Links! Ausgabe 04/2015

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Patrioten aller Länder, vereinigt euch!

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2015

Liebe Leserinnen und Leser, mit und ab der Mai-Ausgabe wird diese Zeitung allen Mitglieder des sächsischen Landesverbandes der LINKEN per Post nach Hause geschickt. Die Partei-, Bürger,- und Abgeordnetenbüros erhalten nur noch eine geringe Anzahl Handexemplare. Den Mitgliedern ent-

stehen dadurch keine Zusatzkosten. Dennoch kann jede Leserin und jeder Leser das Zeitungsprojekt durch eine Spende unterstützen. Nähere Informationen dazu stehen im Impressum. Übrigens: Ab sofort gibt es auch ein Digitalabo! Wer anstelle des gedruckten

Exemplars lieber per E-Mail das PDF-Dokument der jeweils aktuellen Ausgabe erhalten möchte, möge das bitte mit einer kurzen Nachricht an die folgende Adresse anzeigen: aboservice@links-sachsen. de Wir danken für das Verständnis!

Gibt es wünschenswerten Patriotismus? Zumindest erscheint er so wichtig, dass ich von Patrioten als undankbar, kulturlos oder gar als Vaterlandsverräter beschimpft werde, wenn ich nicht zu ihnen gehöre. Undankbar, weil ich verpflichtet sei, meinem Land etwas wiederzugeben. Kulturlos, da ich meine Wurzeln abstreite. Vaterlandsverräter, wenn meine Taten dem Land und dem sogenannten Volk schaden würden. Diese negativen Titel setzen alle eines voraus: Es steht mir nicht frei, wie ich über das Land zu denken habe, in dem ich geboren bin oder wohne. Freilich darf oder muss ich Missstände im Land mit dem Verweis auf dessen eigentliche Großartigkeit anprangern. Aber wenn ich diese Großartigkeit in Frage stelle, relativere oder sonstige Gotteslästerung betreibe, wird mir nahegelegt, zu schweigen oder zu verschwinden. Ich habe nicht das Zeug zu einem echten Deutschen. Fehlt mir etwas? Oder habe ich eine unverzeihliche Entscheidung getroffen, als ich mich von patriotischen Gefühlen lossagte? Wer bin ich, dass ich mir das erlaube? Zunächst bin ich Deutscher – aufgrund meines Passes. Oder doch lieber Sachse, wegen meiner Sprachbehinderung? Vielleicht doch nur Dresdner, weil ich dort geboren wurde – aber auch da nur in einem bestimmten Krankenhaus. Ich bin in Dresden aufgewachsen, habe hier die Schule besucht, studiert, kenne hier Freunde und Verwandte und fühle mich heimisch – bis auf Stadtteile, in die ich selten kam, oder den Keller der Schule, wo ich nie war, oder die vielen Unigebäude, in denen ich mich verlaufe. Mein Heimatgefühl ist meinem bisherigen Leben gewidmet und keinem speziellen Ort. Wie soll man daraus eine Gemeinschaft machen? Es geht ja um das große Ganze! Manche bezeichnen sich als Abendländer, weil sie Morgenlandmuffel sind; oder als Europäer, weil sie sich mit dem Euro überall in der EU heimisch fühlen. Vielleicht geht es auch eher um kulturelle Werte wie Essen und Literatur. Ich esse

gerne Kartoffeln, diese urdeutsche Beilage aus Südamerika. Ich kann auch vieles von Goethe rezitieren, was jeder Deutsche kann, z. B. „Ihr habt euch gar viel des Ruhms beflissen. Und drum den Wohlstand nie verletzt. Viel lieber in die Hosen geschissen als euch an einen Zaun gesetzt“. Vielleicht sollte ich genau darauf stolz sein. Oder bin ich auf anderen Wegen der deutschen Schicksalsgemeinschaft verbunden? Vielleicht gehöre ich dem von den heidnischen Göttern gesegneten Volk der Germanen an, deren Abstammungsgeschichte bis nach Indien zu den IndoGermanen reicht. Also bin ich vielleicht sogar Inder und es hat mir nur keiner gesagt. Aber ich komme wohl aus Ostafrika, wie alle modernen Menschen. Es ist trotzdem sehr wahrscheinlich, dass ich mit Bismarck biologisch gesehen näher verwandt bin als mit Gandhi. Wen ziehe ich vor? Beide hatten keinen deutschen Pass. Aber Bismarck war ein Sinnbild deutscher Tugenden! Die waren ja eigentlich preußische Tugenden und bestanden aus militärischen Tugenden und der protestantischen Arbeitsmoral. Vielleicht geht es ja gar nicht um das Land, sondern darum, welche Tugenden und Werte verkörpert werden. Ich habe herausgefunden, dass man das Verfassungspatriotismus nennt. Es ist schön, dass Verfassungen in Büchern stehen, sonst würden ihre Inhalte vielleicht zu schnell in Vergessenheit geraten. All jene, die sich explizit zum deutschen Volk zählen, sollten noch einmal nachschlagen, wie sich das deutsche Volk zu den Menschenrechten bekennt. Viele aber ziehen es vor, in ihren Patriotismus alles hinzulegen, was ihnen gerade passt. Aber das ergibt auch Sinn. Wie könnten patriotische Menschen existieren, wenn sie die ganze Geschichte ihres Landes kennen würden? Ich schätze keine Verfassung und keine Werte an sich. Sie sind nur Lesezeichen im großen Geschichtsbuch der Welt, aus dem wir alle lernen sollten. Patriotismus ist nur eine Ideologie zur Schaffung einer homogenen Gemeinschaft zu einem bestimmten Zweck. Das kann die Überwindung der Kleinstaaterei sein oder ein Anti-Kolonialkampf, um positiv besetzte Beispiele zu nennen. Aber die Patrioten sind für ganz andere Zwecke eingespannte Scheuklappen-Utopisten. Sie sollen bereit sein, für ihr noch nicht existierendes oder in Gefahr befindliches Vaterland zu sterben oder zumindest den Gürtel enger zu schnallen, mit dem sie geschlagen werden. Jeder für sich und sein Vaterland! Den Patrioten gehört die Welt – und diese Welt heißt Deutschland! • Enrico Pfau


Aktuelles

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„Es wäre ein fataler Fehler, PEGIDA zu ignorieren“ kirche, also ganz im Zentrum Dresdens, wo PEGIDA in unmittelbarer Nähe seinen

dass die PEGIDA-Proteste zu ganz anderen Ergebnissen gesamtgesellschaftlich führen,

Ich kenne diese Gruppe nicht. Weder die Organisatoren noch die Mitläufer. Ich habe innerhalb dieser Gruppe kaum Betroffene – also Flüchtlinge – gesehen, vereinzelte Eriträer und Somalier, die auch eher im Hintergrund blieben. Also habe ich die Unterstützer gefragt, was wollen sie? Daraufhin bekam ich zur Antwort, wir protestieren gegen die lange Zeit der Bearbeitung des Asylantrages. Außerdem wurde behauptet, die Flüchtlinge blieben lange Zeit ohne Unterkunft. Ist das wahr?

Auf der Homepage des Ausländerrates Dresden e.V. bringen Sie als Vorsitzende des Ausländerrates ihre Besorgnis zum Ausdruck, im Hinblick auf die Auswirkungen der PEGIDA-Proteste. Welche Auswirkungen haben die aus Ihrer Sicht auf das Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten mit nicht-deutscher Muttersprache? Ich konstatiere seit Beginn der PEGIDA-Proteste im Zusammenleben sowohl positive als auch negative Auswirkungen … Die PEGIDA-Proteste haben auch positive Wirkungen auf das Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten? Aber ja, durchaus. Doch lassen Sie mich zuerst die negativen Auswirkungen benennen. Es wird Stimmung gemacht durch die PEGIDA-Führungspersonen gegen Migranten. Die Flüchtlinge werden als Verantwortliche für alle möglichen Probleme dargestellt. Dies hat die Wirkung auf die Migranten, dass sie sich unsicher fühlen. Dass sie Angst haben. Manche von ihnen werden wirklich angegriffen. Ihr Beratungsbüro hier liegt ja direkt hinter der Kreuz-

Bild: privat

Frau Mahmood, Sie sind noch relativ neu als Vorsitzende des Ausländerrates und erleben jetzt gleich solche Turbulenzen um den Zuzug von Ausländern in Dresden. Seit wann machen Sie das jetzt? Ich mache das jetzt seit Dezember letzten Jahres, vorher war ich stellvertretende Vorsitzende des Ausländerrates. Zudem bin ich Referentin für interreligiösen Dialog und Dolmetscherin für Arabisch und Persisch.

den Ausländerrat Dresden als Teil des Problems. Was sagen Sie dazu?

„Montagsspaziergang“ veranstaltet. Ist auch ihre Arbeit hier direkt betroffen? In der Tat biete ich hier auch am Montagnachmittag Beratungszeit an und es ist wirklich so, dass ich große Sorge habe, ob die Klienten danach gut und heil nach Hause kommen. Hat PEGIDA auch Auswirkungen auf die Einheimischen, was meinen Sie? Bei manchen gab es wohl schon immer eine gewisse latente Fremdenfeindlichkeit. Die PEGIDA haben diese Leute nun bestärkt. Sie fühlen sich jetzt – was früher in diesem Maße hier nicht zu beobachten war – ermutigt, zunehmend offen fremdenfeindlich aufzutreten. Also doch nichts Positives? Die andere Seite sehe ich darin, dass Menschen, die das Thema mit den Migranten bisher vielleicht kalt gelassen hat bzw. die der Problematik gleichgültig gegenüber gestanden haben, nun aufgewacht sind. Plötzlich erfahren wir Zuspruch von einer ganz neuen Seite. Es wird Kontakt gesucht, Hilfeleistungen werden angeboten und das alles in einem Ausmaß, wie wir es nicht zu träumen gewagt hätten. Es kann also durchaus sein,

als das die Organisatoren beabsichtigt haben. Was überwiegt ihrer Meinung nach – erfahren Sie mehr Ablehnung oder mehr Solidarität? Ach wissen Sie, mal völlig unabhängig von den Demos: Es gibt doch in jeder Gesellschaft solche und solche. Da gibt es welche, die unzufrieden, die laut sind und ihren Missmut artikulieren. Die fallen auf und meist wird in den Medien darüber viel berichtet. Die Masse aber verhält sich ruhig. In Dresden leben eine halbe Million Menschen, die Mehrheit der Dresdner ist nicht bei PEGIDA. Wer dort mitläuft, kommt zu einem großen Teil gar nicht aus der Stadt, es sind zahlreiche Menschen aus dem Umland dabei. Also kurz: PEGIDA, das sind ein paar tausend Menschen – das ist nicht Dresden! Dennoch: Es wäre ein fataler Fehler, PEGIDA zu ignorieren. Es gab Proteste einer neuen Gruppe, die sich als Refugee Struggle Dresden bezeichnet und die sogar kurzzeitig eine Art Protestcamp vor der Semperoper errichtete. Diese Gruppe trat in Opposition zu PEGIDA, aber auch zur Stadt und zur Staatsregierung, und bezeichnete selbst

Die Anträge werden nicht hier, sondern in Chemnitz bearbeitet – dafür kann man Dresdner Behörden gar nicht in Verantwortung nehmen. In Chemnitz wird auch entschieden, ob jemand als Flüchtling anerkannt wird oder nicht. Die Unterbringung wiederum erfolgt in Dresden nach Zuweisung durch Chemnitz in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Sozialamt. Seit vier Jahren betreue ich Flüchtlinge und Migranten hier im Ökumenischen Informationszentrum, und niemals hat es einen Fall gegeben, dass jemand zu uns gekommen wäre, weil er auf der Straße leben musste und keine Unterkunft hatte. Diese Behauptungen sind einfach falsch. Als ich die Gruppe damit konfrontiert habe, sagte man mir, dass man da überhaupt nicht in der Materie steckt und vom Prozedere keine Ahnung hat. Was würden Sie Gruppen wie Refugee Struggle Dresden empfehlen? Es wurden Menschen auf die Straße gebracht von Personen, die teilweise nicht gut Bescheid wussten über die Hintergründe des Asylverfahrens. Ich habe die Leute dort gebeten, sich erst einmal zu informieren und sie darauf hingewiesen, dass sie mit solchen Aktionen den Flüchtlingen keine Vorteile bringen. Eine Demo, in der es um

konkrete Punkte geht und die an die richtige Adresse gerichtet ist, dagegen hätte ich gar nichts. Aber das hier war zum Teil unsachlich und bringt obendrein die Flüchtlinge in Misskredit. Die Eriträer haben – so sehe ich das – ohnehin eine sehr gute Chance, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, und wenig zu fürchten. War die Semperoper eigentlich ein guter Platz für ein Flüchtlingscamp? Zuerst muss man sich fragen, was will ich erreichen? Wenn ich mir darüber im Klaren bin, muss ich mich fragen, wer ist wofür überhaupt zuständig? Sobald darüber Klarheit herrscht, kann ich die Dinge, die der Landtag zu entscheiden hat, demonstrierend vor dem Landtag zur Kenntnis bringen. Andere Dinge, etwa welche das Bundesamt für Migration zu entscheiden hat, müssen dort geklärt werden – aber was soll ein Zelt und eine Protestdemo vor der Semperoper? Wem nützt das? Wenn ein Kind Probleme mit seinem Vater hat, muss es das in der Familie klären und nicht irgendwo in der Stadt klingeln und dort Wildfremden erzählen, welche Probleme es mit dem Vater hat. Was sagen Sie zu der Verantwortung der Landesregierung? In allem, was ich hier sage, vertrete ich meinen Verein, den Ausländerrat Dresden e.V., sicherlich gibt es in der Kommunikation und bei manchen Entscheidungen Dinge, die man kritisieren kann. Aber: Wir haben eine neue Regierung und ich habe das Gefühl, dass wir alle auf einem guten und richtigen Weg sind. Die neue Regierung unternimmt Anstrengungen und Bemühungen, Probleme zu lösen. Das zu torpedieren ist sicher der falsche Weg. Ich bin dafür, auf Probleme hinzuweisen, ansonsten aber die konstruktive Arbeit zu unterstützen. Es gibt viel zu tun! Die Fragen stellte Ralf Richter. Bild: Dr. Armin Krause

Sayad Mahmood ist eine studierte Elektroingenieurin und Vorsitzende des Ausländerrates Dresden e.V. Sie trägt Kopftuch, ist selbst vor vielen Jahren als Flüchtling mit ihrer Familie aus dem Irak nach Dresden gekommen – und wer sich an die Zeltproteste vor der Semperoper in jüngster Zeit erinnert, konnte sie dort bei einem einmaligen Auftritt als eine sehr engagierte kleine Frau erleben, die für die Sache der Zuwanderer in Dresden eintrat, aber auf eine völlig andere Weise als die „jungen Wilden“ auf dem Theaterplatz. Ralf Richter traf Sayad Mahmood, die auch seit vier Jahren als Migrationsberaterin arbeitet, in ihrem Büro im Ökumenischen Informationszentrum an der Kreuzkirche.


Die dritte Seite

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Grundeinkommen – linkes Projekt für heute und die Zukunft? Das Grundeinkommen ist eine bedingungslose materielle Absicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe eines jeden Menschen – ohne Bedürftigkeitsprüfungen durch Sozialämter oder Jobcenter, ohne einen Zwang zur Erwerbsarbeit oder zu einer Gegenleistung. Im Gegensatz dazu stehen Grund- und Mindestsicherungen, bei denen man sich öffentlich als arm outen muss, und die regelmäßig den Neoliberalen Anlass dazu geben, die „Steuerzahler/innen“ und Erwerbsarbeitenden gegen die Betroffenen aufzuwiegeln. Das Grundeinkommen überwindet diese Stigmatisierungen und Spaltung der Gesellschaft und ist bürokratiefrei. Was spricht für ein Grundeinkommen in Höhe von 1080 Euro netto monatlich in Deutschland heute, das mit dem Ausbau gebührenfreier öffentlicher Infrastrukturen und sozialer Dienstleistungen finanzierbar ist? Das Grundeinkommen würde erstens die individuelle und kollektive Handlungs- und Verhandlungsmacht abhängig Beschäftigter stärken. Viele nennen es deswegen auch ein regelmäßig gezahltes Streikgeld – eine starke Waffe gegen schlechte Löhne und miese Arbeitsbedingungen. Deswegen sprechen sich zum Beispiel ver. di Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und die Basis der IG Metall für ein Grundeinkommen aus. Das Grundeinkommen stärkt zweitens die Macht von Frauen in „Frauenberufen“, ebenso in Partnerschaften. Schlecht bezahlte

Im Internet finde ich bei t-online. de ein Video mit dem Titel „Autos und Barrikaden brannten“. Sie brannten in Frankfurt am Main. Anlass war die Eröffnung des neuen Hauptquartiers der EZB, das mehr als eine Milliarde Euro gekostet hat. Demonstriert sollte werden. Ein internationales Bündnis von Parteien, Gewerkschaften, Initiativen unter Führung von Blockupy hatte dazu aufgerufen. Friedlich und bunt sollte es werden. Das ging schon früh am Tage in gewaltsamem Aufruhr unter. Genossinnen und Genossen, die ich schätze, wenden sich bei facebook gegen sinnlose Gewalt. Ich drücke den Knopf für „Gefällt mir“. Die online-Ausgabe der

Sorgearbeit oder die Nötigung der Frau, in der Familie allein für die Sorge- und Hausarbeit zuständig zu sein, werden unter Druck geraten. Das Grundeinkommen würde drittens die Demokratie und Mitbestimmung in Betrieben und in der Gesellschaft stärken, weil es jeder und jedem die Möglichkeit gibt, sich materiell abgesichert und aufrechten Gangs in politische Aushandlungsprozesse einzubringen. Und viertens würde das Grundeinkommen Einkommensarmut, auch die sogenannte verdeckte Armut, abschaffen – und zwar durch eine radikale Umverteilung von oben nach unten. In den sozialpolitischen Leitlinien der LINKEN in Sachsen heißt es: „Ein Projekt zur emanzipatorischen Transformation der gegenwärtigen kapitalistischen

Verhältnisse stellt das Bedingungslose Grundeinkommen dar“. Was spricht für das Grundeinkommen als einem Transformationsprojekt, das weit über die bestehende Gesellschaft hinausweist? Erstens wäre kein/e Lohnabhängige/r mehr bei Strafe der Existenznot gezwungen, ihre/seine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen oder sich einer stigmatisierenden Bedürftigkeitsprüfung zu unterwerfen. Das Grundeinkommen weist zweitens über den patriarchal und kapitalistisch vereinnahmten Arbeitsbegriff als Lohn-/ Erwerbsarbeit (= entfremdete Arbeit, Marx) hinaus. Es würde Denk- und Praxisräume für die selbstorganisierte und gemeinschaftliche Produktion des Notwendigen eröffnen. Drittens würde die heute wichtigste Produktivkraft, der Mensch, befä-

higt, seine individuellen Fähigkeiten frei zu entwickeln und in die Gesellschaft einzubringen. Viertens befördert das Grundeinkommen Arbeitszeitverkürzung und die Macht der Menschen, Arbeits- und Lebenszeit selbstbestimmt zu gestalten. Fünftens: Die bestehende Geschlechterungerechtigkeit bei der Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit in der Familie kann durch das Grundeinkommen und durch weitere geschlechterpolitische Veränderungen entscheidend verringert werden. Oft wird gefragt, ob eine Gesellschaft jenseits kapitalistischer und patriarchalischer Verhältnisse ohne das Prinzip Grundeinkommen denkbar wäre. Ich meine: Nein. Das Prinzip Grundeinkommen bedeutet: Jede/r hat das Recht, zu leben und an

der Gesellschaft teilzuhaben. Wer ein Gemeinwesen „frei vereinigter Individuen“ möchte, eine „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/Engels), kann dieses Gemeinwesen nicht mit Zwangsmitteln oder Stigmatisierungen gestalten. Es soll für Produktion und Distribution gelten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (Marx). Eine solche Gesellschaft wird keine Eiapopeia-Gesellschaft sein, wie einige Sozialromantiker/innen meinen. Sie muss verschiedene Auffassungen berücksichtigen, daraus entstehende Konflikte regeln – zum Beispiel bezüglich der verantwortungsvollen Nutzung der gemeinsamen Produktionsmittel und Naturressourcen oder hinsichtlich der Organisation notwendiger Arbeit und Tätigkeiten. Dies aber demokratisch und ohne Existenznotpeitsche. Das Grundeinkommen muss gemeinsam mit anderen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen (in Deutschland, Europa und weltweit) gedacht und politisch durchgesetzt werden. Es ist daher ein linkes Projekt für eine andere Gesellschaft, für eine andere Welt, die heute schon möglich ist. Es ist auch ein Transformationsprojekt, das weit über die bestehende Gesellschaft hinausweist. Und es ist ein Gestaltungsprinzip einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus und des Patriarchats. Ronald Blaschke

österreichischen Kronenzeitung titelt: „Verletzte, Verwüstung, Festnahmen. EZB-Prunkbau eröffnet: Protestwelle in Frankfurt am Main“. Ein Leser kommentiert: „blickt man in der menschheitsgeschichte zurück, so gab es immer revolutionen, kriege und blutvergießen, wenn die schere zwischen arm und reich zu groß wird ... die breite masse läßt sich lange viel gefallen, aber irgendwann läuft das faß über und dann ...“ Mir fällt ein, das war in Frankfurt am Main schon öfter der Fall. Man kann wahrscheinlich gar nicht aufzählen, wie oft. So war das z. B. auch am 3. April 1833. Etwa hundert Angreifer versuchten die Frankfurter Hauptwache der Polizei und die Konstablerwache zu stürmen. Es sollte der Auftakt zur Revolution in ganz Deutschland werden. Es blieb ein kurzer Aufruhr, blutig niedergeschlagen. Im Jahre 1833, da war ein Mann namens Georg Büchner gerade 20 Jahre alt, fünf Jahre älter als Karl Marx. Dieser Büchner verfasste und verbreitete ein Jahr später ein Flugblatt unter dem

Titel „Der Hessische Landbote“. Statistisch wurde bewiesen, wie die hessische Landbevölkerung vom Adel ausgebeutet und unterdrückt wird. Der Text gipfelte im Aufruf „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Der Autor sollte verhaftet werden, wurde steckbrieflich gesucht und konnte schließlich aufgrund auch

licher Kritik ich mich öffentlich beteiligt habe, nicht doch ein Akt verständlichen, ja folgerichtigen Widerstandes in den Traditionen der Stadt? Die Traditionen der Stadt mögen passen. Aber, „cui bono?“ Wem nützt es? Wo ist der Erfolg im Krieg gegen die Paläste und noch mehr für den Frieden der Hütten? Mag sein, es war wieder einmal ein Fass übergelaufen, weshalb dem Leser der KronenZeitung auch alles folgerichtig erscheint. Die Polizei war darauf vorbereitet. Das Ende war also auch absehbar – der neue Palast steht. Die Hütten haben das Nachsehen. Dem bunten, friedlichen Protest gegen den Prunkbau und seine „Bewohner“ waren öffentliche Sympathie und Aufmerksamkeit entzogen. Aufruhr ist nicht Revolution. Das hätten die Frankfurter spätestens seit 1833 wissen können. 1847/48 verfassten Karl Marx und Friedrich Engels das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Sie sprachen nicht nur das Elend der Massen an, sondern analysierten den Kapitalismus in

seinem inneren Zusammenhalt und seinen inneren Widersprüchen, die seine Überwindung möglich machen könnten. Damit waren sie weiter als Büchner, wenn vielleicht auch schwieriger zu verstehen. Das Kapital weiß längst, dass es an seinen selbst produzierten Widersprüchen zugrunde gehen könnte. Es verhält sich deshalb klug, wo es sein muss, brutal, wenn es anders nicht geht, skrupellos in jedem Fall. Geschmacklos bleibt es immer. Das einschlägige Video zum 18. März 2015 bei t-online beginnt mit einer „kurzen Werbung“. Im Wechsel bietet man uns ein unkompliziertes online-banking, weil ohne TAN, oder einen schnelleren Zugang zum Netz. Beides macht uns jeweils – oh Freude – mobil, auch wenn wir zu Hause bleiben. Ist auch besser so, denn draußen brennen, wie in der Folge zu sehen, die Autos. Herrn Draghi sei aber gesagt: Auch wenn er eine „Einweihung ohne Pomp“ versuchte, der Palast wird dadurch nicht zur Hütte. Das bleibt weithin sichtbar!

