlich. Gleichzeitig werden Wohnungen und andere Nutzflächen immer größer, pro Person werden größere Flächen in Anspruch genommen und dementsprechend auch konditioniert. Die relativen Einsparungen pro Quadratmeter werden durch die größere Nutzfläche pro Person größtenteils aufgehoben. Der absolute Energiebedarf pro Person ist daher trotz der erheblichen Effizienzsteigerungen nahezu unverändert hoch. Eine solche Entwicklung wird als Reboundeffekt bezeichnet. Zukünftige Energiestandards werden andere Bewertungsmaßstäbe verwenden. Anstelle der Betrachtung pro Quadratmeter kann eine Bewertung pro Person treten. Eine solche Darstellung ermöglicht es dem Nutzer, die Folgen seiner Handlungen direkter nachzuvollziehen und kann daher eine Verhaltensänderung bewirken. Dies wiederum bildet die Grundlage für Suffizienzstrategien.

Flächenbedarf als Faktor

Die Suffizienz stellt die Frage nach der Angemessenheit des eigenen Energieverbrauchs. Sie will den Überverbrauch von Ressourcen und Energie begrenzen sowie Genügsamkeit und Verhältnismäßigkeit im gesellschaftlichen Umfeld herausfordern und umsetzen. Im Bauwesen geht es dabei zunächst um die Beantwortung der Grundsatzfrage, ob ein Flächenbedarf in der geplanten Größe überhaupt erforderlich ist. Die Planung intelligenter, multifunktionaler Räume mit niedrigem Flächenbedarf kann der zentrale Beitrag von Architekten und Planern zur Energie- und Ressourcenwende werden. (Joost Hartwig/Michael Keller/Patrick Pick) (www.gemeinderat-online.de/)

In eigener Sache: NEU GEWÄHLT-UND NUN? GRUNDLAGENWISSEN ZUR ARBEIT IN DEN KOMMUNALVERTRETUNGEN Zu den diesjährigen Kommunalwahlen führt das Kommunalpolitische Forum Sachsen im Juni 2014 eine sachsenweite Bildungstour durch. Wir möchten damit allen Interessierten, insbesondere den neu gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, die Gelegenheit bieten, sich grundlegendes kommunalpolitisches Wissen für die anstehende Legislaturperiode anzueignen. Schwerpunkte der Veranstaltung werden sein:  Die novellierte sächsische Gemeindeordnung  Hauptsatzung und Geschäftsordnung  Konstituierung der Fraktion und des Gemeinderates bzw. Kreistages  Besetzung von Ausschüssen, Aufsichtsräten und anderen gewählten Gremien Als Dauer der Veranstaltung sind jeweils ca. drei Stunden vorgesehen und sie soll möglichst Nachtmittags bzw. Abends an einem Werktag durchgeführt werden. Der Teilnehmerbeitrag wird 3 Euro betragen. Um einer Vielzahl von Menschen die Teilnahme zu ermöglichen, möchten wir diese Veranstaltung dezentral in verschiedenen Kommunen in Sachsen anbieten. Für unsere Planung bitten wir um Terminvorschläge und Ortswünsche, um diese bei der Durchführung unserer Bildungstour möglichst berücksichtigen zu können. Anmeldungen und Nachfragen bitte an: Kommunalpolitische Forum Sachsen e.V., Großenhainer Straße 99, 01127 Dresden Tel. 0351-4827944/4827945 E-Mail: info@kommunalforum-sachsen.de


04/2014  Sachsens Linke!

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Tierschutz als politische Herausforderung Die Drei-Prozent-Hürde ist für die Europawahl gefallen. Das lässt die kleineren Parteien frohlocken: Jetzt reicht in Deutschland etwa ein Prozent der WählerInnenstimmen aus, um ein Mandat im Europäischen Parlament zu erringen. Auch für die Tierschutzpartei (EU-Wahl 2009: 1,1 %) könnte es reichen, wenn sie ihre früheren Ergebnisse wiederholt oder gar verbessert. In Sachsen erhielt die Tierschutzpartei bei der Europawahl 2009 ganze 1,6 %, bei der Landtagswahl 2009 sogar 2,1 % und damit ihr historisch bestes Ergebnis oberhalb der kommunalen Ebene. Harmlose TierschützerInnen? Zumindest in der Vergangenheit hatte die Partei Verbindungen zu der neuen religiösen Bewegung „Universelles Leben“. Mit braunem Beigeschmack, denn „Universelles Leben“ unterhält zahlreiche Kontakte zur politischen Rechten. Berührungspunkt zur Tierschutzpartei: die Forderung eines Verbots des Schächtens, also des rituellen betäubungslosen Schlachtens, wie es in Judentum und Islam praktiziert wird. Diese Forderung ist der Einstieg vieler Rechtsextremer in die Tierschutzszene. Tierschutz spielte von Beginn an auch eine große Rolle in der Werteordnung des Nationalsozialismus. Schon im April 1933 beschlossen die Nazis ihr erstes Gesetz zur „Förderung des Tierschutzes“: Ein Verbot der betäubungslosen Schlachtung warmblütiger Tiere. Nicht jedeR SchächtkritikerIn ist AntisemitIn. Allerdings ist

Schächtkritik meist aus dem Kontext heutiger Lebensmittelproduktion und heutiger Konsummuster gelöst. Zur Erinnerung: Das Schächtgebot im Alten Testament war unter anderem auch ein Tierschutzgebot. Heute gibt es vielleicht wirklich schonendere Schlachtmethoden – die Zustände in der modernen Massentierhaltung und auf Schlachthöfen werden aber in der Regel weder den Tieren noch den Menschen, die dort arbeiten, gerecht; auch nicht denen, die tierische Produkte konsumieren wollen. Da in Europa Bevölkerung, Lebensstandard und damit auch der Konsum von Nahrungsmitteln stagnieren, können Lebensmittelkonzerne ihre Profite nur durch aggressive Preispolitik und durch Exporte sichern. Voraussetzung für beides ist die international organisierte Intensivtierhaltung statt regionaler Erzeugung und Vermarktung: Futtermittel werden importiert, Fleisch und Milch werden exportiert, Mist und Gülle bleiben hier. All das hat negative soziale, ökologische und ökonomische Auswirkungen in allen Regionen, die von diesem modernen Dreieckshandel betroffen sind. In der vergangenen Wahlperiode des Bundestags waren sich SPD, LINKE und Bündnisgrüne tierschutzpolitisch meist einig, zum Beispiel für ein Verbandsklagerecht und gegen Qualzucht und Zwangsamputationen (Schwänze und Schnäbel stutzen usw.). CDU/CSU verteidigten die Interessen der internationalen Fleischlobby

und die FDP stand zwischen den Stühlen. Für die politische Linke stand der Kampf gegen die Ausbeutung von Menschen stets an erster Stelle. Ökologische Positionen, die Sorge um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen auch um ihrer selbst willen spielen seit den siebziger Jahren eine wachsende Rolle für linke Politik. Doch Kritik an Massentierhaltung als Teil der Kapitalismuskritik greift zu kurz: Auch in der DDR gab es schließlich Massentierhaltung und ökonomische Wachstumsziele auf Kosten der Tiere und der Natur insgesamt. In den letzten 50 Jahren wurde wissenschaftlich bestätigt, dass Tiere Gefühle haben, Freude und Glück, Schmerz und Trauer empfinden. Der deutsche Tierschutzbund hat fast eine Million Mitglieder und ist bei Weitem nicht die einzige Organisation in dem Bereich. Unabhängig von Wahlstrategien ist ein Klärungsprozess angezeigt: Es sollte nach der Anschlussfähigkeit des Tierschutzes an linke Programmatik gefragt werden. Das Thema sollte keinen Splitterparteien und erst recht nicht faschistoiden Blut-und-Boden-Ideologen überlassen werden – gerade in Sachsen nicht. Jens-Eberhard Jahn Der Autor war bis Oktober 2013 Tierschutzreferent in der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Er hält am 24.04. an der TU Dresden im Rahmen einer RingvorBild: Jens Thöricht lesung einen Vortrag über Tierschutzmängel in der Milch- und Eierproduktion.

Mare Nostrum Am 1. März 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die Politik der Sicherheitskräfte der EU, vertreten durch die Grenzstaaten und Stellvertreter wie Frontex, Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Anliegens auf offenem Meer zurückzuschicken, unrechtmäßig sei. Geändert hat sich seither nichts. Was sich seit den 90er Jahren im Mittelmeer und ringsherum abspielt, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Von wirtschaftlicher Unsicherheit aus ihren Geburtsorten vertrieben, machen sich jährlich Zehntausende Menschen auf den Weg nach Norden. Im Jahr 2011 forderte die Flucht die meisten Toten, seit 1988 wird die Zahl der Ertrunkenen auf 20.000 geschätzt. Wenn Europa sich und seine Grundierung in Aufklärung,

spricht der Genfer Konvention, dernach alle das Recht auf die Überprüfung eines Asylanspruches haben. Flüchtlinge, die das Festland erreichen, werden dessen ebenso beraubt und nach langen Wartezeiten, die Menschenrechtsorganisationen als menschenrechtswidrig bezeichnen, in unsichere Gegenden zurückgeschickt. So nimmt die EU in Kauf, dass das Mittelmeer und der Weg dahin zu einem Massengrab werden. Spätere Generationen werden fragen, was wir getan haben, um das zu verhindern. Wir können die Verantwortung dafür nicht bei den Regierungen lassen, sondern müssen fragen, was wir tun können: Protest, direkte Hilfe, Wahlentscheidungen. Jede und jeder hat das Recht auf ein gutes Leben, das ist keine Frage des

