LINKS! Ausgabe 4/2017

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Den Perspektivwechsel befördern

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2017

Wie umgehen mit dem wachsenden Rassismus und dem Hass auf Geflüchtete? Diese Frage ist für viele Linke nicht nur eine theoretische, sondern eine ganz praktische an vielen Infoständen. Zwei Ansätze sollten Linke im Umgang mit Rassismus vermeiden: zum einen die Beschimpfung von Wählerinnen und Wählern, zum anderen, Verständnis heischend rassistische Deutungsmuster zu bestätigen. Beides, Beschimpfung wie das „Nach-Dem-Munde-Reden“, wird die Abwehr linker Ansätze beim Gegenüber eher verstärken und somit den Zeitgeist weiter nach rechts verschieben. Im Alltaggespräch und am Infostand werden unsere Grundsätze dem Praxistest unterzogen. Deshalb möchte ich eine Begegnung, die bezeichnend für viele war, wiedergeben: Ende 2016 waren wir mit der Kampagne „Das muss drin sein“ auch in Dresden unterwegs, um Druck für bezahlbares Wohnen zu machen. Als ich ein älteres Paar anspreche, stutzt der Mann einen Moment und sagt dann: „Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben, ihr seid ja für die Flüchtlinge, für dieses Pack.“ In so einem Moment weder mit Beschimpfungen noch mit Opportunismus zu reagieren, ist gar nicht so einfach. Ich habe tief durchgeatmet und dann wie folgt reagiert: „Wissen Sie, ich werde Ihnen nicht nach dem Mund reden, ich habe da eine andere Überzeugung. Das mag jetzt nicht angenehm für unser Gespräch sein, aber Sie können gewiss sein, ich rede auch anderen nicht nach dem Mund. Ich finde, es gibt genügend Politiker, die ihr Fähnchen in den Wind hängen.“ In dem Moment

veränderte sich etwas in seiner Haltung, und ich stellte ihm eine Frage: „Mal angenommen, Sie setzten sich durch und alle Geflüchteten würden abgeschoben. Glauben Sie wirklich, dass dann Ihre Rente deutlich steigen würde?“ Daraufhin kamen wir ernsthaft ins Gespräch. Beide erzählten mir, dass sie an einem Tag zwei Briefe bekommen hatten. In dem einen ging es um die Rentenerhöhung und in dem anderen um die Mieterhöhung. Und die Mieterhöhung fiel deutlich höher aus. Wir sprachen dann über Mietspekulationen, und darüber, was dagegen zu tun ist. Darüber, dass verschiedene Bundesregierungen den sozialen Wohnungsbau sträflich vernachlässigt haben. Darüber, dass die Privatisierung der kommunalen Wohnungsgesellschaft ein großer Fehler war. Am Ende wünschten sie uns alles Gute. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Gespräch ein Perspektivwechsel angeschoben wurde. Und genau darum geht es: den Perspektivwechsel. Es geht darum, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie ernst zu nehmen, aber ihnen nicht nach dem Mund zu reden. Und die Frage nach Verantwortlichkeiten anders zu beantworten. Insofern ist auch der Unterschied zwischen rechts und links ganz einfach zu benennen. Linke wollen soziale Gerechtigkeit und Freiheitsrechte für alle – unabhängig vom Stammbaum. Links ist, sich mit Mietspekulanten anzulegen sowie Superreiche und Konzerne stärker zu besteuern. Sündenbockpolitik und das Treten nach unten sind hingegen rechts! • Katja Kipping


Links! im Gespräch

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Computer kostenlos – oder: HartzIVler helfen HartzIVlern Die Recherche beginnt mit einer Überraschung. Längst sollte die Computer Tafel Hamburg an dieser Stelle vorgestellt werden. Die großartige Idee, Menschen im Hartz IV-Bezug (sieben Millionen sind es zurzeit in Deutschland) gegen Vorlage ihres Bescheides kostenlos einen PC zu geben, verdient es, verbreitet zu werden. Doch die Computer Tafel gibt es nicht mehr. Was machen die Eheleute im reiferen Alter, welche die Initiative in Dresdens norddeutscher Partnerstadt ins Leben riefen, heute? Gibt es das soziale Unternehmen noch? Endlich gelingt es, Horst Matzen auf einer Homepage ausfindig zu machen – unter Computerspendehamburg.de. Ralf Richter hat mit ihm gesprochen. Herr Matzen, der Begriff „Computer Tafel“ war ein treffender Name. Hätten Sie diesen Namen nicht weiter führen können? Jeder denkt beim Begriff „Tafel“ mittlerweile daran, dass Menschen, die bedürftig sind, kostenlos etwas bekommen können. Millionen kennen den Namen und hunderttausende sind gezwungen – jedes Jahr mehr –, die Tafeln zu frequentieren. Ja, wir fanden den Namen auch gut und hätten ihn gern behalten. Aber der damalige Vorsitzende der Hamburger Tafel hat uns mit einer Klage gedroht, wenn wir den Namen beibehalten. Der Name „Tafel“ sei doch geschützt und wir dachten, bevor wir da Ärger kriegen ... Das kann nicht wahr sein! Ich weiß auch nicht, ob sich die Tafel Hamburg damit einen großen Gefallen getan hat. Für uns bedeutete das natürlich Aufwand und Kosten – wir mussten ja nun unter einem neuen Namen weiter machen. Wir nannten uns schließlich Computerspende Hamburg, aber das ist ja auch treffend. Wenn man anderen mit PCs helfen will, muss man sich zunächst selbst helfen können. Wann begann für Sie das Computerzeitalter? Das war Mitte der 90er Jahre. Ich habe mir für teures Geld einen PC von IBM auf Ratenzahlung angeschafft und das gute Stück ist dann nach Ablauf der Garantie prompt kaputt gegangen. Nun hatte ich mich aber so an das Gerät gewöhnt und wollte es weiter nutzen. Entweder hätte ich mir einen neuen kaufen oder mich um eine Reparatur kümmern müssen. Sie haben sich nicht zuletzt aus Kostengründen für die umweltfreundlichere Variante entschieden, schätze ich …

Meine Computerkenntnisse waren ziemlich gering, aber ich hatte schon ein großes Interesse daran, den Fehler zu finden – und glücklicherweise einen Bekannten, der sich etwas besser mit der Technik auskannte. Also habe ich mich mit ihm auf Fehlersuche begeben. Dennoch hat es 14 Tage gedauert, bis wir Erfolg hatten. Wenn das nicht für Ausdauer und Optimismus spricht! Das Erlebnis hat Sie also nicht abgeschreckt, sondern überzeugt, weiter zu machen? Ja, natürlich. Ich habe mit meiner Frau einen „PC Doktor“ gegründet, also versucht, mein Hobby zum Beruf zu machen. Doch in unserer Heimatstadt Lütjenburg merkten wir bald, dass diejenigen Leute, die einen reparaturbedürftigen PC hatten und eben kein Geld für einen neuen PC aufbringen konnten, nicht über das Geld verfügten, diese Reparatur zu bezahlen, weil viele Hartz IV bezogen. Die ARGE setzt sich zwar dafür ein, dass Hartz IV-Bezieher einen Fernseher nutzen können, aber beim PC … Tatsächlich gilt Fernsehen als ein Grundbedürfnis, dessen Befriedigung gewährleistet werden muss. Aber ein PC, mit dem man nicht nur fernsehen, sondern auch Bewerbungen schreiben, nach Stellen recherchieren, sich weiterbilden kann durch kostenlose Tutorials, dafür ist kein Geld vorgesehen im Hartz IVMechanismus. Vielleicht sollten einige Politiker anfangen, darüber nachzudenken – und am allermeisten leiden doch unter fehlendem PC und Internet die Kinder. Hausaufgaben machen ohne Internetrecherche und EMail-Adresse, wie soll das ge-

hen? Viele Informationen stellen die Lehrer auch heute ins Netz. Das war das Entscheidende, das mir zu denken gegeben hat. Wir wollten einfach denen helfen, die Hilfe nötig haben.

Computerspende Hamburg nicht um Einheimische oder Zugewanderte, sondern um Bedürftigkeit, und die macht sich für uns am Bezug von Hartz IV fest.

Aus dem PC Doktor entwickelte sich allmählich – im Zusammenhang mit einem Umzug nach Hamburg – die Computer Tafel. Woher kommen die Computer? Vielleicht ist Hamburg für so eine Initiative auch ein sehr guter Standort. Wir selbst haben kein Auto, aber es gibt viele Firmen hier in der Nähe, und 99 Prozent der Spendewilligen sind bereit, die Computer vorbei zu bringen, wenn ich ihnen erkläre, dass wir die Anlagen nicht abholen können. Wir gingen übrigens wegen eines Jobangebotes nach Hamburg, aber bald war die Stelle weg und dann bekam man selbst Hartz IV.

Die Computerspende Hamburg ist inzwischen ein eingetragener gemeinnütziger Verein. Muss man Mitglied des Vereins sein, um einen Computer zu bekommen? Das ist nicht nötig. Die Vorlage des Scheines vom Amt reicht.

Wer Hartz IV bezieht, kann also bei Ihnen vorbei kommen und sich hin und wieder einen PC holen, funktioniert das so? Nein. Mit dem entsprechenden Berechtigungsschein gibt es einmalig eine Anlage. Man kann nicht mehrfach vorbei kommen. Bei den Tafeln wird konstatiert, dass seit 2015 die Zahl der Empfänger mit Migrationshintergrund deutlich zugenommen hat. Wie sieht das bei Ihnen aus? Flüchtlinge bekommen – wenn sie nur sagen, dass sie Flüchtlinge sind – keinen PC bei uns. Sie erhalten ja anfangs auch Geld aus ganz anderen Töpfen. Sobald sie aber Hartz IV beziehen, erhalten sie bei uns einen Computer wie jeder andere auch. Es geht hier also bei der

Wie viele Mitglieder hat ihr Verein und welche Vorteile hat man als Mitglied? Wir haben inzwischen bundesweit 149 Mitglieder – es könnten viel mehr sein. So wie es Fahrradselbsthilfewerkstätten gibt, leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe. Man kann dann also unter Anleitung die Fehler selbst suchen und das Gerät letztlich selbst hier reparieren. Wie hoch ist der Beitrag? Ich finde ihn sehr moderat – zwei Euro monatlich. Dafür kann man sich mit Gleichgesinnten austauschen, ständig gemeinsam Neues lernen. Auf Ihrer Homepage sieht man, dass die Computerspende Hamburg e. V. bereits Ortsgruppen anderswo hat. Es ist unser Ziel, dass sich Einrichtungen wie unsere über das ganze Land verbreiten. Denn auf der einen Seite tut man etwas für den Umweltschutz: Computer werden nicht verschrottet, sondern weiter genutzt. Zweitens gibt es an zentraler Stelle eine soziale Komponente – Kinder und Jugendliche bekommen durch den PC überhaupt eine Chance, in der Schule mitzuhalten. Drittens muss sich jeder,

der einen PC reparieren will, ständig fortbilden, sonst bleibt man auf der Strecke. Obwohl sie bislang nur von wenigen Medien verbreitet wurde, hat Ihre Idee also Freundinnen und Freunde außerhalb Hamburgs gefunden. Leider kennen noch zu wenige unsere Initiative, sonst gäbe es viel mehr solcher Einrichtungen. Andererseits haben wir immerhin schon zwei Ortsgruppen außerhalb Hamburgs, in Köln und in Mülheim an der Ruhr. Wie sind die Gruppen entstanden? Interessenten haben uns angerufen und gefragt, ob sie Mitglied werden können. So entstanden Kontakte und über die Kontakte Ortsgruppen. Alles wächst ja erst allmählich. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht so ohne weiteres in einer kleinen Wohnung zu bewerkstelligen ist. Wie groß sind die Spenden denn so? Es kommt schon hin und wieder vor, dass eine Firma mit einer Spende von 250 bis 300 PC „droht“. Das ist dann natürlich in der Tat eine anständige Menge, die untergebracht werden will. Wir haben dafür aktuell einen Raum mit 92 Quadratmetern, der natürlich auch als Werkstatt genutzt wird. So haben Sie aber nicht angefangen, oder? Wir haben tatsächlich in unserer kleinen Zweieinhalb-ZimmerWohnung begonnen. Was aber auch zu bedenken ist: Fast alle großen Vermieter haben Räume, die sie für solche Nutzungen vergeben können. Firmen, die für uns spenden, geben sich ein positives Image und das Gleiche trifft für diejenigen zu, die unserem mildtätigen gemeinnützigen Verein Räume zur Verfügung stellen. Zudem machen wir keinen Lärm – was hier klappt, funktioniert auch anderswo. Dann sollte das auch in Sachsen klappen. Was muss einer mitbringen, der eine Ortsgruppe aufbauen will? Interesse an Technik, soziales Engagement und die Bereitschaft, viel und intensiv rein ehrenamtlich zu arbeiten. Ich arbeite schon mal zehn Stunden, aber Stress machen wir uns nicht. Ich bin inzwischen Rentner, und was gibt es da Schöneres, als sich ständig weiterzubilden, Sinnvolles zu tun, anderen zu helfen? Wir hatten hier mal eine Tombola, bei der wir zwanzig Anlagen auf einen Hieb verschenkt haben. Ich habe in Berlin den Fall der Mauer erlebt, aber glauben Sie mir: Der Jubel bei uns war größer!