Frankfurt am Main, 18. März 2015 der Verbindungen seines Vaters nach Straßburg entkommen. Sein Compagnon Weidig wurde eingesperrt, gefoltert und starb schließlich, wie offiziell gemeldet wurde, durch Selbstmord, an den kaum jemand glaubte. Der „Krieg den Palästen“, er war für damals gescheitert. Hundert Jahre später wird vielmehr und ebenda ein Prunkbau des Kapitals eröffnet. War deshalb aktuelle Gewalt, an deren grundsätz-


Hintergrund

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Thomas Piketty: „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ Wirtschaftswachstum und Ungleichheit in einem umgekehrten Zusammenhang stehen, dass also die Ungleichheit umso schneller zunimmt, je geringer das Wirtschaftswachstum ist. Begründet ist dies in der Tendenz des Kapitalstocks, rascher zu wachsen als die jährlichen Erträge der jeweiligen Volkswirtschaft, denn die Renditen wachsen schneller als die Wirtschaftsleistung: r>g. In stagnierenBild: Gobierno de Chile / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

Wie kaum ein anderer Ökonom der jüngeren Zeit entzweit der Franzose Politik und Fachwelt, seitdem sein Buch ins Englische übersetzt wurde. Hochmut gegenüber Methode und Darstellung geht Hand in Hand mit der Abwehr der politökonomischen Schlussfolgerungen: „Yes, r > g. So what?“ (Gregory Mankiw in einem Paper der Harvard University, Nov. 2014). Im Kontrast zur Kritik des Establishments steht die Faszination vor allem der studentischen Jugend. Bei Pikettys Berliner „Democracy-Lecture“ im letzten November strömten Tausende herbei, nur ein kleiner Teil fand in dem riesigen Saal Platz. Sie zog der subversive Geist von Pikettys Werk an, während die Fachwelt wenig mit einer Darstellung anfangen kann, die jenseits eines neoliberalen Mainstreams liegt, der hochartifizielle zeitlose, ahistorische Modelle entwickelt. Eine lesenswerte Rezensionen des Buches ist zutreffend überschrieben: „Der Historismus des Jakobiners“ (Karl-Heinz Paqué in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2014/3). Piketty fordert nachdrücklich eine Rückbesinnung der Wirtschaftswissenschaften auf die Politische Ökonomie unter Berücksichtigung der anderen Sozial- und Geisteswissenschaften. Seine politischen Gegner sehen den Sozialisten Thomas Piketty als Marxisten. Die Marxisten sprechen ihm gerade dieses Etikett ab. Dazu mag beitragen, dass er sich vor allem im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe gegen alle Vorwürfe des Antikapitalismus und Antiamerikanismus verwahrt. Er hebt seine persönliche Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten und sein positives Verhältnis zur Marktwirtschaft ebenso hervor wie seine Differenz zu einigen zentralen Thesen von Karl Marx. Andererseits setzt er sich im Verlauf der Untersuchung sehr intensiv mit dem Hauptwerk von Marx auseinander und geht im Grundsätzlichen davon aus. Sein Thema ist allerdings nicht das Kapital als Produktionsverhältnis, sondern die Rolle des Kapitals im Verhältnis von Wachstum und Ungleichheit. Wer wollte bestreiten, dass gerade dies zentrale Probleme unserer Zeit sind? Das Wachstum der Menschheit

als wirtschaftendes, gesellschaftliches Gemeinwesen, dessen Bedürfnisse im Widerspruch zur Natur und ihren begrenzten Ressourcen stehen, ist zum Ausgangspunkt aller Zukunftsszenarien geworden. Die Zukunft wurde gerade für grüne und linke Ideologen zum Katastrophenszenarium, dem nur durch radikale Abkehr von Konsum, Technologie und Wachstum zu entkommen sei. Klimamanagement

und Nachhaltigkeit wanderten inzwischen in den Mainstream jeglicher Politik, zumindest rhetorisch; Ungleichheit blieb großenteils Thema der Linken. Seit der Finanzkrise von 2008 ist es nicht mehr vorwiegend die globale Ungleichheit zwischen Nord und Süd, sondern auch die soziale innerhalb der Industriestaaten. Gerade von den Wachstumskritikern wird aber die soziale Ungleichheit außer Acht gelassen. Piketty betrachtet nun beide Phänomene in ihrem Zusammenhang. Er fand heraus, dass

den oder sehr geringfügig wachsenden Gesellschaften fehlen die Aufstiegschancen, während die Ungleichheit der Erben fortlaufend wächst. Die Toten dominieren die Lebenden und der soziale Sprengstoff häuft sich, wie das in den traditionellen Agrargesellschaften der Fall war. Piketty sieht die Menschheit nach einer Periode außerordentlich schnellen Wachstums wieder auf sehr geringes Wachstum zusteuern. Wie das verringerte Bevölkerungswachstum selbst in den Entwicklungs-

Bild: Sue Gardner/ Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

„Links!“ freut sich über die Gelegenheit, einen Gastbeitrag von Prof. Dr. Helga Schultz zu einem der spannendsten Bücher unserer Zeit veröffentlichen zu können

ländern schon andeute, werde auch das weltweite Wirtschaftswachstum im Verlauf des 21. Jahrhunderts wohl ein Sättigungsniveau erreichen. Menschheit und Wirtschaft haben – nicht erst dann – allerdings eine Größenordnung, die eine Rückkehr zu vormodernen Zuständen ausschließt. Für den Historiker bietet Pikettys lange historische Perspektive auf die Menschheitsgeschichte verblüffende Schlussfolgerungen. Industrielle Revolution und bürgerliche Umwälzung – von Karl Polanyi als Große Transformation und als Emanzipationsaufgabe bezeichnet – brachten bis zum ersten Weltkrieg keineswegs jenen mit einer Verminderung der Ungleichheit verbundenen exorbitanten Wachstumsschub, wie ihn das 20. Jahrhundert sah. Erst die gewaltige Kapitalvernichtung im Zuge des „europäischen Selbstmords“ im Ersten Weltkrieg und der nachfolgenden revolutionären Umwälzungen, dann die Zügelung des Kapitals durch den Sozialstaat mit seiner Hochsteuerpolitik vollendeten die Große Transformation. Der Historiker wird darauf verweisen, dass die Beziehung von Wachstum und Ungleichheit nicht exklusiv ist, sondern dass gerade jene Entwicklungen auf die Wirkungsmacht politischer und sozialer Faktoren deuten. Das Elend von Heim- und Fabrikarbeitern in den Früh- und Hochindustrialisierungsphasen bei wachsender Üppigkeit der Oberklassen erklärt sich nicht zuletzt durch die totale Liberalisierung der Gewerbeordnungen bei Auflösung von Zünften und Gesellenbruderschaften. Nie zuvor hatte das Kapital so freie Bahn. Den Ausweg eröffnete die erneute Organisation der Arbeitenden, insbesondere der Aufstieg der Arbeiterbewegung. Pikettys Argumentation wirft neues Licht auf die Rolle des Sozialstaats. Exorbitantes Wirtschaftswachstum und die Überwindung der vormodernen Ungleichheit präsentiert er als Ergebnis von dessen Blütezeit. In den skandinavischen Gesellschaften der siebziger Jahre findet er nahezu ideale, ziemlich gleiche Gesellschaften. Der seit den siebziger Jahren mit der „konservativen Revolution“ von Margaret Thatcher und Ronald Reagan eingeleitete massive Abbau des Sozialstaats ist, wie er detailliert nachweist, mit einem Wideraufstieg des Kapitals verknüpft, der durch alle Kriege und Krisen des neuen Jahrhunderts anhält. Dieser Zeit-

bruch der Siebziger scheint daher als Zäsur, wichtiger noch als der Zusammenbruch der sozialistischen Staatenwelt. Die Entwicklung nahm allerdings 1990 richtig Fahrt auf. Wahrscheinlich waren sozialdemokratischer Sozialstaat und Staatssozialismus einander ähnlicher, als gegenseitige Abgrenzung glauben macht. Der Sozialist Piketty empfiehlt als Heilmittel folgerichtig eine Rückkehr zur Hochsteuerpolitik – vor allem zur Substanzbesteuerung der Vermögen, aber auch zur Besteuerung der Spitzeneinkommen bis zu jener Grenze, die Unternehmerinitiative nicht infrage stellt. Wahrhaftig, er ist kein Gegner der Marktwirtschaft. Wer könnte das angesichts hochdifferenzierter, arbeitsteiliger Gesellschaften auch vernünftigerweise sein? Ob er ein Gegner des Kapitalismus ist, mag ebenso strittig bleiben wie die Frage, ob er „Marxist“ genannt werden kann. Sicher ist, dass eine solche politische Kehrtwende eine wesentliche Veränderung der Machtverhältnisse zur Voraussetzung hat, die ohne erneute Organisation der Arbeitenden nicht denkbar ist. Prof. Dr. Helga Schultz Annotation zur Autorin Prof. Dr. Helga Schultz ist eine der renommiertesten Sozialund Wirtschaftshistorikerinnen ihrer Generation. Die gebürtige Schwerinerin hat in Rostock Geschichte, Germanistik und Pädagogik studiert, dort promotiviert und habilitiert, viele Jahre die Forschungsstelle Regionalgeschichte des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR geleitet und schließlich von 1993 bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 2006 der Viadrina Universität in Frankfurt/Oder zu Glanz und Ansehen verholfen. Als Opus magnum von Helga Schultz gilt Berlin 16501800, die nach wie vor unübertroffene Sozialgeschichte einer Residenz. Sehr zu empfehlen ist ihre Wirtschaftsgeschichte Europas 1500-1800. Handwerker, Kaufleute, Bankiers. Ein ganz besonderes Lesevergnügen bereitet die von ihr edierte Chronik und Rezeptsammlung des Berliner Bäckermeisters Johann Friedrich Heyde Der Roggenpreis und die Kriege des großen Königs (1740 bis 1786). Das neueste Werk von Helga Schultz, eine fulminante Studie über den europäischen Sozialismus, werden wir hier demnächst vorstellen. Prof. Dr. Manfred Neuhaus


04/2015 Sachsens Linke!

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April 2015

Sachsens Linke

Die sächsische LINKE führt die Strategiedebatte - das wollen wir selbstverständlich auch in der Mitgliederzeitung begleiten. Aus der Vielzahl von Einsendungen haben wir drei theoretische Beiträge ausgewählt, die wir allerdings nur

gekürzt veröffentlichen können - die vollständigen Fassungen finden sich unter www. dielinke-sachsen.de/ strategiedebatte.

Auch in der kommenden Ausgabe wollen und werden wir diese Debatte führen. Wir freuen uns über Einsendungen.

Aktuelle Infos stets auch

unter

e www.dielinke -sachsen.d

Dreiklang des Sozialen

Was treibt einen sächsischen Bundestagsabgeordneten nach Mexiko? Herr Leutert, Sie waren vor kurzem eine Woche in Mexiko. Was treibt einen sächsischen Bundestagsabgeordneten in ein so fernes Land? Welches Land ist in unserer globalisierten Welt noch fern? Außerdem gibt es zwischen Mexiko und Sachsen enge historische Verbindungen: Insbesondere Alexander von Humboldt, der ja in Freiberg an der Bergakademie studierte, hat in Mexiko auf Grund seiner wissenschaftlichen Mexiko-Expedition einen außerordentlich guten Ruf. Aber auch wir Linken sind in unserer Geschichte fest mit Mexiko verbunden: Nicht nur Trotzki lebte dort im Asyl. Auch Fidel Castro und Che Guevara lernten sich in Mexiko kennen und begannen von dort die Revolution auf Cuba. Das waren aber sicherlich nicht die Gründe Ihrer Reise. Richtig. Die Linksfraktion hat in dieser Legislaturperiode den Vorsitz der Deutsch-Mexikanischen-Parlamentariergruppe erhalten und mich in diese Funktion gewählt. Dies war so-

zusagen mein Antrittsbesuch. Außerdem bin ich als Mitglied des Haushaltsausschusses unter anderem für das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zuständig. Das sind genau die Ministerien, die das Geld für die außenpolitischen Projekte und Institutionen eben auch in Mexiko zur Verfügung stellen. Die Kombination dieser zwei Parlamentsfunktionen ist ein Glücksfall und eröffnet große Handlungsspielräume. Die möchte ich gern auch im Interesse von Sachsen und Ostdeutschland nutzen. Handlungsspielräume? Was haben Sie in Mexiko gemacht? Da ich das Land schon kenne und in den vergangenen Monaten viele Kontakte hergestellt oder vorbereitet habe, konnte ich auf ein Fundament aufbauen. Ich habe mich mit Vertretern deutscher Institutionen, z. B. des Goethe-Instituts, des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, der Aus-

landsschulen, der politische Stiftungen – insbesondere der Rosa-Luxemburg-Stiftung – getroffen. Ich konnte Abgeordnete und Senatoren sowie Unternehmer sprechen und mir bei Schaeffler und VW vor Ort einen Einblick in den Aufbau der dualen Berufsausbildung verschaffen. Da sind wir schon bei Handlungsspielräumen: Das VW-Motorenwerk in Silao ist das Schwesternwerk unseres VW-Motorenwerkes in Chemnitz. Diese Verbindung möchte ich als Grundlage nutzen, um die Beziehungen zwischen beiden Regionen zu stärken. Wie das genau funktionieren kann, werde ich unter anderem am 17. April beim linXXtreff in Chemnitz erklären. Das klingt alles positiv. Die Nachrichten, die uns sonst aus Mexiko erreichen, sind eher beängstigend. In der Tat. Mexiko hat ein handfestes Problem im Bereich der Menschenrechte. Das hat meines Erachtens viel mit der Korruption im Lande zu tun, und beides wird durch fehlende oder schwache rechts-

staatliche Strukturen noch befördert. Dazu kommen soziale Probleme, die natürlich der geeignete Nährboden für viele negative Entwicklungen sind. Ich habe mich ausführlich auch mit diesen Fragen beschäftigt und sowohl mehrere Gesprächsrunden mit Nichtregierungsorganisationen, die sich mit diesen Problemen beschäftigen, als auch mit Vertretern des mexikanischen Innenministeriums, die für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern zuständig sind, gehabt. In allen Gesprächen wurde mir bestätigt: Druck von außen ist wichtig. Aber genauso wichtig ist Unterstützung bei der Lösung der Probleme. Wie soll es jetzt weitergehen? Als nächstes freue ich mich darauf, dass im Mai die mexikanisch-deutsche Parlamentariergruppe meiner Einladung folgend Deutschland besuchen wird. Ein Besuch in Sachsen ist fest eingeplant. Die Fragen stellte Nikolas Tosse.

Als LINKE ist unsere Spezialität das Soziale. Das muss im Zeitalter der Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit hoch im Kurs stehen. „Prekarisierung“ heißt die Geißel unserer Zeit: Ob Supermarkt-Verkäuferin oder Nachwuchswissenschaftler – beide sind betroffen von unsicheren, ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen. Wir wollen Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen überwinden. Gerechtigkeit fällt nicht vom Himmel, sondern ist ein hartes Stück Arbeit. Sie ist in Sachsen bitter nötig, denn knapp 42 Prozent der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten arbeiten laut aktueller Statistik zu einem Niedriglohn. Doppelt so viele wie bundesweit. Nirgendwo sonst in Deutschland beziehen so viele Menschen den Mindestlohn. Aber Gerechtigkeit geht auch in Sachsen: Solidarische Mindestrente, wirklich flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, Kindergrundsicherung, sanktionsfreie Mindestsicherung, solidarische Gesundheitsversicherung ohne Zwei-KlassenSystem, öffentlich geförderter Beschäftigungssektor. Aber auch: Gute Bildung von der Krippe bis zur Uni, freier Zugang zu Kulturgütern, barrierefreie Verhältnisse, eine verlässliche Gesundheitsversorgung, ein funktionierender öffentlicher Verkehr, bezahlbare Wohnungen auch in Dresden und Leipzig, auskömmliche Unterstützung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie öffentliche Sicherheit vor Ort. All das ist unser Dreiklang von sozialer Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt. Dafür streiten wir gemeinsam.


Sachsens Linke! 04/2015

Meinungen Zu „Vergeblicher Versuch, das Volkseigentum für die Bürger der DDR zu sichern“ (Links! 03/2015, S. 5) Vielen Dank für diesen Artikel. In ihm wurde gezeigt, wie die BürgerInnenbewegungen und die Modrow-Regierung versuchten, das Volkseigentum in Eigentum der Bevölkerung der DDR umzuwandeln und wie später dieses vernichtet oder an Kapitalbesitzende verschenkt wurde. Rita Kring, Dresden Zu „Sicherheitspolitik – selbstbewusst in die Debatte“ (Sachsens Linke! 03/2015, S. 8) Sicherheit bedeutet, dass die Menschen sicher sein können, dass auch zukünftig ihre Bedürfnisse befriedigt werden können. Dazu gehört, dass sie den Zugriff auf die entsprechenden Ressourcen haben. Westliche Konzerne und in ihrem Interesse westliche Staaten und Armeen wollen ihnen aber diese Ressourcen wegnehmen. Das führt zu Konflikten. Bei der Konferenz in München geht es darum, wie diese Konflikte im Interesse des westlichen Kapitals bearbeitet werden können. Die feindseligen Reaktionen auf die Rede des russischen Außenministers zeigen, dass er nur als Alibi eingeladen wurde und um Druck auf ihn auszuüben. Deshalb ist es gut, wenn Linke, die eingeladen wurden, sich auch an den Protesten gegen die Konferenz beteiligten. Gerechte Verteilung von Ressourcen und Weltsozialpolitik sind ja eine der Kernkompetenzen der LINKEN. Damit können sie am meisten zur Sicherheit beitragen. Bundeswehreinsätze dienen dagegen nur den Kapitalinteressen und verschärfen die Probleme. Uwe Schnabel, Coswig Von Amerika lernen, … … heißt: Die Stasi der DDR wird überholt und damit deren bisher bekannten Methoden des Ausspionierens als Kleinlichkeiten und Bagatelle gewertet. Mit dem amerikanischen Überwachungsprinzip „Predictive Policing“ beginnt die kriminologische Auswertung riesiger Datenmengen bereits in vorausgesagten Versprechen und behauptet, dass die Polizei diese Methode beherrscht, und

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung

kommt bereits, entsprechend einer „Heat List“ mit 400 farbigen Personen, die als potenzielle Gefährder gelten, zur Anwendung. Vorausschauend können Einbrüche, geplante Demos und Attentate erkannt und die mutmaßlichen Täter verhaftet werden. Der schwache Datenschutz in den USA hat hiermit Voraussetzungen geschaffen, dass dieser Staat sich zum Vorbild einer permanenten Rasterfahndung, vornehmlich in Großstädten, verwandelt hat. Dieses „ahnende System“ wird vorausschauend mit Technologie aus Privat-Industrie und Armeen der Vereinigten Staaten unterstützt! Dieses alles verschafft den USA Luft für Operationen im eigenen Land und Kriegsspiele in der Welt und lässt die friedliebenden Menschen aller Hautfarben weiter im Ungewissen. Hermann Thomas, Wilsdruff Braucht das Leben der SeniorInnen eine kommunale Altenhilfeplanung? Nicht am Begriff stoßen und weiterblättern! In der Tat gibt es einen Weltaltenplan, beschlossen auf der Weltversammlung zu Fragen des Alters 2002. Schon 1982 hatte es den ersten Plan gegeben – kritisiert wurde auf der Weltversammlung, dass der erste Plan weder verfolgt noch analysiert wurde. In einer Berliner Ministererklärung der UNCE-Region wird eine regionale Implementierungsstrategie zum internationalen Aktionsplan von Madrid über das Alter vorgelegt. Kernpunkte sind die Umsetzung der Menschenrechte auch im Alter und die Teilhabechancen für alle Generationen –politisch, ökonomisch, kulturell und geistig. Gefordert wird die ganzheitliche Betrachtung des Alters. Eine Bewertung der Ergebnisse und eine grundlegende Analyse ist von der Bundesregierung und der EU nicht erstellt worden. Natürlich hat auch die Bundesregierung einen Altenplan verabschiedet – schon 1999! Der Plan der Landesregierung stammt übrigens von 1998. Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Aber es ist wahr. Allerdings: Papier ist geduldig. Sorgen müssen wir uns nicht machen, denn die letzte Sound Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-

Seite 2 zialministerin Christine Clauß ließ eine Studie „Alter, Pflege, Grundsicherung“ erstellen, die das Ausmaß des demografischen Wandels in Sachsen deutlich macht. Bezogen auf die Kreise und die kreisfreien Städte wird bis zum Jahr 2050 die Entwicklung aufgezeigt und die Kosten für die Kommunen und Sachsen verdeutlicht. Ein wirklicher Niederschlag im Koalitionsvertrag war auf dieser Grundlage nicht zu erkennen. DIE LINKE in den Kreistagen und die Kommunen sollten schauen, ob ihre Planungen, so es sie gibt, aktuell sind. In den kreisfreien

Städten Chemnitz, Leipzig und Dresden z. B. gibt es Altenhilfepläne, die entweder noch aktuell sind oder in der Umsetzung geprüft werden müssen. In Chemnitz gibt es auf der Grundlage des SGB XII § 71 einen Altenhilfeplan, der für jeden Stadtteil mit allen verantwortlichen Ämtern, der Liga der Wohlfahrtsverbände, dem Seniorenbeirat und den Stadträten erstellt und beschlossen wurde. Laufzeit 2009 – 2013! Erfüllung – das wissen die Chemnitzer Stadträte. In Leipzig wurde der Altenhilfeplan in enger Zusammenarbeit mit dem Seniorenbeirat erarbeitet.

In Dresden war eine umfängliche Studie zur Gesamtsituation in Dresden die Grundlage. Es gibt sie also, die Altenhilfepläne! Der Sprecherrat der LAG Senioren will sich des Themas intensiver annehmen – ist doch die Situation sowohl im ländlichen Raum als auch in den Ballungsgebieten nicht gerade so, dass die Senioren ihr Grundrecht auf Teilhabe umsetzen können. Auch die Anforderungen der Daseinsvorsorge bleiben zum Teil auf der Stecke! Aber wenn es niemanden stört – dann schieben wir es auf. Oder? Heidi Lüth

Stellenausschreibung: Integrierte Datenverarbeitung, EDV- und Kommunikationstechnik Beschreibung des Stelleninhaltes • Verwaltung der Telekommunikation mindestens der Landesgeschäftsstelle (Kontenverwaltung der Verträge der Landesgeschäftsstelle, Beauftragung von neuen Anschlüssen innerhalb des Rahmenvertrages, Umzüge und Kündigungen, Optimierung von Kosten) • Verwaltung von Hardware und Software inkl. Lizenzmanagement (Softwareupdates, Reparaturen organisieren, Upgrades, Inventarisierung, Verleih-Kontrolle) • Verwaltung von LAN/WLAN in der Landesgeschäftsstelle (Benutzerverwaltung Datenserver, Datensicherung) • Sicherung der Arbeitsbedingungen in den Bereichen der EDV- und Kommunikationstechnik in der Landesgeschäftsstelle, dem Archiv des Landesverbandes und beim mobilen Einsatz auf Veranstaltungen/Konferenzen des Landesverbandes • Verwaltung von drei Internetservern (Domains, Mailkonten, Mailingslisten, Providerverträge, SSH/FTP- Zugänge einrichten, verwalten) • Unterstützung & Beratung der Kreisverbände und Landesweiten Zusammenschlüsse in Fragen der Technik und Datenverarbeitung (auch Administration von Mailkonten, E-Mail-Adressen sowie Mailinglisten) • Integration (Einbindung, Einrichtung) und Administration (Betreuung, Updates) von Websites • Schulungen zu EDV – Nutzung in Kreisverbänden • Unterstützung in technischen Fragen bei der Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Fragen des Corporate Designs sowie im Bereich Social Media • Websiteentwicklung (Arbeitsteilung mit Stelle Öffentlichkeitsarbeit), dabei Extensionentwicklung und Prüfung und Umsetzung von Webprojekten • Beteiligung an den definierten Aufgaben aller in der Landesgeschäftsstelle Anforderungsprofil für die Stelle Ausbildung: Mindestens abgeschlossene Berufsausbildung, vorzugsweise abgeschlossenes Studium nach Einsatzgebiet; Fachliche Qualifikation & idealerweise berufliche Erfahrungen nach Einsatzgebiet; Bereitschaft zur Fortbildung; Programmiersprachen sowie Kenntnisse über die in der Partei genutzten CMS (Typo 3); Englischkenntnisse, die zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben nötig sind; Beherrschen von Typo 3, Interesse an Webentwicklung Loyalität zur Partei DIE LINKE: Mitgliedschaft in der Partei, Kenntnisse der Partei und Akzeptanz ihrer politischen Grundlinien; Bewahrung von Neutralität gegenüber AkteurInnen in der Partei im Rahmen von innerparteilichen Konflikten; Bereitschaft, Beschlüsse von Gremien umzusetzen Soziale Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit nach innen und außen; Teamfähigkeit; Konfliktbewältigungsfähigkeit; Fähigkeit zur kritischen Bewertung der eigenen Leistung; Kompetenzen im Umgang mit Open Source AnbieterInnen Einsatzbereitschaft: Flexibilität und Mobilität (Führerschein und Bereitschaft zum Führen von Fahrzeugen bis Transporter); Offenheit; Organisationstalent, einschließlich der Fähigkeit zu sinnvollem Zeitmanagement zur Erfüllung der gestellten Aufgaben; Fähigkeit und Bereitschaft innerhalb der Arbeitsaufgaben technische Neuerungen zu erarbeiten sowie ggf. neue Arbeitsgebiete zu erschließen Eckdaten/Informationen Die Stelle ist ab 1. August 2015 zu besetzen, unbefristet und auf Vollzeit angelegt. Arbeitsort ist die Landesgeschäftsstelle der LINKEN Sachsen in Dresden. Die Vergütung erfolgt nach Tarifvertrag der Partei DIE LINKE. Die Eingruppierung ist in Gruppe 5 vorgesehen. Die parteiinterne Ausschreibung endet zum 31. Mai 2015. Bewerbungen sind per Mail zu richten an: kontakt@dielinke-sachsen.de; DIE LINKE. Sachsen Landesgeschäftsführerin Antje Feiks, Kleiststr. 10a, 01129 Dresden. Wir freuen uns über ausführliche Bewerbungsunterlagen mit Lebenslaufen sowie Nachweisen (Gesamtdatenmenge nicht größer als 3 MB). Frauen und Menschen mit Beeinträchtigung sind ausdrücklich aufgefordert, sich zu bewerben. Bei gleicher Eignung werden sie bevorzugt berücksichtigt.

onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 27.03.2015

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 07.05.2015.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720


04/2015 Sachsens Linke!