Menschenrechten und einer Orientierung auf eine gemeinsame glückliche Zukunft ernst nimmt, können wir als Gesellschaft die Augen nicht mehr vor dem verschließen, was die Regierungen in Kauf nehmen: Die Abschottung wird, von der EU unterstützt, von Firmen wie Frontex betrieben, sodass die Regierungen die menschenrechtswidrige Behandlung und Abweisung von Flüchtlingen nicht selbst betreiben, sondern in Auftrag geben und billigen. Boote werden zurückgeschickt und die Passagiere dem sicheren Tod überlassen. Das wider-

Geburtsortes. Deshalb geht es darum, Menschen aus Gebieten, in denen ihr Leben bedroht ist, sei es aufgrund von Krieg, Verfolgung oder wirtschaftlicher Unsicherheit, Unterstützung und die Chance auf ein gutes Leben zu gewähren. Italien und Griechenland reagieren repressiv, doch es ist Angelegenheit des ganzen europäischen Festlands. Es ist eine Frage von Glokalität (Go global local), dass wir in ganz Europa uns dieser Frage annehmen. Und in Verbindung mit Afrika ein Meer zurückgewinnen: das Mare Nostrum. Julia Bonk

und die Stromsteuer auf das vorgeschriebene Minimum reduziert, könnte der Strompreis deutlich sinken. Mit einem Energiewendefonds wollen wir die EEG-Umlage senken und bundesweit einheitliche Netzentgelte einführen. Das rechnet sich nicht nur für die Umwelt: Mit unseren Vorschlägen spart eine durchschnittliche Familie ca. 185 Euro im Jahr – ohne die Energiewende zu gefährden. Kohle- und Atomstrom werden seit Jahrzehnten stark subventioniert. Allein im Jahr 2012 lagen die Kosten für die konventionellen Energien für die Bürgerinnen und Bürger durch Steuernachlässe, Subventionen aber auch Umweltverschmutzung und deren Folgen bei 40 Milliarden Euro. Wir als LINKE wollen die Marktmacht der Kohle- und Atomkonzerne brechen.

Wir machen uns für ökologische Stadtwerke stark. Gerade sie aber werden durch Gabriels Reform nachträglich für ihre Investitionen in die Energiewende bestraft. Viele zum Teil schon geplante Investitionen mussten gestoppt oder auf Eis gelegt werden. Gegen die Dominanz der Energieriesen setzen wir die demokratische Kontrolle der Energieversorgung und eine breite Bürgerbeteiligung an der Energiewende. Der Energieminister darf Energiegenossenschaften, Bürgerinitiativen und kleineren Stromerzeuger mit seinen Reformvorschlägen nicht gefährden. Wir als LINKE unterstützen ihr Engagement und ihre Initiative, denn wir wollen die Energiewende: sozial, ökologisch und demokratisch! Caren Lay

Für eine Energiewende mit Sozialsiegel Die Reform des Erneuerbaren Energien-Gesetzes (EEG) ist eines der ersten großen Projekte der schwarz-roten Bundesregierung. Doch gerade bei diesem wichtigen Thema macht sie alles falsch, was man falsch machen kann. Die Vorschläge von Minister Gabriel für eine EEG-Reform sind eine Rolle rückwärts ins Atom- und Kohlezeitalter im Interesse der Energieriesen. An den hohen Strompreisen ändern sie nichts. Wir als LINKE nehmen den massiven Anstieg der Strompreise ernst. In 13 Jahren hat sich der Strom für Haushaltskunden von 14 auf fast 30 Cent pro kWh verdoppelt! Doch von allen denkbaren Wegen, den Strompreis zu senken, wählt der Energieminister den schlechtesten: Gabriel möchte im Wesentlichen die Förderung erneu-

erbarer Energien kappen und das Ausbautempo der Erneuerbaren drosseln. Das gefährdet die 900 neu entstandenen Energiegenossenschaften und die inzwischen 400.000 Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien. DIE LINKE will eine Energiewende mit Sozialsiegel, eine Energiewende, die sozial, ökologisch und demokratisch ist. Sozial, um eine gerechtere Verteilung der Kosten und eine effiziente Erzeugung zu erzielen. Ökologisch, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Demokratisch, um die Marktmacht der großen Energiekonzerne zu brechen und mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Es ist skandalös, dass Geringverdienerinnen oder Hartz IVBezieher, aber auch der kleine Bäcker an der Ecke über ihre

Stromrechnung die Großindustrie subventionieren müssen. Aktuell profitieren sogar Golfplätze, Fastfood-Ketten und Supermärkte von den Industrierabatten. Allein im vergangenen Jahr gewährte die Bundesregierung über zweitausend Unternehmen großzügig Nachlässe bei der Ökostromumlage und belastete damit private Stromkunden und kleinerer Unternehmen in Höhe von 16 Milliarden Euro. Die Industrierabatte sind echte Strompreistreiber. Daher fordern wir die Abschaffung der ungerechtfertigten Industrierabatte. Wer wirklich energieintensiv produziert, muss auch nachweislich Strom sparen, um von Vergünstigungen zu profitieren. Würde zudem, wie von der LINKEN gefordert, wieder eine öffentliche Preisaufsicht eingeführt


Jugend

Sachsens Linke! 04/2014

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Quiz zum Landesjugendwahlprogramm Zum Landesparteitag hatten wir ein kleines Quiz zu unserem Landesjugendwahlprogramm vorbereitet, das einige Delegierte auch ausgefüllt haben. Wir wollen Euch dieses auch an dieser Stelle noch einmal präsentieren. Viel Spaß beim Rätseln – die Ergebnisse findet Ihr am unteren Ende der Seite. A Allgemein: Welches Kapitel / welche Überschrift gibt es nicht im Landesjugendwahlprogramm? a.) Leben wie Gott in Frankreich b.) Arbeit & Faulheit c.) Möge die Macht mit dir sein d.) Meine Freiheit, deine Freiheit B Kapitel 1 (Mitbestimmung): Für welche Altersgrenze bei Wahlen ist die linksjugend [‚solid] Sachsen? a.) 16 b.) 14 c.) 6 d.) 0

schafft werden? a.) Schulnoten b.) Anwesenheitspflicht c.) Frontalunterricht d.) Förderschulen E Kapitel 3 (Hochschulpolitik): Wer soll an einer Hochschule die/den Rektor_in wählen? a.) Hochschulrat b.) Student_innenrat c.) Urwahl aller an der Hochschule d.) Senat F Kapitel 4 (Inklusion): Welches Wort taucht nicht im Kapitel Inklusion auf? a.) behindert b.) Enthinderung c.) Krüppel d.) Sehschwäche G Kapitel 5 (Feminismus & Gender): Wie viel weniger Lohn erhielten Frauen 2013 im Bundesdurchschnitt? a.) 28 %

b.) 25 % c.) 22 % d.) 19 % H Kapitel 6 (Laizismus): Auf welches historische Ereignis gehen die sog. „Staatsleistungen“ vom Bund und den Ländern an die Kirchen ursprünglich zurück? a.) Reformation b.)Reichsdeputationshauptschluss c.) Reichskonkordat d.) Wiedervereinigung I Kapitel 7 (Kulturpolitik): Was oder wer wird im Kapitel zur Kulturpolitik nicht erwähnt? a.) Goethe b.) Seifenoper c.) Cello-Unterricht d.) Reggae J Kapitel 8 (Faulheit & Arbeit): Was ist der linksjugend [‚solid] Sachsen „Kombilohn“?

a.) Bedingungsloses Grundeinkommen b.) Mindestlohn & Tariflohn c.) Tariflohn & bed. Grundeinkommen d.) Mindestlohn & bed. Grundeinkommen K Kapitel 9 (Umweltpolitik): Was soll laut Landesjugendwahlprogramm mit Tierversuchen passieren? a.) gänzlich verbieten b.) für medizinische Zwecke erlauben c.) nur erlauben, wenn medizinisch notwendig d.) dazu steht nichts im Programm L Kapitel 10 (Stadtentwicklung): Was ist Gentrifizierung? a.) Strukturwandel bei Wohnbevölkerung b.) geplanter Rückbau in der Stadt c.) Bevölkerungsschwund d.) Verkehrskollaps in urbanen Zentren

M Kapitel 11 (Antirassismus): Was ist die „Festung Europa“? a.) Das europäische Grenzregime b.) Die iberische Halbinsel c.) Ein Stützpunkt auf Sewastopol d.) Die NATO-Infrastruktur in Europa N Kapitel 12 (Antifa): Was sagt das Programm zur Debatte um das NPD-Verbot? a.) „Keine Demokratie für Antidemokraten“ b.) „Dummheit lässt sich nicht verbieten“ c.) „[...] diskutieren wir weiter“ d.) „ist praktisch nicht umzusetzen“ O Kapitel 13 (Freiheitsrechte & Datenschutz): Wie sollen Polizeibeamte laut Programm gekennzeichnet werden? a.) mit einer Nummer b.) mit Klarnamen c.) mit Symbolen & Farben d.) mit bunten Stirnbändern P Kapitel 14 (Drogenpolitik): Was soll laut Kapitel Drogenpolitik entkriminalisiert werden? a.) Konsum & Erwerb b.) Handel & Konsum c.) Besitz & Herstellung d.) alles

C Kapitel 1 (Mitbestimmung): Wie viele der in Sachsen lebenden Menschen dürfen bei der Landtagswahl nicht mitwählen? a.) 100.000 b.) 400.000 c.) 700.000 d.) 1.000.000

Richtige Antworten: A c.) | B d.) | C c.) | D c.) | E c.) | F d.) | G c.) | H b.) | I d.) | J d.) | K c.) | L a.) | M a.) | N b.) | O b.) | P a.) – für jede richtige Antwort gibt‘s einen Punkt. Wie viele hast du?