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Im Osten nichts Neues Mit dem so genannten JammerOssi habe ich mich nie identifiziert, aber auch an diesem Stereotyp gibt es etwas Wahres. Im Gejammer gibt es zugleich einen Funken angebrachte Kritik, und diese war Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit diesem Politikfeld. Die Verlusterfahrung, die in dieser Haltung deutlich wird, ist politisch berechtigt: Deindustrialisierung, Abwanderung, eine durch u.a. Privatisierung zerstörte Wirtschaft, niedrigere Löhne und Rentenwerte – Dinge, die wir im Osten seit Jahren bejammern müssen. Und mir stellt sich nun die Frage, wann sich die Wiedervereinigung im Osten blicken lässt, wann die propagierten gleichwertigen Lebensverhältnisse zu mehr als Buchstaben eines Gesetzestextes werden. 2013 bin ich erstmals in den Bundestag gewählt geworden. Ich arbeite dort mit den Schwerpunkten Kommunalfinanzen, finanzieller Verbraucherschutz, Versicherungen, und seit Herbst 2016 bin ich nun auch Ost-Koordinatorin der Fraktion. Die Wahlperiode neigt sich langsam dem Ende, und welches Deutschland und Europa wir derzeit vorfinden, ist besorgniserregend. Vor allem der Osten Europas bereitet uns schlaflose Nächte: In den post-sozialistischen Ländern regen sich die alten Nationalismen und kokettieren mit autoritären Staatsformen. Die Armut drängt die Menschen oft

In einer österreichischen Zeitung lese ich: „Der kalte Winter ließ die Heizkosten in die Höhe schnellen. Der Verbrauch liegt um 10 bis 20 Prozent über den Vorjahreswerten.“ Das wird anderswo in Europa, das wird in Sachsen wohl so ähnlich gewesen sein. Dabei war der diesjährige Winter nur ein wenig kälter als die vorhergehenden eher milden. Im Schnitt – so lese ich auch – machen die Heizkosten rund 200 Euro mehr pro Haushalt aus. Für Fernwärmekunden war es billiger; 60 Euro mehr im Schnitt. Was die heizenden Menschen belastet, freut die Wärme- und Brennstoffproduzenten. Vor Kälte muss man sich schützen. Der Schutz kostet Geld. Das

zu falschen Entscheidungen, ersehnte Veränderungen sind nurmehr melancholische Floskeln. „Unser Osten“ ist ein Problemfall ähnlichen Charakters, doch wir wissen, wie es dazu kommen konnte, und wir bieten auch die Lösungen an. Das „Gejammer“ im Osten ist keine Sache der Vergangenheit, sondern etwas, das gegenwärtig nach der richtigen Antwort drängt und eine menschenwürdige Zukunft fordert. Aus diesem Grunde macht DIE LINKE den Osten Deutschlands nach wie vor zum Politikum. Dafür gab und gibt es in der Bundestagsfraktion eine/n Ostdeutschland-KoordinatorIn. Von Roland Claus wurde diese Funktion zehn Jahre lang erfolgreich ausgeübt; mit der

vertieften und teilweise veränderten Problemlage im Osten kam auch die Zeit, jemanden damit zu beauftragen, der die jüngere Generation noch stärker vertritt. Meine Ostdeutschland-Koordination soll zudem einen feministischen Schwerpunkt haben. Die schwierige Lage von ostdeutschen Frauen darf nicht unberücksichtigt bleiben. Ein Kernpunkt unserer Ostdeutschland-Politik die Forderung nach Rentengerechtigkeit. Im Osten haben wir viel niedrigere Renten, und auch bei der Rentenüberleitung sind viele Ungerechtigkeiten geschehen, die wir beseitigen müssen. Dazu haben wir eine Broschüre erarbeitet, in der wir auch den ideologischen Missbrauch des

Rentenrechts als Sanktionsmaßnahme kritisieren. Mit unseren Forderungen nach einer Rentenangleichung sind wir auf große Resonanz in den Medien gestoßen. Offensichtlich müssen wir alten Wunden endlich zur Verheilung verhelfen. Ein anderes Thema, das wir setzten und welches auch von der Presse stark rezipiert wurde, ist unsere Kritik an den Russland-Sanktionen, die vor allem der ostdeutschen Wirtschaft stark zusetzen: Allein in Sachsen gab es in 2016 beim Export nach Russland einen Rückgang von fast 30 Prozent. Eine Änderung der Außenpolitik wäre nicht nur wirtschaftlich fruchtbar, die erneute Versteifung auf einen Ost-West-Konflikt hilft niemandem.

Das zweite große Thema unserer Ostdeutschland-Politik sind die im Vergleich zum Westen immer noch geringeren Löhne im Osten. Eine Angleichung muss es nicht nur bei den Renten geben! Im Osten braucht es mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge, einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro und ein Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen. Billiglohn-Regionen haben weder im Westen noch im Osten eine Chance und gehören durch eine überzeugende Regional- und Strukturpolitik beseitigt. Durch die Übertragung von mehr Verantwortung an Länder und Kommunen ermöglichen wir standortspezifische Lösungen, die regionale Differenzen positiv verwerten können. Statt des Schaffens von Armutsregionen ist ein stabilisierter solidarischer und aufgabengerechter Föderalismus gefragt! Wir schlagen zur Finanzierung u.a. einen Solidarpakt III und die Einführung von Regional- und Strukturfonds vor. Wären die Unterschiede zwischen Ost und West nicht schon groß, könnten sie es unter Beibehaltung solch fataler Regierungspolitik noch werden. Auch beim Berlin-Bonn-Gesetz sehen wir die fehlende symbolische bzw. ideologische Überwindung alter Teilungen. Um es überspitzt zu sagen: Solange wir im Westen nichts Neues hören, wird es auch im Osten nichts Neues geben. Susanna Karawanskij

belastet viele und bringt wenigen Profit. So ist das eben! So ist das eben? Nun es ist so, wenn man erstens eine beheizbare Bleibe hat und zweitens Geld, auch wenn es knapp ist, manchmal vorne und hinten nicht reicht und der kalte Winter die Schulden in die Höhe treibt. Was ist aber, wenn man erstens keine beheizbare Bleibe hat und zweitens gar kein Geld, was selbst das Schuldenmachen unmöglich macht? Wenn das so ist, dann sitzt man zum Beispiel als Flüchtling in Belgrad fest und fragt sich: „Was tun?“ Viel geht da nicht. Der Bahnhof selbst – ein etwas verbrauchtes Prunkgebäude des 19. Jahrhunderts – kann für Tausende keine Wärmestube sein. Nun, Bahnhöfe haben Wirtschaftsgebäude, die oft leer stehen. Davon gibt es in Belgrad aber kaum noch welche. Das alte weitläufige Bahnhofsgelände ist eine Trümmerwüste. Ich war im Herbst dort und habe das gesehen. Was an noch leidlich warmen Septemberabenden fast romantisch

aussieht, wenn die Lagerfeuer der Flüchtlinge zwischen den Trümmern brennen, was bei der aufkommenden Kühle noch wärmt, kann im Winter keine Erleichterung bringen. Wie wird das im Winter, habe ich mich im Herbst gefragt. Die Welt hat es damals noch nicht interessiert. Die Antwort gab die Realität. Einige Ruinen,

grausiges Missverhältnis zwischen der Trümmerwelt, in der die Flüchtlinge Schutz suchen, und einem neu entstehenden Prunk-Boulevard unmittelbar daneben an der Save. Der Boulevard ist nur der Anfang. Der derzeitige Bürgermeister will ein ganzes Prunk-Viertel bauen. Die Zerstörung des Bahnhofareals macht dafür Platz. Das wird dann ein Quartier, in dem sich auch die Belgrader und Belgraderinnen keine Wohnungen werden leisten können. Es gibt nämlich auch noch viele andere Probleme in Serbien, die vor allem junge Menschen bewegen. Eine Fahrt mit der S-Bahn, voll von jungen Studierenden, von Novi-Sad nach Belgrad, belehrt Dich: Auch diese Menschen sind meist nur mehr auf Abruf in ihrer Heimat. Sie wollen weg an die vermeintlich vollen Futtertröge Westeuropas. NATO und EU machen im ehemaligen Jugoslawien „ganze Arbeit“. Die Region ist zersplittert, die Völker sind verfeindet, es sind jedoch überall die gleichen Konzerne, die ihre Geschäfte

machen und die Zersplitterung für sich ausnutzen. Prinzip: zerteile und herrsche. Zu verdienen gibt es da für die Einheimischen nicht viel. An Serbien zerrt neben der EU auch noch Putins Russland. Und nicht nur in der S-Bahn merkt man bei Gesprächen, dass das die Bevölkerung in ihren Sympathien für die einen oder den anderen spaltet – oft Jung und Alt. Der Jugoslawienkrieg und die Bombenangriffe auf das Land sind noch nicht von allen vergessen. Aber zurück zu den Flüchtlingen. Politikerinnen und Politiker in Österreich und Deutschland schwadronieren von Auffanglagern in Nordafrika. In Belgrad ist ein solches im Wildwuchs bereits seit längerem entstanden. Die Menschen kommen nicht weiter, weil – wie die gleichen Politiker und Politikerinnen mit Stolz verkünden – die Balkanroute geschlossen ist. Dieser hinterhältigen Politik vertrauen sich die Flüchtlinge nicht an. Sie hoffen auf Frühling. Ich mache das auch und schäme mich dabei.

Winter ade … die noch defekte Dächer tragen, helfen da auch nicht weiter. Das Heizmaterial ist feuchtes, verschimmeltes Holz oder gar Plaste. Der Qualm treibt die Leute sehr bald in die Kälte. Es bestand bereits damals und es besteht im Winter noch sehr viel mehr eine große Diskrepanz zwischen der lebendigen jungen Stadt, dem aufkommenden Tourismus über Donau und Save und dem „Leben“ der Flüchtlinge. Es besteht unabhängig von der Jahreszeit ein


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Sowjetische Kriegsgefangene werden entschädigt Der Einsatz für die Erinnerung an die NS-Vergangenheit und die Anerkennung, Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Faschismus ist für Linke selbstverständlich. Und er ist nicht vergebens. In dieser Wahlperiode konnte die Fraktion DIE LINKE im Bundestag auf dem Gebiet der Geschichtspolitik einen Erfolg verbuchen. Worum ging es dabei? Wir hatten nach vielen Jahren endlich und etwas unerwartet Erfolg mit unserer Forderung nach einer symbolischen Anerkennungsleistung für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene. Die Sowjetunion hat unbestritten den höchsten Blutzoll während des Zweiten Weltkrieges entrichtet: 27 Millionen Tote, davon 14 Millionen Zivilisten. Fast jede Familie in der UdSSR hatte Opfer zu beklagen. Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde von den Nazis und der deutschen Wehrmacht als Angriffs- und Vernichtungskrieg konzipiert und geführt, der alle bis dato geltenden Rechts- und vor allem

Zivilisationsregeln suspendierte. Schon vor Beginn des Angriffes wurde in Befehlen und Weisungen klargemacht, dass jedwede Brutalität erlaubt und notwendig sei. In besonderer Art und Weise waren die sowjetischen Kriegsgefangenen betroffen, die auch die ers-

Bild: Foto-AG Gymnasium Melle / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

„Links!“ befragte den LINKEN Bundestagsabgeordneten Jan Korte zu einem bemerkenswerten geschichtspolitischen Erfolg seiner Fraktion.