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Liebknecht-Kreis Sachsen gegründet Der Liebknecht-Kreis konstituierte sich nach mehrmonatiger Vorbereitungszeit am Samstag, dem 14. März 2015 in Leipzig als ein neuer Zusammenschluss innerhalb des sächsischen Landesverbandes der Partei DIE LINKE. Über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fast allen sächsischen Kreisverbänden – darunter mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete –beschlossen den Gründungsaufruf. Er beruft sich ausdrücklich auf das Erfurter Programm von 2011 und tritt für mehr sozialistischen Pluralismus in der sächsischen LINKEN ein. Zugleich fordert er die Schärfung des Profils der Landespartei „als kämpferische und deutlich vernehmbare Opposition mit linkssozialistischer Orientierung“. Das ist die unverzichtbare Voraussetzung, um das auf der Titelseite unserer Broschüre abgebildete Credo stärker als bisher mit Leben zu erfüllen: „Es sind die Verhältnisse, die wir ändern müssen“. In ihren einführenden Diskussionsbeiträgen skizzierten Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrates der Partei, und Volker Külow, Vorsitzender der Leipziger Linken, die derzeitigen Rahmenbedingungen für das Wirken der Partei und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für den weiteren Kurs des mitgliederstärksten Landesverbandes. Mit Blick auf die bevorstehende Strategiekonferenz am 9. Mai und den anstehenden Landesparteitag im September wird der Liebknecht-

Kreis Sachsen entsprechende programmatische Angebote unterbreiten. Die Arbeit unserer LAG wird von einem quotierten zwölfköpfigen SprecherInnenrat geleitet: Heiderose Gläß, Kreisverband Görlitz; Marion Junge, Kreisverband Bautzen; Heidi Lüth, Kreisverband

Stadtverband Leipzig; Michael Matthes, Kreisverband Mittelsachsen; Lutz Richter, Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge; G. Dietmar Rode, Kreisverband Meißen und Ulrich Wenzel, Kreisverband Vogtland. Die Broschüre mit den Materi-

terladen. Auf der Rückseite sind zwei Zitate zu lesen: Eines von Wilhelm Liebknecht – „Durch Ängstlichkeit und Zahmheit entwaffnet man den Feind nicht, ermutigt man ihn nur“ – und von seinem Sohn Karl Liebknecht: „Weit gefährlicher als theoretische Angriffe sind

der Tageszeitung „junge Welt“ zum aktuellen Phänomen PEGIDA. Die Schrift versteht sich als Startschuss einer Publikationsreihe. Auch künftig möchte der Liebknecht-Kreis Sachsen nicht nur im Internet, sondern auch auf diesem eher traditio-

Westsachsen; Franziska Riekewald, Stadtverband Leipzig; Susanne Schaper, Stadtverband Chemnitz und Sabine Zimmermann, Kreisverband Zwickau; Klaus Bartl, Stadtverband Chemnitz; Volker Külow,

alien der Gründungsveranstaltung kann angefordert werden, lässt sich aber auch von unserer Website www.liebknechtkreis-sachsen.de und unserem Blog http://liebknecht-kreis. sachsen@blogspot.de herun-

praktische Verleugnungen unserer Prinzipien“. Diese Materialsammlung enthält u. a. den Nachdruck eines grundsätzlichen Diskussionsbeitrages von Volker Külow, Ekkehard Lieberam und Dietmar Pellmann aus

nellen Wege mit seinen Texten und Stellungnahmen die parteiinterne Diskussion befördern. Nehmen wir Kurs auf 2019! Heiderose Gläss und G. Dietmar Rode, Mitglieder des Sprecherrates

Behindertenpolitische Verhältnisse umkrempeln! LAG „Selbstbestimmte Behindertenpolitik“ in Leipzig gegründet Am 28. Februar 2015 hat sich in Leipzig die neue LAG „Selbstbestimmte Behindertenpolitik“ gegründet. Die Gründungsversammlung fand in der Villa Davignon, dem Haus ohne Barrieren, statt. Der Einladung waren zahlreiche Teilnehmer gefolgt, wobei wir auch Gäste begrüßen konnten. Von der Bundesarbeitsgemeinschaft konnten wir Maik Nothnagel als Inklusionsbeauftragten und Doris Sorge sowie Tamina-Janine Veit von der LAG Hessen und Ralf Prozell von der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik Sachsen-Anhalt willkommen heißen. Zunächst begrüßte uns, sozusagen als „Hausherr“, Andreas Kermer, selbst Mitglied der LAG und beim mobilen Behindertendienst in Leipzig engagiert. Im Anschluss informier-

te Maik Nothnagel ausführlich über die derzeitige Lage zur Umsetzung der UN-Behinder-

tenrechtskonvention innerhalb der Partei und in Deutschland. Danach fand eine breite, aber

sachliche Debatte statt. In den SprecherInnenrat wurden folgende Engagierte ge-

wählt: Werner Kujat, Peter Kohlhaas, Susann Schöniger, Birger Höhn, Martina Wünschmann sowie Wilfried Thäsler. „Unsere Arbeit ist mit einem starken Mandat ausgestattet“, betonten die Teilnehmenden und verwiesen auf den Bundesparteitagsbeschluss von 2011 in Erfurt. 2014 wurde vom Parteivorstand das Teilhabekonzept für Menschen mit Behinderung innerhalb der Partei beschlossen. Dieses wird Motivation und zukünftiger Auftrag für die LAG Sachsen sein, da war sich die Versammlung einig. Wir als SprecherInnenrat bedanken uns für die rege Teilnahme und den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sowie die Wahl. Wir wollen mitmischen und Impulse geben – mit kritischem Blick in und um die Partei! Der SprecherInnenrat der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik Sachsen


Sachsens Linke! 04/2015

Strategiedebatte

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Sicher sozial. Sicher solidarisch.

1. Als linke Partei haben wir den demokratischen Sozialismus zur Orientierung unseres Handelns gewählt. Wir wollen die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten, wir wollen sie verändern. Die Überwindung der Ausbeutung und Unterdrückung (…) ist unser Ziel und muss in unserem Handeln deutlich werden. 2. Deshalb war, ist und bleibt DIE LINKE die Partei (…) der „sozialen Frage“. 3. Unser konsequenter Einsatz für ein Leben in Menschenwürde für alle Menschen … ist unser zentrales Unterscheidungsmerkmal. Deshalb setzen wir uns gegen eine „marktkonforme Gestaltung der Demokratie“ genauso konsequent ein, wie gegen „Reformen“ von sozialen Sicherungssystemen und ökologische Umgestaltung, die auf dem Rücken der sozial Schwächsten durchgeführt werden. Der Protest gegen die Agenda 2010 ist bestimmend für unsere Partei. Wir müssen diesen fortführen, wo wir relevante gesellschaftliche Partner_innen dafür haben, müssen aber darüber hinaus weitere Impulse gesellschaftlichen Widerstandes oder entsprechender Alternativen aufnehmen und unterstützen. 4. Die Glaubwürdigkeit unseres politischen Handelns, unserer politischen Ideen und Konzepte hängt davon ab, wie es uns gelingt, unsere programmatischen Ansprüche der Gestaltung und der Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als Gegensatz, sondern in ihrem Zusammenhang

zu begreifen. (…) 5. Weil wir die Partei der „sozialen Frage“ sind, ist für DIE LINKE soziale Politik weit mehr als Sozialpolitik. Wir benennen die Probleme der sozialen Sicherheit, der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts auf allen Politikfeldern, diese bilden unsere Leitorientierung. (…) 6. Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte lassen immer stärker erkennen, dass dieses Land zu einer sogenannten „ZweiDrittel-Gesellschaft“ wird bzw. schon ist. Ein erheblicher Teil

punkt ihrer Arbeit stellen. (…) Deshalb unterstützen wir die Kampagne der Bundespartei gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen „Das muss drin sein!“ (…) 8. Der Kampf für soziale Sicherheit betrifft bei weitem nicht nur die sozial Schwächsten in diesem Land. Da es ein wesentliches Merkmal neoliberaler Politik ist, jegliche Sicherheiten anzugreifen und wenn möglich aufzulösen, ist auch die sogenannte Mittelschicht vom sozialen Abstieg bedroht. (…) 9. In den neuen Bundesländern

10. Wir wissen, dass bei weitem nicht alle Handlungsmöglichkeiten für die Verbesserung der sozialen Lage auf Landesebene liegen. Insbesondere im Bereich der Sozialpolitik ist die Verantwortung auf Bundesebene besonders umfänglich. (…) Die Gewerkschaften stehen dafür an erster Stelle, aber auch soziale Bewegungen, mit denen wir im Rahmen unserer programmatischen Vorstellungen kooperieren sind hierbei genauso zu nennen. 11. Soziale Sicherheit“ muss weit über den engen Rahmen sozialpolitischen Handelns hin-

der Bevölkerung hat immer weniger Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen. Dies betrifft bei Weitem nicht nur gute Arbeit. Verbunden sind mit damit ebenso der Ausschluss aus demokratischen Beteiligungsprozessen, die Bedrohung durch Armut in all ihren Spielarten, extremer Mangel an Bildungsmöglichkeiten und vieles mehr. Insbesondere der Osten Deutschlands - also die neuen Bundesländer - ist von diesen Problemen betroffen. 7. Folgerichtig muss die sächsische LINKE deshalb den Kampf für soziale Sicherheit in all ihren Aspekten in den Mittel-

ist der soziale Druck im landesweiten Vergleich mit Abstand am Höchsten. Altersarmut und Kinderarmut, aber auch Armut trotz Arbeit, Frauenarmut und andere Spielarten von Armut drohen nicht nur, sondern sind bereits der Fall und weiten sich aus. (…) Unser Einsatz für soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt ist deshalb auch Ausdruck unserer spezifischen „Ost-Kompetenz“ - denn „Osten“ bedeutet in diesem Land schändlicher Weise auch oft genug „arm“, oft genug „abgehängt“, oft genug „ausgegrenzt“. Das müssen wir ändern.

aus begriffen werden. Es geht also dabei um mehr als den sogenannten „Sozialstaat“. Sozialstaatliche Errungenschaften zu erhalten, deren Abbau zu verhindern und diese nach Möglichkeit auszubauen ist deshalb eine notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Aufgabe, die wir LINKE im Kampf um soziale Sicherheit zu erfüllen haben. Über diesen Rahmen hinaus wollen wir unseren Einsatz für soziale Sicherheit verstärkt auf den klassisch landespolitischen Themenfeldern führen, aber auch wiederholt deutlich machen, dass der Kampf um soziale Sicherheit kein Expert_innenthe-

Bild: Ruth Rudolph / pixelio.de

Unter diesem Titel haben wir eine Reihe von Überlegungen zusammengefasst, die wir in die strategische Debatte der Bundes- und Landespartei DIE LINKE einbringen. Die Redaktion der LINKS! hat uns gebeten, das Papier für diese Ausgabe zu kürzen.

ma ist, sondern Herzensangelegenheit aller LINKEN. (…) 12. Der Kampf um soziale Sicherheit nützt allen Menschen im Land - denen genauso, die bereits von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, wie jenen, denen sie droht oder die sich davon bedroht fühlen. Soziale Sicherheit zu erringen bedeutet Solidarität zu erzeugen. Denn letztlich kann soziale Sicherheit nur bestehen, wenn eine Gesellschaft solidarisch funktioniert. (…) 13.Soziale Sicherheit langfristig zu ermöglichen, stellt unter den Bedingungen der stetig und beschleunigt fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte eine besondere Herausforderung dar. (…) Unsere Antworten auf die daraus entstehenden sozialen Verwerfungen müssen mit den immer schnelleren Entwicklungen in der Ökonomie Schritt halten. (…) Ökonomischer Fortschritt ohne sozialen Fortschritt spaltet die Gesellschaft. Es ist deshalb angemessen, über Modelle nachzudenken und entsprechende Konzepte zu entwickeln, die dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der Produktion entsprechen. Dazu gehören ausdrücklich auch Vorschläge wie die solidarische Mindestrente, eine Kindergrundsicherung, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, oder, darüber hinausgehend, ein Grundeinkommen. Wer der sozialen Sicherheit den politischen Vorrang gibt, darf sich von häufig neoliberal begründeten Denkverboten nicht schrecken lassen. 14. Der vorgeschlagene Ansatz, soziale Sicherheit in all ihren Aspekten und darüber hinaus mit ihren Anknüpfungspunkten auf allen Politikfeldern zum Kern unseres politischen Profils in den vor uns liegenden Jahren zu machen, muss umfassend diskutiert werden. (…) Rico Gebhardt, Sebastian Scheel

Strategiedebatte und Probleme politischer Kommunikation Auf die Frage, warum gerade jetzt in der sächsischen LINKEN die Notwendigkeit einer Strategiedebatte erkannt wird, gibt es nur eine ehrliche Antwort: Spätestens durch Pegida ist die schmerzliche Erkenntnis gereift, dass die Losung „25 Jahre CDU sind genug“ nicht gewirkt hat, als sie von links kam. Sehr wohl aber sind diese 25 Jahre CDU plötzlich von rechts in Frage gestellt; nicht so sehr von rechten Parteien – obwohl man die AfD sehr ernst nehmen muss –, sondern vor allem durch das WirksamWerden einer offensichtlich

seit langem vollzogenen Bewegung weiter Teile der Gesellschaft nach rechts. Linke und die LINKE stehen dem weitgehend hilflos gegenüber. Reflexartige Blockadeversuche auf der Straße sind sicher bitter nötig und unverzichtbar, sie zeigen zugleich aber, dass wir uns weitgehend in defensiven Positionen gegenüber fatalen Entwicklungen in der Gesellschaft wiederfinden. Konnte man auf diese Art noch „Siege“ gegen die NPD erringen, steht man plötzlich vor einem sehr viel komplexeren Problem. Der immense konzeptio-

nelle, programmatische, theoretische, strategische usw. Rückstand gegenüber den realen gesellschaftlichen Prozessen im Land wird überdeutlich. Schuldzuweisungen würden jetzt am wenigsten weiterhelfen, ehrliche Analyse und mutiges Durchstarten sind angesagt. Man kann der LINKE nicht vorwerfen, die Augen vor den gesellschaftlichen Missständen und Fehlentwicklungen seit 25 Jahren verschlossen zu haben. Wir haben sie deutlich benannt und in der politischen Kommunikation immer wieder und

unverblümt angekreidet. Und diese Missstände und Fehlentwicklungen sind wahrlich nicht unerheblich. Dennoch konnte die CDU, die dies alles hauptsächlich zu verantworten hat, ihre politische und auch kulturelle Hegemonie ohne wesentliche Einbrüche bis dato aufrechterhalten. Daran konnte und kann auch die SPD nichts ändern. Sie wollte und will es auch nicht, weil ihr die Krumen vom Tisch der CDU allemal wichtiger sind als kompromissloses Gegenhalten. Im parlamentarischen Kräfteverhältnis hat das freilich nur eine Kon-

sequenz gehabt: Die PDS bzw. LINKE hat die SPD und auch die Grünen nachhaltig überholt. Zählt man aber SPD und Grüne mit zu einem „linken Lager“, so hat sich die Stärke bzw. Schwäche dieses linken Lagers seit 1990 nicht wesentlich verändert. In Summe kommen diese drei Parteien immer wieder auf etwa ein Drittel Stimmenanteil bei Landtagswahlen. Allerdings verlieren sie durch die wachsende Anzahl von Nichtwählerinnen und -wählern genauso absolut an Stimmen wie die CDU. Diese Feststellung ist nicht unwichtig, denn sie ist In-


Kommunal-Info 3-2015 31. März 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Maulkorb Gutachten aus dem Bundestag sorgt für Aufregung und Kritik Seite 2

Beauftragung Der Bürgermeister kann Gemeindebedienstete beauftragen

Seite 3

Asylsuchende Zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden Seite 4

TTIP und die Kommunen Gesellschaftlicher Diskurs um TTIP

Die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA haben in Deutschland einen breiten gesellschaftlichen Diskurs ausgelöst. Die kommunalen Spitzenverbände (Städtetag, Städte- und Gemeindebund, Landkreistag) und der Verband kommunaler Unternehmen haben ein „Gemeinsames Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen“ veröffentlicht. Sie sehen typische Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge (Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, der Öffentliche Personennahverkehr, Sozialdienstleistungen, Krankenhäuser oder die Kultur) gefährdet, wenn sie durch TTIP einer Liberalisierung unterworfen würden. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC befürchtet weitreichende Auswirkungen von TTIP auf die kommunale Selbstbestimmung. Es will die Gemeinden und die Öffentlichkeit dazu bringen, sich kritisch mit dem Deregulierungs-Abkommen auseinanderzusetzen. Es gibt ein Projekt „10.000 TTIP-freie Kommunen“. Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung setzt sich ebenfalls kritisch mit TTIP auseinander. Ein ausführlicher

Beitrag im Internet-Angebot der Stiftung erläutert die Auswirkungen des Freihandelsabkommens und nennt zahlreiche weitere Informationsquellen. Das Umweltinstitut München bietet auf seiner Website ein „Informationspaket zum Überzeugen der Kommunalpolitik“, sich gegen TTIP auszusprechen. Es enthält unter auch eine kritische Stellungnahme des Internationalen Dachverbandes der Dienstleistungsgewerkschaften und eine Studie über die Folgen des Abkommens in Kommunen und Bundesländern. Ein Zusammenschluss von Institutionen und Organisationen – darunter die Akademie der Künste, der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Transparency Deutschland – kritisieren als „Initiativgruppe für verantwortungsvolle Handelspolitik“ in einem gemeinsamen Positionspapier das TTIP-Abkommen. Nachfolgend wird auszugsweise ein Text dokumentiert der im Online-Magazin „der gemeinderat“ veröffentlicht wurde und speziell auch auf die kommunalen Auswirkungen eingeht.

„Mammon versus Recht“ Müssen Kommunen künftig Millionenklagen befürchten, wenn sie Beschlüsse fassen, die internationalen Investoren nicht in den Kram passen? TTIP, das Transatlantische Freihandelsabkommen, ist im Kern so angelegt, dass das Kapital über die politische Willensbildung und die Rechtsstaatlichkeit regiert.

Kein anderes politisches Projekt ist in jüngster Zeit so kontrovers diskutiert worden wie das geplante transatlantische Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, kurz TTIP. Je nach Herkunft der Diskutanten wird von einem Fanal in Bezug auf die Freiheit der Kommunen gesprochen oder auf die Gefahren

des globalisierten Handels hingewiesen. In der Kontroverse zwischen TTIP-Befürwortern und -Gegnern heißt es vereinfacht: „Mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand“ versus „Chlorhühnchen und Marktradikalisierung“. Fest steht: TTIP hat, wie auch CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zahlreiche Vorteile, aber auch zahlreiche Nachteile. Wo man sich dabei verortet, ist jedem selbst überlassen. Dennoch gibt es in dem Abkommen (und den Verhandlungen darüber) zahlreiche Punkte, die die Kommunen zweifellos beschäftigen müssen.

Ziele des TTIP-Abkommens Die USA und die EU verbindet eine lange Handelstradition. Aktuell exportieren die USA Waren im Wert von rund 356 Milliarden Euro in die EU (21,7 Prozent der Gesamtexporte), die EU exportiert hingegen Waren im Wert von rund 457 Milliarden Euro in die USA (19,8 Prozent der Gesamtexporte). Ein gemeinsamer Handelsraum hätte die positive Konsequenz, dass gewerbliche Standards angeglichen werden und damit behördliche Hürden reduziert werden könnten.

Kritik am TTIP – global Besonders die im Vergleich zu Europa recht laxen Hygienestandards in der Produktion sind immer wieder Gegenstand der Kritik: In den USA werden beispielsweise nach dem Schlachten von Tieren Teile des Endproduktes in eine Chlorflüssigkeit getaucht, um sie keimfrei zu machen (Stichwort „Chlorhühnchen“). Diese Produkte werden dann regulär vertrieben. Vor allem die mangelnde Kennzeichnungspflicht für das Herstellungsver-

fahren oder für die verwendete Gentechnologie ist dabei immer wieder Gegenstand der Kritik. Besonders heikel ist die Frage, ob sich aus dem TTIP beziehungsweise dem ebenfalls aktuell verhandelten Abkommen TiSA eine Privatisierungspflicht für deutsche Gemeinden ableiten lässt. Besonders die kommunale Wasserversorgung ist dabei in das Visier von Investoren und Kritikern geraten. Sogenannte „ratchet clauses“ („Stillhalteklauseln“) sollen dafür sorgen, dass einmal getätigte Privatisierungen im öffentlichen Sektor nicht mehr einfach rückgängig gemacht werden können. Hier müssen sich die Kommunen öffentlich zur Wehr setzen, da existenzielle Versorgungsprobleme auftreten können.

TTIP und die Kommunen Welche Auswirkungen haben diese Verhandlungen also in welchen Feldern konkret für die Kommunen? Hier lassen sich drei große Handlungsfelder identifizieren: TTIP und der Einfluss auf kommunale Dienstleistungen – Beispiel Wasser: Im Zuge der Verhandlungen der EU mit den USA und Kanada werden sogenannte „Negativlisten“ beschrieben. Auf diesen „schwarzen Listen“ sind Dienstleistungen umrissen, die explizit nicht dem Markt geöffnet werden. Für allen anderen gilt jedoch: Stehen sie nicht auf der Liste, müssen sie dem Markt zugänglich gemacht werden. Die Listen umfassen jeweils im Wesentlichen zwei Teile: Im ersten Teil werden gegenwärtige Vorschriften und Gesetze aufgelistet, die bereits bestehen, aber nach dem Beschluss geFortsetzung auf Seite 2


Kommunal-Info 3/2015

Freihandelsabkommen TTIP

(Transatlantic Trade and Investment Partnership, deutsch: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) ist ein Abkommen, das die EU-Kommission seit 2013 mit den USA verhandelt. Es soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Kritiker sagen, dass TTIP die Privilegien von Konzernen und Investoren absichern und ausweiten will und dazu die Souveränität der politischen Institutionen in Europa einschränkt. Die achte TTIP-Verhandlungsrunde begann am 2. Februar in Brüssel.

Seite 2 Ein Gutachten aus dem Deutschen Bundestag sorgt für Entrüstung und Kritik bei Kommunen und kommunalen Spitzenverbänden. Buchstäblich geht es dabei um einen als „Infobrief“ ausgewiesenes Schriftstück des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages unter dem sperrigen Titel „Be-

Maulkorb für die Kommunen? wird, wäre unzulässig…“ „Die Kommunalvertretung hat bei einer derartigen Befassung … nicht die Kompetenz, ihre politische Auffassung zu einer bevorstehenden oder erfolgten

CETA

(Comprehensive Economic and Trade Agreement, deutsch etwa: Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) steht für eine geplante Freihandelszone zwischen der EU und Kanada. Die Verhandlungen zu CETA wurden Mitte 2014 abgeschlossen, der Vertragsentwurf liegt nun den EU-Mitgliedsstaaten zur Prüfung und Diskussion auf parlamentarischer Ebene vor. Nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums ist zur Annahme des Abkommens ein einstimmiger Beschluss im EU-Parlament und die Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten erforderlich. Bedingt durch die intensive Prüfung des Vertragsentwurfs dürfte CETA frühestens in drei Jahren in Kraft treten.

TiSA

(Trade in Services Agreement, deutsch: Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen) will den Dienstleistungssektor deregulieren und Privatisierungen in großem Stil ermöglichen. Davon betroffen wäre auch der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, also neben der Wasserversorgung etwa auch der Gesundheitssektor und die Bildung. Das Abkommen wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die nächste Verhandlungsrunde begann am 9. Februar in Genf.

Fortsetzung von Seite 1:

Mammon versus Recht gen die Abkommen verstoßen würden. Maßnahmen, die nicht auf den Listen erscheinen, aber gegen das Abkommen verstoßen würden, müssen abgeschafft werden. Das Problem besteht für die Kommunen nun darin, dass die Verhandlungsgruppe der EU nur sehr wenige Punkte von der Liberalisierung ausklammern wird, wie beispielsweise innere Sicherheit oder der Strafvollzug. Problematisch wird es, wenn dort explizit Bildung, Kunst und Kultur, aber auch Wasser und Abwasser einer Marktöffnung unterzogen werden sollen. Hier stellt ein im Auftrag des Verbandes der kommunalen Unternehmen (VKU) in Auftrag gegebenes Gutachten klar fest, dass es als Folge der Abkommen künftig unzulässig wäre, die Wasserversorgung nur durch öffentliche Unternehmen zu organisieren. Der viel diskutierten Privatisierung der Wasserversorgung würde damit Tür

sich wirklich die im Gutachten postulierte Rechtauffassung durchsetzen. Es stellt sich schon die Frage, in wessen Auftrag denn dieses das Gutachten erstellt wurde. Sollte es etwa darum gehen, mit dem Gutachten die Bundestagsabgeordneten in ihren Wahlkreisen vor unliebsamer Kritik abzuschirmen, wie Kritiker meinen. Heißt es da nicht im Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern…“ Und wenn kommunale Vertretungskörperschaften das tun, ist allgemein doch anzunehmen, handelt es sich immerhin um qualifizierte und wohlüberlegte Äußerungen und nicht bloß um schnell mal dahin geworfene spontane Gedanken.