D Kapitel 2 (Bildung, Schule): Was soll laut Landesjugendwahlprogramm nicht abge-

Spenden für das Pfingscamp Das Pfingstcamp wird immer größer, voller und vielfältiger. Letztes Jahr nahmen über 540 Personen teil – werden es diesmal mehr? Wir wissen das natürlich jetzt noch nicht. Fakt ist aber: Die Zeiten, in denen die Teilnehmer_innenzahl deutlich unter 400 Personen lag, sind vorbei. Das freut

uns natürlich einerseits, andererseits wird das Pfingstcamp aber immer teurer. Das liegt daran, dass wir im Gegensatz zu kommerziellen Veranstaltungen keinen steigenden Überschuss je Teilnehmer_in haben, sondern bei jeder Person, die kommt, drauf zahlen. Da wir vor allem junge Leute

ansprechen, deren finanzielle Lage oft prekär ist, können wir logischerweise auch die Preise nicht einfach nach oben schrauben. Deshalb haben wir jetzt eine Fundraising-Kampagne (sinngemäß: eine Spendenkampagne) gestartet. Dort können alle interessierten Freund_innen des Jugend-

verbandes und des Camps etwas spenden. Der Betrag kann frei gewählt oder aber aus einer Reihe fest vorgegebener Beträge gewählt werden – bei letzterem gibt’s dann sogar ein kleines Präsent. Also los geht’s: Jetzt spenden für das Pfingstcamp 2014! Tilman Loos & Rico Knorr

Alle Infos und die Spendenmöglichkeit auf: www.startnext.de/pfingstcamp-2014

Termine 12. April 2014, Nazis in Plauen im Weg stehen, mehr unter www.vogtland-nazifrei.de 25. bis 27. April 2014, Verbandswochenende in Kassel, mehr Infos unter http:// www.linksjugend-solid.de/ events/verbandswochenende/ 27. April 2014, ab 12:00 BRSitzung in Dresden Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de.


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

04/2014  Sachsens Linke!

Europa ist überall – trotz alledem. Einladend, bunt und fröhlich ist die Dekoration auf dem Europaparteitag in Hamburg. Eben genau so, wie wir LINKEN uns Europa vorstellen. Es wird gestritten und gelacht, sogar getanzt und unsere Partei zeigt sich in all ihren Facetten. Da erreicht an Anruf die sächsischen Genoss_innen aus Dresden und Bautzen. Auf das zum Jahresbeginn neu bezogene Büro am altehrwürdigen Bautzener Schülertor sind großflächig Nazisymbole geschmiert. Schon wieder, mag mancher denken!? Auch am alten Standort davor, der Seminarstraße, waren Beschmierungen und Beschädigungen immer wiederkehrende Tatsachen. Selbst Kameras schreckten hier nur wenig ab. In diesen Büros organisierte die Europaabgeordnete Dr. Ernst zahlreiche Veranstaltungen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Behörden, Verbänden jenseits und diesseits der Grenzen. In diesen Büros fanden Gesprächsrunden zu Asyl- und Flüchtlingspolitik, zu Fragen der Minderheiten in Europa oder der Arbeitnehmer freizügigkeit statt, die allen Interessierten klare Vorstellungen und Wissen vermittelten. Dass das die Nazis stört, ist klar! Ein tumbes Menschenund Weltbild verträgt eben keine Aufklärung. Das zeigt

auch ein weiteres Beispiel. Viele sächsische Kommunen sind in diesen Monaten mit Unterbringungs- und Versorgungsfragen für Flüchtlinge und Asylbewerber_innen beschäftigt. Gerade der Syrienkonflikt produziert hier viel Elend und Vertreibung. Aus Angst vor Folter und Tod wagen viele die ebenso gefährliche wie unsichere Flucht

kämpfen (aber nicht nur da) ein gern genutztes Thema für Politik. Vor allem bei Parteien, deren Populismus die nicht vorhandenen Inhalte überdecken muss. Geradezu trefflich vorbereitet ist auch der Boden, auf den dieser Populismus trifft. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Eigenschaften, die nur Menschen von „niederer

und menschenfeindliche Demonstrationen und Kundgebungen in der vorwiegend ländlichen Provinz abzuhalten, Ängste, Nichtwissen und Vorurteile der Bürger_innen bewusst missbrauchend. So geschehen unter anderem in Zittau, Bautzen, Bischofswerda und Hoyerswerda. Eine Handvoll Fraktionsleute der NPD tourte durch Sach-

Richtung Europa, Richtung Zuflucht. Sicherheit in Deutschland? Wenn es nur nicht diesen latenten Rassismus, diese geradezu bösartige Fremdenfeindlichkeit in unserem Land gäbe. In Zeiten von Wahl-

Bildung“ besitzen, nein, bis in die Mitte der Gesellschaft sind sie anzutreffen. Schon werden die sozialen Netzwerke und Flugblätter genutzt, um sogenannte „Bündnisse gegen (vorgeblichen) Asylmissbrauch“ zu knüpfen

sen und versuchte, Stimmung zu machen. Schnell und zahlreich fanden sich aber überall wirkliche Bündnisse von Aktiven aus allen demokratischen Parteien, aus Kirchen, Verbänden und den Gewerkschaften. Wir als LINKE, als

Wahlkreismitarbeiter_innen, als Vorständler_innen, als Jugendliche, als Kreis- und Stadträtinnen und als Antifaschistinnen und Antifaschisten standen überall in der ersten Reihe der Gegenaktivitäten. Es wurden Gegenveranstaltungen angemeldet, organisiert und bunte Plakate „Menschenrecht statt rechte Menschen“ verteilt. Keine Veranstaltung, auf der die Nazis ungehindert Ihre faule Propaganda verbreiten konnten. Ein Erfolg für uns alle! Und die Nazis? Sie feierten auf ihren Facebookseiten angebliche Hundertschaften von zustimmenden Bürger_ innen. Eine irre Traumwelt, klare Realitätsleugnung. Zurück zum Büro am Bautzner Schülertor. Die Nazischmierereien wurden entfernt, das Büro feierlich eröffnet und die erste inhaltliche Veranstaltung, natürlich zum Thema Europa, durchgeführt. Danach diente es als ein wichtiges Organisationsbüro der Proteste des Bündnisses „Bautzen bleibt bunt“. Weitere Veranstaltung, auch zu Themen wie Asyl, Flüchtlinge und Sinti- und Romapolitik werden folgen. Das ist unsere Antwort auf Nazipropaganda, auf Nazischmierereien. Wir machen weiter – trotz alledem! Sven Scheidemantel, Europabüro Dr. Cornelia Ernst (MdEP)

Die Hürden der Demokratie Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Drei- Prozent-Sperrklausel bei der Europawahl im kommenden Mai ist verfassungswidrig. Sie verstößt unter anderem gegen die Chancengleichheit der Parteien. Das

dung. Das Parlament sei zwar auf dem Weg, sich als institutioneller Gegenspieler der EU-Kommission zu profilieren. Diese Entwicklung könne aber noch nicht mit der Situation im Bundestag verglichen werden, wo die

über 160 Parteien vertreten. Vor dem Hintergrund der Wahlrechtsgleichheit und der Gleichheit der Grundrechte für alle Menschen ist das Urteil zu begrüßen. Allerdings sollte dieses Urteil dann auch konkrete Auswir-

Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist. Es gibt in Wahrheit nämlich keine triftigen, sachlichen Gründe für eine Sperrklausel bei Europawahlen. Im Europäischen Parlament sind schon jetzt

kungen für die Stärkung der Wahlrechtsgleichheit der nationalen Parlamente haben. Demgegenüber aber steht vor allem Kritik aus den Reihen von CDU und CSU, und so scheint das derzeit nicht erreichbar. Horst Seehofer plädiert sogar dafür, die Sperrklausel für die Bundes-

Bild: CherryX / Wikimedie Commons / CC BY-SA 3.0

BVerfG erachtet Sperrklauseln als nicht notwendig für die Arbeit des Europäischen Parlaments. Unter Berufung auf das Kippen der Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen hatten 19 kleinere Parteien gegen die Sperrklausel geklagt. Mit Erfolg. Es war eine knappe Entschei-

tagswahl im Grundgesetz zu verankern und diese so einer gerichtlichen Überprüfung nicht mehr zugänglich zu machen. Durch solche Sperrklauseln werden Stimmen und Mandate kleinerer Parteien auf die in den Parlamenten vertretenen Parteien umgelenkt. Diese haben daher auch ein machtpolitisches Eigeninteresse an der Beibehaltung von Sperrklauseln. Millionen Menschen aber wird durch die Sperrklauseln das Stimmrecht genommen. Dieser Eingriff in ein fundamentales Grundrecht in einer repräsentativen Demokratie lässt sich jedoch nur dann rechtfertigen, wenn dies zwingend erforderlich ist, um die Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erhalten. Allerdings entscheidet derzeit der Bundestag selbst über Sperrklauseln, genauso wie über Diäten und Parteienfinanzierung in eigener Sache und ist deshalb befangen. Eine Wahlrechtsreform ist unter

der jetzigen Regierung und den Mehrheitsverhältnissen im Parlament nicht denkbar. Gerade das Urteil des BVerfG sollte für alle Demokraten der Aufruf sein, auch die Wahlrechtsgleichheit und Grundrechtegleichheit der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu stärken. Denn in Europa gibt es mit Deutschland nur 13 Staaten, in denen es keine Sperrklauseln gibt. In den restlichen Staaten schwankt sie zwischen 3 und 6 Prozent. DIE LINKE fordert, die Debatte über ein gemeinsames Europawahlrecht wieder aufzunehmen. Jan-Robert Karas, Europabüro Dr. Cornelia Ernst (MdEP)