ten Opfer der Vergasungen in Auschwitz waren. Ungefähr 5,7 Millionen Angehörige der Roten Armee gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft. Den sowjetischen Gefangenen wurden alle Rechte, wie sie etwa in der Genfer Konvention festgeschrieben waren, verwehrt. Insgesamt gingen so etwa 3,3 Millionen an Hunger, Käl-

te, Krankheiten, Zwangsarbeit zugrunde oder wurden durch massenhafte Erschießungen getötet. Die sowjetischen Kriegsgefangenen gehören damit zu den größten Opfergruppen des Vernichtungskrieges. Die Sterblichkeitsrate lag bei rund 60 Prozent. Zum Vergleich: Bei westlichen Kriegsgefangenen lag die Todesrate bei 3,5 Prozent. An diesem Zahlenverhältnis wird deutlich, welche verbrecherische und dehumanisierte Ideologie und Kriegsführung beim Angriff auf die UdSSR dominierte. Trotzdem standen sie bis vor kurzem weitestgehend in einem „Erinnerungsschatten“ und die Koalitionsfraktionen, allen voran natürlich die Union, dachte nicht im Traum daran, etwas zu ändern. Wie ist es trotzdem gelungen? Wichtig war einerseits natürlich, dass alle Wissenschaftler, die als Sachverständige in einer Anhörung des Haushaltsausschusses zu Wort kamen, unseren Antrag unterstützt haben. Danach war es selbst für die Rechtsaußen von CSU und CDU schwer. Andererseits spielte Michael Leutert dabei eine entscheidende Rolle. Ohne Micha, der sich im zuständigen Haus-

haltsausschuss für unser Anliegen extrem stark gemacht und intensiv mit den Abgeordneten der anderen Fraktionen diskutiert hat, wäre dieser Beschluss ganz sicher nicht so schnell und unkompliziert zu Stande gekommen. Vieles hängt eben doch am persönlichen Engagement Einzelner und daran, wie überzeugend sie einen Sachverhalt transportieren und für ein Anliegen werben. Gut, dass wir im Haushaltsausschuss, der letztlich oft ja das wichtigste Gremium ist, weil dort ganz konkret über die Gelder entschieden wird, solche Leute haben. Was haben Sie konkret für diesowjetischen Kriegsgefangenen erreicht? Auf unsere Initiative hin bewilligte der Haushaltsausschuss im Mai 2015 einstimmig 10 Millionen Euro für eine symbolische Anerkennungsleistung an sowjetische Kriegsgefangene. Jeder erhält 2.500 €. Wir hatten ursprünglich 7.670 € beantragt, aber das war den anderen Fraktionen zu viel. Beide Summen sind aber ohnehin nur symbolisch gemeint, als Zeichen der Anerkennung. Weil in allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit Ausnahme der baltischen Länder ein sozialer Absturz geschah, auch in Russ-

land, sind 2.500 € aber mehr als nur Symbolik. In Armenien beispielsweise entsprechen sie zwei Jahresrenten. Zum 2.1.2017 lagen beim zuständigen Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen insgesamt 1.634 Anträge vor, von denen 935 positiv beschieden, 158 abgelehnt und 156 noch nicht abschließend behandelt wurden. 912 Rotarmisten hatten zu diesem Zeitpunkt die Anerkennungsleistung bereits erhalten. Was ist an dem Beschluss so wichtig? Das Wichtigste für die Betroffenen ist sicher nicht die Tatsache der finanziellen Hilfe, sondern vor allem die moralische Unterstützung, die Genugtuung, die ihnen das Wissen verschafft, dass die Welt endlich von ihnen erfahren hat. Aus Zuschriften wissen wir, dass die Gewissheit, nicht vergessen zu sein und nicht mit einem Gefühl der Ungerechtigkeit aus diesem Leben scheiden zu müssen, für viele das Entscheidende ist. Und für uns als LINKE war der Beschluss wichtig, weil dadurch diese große Gruppe vergessener Opfer endlich zumindest ein wenig aus dem Erinnerungsschatten geholt werden konnte.

Sozial-Skandal des Monats Armut trotz Aufschwung Am 2. März stellte der Paritätische Bundesverband, einer der Spitzenverbände der Wohlfahrt, einen weiteren Armutsreport vor. Er gipfelt in der Feststellung, dass die Armutsquote trotz anhaltender konjunktureller Belebung bundesweit auf 15,7 Prozent gestiegen ist. Dieser Befund war zu erwarten, lagen doch die Kerndaten des Bundesamtes für Statistik seit Wochen vor, ohne dass sie besondere mediale Beachtung gefunden hätten. Wer von den die Bundesregierung tragenden Parteien wollte schon so kurz vor der Bundestagswahl einräumen, dass die eigene Politik der letzten Jahre, insbesondere die Verschärfung von Hartz IV, zu wachsender Armut geführt hat? Diese Verschweige-Taktik hat der Paritätische Wohlfahrtsverband mit seinem Report durchkreuzt. Umgehend wurden dann unter Hinzuziehung von dem Großkapital nahestehenden Experten die üblichen Nebelkerzen gezündet. So seien die Berechnungen falsch, weil sie lediglich auf die Einkommensverhältnisse abstellen, das Leben aber wesentlich vielschichtiger sei. Wenige Tage zuvor war schließlich eine

bestellte Befragung von Älteren erschienen, die ihre Situation überwiegend positiv sahen. Ohnehin sei Altersarmut bislang in Sachsen kaum anzutreffen, weil sie durch den Bezug von Altersgrundsicherung verhindert werde. Insgesamt sei Armut überhaupt keine objektiv messbare Größe, sondern viel wichtiger für das Gesamtbild sei, wie sich die Menschen selbst sehen und was sie aus ihrer Lage machen würden. Zudem gebe es für die Hilfebedürftigen aller Generationen ausreichende soziale Leistungen, um Armut zu verhindern. Armut könne schlimmstenfalls auftreten, wenn die entsprechenden Sozialhilfeleistungen nicht beantragt würden. Schließlich relativiere sich Armut in Deutschland vor dem Hintergrund der Lebenssituation in anderen, insbesondere den Entwicklungsländern. Klarstellung Es ist nicht auszuschließen, dass diese Sichtweise bei Teilen der Bevölkerung wirkt. Wer möchte schon arm sein? Deshalb versuchen viele Menschen, mit dem Wenigen irgendwie klar zu kommen und

auf vieles zu verzichten, zu Gunsten ihrer Kinder und Enkel. Aber das muss in einer objektiven Betrachtung auf Armut weitgehend unberücksichtigt bleiben. Gerade in einer kapitalistischen Gesellschaft zählt in erster Linie das zur Verfügung stehende Einkommen. Und das ist deshalb auch das Hauptkriterium der Armutsbemessung. Danach hat sich die Armutsquote in der Bundesrepublik seit etwa 20 Jahren stetig nach oben entwickelt. Selbst wenn die sächsische Armutsquote seit einigen Jahren stagniert, sich sogar geringfügig nach unten bewegt, bleibt der Freistaat weit über dem Bundesdurchschnitt. Das wird sich in absehbarer Zeit kaum ändern, sondern durch das Anwachsen von Altersarmut eher zuspitzen. Zur Klarstellung gehört auch: Sowohl der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes als auch entsprechende Analysen, die wir vorgelegt haben, stützen sich vor allem auf öffentlich zugängliche Daten, interpretieren sie allerdings anders als die Regierenden. Insofern verwenden wir auch nicht das Wortkonstrukt „von Armut bedroht“, weil es

vorgaukelt, die Betroffenen seien gar nicht richtig arm. Armut bezieht sich statistisch auf einen bestimmten Stichtag und muss für die Betroffenen kein unabwendbarer Dauerzustand sein. Wie sonst wollten wir gerade den besonders Benachteiligten und Ausgegrenzten eine Perspektive aufzeigen. Worum geht es? Wir halten den Armutsbericht des Paritätischen nicht nur für seriös, sondern zugleich für eine Bestätigung des jahrelangen Wirkens der Linksfraktion. Dabei werden wir auch künftig darauf drängen, dass die Lebenssituation der Menschen in Sachsen gründlich analysiert wird, weil sich erst auf dieser Grundlage die notwendigen politischen Handlungsoptionen ableiten lassen. Das ist freilich zunächst die Verantwortung der Staatsregierung, der sie in der Vergangenheit in keiner Weise gerecht geworden ist. Deshalb wird es wohl nicht ausbleiben, auch in Zukunft selbst Hand anzulegen. Die Staatsregierung mag dies als Drohung auffassen – wir als Auftrag! Dr. Dietmar Pellmann, Susanne Schaper

Peter Porsch: Linke Dispute. Anregungen, Polemiken und Kopfnüsse aus linker APO-Zeit. 162 S., 12,99 Euro, ISBN 978-3-945187-62-3. Das Büchlein erschien Ende Juni 2016 im verlag am park. Sämtliche Verkaufserlöse fließen auf unser Spendenkonto und helfen so unserem Verein, diese Zeitung zu erhalten. Wir danken herzlich für jegliche Unterstützung!


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Reiche Ernte der zweiten Schicht Nikolaus Wachsmann liefert monumentale Gesamtdarstellung der NS-Konzentrationslager aus historischer Distanz KZ oder KL: Seit Bruno Apitz’ „Nackt unter Wölfen“ wähnte man alles zu wissen und zu erfühlen, was diese Akronyme ausdrücken. Wie es auch Auschwitz oder Buchenwald als Symbolnamen mit empathischer Bedeutung suggerieren. Doch existierte weder das eine noch das andere faschistische Konzentrationslager nach demselben Grundmuster. Unverändert von Anfang bis Ende blieben sie auch in ihren Funktionen, Strukturen und Methoden nicht. Harry Stein, Kustos für den Bereich Konzentrationslager Buchenwald in der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, weitete beim 22. Jour fixe im Februar den Blick der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur unter diesen Aspekten. Schließlich stellte er im Leipziger Domizil der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Nikolaus Wachsmanns 1000-Seiten-Werk vor: „KL: Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager“. 2016 erschienen, gilt es als unübertroffene Gesamtdarstellung zum Thema. Jour-fixe-Moderator Manfred Neuhaus hatte Harry Stein, selbst Autor zahlreicher Publikationen zu Judenverfolgung, Widerstand und Geschichte des KZ Buchenwald, auch als einstigen Historikerkollegen an der Leipziger Karl-MarxUniversität begrüßt. So eröffnete Stein seine Ausführungen denn auch mit einer Sentenz seines renommierten akademischen Lehrers Walter Markov: In der Geschichtsschreibung komme eine zweite Schicht dazu, wenn die Turbulenzen der Ereigniszeit mit ihren hastig-subjektivistischen Zeitzeugen-Berichten selbst Geschichte seien und einer objektivierten Forschung aus historischem Abstand Platz machten. „Die Ernte der zweiten Schicht über die KL liegt nun mit Wachsmanns großartigem Werk vor.“ Stein nutzte die Gelegenheit, auch die „Saatund Reifezeit“ dieser zweiten Schicht einer resümierenden Betrachtung zu unterziehen. Ein Jahrzehnt nach Eugen Kogons Schrift „Der SS-Staat“, einer singulären Überblicksdarstellung über die Lager, habe Walter Bartel 1957 mit einer Studentengruppe an der Karl-Marx-Universität Leipzig die ersten systematischen Ansätze zur Erforschung der Geschichte der Konzentrations-

lager gelegt. Publikationen begründeten rasch den wissenschaftlichen Ruf der Zeithistoriker. Hier ist nicht der Platz, die (politischen) Gründe darzustellen, warum die einschlägige Forschungslandschaft in der DDR sehr bald ausgetrocknet wurde. Neue Impulse manifestierten sich erst Mitte der 1990er Jahre in Gestalt gedruckter Bilanzprojekte. Nikolaus Wachsmanns Buch fiel insofern nicht vom Himmel. Und da die bisher geleistete Forschungsarbeit in sein Opus magnum einfloss, wohnt der Ernte der zweiten Schicht auch ihre eigene Vorgeschichte inne.

tur, die Mentalität der LagerSS, die Typologie der Kapos, über Täter und Opfer, über die Solidarität unter den Häftlingen und ihre Handlungsspielräume, über die Verflechtung

ten Zeitzeugen-Berichten. Stein schloss seine beifällige Buchvorstellung mit der Bemerkung, er teile aber die euphorischen Lobeshymnen derer nicht, die jegliche weitere

„NS-Verfolgung als ,Ereignis‘ der Familiengeschichte“ – Studie des Historikers und KFS-Geschäftsführers Patrick Pritscha

Überbordende Materialfülle und Spannung bis zur letzten Seite Was der Historiker und Hochschullehrer Wachsmann, 1971 in München geboren, in zehnjähriger Kärrnerarbeit in seinem Mammutwerk versammelte, trug Harry Stein in einer brillanten Mischung aus Nacherzählung, Lobpreisung und konstruktiv-kritischer Begutachtung dem staunenden Auditorium vor. Die Gesamtschau über die Lagergeschichte der Nazis sei in Inhalt und Form, in Dramaturgie und Sprache, vor allem aber in ihrer schier überbordenden Materialfülle zweifellos eine überragende Leistung. Wachsmann habe es verstanden, einen Spannungsbogen aufzubauen, der den Leser bis zur letzten Seite in Atem halte. Denn er berichte über die Entwicklung des Lagersystems, dessen Funktion und Struk-

stein zu setzen. Allein deshalb nicht, weil „KL“ wie keine Institution des Dritten Reiches Geist und Macht des Nationalsozialismus verkörperte. So wisse sich Harry Stein mit ihm einig, dass noch viele Detailfragen ihrer wissenschaftlichen Klärung harrten.

der Lager mit der Außenwelt stets im Perspektivwechsel von vielfältiger Dokumentenanalyse und fallbeispielhaf-

Erforschung der Thematik für überflüssig hielten. Wachsmann selbst habe keineswegs beabsichtigt, einen Schluss-