Kritik aus Verbänden

fassungs- und Beschlusskompetenz der Kommunalvertretungen im Hinblick auf internationale Freihandelsabkommen“. Darin wird Stadt- und Gemeinderäten wie Kreistagen jegliches Recht abgesprochen, Beschlüsse zu den Freihandelsabkommen zu fassen, ja ihnen sei es sogar verwehrt, sich damit auch nur zu beschäftigen, sich darüber zu äußern und in Gestalt von Resolutionen Kritik an diesen Abkommen anzumelden. Dazu einige Kernsätze aus dem besagten „Infobrief“: „Die Verbandskompetenz der Gemeinden erstreckt sich … nicht auf eine politische Befassung mit den Freihandelsabkommen. Dies hat zur Folge, dass auch der Gemeinderat als Verwaltungsorgan der Gemeinde insoweit weder Beschlüsse fassen, noch sich überhaupt in politischer Hinsicht mit den Abkommen befassen darf. Schon die Befassung als solche, d.h. schon die Erörterung des Themas, auch wenn danach kein Beschluss dazu gefasst und Tor geöffnet. Öffentliche Ausschreibungen: Möchten Kommunen derzeit Aufträge vergeben, müssen sie diese öffentlich ausschreiben und sind dazu angehalten, dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Soweit die gängige Praxis. TTIP wird jedoch dafür sorgen, dass zahlreiche zusätzliche Bereich ausschreibungspflichtig würden, wie etwa Bildung und Betreuung, Kunst, Kultur und soziale Dienste. Auch hier wären die Kommunen verpflichtet, auf das „wirtschaftlichste“ Angebot zurückzugreifen. Ob an dieser Stelle dann die Qualitätsfrage noch ins Spiel gebracht werden kann, steht infrage. Investorenschutz: Besonders problematisch wird es, wenn in dem Abkommen die Rede davon ist, dass künftig internationale Investoren Kommunen verklagen können, wenn sie sich von diesen diskriminiert fühlen. Über den Streitfall entscheidet dann keine staatliche Instanz, sprich ein Gericht, sondern ein

Rechtsänderung kundzutun. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bereits Äußerungen, die den Anschein allgemeinpolitischer Stellungnahmen erwecken, unzulässig. Daher erscheint es nur schwer vorstellbar, dass sich die Kommunalvertretungen im Rahmen ihrer Kompetenzen schon vor der Verabschiedung der Freihandelsabkommen mit kommunalen Anpassungen befassen dürfen, die erst nach der Verabschiedung der Abkommen möglicherweise notwendig werden.“

113 Gemeinden Da bis Anfang März bereits bundesweit in 113 Gemeinden die Kommunalvertretungen über das Freihandelsabkommen diskutiert haben, wurden längst Tatsachen geschaffen. Einige Gemeinden verfassten ablehnende Resolutionen oder sammelten Unterschriften gegen TTIP, die sie an ihre Abgeordneten oder den Bundestagspräsidenten versandten. Sie alle hätten dann widerrechtlich gehandelt, sollte privates Konsortium entsendeter Anwälte. Es könnte also der Umstand eintreten, dass sich deutsche Kommunen mit einer hohen Klagesumme international agierender Investoren konfrontiert sehen und dann private Anwälte über den Fall entscheiden. Die besondere Problematik sei an einem Beispiel dargestellt: Eine Kommune plant den Bau sozial geförderter Wohnungen und fixiert entsprechende Auflagen in einem Bauleitplan/einem Bebauungsplan. Durch diese Regularien fühlt sich jedoch ein privater Investor benachteiligt und verklagt die Kommune auf Schadenersatz. Kaum eine Stadt wäre imstande, erfolgreich gegen ein internationales Konsortium aus Anwälten vorzugehen. (Autor: B. Heimerl, Referent für Kommunikation und Konzeptentwicklung im Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau) der gemeinderat. Das unabhängige Magazin für die kommunale Praxis, www. gemeinderat-online.de, 2/2015

Der Deutsche Landkreistag (DLT), der kommunale Spitzenverband der Landkreise auf Bundesebene hat zu dem besagten Gutachten eine Stellungnahme abgegeben und hält die darin vorgenommene Bewertung für nicht zutreffend. Der Verband verweist auf das gemeinsame Positionspapier der kommunalen Spitzenverbände, in dem sie gemeinsam ihre Besorgnis ausgesprochen hatten, dass „durch den Abschluss dieser Freihandelsabkommen unter anderem die kommunale Organisationsfreiheit bei der Daseinsvorsorge (Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, öffentlicher Personennahverkehr, Sozialdienstleistungen, Krankenhäuser, Kultur) beeinträchtigt werden könnte.“ Da dürfte es zur Normalität gehören, wenn sich von diesem Positionspapier leiten lassend auch zahlreiche kommunale Vertretungen ebenfalls aus dieser Besorgnis heraus mit den Freihandelsabkommen beschäftigt haben. Dem Gutachten hält der DLT entgegen: „Eine Befassungskompetenz der Gemeindevertretungen ist nach der ständigen Rechtsprechung gegeben, soweit sie sich mit den möglichen Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf ihr konkretes Gemeindegebiet auseinandersetzt. Dieses ist mit Blick gerade auf die Befürchtungen hinsichtlich der kommunalen Organisationshoheit bei der Daseinsvorsorge regelmäßig der Fall.“ Sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1990 Fortsetzung auf Seite 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


März 2015

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Ohne gerechte Renten gibt es keine deutsche Einheit! Liebe Leserinnen und Leser, LINKS wirkt! Die Landtagsmehrheit lehnt Oppositions-Initiativen zwar stets ab – zuletzt gab es aber fünf Beispiele für erfolgreichen Druck von links. Nr. 1: Im Dezember forderten wir eine „Stabsstelle Asyl“, um die Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung zu unterstützen. CDU und SPD winkten ab. Im März schuf der Innenminister dann doch eine solche Koordinierungsstelle. Obwohl sie recht erfolglos arbeitet, ist sie ein Anfang! Nr. 2: Im März berief der Landtag eine Strategiekommission für einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr. DIE LINKE wollte, dass nicht nur ein einzelner Abgeordneter teilnimmt, sondern Vertreter aller Fraktionen. Wirtschaftsminister Martin Dulig willigte ein. Nr. 3: Seit Dezember liegen Vorschläge der LINKEN vor, um die medizinische Versorgung Pflegebedürftiger zu verbessern. Die Koalition zog mit einem eigenen Antrag nach – das zentrale Ziel unserer Initiative, Kooperationsverträge zwischen Pflegeheimen und Ärzten, wird also beschlossen. Nr. 4: Angesichts des Masern-Ausbruchs und nicht zum ersten Mal forderten wir mit dem Antrag „Impfquote im Freistaat Sachsen erhöhen“ eine landesweite Informationskampagne zu Schutzimpfungen. CDU und SPD griffen auch dieses Anliegen mit einem eigenen Antrag auf. Nr. 5: Endlich ist entschieden, dass die Landesausstellung 2018 doch an mehreren Orten stattfindet. Das war stets eine LINKE Forderung. Wir werden weiter mit guten Argumenten Druck machen. Denn wer sagt eigentlich, dass Opposition „Mist ist“ und nichts verändern kann?

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Wer hätte das 1990 vermutet? 25 Jahre nach dem Zusammenschluss von DDR und BRD gibt es noch immer kein gerechtes Rentensystem, werden ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner weiter grundlos benachteiligt. Ein Standardrentner in Chemnitz bekommt heute nach 45 Beitragsjahren mit Durchschnittslohn 100 Euro weniger als sein Altersgenosse in Stuttgart. Das liegt daran, dass die „Rentenpunkte“, die Beschäftigte mit ihren Einzahlungen in die Rentenversicherung erwerben, unterschiedlich bewertet sind. Ein Ost-Rentner erhält seit Juli 2014 pro Rentenpunkt monatlich 26,39 Euro Rente, ein West-Rentner 28,61 Euro. Die Differenz zwischen diesen sogenannten Rentenwerten wird nur sehr langsam kleiner. Das Problem der Rentenungerechtigkeit trifft bei weitem nicht nur die „Bestandsrentner“. Betroffen sind auch alle, die in den nächsten 20 Jahren im Osten in Rente gehen werden. So lange dauert es nämlich beim bisherigen Angleichungs-Tempo, bis es für gleiche Rentenbeiträge in Ost und West auch gleiche Rentenzahlungen geben wird. Um diese Anpassung endlich zu beschleunigen, hat die Fraktion DIE LINKE das Thema erneut in den Landtag getragen – mit der Forderung: „Rentenmauer einreißen, Lebensleistungen würdigen!“ „Stellen wir uns Karten der Bundesrepublik vor, die sozial- und wirtschaftspolitische Werte bundesweit vergleichen und Unterschiede farblich hervorheben. Ob bei der Kaufkraft, den Einkommen, den Armutsquoten oder beim Rentenrecht: Überall sehen wir die DDR in ihren Grenzen von 2015“, eröffnete die LINKE Sozial­ expertin Susanne Schaper die Diskussion. Es sei nicht hinnehmbar, dass es in Deutschland noch immer Menschen erster und zweiter Klasse gebe. Dabei habe es an Ankündigungen, Rentengleichheit herzustellen, nie gemangelt. Schon der Einigungsvertrag von 1990 versprach sie. 2009 versprach die Bundeskanzlerin beim 9. Deutschen Seniorentag in Leipzig, das Thema bis 2011 zu „erledigen“. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag versprach, die Renteneinheit bis 2013 herzustellen. Nun verspricht

der schwarz-rote Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Renteneinheit bis 2019. „Wer soll das noch glauben?“, fragt sich wahrscheinlich nicht nur Schaper. In Richtung der CDU rief sie: „Nach 25 Jahren müssen wir LINKEN weiter darauf pochen, dass die innere Einheit Deutschlands hergestellt wird. Meine Damen und Herren von der CDU: Dass wir – oder wie Sie vielleicht sagen würden: ausgerechnet wir – Sie immer noch an diese Hausaufgaben erinnern, sollte Ihnen die Schamesröte ins Gesicht treiben!“ Die CDU-Fraktion freilich wollte keinen Handlungsbedarf erkennen. Dabei war es nicht das erste Mal, dass die LINKE einen Weg zeigte, um die Rentenmauer nicht nur durchlässiger zu machen, sondern sie einzureißen. Dazu bedarf es eines Stufenplanes, mit dem die Renteneinheit noch in der laufenden Legislaturperiode des Bundestages, also bis 2017, vollzogen werden kann. Dazu sollen Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitstehen, um den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern nicht die Folgekosten für diese jahrelang verschleppte Ungerechtigkeit aufzubürden. Ein Argument, mit dem die CDU schon öfter auf solche Forderungen reagierte, lautet: Weil die Löhne und Gehälter in Ostdeutschland deutlich niedriger sind als im Westen – seit Mitte der Neunzigerjahre liegen sie durchschnittlich um 20 % unter dem Westniveau –, würden die Renten im Osten sinken, wenn die Rentenwerte angeglichen werden. Denn bisher werden die Ost-Löhne bei der Rentenberechnung hochgewertet. Allerdings hat die LINKE niemals gefordert, diese Höherwertung

im Zuge der Rentenangleichung zu beseitigen. Sie muss erhalten bleiben, solange zwischen Ost und West Lohnunterschiede bestehen. Genau das steht übrigens auch im sächsischen CDU-SPD-Koalitionsvertrag. Die SPD-Fraktion zeigte mehr Verständnis für die Forderung, die Rentenmauer zum Fallen zu bringen. Horst Wehner, Sprecher der Fraktion DIE LINKE für Seni­ orInnenpolitik, verwies darauf, dass die SPD als langjähriger Teil der Bundesregierung schon lange hätte aktiv werden können. „Dazu fällt mir eine herrliche Liedzeile aus einem anderen Leben ein: Aufgewacht Jungs, jetzt nicht mehr ruhen, es ist schon spät, lasst uns was tun. Guten Morgen, Sie sind jetzt auch da!“ Der Abstand zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert West habe im Jahr 1992 noch 40 % betragen, nunmehr mache er immer noch 7,8 % aus. Der Angleichungsprozess stockt, auch wegen der konstant niedrigeren Einkommen im Osten. Deshalb müsse mit Steuergeld nachgeholfen werden. „Es muss jetzt etwas geschehen, damit wir ein einheitliches Rentenrecht bekommen!“, forderte Wehner. Ein Rentenpunkt müsse bundesweit einheitlich viel wert sein. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Rente für gleiche Lebensleistung in Ost und West – das fordert das Grundgesetz. Seit 25 Jahren gilt es auch für Ostdeutschland, und es ist die LINKE, die – in diesem Fall, neben den Grünen, beinahe allein – für dessen Durchsetzung eintritt. Auch das hätten 1990 wohl nur wenige geglaubt.


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PARLAMENTSREPORT

März 2015

Wir springen nicht auf den fahrenden Zug. Wir sind Lokführer! In Zeiten von „PEGIDA“ diskutiert Sachsen wieder über die Volksgesetzgebung. Die Forderung nach besseren Chancen für Volksanträge, Volksbegehren und Volksentscheide ist nicht neu. Es bedurfte auch keiner tendenziell menschenfeindlichen Bewegung, um sie auf die Tagesordnung zu setzen. Das hat die Fraktion DIE LINKE im Landtag mehrfach getan – 1993, 1999, 2004, 2010 und eben jetzt, 2015. Der Eindruck, wir würden bei der Debatte zur Volksgesetzgebung auf einen Zug aufspringen, den „PEGIDA“ losfahren ließ, trügt also. Vielmehr setzen wir uns erneut dafür ein, dass das Volk seine verbürgte Rolle als gleichberechtigter Gesetzgeber neben dem Parlament – so die Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes – wahrnehmen kann. Der Entwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/1088), den die Fraktion DIE LINKE gemeinsam mit der Fraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN einbrachte, soll politische Teilhabe erleichtern. Das Parlament soll dafür sorgen, dass tatsächlich Gesetze unmittelbar durch Volksentscheid beschlossen werden können. Sonst bleibt direkte Demokratie nichts als Symbolpolitik. Die Regelungen zur Volksgesetzgebung sind inzwischen fast 25 Jahre alt. In diesem Vierteljahrhundert ist

viel geschehen – vor allem hat der Freistaat deutlich an Bevölkerung verloren, 15 Prozent seit Ende 1990. Die Zahl notwendiger Unterstützungsunterschriften (Quorum) für Volksanträge und Volksbegehren ist deshalb viel zu hoch. Seit dem Inkrafttreten der Verfassung wurde nur ein einziger Volksentscheid durchgeführt. Alle anderen Versuche scheiterten am Unterschriftenquorum für ein erfolgreiches Volksbegehren. 450.000 Unterschriften sind dafür nötig, die noch dazu in freier Sammlung beigebracht werden müssen – also ohne Unterstützung etwa des Internets oder Auslagemöglichkeiten für Listen bei öffentlichen Stellen.

Der Gesetzentwurf sieht im Wesentlichen vier Änderungen der Verfassung vor. Erstens soll die Bevölkerung den Landtag mit einem Volksantrag verpflichten dürfen, sich mit einer wesentlichen politischen Entscheidungsfrage zu befassen. Das soll möglich sein, ohne dass aus den Reihen des Volkes ein fertiger Gesetzentwurf vorgelegt werden muss. Zweitens soll das Quorum für einen erfolgreichen Volksantrag dem Bevölkerungsrückgang angepasst und von 40.000 auf 35.000 Unterschriften gesenkt werden. Selbiges soll, drittens, auch bei den Volksbegehren geschehen: Künftig sollen schon 175.000 Unterschriften genü-

gen, damit es zum Volksentscheid kommt. Ähnlich niedrige Quoren gelten bereits in Schleswig-Holstein, Brandenburg oder Thüringen. Besonders wichtig ist auch der vierte Punkt: Künftig soll der Landtag ein Gesetz, das er beschlossen hat, einem Volksentscheid überlassen dürfen. Mit ihm wird dann entschieden, ob es in Kraft tritt. Das soll geschehen, wenn auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Landtages die Mehrheit der Abgeordneten ein solches „aufhebendes Referendum“ verlangt. Der Rechtsexperte der LINKEN, Klaus Bartl, begründete die Forderungen auch mit der Tatsache, dass die Volksgesetzgebung „spätestens seit Anfang der 2000er Jahre ein Schattendasein“ führe. „Seit Jahren und auch derzeit ist viel davon die Rede, dass sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger durch die Politik nicht ernst genommen, nicht hinreichend repräsentiert, nicht wirklich vertreten sieht“. Jede demokratische Institution, so auch die Volksgesetzgebung, kehre sich „in ihrem Sinn und Zweck ins Gegenteil um, wenn sie im praktischen Leben nur als Schein daherkommt“. Der Entwurf wurde in die Ausschüsse überwiesen. Bald wird sich zeigen, was die Koalition will: mehr Demokratie wagen – oder lieber „PEGIDA“ neues Futter liefern.

Mit Sofortmaßnahmen gegen Schulschließungen Konsum weg, Post weg, Arzt weg, Kneipe weg – Schule weg? Das kennen wir schon, bitte nicht auch das noch! Wenn die öffentliche Infra­ struktur in kleinen Dörfern und Gemeinden zerfällt, schmälert das nicht nur die Lebensqualität, sondern bedroht das Leben an sich – schließlich ziehen dann viele junge Menschen weg, stehen ganze Regionen vor einer ungewissen Zukunft. Schulen sind dann besonders wichtig – nicht nur für die Bildungsqualität, die durch lange Anfahrtswege geschmälert wird, sondern auch für die Attraktivität ganzer Landstriche. Dennoch haben die CDU-geführten

Staatsregierungen rigoros an ihrer Schulschließungspolitik festgehalten und das Schulnetz in den vergangenen 20 Jahren ausgedünnt. Von einstmals 2491 sächsischen Schulen gibt es heute nur noch 1477. Nun geht an vielen Standorten wieder die Angst um: Werden wir genug neue Schülerinnen und Schüler bekommen? Werden bei uns Klassen geschlossen oder vielleicht sogar ganze Schulen? Denn bis zum 6. März 2015 mussten die Eltern ihre Kinder entsprechend der Bildungsempfehlungen anmelden. Die Schulschließungspolitik muss gestoppt werden! Deshalb fordert

die Linksfraktion sechs Maßnahmen „zur Sicherung wohnortnaher Schulstandorte, guter Bildung und gleichwertiger Bildungschancen im ländlichen Raum“ (Drucksache 6/887). Demnach sollen Klassen an Grundschulen in der Regel schon mit zehn Schülerinnen und Schülern, an weiterführenden Schulen mit 15 Schülerinnen und Schülern gebildet werden dürfen. Um die Mindestschülerzahlen zu erreichen, sollen jahrgangsübergreifende Klassen erlaubt sein. Der Klassenteiler soll an Grundschulen bei 20 und an weiterführenden Schulen bei 25 Schülerinnen und Schülern liegen. Für alle Schularten soll klassenstufen- und jahrgangsübergreifender Unterricht zugelassen werden, Mittelschulen sollen auch einzügig, das heißt mit einer Klasse pro Jahrgangsstufe, Gymnasien zweizügig geführt werden. Auch mit Schulverbünden ließen sich Schließungen vermeiden: Dazu sollen mehrere räumlich getrennte Schulstandorte organisatorisch verbunden werden können. Cornelia Falken, Bildungsexpertin der LINKEN, verwies auf die Verhandlungen zum Schulgesetz. Die laufen schon ungewöhnlich lange,

seit 2010. „Die CDU hat damals erkannt, was wir schon vor Jahren erklärt haben: Das Schulgesetz stimmt mit der Realität der Schulen im ländlichen Raum nicht mehr überein. Das ist nunmehr fünf Jahre her. Es kann doch keine fünf Jahre dauern, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten!“ Die Schulen im ländlichen Raum könnten nicht warten, bis sich die Koalitionäre endlich geeinigt hätten. Sie bräuchten sofort Rechtssicherheit, zumal das Bundesverfassungsgericht den sächsischen Schulnetzplan als teilweise verfassungswidrig eingestuft hat. „Es bedarf daher unverzüglich verbindlicher Maßgaben, um weitere Schulschließungen zu verhindern“, so Falken. Allerdings sandten weder die Koali­ tionsfraktionen noch die Kultusministerin in der Debatte das Signal aus, dass es keine weiteren Schulschließungen geben wird, und wiesen die sechs Vorschläge ab. Es wird deshalb weiteren Druck brauchen. Den Verlust von Läden, Postfilialen, Arztpraxen oder Kneipen können die Menschen vor Ort mit etwas Mühe vielleicht ausgleichen. Für Schulen aber gibt es keinen Ersatz!


März 2015

PARLAMENTSREPORT

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Masern und Co.: Kein Sieg ohne Impfung! Sachsen, insbesondere Leipzig, erlebt einen rasanten Anstieg von Masern-Erkrankungen. Wie kann das sein, wo es doch Schutzimpfungen gibt? In Deutschland besteht keine Impfpflicht. Deshalb besitzt weniger als jeder zweite Erwachsene, bei den Senioren sogar nur jeder Dritte, einen ausreichenden Impfschutz. Die Impfquoten der Schulanfänger sind in den letzten Jahren zwar gestiegen, bei den Standardimpfungen gegen Masern, Mumps, Röteln und Hepatitis B besteht jedoch Nachholbedarf. In Deutschland gelten zwischen drei und fünf Prozent der Eltern als strikte Impfgegner, weitere zehn Prozent als Impfskeptiker. Mit dem Antrag „Impfquote im Freistaat Sachsen erhöhen“ (Drucksache 6/1036) will die Fraktion DIE LINKE für eine „sachsenweit deutlich höhere Durchimpfungsrate“ sorgen, also dafür, dass möglichst alle Menschen, bei denen es medizinisch möglich ist, die nötigen Schutzimpfungen erhalten. Dazu soll die oberste Landesgesundheitsbehörde eine öffentliche Empfehlung für Schutzimpfungen u.a. gegen Tetanus, Mumps, Masern, Keuchhusten, Diphtherie, Poliomyelitis, Röteln sowie Hepatitis A und B aussprechen. Außerdem soll geprüft werden, ob und inwieweit es mög-

lich ist, den Impfstatus von Kindern verpflichtend zu prüfen, bevor sie in Kindertageseinrichtungen oder Schulen aufgenommen werden. Auch eine Beratung über Impfungen bei diesen Aufnahmeverfahren soll obligatorisch und Nachweismöglichkeiten geprüft werden. So sollen möglichst alle Kinder wenigstens die Schutzimpfungen bekommen, die von der Ständigen Impfkommission des Robert-KochInstituts empfohlen werden. Außerdem fordert die Fraktion DIE LINKE eine Impf-Informationskampagne, mit der über Schutzimpfungen, Vorteile und Risiken aufgeklärt werden soll. Susanne Schaper, sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin, verwies auf die sinkende Impfbereitschaft, obwohl Impfungen „zu den wichtigsten und wirksamsten Präventivmaßnahmen“ gehören. „Dies wiederum erhöht das Risiko, dass längst besiegt geglaubte Infektionskrankheiten wie Masern wieder aufleben und eben nicht ausgelöscht werden können“. Deshalb müsse man Eltern immer wieder auf die Vorteile des Impfens und die Nachteile des Nichtimpfens hinweisen. Ungeimpfte Kinder und Erwachsene seien schließlich nicht nur selbst gefährdet, sondern drohten auch andere anzustecken. „Diese Gefahr betrifft

insbesondere diejenigen Kleinkinder, die zu jung für die Impfung sind, und diejenigen Menschen, die tatsächlich nicht geimpft werden können, etwa weil sie unter einer Immunkrankheit leiden“. Die Gesundheitsexpertin, selbst gelernte Krankenschwester, verwies darauf, dass es immer noch viele Menschen gebe, denen die Bedeutung einer Schutzimpfung unklar ist. Sie entschieden sich nicht bewusst für oder gegen eine Impfung, sondern beschäftigten sich einfach nicht damit. Hier sei Aufklärungsarbeit zu leisten. Insgesamt bestehe eine

„staatliche Fürsorgepflicht, wenn Eltern nicht alles tun, um ihre Kinder vor gefährlichen Erkrankungen zu schützen“. Wie alle Anträge der LINKEN wird auch dieser wahrscheinlich abgelehnt. Allerdings: CDU und SPD haben inzwischen selbst eine parlamentarische Initiative gestartet, die unter anderem die von uns geforderte Informationskampagne vorsieht. Darüber freuen wir uns – und hoffen, dass unsere von der Koalition übernommenen Vorschläge dazu beitragen, dass Masern und andere Krankheiten nicht mehr ausbrechen.

(No)Legida und Versammlungsfreiheit: Hearing zum Protestgeschehen in Leipzig Seit dem 12. Januar marschieren fast wöchentlich hunderte Menschen unter dem Banner „Legida“ („Leipziger gegen die Islamisierung des Abendlandes“) durch Leipzig. Tausende Menschen haben diesen Versammlungen des Pegida-Ablegers, die verharmlosend „Spaziergänge“ genannt werden, Kontra gegeben. Zahlreiche gesellschaftliche Spektren – Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Vereine und Initiativen – veranstalteten eine Vielzahl von Kundgebungen, Demonstrationen und spontanen Protestzusammenkünften. Die Versammlungsfreiheit und der polizeiliche Umgang mit diesem Protest standen im Mittelpunkt der von der Linksfraktion veranstalteten Anhörung am 24. März im Leipziger Rathaus. VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Gruppen wie „Legida läuft nicht“, dem Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus und die Leipziger Demobeobachtung berichteten anschaulich über verwehrte Zugänge zu angemeldeten Versammlungen, die gewaltsame Räumung von friedlichen Sitzblockaden und den auch sonst rabiaten Umgang der Polizei mit vielen, die ins Schema „GegendemonstrantIn“ gesteckt wurden. Während dem Protest Grenzen gesetzt wurden und werde – so ist derzeit

nicht einmal die Meinungskundgabe in Hör- und Sichtweite der Laufstrecke von Legida möglich –, scheint „Legida“ frei schalten und walten zu können. Exemplarisch steht dafür deren zweiter Marsch am 21. Januar: Bei einem Rekord-Polizeiaufgebot von über 5000 BeamtInnen konnten die AnhängerInnen der rassistischen Bewegung vermummt, maskiert und drohend durch die Leipziger Straßen laufen. Die Polizei intervenierte an diesem Tag nicht, als JournalistInnen angegriffen wurden. Auch beim folgenden „Spaziergang“ am 30. Januar wurde die Arbeit von Pressevertre-

terInnen eingeschränkt – diesmal allerdings von der Polizei, die einen Journalisten tätlich davon abhielt, die rabiate Räumung einer Sitzblockade zu dokumentieren. Im Umfeld des Geschehens wurden Menschen der Begehung von Straftaten bezichtigt, darunter etwa ein Mann, der einen verletzten Frau helfen wollte. Misst die Polizei bei (No)Legida mit zweierlei Maß? Dies bejahten die ReferentInnen bei der Anhörung. Es mangelt vor allem an Transparenz polizeilichen Handelns und an Kommunikation. Stephan Poppe vom Institut für Soziologie der Uni Leipzig verwies

auf eine weitere Perspektive: die der TeilnehmerInnen-Zahlen. Sowohl beim ersten als auch beim zweiten „Spaziergang“ von Legida wurden diese von den offiziellen Stellen immens nach oben geschraubt. Die alternativen Zählungen ergaben für den 12. Januar etwa 2500 statt 5000 und für den 21. Januar zirka 7000 statt 15.000 Menschen. Ähnliche Ergebnisse sind für die PegidaMärsche in Dresden festzustellen. Der Umgang mit Zahlen hat durchaus politische Implikationen, wird damit doch auch die gesellschaftliche Relevanz der *gida-Bewegung gemessen. Polizeiliches Fehlverhalten ist keine Lappalie. Deshalb ist es wichtig, Vorfälle zu dokumentieren und gegebenenfalls zur Anzeige zu bringen, so das Plädoyer am Ende. Die Linksfraktion wird die geschilderten Erfahrungen in die parlamentarische Aufarbeitung des Protestgeschehens einfließen lassen. Die Forderungen nach einer Kennzeichnungspflicht von PolizeibeamtInnen und der Einrichtung einer Polizeibeschwerdestelle bekommen vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse eine neue Dringlichkeit. Juliane Nagel Sprecherin für Asyl- und Flüchtlingspolitik


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PARLAMENTSREPORT

März 2015

Arbeit für Flüchtlinge? Ausgezeichnet!