Sachsens Linke! 04/2014

DIE LINKE im Bundestag

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„Keine weißen Flecken entstehen lassen“ Ein Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten Susanna Karawanskij und Dr. Axel Troost Susanna, nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr warst Du die „Neue“ im Parlament. Jetzt stand eine Premiere im Haus: Deine erste Rede im Plenum. Wie aufgeregt warst du? Susanna: Natürlich ist so eine erste Rede aufregend, eine Mischung aus wackligen Beinen, absoluter Anspannung und Verkrampftheit. Ehrlich gesagt habe ich drei Tage lang kaum geschlafen. Wie hast du dich darauf vorbereitet? Susanna: Die erste Rede hält man ja nicht im luftleeren Raum, sondern konkret am Thema. Die Fraktion hatte einen Antrag zur durchgreifenden Regulierung des grauen Kapitalmarktes eingebracht. Zu unseren Forderungen sollte ich sprechen. PROKON war für uns ein Auslöser, diesen Antrag zu stellen. Da wurden viele Anleger geschädigt und teilweise um ihre Altersvorsorge und ihr Erspartes gebracht. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass der graue Kapitalmarkt unzureichend reguliert ist. Wir stellen uns eine Art Finanz-TÜV vor, der eine Risikokategorisierung der einzelnen Finanzprodukte durchführt und auch einzelnen Produkten die Zulassung verweigert, wenn sie volkswirtschaftlich keinen Sinn haben, also systemstabilisierend wirken oder nur bestimmten windigen Anlegern das Geld in die Tasche wirtschaften. Wir wollen, dass diese Produkte gar nicht erst auf den Markt kommen. Damit hat man schon ein Grundgerüst für die Rede. Und natürlich schlägt man dann auch ein bisschen auf die Koalition und Bundesregierung ein, denn seit 2008 ist in dem Bereich trotz gegenteiliger Versprechungen nichts passiert. Axel: Man konnte schon merken, dass Susanna vorher aufgeregt war. Als sie aber am Redepult stand, hat sie das ganz souverän gemacht und unsere Forderungen rübergebracht. Insofern: Ein sehr guter Einstieg. Susanna, Du bewegst dich thematisch jetzt also voll im Gebiet der Finanzpolitik? Susanna: Na ja, unter anderem. Gemeinsam mit Axel, Richard Pitterle und Roland Claus vertrete ich die Linksfraktion im Finanzausschuss. Aber dort gilt natürlich das Prinzip Arbeitsteilung. Auf meinen Tisch liegen die Schwerpunkte Versicherung, finanzieller VerbraucherInnenschutz und Familienleistungen. Außerdem bin ich Sprecherin für Kommunalfinanzen der Fraktion.

Und natürlich fühle ich mich als Vertreterin der dritten Generation Ost mit ihren ganz eigenen Teilungserfahrungen, der immer noch bestehenden Spaltung zwischen Ost und West. Auch das will ich thematisieren. Axel, du bist in der Fraktion schon fast ein Urgestein der Finanzpolitik. Hast du mit Susanna neue Konkurrenz bekommen? Axel: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Die jahrelange gute Zusammenarbeit mit Barbara Höll setzt sich jetzt mit Susanna fort.

Schulden aller Bundesländer und Kommunen hineinkommen sollen, so dass die Kommunen von den Zinslasten entlastet werden, wenn die Schuldenbremse scharf gestellt wird und es so keine Möglichkeiten mehr gibt, über Kredite Ausgaben zu tätigen. Dann müssen die Kommunen auch von den Zinslasten befreit werden, damit sie vernünftig wirtschaften können. Daneben bist du auch neuer Landesgruppensprecher. Axel: Ja, die Landesgruppe hat sich neu aufgestellt. Sie hatte

einen sehr engagierten Kommunalwahlkampf, auch wenn wir weniger geworden sind. Das ist auch eine Aufgabe für mich als Kreisvorsitzende wie als Abgeordnete. Darüber hinaus ist mir vollkommen klar, dass ich nicht nur Verantwortung für den eigenen Wahlkreis übernehme, sondern auch für Leipzig. Das habe ich immer betont. Wie wird das Engagement in Leipzig aussehen? Susanna: Ich bin im linXXnet groß geworden, hier bin ich politisch sozialisiert, habe hier

als Bundestagsabgeordnete die Stadt Leipzig leider nicht mehr abdeckt, müssen wir beide auch das Stadtgebiet, die Universität, müssen wir das ganze urbane Leben in Leipzig mit abdecken. Dies ist sicherlich nicht ganz einfach, wir werden aber eine Mischung finden, wie wir die beiden Landkreise und die Metropolstadt mit vernünftigen Aktionen bespielen, um keinen weißen Fleck in der wichtigsten Stadt Ostdeutschlands entstehen zu lassen. Das Gespräch führte Marko Forberger.

Kontakte DIE LINKE. im Bundestag, Büro der Landesgruppe Sachsen Koordinator: Marko Forberger c/o linXXnet, *Politik *Kultur *Projekte, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig Telefon: 0341/3081199, Mobil: 0163/3846548, Fax: 0341/3081200 Email: marko.forberger@ linxxnet.de, www.linke-landesgruppe-sachsen.de

Bisher war ich zuständig für den Bereich Kommunalfinanzen. Ich bin froh, mit Susanna eine gute Nachfolgerin gefunden zu haben. Ich selbst will zum einen weiter die Frage der Finanzmarktregulierung bearbeiten. Dazu gehört im Augenblick die europäische Bankenunion, wo auf europäischer Ebene jetzt die großen Banken beobachtet, aber auch Abwicklungsmöglichkeiten für sie entwickelt werden sollen. Da liegt noch vieles im Argen. Der zweite Schwerpunkt ist die Frage einer Föderalismuskommission III. Die Kommission gibt es noch nicht, aber zumindest muss man in diese Richtung überlegen. Gerade vor der Frage der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs.

von vornherein die Aufgabe, auch über die eigenen Büros hinaus in Regionen, in denen wir bisher eher schwach oder gar nicht vertreten waren, Anlaufpunkte zu installieren. Das kostet natürlich zusätzliches Geld, und da haben wir uns in der Landesgruppe zunächst intensiv beraten müssen. Im Ergebnis haben wir nun drei Regionalbüros in Görlitz, Meißen und Plauen erstmal bis zur Landtagswahl. Die Landesgruppe arbeitet intensiver als in der letzten Legislaturperiode und hat sich wirklich auch als Gruppe zusammengefunden. Wir haben gerade heute zusammengesessen und geplant, wie wir im Sommer gemeinsam vor Ort in Sachsen wirken wollen.

Welche Vorstellungen hat die Fraktion da? Axel: Wir haben als LINKE in einem 61 Seiten-Papier ein hervorragendes Konzept vorgelegt, in dem wir theoretisch, aber auch ganz konkret an Rechenbeispielen zeigen, was wir wollen. Alles in allem wollen wir eine Chancengleichheit, eine Angleichung der Einnahmesituation der Kommunen und der Länder im ganzen Bundesgebiet erreichen. Ein Kernpunkt davon ist ein sogenannter Altschuldenfonds, in den sämtliche

Stichwort „Vor Ort“. Susanna, wie stellst du dir deine Arbeit im Wahlkreis vor? Susanna: Ich bin seit zwei Jahren Kreisvorsitzende in Nordsachsen. Das Bundestagsmandat erleichtert da natürlich auch den Zugang zu Multiplikatoren, Verbänden und zu Firmen. Dort ist es manchmal als Partei etwas schwieriger, reinzukommen. Das Mandat öffnet Türen. Insofern ist für mich von Priorität, dass wir vor Ort weiter eine gute Parteiarbeit machen und in der Fläche präsent sind. Wir führen

als Praktikantin angefangen. Der Stadt Leipzig bin ich mit dem Herzen verbunden, auch wenn mir Nordsachsen sehr ans Herz gewachsen ist. Natürlich nehme ich auch in Leipzig Verantwortung wahr: Ich werde Bürosprechtage in Leipzig anbieten, auch mit meinen Mitarbeitern vor Ort in Leipzig, wie in Nordsachsen sein. Wir entwickeln gerade eine gute Routine. Da wird es ein ausgewogeneres Verhältnis geben. Es ist klar, dass ich als Kreisvorsitzende in Nordsachsen noch andere Verpflichtungen habe, aber Leipzig werde ich, werden wir – so habe ich mich mit Axel abgesprochen – als politisches Handlungs- und Wirkungsfeld wahrnehmen. Und wie stellst du dir deine Arbeit vor Ort vor, Axel? Axel: Ich will da an die Arbeit der letzten Legislatur anknüpfen. Wir versuchen, Kontakt auch zu größeren Firmen zu halten, wie auch zu öffentlichen Einrichtungen. Es gibt immer noch Bestrebungen für ein Modellprojekt im Bereich Arbeitsmarktprojekt im Leipziger Land. Da müssen wir jedoch abwarten, welche Möglichkeiten sich ergeben. Ich möchte jedoch nochmals unterstreichen, was Susanna gesagt hat: Dadurch, dass Barbara Höll

DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen, Regionalbüro Görlitz Regionalmitarbeiter: Mirko Schultze Schulstraße 8, 02826 Görlitz Mobil: 0173/5383158, E-Mail: dielinke-regionalbuero-goerlitz@gmx.de DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen, Regionalbüro Meißen Regionalmitarbeiter: Lutz Richter „Ein Haus für Viele(s)“, Dresdner Straße 13, 01662 Meißen Telefon: 03521/ 727702, E-Mail: andre.hahn.ma04@ bundestag.de Sprechzeiten: Dienstag: 10.0016.00 Uhr oder auf Anfrage. DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen, Regionalbüro Plauen Regionalmitarbeiterin: Janina Pfau Bahnhofstraße 49, 08523 Plauen Mobil: 0172/ 3558713 Sprechzeiten: Montag 13-18 Uhr, Dienstag 12-18 Uhr, Donnerstag 13-18 Uhr


Geschichte

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04/2014  Links!