Einen eigenständigen Beitrag in diesem Sinne steuerte anschließend Patrick Pritscha bei. Der Geschäftsführer des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. stellte seine von der RLS Sachsen herausgegebene Studie „NS-Verfolgung als ,Ereignis‘ der Familiengeschichte“ vor. Interviews mit Nachkommen von Verfolgten des Naziregimes und Aussagen aus entsprechender Fachliteratur führten zu der Erkenntnis, „dass eine Tradierung von Verfolgungserfahrung bei einer Vielzahl von Angehörigen der Kinder- und Enkelgeneration anzutreffen ist und signifikante Spuren in deren Lebenswelten hinterließ“. Pritscha konstatierte dabei deutliche Unterschiede zwischen Ost und West im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Eine der Ursachen für diesen Antagonismus sah er in der Selbstlegitimation der DDR als „antifaschistischer Staat“ begründet. Doch bedürfe es weiterer Forschung über die Nachwirkungen der NS-Zeit in ein und demselben Land. Wulf Skaun


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Gastland Litauen auf der Leipziger Buchmesse Es gibt eine MünchhausenGeschichte, die mich als Kind tief beeindruckt hat. Mitten im klirrend kalten Winter überfällt Münchhausen in einer verschneiten Gegend die Müdigkeit. Rasch bereitet er sich ein warmes Lager und macht sein Pferd an einem Knubbel fest, der aus dem Schnee ragt. Er verfällt in langen tiefen Schlaf … Endlich erwacht, strahlt die Sonne und er muss erkennen, dass er auf einem Friedhof liegt. Sein Pferd scheint verschwunden, bis er es wiehern hört und erkennt, dass er es an den Wetterhahn der Kirchturmspitze angebunden hatte. Kurz entschlossen nimmt er seine Pistole und schießt auf das Halfter des Pferdes, das mit einem beherzten Luftsprung zu ihm zurückkehrt. Seitdem ich diese Geschichte gehört habe, wollte ich immer in dieses sagenhafte Litauen, zu schön waren die Illustrationen zu dieser Geschichte gewesen. Der als Lügenbaron bekannte Freiherr von Münchhausen lebte sechs Jahre lang dort. Ich war von der Schönheit Litauens überzeugt, bevor ich einen Fuß in das Land gesetzt hatte – und hatte mich nicht geirrt. Im Februar 1989 sah ich mit Jugendtourist erstmals Vilnius und endlich meine Brieffreundin aus Kaunas – es war ein eisiger Winter wie bei Münchhausen. Auf dem Lada wurde eine Zeitung ausgebreitet, Speck geschnitten und verteilt und dazu Wodka getrunken. Ich erhielt dabei das Angebot, im Sommer zu einer Litauen-Rundreise aufzubrechen – im schwarzen runden Wolga, der vom Vater meiner Brieffreundin, der sein Diensttaxi für die Tour nutzte, gesteuert wurde. Es wurde eine sagenhafte Reise, die sich mir tief eingeprägt hat. Vieles habe ich seither zu Litauen gelesen, über das Jerusalem des Ostens – die Juden in Prag stammten aus Litauen. Fasziniert bin ich ein Stück den Grenzfluss in einem Luftkissenschiff abgefahren. Bei der Buchmesse in Frankfurt am Main 2003, wo Litauen wie nun

2017 in Leipzig Gastland war, unterhielt ich mich mit einem Autor, der Comics mit sagenhaften Figuren vorstellte, aber sehr historisch interessiert war – Litauer und Deutsche verbinde die Geschichte von über 100 Jahren Krieg, war doch Litauen das letzte heidnische Land Europas. Jedes Jahr im Herbst lud der Deutsche Orden in Königsberg die Ritter Europas zu sogenannten Litauer- bzw. HeidenFahrten ein – wenn man die Litauer schon nicht vom Christentum überzeugen konnte, so sollten sie doch für ihr Heidentum wenigstens grausam bestraft werden. Doch die Litauer wehrten sich tapfer: Am Ende vernichteten sie den Deutschen Orden am 15. Juli 1410 in der Schlacht von Tannenberg. Dem litauischen Herzog war die Vernichtung der Deutschen durchaus eine Messe wert, so dass er sich zuvor extra dafür taufen ließ, war das doch die Voraussetzung, um König von Polen zu werden. Erinnert wurde auf der Buchmesse in Leipzig an das Thomas-Mann-Haus auf der Kurischen Nehrung, das heute litauisches Literaturzentrum ist und wo viel für litauischdeutschen Kulturaustausch getan wird. Leider blieben zentrale Themen weitgehend auf der Strecke – wer sich an all die blumigen Versprechungen aus der Phase des Unabhängigkeitskampfes der baltischen Völker erinnert, der muss sich doch fragen, was nun geworden ist aus den großen Erwartungen, aus Litauen ein Land mit dem Lebensstandard von Schweden zu machen. Nirgendwo sonst bringen sich seit Jahrzehnten so viele junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren um wie in Litauen – darüber sprach man noch in den Medien, als Litauen Gastland der Buchmesse 2002 war. 15 Jahre später ist die Lage zwar nicht besser, dafür wird in den deutschen Medien darüber nicht mehr berichtet. Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Alkohol und Drogen beherrschen den trostlosen Alltag vieler junger Litau-

er, doch in den 26 in Leipzig vorgestellten Büchern kommt das nicht vor. Man feiert stattdessen die Unterhaltungsliteratur und das hippe Leben in den

nen Namen: Laurynas Katkus. Vom ihm lag kostenlos „100 Jahre litauischer Literatur – Ein Crashkurs“ aus und er nimmt sich kritisch die eigene Ent-

Großstädten eines neuen Kulturbürgertums. Hatte manch‘ litauischer Autor bis 1989 dank seiner Publikationen in russischer Sprache einen hohen Bekanntheitsgrad von Ost-Berlin bis Wladiwostok, so ist heute zu konstatieren, dass das einseitige Beharren auf der litauischen Sprache und die Vernichtung der traditionellen Zweisprachigkeit kein Humus für die litauische Kultur sind. Mit Gewalt will man zeigen, dass man nicht-russisch ist, während die Literaturpäpste im Westen litauische Literatur nach wie vor dem ehemaligen sowjetischen Raum zuordnen. So finden sich nur kleine Verlage und der fade Beigeschmack, dass sich litauische Autoren – mit wenigen Ausnahmen – den wirklichen schwerwiegenden Problemen des Landes nicht stellen. Die Ausnahme hat ei-

wicklung vor. Wenn es nicht vorwärts geht. ist in Litauen der Russe schuld. Zugespitzt formuliert der Mann aus Vilnius, der auch in Leipzig studiert hat und fließend Deutsch spricht: „Was ich kritisiere, ist ein primitives Entweder-oder-Denken: Gerade noch gehörten wir zur Sowjetunion, jetzt werden wir westlicher als die Westler. Das hat nichts zu tun mit der realen Geschichte, dass man in der russischen Sprache und Kultur auch aufgewachsen ist. Das ist nicht der Weg, den mein Land gehen sollte.“ Und weiter: „Alle Schuld an den Übeln der Vergangenheit und an den Problemen der Gegenwart wird dem Nachbarn in die Schuhe geschoben. Ungefähr so: Wenn Russland nicht wäre, dann wäre Litauen heute ein Hybrid aus Kanada und Finnland.“ Sein Buch „Moskauer Pelmeni“ wid-

met sich ganz dem wechselvollen Umgang mit dem einstigen großen Bruder. Es gab da gute wie schlechte Zeiten, und viele Ostdeutsche werden sich dabei wiederfinden. Offiziell wird dagegen eine „goldenen Zwischenkriegszeit“ beschworen und der litauische Nationalismus verherrlicht. Da haben es die Stimmen der Vernunft und der Völkerverständigung nicht leicht. Es fehlt der Rekurs auf die zahlreichen positiven Entwicklungen, die Litauen zwischen 1945 und 1989 genommen hat, ebenso wie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalismus. Zwar gesteht man die aktive Beteiligung zahlreicher Litauer und die Begeisterung für den deutschen Einmarsch ein – tunlichst verschweigt man aber, dass nach 1990 die litauischen Kriegsverbrecher amnestiert wurden, galt doch nun plötzlich jeder Gefangene als Opfer sowjetischer Justiz, egal welche Verbrechen er begangen hatte. Litauische Kommunisten hat es nach heutiger Lesart praktisch nicht gegeben (die Juden in Litauen wurde nicht zuletzt als „Bolschewisten“ und Kollaborateure der Sowjets von Litauern umgebracht), der Kommunismus wird als „russische Ideologie“ dargestellt – in Wahrheit kämpften Litauer schon im Zweiten Weltkrieg wie auch die Letten und Esten auf beiden Seiten der Front und es war die KP Litauens, die sich als erste als von Moskau unabhängig bezeichnete. Ihr Chef trug nicht etwa einen russischen Namen, sondern hieß Algirdas Brazauskas. Er wurde vom Erzbischof nach seinem Tode 2010 bestraft – die übliche Aufbahrung im Dom zu Vilnius wurde mit Verweis auf seine frühere Mitgliedschaft in der KP verweigert (Zwei Jahre später ehrte die Litauische Post den im Volk überaus populären Mann allerdings mit einer Sondermarke). Die Mythen der litauischen Gegenwart sind heute so sagenhaft wie einst die Geschichten Münchhausens … Ralf Richter

Petition: Keine Abschiebungen nach Afghanistan! Afghanistan ist kein „Sicheres Herkunftsland“. Laut Pro Asyl hat die Zahl der zivilen Opfer in fünf der acht Regionen zugenommen, sie ist landesweit auf sehr hohem Niveau. Signifikant ist z. B. der Anstieg in der Region Zentralafghanistan. Dort liegt die Hauptstadt Kabul, die zunehmend von Anschlägen erschüttert wird. Knapp ein Drittel der zivilen Opfer im Jahr 2016 waren Kinder (3.512). Die

Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozentpunkte gestiegen. 923 Kinder sind durch „explosive Munitionsrückstände“ wie Minen zu Tode gekommen. Auch die Zahl der Frauen, die Opfer der Kämpfe werden, bleibt hoch (1.218); Frauen leiden besonders unter dem Fundamentalismus der Taliban. Deshalb ist es absurd, dass Deutschland wieder Menschen nach Afghanistan abschiebt.

Diese Politik fußt offensichtlich auf dem Kalkül, im Bundestagswahlkampf demonstrativ Härte gegen Flüchtlinge zu zeigen und zu rechtspopulistischen Parteien abgewanderte Wähler*innen zurückzugewinnen. Gerade in Zeiten, in denen mit „alternativen Fakten“ gefährliche Stimmungen geschürt werden, wäre die Bundes- wie Landesregierung gut beraten, ihre Politik an der Realität aus-

zurichten. Und die zeigt: Afghanistan ist nicht sicher. Nun gibt es eine Petition, die von der Staatsregierung den sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlinge und Asylbewerber aus Afghanistan fordert. Diese Abschiebepraxis soll Sachsen auch im Bundesrat vertreten. Es soll festgestellt werden, dass Afghanistan kein „Sicheres Herkunftsland“ ist. Die Petition kann bis zum 10. Septem-

ber 2017 hier mitgezeichnet werden: bit.ly/2lWZ2sc Die Petition soll den Auftakt zu weiteren Protesten bilden. Die Initiator*innen wollen dazu beitragen, dass mehr Menschen zum Deportations-Irrsinn Stellung beziehen und die Diskussion zur inhumanen Abschiebepraxis in eine menschliche Richtung gelenkt wird, um einem Abschiebestopp schrittweise näher zu kommen.


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Quo vadis, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen?

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„Wir müssen noch mehr ausschwärmen“ Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. (RLS) hielt am 18. März ihre ordentliche Mitgliederversammlung ab. Ihr Vorsitzender Prof. Dr. Peter Porsch erstattete den Bericht des Vorstands. Im Gespräch mit Wulf Skaun bilanziert er die Vereinsarbeit, benennt Aufgaben und Probleme, skizziert mögliche Lösungswege. Mit welcher Motivation haben Sie als Ex-Spitzenpolitiker der LINKEN 2014 den Vorsitz übernommen? Als Vereinsmitglied seit Gründung 1991 habe ich Status und Zwecke der RLS mitbestimmt. Das Modell der Stiftung bot die Chance, das wissenschaftliche Potenzial emeritierter, abgewickelter und aktiver Universitätsgelehrter für eine linksdemokratische politische Bildungsarbeit zu nutzen. Der Vorsitz hat mich gereizt, um linke Politik operativer zu verhandeln, mehr Jüngere für die Stiftung zu interessieren, ein generationenübergreifendes Miteinander zu befördern und daraus erwachsende Widersprüche für eine dauerhaft progressive Entwicklung produktiv zu machen. Dazu brauchte es m. E. neben den traditionellen auch neue Veranstaltungsformate und -orte außerhalb der Geschäftsstellen sowie neue Kooperationspartner. Meine Zielformel hieß und heißt: Wir müssen noch stärker ausschwärmen. Was konnte auf diesem Weg in punkto Verjüngung erreicht werden? Ich konnte den Mitgliedern am 18. März berichten, dass wir nicht nur eine gefühlte Verjüngung erleben. Die Statistik beweist, dass unser Mitgliederanteil unter 30 Jahren 2015/2016 von 27 auf 42 Prozent gestiegen ist. Das ist freilich der Durchschnittswert. Nicht überall erreichen wir schon junge Leute in größerer Zahl oder entdecken sie unsere Angebote. In ländlichen Gebieten bremsen uns oft banale Probleme wie fehlende Verkehrsanbindungen aus. Da müssen wir noch Wege finden. Und wie wirken die Älteren mit den jungen Mitgliedern zusammen? Hier sehe ich noch größere Reserven. Ein Positivbeispiel sind unsere gemeinsamen Buchenwaldfahrten. In der Mehrzahl ihrer Aktivitäten aber bleiben die Generationen weitgehend unter sich. Ich beobachte, dass sie sich gegenseitig nicht so furchtbar interessant finden. Das hat sicher auch mit der Art und Weise zu tun, wie Stiftungsarbeit verstanden und realisiert wird. Während sich viele der reifen Generation traditionsgemäß in

hauseigenen Foren und Seminaren wohlfühlen, bevorzugt die Kinder- und Enkelgeneration eher praktische Aktionen außerhalb, bei jenen, die sich für unsere Kultur- und Bildungsangebote interessieren oder uns gezielt um unsere, mitunter auch finanziell grundierte, Unterstützung bitten.