Plenarspiegel März 2015 Am 11. und 12. März 2015 fanden die 9. und 10. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Gesetzentwürfe: – 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE „Gesetz zur Einführung eines Gedenk­ tages zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. Mai 1945“ (Drs 6/1094) – 1. Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen DIE LINKE und GRÜNE „Gesetz zur Stär­ kung der direkten Demokratie im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1088)

Die Asyldebatten sind seit Monaten heiß. Wir haben die Staatsregierung stets dafür kritisiert, dass sie zwar mit Protestierenden von „PEGIDA“ und Co. dialogisiert, kaum aber mit den Menschen spricht, die von Anfeindungen betroffen sind. Das sind vor allem Geflüchtete, aber auch Bürgerinnen und Bürger, die sich für Menschlichkeit und kulturelle Vielfalt einsetzen. Alle Welt redet über sie, nicht aber mit ihnen – das versuchen wir zu ändern, ebenfalls seit Monaten. Um diese Engagierten zu stärken, lobt die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag anlässlich des diesjährigen Weltflüchtlingstages am 20. Juni den Preis „Gelebte Will­ kommenskultur und Weltoffen­

heit in Sachsen – 2015“ aus. Damit wollen wir das Ringen um ein besseres gesellschaftliches Klima für alle in Sachsen lebenden Menschen unterstützen. Der Preis wird in zwei Kategorien vergeben: „Praktische Hilfe“ und „Politisches Engagement“. Beide sind jeweils mit 750 Euro dotiert. Die Finanzierung der Preisgelder erfolgt unmittelbar aus Spenden unserer Abgeordneten. Für den Preis können sich Personen, Gruppen, Initiativen, Vereine oder Verbände bewerben, die sich im Bereich der Arbeit mit Flüchtlingen oder Migrantinnen und Migranten engagieren, sofern sie in Sachsen wohnhaft und tätig sind. Der Preis soll würdigen, dass sie sich vorbildlich und öffentlich wirksam

Sammeldrucksache 6/1079 Darin enthalten sind die Anträge der Fraktion DIE LINKE – „Subsidiaritätsbedenken nach Artikel 12b des EU-Vertrages zum Vorschlag für einen BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über eine Makrofinanzhilfe für die Ukraine (COM(2015) 5 final) – Friedens-Auflage im Beschluss verankern!“ (Drs 6/831) – „Subsidiaritätsbedenken nach Artikel12b des EU-Vertrages zum Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1291/2013 und (EU) 1316/2013 (COM[2015] 10 final) – Sozialund Nachhaltigkeits-lnvestitionsinitiative für Europa jetzt!“ (Drs 6/1007) Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

Bewerbungen und Vorschläge können – unter Ausschluss des Rechtsweges – bis zum 30. Mai 2015 an die folgende Adresse eingereicht werden: Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Stichwort: „Gelebte Willkommenskultur und Welt­ offenheit in Sachsen – 2015“ Bernhard-v.-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden Die Auswahl der Preisträger erfolgt bis zum 15. Juni 2015 durch eine Jury, der drei Fraktionsmitglieder und zwei externe Persönlichkeiten angehören. Die Preisverleihung findet im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im Umfeld des Weltflüchtlingstages am 20. Juni 2015 in Dresden statt. Indem wir gezielt jene stärken, die Feuer löschen anstatt Brandsätze zu schleudern, hoffen wir, in den hitzigen Debatten wenigstens ein bisschen für Abkühlung zu sorgen.

Aktuelle Debatte: – „25 Jahre Wartezeit sind zu viel – Rentenmauer einreißen, Lebensleistungen würdigen!“ Anträge: – „6-Punkte-Moratorium zur Sicherung wohnortnaher Schulstandorte, guter Bildung und gleichwertiger Bildungschancen im ländlichen Raum“ (Drs 6/887) – „Medizinische Versorgung Pflegebedürftiger im Heim ver­ bessern“ (Drs 6/527) – „Impfquote im Freistaat Sach­ sen erhöhen“ (Drs 6/1036)

für eine gelebte Willkommenskultur sowie für Weltoffenheit und die Vielfalt der Kulturen einsetzen. Die Engagierten können sich selbst für den Preis bewerben oder von Dritten vorgeschlagen werden. Der Bewerbung bzw. dem Vorschlag ist eine aussagekräftige schriftliche Beschreibung der jeweiligen Tätigkeit, der Initiative, des Projektes, der Aktion bzw. Leistung beizufügen.

Schnupper-Studium im Landtag Vom 23. Februar bis zum 3. April 2015 hatte ich Gelegenheit zu einem Praktikum im Bereich Presse-/ Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Als angehende Sprach- und Kulturwissenschaftlerin mit Fachbereich Germanistik wollte ich damit praktische Erfahrungen in einem möglichen Berufsfeld sammeln. Zuvor hatte ich bereits ein journalistisches Praktikum absolviert. Also bewarb ich mich und war positiv überrascht, wie schnell und unkompliziert ich zu einem Praktikumsvertrag kam. Marcel Braumann und Kevin Reißig empfingen mich herzlich in ihrer Abteilung und ließen mich offen an ihrem Arbeitsalltag teilhaben. Vom Verfassen von Pressemitteilungen und Broschüren über die Präsentation von Fraktionsthemen in den sozialen Netzwerken bis hin zur Pressekonferenz war ich an vielem

beteiligt und konnte mich einbringen. Oft war es aber auch spannend genug, einfach zuzuhören und die Abläufe im Landtag zu studieren. Auch durfte ich zwei eigene Projekte betreuen – je ein Flugblatt zum Gesetzentwurf der LINKEN, den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag einzuführen, und zur Auslobung des Preises „Gelebte Willkommenskultur“ durch die Fraktion. Außerdem nahm ich an Ausschuss- und Fraktionssitzungen teil. Am 18. und 19. März durfte ich bei der Haushaltsklausur dabei sein. Dabei bekam ich eine Vorstellung von der finanziellen Komplexität eines Haushaltsplanes und davon, wie schwierig es ist, diese mit politischen Inhalten in Übereinstimmung zu bringen. Aufgefallen ist mir, dass Kommunikation und Diskurs innerhalb der Fraktion gänzlich anders sind als in der Wissenschaft. Eines jedoch ist gleich: die Vielzahl

an Fachtermini. Meine Top 3 dieser Wörter aus den letzten sechs Wochen sind „Beharrungskräfte“, „Frühwarndokumente“ und „Schlüsselmassen“. Besonders gefallen hat mir die Offenheit vieler Fraktionsangehöriger und Mitarbeiter. Die gewonnenen Erfahrungen bekräftigen mich in meiner Orientierung für den späteren Beruf. Ich danke der Fraktion ganz herzlich für die Gelegenheit zu diesem Praktikum. Madeleine Wasner

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Kommunal-Info 3/2015

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Beauftragung durch den Bürgermeister Nach § 59 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) kann der Bürgermeister Bedienstete der Gemeinde mit seiner Vertretung auf bestimmten Aufgabengebieten oder in einzelnen Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung beauftragen. Das gilt nach § 55 der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) in gleicher Weise für den Landrat auf die Kreisverwaltung bezogen.

Organisationsrecht des Bürgermeisters Der Bürgermeister ist der Leiter der Gemeindeverwaltung und trägt in dieser Eigenschaft die Verantwortung für die sachgemäße Erledigung der Aufgaben und den ordnungsgemäßen Gang der Verwaltung. Da er nicht nur in größeren Gemeinden außerstande ist, alle anfallenden Aufgaben selbst zu erlediFortsetzung von Seite 2

Maulkorb ...

stützend, kommt der DLT zu dem Schluss, dass bei den Auswirkungen des Freihandelsabkommens durchaus ein spezifischer Ortsbezug und damit eine Kompetenz der Kommunen, sich damit zu befassen, „bereits dann gegeben sei, wenn sich eine Kommune lediglich vorsorglich und ohne unmittelbaren Anlass mit der entsprechenden Frage befasst. Daher ist den Gemeinden auch eine antizipatorische Äußerung im Sinne einer vorausschauenden Vorsorge möglich. Es obliege der jeweiligen Gemeinde zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt sie Stellung beziehen möchte. Damit stellt das Bundesverwaltungsgericht klar, dass gerade auch bei einer vorsorglichen Entscheidung eine Befassung durch die Kommunen rechtmäßig ist. Sollte die gegenteilige Auffassung der Wissenschaftlichen Dienste zutreffend sein, stellte dies im Übrigen sämtliche kommunale Beteiligungs- und Anhörungsrechte, die regelmäßig bereits vor Erlass der maßgeblichen Regelungen erfolgen, in Frage.“ Auch die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. AöW) als Interessenvertreterin der Wasserversorger und Abwasserbetriebe in öffentlicher Hand hat sich entrüstet und verwundert über das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages geäußert. „Das erscheint wie ein Maulkorb für die Kommunen, den sie sich sicher nicht anlegen lassen“, erklärte Christa Hecht, die Geschäftsführerin der AöW.

Wie weiter? Es stellt sich jetzt auch die Frage, wie sich die Kommunen nun nach Bekanntmachung des Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes verhalten sollen. Kritiker des Gutachtens sagen: einfach weiter machen und sich nicht vom Gutachten verunsichern lassen. Das Gutachten sei höchst umstritten und außerdem sei es wohl juristisch nur schwer möglich und politisch kaum durchsetzbar, die Kommunalvertreter für ihr vermeintlich illegales Verhalten juristisch zu sanktionieren (www. zeit.de). AG

gen, ist es gängige Praxis in der Kommunalverwaltung, dass Bedienstete der Gemeinde mit der Erledigung bestimmter Aufgaben betraut werden. Aus kommunalrechtlichen Stellung des Bürgermeisters ergibt sich: dass die Befugnis zur Beauftragung als auch für den Widerruf der Beauftragung allein dem ihm zusteht; dass er die Befugnis zur Beauftragung lediglich auf Beigeordnete für deren Geschäftskreis – nicht aber auf sonstige Beamte oder Angestellte – übergeben kann. Soweit ein Amtsverweser bestellt ist, übernimmt dieser die Funktionen, Rechte und Pflichten des Bürgermeisters und damit auch die Beauftragungsbefugnis. Ein nach Gesetz bestellter Stellvertreter des Bürgermeisters kann von der Befugnis des zur Beauftragung allein im Falle der Verhinderung des Bürgermeisters Gebrauch machen. In das Entscheidungsrecht des Bürgermeisters kann der Gemeinderat nicht eingreifen, er besitzt keine innere Organisationsbefugnis und kann nicht den Geschäftsverteilungsplan bestimmen. Eine direkte Einflussnahme des Gemeinderats widerspräche der innergemeindlichen Kompetenzverteilung und würde eine effektive Arbeit des Bürgermeisters und der Verwaltung behindern.

Bedienstete werden beauftragt Wie es in § 59 Abs. 1 SächsGemO heißt, können „Bedienstete“ der Gemeinde mit der Vertretung des Bürgermeisters für bestimmte Aufgabengebiete oder in einzelnen Angelegenheiten beauftragt werden. Die SächsGemO geht damit über vergleichbare Vorschriften in Gemeindeordnungen anderer Bundesländer hinaus, wo die Übertragungsmöglichkeit ausdrücklich auf „Beamte und Angestellte“ beschränkt wird. Wenn hier also von „Bediensteten“ die Rede ist, dann muss davon ausgegangen werden, dass es sich in jedem Fall um abhängig Beschäftigte der Gemeinde, also um Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts handeln muss, die vom Bürgermeister beauftragt werden können. Damit wäre auch grundsätzlich zulässig, Arbeiter der Gemeinde zu beauftragen. Eine Beauftragung von Gemeinderäten, Ortschaftsräten und sonstigen ehrenamtlich mitwirkenden Bürgern wäre hingegen unzulässig. Diesem Personenkreis kann lediglich eine rechtsgeschäftliche Vollmacht durch

den Bürgermeister nach § 59 Abs. 2 SächsGemO erteilt werden. Die Beauftragung muss nicht namentlich auf eine ganz bestimmte Person gerichtet werden, sondern es reicht aus, wenn die Beauftragung auf ein bestimmtes Arbeitsgebiet bzw. Amt bezogen ist, so dass der jeweilige Stelleninhaber mit dem Amtsantritt und für die Dauer dieses Amtes beauftragt ist, soweit nicht die Beauftragung widerrufen wird.1

Form und Umfang Die Beauftragung durch den Bürgermeister bedarf ebenso wie ihr Widerruf keiner speziellen Form, sie kann deshalb grundsätzlich formlos erfolgen durch Weisung in einer einzelnen Angelegenheit oder allgemein für bestimmte Aufgabengebiete. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte die Beauftragung jedoch grundsätzlich schriftlich erfolgen und in ihrem Umfang auch für Dritte überschaubar sein. Daher wäre es zweckmäßig, sie in den Geschäftsverteilungsplan aufzunehmen oder in Form einer Zuständigkeitsordnung zu fassen. Die Vertretungsbefugnis kann nur auf bestimmten Aufgabengebieten oder in einzelnen Angelegenheiten übertragen werden: Mit „einzelnen Angelegenheiten“ ist hier die Erledigung bestimmter einzelner Fälle gemeint. Bei der Übertragung der Vertretungsbefugnis auf „bestimmte Aufgabengebiete“ handelt es sich um inhaltlich verschiedene Angelegenheiten, die in ihrer Gesamt ein abgegrenztes und vergleichsweise überschaubares Aufgabengebiet der Gemeindeverwaltung ausmachen, das aber keinesfalls mit den Geschäftskreis eines Beigeordneten gleichgesetzt werden kann. Die Beauftragung erfolgt in der Regel für einen unbefristeten Zeitraum, da der Bürgermeister bzw. der Beigeordnete jederzeit die Möglichkeit haben, die Beauftragung zu widerrufen. Mit der Erledigung einer Aufgabe können Bedienstete nur beauftragt werden, soweit es das Gesetz zulässt. So kann etwa ein Bediensteter der Gemeinde nicht damit beauftragt werden, als Stellvertreter des Bürgermeisters zu fungieren. Die Übertragung von organschaftlichen Befugnissen des Bürgermeisters (z.B. Vorsitz im Gemeinderat, Widerspruch gegen einen Beschluss des Gemeinderats) ist durch Beauftragung generell nicht möglich.2

Überschreitungen der Vertretungsbefugnis Der mit der Vertretungsbefugnis ausgestattete Bedienstete ist an die Grenzen seines dienstlichen Auftrags gebunden. Eine Überschreitung der ihm eingeräumten Befugnisse stellt gegenüber der Gemeinde einen Verstoß gegen die dienstlichen Pflichten dar und kann dienst- bzw. arbeitsrechtliche Konsequenzen sowie eine vermögensrechtliche Haftung nach sich ziehen. Überschreitet ein Gemeindebediensteter mit Beauftragung seine Befugnis im Außenverhältnis, hat das für die Gemeinde eine Rechtsscheinhaftung zur Folge, was bedeutet, dass die Gemeinde für das Handeln des Beauftragten ggf. einstehen muss. Ein Geschäftspartner der Gemeinde darf als gutgläubiger Dritter darauf vertrauen, dass der Gemeindebedienstete mit einer entsprechenden Vertretungsbefugnis ausgestattet ist. In einem konkreten Fall bedeutet das, der Handelnde nach außen hat sich als befugter Vertreter der Gemeinde gezeigt und damit den Schein einer Vertretungsbefugnis erweckt (Rechtsschein). Anknüpfungspunkt für den Rechtsschein ist immer ein Handeln des vollmachtlosen Vertreters in der Vergangenheit, d.h. vor dem konkreten Rechtsgeschäft. Der Vertreter muss für die Gemeinde während einer gewissen Dauer und wiederholt für die Gemeinde als „Beauftragter“ aufgetreten sein und hierdurch einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben. Voraussetzung dabei ist immer, dass der Geschäftspartner der Gemeinde davon ausgehen musste, das der „Beauftragte“ mit der Vertretungsmacht ausgestattet war. Da allgemein davon auszugehen ist, dass nicht für alle Bediensteten eine Vertretungsbefugnis besteht, bedarf es jedoch auch immer einer begründeten Annahme für ein Vertrauen des Geschäftspartners in die Vertretungsbefugnis.3

Rechtsgeschäftliche Vollmacht Im Unterschied zur Beauftragung kann nach § 59 Abs. 2 SächsGemO durch den Bürgermeister auch eine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt werden. Diese muss nicht auf Bedienstete der Gemeinde beschränkt bleiben, sondern kann auch auf Gemeinderäte oder private Dritte ausgedehnt werden. Typische Beispiele für die Erteilung rechtsgeschäftlicher Vollmachten sind z.B. die Erteilung einer Prozessvollmacht an Rechtsanwälte oder einer Vollmacht an Architekten oder Ingenieure im Rahmen der Errichtung von Bauwerken oder anderen Projekten. AG — 1

Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 59, Rn. 7. 2 Vgl. ebenda, Rn. 10 ff. 3 Vgl. ebenda, Rn. 24 ff.


Kommunal-Info 3/2015

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Medizinische Versorgung von Asylsuchenden Von Konrad Heinze, Chemnitz Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden ist im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) geregelt, welches seit dem Inkrafttreten des letzten und medial präsenten Änderungsgesetzes am 01.03.2015 in seiner nunmehr aktuellsten Form vorliegt. Grundsätzlich gilt nach § 4 und § 6 AsylblG, dass die medizinische Versorgung in Fällen „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ zu gewährleisten ist. Zahnersatz hat dann zu erfolgen, so dieser „aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist“.1 „Sonstige Leistungen“ können gewährt werden, wenn sie zur „Sicherung der Gesundheit unerlässlich“ sind.2 Leistungsberechtigten mit „besonderen Bedürfnissen“, etwa unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder Personen, die Opfer von Vergewaltigung, Folter oder anderen schweren Formen von physischer, psychischer und sexueller Gewalt wurden, ist „die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe“ zu gewähren.3 Mit der Gesetzesnovelle neu hinzu gekommen ist der § 6a AsylblG in Entsprechung zu §25 SGB XII, demnach Krankenhäuser und/oder Ärzt_ innen Notfallbehandlungen direkt gegenüber dem Leistungsträger des AsylblG geltend machen können. Weiterhin wurde der Zugang zu den „Analogleistungen“ geändert: Personen, die länger als 15 Monate „Grundleistungen“ nach §3 AsylblG bezogen, haben nach §2 AsylblG Anspruch auf „Analogleistungen“ entsprechend dem Sozialgesetzbuch XII, was sich demnach auch auf die Krankenversorgung auswirkt. Als Träger der Leistungen konkret zuständig für die medizinische Versorgung der Asylsuchenden ist die jeweilige Sozialbehörde der aufnehmenden Kommune, wie es im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz festgelegt ist.4 Dort ist ebenso die Kostenerstattung des Landes an die Kommunen hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen nach AsylblG geregelt. Aufwendungen für im vorangegangenen Kalenderjahr erbrachte Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft und Geburt werden erstattet, so sie 7669,38 EUR pro Person übersteigen.5 Obgleich die beschriebenen Regelungen recht eindeutig formuliert sind, ist die konkrete Umsetzung oftmals problematisch – insbesondere für die Asylsuchenden, welche von der Versorgung abhängig sind. So ist es erforderlich, dass vor jedem Praxisbesuch ein Behandlungsschein durch das Sozialamt ausgestellt wird. Hieraus resultiert, dass medizinisch unkundigem Verwaltungspersonal die Entscheidung obliegt, ob eine Erkrankung „akut“ ist, ab wann eine Zahnbehandlung als „unaufschiebbar“ gilt oder welche sonstigen „Hilfen“ und „Leistungen“ als „erforderlich“ oder „unerlässlich“ einzuschätzen sind. Darüber hinaus kann es dazu kommen, dass das Erfordernis einer Behandlung vorab amtsärztlich geprüft wird. Die Folgen dessen sind zum einen unnötige Behandlungsverzögerungen, wodurch der Verlauf einer Erkrankung

voranschreiten und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen entstehen können. Die Betroffenen verspüren einen zuweilen enormen Leidensdruck und schließlich müssen überdurchschnittlich häufig kostenintensive medizinische Notdienste und Akutbehandlungen in Anspruch genommen werden.6 Im äußersten Falle kam es bereits zu Todesfällen aufgrund ausgebliebener ärztlicher Behandlung, wie etwa am 14. Februar 2014 in einer Asylsuchendenunterkunft in Plauen.7 Zum anderen ist die Abwicklung des Behandlungsscheinsystems über die Sozialämter mit einem hohen Aufwand verbunden, der alle Beteiligten betrifft. Gerade im ländlichen Raum ist die zuständige Behörde oft weiter entfernt, so dass den Asylsuchenden lange Wege entstehen oder gerade über die Wochenenden niemand zu erreichen ist. Hinzu kommt der zu betreibende Verwaltungsaufwand: so beschreibt beispielsweise eine Auskunft der Dresdner Sozialbehörde, dass die zehn zuständigen Mitarbeiter_innen ca. ein Drittel ihrer Arbeitszeit auf das Ausstellen und Verwalten der Behandlungsscheine verwenden. Weiterhin entstehen den behandelnden Ärzt_innen Rechtsunsicherheiten und im Endeffekt eine erhöhte Belastung der Notund Rettungsdienste. Trotz des engen institutionellen und gesetzlichen Rahmens lassen sich aber auch im Bereich der medizinischen Versorgung kommunale Handlungsspielräume finden. Kurzfristig wäre es für die unterbringenden Gemeinden eine Möglichkeit, gegenüber Ärzt_innen im Einzugsbereich, aber auch der Heimleitung und dem weiteren Personal im Umfeld einer Unterkunft die Kostenübernahme im Notfall breit zu kommunizieren. Dies sollte ebenso den schon aufhältigen und neu ankommenden Asylsuchenden vermittelt werden. So ließe sich eine große Rechtsunsicherheit ausräumen. Darüber hinaus wäre es denkbar, ein Informationsblatt mit den nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen in den Landessprachen der Herkunftsstaaten anzubieten.

Mittel- und langfristig böte sich den Kommunen die Perspektive, über das „Bremer Modell“ die medizinische Versorgung zu verbessern und gleichzeitig den bislang nötigen Verwaltungsaufwand zu verringern. Kern des seit 2005 angewandten Modells ist ein Vertrag zwischen der Bremer Sozialbehörde und der AOK Bremen/Bremerhaven auf Grundlage des § 264 Abs. 1 SGB V8. Demnach erhalten die Leistungsberechtigten nach AsylblG von Beginn an eine Chipkarte, mit der sie eigenständig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Die Ausgabe von Behandlungsscheinen durch die Sozialbehörde entfällt. Da Asylsuchende damit nicht Krankenversicherte im eigentlichen Sinne sind, ist dementsprechend auch der Umfang der Leistungen reduziert. So sind etwa freiwillige Zusatzleistungen der Krankenkassen ausgenommen. Auch muss weiterhin etwa bei Psychotherapien oder Zahnersatz ein Antrag samt Gutachten gestellt werden. Am Ende steht dennoch ein vereinfachter und beschleunigter Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Kommunen selbst bleiben nach diesem Entwurf auch weiterhin die Kostenträger, jedoch zeigte sich weder in Bremen noch in Hamburg, wo das Modell seit Juli 2012 angewandt wird, dass die Kosten nicht stiegen, sondern langfristig eine Kostenersparnis zu erwarten ist. Die Erklärung hierfür liegt zum einen in der personellen und finanziellen Entlastung der Verwaltung: die Abrechnungsstelle und die Administration der Krankenhilfe entfiel, die Amtsärzt_innen wurden entlastet. In Hamburg werden die Einsparungen in der Verwaltung pro Jahr auf 1,6 Mio. EUR beziffert.9 So wird vom Gesundheitsmanagement der Krankenkasse profitiert, aber auch, dass etwa verschriebene Medikamente als Kassenrezept von entsprechenden Rabattverträgen profitieren. Zum anderen schützt der vereinfachte Zugang zu medizinischen Leistungen einer Chronifizierung von Erkrankungen vor, somit auch vor steigenden Folgekosten. Zuletzt ist auch festzuhalten, dass eine derartige Regelung den Menschen, die davon Gebrauch machen, einen Gutteil an Autonomie und menschenwürdiger Gesundheitsfürsorge im Verständnis einer ernstgemeinten Willkommenskultur zukommen lässt. Gerade in Zeiten wieder steigender Zahlen von Asylanträgen, scheint jede Maßnahme, die zugunsten der untergebrachten Menschen kommt und ebenso die Verwaltung entlastet, als sinnvoll. In einer Stellungnahme der AOK Nordost heißt es dahingehend: „Die Übernahme der medizinischen Versorgung für die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz § 1 Leistungsberechtigten durch die Krankenkassen nach § 264 Abs. 1 SGB V ist sinnvoll, weil sie die Krankenbetreuung der Asylbewerber/ innen verbessern könnte, sich deren Betreuung wirtschaftlicher gestalten ließe und die Kommunen von dieser Aufgabe entlastet werden können.“10 Die Übertragung des Modells von Stadtstaaten auf kreisfreie Städte und Landkreise, wie sie als Gebietskörperschaften in Sachsen vorkommen, er-

scheint in abgewandelter Form möglich. So wurde beispielsweise 2013 der Rostocker Oberbürgermeister von der Bürgerschaft beauftragt, auf Grundlage des § 264 Abs. 1 SGB V in entsprechende Verhandlungen mit der AOK Nordost zu treten. Ein ähnlicher Antrag scheiterte 2014 in Dresden denkbar knapp mit 35 zu 34 Stimmen. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung in Sachsen müssten also insgesamt 13 Verträge geschlossen werden, von daher wäre eine landesweite Regelung sinnvoll oder aber ein Vertragswerk, dem alle Gebietskörperschaften in gleicher Form beitreten können, um Bürokratie abzubauen. Theoretisch ist aber auch eine spezifische Abrechnung der einzelnen Gebietskörperschaften möglich.11 Mit einer zunehmenden dezentralen Unterbringung von asylsuchenden Menschen wird auch die medizinische Versorgung mehr und mehr dezentral und „in der Fläche“ erfolgen müssen. Das Modell einer elektronischen Chipkarte von Beginn an, kann diese Entwicklung unterstützend begleiten, mit einer Vielzahl an Vorteilen für alle Beteiligten. Insbesondere für die Menschen, die vor undenkbaren Lebensumständen fliehen, ist eine rasche gesundheitliche Betreuung von enormer Bedeutung. Hier können die Landkreise und kreisfreien Städte vorweg gehen, um auch für diese Menschen ein gutes Leben in den Gemeinden des Freistaates zu ermöglichen.12 — 1

Vgl. §4 Abs. 1 AsylblG. Vgl. §6 Abs. 1 AsylblG. 3 Vgl. §6 Abs. 2 AsylblG. 4 Vgl. §2 Abs. 2 SächsFlüAG. 5 Vgl. §10 Abs. 2 SächsFlüAG. 6 Vgl. Mehrhoff, Klaus: Bei Flüchtlingen. Zahn ziehen statt plombieren – Eine Studie über die Zahngesundheit von Asylsuchenden in Würzburg. 7 Vgl. Freie Presse: Toter im Asylheim. Verfahren eingestellt, vom 28.01.2015. 8 „Die Krankenkasse kann für Arbeitsund Erwerbslose, die nicht gesetzlich gegen Krankheit versichert sind, für andere Hilfeempfänger sowie für die vom Bundesministerium für Gesundheit bezeichneten Personenkreise die Krankenbehandlung übernehmen, sofern der Krankenkasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines angemessenen Teils ihrer Verwaltungskosten gewährleistet wird.“ 9 Vgl. Pharmazeutische Zeitung Online: Chipkarte statt Anträge für Arztbesuch, vom 06.01.2015. 10 Vgl. Stellungnahme der AOK Nordost zur öffentlichen Anhörung „Möglichkeiten der Übernahme der medizinischen Versorgung für die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz §1 Leistungsberechtigten durch die Krankenkassen nach §264 Abs. 1 SGB V, vom 24.03.2014, S. 9. 11 Vgl. ebenda, S. 7. 12 Nach Auffassung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist „die Gesundheitskarte nach dem Bremer Modell unverzichtbar.“ Die landesweite Einführung von Chipkarten nach dem „Bremer Modell“ ist bereits in Niedersachsen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in der parlamentarischen Debatte angelangt. Medienberichte n zufolge prüft derzeit eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern einen möglichen Gesetzesentwurf für den Bundesrat. 2


diz dafür, dass eine wachsende Zahl von Menschen auch diese Parteien inklusive der LINKE zum politischen Establishment zählt, von ihnen keine wirklichen Veränderungen erwartet, ihnen nichts zutraut. Das kritische Potential verlor sich mehr und mehr im Lager der WahlverweigerInnen. Leider schrillten deshalb bei der LINKE die Alarmglocken nicht laut genug. Sie begnügte sich damit, Verluste im Prozentbereich zu bagatellisieren und verschloss die Augen vor den beträchtlichen Stimmverlusten. Die „kritische Masse“ in der Gesellschaft überließ man sich selbst, wobei sich jetzt herausstellt, dass das nicht wirklich stimmt. Man hat das gesellschaftliche Kritikpotential vielmehr schleichend rechten alltagskulturellen Verführungen überlassen, die von

04/2015 Sachsens Linke!