Zwei Weltkriege – eine Katastrophe – ein Jahrhundert

Das zwanzigste Jahrhundert war noch minderjährig, als aus ihm ein Weltkrieg erwuchs. Achtzehn sollte es werden, bevor jener Wachstumsprozess in den Blutmühlen und auf den Schlachtfeldern zum Stehen kam. Dazu meinte der englische Schriftsteller D. H. Lawrence: Der Krieg habe „die lang gewachsene europäische Zivilisation zerstört“. Der damalige britische Kriegskorrespondent Philip Gibbs schrieb 1920, es habe ein „großes Zerlegen des Fleisches unserer jungen Männer (gegeben), während die alten Männer ihre Opferung hinnahmen und die Profitmacher reich wurden und die Feuer des Hasses durch patriotische Bankette und in Redaktionssesseln angefacht wurden“. Friedrich Engels formulierte schon 1887: „Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen ...“. Wenn man vom Ersten Weltkrieg spricht, ist vom „Maschinenkrieg“ die Rede. Denn viele Waffen – das Maschinengewehr, Panzer, Gas und Flugzeuge – kamen zum ersten Mal zum Einsatz. Viele Soldaten von damals sollte man auch beim Weltkrieg Teil 2 wieder treffen: Göring, Rommel, Keitel, Dönitz, um nur einige zu nennen. Doch bevor es der „Führer“ befahl, begann das Sterben für den Kaiser. War der erste Krieg,

unter anderem mit der Marne- und der Ypern-Schlacht, mit der Somme und mit Verdun nicht schlimm genug? Oder war das historische Gedächtnis zu schwach? Denn furchtbarerweise folgte Jahre später in Warschau, London, Stalingrad, der Normandie, in Berlin und anderswo eine Fortsetzung mit Nazi-Mitteln. Sie sollte um vieles brutaler, verheerender und grausamer sein. Es war ein bis dahin nicht für möglich gehaltener industrieller Massenmord und eine regelrechte Menschenvernichtung in Todesfabriken. Man denke nur an die etwa eine Mil-

Darum geht es ja immer zuerst. Eine Bedingung dafür wäre, das schon oben erwähnte historische Gedächtnis stets frisch zu halten und für neue Erkenntnisse und Lehren aus der Geschichte offen zu sein. Wer sich so der Geschichte stellt und aus ihren Fehlern zu lernen bereit ist, der vermeidet vielleicht, die alten Fehler neu zu bege-

benabwürfe (1945), auf den Korea-Krieg (1950-53), den Vietnam-Krieg (1964-1975) und auf den Sowjetisch-Afghanischen Krieg (1979-1989) verwiesen. Verantwortungsloses Wettrüsten und kalter Krieg brachte die Welt mehrfach an den Rand eines letztlich nuklearen Abgrundes. In den „hochbetagten“ wie auch offensicht-

lich „rüstigen“ Neunzigern des zwanzigsten Jahrhunderts zählte Alt-Kanzler Helmut Schmidt in seiner „Humboldt-Rede zu Europa“, gehalten an der gleichnamigen Universität am 8. November 2000, allein mehr als 50 regionale und lokale militärische Konflikte. Vergeblich hoffte man nach dem Ende der System- und Blockkonfrontation auf eine sogenannte Friedensdividende. Stattdessen wird von Bundeswehrsoldaten seit 1990 wieder verlangt, dass sie ihre Haut zu Markte tragen und sie ihren Blutzoll entrichten, indem man sie weltweit in Auslandseinsätze entsendet. Ein Bundespräsident, Horst Köhler, der gewisse Wahrheiten aussprach, musste abtreten. Doch kriegführende deutsche Bundesregierungen von SPD, Grüne und Union – nicht zu vergessen die FDP – blieben im Amt und nannten das sämtlich, „Wahrnehmung gewachsener Verantwortung“. Die wird offenbar nur noch in militärischen Kategorien gedacht. Die Mahnung des sozialdemokratischen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers, Willy Brandt, vom deutschen Boden dürfe kein Krieg mehr ausgehen, wurde zum Nutzen eiskalter Machtund Interessenpolitik kaltblütig ignoriert. Wie will man dem beikommen? Mit dem preußischen General Clausewitz? Der schrieb: „Der ganze Krieg setzt menschliche Schwäche voraus, und gegen sie ist er gerichtet“ (Vom Kriege, 4. Buch, 10. Kapitel). Oder hält man ihnen die letzten Worte (1813) des „Marschall Vorwärts“, Gerhard Leberecht von Blücher, unter die Nase? „Sie haben im Krieg manches von mir gelernt; jetzt sollen Sie auch noch lernen, wie man im Frieden stirbt“. René Lindenau

Leben gerufen, die bis heute Polens wichtigste überregionale Tageszeitung geblieben ist. Das Besondere an diesen Wahlen war ein komplizierter Wahlmodus, mit dem der Regierungsseite eine strukturelle Mehrheit eingeräumt werden sollte, allerdings eine relevante Anzahl der Abgeordnetenplätze frei gewählt wurde. Ein Kompromiss, der in erster Linie den Bündnisbeziehungen geschuldet war. Anders gesagt: Polen wäre zu diesem Zeitpunkt längst reif gewesen für allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs immer eine der zentralen politischen Forderungen der europäischen Arbeiterbewegung gewesen waren. Allein die Rücksicht auf Sowjetunion und Warschauer

Vertrag schien einen doppelten Boden erforderlich zu machen. Doch der hielt nicht, was er versprach – die Regierungsseite steckte eine empfindliche Niederlage ein, entsprechend glanzvoll schnitt das „Solidarnosc“-Lager ab. Wenige Wochen genügten, um alle beabsichtigten Rücksichten aufgeben zu können. Die Krise im sowjetischen Lager wurde manifester, die ersten DDR-Bürger fingen an, am Prinzip der Berliner Mauer zu rütteln. So setzte sich im Sommer 1989 das von Michnik in die Diskussion gebrachte Konzept durch: Euer Präsident, unser Ministerpräsident. Die Regierung übernahm mit Tadeusz Mazowiecki einer der engsten politischen Berater von Lech Wałesa, auf der anderen Sei-

te erhielt Wojciech Jaruzelski das neugeschaffene Amt des Staatspräsidenten. Damit war die Volksrepublik Polen Geschichte. Die Tür, die in Polen im Frühjahr und Sommer 1989 weit aufgestoßen wurde, wies den Weg, den im Herbst 1989 auch andere Länder im sowjetischen Einflussbereich gingen. Was in Polen noch Monate gedauert hatte, vollzog sich jetzt andernorts innerhalb weniger Wochen oder Tage. Der Versuch, eine nichtkapitalistische Gesellschaftsordnung ohne demokratische Verwurzelung aufzubauen, wurde zu Grabe getragen. Der Anteil der Gewerkschaft „Solidarnosc“ an diesem geschichtlichen Vorgang ist kein kleiner. Holger Politt

Über 64 Millionen Tote forderte der zweite Weltkrieg, darunter waren 24 Millionen Zivilisten. Schneisen der Vernichtung von Körpern, Städten, von Kultur und von Landschaften schlägt jeder Krieg. Umso mehr muss man doch nach dem Sinn und Zweck jedes Krieges fragen. Umso mehr sind insbesondere die politischen Akteure jeder Zeit dem Frieden verpflichtet. Wie nähert man sich diesem Thema als Nachgeborener überhaupt? Unbestritten, das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Aber man kommt nicht um sie herum, wenn man aus der Geschichte lernen will.

hen. Hat die dem ersten Weltkrieg nachfolgende Generation diese Lernbereitschaft nicht aufgebracht und damit einen zweiten Weltkrieg erst möglich gemacht? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Menschheit es daran hat fehlen lassen. Ein beredtes Zeugnis für Defizite im Fach Friedenserhaltung und ziviler Konfliktlösungen waren zahlreiche große und kleine Kriege, die auch nach 1945 immer wieder das zwanzigste Jahrhundert kriegerisch erschüttern sollten. Aus seiner Kriegs-und Konfliktchronik sei auszugsweise nur auf die Atombom-

Gräberfeld in Verdun. Bild: Brian Hall / Wikimedie Commons lion Hungertoten während der Blockade Leningrads und an die zahlreichen Vernichtungs- und Konzentrationslager wie Auschwitz und Buchenwald. Der Soldatentod ist zweifelsohne immer schlimm. Schätzungen zufolge wurde er im ersten Weltkrieg rund 10-millionenfach gestorben. Hinzu kamen um die 7 Millionen zivile Opfer.