Gibt es für solche Aktivitäten überzeugende Beispiele? Reihenweise. Aus Platzgründen greife ich hier unsere Europawoche 2016 in Leipzig heraus. Da kamen erfreulich viele Jugendliche. Kulturelle, künstlerische, literarische und andere praktische Aktionen, in die die Gäste oft einbezogen wurden, zeugten von politischer Haltung für ein friedliches, demokratisches gemeinsames Haus Europa. Unsere Außenwirkung hängt also maßgeblich von unserem „Ausschwärmen“ ab. Sie könnte potenziert werden, gelänge es, ältere Stiftungsmitglieder zu gewinnen, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse gemeinsam mit den Jüngeren vor Ort einzubringen. Die RLS ist für ihre Zusammenarbeit mit anderen Stiftungen, Vereinen, Initiativen, organisierten und losen Gruppierungen bekannt. Wie beurteilen Sie die Qualität der Kooperationsbeziehungen? Bei allem, was wir tun, gibt es Luft nach oben. So auch hier. Kooperation mit verschiedenen Partnern ist eine eigenständige Form des „Ausschwärmens“. Von 215 RLS-organisierten Veranstaltungen im Jahre 2016 gingen 141 in Kooperation über die Bühne. Unsere Partner waren unter anderen der DGB Sachsen, die Volkshochschule Chemnitz, der VVN/ BdA, globalE e.V., die Autodidaktische Initiative, die Hansund Lea-Grundig-Stiftung, riesa efau, LinXXnet e.V., KLINKE e.V. Chemnitz, Alte Schule e.V. Cunnersdorf, die Gruppe MarxExpedition und AZ Conni Dresden. Unser Interesse besteht darin, linke politische Bildung

zu vermitteln. Wir werden diese Seite unserer Tätigkeit weiter ausbauen. Grenzen sehe ich nur dort, wo der linke Pluralismus an seine Grenzen stößt. Diese Grenzen zu erkennen und zum Maßstab kooperativer Aktivitäten zu machen, scheint Ihnen besonders wichtig zu sein? Das kann ich uneingeschränkt bestätigen. In den Grenzen eines linken Pluralismus zu bleiben, ist aber für mich ein über Kooperationen hinaus weisender Imperativ politischer Auseinandersetzung. Ich möchte die traditionelle Kultur- und Bildungsarbeit der RLS, die zu Recht hohe Anerkennung genießt, noch stärker auf eine fundierte politische Analyse und Aneignung aktueller Ereignisse und Vorgänge des nationalen und internationalen Geschehens ausdehnen. Und so noch intensiver in die Gesellschaft wirken. Immer wieder erlebe ich, wie die junge Generation an historischen, philosophischen, politiktheoretischen Antworten auf Hintergründe, Ursachen und Folgen der komplizierten, komplexen, von unterschiedlichen Interessen bestimmten politischen Strategien und Taktiken interessiert ist. Auf diesem Feld können und müssen wir mehr leisten und dabei jeglichen Auffassungen jenseits eines linken Pluralismus entgegentreten. Demokratiefeindliche, unsoziale, nationalistische, rassistische und andere gegen das Selbstverständnis unserer Stiftung gerichtete Denk- und Verhaltensweisen haben bei uns keinen Platz. Unsere jüngeren Mitglieder und über sie deren Praxispartner gegen solcherart ideologisches Gift immun zu machen, bleibt eine ständige Herausforderung an uns. Dass die Älteren mit ihren theoretischen Erkenntnissen linken Denkens und vielfältigen Erfahrungen in der realpolitischen Auseinandersetzung hier besonders gefragt sind, versteht sich. In die Gesellschaft zu wirken, von sich im Wortsinne reden zu machen, kommt der Öffentlichkeitsarbeit der RLS hohe Bedeutung zu ... Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Ja, uns sind hier Grenzen gesetzt. Öffentlichkeitsarbeit kostet richtig Geld. Die uns als Stiftung zugewiesenen staatlichen Finanzmittel und Spenden aus den eigenen Reihen reichen nicht, alle unsere massenmedialen Sprachrohre am Leben zu erhalten, wie sich am unersetzlichen Verlust von „Leipzigs Neue“ zeigt. So bleibt uns die „Links!“, die auch im Internet zu lesen ist. Die digitalen Mög-

lichkeiten nutzen wir natürlich auch. Eigene Internet-Auftritte, Newsletter, Facebook-Seiten und andere Info-Mittel werden naturgemäß vor allem von der Jugend genutzt. Viele der Älteren sind jedoch von diesen Kanälen ausgeschlossen. Das betrifft RLS-Mitglieder wie die interessierte Öffentlichkeit gleichermaßen. Wissenschaftliche Publikationen der RLS in Buch- oder Broschur-Ausgaben haben nicht nur in der Fachwelt einen guten Ruf. Welche Neuerscheinungen mehren ihn? Die jüngsten, 2016 von uns herausgegebenen Schriften stammen von den Autoren Gerhard Hoffmann zum Thema Orient und Okzident, von Manfred Neuhaus und Peter Porsch zum Wirken des Literaturwissenschaftlers Roland Opitz und von Patrick Pritscha zur NS-Verfolgung aus der Sicht betroffener Familien. Dieter Janke und Jürgen Leibiger gaben gemeinsam mit dem VSA-Verlag eine Flugschrift zur digitalen Revolution heraus. Für 2017/2018 berät der Wissenschaftliche Beirat der RLS unter Vorsitz von Prof. Dr. Manfred Neuhaus über weitere Editionsvorhaben. Wir werden also unsere „papiernen“ Wortmeldungen für eine größere Öffentlichkeit fortsetzen. Die insgesamt freundliche Bilanz, die Sie ziehen konn-

ten, ist vor allem das gemeinschaftliche Verdienst etlicher Ehrenamtlicher, die eher selten im Rampenlicht stehen. Wen möchten Sie stellvertretend für alle „Stiftungsaktivisten“ und ihr engagiertes Wirken würdigen? Ich bedanke mich bei allen freiwilligen Helfern von ganzem Herzen. Stellvertretend nenne ich Boris Krumnow für seine erfolgreiche Projektarbeit mit den jungen Leuten. Dieter Janke für seine betriebswirtschaftliche Betreuung unserer Stiftung. Und die BibliotheksVerantwortlichen Andy Urban (Leipzig), Wilfried Trompelt (Dresden), Sonja Naphtalie (Chemnitz). Ohne funktionierende Geschäftsstellen sind vielfältige organisatorische und verwaltungstechnische Aufgaben aber nicht zu erfüllen. Daher möchte ich gern auch Geschäftsführerin Stefanie Götze (Leipzig) und die Filialleiter Susanne Scholz-Karas (Dresden) und Mike Melzer (Chemnitz) belobigen. Dank gilt auch Schatzmeister Dr. Bernd Juhran. Werden Sie 2018 noch einmal für den Vorstandsvorsitz kandidieren? Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Die Jungen müssen die Chance haben, ihre eigenen Vorstellungen zu realisieren. Meine Hilfe ist versprochen. Ich werde meine Entscheidung rechtzeitig und einvernehmlich fällen.

Kommunikation in der Kommunalpolitik – ein Seminarbericht Am Wochenende vom 24. bis zum 26. Februar fiel der Startschuss für die dreiteilige Seminarreihe „Kommunikation in der Kommunalpolitik“ des KFS e.V. im Landhotel Frankenberg. Unter der Anleitung unserer Trainer*innen Dr. Christian Wirrwitz und Dr. Romy Jaster beschäftigten wir uns zunächst mit den Grundlagen konstruktiver Kommunikation. Es ist schon erstaunlich, wie viele Botschaften unbewusst und nonverbal transportiert werden können und wie diese jedes weitere Gespräch schon im Vorhinein beeinflussen. Darauf aufbauend folgte eine Einführung in die Theorie der gewaltfreien Kommunikation. Diese wurde anhand von alltäglichen Beispielen, die viele aus der kommunalpolitischen Praxis kennen, anschaulich vermittelt und praktisch erfahrbar gemacht. Wir als Teilnehmer*innen konnten uns letztlich selbst im Um-

gang mit aggressiver Kommunikation, beispielsweise pöbelnden Querulant*innen auf öffentlichen Veranstaltungen, üben. Hieran anschließend beschäftigten wir uns eingehender mit der Selbstbehauptung in konfliktreichen Gesprächssituationen und damit, wie diese selbstsicher und souverän aufgelöst werden können. Bemerkenswert ist, wie es den Trainer*innen durchweg gelang, Theorie und Praxis zu verbinden. Insbesondere für die praktischen Teile griffen sie auf die Erfahrungen, Erlebnisse und Probleme der Teilnehmenden zurück, um diese von und in der Gruppe diskutieren zu lassen. Aber so ein Seminar besteht ja nicht nur aus Inhalten. Auch das Sich-Austauschen über dieses und jenes in der Gruppe kam nicht zu kurz. Wer Lust dazu verspürte, setzte sich abends noch zusammen und ließ den Tag gemeinsam ausklingen. • Konrad Heinze


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Abschied von Prof. Dr. Jutta Seidel „Du hattest so gar nichts von einer ,großen Wissenschaftlerin‘ an Dir und bist es doch gewesen“ Mit einer anrührenden Hommage würdigten Stiftungsvorstand Peter Porsch, Freunde und Schüler am 1. April Werk und Wirken der am 9. Februar verstorbenen Leipziger Historikerin und aufrechten Sozialistin Jutta Seidel. Als gelernte Stenotypistin, Tochter eines Zimmermanns und einer Buchbindereiarbeiterin aus dem Leipziger Osten, gehörte sie zu jener legendären ABF-Absolventen-Generation, die ihre akademischen Sporen als erste in der Sowjetunion erwarben. Sechs Jahre nach dem Ende des mörderischsten Krieges, den Deutsche ihren russischen Nachbarn aufgezwungen hatten, war es eine bis dahin unvorstellbare Geste, als die Sowjetunion 1951 junge Ostdeutsche zum Studium einlud. Jutta Seidel sah die riesigen Soldatenfriedhöfe, roch verbrannte Erde, erlebte zerstörte Landschaften und Städte und lernte ihre akademischen Lehrer und Kommilitonen als großherzige Menschen kennen. Das glanzvoll beendete Studium öffnete den Weg für eine nicht alltägliche akademische Karriere an jener Hohen Schule, für die der bärtige Welterklärer aus Trier gerade zum Namenspatron auserkoren war, der Alma mater lipsiensis. Jutta Seidel war eine moderne,

emanzipierte Frau. Ohne darüber große Worte zu verlieren, strebte sie jenseits des Familienalltags nach beruflicher Selbstverwirklichung als Wissenschaftlerin. Der Titelheld ihrer Doktordissertation, Wilhelm Bracke, war ein charismatischer, leider früh von der Schwindsucht dahin geraffter

ungenau gelesenen Gothaer Programmkritik. Jutta Seidels feinsinnige historisch-biographische Studie erlebte mehrere Auflagen und wurde sogar ins Chinesische übersetzt – welch ein Erfolg. Wie hätten sich andere, von ihrer Bedeutungsgewissheit trunkene Zeitgenossen damit geschmückt! Sehr

blicks und beflügelt durch die Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit Gelehrten wie Walter Markov und Manfred Kossok hat sie frühzeitig ein eigenes Forschungsprogramm entfaltet und mit Fortune verwirklicht. Dessen Originalität und historische Tragweite tritt im Lichte der europäischen

Kaufmannssohn aus Braunschweig, ein Multitalent der frühen sozialdemokratischen Bewegung, neben August Bebel einer der ersten Arbeitervertreter im Deutschen Reichstag, befreundeter Korrespondenzpartner von Marx, Adressat der vielgerühmten und oft nur

trefflich formulierte deshalb Juttas Freundin Ursula Wittich: „Du hattest so gar nichts von einer ,großen Wissenschaftlerin‘ an Dir und bist es doch gewesen.“ Jutta Seidel war eine leidenschaftliche Forscherin. Gefeit vor der Gunst des Augen-