Strategiedebatte

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bestimmten Medien ausgehen und die im Alltag von verbreitetem Lebensgefühl anscheinend bestätigt werden. DIE LINKE hat den Fehler gemacht, zu meinen, wenn man die Wahrheit über das Land nur deutlich ausspricht, hätte man die „kritische Masse“ auch schon auf seiner Seite. Das ist aber nicht so! Die „Verwandlung“ von alltäglicher Erfahrung in politische Standpunkte und politisches Verhalten verläuft wesentlich komplizierter. Pegida ist auch eine Niederlage der LINKEN, die der Missachtung dieser Tatsache entspringt. Zwar wusste schon Friedrich Engels, dass die Theorie erst dann zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. Statt sich aber darum zu bemühen, dass es auch wirklich so wird, ersparte

man sich das in der Geschichte zumindest der kommunistischen Arbeiterbewegung zu oft im Vertrauen in die historische Mission der Arbeiterklasse und daraus abgeleiteter Legalität von Zwang. Im Ernstfall siegten meist praktisches Diktat und Indoktrination mittels nicht weiter zu hinterfragender Behauptungen über politische Bildung, über diskursive Überzeugungsarbeit. Wir LINKE setzen dem Jammern über Manipulation der Massen aber keine ausreichende Analyse von Wirkungsfaktoren in politischer Kommunikation im weitesten Sinn (es gehört auch sehr viel Alltagskommunikation dazu) entgegen, sondern begnügen uns damit, den Erfolg, der der Macht und den Machtinstrumenten der Manipulation zugeschrieben wird, schlecht zu reden.

Wir kreisen damit in einem circulus vitiosus, den wir weitestgehend selbst zu verantworten haben und aus dem wir uns nur selbst befreien können. Den „Heimatsender“ einfach nur besch...euert zu finden, oder die Umbenennung von „Bild“ in „Blöd“, wird uns allein nicht zum Ziel bringen. Strategie ist „ein genauer Plan, der dazu dient, ein ... Ziel zu erreichen, und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht“ (DUDEN Universalwörterbuch). Es ist unser Ziel eine Strategie zur Erreichung einer Gesellschaft der Solidarität, der Gleichstellung von Verschiedenen, der sozialen Sicherheit und sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie, des Friedens. Der Weg zu dieser Gesellschaft darf

sich inhaltlich nicht vom Ziel unterscheiden, um der Glaubhaftigkeit des Zieles willen. Das heißt, der Weg ist nur in Übereinstimmung mit der Gesellschaft oder wenigstens mit einer großen Mehrheit der Gesellschaft zu gehen. Das zu verwirklichen, braucht mit Sicherheit auch eine Strategie der politischen Kommunikation unter Beachtung aller Einflussfaktoren. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass alle klugen Gedanken, die wir in der Strategiedebatte zu erwarten haben, letztendlich in die Gesellschaft hinein verständlich und akzeptabel kommunizierbar sein müssen. Die Realisierung dieser Aufgabe verlangt theoretischen Vorlauf, systematische Analyse, Konzeptbildung und praktische Umsetzung. Peter Porsch

2020 – Projekt für eine neue soziale Idee 2020 wird die Gesellschaft weiter gespalten sein: in Einkommensstarke und -schwache, Arbeitnehmer und Erwerbslose, Facharbeiter, die gut qualifizierte, hoch entlohnte Arbeitsplätze erobert haben, und Menschen, die in prekären, niedrig qualifizierten Jobs arbeiten müssen, Lohnabhängige und die Besitzer der Produktionsmittel. Wie kann vor diesem Hintergrund ein Projekt einer progressiven LINKEN im Jahr 2020 aussehen? 1. DIE LINKE als Kämpferin gegen soziale Demütigungen. Erwerbslos zu sein heißt für viele, wehrlos zu sein gegenüber Demütigungen von Sozialbehörden. Vor diesem Hintergrund wird die Forderung nach einer sozialen Grundsicherung aktuell, die sich bei 550 € und einem Mietzuschuss von 250 € bewegen könnte. Sanktionen und Leistungskürzungen müssen der Vergangenheit angehören, Bürgerarbeit und Öffentlich geförderter Beschäftigungssektor sind auszubauen, ehrenamtliche Tätigkeit besser zu honorieren. Für Erwerbslose gelten ein Qualifikationsschutz und ein Mindestlohn bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit und der Anspruch auf eine würdevolle Behandlung durch die Behörden. Die Klagemöglichkeiten gegen die Sozialbehörden werden ausgeweitet, die Kriterien für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ausgeweitet. Der Pfändungsfreibetrag wird um 150 € erhöht, das Verfahren zur Privatinsolvenz auf drei Jahre verkürzt. 2. DIE LINKE als Projekt für gute Arbeit und gute Löhne gegen Prekarisierung. Es muss gelten: Arbeit – in der „alten“ Industrie oder der digitalen Wirtschaft 2.0 – muss sich lohnen!

Deshalb ist die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 € je Std. 2020 aktuell. Der Kampf der „arbeitenden Mitte“ um faire Arbeitsverträge, bessere Arbeitsbedingungen und gute Arbeit zu guten Löhnen wird von uns unterstützt. Der Prekarisierung wird der Kampf angesagt. Zeitarbeit auf der Basis der Arbeitnehmerüberlassung an Dritte, Werkverträge usw. sind auf ein Mindestmaß zurückzudrängen oder abzuschaffen. Eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 33-Stunden-Woche erscheint realistisch. 3. DIE LINKE nimmt Abstiegsängste der Mittelschicht ernst, erwartet von ihr aber ein Mindestmaß an Solidarität gegenüber den Ausgeschlossenen. Vor diesem Hintergrund erklären wir die Unantastbarkeit von errungenen Rentenanwartschaften mit Riester- und Rürup-Verträgen, auch bei „Sturz“ in das ALG-I/II-System. Notwendig sind eine Ausweitung des Schonvermögens bei Bezug von ALG II und die Ausweitung des ALG-I-Bezugs bei 12 Monaten Erwerbstätigkeit innerhalb der letzten 24 Monate. Es sollte über eine Ausweitung der Leistungen der Arbeitslosen-/der Künstlersozialversicherung diskutiert werden. Das Ehegattensplitting gehört abgeschafft. 4. DIE LINKE als Partei einer sozialistischen Marktwirtschaft steht für ein sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaften. Privatvermögen bis X gelten als geschützt, wenn dies mit sozialer Verantwortung der Betreffenden gepaart ist. Wir setzen uns für eine (maßvolle) Umverteilung, gegen horrende Managergehälter und Boni. DIE LINKE ist nicht wirtschaftsfeindlich, sondern fordert, die

Wirtschaftsförderung an soziale und ökologische Bedingungen zu koppeln (Mindestlohn, Begrenzung der Leiharbeit). Die Unternehmen wollen Gewinne erzielen, DIE LINKE will gute Arbeitsplätze – wo beides zu verbinden ist, können wir uns treffen. Betriebsvermögen sollen steuerlich besser gestellt werden als Privatvermögen. Die Genehmigungspraxis wird beschleunigt und entbürokratisiert. Die Bildung von Technologie- und Unternehmensgründungszentren wird gefördert. Unsere Hoffnungen

gung in den ländlichen Räumen. Ziel bleibt die Sicherung der Daseinsvorsorge in den ländlichen Räumen durch die Einrichtungen von Ärztezentren in den (Verbund-)Gemeinden, die Förderung der Niederlassung von Ärzten durch Zuschüsse und die Erhöhung der Zahl der Medizinstudenten. 6. DIE LINKE als Kämpferin für die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft. Der ökologische Wandel der Industriegesellschaft ist für uns mehr als die Steigerung der Energieeffizienz. Wir streiten für

für die Zukunft ruhen nicht in großen Ansiedlungen, sondern in der digitalen Wirtschaft. Innovative Unternehmensgründungen sollen gefördert werden, z. B. mit Beteiligung- und Wagniskapital, Lotsen- und Gründerzentren. Der Entstehung eines Wissensprekariats ist entgegenzuwirken. ÖPP-/ PPP-Ansätze sollten im Einzelfall geprüft werden. 5. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels fordern wir die bessere Entlohnung der Pflegeberufe, die Auflage von Forschungsprojekten zum demografischen Wandel und den Ausbau der Breitbandversor-

den beschleunigten Ausstieg aus der Atom- und Kohlewirtschaft, die Förderung der erneuerbaren Energien und den Ausbau der Stromtrassen. Dazu sollen die Erforschung von Energie- und Umwelttechnologien gefördert werden. DIE LINKE möchte den Übergang in ein „kohlenstoffarmes Zeitalter“ mitgestalten und betrachtet kommunale Stadtwerke als Voraussetzung für eine dezentrale Energieversorgung. 7. DIE LINKE bleibt die politische Sozialversicherung. Der steuerliche Zuschuss zu den Sozialversicherungssystemen wird erhöht, die Leistungen der

Arbeitslosenversicherung erweitert, die Rente ab 65 über die Einführung einer Bürgerversicherung wieder hergestellt. Das Netz der Kindertagesstätten wird ausgebaut, ein kostenloses (kostengünstiges) Mittagessen angeboten und die Einrichtung von Ganztagsschulen forciert. Damit Wohnen ein soziales Gut bleibt, fordern wir eine Mietpreisbremse, den Ausbau des städtischen (sozialen) Wohnungsbaus und die Erhaltung des Anteils an kommunalen Wohnungen. 8. DIE LINKE als Fördererin einer Willkommenskultur. Integrationspolitik heißt, alles für die Verbesserung der Sprachkenntnisse sowie die Gesundheitsversorgung der Migranten und ihre soziale und politische Teilhabe zu sorgen. Asylverfahren sind zeitlich zu straffen. Unser Ziel ist die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. Wir wenden uns an - Erwerbslose, die sich gegen Demütigungen und schlechte Erwerbsbedingungen wehren möchten - Arbeitnehmer mit schlechter Entlohnung und eine „breite Arbeitnehmermitte“ - Idealisten und Querdenker - Menschen mit Abstiegsängsten, die Anspruch auf Anwartschaften und Standards haben, und - geistige, künstlerische und wirtschaftliche Eliten, die nicht „verbohrt“, sondern solidarisch sind und mit uns über ein solidarisches Leben und Wirtschaften sprechen möchten. Andreas Willnow Diese und viele weitere Beiträge zur Strategiedebatte finden sich ungekürzt unter www.dielinke-sachsen.de/ strategiedebatte


Sachsens Linke! 04/2015

Jugend

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„Kämpfe vereinen!“ – Demonstration zum Frauen*kampftag Der internationale Frauentag wird nun seit dem frühen 20. Jahrhundert jährlich gefeiert, traditionell werden an diesem Tag Nelken an Frauen* verteilt.

schen Kampftag werden zu lassen, der weltweit für Selbstbestimmung der Frau* eintritt. Dieses Jahr sollte neben Berlin bundesweit dezen-

Diskriminierungen zu kritisieren. Obwohl die Mobilisierung relativ kurzfristig lief, kamen letztendlich doch fast tausend

men uns sehr positiv. Sie haben eine bunte und vielseitige Demonstration geschaffen. Auf den unterschiedlichen Kundgebungen wurde unter an-

Redebeitrag zur kurdischen Frauenbewegung. Außerdem wurde der christlich-fundamentalistische Schweigemarsch durch Annaberg-Buchholz thematisiert. Dieser soll am 1. Juni stattfinden und gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau über den eigenen Körper gerichtet sein. Der Gegenprotest dazu ist bereits in Planung: www.schweigemarsch-stoppen.de Weitere Informationen rund um den Frauen*Kampftag in Leipzig findet ihr auf 8maerzleipzig. blogsport.eu Corinna Böhme

Termine 10.04.2015 - 11.04.2015, Leipzig: Stadtjugendtag der linksjugend Leipzig

Außer Blumen wurde Informationsmaterial von der Linksjugend [‘solid] und der LINKEN verteilt. Ein Novum allerdings ist, dass es neben Material und Blumen dieses Jahr auch eine Frauen*Kampftagsdemons­tration in Leipzig gab. Letztes Jahr fand die Demo in dieser Form zum ersten Mal in Berlin statt, wozu bundesweit mobilisiert wurde. Die Idee dahinter ist, aus dem internationalen Frauentag wieder einen politi-

tral demonstriert werden, und so lud das Leipziger Frauen*Kampftagsbündnis, das aus verschiedenen feministischen Bündnissen aus Leipzig bestand, zu einer eigenen Demonstration nach Leipzig ein. Der Protest lief unter dem Motto „Kämpfe vereinen! Für eine revolutionär-feministische Perspektive! Gegen Sexismus und Patriarchat!“ und hatte das Ziel, feministische Themen mehr in die Öffentlichkeit zu rücken und

Menschen und liefen inklusive Zwischenkundgebungen am Augustus- und Wilhelm-Leuschner- Platz vom Clara-Zetkin-Denkmal zum Südplatz. Das ist ein großer Erfolg. Feminismus und feministische Gesellschaftskritik scheint für viele Menschen ein großes Anliegen zu sein. Er scheint, wenn das auch oft verleugnet, nicht veraltet zu sein. Der große Zulauf und die unterschiedlichsten Teilnehmer_innen und Gruppen stim-

derem zum Thema Intersektionalität (also Geschlechterdiskriminierung in der Verbindung mit anderen Diskriminierungen wie Rassismus und Transphobie) gesprochen. Natürlichen wurden auch andere Themen angesprochen (zum Beispiel Gewalt gegen Frauen*, Sexismus und Antifeminismus in der linken Szene und die fehlende Wertschätzung der Arbeit von Frauen* in der Haus- und CareArbeit), ebenfalls gab es einen

Israels Regierung bleibt konservativ Es war eine große Chance für die neu gegründete Zionistische Union, bestehend aus wichtigsten Gegenspielern von Benjamin Netanjahu, der Ha‘Tuna unter der Führung der ehemaligen Außenministerin Tzipi Livni und der Arbeiterpartei Ha‘Awoda, der Jitzchak Herzog vorsteht. Gegründet wurde der Zusammenschluss im Dezember 2014, um eine realistische Alternative zum konservativen Regierungsbündnis zu bieten. Man versuchte dabei vor allem innenpolitische, insbesondere soziale Problemen anzusprechen und sich nicht wie in den Wahlkämpfen davor auf die Außenpolitik zu konzentrieren. Schon seit den Sozialprotesten im Jahre 2011/2012 rückt die Frage nach dem gesellschaftlichen Wohlstand wahrnehmbar in den Vordergrund. Die Differenz zwischen den Vermögenden und jenen Menschen, die prekär arbeiten und wohnen, ist deutlich spürbar und verschärft sich zunehmend. Der seit 2013 durchgesetzte Sparkurs, bei dem man sich beispielsweise auf höhere Mehrwert- und Einkommens-

steuersätze sowie Kürzungen des Kindergeldes um etwa die Hälfte einigte, tut sein Übriges. Auf dieser Basis konnte auch in der Gesellschaft das Bedürfnis nach einem Regierungswechsel entstehen. Es schien lange Zeit wahrscheinlich, dass die Zionistische Union die regierende Likud ablösen würde. Dies könnte auch einer der Gründe für Netanjahu gewesen sein, die Strategie am Ende des Wahlkampfs anzupassen. Denn die Fokussierung auf soziale Fragen, bei denen Likud vor allem neoliberale Antworten vorweisen konnte, wich kurz vor den Wahlen und wurde durch den Sicherheitsaspekt verdrängt. In den letzten Umfragen wurde deutlich, dass für viele Menschen das Sicherheitsbedürfnis des Landes ebenso enorm wichtig ist wie die Frage nach Terrorschutz, bei einem Vergleich sogar überwiegt. Natürlich ist dieses Bedürfnis nicht konstruiert, denn der individuelle Terror, sei er physisch und psychisch, ist real, und die Raketenbeschüsse durch Terrororganisationen

wie Hamas, Hisbollah oder ISIS auch. Dass es Netanjahu mit dieser Strategie erneut gelang, das Vertrauen der Mehrheit zu erhalten, liegt aber nicht nur an seiner Fähigkeit, ein stetiges inneres und äußeres Bedrohungsszenario zu betonen und damit grundlegende nationale Existenzbedürfnisse zu aktivieren. Selbstkritisch beleuchtet der linksliberale Philosoph Carlo Strenger die gemäßigten und linken Kräften im Land. Man habe nach seiner Ansicht „die Kraft verloren, (...) den Wählern das Gefühl zu geben, dass sie fähig sind, die Freiheit zu verteidigen“ und auf die reale Bedrohungen schlüssige Antworten zu geben, wie er in einem Interview darstellte. Dies habe die Menschen verunsichert und führte so zu dem entsprechenden Wahlverhalten. Eine rechnerische Mehrheit aus gemäßigten und linken Kräften mit der Zionistischen Union, Jesch Atid, Meretz, Kulanu und der Vereinigten Arabische Liste wäre möglich. Aus diesem großen Querschnitt allerdings eine

stabile Regierung zu bilden, ist bisweilen schwierig. Denn die Parteien trennt bislang mehr als sie verbindet. Der israelische Präsident Reuven Rivlin, der sich in seiner Funktion mit allen gewählten Parteien berät und deren Empfehlung des zukünftigen Ministerpräsidenten erfragt, erteilt am Ende jener Partei den Auftrag zur Regierungsbildung, der die besten Chancen auf eine stabile Koalition eingeräumt werden. Rivlin plädierte zunächst für eine große Koalition zwischen Likud und der Zionistischen Union. Dies schlossen beide Seiten jedoch aus. Somit ging der Auftrag an die seit neun Jahren federführende Likud. Demnach wird Israel mit aller Wahrscheinlichkeit auch in den kommenden Jahren von konservativen und rechten Kräften regiert. Likuds Partner sind Israel Bejtenu, Ha‘Beit Ha‘Jehudi, Schas, Jahadut Ha‘Torah sowie Kulanu, die insgesamt 67 der 120 Sitze auf sich vereinigen. Die ersten Koalitionsverhandlungen blieben jedoch bisweilen ergebnislos. Christin Löschner

11.04.2015 - 12:00 Uhr, Leipzig: Sitzung des Beauftragtenrates im linXXnet 17.04.2015 – 19.04.2015, Erfurt: Bundeskongress der linksjugend [´solid] 10.05.2015 - 12:00 Uhr, Dresden: Sitzung des Beauftragtenrates in der WahlFabrik 17.05.2015, Weltweit: Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie 22.05.2015 – 25.05.2015, Doksy: Pfingstcamp 01.06.2015, Annaberg-Buchholz: Gegendemo zum „Marsch für das Leben“ 06.06.2015, Dresden: Demo & Straßenfest des Christopher Street Day 17.06.2015 - 08:00 Uhr, Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Oswiecim 26.06.2015 – 18:00 Uhr, Dresden: gemeinsame Sitzung des Beauftragtenrates mit dem geschäftsführenden Landesvorstand 27.06.2015 – 12:00 Uhr, Dresden: Sitzung des Beauftragtenrates in der Wahlfabrik 04.07.2015, Pirna: Christopher Street Day 18.07.2015, Leipzig: Demo & Straßenfest des Christopher Street Day 25.07.2015, Leipzig: Sitzung des Beauftragtenrates Weitere Infos gibt‘s wie immer unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

04/2015 Sachsens Linke!

„Im Auge“ – Washington II Ich war zum zweiten Mal in Washington, in gleicher Sache, der freiheitsberaubenden Massenausspähung von Europäern durch die NSA. Wie 2013 trafen wir als EP-Delegation des Innenausschusses verschiedene Ministerien, für Justiz, für Handel, für Finanzen, diverse Vertreter von Instituten und hochrangige Offiziere der Sicherheitsdienste, Kongressabgeordnete und Senatoren. Wie zerrissen das Land ist, zeigten zwei völlig gegensätzliche Tendenzen. Zum einen ist es tatsächlich dem Druck insbesondere der EU-Parlamentarier zu verdanken, dass jetzt – übrigens auch zum zweiten Mal – eine Gesetzesvorlage in die Pipeline gekommen ist, nach der US-Amerikaner und Nicht-US-Amerikaner rechtlich gleichgestellt werden sollen. Dieser Grundsatz, der im europäischen Recht seit langem verankert ist, soll nun nachgeholt werden. Auf diese Weise wird es einfacher, sich rechtlich zu wehren, wenn man in den USA Widerspruch gegen die polizeiliche oder eine andere Praxis einlegen will. So soll es künftig möglich sein, dass personenbezogene Daten von Europäern einen Schutz nach US-Recht erhalten können. Das ist zweifelsohne ein Fortschritt, der sich auch im Grundlagengesetz „Bill of Freedom Rights“ niederschlagen soll. Dazu laufen jetzt die Verhandlungen in Senat und Repräsentan-

tenhaus. Ganz klar ist, dass Edward Snowdens Enthüllungen dazu wesentlich beigetragen haben. Auch soll die pauschale Massenüberwachung von Allem und Jedem durch die Geheimdienste in dieser Form nicht mehr möglich sein, das wird zumindest behauptet. Eine Reform der Geheimdienste soll dazu dienen, Zweckbestimmung und Löschvorschriften zu konkretisieren. Spannender sind die scheunentorgroßen Ausnahmeregelungen, die pauschale Massendatensammlung und -verarbeitung weiterhin erlauben. Auch mehr Kontrolle soll es geben. Das sind einige beachtliche Schritte nach vorn, die auf Druck des Präsidenten und gegen den Widerstand der Geheimdienste auf den Weg kommen sollen. Zum anderen ist aus dem einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein sichtbarer Hochsicherheitstrakt geworden. Obwohl wir eine offizielle und natürlich angemeldete Delegation des Europaparlamentes waren, wurden wir überall den peinlichsten Kontrollen unterzogen. Im Flughafen zwang man mich, als ich den offiziellen Ausgang suchte, alle Fingerabdrücke abzugeben, danach wurde mein Pass kopiert, später musste ich durch eine Körperscanner-Schleuse, vorher wurde mein Gepäck durchwühlt. Alles mit vorgehaltener Waffe. So ging es im Grunde überall zu. Den Tiefpunkt erlebten wir im US-Finanzministerium, vor dem wir uns wie Verdächtige links aufzustellen hatten. Unsere Ausweise

wurden kopiert. Im Haus ging es dann mit Kontrollen von Taschen und Jacken weiter, Wasserflaschen durften nicht mitgenommen werden. Wie weit die Überwachung fortgeschritten ist, begriffen wir im National Security Center, in dem alle Daten über Fluggäste und in die USA Einreisende gesammelt und verarbeitet werden. Dieses Center, „das Auge“, kontrolliert sämtliche Passagierdaten zur

Es werden weltweit 280.000 Flüge im Jahr erfasst. Etwa 20 Personen werden pro Tag „aufgefischt“ und an Behörden gemeldet. Die Rate rechtskräftig verurteilter Personen wurde uns allerdings vorenthalten, weil das National Security Center damit nichts zu tun hat. Die Beamten erhalten bei „Treffern“ auf ihr Blackberry Infos von Behörden geschickt. Es gibt das so genannte Echtzeit-Screening.

Ein- und Ausreise in die USA. An 300 Kontrollflughäfen der Welt stehen US-Beamte, wie z. B. auch in Frankfurt/Main (Sie machen 40 % des gesamten US-Flughafenpersonals aus). Es erfolgt ein umfangreiches Datenscreening: vom Beantragen des Visums über die Buchung von Flügen, die Flüge selbst, Ankunft und Verlauf des Besuches in den USA bis hin zur Ausreise.

Danach kommt die Analyse der Daten. Diese Daten werden gekoppelt an Infos der Geheimdienste. Die automatisierten Systeme liefern Daten, die dann durch Beamte analysiert werden. Es gibt sogar eine Kommission für die Prüfung von Verletzungen der Privatsphäre. Es werden ESTA/VISA-Daten, Fluggastdaten und die APISDaten zusammengeführt.