Im zweiten Anlauf Im Sommer 1988 wurde Polen von einer Streikwelle erschüttert, die allerdings bei weitem nicht an die Wucht und die Kraft der Streiks vom Sommer 1980 herankam. Dennoch warf die Regierungsseite nun ihr letztes Angebot in die Waagschale: soziale Marktwirtschaft und umfassende Demokratisierung der Gesellschaft. Bereits im Herbst 1988 erlebten die staunenden Fernsehzuschauer ein Fernsehduell zwischen Lech Wałesa und dem Chef der regierungsnahen Branchengewerkschaften. Damit war der Weg frei zur Legalisierung der Gewerkschaft „Solidarnosc“, die seit Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 verboten war. Der entscheidende Schritt erfolgte mit dem Runden Tisch,

der von Anfang Februar bis Anfang April 1989 Regierungsseite und „Solidarnosc“-Vertreter unter Vermittlung der katholischen Kirche zusammenführte. Symbolisch besiegelte die Wiederzulassung der verbotenen Gewerkschaft am 5. April 1989 den erfolgreichen Abschluss der Rundtischgespräche. Für den 4. Juni 1989 wurden Parlamentswahlen angesetzt, in denen ein Bürgerkomitee (Komitet Obywatelski) die Wahlplattform der „Solidarnosc“Gewerkschaft bildete und die PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei), die bis dahin faktisch über das Machtmonopol verfügte, offen herausfordern konnte. Damals wurde für das Bürgerkomitee durch Adam Michnik übrigens die „Gazate Wyborcza“ (Wahlzeitung) ins


Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Chemnitz, 1.-30.4. Ausstellung “Ich kam als Gast in Euer Land gereist…” Eine Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Kooperation mit der Volkshochschule Chemnitz und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Volkshochschule Chemnitz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Die in dieser Ausstellung dokumentierten Familiengeschichten zeigen das widerspruchsvolle Schicksal deutscher Hitlergegner in der Sowjetunion der Stalin-Zeit. Die Deutschen kamen als Arbeitsuchende Anfang der 1930er Jahre oder nach 1933 als politisch Verfolgte in das Land ihrer Träume und Hoffnungen. Sie waren Facharbeiter, Journalisten, Lehrer, Mediziner, Künstler, Architekten – die Frauen unter ihnen immer mitgedacht. Ab 1936 wurden sie Opfer staatlichen Terrors: Ob vom NKWD ermordet oder in Straflager deportiert, auf lange Jahre nach Sibirien oder Kasachstan verbannt oder in Kinderheime zwangsweise eingewiesen – die Familienschicksale gleichen mehrfach zerrissenen Lebenslinien. Der Rückweg nach Deutschland war abgeschnitten; die Antifaschisten wurden zu doppelt Verfolgten. Auch das Ende von Krieg und Faschismus brachte vielen Exilanten nicht die erhoffte Freiheit: Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre konnte das Gros der in der Verbannung Lebenden ausreisen. Für sie war es die langersehnte Rückkehr in die Heimat, für ihre in der Sowjetunion sozialisierten Kinder ein schwerer Neubeginn in einem fremden Land. Dresden, 2.4., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Öffentliche Bibliotheken im 21. Jahrhundert: Medienverleihstation mit Animationsanteil oder ernstzunehmende Bildungseinrichtung? Mit Gerhard Zschau, DiplomBibliothekar und Demokratie-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

pädagoge M.A. und Peter Jobmann, Diplom-Bibliothekar und Demokratiepädagoge M.A. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Während der Zugang zu Informationen aller Art immer einfacher wird, ziehen sich Bibliothekarinnen und Bibliothekare immer mehr auf ihre Funktion als inhaltlich völlig neutrale Medienbereitsteller zurück. Zeitgleich positionieren sie sich aber offensiv als bedeutende Akteure im Kultur- und Bildungsbereich, wobei Schlagworte wie Leseförderung, Informations- oder Medienkompetenz die Diskussion dominieren. Ein Diskurs um die Gefahren dieses Handelns hingegen ist fast völlig unsichtbar. Die Demokratieförderung, Kernelement nationaler und internationaler bibliothekarischer Berufsethik, findet keine sichtbare Anwendung. Warum eigentlich nicht? Leipzig, 8.4., 19 Uhr Podiumsdiskussion Widerspiegelung der Parteien in den Medien. Die unsichtbare Opposition Mit Malte Daniljuk, Journalist (Impulsreferat), Christian Bollert, Geschäftsführer detektor. fm; Prof. Dr. Peter Porsch, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen; Tom Strohschneider, Chefredakteur Neues Deutschland; Moderation: Michael Bartsch (Journalist u.a. für taz) Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Medien setzen die Themen, über die Bürgerinnen und Bürger reden, reflektieren und diskutieren. Viele politische Akteurinnen und Akteure setzen auf Inszenierung statt Diskussion von Sachthemen. Doch anscheinend werden die Parteien von den Medien nicht gleich behandelt. Ist dem so? Dieser Frage wollen wir nachgehen. Chemnitz, 10.4., 19 Uhr Buchvorstellung und Diskussion Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-

Blackbox Abschiebung - Geschichten und Bilder von Leuten, die gerne geblieben wären Mit Miltiadis Oulios, Autor, Köln Eine Veranstaltung von „Save me“ Chemnitz in Kooperation mit der Volkshochschule Chemnitz und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Veranstaltungssaal, dastietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Wir leben in einer Welt der erwünschten Mobilität: Indische Informatiker programmieren im Silicon Valley; Frauen aus Osteuropa arbeiten hierzulande im Pflegesektor; Studenten verbringen Auslandssemester in aller Welt. Die Mobilität kennt aber auch eine Schattenseite: Menschen, die in den reichen Staaten des Westens ihr Glück suchen und denen permanent die Abschiebung droht. Doch was heißt das eigentlich, Abschiebung? Was passiert in der „Blackbox“ Abschiebegefängnis? Und welchen Sinn macht überhaupt Abschiebepolitik? Miltiadis Oulios entwickelt eine Theorie der Abschiebung und portraitiert Menschen, die abgeschoben wurden. Mit Digitalkameras dokumentierten sie ihr Leben in der alten, neuen Heimat und erzählen ihre Geschichte. Die entstandenen Bilder waren und sind im Rahmen einer gleichnamigen Ausstellung in zahlreichen deutschen Städten zu sehen. Dresden, 15.4., 18 Uhr REIHE: JUNGE ROSA Wie kann ich vor Ort Flüchtlinge unterstützen? »Realität Einwanderung – Kommunale Möglichkeiten der Teilhabe, gegen Diskriminierung« Mit Freya-Maria Klinger, MdL, Chemnitz WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 16.4., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Der große Wurf oder der große Stillstand? Zu den Auswirkungen der Bildung der Großen Koalition im Bundestag mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

Mit Dr. Jochen Weichold, RosaLuxemburg-Stiftung, Berlin WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 17.4., 18 Uhr Kurzbeiträge und Diskussion »Antifaschismus als Feindbild« Mit Katharina König, MdL, Fraktion DIE LINKE im Thüringischen Landtag; Thomas Datt, Journalist, Leipzig RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 24.4., 18.30 Uhr REIHE: Rosa L. in Grünau Wolfgang Abendroth - Der „Partisanenprofessor im Lande der Mitläufer” (Jürgen Habermas) Mit Steffen Juhran, Leipzig Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig Leipzig, 24.4., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Kritische Gesellschaftstheorie, Herrschaft, Krise - Aktuelle Kontroversen im Anschluss an Marx und den materialistischen Feminismus Mit Alex Demiroviç, Etienne Schneider und Julia Dück Moderation: Christian Schmidt Eine Veranstaltung der Zeitschrift “Prokla”, dem Conne Island e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Conne Island, Koburger Straße 3, 04277 Leipzig Chemnitz, 24.4., 19 Uhr Lesung “Deutschland - ein Wintermärchen” von Heinrich Heine Mit Mike Melzer, Chemnitz Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Vor 170 Jahren erschien bei Hoffmann und Campe in Hamburg ein Versepos – „Deutschland – ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine. Es löste in Deutschland eine Verbotswelle und einen Haftbefehl gegen den Autor aus. Schon 1831 ging Heinrich Heine in die französische Emigration. Auf einer Fahrt Ende 1843, auf der er seine Mutter und seinen Verleger Julius Campe besuchKontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 25.03.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 30.04.2014.

te, entstand die erste Fassung dieses Versepos. Darin nimmt Heine deutlich Partei für eine Veränderung der deutschen Zustände bis hin zum oft zitierten „Himmelreich auf Erden“. Sehr kritisch geht er mit dem Deutschtum und der Kleinstaaterei um. Humoristisch kratzt er an Nationalmythen und -symbolen wie dem Reichsadler und dem Kaiser Barbarossa. Der Text atmet bis heute den „Hochverrat“ und den Angriff auf alles Nationale. Dies macht ihn neben der hohen literarischen Qualität bis in unsere Tage aktuell und hörbar. Cunnersdorf, 25.4., 20 Uhr Gesprächrunde Philosophinnen in Cunnersdorf Mit: Theano von Thurij (Antike) und Hypathia von Alexandria (Spätantike) Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit der Alten Schule Cunnersdorf e.V. Alte Schule e.V., Schulweg 10, 01929 Schönteichen OT Cunnersdorf Chemnitz, 29.4., 18 Uhr Lesung und Frühlingsempfang “Von einem, der auszog..” Lesung mit Prof. Dr. Peter Porsch, anschließend Frühjahrsempfang des Arbeitskreises Chemnitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Soziokulturelles Zentrum “querbeet”, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Leipzig, 29.4., 18 Uhr Vortrag und Diskussion Pierre-Joseph Proudhon – ein Theoretiker der sozialen Gerechtigkeit? Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Leipzig RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 30.4., 19 Uhr Vortrag und Diskussion Lenin und die globale Revolution heute Mit Prof. Dr. Thomas Kuczynski, Wirtschaftshistoriker TU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstr. 64, 01067 Dresden Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank


Rezensionen

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Alle Kunst ist Bannung – Otto Dix und der Krieg Es gibt kaum einen Künstler, der sich in seinem Werk so intensiv mit den Schrecknissen des Ersten Weltkrieges auseinandersetzte und das kollektive Bildgedächtnis des Krieges so wesentlich geprägt hat wie Otto Dix (1891-1969). Noch heute gelten seine Darstellungen der aufgerissenen, zerbombten Schützengräben, die schockierenden Dokumentationen vom Leid und Elend als bildgewordene Zeugnisse eines in seiner Zerstörung und Ausmaß bis dato ungekannten Krieges. Der in Gera geborene Dix meldet sich, wie viele seiner Zeitgenossen, 1914 freiwillig und wird bis 1918 an der Westfront eingesetzt. Seine Zeit als Soldat ist dabei weniger motiviert durch die heute unbegreifliche Kriegsbegeisterung und den HurraPatriotismus der unmittelbaren Vorkriegsjahre, sondern vielmehr vor dem Hintergrund seines absoluten Lebens- und Erfahrungswillens zu verstehen, dem Wunsch, dem Leben in all seiner Schönheit und Hässlichkeit nahe zu kommen. Dass das Erlebte in den Gräben, die Sinnlosigkeit des Sterbens und der Horror des Krieges tiefe Wunden riss, ist im Nachkriegswerk spürbar. Von da an wird der Krieg in all seinen Abgründen das Werk des Malers durchdringen. Immer wieder stellt sich der Künstler seinen Erfahrungen und reflektiert diese in eindringlichen Bildwerken. Für Dix

ist der Künstler selbst nicht nur das Auge der Welt – eine Maxime, die ihn zeitlebens zum

net am 5. April im Dresdner Albertinum eine Ausstellung, die sich intensiv mit dem 1929-

tersuchungen, ein facettierter Blick auf die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des

zwischen 1914 und 1918. Eine Sichtbarmachung, die, steht man vor dem Bild, bei-

Otto Dix nimmt die Ernennungsurkunde zum Korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie der Künste entgegen, 12. April.1957. An diesem Tag eröffnet in Berlin eine große Otto-Dix-Ausstellung. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-45912-0002 / CC-BY-SA

Gräberfeld in Verdun. Bild: Wikimedie Commons / nara.gov

genauen Hinsehen, zur minutiösen Wirklichkeitserfassung trieb. Kunst ist für Dix ebenso Bannung und die Bilder vom Krieg so eine Sichtbarmachung und Mahnung zugleich. Anlässlich des 100. Jubiläums des Ersten Weltkrieges eröff-

1933 entstandenen Triptychon Der Krieg beschäftigt. In seiner Bildgewalt und Drastik gilt es heute zu Recht als eines der wichtigsten Kunstwerke der realistischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Neueste Erkenntnisse maltechnischer Un-

Bildes eröffnen dem Betrachter neue Einblicke. Zudem zwingen der nahezu sezierende Blick des Künstlers und die schockierenden Nahaufnahmen zum Hinsehen und somit zur eigenen Befragung und Sensibilisierung für die Ereignisse

nahe schmerzt und trotz der scheinbaren Historizität des Werkes angesichts aktueller Ereignisse an Bedeutung nichts verloren hat. Zu sehen ist die Sonderausstellung vom 5. April bis zum 13. Juli im Albertinum Dresden. Anja Eichhorn

Legalize it! –Robert Savianos neues Buch propagiert die Freigabe auch harter Drogen In der großartigen Fernsehserie Breaking Bad sieht es immer spannend und spielerisch aus. Aber auch hier sieht man, dass Drogen mit viel Geld zu tun haben. Mit sehr viel Geld. Und das in jeder Hinsicht: Nicht nur die Gelder, die im Drogenhandel verdient werden, sind gigantisch. Auch der Krieg gegen die Drogen, der sogenannte war on drugs, den die USA in den 70ern ausgerufen haben, verschlingt gewaltige Summen. Seit 1971 wurden dafür mehr als 1000 Milliarden Dollar ausgegeben. Wie Kokain die Welt beherrscht ist daher zu Recht auch der Titel von Robert Savianos neuem Buch Zero Zero Zero. Der Autor, der nach seinem Weltbestseller Gomorrha über die italienische Mafia im Untergrund unter starkem Polizeischutz leben muss, nimmt auch hier kein Blatt vor dem Mund. Sein Bericht über die absurde Gewalt, die Produktion, die Vertriebswege, die von gigantischen Drogenkartellen organisiert werden, liest sich beängstigend. Savi-

ano beschreibt sehr detailliert den Aufstieg der mexikanischen Drogenkartelle und der kolumbianischen Kokainproduzenten, aber auch die Vermittler- und Verteilerrolle der italienischen Mafia auf dem europäischen Markt, die natürlich – wie auch schon breaking bad zeigt – auch auf dem vergleichsweise neuen Methamphetaminmarkt mitmischen. Drogen sind nach Saviano das lukrativste Schmiermittel des Kapitalismus, da sie nicht nur vergleichsweise leicht zu transportieren sind, sondern sich auch gewaltige Margen erzielen lassen. Der mexikanische Kriminalitätsforscher und Ökonom Edgardo Buscaglia schätzt im SPIEGEL, dass es die Kartelle auf einen Gesamtjahresumsatz jenseits der 100 Milliarden Dollar bringen. Das entspricht fast zehn Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts. Nicht überraschend wird der kürzlich festgenommene Joaquín Guzmán Loera „El Chapo“, der Anführer des Sinaloa-Syndikats, seit Jahren vom

Wirtschaftsmagazin „Forbes“ auf der Liste der Milliardäre geführt. Saviano deckt die geheimen Geldwäschegeschäfte auf, an denen nicht nur amerikanische Banken sehr gut verdienen. Schockierend in diesem Zusammenhang, wie systemimmanent die Dollars der Drogensyndikate sind: „Die Gewinne der kriminellen Organisationen sind für manche Banken das einzige flüssige Investitionska-

Maria Costa im November 2009 – auf dem ersten Höhepunkt der internationalen Finanzkrise. In einem System, das nichts so sehr braucht wie Liquidität, sind Drogengelder die einzigen, die fließen – eine unglaubliche Enthüllung. Die radikalste, aber wohl einzige Lösung, die Saviano daher einfällt, ist den Stoff zu legalisieren, um ihn zu entwerten und jenen die Macht zu nehmen, die den Anbau und den Vertrieb beherr-

Koka-Pflanze. Bild: Darina / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

pital, um eine Insolvenz zu vermeiden“, erklärte der Leiter des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, Antonio

schen. Denn eine Regelung, die diese Substanzen legalisieren würde, würde die Herstellung und den Handel den Märk-

ten für Alkohol oder Zigaretten angleichen. Der Konsum wäre durch Besteuerung reguliert, es gäbe Alters-Untergrenzen für den Erwerb, eingeschränkte Werbung, Warnhinweise sowie Konsumverbote an bestimmten Orten. Die erzielten Steuern würden nicht nur die Haushaltsdefizite verringern, sondern womöglich sogar den Drogenkonsum eher verringern als der Krieg gegen die Drogen. Peter Praschl träumt in der WELT: „Kokain könnte zu fairen Bedingungen produziert werden, niemand müsste mehr Mehl oder zerstoßenes Glas mitschnupfen müssen, irgendwann gäbe es Bio-Zertifikate, Benotungen von Terroirs und Fachsimpeleien, aber keine Kokskartelle mehr, deren Mitglieder einander und gänzlich Unbeteiligte abschlachten.“ Eine bisweilen in Details ausufernde, dennoch überaus lohnenswerte Lektüre. Rico Schubert Robert Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht. Hanser Verlag, 24,90 Euro.


Kultur

Links! 04/2014

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Vom schwarzen Kaiserreich zur brasilianischen Moderne Der 16. März war in Sachsen ein Vorfrühlingstag, den man getrost „unter Glas“ verbringen konnte. So regnerisch, kühl und windig war es. Manche machen bei so einer Gelegenheit einen Schaufensterbummel, doch die bessere Alternative an dem speziellen Tag war es eindeutig, zur Messe zu fahren, zur Leipziger Buchmesse. In Riesa hat der Regionalexpress Verspätung, und als er dann endlich da ist, besteht er nur aus zwei übervollen Waggons. Reinkommen ist alles, Sitzen unmöglich. Kein Kontrolleur hätte hier die geringste Chance, auch nur fünf Meter vorwärts zu kommen. In der S-Bahn ab Leipzig Hauptbahnhof ist das Raumangebot größer. Ja, man weiß es inzwischen – die Buchmesse verzeichnete einen neuen Besucherrekord. Der Sonntag ist, was die Veranstaltungsfülle betrifft, bei weitem nicht so intensiv bestückt wie die vorangegangenen Tage. Zum „Familientag“ liegt eine Atmosphäre der Entspannung in der Luft, wenn man in Begleitung zahlreicher Manga-Jugendlicher vom Bahnsteig entlang der Straßenbahnschienen zu den Hallen läuft. Große Freude im Pressebüro: Es gibt nicht nur die Dankesrede zur Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung von Pankaj Mishra, sondern auch die dazu gehörige Laudatio von Ilja Trojanow – allein um diesen Lesestoff zu bekommen, hat sich der Weg ins Pressebüro gelohnt. Bei Messebesuchen schwanke ich immer etwas zwischen straffer Planung und Anarchie – eigentlich will ich vier Veranstaltungen besuchen und ich bin wirklich auf dem allerbesten Wege, um mir einen Vortrag anzuhören, in dem es um die „Einflüsse der Literatur auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen“ geht. Es sind

noch wenige Meter bis zu dem Stand, als ich eine Stimme höre: „Und da stand er vor mir, mein Großonkel, der Kaiser!“ Aha, denke ich, es ist Familientag und hier gibt es eine Märchenstunde – und schaue dann doch vorsichtig bei der Lesung rein. Der untersetzte Mann, der da vorn liest, ist schon älter. Der Einband ist wirklich märchenhaft bunt, doch der Vorleser ist kein Märchenonkel und die Zuhörer sind keine Kinder. „Wer war Haile Selassie?“

unter die Arme greifen und junge Äthiopier u.a. an der Humboldt-Uni Berlin studieren. Der „König der Könige“ ließ sein Volk verhungern und wunderte sich anschließend darüber, dass er 1974 gestürzt wurde. Sein Großneffe beklagt nun im Jahr 2014 in Leipzig, dass in den letzten 40 Jahren das Andenken seines Großonkels, dessen Vorfahre König Salomon gewesen sei, in Äthiopien nicht gepflegt worden sei, und rühmt die „Goldenen Tage“ des Kaiserreiches,