Integration, ihrer Errungenschaften wie Gefährdungen, prägnant hervor. Die Forschungsergebnisse von Jutta Seidel, ihrer Schülerinnen und Schüler dokumentieren das filigrane Netzwerk, die Infrastruktur der sozialdemokratischen Emanzipationsbewegungen

und vermitteln erstaunliche historische Einsichten für ein gutnachbarliches Miteinander in Europa. Ihr herausragendes wissenschaftliches Werk schuf die leidenschaftliche Hochschullehrerin als Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines Philosophen, dessen kühne Ideen immer wieder Diskurspolizisten auf den Plan riefen. Es ist unmöglich über Jutta Seidel zu schreiben, ohne an Helmut Seidel zu denken. Es war die Liebe ihres Lebens, der Mann, mit dem sie sechs Jahrzehnte Freud und Leid geteilt hat. Und er war es, der wie wohl kein anderer den Anspruch und das geistige Klima der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen geprägt hat. Es ist bewunderungswürdig, was Jutta Seidel geleistet hat, um den literarischen Nachlass eines der bedeutendsten philosophischen Denker der DDR für die Nachwelt zu bewahren. Seit frühen Jugendjahren politisch organisiert, haben sie sich Helmut und Jutta Seidel bis an ihr Lebensende als Mitglieder in der Partei DIE LINKE engagiert. Ihre Weisheit, Güte und Freundlichkeit waren der Maßstab für ein generationenübergreifendes solidarisches Miteinander. M. N. Bild: Helmut (1929−2007) und Jutta Seidel (1931−2017) am von ihnen begründeten intellektuellen Sehnsuchtsort − der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Foto: Hartwig Runge (Ingo Graf)

2017 in und um Bautzen: Reihe „Spanischer Bürgerkrieg“ Vor 80 Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg. Der Europaklub International e.V. in Bautzen will in der Lausitz den europäischen Gedanken weiter tragen und 2017 in der Region würdevoll und kritisch an den Spanischen Bürgerkrieg erinnern. Die Veranstaltungsorte werden hier bekannt gegeben: www.kfsr.info Freitag; 7. April, 18:00 Uhr: Vortrag und Diskussion „Verhältnis der katholischen Kirche zur spanischen Republik / Rolle der Kirche während des Krieges und nach ihm“. Referent: PD Dr. Gianmaria Zamagni (Berlin), Dr. Phil. in Religionswissenschaften an der Universität Bologna 2004, habilitiert in Religionswissenschaften in Italien 2013 und in Deutschland 2014. Seit 2015 ist er Privatdozent für das Fach Religionsgeschichte – Fachbereich Katholische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie am Institut für Theologie und Sozialethik der TU Darmstadt. Bis Januar 2017

war er Projektleiter am Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit Anfang dieses Jahres ist er Mitarbeiter der Theologischen Fakultät der Universität der italienischen Schweiz in Lugano. Mittwoch, 26. April, 17:00 Uhr: Eröffnung der Wanderausstellung „Umkämpfte Vergangenheit“ anlässlich des Gedenktags der Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch die deutsch-faschistische Legion Condor und die italo-faschistische Aviazione Legionaria des Corpo Truppe Volontarie. Die Ausstellung wurde von der AG Geschichtspolitik des Berliner Vereins Grenzenlos e.V. erschaffen (www.vereingrenzenlos.net). Im Mittelpunkt steht die Erinnerung an Bürgerkrieg und an das danach diktatorisch herrschende Franco-Regime. Neben einer Einführung in die Geschichte des Bürgerkrie-

ges und des Franquismus stellt sie jeweils kurz die Geschichte einzelner vom Krieg getroffener Regionen (das Baskenland, Katalonien und Südfrankreich) im Bürgerkrieg und danach vor und geht auf spezifische Erinnerungsorte und -projekte ein. Freitag, 5. Mai, 18:00 Uhr: Vortrag und Diskussion: „Spanien-Kämpfer: Deutsche bei den Internationalen Brigaden und bei der Legion Condor“. Referenten: Dr. Hermann Drumm und Roland Hering. Hermann Drumm ist Vorsitzender des „Fördervereins Gedenkstätte KZ-Außenlager Kamenz-Herrental e.V.“ und Sohn des Leutnants der Internationalen Brigaden Hermann Drumm, gefallen bei Belchite/Spanien. Roland Hering ist Herausgeber der Broschüre „Wir haben noch etwas zu sagen – Auf den Spuren unserer Eltern – Arno Hering (1907 – 1986)“. Sein Vater Arno Hering war Widerstandkämpfer und Kämpfer der Internationalen Brigaden.

Samstag, 6. Mai, 18:00 Uhr: Filmabend mit Diskussionsrunde – „Madrid Before Hanita“ (Eran Torbiner, Israel 2006, 58‘ – Originalfassung Hebräisch/ Englisch mit deutschen Untertiteln). Dokumentarfilm über rund 300 jüdische Freiwillige, die aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina nach Spanien gingen, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Freitag, 9. Juni, 18:00 Uhr: Vortrag und Diskussion: „Die Nationalitäten- bzw. Minderheitenpolitik der spanischen Republik – Wie änderte sich die Situation nach dem Krieg und wie ist die Situation heute“. Referent: Raúl Alfredo Enzenbach (Magdeburg), Historiker und Hispanist. Seine Master-Arbeit setzt sich mit der Nationalitätenpolitik während der Zweiten Spanischen Republik auseinander. Er arbeitete für zwei Jahre als Deutschlehrer in Spanien. Heute unterrichtet er Geschichte und Spanisch am Ecole – Internationalen Gymnasium Pierre

Trudeau in Barleben bei Magdeburg. Einführend wird MdL Heiko Kosel, Historiker und Rechtsanwalt, zum Thema „Nationalitätenpolitik der Weimarer Republik und der Nazi-Regierung – 1918-1930er Jahre“ sprechen. Freitag, 7. Juli, 18:00 Uhr: Vortrag und Diskussion: „Die verschiedenen linken Bewegungen und ihre Rolle(n) in der spanischen Republik bzw. während des Krieges“. Referent: Dr. Alexandre Froidevaux (Berlin), freiberuflicher Historiker in Berlin, Mitglied im Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Autor des Buches „Gegengeschichten oder Versöhnung? Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur Transición (19361982)“ und Herausgeber der Publikation „80 Jahre danach. Der spanische Bürgerkrieg 19361939. Die spanische Gesellschaft und deutsche Interventionen“.


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Vor 100 Jahren: Streik der Leipziger Arbeiter Die Auswirkungen des Kohlrübenwinters, der schreckliche Hunger und die durch den Krieg verursachte allgemeine Not hatten breiteste Teile der Bevölkerung an den Rand der Verzweiflung gebracht, als nunmehr die deutsche Regierung verkündete, am 15. April 1917 erneut die Brotration zu kürzen. Daraufhin traten vor allem in Berlin, Leipzig, Braunschweig, Hannover, Dresden, Halle und Magdeburg größere Teile der Arbeiterschaft in den Ausstand. Der politische Charakter des Aprilstreiks, für den die Kürzung der Brotration der äußere Anlass war, kam in besonders ausgeprägter Weise in Leipzig zum Ausdruck. Flugblätter der Spartakusgruppe hatten bereits Anfang April, anknüpfend an die russische Februarrevolution, zu revolutionären Aktionen aufgefordert. Die innenpolitische Lage war derart angespannt, dass nunmehr die Gründung der USPD (6.-8. April 1917) auf beträchtliche Teile der Arbeiter mobilisierend wirkte. Vertrauensleute der USPD und der Gewerkschaften kamen am 11. April 1917 in einer Beratung im Leipziger „Kaffeebaum“ überein, gemeinsam zu einem Streik, der insbesondere die Rüstungsindustrie erfassen sollte, aufzurufen. Am 16. April legten nach der Frühstückspause zehntausende Leipziger Arbeiter mit der Forderung „Wir wollen Brot, Freiheit, Frieden!“ die Arbeit nieder. In langen Kolonnen zogen Teile der Streikenden zum „Volkshaus“, wo – in Absprache mit dem Polizeiamt – der Metallarbeiterverband für den Nachmittag eine Streikversammlung nach dem „Brauereigarten“ in Leipzig-Stötteritz einberief. Dort erklärte dann Richard Lipinski, Vorsitzender des USPD-Bezirksvorstandes Leipzig, dass es nicht nur um die Lösung der Kohlrübenfrage gehe, sondern dass

es vor allem darauf ankomme, „den Krieg zu beenden“. Mit dem Blick auf die russische Februarrevolution führte er unter großem Beifall aus: „Es gibt jetzt ein Mittel, den Krieg zu beenden. Die Arbeiter Russlands sind mit gutem Beispiel vorangegangen.“ Da die geräumige Festhalle im Brauereigarten überfüllt war und etwa 3.000 Streikende keinen Einlass gefunden hatten, fand zur selben Zeit im angrenzenden Garten eine weitere Versammlung statt, auf der Hermann Liebmann, Redakteur der LVZ und linker USPDFunktionär, sprach. Auch er rückte den Kampf um den Frieden in den Mittelpunkt und verwies darauf, dass, während „in Russland die Flamme der Revolution leuchtet“, sich die deutschen Arbeiter noch dem Joch der Regierung beugten. Zum Schluss wurden für den nächsten Vormittag Streikversammlungen im „Zentraltheater“, im „Volkshaus“, im „Zoologischen Garten“, in den „Westendhallen“, in der „Windmühle“ in Kleinzschocher und an weiteren Orten angekündigt. Die Polizei begrüßte das Stattfinden dieser Versammlungen, „weil so die Leute aus der Stadt gebracht und zusammengehalten werden“. Voller Befriedigung berichtete die Kreishauptmannschaft an das Ministerium des Inneren: „Demonstrationszüge, wie anfangs geplant, sind daher unterblieben.“ Der dennoch machtvolle Streik erfasste nicht nur den überwiegenden Teil der in der Rüstungsindustrie tätigen Arbeiter, sondern griff auch auf andere Erwerbszweige über, vor allem auf die Bau-, Holz-, Textil- und Kohlenindustrie. Insgesamt streikten in Leipzig am 18. April 1917 etwa 30.000 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Leipziger Kreishauptmannschaft berichtete

darüber nach Dresden: „Der Gang der Ausstandsbewegung lässt sicher darauf schließen, dass es sich weniger um die Erreichung wirtschaftlicher Ziele als vielmehr um eine politische Machtprobe der sogenannten Spartakusgruppe handelt, um die Anhänger der Mehrheitspartei an die Wand zu drücken. Das ist auch vorläufig in Leipzig gelungen.“ Und in der Tat, die Leipziger Forderungen stimmten mit wesentlichen Aussagen des Spartakusflugblattes „Der Kampf dauert fort!“ überein. Zu Beginn der Streikbewegung war eine Deputation gewählt worden – ihr gehörten Richard Lipinski, Hermann Liebmann als Vertreter der USPD und Arthur Lieberasch vom Metallarbeiter-Verband (da er erkrankte, nahm Ernst Schäfer seinen Platz ein) an – die der Regierung in Berlin folgende Forderungen der Streikenden überbringen sollte: 1. Ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln und Kohlen. 2. Erklärung der Regierung zur sofortigen Friedensbereitschaft unter Verzicht auf jede offene oder versteckte Annexion. 3. Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur. 4. Sofortige Aufhebung aller Schranken des Koalitions-, Vereins- und Versammlungsrechtes. 5. Sofortige Aufhebung des schändlichen Arbeitszwangsgesetzes. 6. Sofortige Befreiung der wegen politischer Vergehen Inhaftierten und Verurteilten, Niederschlagung der politischen Strafverfahren. 7. Volle staatsbürgerliche Freiheit, allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht für alle öffentlichen Körperschaften im Reich, in den Bundesstaaten und Gemeinden. Die Deputation wurde bevollmächtigt, weitergehende For-

derungen, die sich aus der Situation ergeben, zu erheben. Des Weiteren hieß es: „Zur wirksamen Vertretung der Arbeiterinteressen fordern die Versammelten alle Berufsgruppen auf, Vertreter zu entsenden, um mit Vertretern der Metallarbeiter und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei einen Arbeiterrat zu bilden.“ Vor ihrer Abreise nach Berlin wurde die Leipziger Resolution, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Hermann Liebmann verfasst worden war, dem Reichskanzler telegrafiert. Wie sehr die Leipziger Resolution den Herrschenden den Schreck in die Glieder fahren ließ, zeigten die Ausführungen des Generals Wilhelm Groener, Chef des Reichskriegsamtes, in der Sitzung des Hauptausschusses des Reichstages am 26. April 1917. Er betonte, dass in Berlin während des Streiks anfangs alles gut gegangen und die Arbeitsaufnahme bereits wieder beschlossen worden war. „Bis dahin hatte ich die Minderung der Produktion durchaus ruhig hingenommen, um eben einmal den Arbeitern Gelegenheit zu lassen, sich von dieser Depression zu erholen. Jetzt aber trat eine ganz scharfe Wendung in dieser Sache ein. Vom Mittwoch (18. April) traten politische Dinge in den Vordergrund ... Ihnen allen ist das Leipziger Programm und das unverschämte Telegramm an den Reichskanzler bekannt. Der Inhalt ist eine ganze Reihe politischer Forderungen ... vor allem aber zum Schluss Einsetzung eines Arbeiterrates nach russischem Muster ... Das war toll, mehr als toll! Und diese politischen Momente sind ... in die deutschen Waffen- und Munitionsfabriken übertragen worden.“ In Berlin streikten im April 1917 über 300.000 Arbeiter. In der Knorr-Bremse AG forderten die Arbeiter die Freilas-