Bild: flickr.com/BruceSterling

Zweite Reise mit dem LIBEAusschuss nach Washington (16. – 19. März)

Weitergehende Kontaktdaten werden aufgerufen, wenn jemand in den Verdächtigenkreis gerät: Adressen, Telefonnummern, Hoteladressen, Restaurants und Reiseagenturen. Alle drei Monate werden aus Sicherheitsgründen neue Zielfindungsregeln ausgegeben. Alle ermittelten Daten werden an das Homeland Security Ministerium übermittelt. Dort wird geklärt, wer „verdächtig“ oder „unverdächtig“ ist. Falls jemand verdächtig ist, wird er „aus dem Verkehr gezogen“, erhält ein Flugverbot und kann nicht in die USA einreisen. Die Ermittlungen durch die Polizei erfolgen danach. Das ist nur ein System der Überwachung in den USA. Grundprinzip ist immer, dass die Gefahr von Nichtamerikanern ausgeht. Das prägt auch ein entsprechendes Sicherheitsdenken. Man spürt auch bei den Beamten den Druck, der dann weitergegeben wird. Dieser „Sicherheitswahn“ durchzieht alle behördlichen Vorgänge, prägt Denken und Handlungsmuster der Akteure. Dies zeigt ein weiteres Mal, welche Rolle Daten und Datenerfassung in der Gesellschaft spielen. Daten sind nachhaltig, erweiterbar und kombinierbar. Sie und insbesondere ihre Verwendung bestimmen die Gesellschaft in immer größerem Umfang. Und so steht die Frage, welche Freiheit die Bürgerin und der Bürger in Zukunft haben kann und soll, wie frei er agieren kann und in welchem Umfang es noch Privatheit gibt. Cornelia Ernst

Energieunion – Chance für Erneuerbare Energien? Die Klima- und Energiepolitik befindet sich derzeit in der entscheidenden Phase. Im Dezember 2015 soll in Paris auf der UN-Klimakonferenz ein neues internationales Klimaabkommen abgeschlossen werden, um die Reduktion von Treibhausgasen zum Schutz des Klimas vereinbaren zu können. Im Februar hat die Europäische Kommission ihre Mitteilung zur Energieunion vorgelegt und ist damit einer der Prioritäten von Kommissionspräsident Juncker nachgekommen. Die Diskussion über die klimapolitischen Ambitionen ist natürlich von unterschiedlichsten Interessen geprägt, und sie ist von der Diskussion über die Energieunion nicht zu trennen, die sich auch im Industrieausschuss des Europaparlaments abspielt. Einige Interessenver-

treter der Industrie versuchen zu argumentieren, der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten sei doch ausreichend für den Klimaschutz und man müsse die Erneuerbaren Energien nicht weiter fördern. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Ganz abgesehen davon, dass die Verpflichtung der Industrie, für den Ausstoß von CO2 Zertifikate käuflich zu erwerben, ein Witz ist, wenn man sich anschaut, wie billig die CO2-Zertifikate derzeit sind: Für fünf bis sechs Euro darf man eine Tonne CO2 (oder vergleichbare Treibhausgase) in die Luft blasen. Damit ist natürlich kein Klimaschutz zu erreichen, denn diese Zertifikate sind viel zu billig, als dass sie die Industrie veranlassen würden, vermehrt auf CO2-arme Technologien zu setzen. Solch ein Zertifikat müsste mindes-

tens 70 Euro kosten, um neue Anschaffungen von CO2-armen Technologien zu erzwingen. Die Europäische Kommission hat eine Reform des Zertifikatehandels vorgeschlagen, und je nachdem, wie diese ausgehen, können kleine Verbesserungen erreicht werden. Aber eigentlich müsste dieses System grundsätzlich überarbeitet oder sogar ein Mindestpreis für eine Tonne CO2 eingeführt werden. Aber es geht nicht nur um Klimaschutz. Es geht auch darum, in der EU den Wechsel zu Erneuerbaren Energien zu schaffen. Deutschland ist hier ein gutes Vorbild, andere Mitgliedstaaten sind beim Ausbau der Erneuerbaren noch lange nicht soweit. Oder sie machen sogar Rückschritte, wie Spanien, das eine sog. „Sonnensteuer“ einführen

will: Die konservative Regierung möchte Gebühren für selbsterzeugten Strom einführen, die so hoch sind, dass sich der Betrieb einer privaten Photovoltaik-Anlage für den Eigenverbrauch im Grunde nicht mehr lohnt. Die Pläne der Europäischen Kommission zur Schaffung einer Energieunion atmen leider den Geist fossiler Brennstoffe: sehr viel Öl, sehr viel Gas, sehr viel Kohle kommen darin vor. Es sollen Milliarden in den Bau von neuen Gas-Pipelines gesteckt werden, um unabhängig von russischem Gas zu werden. Diese Investitionsentscheidungen werden uns für die nächsten Jahrzehnte an das Gas binden, obwohl wir dringend den Ausbau von Erneuerbaren Energien brauchen und der Verbrauch von Gas in den nächsten Jahrzehn-

ten sinken wird. Wir brauchen stattdessen einen intelligenten Ausbau der Netze, der eine verstärkte Einspeisung von Erneuerbaren Energien ermöglicht, und mehr Investitionen in die Forschung, um auch die Speicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen zu ermöglichen. Wir können keine Kürzung des europäischen Forschungsprogramms Horizon 2020 hinnehmen, denn hier werden wichtige Grundlagen für die Weiterentwicklung von Technologien gelegt. Cornelia Ernst, Manuela Kropp


Sachsens Linke! 04/2015

DIE LINKE im Bundestag

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Warum wir zugestimmt haben Seit Ende Januar haben die Griechen eine neue Regierung. Eine linke Regierung, die angetreten ist, endlich Schluss zu machen mit einer Politik, die wenigen nützt, aber vielen schadet. Weit über Griechenland hinaus setzen die Menschen – insbesondere in den südeuropäischen Staaten –große Hoffnung in das Gelingen dieses Projekts. Würde Syriza scheitern, stünden auch die Chancen für Podemos in Spanien schlecht und für andere linke Gruppierungen, die angetreten sind, nicht nur ihre Staaten, sondern auch Europa gerechter zu machen.

gebracht, in dem er feststellte, dass man die Rettungsmilliarden ehrlicherweise lieber gleich an die Banken überwiesen hätte, aber durch den Umweg über Griechenland habe das Geld „wenigstens einmal die Sonne gesehen“. Athen soll Zeit gewinnen Wir als LINKE haben die bisherige „Rettungspolitik“ der Troika immer kritisiert. Von dieser Kritik gibt es auch nichts zurückzunehmen. Aber die Lage hat sich durch den

Regierungsantritt von Syriza geändert. Endlich gibt es eine Regierung in Athen, die nicht mit der alten Elite und deren Interessen verbunden ist. Syriza will einen Politikwechsel. Aber das, was in den letzten Jahrzehnten falsch gelaufen ist, lässt sich nicht innerhalb von acht Wochen reformieren. Die neue griechische Regierung braucht Zeit, um insbesondere ein gerechtes Steuersystem samt ordentlicher staatlicher Finanzverwaltung auf den Weg zu bringen.

Solidarität mit Syriza Nach der Parlamentswahl und dem überzeugenden Wahlsieg von Syriza gab es zahlreiche Solidaritäts- und Unterstützungsbekundungen seitens der europäischen Linksparteien. Bei der Abstimmung über die Verlängerung des EU-Hilfsprogrammes am 27.02. im Deutschen Bundestag sahen wir uns in der Pflicht, den Worten nun auch Taten folgen zu lassen. Premierminister Alexis Tsipras und die Syriza hatten die LINKE im Deutschen Bun-

Bilanz der bisherigen Rettungsprogramme

Bild: wpopp / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Steigende Arbeitslosigkeit, besonders unter jungen Menschen, Kürzungen von Renten und beim Mindestlohn, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Anstieg der Selbstmordrate und der Kindersterblichkeit, Rückgang des Bruttoinlandsproduktes – die Mehrheit der Menschen in Griechenland zahlt einen hohen Preis für die Rettung vor allem deutscher und französischer Banken, die Griechenland bis 2009 großzügig mit Krediten versorgten. Der Kabarettist Max Uthoff hat die bisherige Rettungspolitik auf den Punkt

destag gebeten, der Verlängerung zuzustimmen. Dieser konkreten Bitte um Solidarität wollten wir uns nicht verweigern. Denn wir wollen, dass die linke Regierung in Athen ihre Wahlversprechen umsetzen kann. Nur wenn Syriza Erfolg hat und als glaubwürdig wahrgenommen wird, stehen die Chancen für einen linken Politikwechsel in Europa gut. Änderungen in der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik DIE LINKE hatte von Anfang an darauf hingewiesen, dass man keine einheitliche Währung einführen kann, ohne gemeinsame Standards in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu schaffen. Diese Standards dürfen aber nicht von den neoliberalen Kräften gesetzt werden, sondern von linker Seite. Die bisherige vor allem von Deutschland forcierte Sparpolitik hat sich als Fehler erwiesen. Ein Blick auf die gesellschaftliche Realität E in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland hilft. Leider glaubt die Mehrheit des Bundestages noch immer, dass Menschen mehr ausgeben, wenn sie weniger Geld in der Tasche haben. Nicht nur die schwäbische Hausfrau erkennt den Fehler in dieser „Logik“. Susanna Karawanskij, Dr. Axel Troost

Maßnahmenkatalog gegen Missstände in Jobcentern nötig irrationaler Druck ausgeübt wird“. Auf Initiative der LINKEN beschäftigte sich am 25. März der Ausschuss für Arbeit und Soziales mit dem Thema. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für

Nürnberg und das Ministerium von der Realität entfernt sind. Sie sahen trotz zahlreicher Fälle und der massiven Kritik zahlreicher Personalräte kein grundsätzliches Problem im System Hartz IV und den Jobcentern.

ein Maßnahmenkatalog, der für die angesprochenen Probleme ernsthafte und nachhaltige Lösungen bietet. Das Steuerungssystem der Bundesagentur gehört auf die Tagesordnung, mehr Personal und eine Stärkung nachhal-

Arbeit, musste dort ebenso Rede und Antwort stehen wie das Arbeitsministerium in Person der Staatssekretärin Anette Kramme (SPD). Die Ergebnisse der Befragungen förderten erschreckend zu Tage, wie weit die Behörde in

Die Strategie der Regierung und Arbeitsagentur ist klar: Sie versuchen wieder, die Probleme auszusitzen. Aber zehn Jahre Hartz IV zeigen: Dieses System bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Betroffenen. Notwendig ist

tiger Fördermaßnahmen sind nötig. DIE LINKE hat im Bundestag bereits im vergangen Jahr ein Fünf-Punkte-Programm zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt. Wir wollen die Arbeitsvermittlung und

Bild: Bernd Schwabe in Hannover / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

Im März schlug ein Undercover-Bericht des Wallraff-Teams in den Jobcentern hohe Wellen. Darin wurde aufgedeckt, was Betroffenen und Kennern schon bekannt ist, aber in der Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung findet: Erwerbslose werden in sinnlose Maßnahmen gedrückt, nachhaltige Förderung findet nicht statt, selbst bei der Leistungsauszahlung hakt es oft. Zugleich leiden die Beschäftigten unter einer enormen Arbeitsbelastung, was einer verlässlichen Leistungsgewährung und guten Vermittlung entgegensteht. Noch immer gibt es keine ordentliche Personalbemessung, der offizielle Betreuungsschlüssel ist weichgespült. Das Neue an dem Wallraff-Report ist: Zunehmend artikulieren Beschäftigte ihren Unmut. Ein Brandbrief von Personalräten ist an die Presse gelangt. In diesem wird beklagt, dass es bei dem derzeitigen System im Jobcenter nur um Zahlen, nicht um die Menschen geht und „auf die Beschäftigten ein

-verwaltung vom Kopf auf die Füße stellen: Sanktionen sollen abgeschafft werden, um eine Vermittlung auf Augenhöhe zu ermöglichen. Die Arbeitsförderung soll die Stärken und Ressourcen der Erwerbslosen stärker in den Blick nehmen und auf nachhaltige Beschäftigung statt auf kurzfristige Vermittlung achten. Arbeitsagenturen und Jobcenter brauchen dafür ausreichend qualifiziertes Personal. Zudem muss die materielle Absicherung von Erwerbslosen verbessert werden. Regierung und Arbeitsagentur müssen handeln. Auf keinen Fall dürften Erwerbslose und Jobcenter-Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt werden. Sabine Zimmermann


Geschichte

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Die Blutspur der Mörder „Griechenvolk, Königsvolk, verzweifeltes Volk“ dichtete Paul Éluard am 9. Dezember 1944, „Du hast nichts mehr zu verlieren als die Freiheit, als die Liebe zur Freiheit, zur Gerechtigkeit und die unendliche Achtung vor dir selbst.“ Der französische Lyriker und Résistancekämpfer sah die noch frischen Spuren deutscher Mordorgien in Hellas, erblickte den „Tod ohne Mitleid“. Ergriffen besang er ein „verzweifeltes Volk, doch Volk der Heroen, Hungerleidervolk, hungrig nach seiner Heimat“. Wenn von Wehrmachtsverbrechen in Griechenland die Rede ist, wird zumeist das Massaker von Distomo genannt, dem am 10. Juni 1944 (Tag des Mordens auch in Oradour) 218 Dorfbewohner zum Opfer fielen. Doch es gab viele weitere Orte, in denen Deutsche ein Blutbad anrichteten, deklariert als „Vergeltung“ für Aktionen der Volksbefreiungsarmee ELAS. Zum Beispiel Kalavryta, eine Kleinstadt auf dem Peloponnes, wo am 13. Dezember 1943 die 117. Jäger-Division unter Generalmajor Le Suire 700 Einwohner ermordete. Ein halbes Jahr zuvor, am 25. Juli 1943, waren 153 Männer, Frauen und Kinder in Mousiotitsas von einem Regiment der 1. Gebirgsjägerdivision unter dem Kommando des bayerischen Oberstleutnants Salminger niedergemetzelt worden. Am 16. August 1943 massakrierten die Gebirgsjäger in Kommeno 317 Menschen. Am 3. Oktober 1943 überfiel die „Kampfgruppe Dodel“ Lyngiádes und tötete 87

Dorfbewohner; Erbarmen gab es weder für den zwei Monate alten Säugling noch den 100-jährigen Greis. Die Schlächterei wurde als „Sühne“ für den Tod des in eine Falle der Partisanen geratenen Salminger ausgegeben. Als Bundespräsident Gauck im vergangenen Jahr Lyngiádes aufsuchte, bat er um Verzeihung – das war‘s dann aber auch. Kein Wort über ungesühnte Schuld,

04/2015  Links!

Eine Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht ordnete an, dass deutsche Soldaten im widerständigen Griechenland „das Recht und die Pflicht haben, selbst gegen Frauen und Kinder alle Mittel einzusetzen“. Kein Deutscher sei „für Gewaltakte verantwortlich zu machen, weder in disziplinarischer noch in rechtlicher Hinsicht“. Daran hat man sich in der Bundesrepublik

Zwangsarbeit ins „Reich“ deportiert worden sind und vielfach dort starben. Zehntausende Griechen erlitten gleiches Los in Konzentrationslagern. 60.000 griechische Juden verschlang die „Endlösung“. Hinzu kamen ungezählte Hungertote. Der dreieinhalbjährigen deutschen Okkupation fielen über eine Million Griechen zum Opfer. Griechenland stand zunächst nicht im Fokus der deutschen Welteroberer. Hitler überließ seinem Kumpanen Mussolini das Nachbarland. Der schickte sei-

gehalten. Der Historiker Hagen Fleischer zitierte in einem Aufsatz eine deutsche Liste, die für den Zeitraum vom Juni 1943 bis September 1944 allein 25.435 getötete Griechen summierte. Er verwies sodann auf das ungewisse Schicksal der in gleicher Liste aufgeführten 25.728 griechischen Gefangenen, die zur

ne Armee am 28. Oktober 1940 los, nachdem der griechische Diktator General Metaxas die Kapitulation abgelehnt hatte; dessen Antworttelegramm bestand aus nur einem Wort: „Ochi“ (Der „Nein-Tag“ ist in Griechenland Nationalfeiertag). Obwohl zahlenmäßig überlegen, scheiterte der „Blitzkrieg“ der Italiener. Woraufhin die deut-

sche Wehrmacht am 6. April 1941 zeitgleich in Jugoslawien und Griechenland einfiel. Die Okkupationskosten, auf Hitlers Wunsch „Aufbaukosten“ genannt, mussten die Griechen selbst aufbringen; von allen deutsch besetzten Ländern hatten sie pro Kopf die höchste finanzielle Last zu tragen. Außer dem 1942 der griechischen Notenbank abgepressten Zwangskredit von über 476 Millionen Reichsmark (der trotz damaliger vertraglicher Regelung bis heute nicht zurückgezahlt wurde), ließ die deutsche Okkupationsmacht fast die gesamte landwirtschaftliche und industrielle Produktion Griechenlands ausführen und bediente sich obendrein reichlich an den Rohstoffen. Die Spedition Schenker, Tochterunternehmen der Reichsbahn, ergaunerte sich das Monopol für den Transport der Beute; angesichts des profitablen Geschäfts seinerzeit sollte auch dieses Unternehmen heute zur (Reparations-)Kasse gebeten werden. In seinem Offenen Brief an Gauck vom März 2014 zählte Manolis Glezos auf: „Bombardierungen, Massenhinrichtungen, Hungertote, Opfer von Epidemien und der Rückgang der Geburtenrate bewirkten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang von 13,7 Prozent. Gleichzeitig erlitt Griechenland eine unsagbare ökonomische Katastrophe. Archäologische Altertümer und Kunstschätze wurden gestohlen und ins Reich abtransportiert.“ Der 94-jährige ehemalige Partisan fordert von Deutschland Reue – und zwar: „Aufrichtig und mit Taten!“ Karlen Vesper / neues deutschland, 14.02.2015

Juni 1953 die seines Erachtens „dogmatische Kultur- und Medienpolitik der SED“ kritisierte, bekam dieses Bild Risse. Die Universität musste er verlassen, als Cheflektor des AufbauVerlages fand er 1954 ein neues Betätigungsfeld. Sein Chef: Walter Janka. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck des XX. Parteitages fand sich ab 1956 im Aufbau-Verlag ein kleiner Kreis zusammen, um die Möglichkeiten eines freien Sozialismus zu diskutieren. Dabei entstand unter maßgeblicher Beteiligung Harichs und Jankas das Papier der „Plattform für einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“. Statt mit diesen Anschauungen einen offenen Diskurs zu führen, wurde gegen die Autoren prozessiert. Der DDR-Klassenjustiz war das zehn Jahre Zuchthaus wert. Dank einer Amnestie wurden für Harich acht Jahre daraus. Was war, was ist aber verwerflich daran, sich Gedanken über einen besseren Sozialismus zu machen, frei von allen Geiseln

des Stalinismus, wo Freiheitsund Bürgerrechte verwirklicht sind, in dem die innerparteiliche Demokratie gestärkt, freie Parteien und Gewerkschaften zugelassen sind, in der das Individuum eine Aufwertung erfahren sollte? Das Leben von Wolfgang Harich hatte viele Facetten: Sein Eintreten für einen demokratischen Sozialismus innerhalb der Harich-Gruppe und der wwProzess, später avancierte er zu einem Pionier linker Wachstumskritik. Vorsitzender einer Alternativen Enquetekomission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit war er auch noch. In diesem Spannungsbogen lebte er. Zu Janka sollte der endgültig reißen: Während Janka schon 1990 aus der PDS austrat, trat Harich 1994 ein. Ein Jahr danach starb der linke Querdenker. Ihn weiter denken, ihn sich in kritischer Weise aneignen, darauf hat er weiter Anspruch. Denn viele Fragen, die Harich stellte, harren noch immer ihrer Antworten. René Lindenau

Das Mahnmal von Distomo. Bild: Jean Housen / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

kein Wort zu den berechtigten Entschädigungsforderungen. Nicht minder schlimm: So manche Äußerungen deutscher Politiker heute an die Adresse Athens wecken böse Assoziationen. Im April 1943 meinte Reichsaußenminister Ribbentrop, man müsse „zu brutalen Maßnahmen greifen, wenn die Griechen sich überschätzen“.

Wolfgang Harich: 1923-1995 Streitbar war er, als Theaterkritiker und als Philosoph: Wolfgang Harich. Eine harsche Kritik brachte ihm 1946 eine Ohrfeige durch die Schauspielerin Käthe Dorsch ein, während die DDR ihn 1956 direkt verhaften ließ. Was sagt uns das? Ob Theater oder Systemkritik, Kritiker haben es schwer. Dennoch – Kritik sollte erlaubt sein; konstruktiv vorgetragen, bringt sie Bewegung. Wolfgang Harichs Schuld bestand darin, in einem „Manifest über den deutschen Sozialismus, über die Demokratisierung der SED sowie über die Wiedervereinigung von links“ nachzudenken. Aber in einer sozialistischen DDR war jenes Nachdenken nicht erlaubt, stattdessen wurde ein Schauprozess angestrengt. Der Angeklagte Harich fürchtete gar die Todesstrafe. Diese Furcht ließ ihn sicher diese Bemerkung machen: „Mir ist es klar, dass der Staatssicherheit zu danken ist, dass sie also unseren Staat vor größerem Schaden bewahrt hat (…) Ich wäre nämlich nicht

mehr aufzuhalten gewesen. Ich war wie so ein durchgebranntes Pferd, das man nicht mehr durch Zurufe aufhält. Mit diesen Ideen im Kopf bin ich eben durchgegangen, und wenn sie mich nicht festgenommen hätten, dann wäre ich heute nicht reif für die zehn Jahre, die der Herr Generalstaatsanwalt beantragt hat, sondern für den Galgen. Und deshalb (…) sage ich der Staatssicherheit also dafür meinen Dank“. Ganz anders sein Mitangeklagter, Walter Janka. Ungebrochen sagte er aus: „Von meinen 43 Lebensjahren sind fast 30 Jahre (…) mit der Arbeiterklasse, mit der kommunistischen Bewegung verbunden (...) Es ist kein leeres Wort, dass ich mich lieber in Stücke reißen lasse, als dass ich Konzessionen machen würde und dem Kapitalismus jemals die Hand reichen würde.“ Das so unterschiedliche Auftreten vor Gericht und in der Haft dürfte die Ursache dafür sein, dass aus den einstigen Mitstreitern später Erzfeinde wurden. Während Janka sich in

„Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ (1990) erklärte, konterte Harich mit „Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ (1993). Aber das ist wieder ein anderes tragisches Kapitel. Harich wurde 1942 zur Wehrmacht einberufen, nach einer Bestrafung wegen „unerlaubter Entfernung von der Truppe“ entfernte er sich 1944 ganz. In Berlin untergetaucht, fand er Kontakt zu einer kommunistischen Widerstandsgruppe. Nach dem Krieg beauftragte ihn Wolfgang Leonhard mit der Organisation der Kulturarbeit in Wilmersdorf und in anderen Stadtteilen der Westsektoren. Ab 1948 hielt er an der Berliner Universität Vorlesungen in marxistischer Philosophie, 1951 promovierte er über Herder. Dem folgte die Berufung zum Professor an der Philosophischen Fakultät. Gemeinsam mit Ernst Bloch gab er ab 1953 die Deutsche Zeitschrift der Philosophie heraus. Das alles klingt zunächst nach einer bilderbuchhaften Karriere. Als Harich jedoch nach dem 17.


Links! 04/2015

Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Dresden, 8. April, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Der neue Kalte Krieg in Osteuropa Zur Einordnung des Konflikts in und um die Ukraine***. Mit Boris Krumnow, Religionswissenschaftler und politischer Bildner (Leipzig). WIR-AG, Martin-Luther-Str. 21, 01099 Dresden Leipzig, 9. April, Donnerstag, 20.00 Uhr Vortag und Diskussion: Wenn Wegschauen tötet. Zum NSUKomplex***. Mit Katharina König, MdL Thüringen (Jena). Eine Veranstaltung in Kooperation zwischen der Buchhandlung drift und der RLS Sachsen. Cineding, Karl-Heine-Straße 83, 04229 Leipzig Chemnitz, 9. April, Donnerstag, 14.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Gesundheit ist eine Ware***. Mit Dr. Nadja Rakowitz, Moderation: Christine Pastor (Chemnitz). Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. in Zusammenarbeit mit dem Seniorenpolitischen Netzwerk Chemnitz (SPN) und dem Bund der Ruheständler, Rentner und Hinterbliebenen, Landesverband Sachsen e.V., KV Chemnitz Stadtteiltreff der Volkssolidarität, Clausstraße 27, 09126 Chemnitz Chemnitz, 9. April, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Gesundheit ist eine Ware***. Mit Dr. Nadja Rakowitz, Moderation: Christine Pastor (Chemnitz). Eine Veranstaltung der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen in Kooperation mit der Volkshochschule Chemnitz Veranstaltungssaal, dasTietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 11. April, Sonnabend, 10.00-13.00 Uhr Ständiges Seminar zur Analyse politischen Kommunikation. Mit Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Ruth Geier. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Leipzig, 12. April, Sonntag, 8.00 Uhr Exkursion: 70 Jahre Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald***. Mit einem Kurzreferat von Vertreter_innen der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig zu den Außenlagern des KZ Buchenwald in Leipzig und Umgebung und einer Führung zu Bruno Apitz in der Gedenkstätte mit Dr. Lars Förster, Historiker (Chemnitz). Eine gemeinsame Veranstaltung der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, VVN/ BdA Leipzig, der Initiative Geschichte vermitteln und der RLS Sachsen. Treffpunkt: Ostseite Hauptbahnhof, Leipzig Das KZ Buchenwald war eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Allein in Leipzig existierten 6 Außenlager. Vertreter_innen der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig setzen sich in einem Kurzreferat mit den Verbindungen zwischen Buchenwald und Leipzig auseinander. Einer, der das Lager überlebte und seine Erlebnisse literarisch in dem Roman „Nackt unter Wölfen“ bearbeitet, war der in Leipzig geborene Bruno Apitz. Dr. Lars Förster gibt in einem Rundgang Einblicke in das Leben und Werk von Bruno Apitz. Die Tickets kosten 10 € Teilnahmegebühr, ermäßigt 5 € und können an mehreren Orten erworben werden. Genaue Informationen unter www.sachsen.rosalux.de Leipzig, 12. April, Sonntag, 18.00 Uhr Film und Gespräch: „Enjoy the Music - Die Pianistin Edith Kraus“*** Doku, BRD 2012, Regie: Wilhelm Rösing, Marita Barthel-Rösing, 99 Min. Eine Veranstaltung der Cinémathèque Leipzig und des Ariowitschhaus e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen. Ariowitschhaus - Zentrum für Jüdische Kultur, Hinrichsenstraße 14, 04105 Leipzig Chemnitz, 14. April, Dienstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Der neue Kalte Krieg in Osteuropa Zur Einordnung des Konflikts in und um die Ukraine***. Mit BoVerleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-

ris Krumnow, Religionswissenschaftler und politischer Bildner (Leipzig). Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen in Kooperation mit dem Rothaus e.V. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 15. April, Mittwoch, 19.00 Uhr (von Februar verschoben) Vortrag und Diskussion: Das Kapital und die Verteilung im 21. Jahrhundert. Hat Piketty Recht?***. Mit Stephan Kaufmann, Wirtschaftsjournalist und Mitautor des Buches „Kapitalismus: Die ersten 200 Jahre: Thomas Pikettys ,Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ - Einführung, Debatte, Kritik“. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 15. April, Mittwoch, ab 20.00 Uhr Filme, Vortrag und Gespräch: „THE LADY IN NUMBER 6: MUSIC SAVED MY LIFE“. Dok, USA/ CAN/GB 2014, Regie: Malcom Clarke, 38 min, OmdtU. Anschließend: Vortrag von Steffen Held, Historiker und Experte für die Jüdische Geschichte Leipzigs und Diskussion. »Enjoy the Music - Die Pianistin Edith Kraus« ab 21.30 Uhr. Dok, BRD 2012, Regie: Wilhelm Rösing, Marita Barthel-Rösing, 99 Min. Eine Veranstaltung der Cinémathèque Leipzig und des Ariowitschhaus e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen. Cinémathèque in der naTo, KarlLiebknecht-Straße 46, 04275 Leipzig Leipzig, 16. April, Donnerstag, 18.00 Uhr Offener Gesprächskreis: Jour Fixe. Ein unkonventioneller Gesprächskreis. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 18. April, Sonnabend, 11.00-17.00 Uhr Symposium: Verfolgt – Bejubelt – Vergessen. Zum Leben und Werk von Bruno Apitz*** Eröffmine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

nung durch Michael Faber, Bürgermeister für Kultur der Stadt Leipzig, mit Vorträgen von Denise Görlach, Germanistin und Editionswissenschaftlerin (Heidelberg); Prof. Dr. William Niven, Historiker (Nottingham Trent University), Susanne Hantke, Herausgeberin der kommentierten Neuauflage von „Nackt unter Wölfen” (Berlin); Dr. Lars Förster, Historiker (Technische Universität Dresden); Andreas Debski, Journalist und Marlis Apitz, Witwe von Bruno Apitz (Berlin). Moderation: Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Historiker (Technische Universität Chemnitz). In Kooperation mit der Stadt Leipzig. Festsaal im Neuen Rathaus, Martin-Luther-Ring 4, 04109 Leipzig Teilnahmebeitrag: 10 €, ermäßigt 5 € (inklusive Mittagsimbiss). Um eine Anmeldung unter info@rosalux-sachsen.de oder 0341-9608531 wird gebeten. Leipzig, 19. April, Sonntag, 18.00 Uhr Konzert, Film, Vortrag und Diskussion: „THE LADY IN NUMBER 6: MUSIC SAVED MY LIFE“***. Dok. USA/CAN/GB 2014, Regie: Malcom Clarke, 38 min, OmdtU. Anschließend: Vortrag von Steffen Held, Historiker und Experte für die Jüdische Geschichte Leipzigs und Diskussion. Eine Veranstaltung der Cinémathèque Leipzig und des Ariowitschhaus e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen. Ariowitschhaus - Zentrum für Jüdische Kultur, Hinrichsenstraße 14, 04105 Leipzig Dresden, 21. April, Dienstag, 18.00 Uhr JUNGE ROSA: Perspektive Stadtentwicklung. Mit Kris Kaufmann, Stadträtin der Linksfraktion in Dresden. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 23. April, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: „die entsetzliche Kunde“ - Reaktionen auf die Ermordung Rosa Luxemburgs. Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 27.03.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 07.05.2015.