Stiftung gefördert. Da ich HansDieter Schütt, den ehemaligen Chefredakteur der jungen welt, verpasst habe, entscheide ich mich für neue brasilianischen Literatur „der Marginalisierten“ und für eine Buchvorstellung zum Thema Videospiele. Vom schwarzen äthiopischen Kaiserreich bis zur brasilianischen Moderne sind es in Messetagen nur wenige Meter, und schon beschäftigt man sich mit den „Widerständigkeiten im Land der Zukunft – Andere Blicke Bild: Ralf Richter

fragt er jetzt wieder, der Äthiopier und Autor des Buches „Der letzte Kaiser von Afrika“. Sein Deutsch ist ausgezeichnet. Er erzählt von seiner OP als Kind, im Haile-Selassie-Krankenhaus in Addis Abeba, als er beim Aufwachen aus der Narkose drei Männer an seinem Bett stehen sieht: den Großvater, den Vater und den „König der Könige“, Haile Selassie. Asfa-Wossen Asserate studierte in Frankfurt am Main und begleitete den Kaiser ein letztes Mal im September 1973 durch Deutschland, ein Jahr vor dem Putsch der äthiopischen Offiziere – als die Ära beginnt, in der die DDR und die Sowjetunion Äthiopien

in dem es ihm – immerhin Sohn des Gouverneurs von Eritrea – so gut gegangen war, während andere Kinder seines Jahrgangs in Afrika kaum etwas zum Essen hatten. Auch für die Gespenster der Vergangenheit bietet die Buchmesse ein Podium, denke ich. Man kann daraus nur lernen: Unsere heutigen scheinbar wichtigen Erkenntnisse erscheinen womöglich im Licht der Zukunft als fatale Irrtümer. Doch es gibt auch noch einen nicht-kaisertreuen Stand in Leipzig, an dem ein buntes Programm linke Bücher und linke Autoren vorstellt – das Ganze nennt sich „Die Bühne“ und wird von der Rosa-Luxemburg-

auf und aus Brasilien“. Ja, es ist Fußball-WM in diesem Jahr und Olympiade 2016. Die „anderen Blicke“ kommen von Forschern und Aktivisten aus Brasilien bzw. Deutschland und erstrecken sich auf Widerstandsformen wie Straßenproteste, Musik, Literatur, Straßenkunst und städtisches Gärtnern. Interessant finde ich die Geschichte über eine Straßenkino-Betreiberin, die davon träumt, die Favelas mit Straßenkinos zu besetzen. Die Leute vom Unrast-Verlag aus Münster haben das Feld kaum geräumt, da geht es auch schon um Videospiele, ein Markt, der viel größer ist als der Kino-Markt. Besonders

im Blickpunkt von „Das virtuelle Schlachtfeld“ von Michael Schulze von Glaßer vom Papyrossa-Verlag ist die Kooperation von Spieleherstellern und Militär – auch um derzeit aktuelle Feindbilder geht es. Beim Egoshooter „Battlefield 4“ geht es darum, möglichst viele Chinesen zu töten – das hat bei der South China Morning Post verständlicherweise nicht nur große Begeisterung ausgelöst, dort erschien ein energischer Protest. Eine richtig große, aber immer volle Bühne, vor der man mit etwas Glück aber doch noch einen Platz ergattern kann, bietet Leipziger Volkszeitung. Hier höre ich dann Ernst Piper, der über sein Buch „Nacht über Europa“ spricht, das ich ganz großartig finde – und werde enttäuscht. Nein, der Autor „kommt nicht rüber“, redet mehr oder weniger schüchtern nur mit dem LVZ-Redakteur. Der Glanz des Buches wird vom Autor nicht versprüht. Es hat schon seinen Grund, wenn gute Schauspieler an Stelle von Schriftstellern Romane als Hörbücher einlesen – auch „Nacht über Europa“ hätte manch anderer als der Autor bei der Buchmesse gewiss besser präsentieren können. Fazit: Ich habe einen ganz winzigen Bruchteil des Angebotes gesehen, vielleicht nur 0,01 Prozent. Doch bereits das Wenige war so anregend, dass man einen Leipziger Buchmesse-Besuch nur empfehlen kann – auch wenn die Anreise mitunter doch etwas weniger komfortabel sein kann, aber irgendwann bekommt das die Bahn bestimmt auch noch in den Griff. Allerdings: Man sollte sich schon mehr Zeit nehmen als einen Tag – für die Leipziger „Bücher-Vorfrühlingstage“ im März wäre das angebracht. Wer dieses Jahr nicht da war: Vom 12. bis 15. März 2015 gibt es eine neue Chance! Ralf Richter

Gerry Wolff, der charismatische Schauspieler und Chansonnier „Zerreißt die Ketten von Sklavenzwang!“ So jedenfalls interpretiert er mit unverwechselbar intensivem Sprechgesang das Lied „Von der Arbeit aufgewacht“ des bekanntesten Poeten der 1848er Revolution, Georg Herwegh, auf einer Langspielplatte, die 1969 aufhorchen – und Gerry Wolff zum wichtigen Pionier des ostdeutschen Chansons werden ließ. Er bereicherte mit diesem Werk die bis dahin langweilig erscheinende, volkstümlich klingende DDR-Musikszene und setzte seiner Zeit entsprechend durchaus progressive Akzente, ohne agitatorisch zu wirken. Seine Eltern, die Sopranistin Grete Lilien und den Schau-

spieler Martin Wolff, verlor der am 23. Juni 1920 in Bremen geborene Junge bereits mit elf Jahren, so dass er zu seiner Großmutter zog, die sich seiner annahm – bis er im Jahre 1935 aufgrund seiner jüdischen Herkunft das inzwischen nationalsozialistisch gewordene Deutschland verlassen musste und in Großbritannien eine einstweilige neue Heimat fand. In London bekam er in einem Buchverlag den Beruf eines Lektors. Nebenher befasste sich der jugendliche Gerry mit Theaterkunst und erste Auftritte als Schauspieler folgten. Nach Kriegsende beschloss er, wieder nach Deutschland zu gehen, wo er dann 1949 ein En-

gagement im Berliner „Theater am Schiffbauerdamm“ bekam. 1956 verpflichtete ihn die neu entstandene „Volksbühne“. Die DEFA entdeckte ihn bereits vier Jahre zuvor, und es wurden ihm zahlreiche Rollen in Spielfilmen angeboten. Er wirkte bis 2001 in über 100 Spiel- und Fernsehproduktionen mit, ohne jedoch seine gesanglichen Fähigkeiten zu vernachlässigen. Die bekanntesten Filme, in denen er als charismatischer Darsteller zu sehen ist, sind „Nackt unter Wölfen“ 1963 unter Regie von Frank Beyer, „Anton, der Zauberer“ 1978, „Krupp und Krause“ 1968 und „Levins Mühle“ 1980. Anfang der 60er Jahre kamen beim DDR-Label VEB Deutsche

Schallplatten Berlin AMIGA mehrere Singles heraus, 1969 folgte die LP „Gerry Wolff, Portrait in Noten“ (AMIGA-855171). Durch die Vielseitigkeit des Protagonisten überzeugten sie mit hoher künstlerischer Qualität. Hier begeben sich nordamerikanische Folksongs, lateinamerikanische, jiddische und griechische Volkslieder, eine altenglische Ballade und das französische Chanson in unmittelbare Nachbarschaft und bilden in abwechslungsreicher Kombination ein ausgereiftes Werk, das sich politisch und emotional poetisch auf hohem Niveau befindet. Das Chanson „Die Rose war rot“ wurde ein richtiger Hit, für den Gerry

Wolff beim Songfestival in Sopot den Sonderpreis der polnischen Presse bekam. Neben seiner Arbeit als Schauspieler und Sänger war Wolff auch als Hörspiel- und Synchronsprecher aktiv. In den 90er Jahren kreierte er Programme, die sich hauptsächlich der jiddischen Sprache widmeten, unter anderem auch mit der schon in der DDR gegründeten jungen Berliner Klezmerband „Aufwind“. Das Programm hieß „Als der Rebbe tanzt“. Gerry Wolff verstarb am 16. Februar 2005 in Oranienburg. Ich hätte mir noch mehr Aufnahmen seiner Lieder gewünscht. Jens-Paul Wollenberg


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