sung Karl Liebknechts und der in „Schutzhaft“ befindlichen Personen, die Aufhebung des Belagerungszustandes, die Beendigung des Krieges ohne Entschädigung und Eroberungen sowie ausreichende Ernährung durch Sicherstellung von Lebensmitteln. In Berlin-Charlottenburg und in der KnorrBremse AG wurden Arbeiterräte gewählt. Am 20. April 1917 wurde in Leipzig eine Vereinbarung unterzeichnet, die zur Wiederaufnahme der Arbeit führte. Neben der Aufhebung der Kürzung der Brotration wurde zusätzlich ein Ei pro Woche und Person zugestanden, der Stundenlohn für Munitionsarbeiter auf 1,06 Mark angehoben und eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 52 Stunden pro Woche bei Beibehaltung der bisherigen Löhne festgelegt. Den Funktionären wurde zugesichert, in den nächsten neun Monaten nicht zum Heeresdienst einberufen zu werden. Die politischen Forderungen zu verhandeln, lehnte das Leipziger Kriegsamt ab, indem es sich als nicht zuständig erklärte. Auch wenn es gemäßigten Führern der USPD und der Gewerkschaften gelang, den Streik auf das wirtschaftliche Gebiet einzuengen, vor allem zunächst die Bildung eines Arbeiterrates in Leipzig zu verhindern und obwohl die Verhandlungen in Berlin erfolglos waren – Schäfer bezeichnete es als Erfolg, dass die Leipziger Deputation im Reichskanzleramt überhaupt vorgelassen worden war –, zeugten doch der Verlauf der drei großen Berichtsversammlungen am 24. April im „Krystallpalast“, im „Zoologischen Garten“ und in den „Drei Linden“ davon, dass beträchtliche Teile der Leipziger Arbeiterschaft ihren Kampf um Brot mit dem um die Beendigung des Krieges verbunden hatten. Prof. Dr. Kurt Schneider

Vor 80 Jahren erschossen: Franz Stephan Franz Stephan war ein Todesopfer des stalinistischen Terrors in den dreißiger Jahren. Geboren am 5. Mai 1894 in Habelschwerdt/Schlesien, kam er nach seiner Schriftsetzerlehre nach Gera, wo Ende 1914 seine Einberufung zum militärischen Kriegsdienst erfolgte. Durch einen Lungenschuss schwer verwundet, wurde er schließlich im Frühjahr 1916 in den Zivildienst entlassen. 1918 trat er der im April 1917 in Gotha gegründeten USPD bei und kam 1920 mit ihrem linken Flügel zur KPD. Nach wenigen Jahren wurde er Mitglied der

KPD-Bezirksleitung Thüringen und auf dem X. Parteitag 1925 für Thüringen in die Politische Kommission des Zentralkomitees der KPD gewählt. In der Folgezeit war Stephan Sekretär der Bezirksleitung und ab 1930 Leiter der „Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) Thüringen” sowie Redakteur der KPD-Zeitung „Der Erwerbslose”. 1931 übernahm er redaktionelle Verantwortung bei der „Hamburger Volkszeitung” und danach von August bis Oktober die eines Gewerkschaftsredakteurs bei der „Schlesischen Arbeiterzeitung” in Breslau.

Als nach der Errichtung der faschistischen Diktatur die 0berreichsanwaltschaft gegen Franz Stephan ermittelte, flüchtete er mit seine Frau Marie und seiner Tochter Ilse in die Sowjetunion. Unter dem Parteinamen Kurt Löffler kam er zunächst ins Exekutivkomitee der „Roten Gewerkschaftsinternationale” (RGI) in Moskau. 1933/34 war er Kulturleiter für die ausländischen Arbeiter in Rybinsk und Tscheljabinsk. Danach wurde er nach Odessa versetzt und arbeitete als Redakteur an der dortigen deutschen Rayonzeitung.

Am 17. September 1936 wurde Franz Stephan zusammen mit seiner Frau Marie vom Geheimdienst NKWD verhaftet, die wahrscheinlich während der Haft verstarb. Ihr Ehemann wurde verurteilt zur Höchststrafe: Tod durch Erschießen, vollstreckt am 25. April 1937. Seine Tochter Ilse konnte erst im September 1956 in die DDR ausreisen. Anfang Januar 1959 informierte die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) Ilse Stephan mündlich über die posthume Rehabilitierung Ihrer Eltern durch die Staatsanwaltschaft der UdSSR.

2004 konnten Hermann Weber und Andreas Herbst in dem von ihnen verfassten „Biographischen Handbuch: Deutsche Kommunisten – 1918 bis 1945“ erstmals darüber berichten. Am 10. Oktober 1993 wurde in Butovo, am Ort der Erschießungen, ein Gedenkstein errichtet mit der Aufschrift: „An dieser Stelle des Butover Schießgeländes wurden in den Jahren 1937-1953 viele Tausende Opfer politischer Repressionen vom NKWD-MGB heimlich erschossen und beerdigt. Zum ewigen Gedenken an sie.” Prof. Dr. Kurt Schneider


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Dresden, 12. April, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Die strukturelle Krise der Kapitalakkumulation als Hintergrund multipler Krisendynamiken*** REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise. Mit Dr. Tino Heim (Sozialwissenschaftler). Eine gemeinsame Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen. TU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstraße 64, 01069 Dresden Die multiplen Krisendiskurse der Gegenwart zeigen ein fragmentiertes Krisenbewusstsein, das die immanenten Zusammenhänge ökonomischer, soziokultureller, politischer und ökologischer Krisenausprägungen verdeckt. Der Vortrag diskutiert die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge verschiedener Krisen in der Logik der Kapitalakkumulation und in den Entwicklungstrends des kapitalistischen Weltsystems. Die Unterscheidung zyklischer Krisen von langfristig eskalierenden Krisendynamiken, die die Bedingungen des Kapitalismus unterminieren, stellt dabei vor die Frage, ob letztere mit den Mitteln der gegenwärtigen Wirtschaftstheorie und -politik noch adäquat begriffen und bearbeitet werden können. Chemnitz, 12. April, Mittwoch, 19.00 Uhr Buchvorstellung und Diskussion: Die autoritäre Revolte Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes***. Durchmarsch von rechts - Modernität rechten Denkens. Mit Dr. Volker Weiß (Historiker). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit der VHS Chemnitz. Veranstaltungssaal, dasTietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz In seinem Buch bietet Volker Weiß eine fundierte Zeitdiagnose zu den rechtspopulistischen Phänomenen Pegida, AfD & Co. Dabei beschreibt er das Spektrum der rechten Bewegungen und untersucht die Herkunft und Vernetzung ihrer Kader. Er

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

zeigt: Gegenwärtig werden nationalistische Strömungen der Vergangenheit, die der Nationalsozialismus verdrängt hatte, wieder aufgegriffen. Weiß geht den autoritären Vorstellungen nach und veranschaulicht Übergänge von Konservativismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Zugleich demaskiert er die antiliberalen Phrasen der Rechten und ihren Gestus als „68er von rechts“. Die Erkenntnis: „Abendländer“ und Islamisten sind in ihrem Kampf gegen Selbstbestimmung Waffenbrüder.

me Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. TU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstraße 64, 01069 Dresden

Dresden, 18. April, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: ASYLRECHT in Deutschland – Schlimmer geht immer?***. REIHE: Junge Rosa - richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. Mit Jörg Eichler und Thomas Hoffmann (Sächsischer Flüchtlingsrat). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Für Essen, Trinken, Unterhaltung, Inputs, diverse Workshops, Mucke, Pennplätze, Entspanntes und Spannendes ist gesorgt. Das Programm und die Anmeldung findet ihr auf der Website. Anmeldeschluss ist der 6. April. Wir bemühen uns, ausgewählte Workshops ins Französische, Englische und Arabische zu übersetzen. Wenn Ihr Übersetzung benötigt, schreibt das mit in die Anmeldung. Alle Infos unter: https://timetoact.noblogs.org

Asylpaket I im Oktober 2015, Asylpaket II im März 2016, Integrationsgesetz im Juli 2016, das geplante „Ausreisegewahrsamvollzugsgesetz“, das Abschiebegefängnisse in Dresden zur Folge hätte – die Reihe der Asylrechtsverschärfungen in kurzer Zeit scheint kein Ende zu nehmen. Es wird immer komplizierter, den Überblick darüber zu behalten, was konkret beschlossen wurde. Jörg Eichler und Thomas Hoffmann werden uns die jüngsten Entwicklungen im Asylrecht erläutern. Sie berichten praxisnah, was sich durch das jeweilige Gesetz für die Betroffenen verändert hat. Die sächsische Regierung beteiligt sich an der Umsetzung der Gesetze besonders stark, scheinbar bis hin zu Abschiebungen um jeden Preis. Dresden, 19. April, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Kritik in der Krise - Theoretische Bedingungen und Probleme kritischer Gesellschaftswissenschaft***. REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise. Mit Dr. Michael Städtler (Universität Wuppertal). Eine gemeinsaNamentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Exemplaren gedruckt.

Chemnitz, 20.-23. April, Donnerstag bis Sonntag Antifaschistischer Jugendkongress #2 – get organized. Anmeldung erforderlich unter: timetoact@riseup.net. Die Teilnahme ist kostenlos. AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz

Dresden, 20. April, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie antisemitisch ist die AfD?***. Mit Jan Riebe (Sozialwissenschaftler und Referent bei der Amadeu Antonio Stiftung) HATiKVA, Pulsnitzer Straße 10, 01099 Dresden; Teilnahmegebühr: 3 €, ermäßigt 2 € Antisemitismus ist wesentlicher Bestandteil des Weltbildes der deutschen extremen Rechten. Anders als die NPD sanktioniert die AfD, zumindest hin und wieder, antisemitische Ausfälle ihre Mitglieder. Mehr noch: Sie wirbt häufiger im Vorfeld von Parteiveranstaltung gezielt um die Teilnahme von Jüdinnen und Juden. Vereinzelt werden auf AfD-Demonstrationen Israel-Fahnen getragen. Leipzig, 25. April, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Aufklärung – ein abschließbares Projekt?***. REIHE: Philosophische DienstagsgeRedaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 20.03.2017 Die nächste Ausgabe erscheint am 03.05.2017.

sellschaft. Mit PD Dr. Peter Heuer (Leipzig) Moderation: PD Dr. Volker Caysa. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 25. April, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Migration und Intellektualität - Die Figur des political Scholar***. Junge akademische Reihe. Mit Konrad Heinze (Politikwissenschaftler). Subbotnik, Vettersstraße 34, 09126 Chemnitz Die Signatur des Scholars in der Gegenwart aufzuspüren und als mögliche Figuration zur Beschreibung migrierter SozialwissenschaftlerInnen zu verstehen, ist das Hauptanliegen der vorzustellenden Arbeit. Zu diesem Zweck erfolgt eine Schau sowohl der Grenzen, aber auch Chancen und Möglichkeiten von Exil- und Migrationsforschung in Deutschland, als auch des Anteils von migrierten SozialwissenschaftlerInnen an der Konstituierung der letztgenannten. Chemnitz, 26. April, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Ohne Kampf geht es nicht! Queer, Gender, polymorphe Sexualität und Rechtsruck***. REIHE: Rosa trifft Lila. Mit Roswitha Scholz (Publizistin). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen und des Referates Antidiskriminierung an der TU Chemnitz. TU Chemnitz, Ortsangabe folgt Es wird deutlich, dass ein oberflächliches Gendern und Queeren von Sprache, der Medien, von Politik, Ökonomie usw. nicht ausreicht, wenn die Verhältnisse immer prekärer werden. Der massive Rechtsruck (AfD, Pegida, Querfrontbewegungen) geht einher mit dem Versuch der Restaurierung traditioneller Geschlechtermuster bis hin zur Gewalt gegen Schwule, Lesben und Transpersonen. Roswitha Scholz vertritt die These, dass objektive, materielle Strukturen und die psychische Disposition der Subjekte nicht außer Acht geDie Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

lassen werden können und eine härtere Gangart gegenüber den kapitalistisch-hetero-patriarchalen Zuständen einzuschlagen ist. Leipzig, 27. April, Donnerstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Welche Optionen hat die Linke? Tolerieren, Regieren, Opponieren?*** REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU. KOMM-HAUS, Selliner Straße 17, 04207 Leipzig (barrierefrei) Chemnitz, 29. April, Samstag, 19.30 Uhr Lesung mit Musik: Wie klingt die neue Mitte? - Die WA(H) REN Geschichten der Popmusik*** Durchmarsch von rechts - Modernität rechten Denkens. Mit Salon Orthodox. Eine Veranstaltung des Hauses Arthur in Kooperation mit der RLS Sachsen. Haus Arthur, Hohe Str. 33, 09112 Chemnitz Umdeutungen, Assoziationen, Adaptionen, Unschärfen. Die Geschichte der Popmusik ist überfüllt mit Geschichten von Missverständnissen und Widersprüchen. Popmusik ist dabei zwingend so politisch wie die Zeit, in der sie entsteht. Auch das politischthematische Spektrum bietet immer den ausgeklappten Fächer der Weltanschauungen. In den untergründigen, dunklen Gassen gären Ungeheuerlichkeiten, von denen es manche später in die popmusikalische, gesellschaftliche Mitte schaffen. Die heute weit verbreitete Annahme, dass (gute) Popular Music automatisch positiv konnotiert progressiv, biologisch abbaubar und „links“ sei, ist laut Okie Kühnert und Alexander Dreyhaupt vom „Salon Ohrthodox“ ein Irrtum. In ihrem assoziativen Vortragsritt durch die Entwicklung der Popmusik versuchen sie alternativ ein vielschichtigeres Bild zu skizzieren. *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773


Rezensionen

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04/2017  Links!