Chemnitz, 24. April, Freitag, 18.00 Uhr Vortrag mit Lesung und Musik: ,Schreib nur nicht zu gallicht und gereizt‘- zum 200. Geburtstag von Jenny Marx***. im Rahmen des Frühjahrsempfanges des Arbeitskreises Chemnitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus, RLS Sachsen und Susann Scholz-Karas, RLS Sachsen. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 24. April, Freitag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Der Euro und die Krise der EU***. Mit Joachim Bischoff, Wirtschaftswissenschaftler, Publizist und Mitherausgeber der Zeitschrift „Sozialismus“ (Hamburg). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 25. April, Sonnabend, 10.00 Uhr Kolloquium: Welcher Kapitalismus, welche Krise? Finanzmarktkapitalismus in der Diskussion***. Mit Stefanie Götze (Leipzig), Joachim Bischoff (Hamburg), Judith Dellheim (Berlin), Jürgen Leibiger (Dresden), Günther Sandleben, Wolfgang Krumbein (Göttingen), Michael Wendl (München), Dieter Janke (Leipzig). 10 € Teilnahmegebühr, ermäßigt 5 €. Weitere Informationen unter www. sachsen.rosalux.de RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 28. April, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: IslamIslamismus-Islamisches Recht: Die Konflikte um die Deutungshoheit innerhalb und außerhalb der islamischen Welt***. Mit Prof. Dr. Hans-Georg Ebert, Arabist und Jurist (Leipzig). Moderation: Dr. Monika Runge. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 30. April, Donnerstag, 18.30 Uhr ROSA L. IN GRÜNAU: Die „neuen“ Rechten***. Mit Volkmar Wölk, Publizist (Grimma). Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank


Rezensionen

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04/2015  Links!

WBS 70, EW 65: „sozialistische Lösung“? versinnbildlichte die „WBS 70“ (Wohnbauserie 1970) mit ihren 644.900 gebauten Wohneinheiten die steingewordene Seite

tonen Fassaden in den Himmel (bis 1986 in Grünau allein 5916 Wohneinheiten), „sozialistische Errungenschaften“ nannten sie

der DDR-Wohnungsbaupolitik: ob in Leipzig-Grünau, -Mockau, -Schönefeld oder -Gohlis, überall wuchsen die gleichen mono-

die einen, „Arbeiterschließfächer“ oder „Fickzellen mit Fernheizungen“ (Heiner Müller) die anderen. Man tut Wilfried Stall-

Bild: Joeb07 / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

Kaum etwas repräsentiert den Unterschied zwischen der bis 1990 zweigeteilten deutschen Baugeschichte besser als die mit großen Namen verbundenen repräsentativen Einzelbauten im Westen und die weitgehend namenlos gebliebenen Kollektiventwürfe der tausendfach ausgeführten Wohnbauserien im Osten. Der gelegentlich zum Zerrbild vereinfachten Gegenüberstellung von individuellgenialischer Baukunst auf der einen und kollektiv-mittelmäßiger „Komplexprojektierung“ auf der anderen Seite hält die über den Architekten und Möbelgestalter Wilfried Stallknecht (*1928) verfasste Lebens- und Werkgeschichte den Spiegel vor. In der an Abkürzungen nicht gerade armen DDR war es normal, die Namen der Urheber hinter den abgekürzten Objekten möglichst selten zu erwähnen oder sie gleich in vielköpfigen Kollektiven verschwinden zu lassen. Dieses Schicksal ereilte auch den aus dem sächsischen Geringswalde stammenden Architekten Wilfried Stallknecht, der in den 1960er Jahren besonders mit dem Entwurf „WBS 70“ (zusammen mit Achim Felz) das in Großtafelbauweise ausgeführte industriellen Bauen in der DDR perfektionierte. Bis Ende der 1980er Jahre

knecht allerdings Unrecht, ihn einzig auf diese Variante der Kollektivbehausung zu reduzieren. In den 1950er Jahren entwickelte er mit den Eigenheimserien „EW 54“ und „EW 58“ die unverkennbaren Grundtyp jener Einfamilienhäuser, die – vereinfachend als „EW 65“ bezeichnet – in jedem Winkel der DDR (oft in phantasievoll abgeänderter Form) gebaut wurden. Für die meisten seiner Entwürfe erarbeitete er auch Vorschläge zur Innengestaltung („Variables Wohnen“), die den Bewohnern im Nahbereich jene Individualität zurückbrachten, die sie mit der äußerlich vereinheitlichten Unterbringung aufgaben. Zwischen den gegensätzlichen Polen – vertretbarer Materialaufwand einerseits und Effektivität der Produktion andererseits –, ersann Stallknecht eine Vielzahl von wegweisenden architektonischen und wohngestalterischen Lösungen. Wie so oft entstand jedoch entweder durch die mangelhaft oder gar nicht erfolgte Umsetzung der innovativsten Ideen der Eindruck fehlender Könnerschaft innerhalb des DDR-Wohnungs- und Möbelbaus, auf den sich im Wesentlichen der problematische Ruf dieses Teils der deutschen Architekturgeschichte gründet. Sicher kann man dem Autor zustimmen, wenn er bemerkt,

dass der industrialisierte Wohnungsbau seinen herausragenden Stellenwert in der DDR nur deshalb erlangen konnte, „weil dieser Bautyp in seiner massenhaften Präsenz, der kulturlandschaftlichen Prägekraft selbst in agrarwirtschaftlich orientierten Kontexten und einer zunehmend schablonenhaften und ästhetisch fragwürdigen Gestaltungsarmut nur in Ostdeutschland als dominantes Element der Städtebaulandschaft verwirklicht wurde“ (S. 129). Blickt man jedoch über die deutschen Grenzen hinaus Richtung Osten und zieht die dortige „Prägekraft“ der „sozialistischen Lösung der Wohnungsfrage“ zu einem Vergleich heran, nimmt sich die in der DDR praktizierte Variante eher zurückhaltend, ja fast randständig aus. An Person und Werk Wilfried Stallknechts lässt sich belegen, welche anderen architektonischen oder städtebaulichen Lösungen möglich gewesen wären, wenn man deren Realisierung nur ernsthaft erwogen hätte. Dr. Michael Eckardt Harald Engler: Wilfried Stallknecht und das industrielle Bauen. Ein Architektenleben in der DDR. Berlin: Lukas-Verlag 2014, 155 S., 25 €

„Akademisierungswahn“ – Nida-Rümelin rechnet ab Julian Nida-Rümelin meldet sich zu Wort. Der Kulturstaatsminister der Schröder-FischerRegierung hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das in der edition Körber-Stiftung erschienen ist. Auf 256 Seiten analysiert Rümelin die Kursrichtung aktueller Bildungspolitik. Dabei sagt der Titel „Der Akademisierungswahn – Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung“ schon viel aus. Freilich, der aus einer Künstlerfamilie Stammende ist kein Praktiker, sondern ein Theoretiker. Das merkt man seinem Buch auch an. Es geht also nicht um den Nah-Kampf in Berufsschule und Uni, den die Lehrer oft gegen Smartphoneund soziale Netzwerksucht verlieren, sondern ums große Ganze: Insbesondere darum, dass Bildungspolitik in den Landtagen und Kommunen in Ostdeutschland nach 1989 nach Rezepten gemacht wurde, die aus den 60ern und 70ern Westdeutschlands stammten. Tatsächlich waren aber die damaligen Weichenstellungen in der alten Bundesrepublik längst obsolet und hatten sich als fehlerhaft erwiesen. Doch der Diskurs darüber hatte in der alten Bundesrepublik in den 80ern

noch nicht begonnen. So wurden die Fehler nach der Wende in Ostdeutschland wiederholt. Wir erinnern uns: Vor 1989 entsprach die Abiturientenquote in der DDR jener der Schweiz. Etwa 20 Prozent eines Jahrgangs erhielten in der DDR das Abitur. Die meisten machten zunächst ihren Facharbeiter und dann wurden sie eventuell Meister oder Fachschulingenieure – im Prinzip aber war die Gesellschaft in der DDR eine Facharbeitergesellschaft. Im Westen war die Situation 1989 eine ganz andere. Dort erhielt etwa die Hälfte der Schüler eines Jahrgangs Abitur. Während in Ostdeutschland sehr viele mit dem Facharbeiterabschluss gut leben konnten, galt der Mensch in Westdeutschland erst mit dem Hochschuloder Universitätsabschluss als „richtiger Mensch“. Die Sozialdemokraten hatten deshalb in den 70er Jahren massiv in Universitäten investiert, mit dem Ziel, dass möglichst jeder Abitur machen und studieren sollte. Dies war ein völlig anderes Verständnis von Bildung als in der DDR. Während in der DDR bis zu zehnten Klasse eine gute Allgemeinbildung für alle „geliefert“ wurde, gab es in der BRD

eine Bildungspolitik des Selektierens und Aussiebens. Wer kein Abi hatte, war auf die LoserRolle abonniert – dabei war die Berufsausbildung auch in Westdeutschland nicht schlecht. Nida-Rümelin nimmt aber keinen Ost-West-Vergleich vor, sondern schaut in die Zukunft. Wie hoch ist der Bedarf an Akademikern wirklich, und ist die akademische Bildung überhaupt das wert, was sie verspricht? Nida-Rümelin bricht in seinem Buch eine Lanze für die berufliche Bildung, denn die meisten Menschen werden wie in der Gegenwart auch in der Zukunft nicht in akademischen Berufen unterkommen – weil es diese Stellen schlicht und einfach nicht gibt. Solide ausgebildete Facharbeiter und Fachhochschulingenieure aber werden Mangelware. Der Humanist spricht aus ihm, wenn er fordert, endlich Schluss zu machen mit der Arroganz, den Hochschul- oder Universitätsabschluss über den Berufsausbildungsabschluss zu stellen. Stattdessen fordert er den Zugang zu wissenschaftlichen Inhalten in der Berufsausbildung, denn eine Berufsausbildung muss heute mehr Wert auf eine hohe Allgemeinbildung legen

– weil sämtliche Berufsbilder starkem Wandel unterliegen, der durch die Digitalisierung ausgelöst wurde. Deshalb wird über die Phase des gesamten Erwerbsarbeitslebens eine hohe geistige Beweglichkeit für alle notwendig, unabhängig vom letzten Bildungsabschluss. Entscheidungen müssen auf der Basis von Wissen getroffen werden und Arbeiter wie Ingenieure müssen in der Lage sein, die Folgen ihrer Entscheidungen abzuschätzen. Erfolgt das nicht, verschwinden komplette Stadtarchive wie in Köln in einem Schacht, weil die Bauaufsicht aufgelöst wurde und der öffentliche Dienst immer weniger seinen Aufgaben nachkommt. Was sich heute akademische Ausbildung nennt, ist nicht selten eine Mogelpackung – denn eine Verbindung von Forschung und Lehre ist oft nicht mehr gegeben, und ein Bachelorabschluss kann – muss aber noch lange nicht – ein akademischer Abschluss sein. Deshalb zweifelt Rümelin die angebliche US-Rate von 40 Prozent Akademikern stark an und kommt nach seiner Rechnung auf zehn Prozent. Rümelin prangert eine OECD-Statistik an, die Äpfel mit Birnen vergleicht und von Deutschland

ständig mehr Universitätsabsolventen erwartet. Stattdessen fordert er, die Berufs- und die Fachhochschulausbildung massiv zu stärken, so dass in Zukunft auch die klügeren Abiturienten oder Studienabbrecher eine gute und solide Berufsausbildung absolvieren werden, die sie nicht unterfordert. Gleichzeitig sollen Universitäten und Hochschulen mehr Wissen an die Gesamtbevölkerung abgeben – hier schimmert der alte URANIA-Gedanke wieder auf, der von Wissenschaftlern verlangt, ihre Kenntnisse in populärwissenschaftlicher Form unters Volk zu bringen. Das entspräche dem Humboldtschen Ideal, geschieht aber derzeit viel zu wenig. Statt einer abgehobenen „Bildungselite“ setzt der Autor auf eine Volksbildung im wahrsten Sinne des Wortes, wenn dieses Land eine Zukunft haben soll mit seiner Wirtschaft und Kultur. Kurz: Nicht weniger als ein radikaler Kurswechsel in der Bildungspolitik ist angesagt! Der Text ist nicht ganz einfach zu lesen, viele Stellen verdienen es aber, gehört zu werden. Das Buch kostet 16 Euro und ist auch als Ebook erhältlich. Ralf Richter


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Musikalische Eigenwilligkeit von Anfang an war das Markenzeichen des exzentrischen Einzelgängers J. J. Cale, des gitarrespielenden, singenden Gänsehauterzeugers, der mittels der mitreißenden und doch unaufdringlichen Dynamik seiner rauchigen Stimme einen unverwechselbaren Sound kreierte. John Walden Cale wurde am 5. Dezember 1938 in Oklahoma City geboren und verbrachte seine Kindheit in Tulsa, einer im Norden des Staates Oklahoma gelegenen Industriemetropole, die von Erdöl- und Erdgasvorkommen geprägt ist. Die Schule langweilte ihn, er wurde Liftboy in einem Hochhaus, ging für kurze Zeit zur Armee, lehnte jedoch das Waffentragen ab und verabschiedete sich bald vom Wehrdienst. Seine musikalische Laufbahn begann er schon zu Schulzeiten in kleineren Bands, bevor er Begleitmusiker von Newcomern wurde, die Elvis Presley und Fats Domino coverten. In Gains Ballroom, einem etwas anrüchigen Club, in dem schon viele berühmte Countrybands aufgetreten waren, fungierte er 1959 als Rhythmusgitarrist einer Western-Swingband, die in kitschiger Cowboytracht simple Tanzmusik spielte. Die Musik bedeutete ihm Flucht vorm grauen Alltag dieser verschmutzten Großstadt, und es war ihm damals einfach egal,

Bild: Louis Ramirez / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

J. J. Cale – Meister der unaufdringlichen Dynamik

was da auf der Bühne gespielt wurde – bis er sich entschied, 1962 gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten, darunter der Pianist und Sänger Leon Russel, nach Los Angeles zu ziehen, raus aus der Provinz! In Los Angeles konnte man von der Musik leben, ohne einen „lästigen“ Nebenjob auszuführen. Hier ging Johns Traum von Freiheit wenigstens für einige Zeit in Erfüllung. Es war der Beginn der Hippie-Kultur, man wohnte in Kommunen, leb-

te ziemlich leichtfüßig und ließ sich von der Zeit treiben. Im legendären Club „Whisky a Go Go“ nutzte Cale die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Geschickt verschmolz er in seiner Musik Blues, Jazz und Bluegrass, und wenn er über die Gesangsanlage seine markanten Songs hauchte, erreichte er bereits damals ein begeistertes Publikum, das alsbald zu einer beachtlichen Fangemeinde anwuchs. Nach irgendeiner der bis tief

in die Nacht andauernden Jam Sessions sprach ihn der Besitzer des Clubs an und empfahl ihm, sich ein Pseudonym zuzulegen, da es bereits einen nicht unbekannten Rockstar namens John Cale gebe, von jener legendären Band „Velvet Underground“ von Lou Reed, die der Allroundkünstler Andy Warhol ins Leben rief. Von diesem Zeitpunkt an nannte John sich J. J. Cale. Nach einer Episode des wilden Lebens in Los Angeles beschloss unser Aussteiger, wieder nach Tulsa zurückzukehren. Er war ziemlich verarmt und sehnte sich nach Abwechslung. Er gründete mit dem Gitarristen Don White und dem Schlagzeuger Jim Karstein sowie Christine Lakeland, die er während eines Konzerts von B. B. King kennlernte, eine Band, um nur noch eigene Songs zu produzieren. Cales Titel „After Midnight“ erlangte Weltruhm, jedoch erst, als dieser auf Eric Claptons Solo-LP von 1970 (Polydor) erschien und von „Mr. Slowhand“ höchstpersönlich gesungen wurde. Audie Ashworth, ein Produzent, der bereits einige Zeit zuvor auf J. J. Cale aufmerksam wurde, empfahl diesem, nun selbst eine Langspielplatte aufzunehmen, und John, der immer nur „Teil der Show“ war, wie er einmal erwähnte, ließ sich überreden und willigte ein. „Naturally“

hieß Cales erste LP, die 1972 auf den Markt kam. Diese Platte rockte erheblich und überraschte zugleich mit poetischen Details, die bisweilen märchenhafte Stimmungen aufkommen ließ – zumal auch das phantasievoll gestaltete Cover diese Ansprüche widerspiegelte. Das Album verkaufte sich sehr gut, weitere sollten folgen. Als Cale Mitte der Siebziger das Angebot bekam, in einer Fernsehsendung aufzutreten, sagte er nicht „Nein“ – doch als er merkte, dass es sich um eine Playback-Nummer handeln sollte, also ohne Band und nur mit Mundbewegung, lehnte er ab – mit den Worten: „Ich bin Musiker und kein Schauspieler“. Cale zog sich daraufhin zurück in die Unabhängigkeit, lebte mehrere Jahre an der Westküste in einem Wohnwagen. Zwischen 1972 und seinem Tod am 26. Juli 2013 entstanden 17 Alben. 2006 veröffentlichten J. J. Cale und Eric Clapton erstmals ein gemeinsames Plattenprojekt mit dem Titel „The road to Escondito“, das zwei Jahre später als „Bestes zeitgenössisches Bluesalbum“ ausgezeichnet wurde. Eric Clapton, der zugab, in J. J. Cale sein späteres Vorbild gefunden zu haben, bezeichnete ihn als einen der wichtigsten Musiker der Rockgeschichte. „Ob weiß, ob schwarz, jeder konnte sich damit identifizieren!“ Jens-Paul Wollenberg

Ziegler Ausdruck, der große Schweizer, der für „Tacheles“ am wenige Schritte vom Blauen Sofa entfernten Stand von Deutschlandradio Kultur enthüllt, dass er einmal als „Che Guevara-Chauffeur“ dem großen Revolutionär angeboten hat, mit ihm in Lateinamerika gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen – das Angebot erfolgte mitten in Zürich. Daraufhin habe „Che“ nur auf die Stadt gewiesen und gesagt: „Hier ist Dein Kampffeld!“ Im StephanéHessel-Stil hat nun Ziegler ein Buch herausgebracht: „Ändere die Welt!“, bei Bertelsmann für 19,99 Euro. Ziegler ruft auf, sich einzubringen in die vielen Graswurzelbewegungen von Attac bis Occupy. Er sieht die Welt „an der Schwelle zu einer total neuen Zeit“, in der die neoliberalen Fehlentwicklungen seit Thatcher und Reagan auf den Prüfstand kommen und korrigiert werden. Denn letztlich wird nur eine solidarische Welt eine Zukunft haben. Hier schließt sich der Kreis zu Gysi, der es zwar richtig findet, dass sich so viele für die Flüchtlinge in diesem Land engagieren, der aber auch gern endlich einmal

über die Ursachen der Flüchtlingsströme reden würde. Im Abgang noch ein kurzer Schwenk zum Stand der Bundeszentrale für Politische Bildung. Man führt dort das auf Messe 2014 ausgezeichnete Buch von Pankaj Mishra „Aus den Ruinen des Empires – Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ in der eigenen Schriftenreihe. Was einem als gebundene Ausgabe noch unerschwinglich erschien, kann man heute bei der Bundeszentrale als Taschenbuch für 4,50 Euro bestellen! Und es gibt noch sehr viel mehr Bücher über Asien, Afrika, die DDR-Geschichte und jede Menge andere Themen – auch mit Tipps für die Unterrichtsgestaltung für Lehrer. Alles unter www.bpb.de und wirklich, sehr, sehr günstig für heutige Verhältnisse. Wer also in schwierigen Zeiten einen Hoffnungsschimmer braucht, kann im Netz nach den Hinterlassenschaften der diesjährigen Leipziger Buchmesse recherchieren – es ist fast unmöglich, daraus keinen persönlichen Gewinn zu ziehen. Ralf Richter

Sitzen zwei auf dem Blauen Sofa Wer reinkommt in die Glashalle bei der Leipziger Buchmesse, steuert unweigerlich auf „Das Blaue Sofa“ zu. Hier werden von ZDF und Deutschlandradio Kultur die renommiertesten Autoren interviewt. Am „Messe-Freitag“ waren es u. a. Gysi und Schorlemmer. Bei der Vorstellung ihres gemeinsamen Buches „Was bleiben wird“ (Aufbauverlag, ca. 300 Seiten für 19,95 Euro oder als eBook für 15,99 Euro) sagte Gysi sinngemäß: „Ob heute nun der Bürgermeister von dieser Partei kein Geld zu verwalten hat oder von jener, das interessiert immer weniger Menschen“. Er sagt es, nachdem Schorlemmer berichtet hatte, dass in seiner Heimatstadt Wittenberg bei der letzten Bürgermeisterwahl kaum noch 30 Prozent überhaupt zur Wahl gegangen sind. Gysi fordert Handlungsspielraum für Kommunen. Der werde erst erreicht, wenn es zu einer grundsätzlichen Haushaltsreform bei Bund, Ländern und Kommunen kommt. Doch vorher wird in Dresden eine neue Bürgermeisterin, ein neuer Bürgermeister gewählt, der/die auch

wieder kein Geld hat. Wenn es so weitergeht, wird diese Stadt nicht einmal den Elberadweg vor den Demontageabsichten einer „Investorin“ schützen können. Ob nun Stange oder Ulbig dabei scheitern, das muss den Wähler Müller oder Lehmann vielleicht wirklich nicht interessieren. Sollte es aber doch, findet Schorlemmer und hat auch nichts dagegen – er, der Sozialdemokrat –, wenn politisch Interessierte bei den Linken mitmachen. Denn: „Die Entpolitisierung heute finde ich schlimmer als die Ideologisierung früher!“ Die Herren sind beide älter geworden, streitbar und geistig fit sind sie aber vielen Jüngeren überlegen – vom rhetorischen Schliff ihrer Ausführungen ganz zu schweigen. Den findet man so kaum in der jüngeren Politiker-Facebook-Twitter-Generation. Und wie sie sich die Bälle zuwerfen! „Wenn man älter wird, verliert man vielleicht die meisten Illusionen, aber es wächst auch die Hoffnung.“ Der Mehrwert des „Blauen Sofas“, das es seit fünf Jahren gibt, besteht darin, dass dort Gesagtes erlebbar bleibt: Was

man am Messetag live nicht so genau gehört hat, kann man am nächsten Tag bei Deutschlandradio Kultur nachhören. Und wenn man selbst das verpasst hat, bleiben immer noch die Mediatheken oder youtube. Man kann der Sache aber auch ganz anders auf den Grund gehen und im „Freitag“ nach „Was bleiben wird“ suchen. Dort war das Gysi/Schorlemmer-Werk „Buch der Woche“. Die schönste Kurzzusammenfassung des Werkes liefert wohl die Thüringische Landeszeitung: „Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer standen einst auf verschiedenen Seiten: SED-Funktionärssohn und Anwalt der eine, der andere evangelischer Pfarrer und Oppositioneller. Jetzt versuchen sie gemeinsam zu ergründen, was die DDR gewesen ist.“ Es braucht Hoffnung in diesen Tagen, wo die Menschen merken – noch einmal Gysi –, dass es keine Weltordnung mehr gibt seit dem Zusammenbruch des Ostblockes, sondern nur noch ein unkontrolliertes Schalten und Walten der Finanzkonzerne und Banken. Dieser Hoffnung gibt Jean


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