Die unglaubliche Geschichte Koreas Anna Kims „Die große Heimkehr“ ist der erste Roman, der uns die Geschichte der Samsung-Hersteller und der Kim-Dynastie in Pjöngjang näher bringt. Mit fortgeschrittenem Alter versteht man besser, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen können und andere, die wir nicht wissen sollen. Das trifft für beide Koreas wie für beide Deutschlands zu. Ein Beispiel: Ist „Poldi“ mit seinen 49 Toren für die Nationalmannschaft nun der drittoder der vierterfolgreichste deutsche Spieler? Die Frage ist nicht lächerlich, sondern grundsätzlich – denn im Kern lautet sie: Waren DDR-Fußballer „Deutsche“? Wenn ja, reichen Poldis Tore für Platz 3 nicht – dann war ein DDRMann vor ihm. Wenn der aber für das „falsche Deutschland“ gespielt hat, dann muss man im Osten bald aufpassen, dass nicht jegliche DDR-Geschichte in der deutschen Geschichte nicht mehr vorkommt. Wer Anna Kims Buch liest, der lernt mehr als nie gehörte Fakten der Geschichte Asiens. Der erfährt auch, wie Anti-Kommunismus funktionierte und bis heute funktioniert. Man muss wissen, dass Anna Kim Österreicherin ist, deren Eltern mehr oder weniger aus Südkorea ins freie Europa flohen. Die Autorin war zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahre alt und wuchs zwischen zwei Kulturen auf. Doch die Geschich-

te Koreas hat sie nicht losgelassen, so dass sie mehrere Recherchereisen unternahm. Herausgekommen ist ein spannender Roman: Eine junge Frau

besucht einen alten Herrn, der seine Geschichte zu erzählen beginnt. So steigt aus der Erinnerung die blutige Geschichte des Korea-Krieges auf (1950-

53, in dem die DDR auf der einen und die BRD auf der anderen Seite stand – und das blieb so bis 1989), Splitter der Geschichte Groß-Japans, die man in Europa kaum kennt, und vor allen Dingen die Rolle der USA, die die Japaner als Besatzungsmacht in Korea beerben, indem sie deren kolonialen Unterdrückungsapparat sofort in ihren Dienst stellen. Waren die Japaner nicht die härtesten AntiKommunisten Asiens? Überall in Groß-Japan, also auch in Korea, spielten Japanisch-Lehrer eine sehr wichtige Rolle – denn Japanisch war die erste Sprache in der japanischen Zeit Koreas. Erste Fremdsprache war dann übrigens Deutsch, immerhin die Sprache des engsten Verbündeten in Europa, NaziDeutschland. Wenn heute Chinesen, Koreaner und Japaner oft besser über deutsche Musiker und Schriftsteller Bescheid wissen als Deutsche, dann hat das sehr viel mit japanischen Besetzung Koreas (1905-1945) und Chinas sowie dem Erbe dieser Besatzung zu tun – und den ehemaligen Lehrinhalten, die sich am Freund in Deutschland und nicht am Feind in Washington ausrichteten. An den Feindbildern hat sich auch nichts geändert seit den 50ern Jahren bis heute. Allerdings ist der Konflikt in Korea noch heute hundertmal schärfer als der zwischen der BRD und der DDR jemals war. Ausreisen und Besuche finden dort

so gut wie nicht statt – es gibt nicht einmal Post. Ein Südkoreaner im Staatsdienst würde 2017 in Seoul kein Bein mehr auf den Boden bekommen, wenn herauskäme, dass er versucht hat, mit seinen Verwandten in Nordkorea Kontakt aufzunehmen. Die Verteufelung des „gegnerischen Staatschefs“ hat auch Tradition. Bei Anna Kim liest man dazu: „In Südkorea waren Abbildungen des Generals verboten. Wurde man mit einem Foto von ihm erwischt, konnte man für ,kommunistische Agitation‘ lebenslang ins Gefängnis gesteckt werden. Ausschließlich bösartige anti-nordkoreanische Karikaturen waren erlaubt ...“ Wer wissen will, warum die Koreaner Japans Nordkorea-Fans sind, auf welchen Leichenbergen vermeintlicher Kommunisten Südkorea aufgebaut wurde und wie alles unter den wohlwollenden Blicken der amerikanischen Besatzungsmacht geschehen konnte, lernt in dem einzigartigen Werk nicht nur Unerhörtes über die Geschichte Koreas, sondern auch viel über Japan und den amerikanischen Imperialismus. Es wäre interessant zu erfahren, ob das Buch eine Chance hat, in Nordund Südkorea veröffentlicht zu werden. Auf jeden Fall wäre dem Buch eine Übersetzung ins Koreanische zu wünschen. Der Roman erschien bei Suhrkamp und ist 559 Seiten stark, er kostet 24 Euro. Ralf Richter

Streitbare Stimme der marxistischen Linken Sie kommt als Z. daher. Z. in signal-rot. Sinnfällig, denn der vollständige Titel lautet: ZEITSCHRIFT MARXISTISCHE ERNEUERUNG. Sein trutziges, wie in Stein gemeißeltes Versaliendesign mag auf den ersten Blick an neuem, flexiblen linken Denken zweifeln lassen. Doch der zweite Blick, in die Texte hinein, zerstreut alle Bedenken: Die Z. erweist sich von A−Z als pluralistisches linksdemokratisches Diskussionsund Publikationsorgan. Partei- und organisationspolitisch ungebunden, ist sie ein freies Forum jenseits jedweder oberinstanzlichen Deutungshoheit. Das ist ihr Markenzeichen, wie sie sich ebenso, ihrer Namensgebung getreu, als eine ehrliche und streitbare Stimme der marxistischen Linken in Deutschland versteht. Für an der Z. Interessierte dürfte noch von Belang sein, dass die seit Herbst 1989 in Frankfurt am Main herausgegebene Publikation eine publizistische Reaktion auf den Exodus des Realsozialismus in der DDR

ist, die Defizite und Fehler der Vergangenheit und Gegenwart in Theorie und Praxis aufzudecken und anzugehen. Dass sie den Prozess theoretischer Selbstverständigung mit kapitalismuskritischer Analyse der heutigen Gesellschaft verbindet und in der emanzipatorischen und kritischen Tradition von Marx, Engels und ihren Nachfolgern steht. In diesem Sinne fühlt sich Z. auch der Partei DIE LINKE und der Rosa-Luxemburg-Stiftung nahe. Z. erscheint als Vierteljahresschrift seit 1990. Ihr Umfang liegt bei 200 bis 250 Seiten. Die März-Ausgabe 2017, auf die hier aufmerksam gemacht werden soll, firmiert als Z. 109. Das Editorial verheißt den thematischen Schwerpunkt des Heftes: 100 Jahre russische Doppelrevolution vom Februar und Oktober 1917. In sechs Beiträgen loten ausgewiesene Politikwissenschaftler, Historiker und Philosophen die Frage nach der Opportunität dieses historischen Ereignisses für die politischen und sozia-

len Auseinandersetzungen der Gegenwart aus. Frank Deppe resümiert die 1917er Ereignisse in Russland und diskutiert vor diesem Hintergrund revolutionstheoretische Aspekte, darunter jene von Räteherrschaft und Parlamentarismus. Entwicklung und Zusammenbruch des durch die Oktoberrevolution entstandenen Staates interpretiert er im Kontext der globalen Gegenrevolution. Stefan Bollinger betrachtet die Entwicklungsetappen von der Februarrevolution bis zur neuen Ökonomischen Politik 1921 und Gründung der UdSSR 1922 als Abfolge mehrerer revolutionärer Schritte. Wladislaw Hedeler ruft die Geschichte des kurzlebigen russischen Mehrparteiensystems in Erinnerung, das die Februarrevolution gebar und der bewaffnete Aufstand im Oktober 1917 beerdigte. André Tosel beschäftigt sich mit Antonio Gramscis Sicht in den Jahren 1917−1926 auf den Oktoberaufstand als „Revolution gegen das (Marx’sche) Kapital“.

In den Disputen nach ihrem Sieg und dem Scheitern des „deutschen Oktober“ 1923 plädierte er gegen sektiererische Verengungen nach dem Muster „Klasse gegen Klasse“ und für den Kampf um die Einheitsfront aller „Subalternen“. Ulla Plener zeichnet die Kontroverse um Nation und nationale Frage zwischen Rosa Luxemburg („nationalkulturelle Autonomie“) und Lenin („Selbstbestimmungsrecht der Nationen“) nach. Schließlich skizziert Gerhard Engel die revolutionäre Arbeiter- und Matrosenbewegung Bremens an der Jahreswende 1918/1919 als Mikrokosmos der allgemeinen Bewegung. Der beachtliche Umfang der Zeitschrift garantiert dem Leser ein breit gefächertes Angebot linksdemokratischen, marxistischen Denkens. Hier sei noch auf einige tragende Beiträge verwiesen. Werner Goldschmidt bespricht in der Rubrik Postkapitalismus gegensätzliche Auffassungen der „autonomen Marxisten“ Robert Kurz

und Karl-Heinz Roth. Und Jörg Roesler blickt auf Ulbrichts Versuch einer sozialistischen Marktwirtschaft zurück. Die kapitalismuskritische Analyse widmet sich dem unsozialen Bauboom (Bernd Belina) und einer aktualisierten Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Günter Bell). Schließlich: Lothar Peter unterzieht die derzeit vieldiskutierte Autobiografie des französischen Soziologen Didier Eribon „Rückkehr nach Reims“ einer differenzierten Kritik. Viel Interessantes bieten auch die Spalten Berichte und Buchbesprechungen. Sie informieren über internationale Tagungen und politische Bildungsveranstaltungen, darunter auch über den Leipziger Jour-fixe-Gesprächskreis an der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, und kommentieren neuere marxistische oder für die marxistische Diskussion interessante Literatur. Einschlägige Anzeigenseiten runden die Z. 109 ab. Wulf Skaun


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Folksänger und Menschenrechtler – Harry Belafonte zum Neunzigsten Harry Belafonte wurde am 1. März 1927 in New York geboren. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er jedoch in Jamaika, wo er unweigerlich mit den temperamentvollen Rhythmen der Calypso-Musik konfrontiert wurde. Sie erklang überall, landauf, landab, auf den Marktplätzen, in den Gassen der Städte, in den Caféhäusern, und löste bei ihm eine große Faszination aus, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. 1940 zogen die Belafontes wieder nach New York, wo Harry in die „Washington High School“ eingeschult wurde – und schon im Schulchor als talentierter Sängerknabe auffiel. Nach dem Schulabschluss zog man ihn zum Militärdienst in der US Navy ein. Nach seiner Entlassung bekam er Mitte der Vierziger eine Beschäftigung als einfacher Bühnenarbeiter am „American Negro Theater“, und weil er die Aufführungen des Schauspielensembles wissbegierig verfolgte und Gefallen daran fand, wuchs in ihm der Wunsch, Schauspieler zu werden. Nach erstem Zögern überwand er seine Skrupel und nahm an den „Dramatic Workshops“ teil, die vom Intendanten des Theaters, Erwin Piscator, höchstpersönlich geleitet wurden. Der berühmte Regisseur entdeckte schnell Belafontes Talent und begann, ihn zu fördern. Piscator, der aus Deutschland stammte und dem viel daran lag, in seinem Wirken als Theatermann soziale und gesellschaftliche Probleme zu thematisieren, war einst Mitbegründer des „Proletarischen Theaters“ in Berlin und leitete dasselbe von 1920 bis 1921, bevor er zwischen 1924 und 1927 als Regisseur an der „Berliner Volksbühne“ beschäftigt war. Von der wurde er aufgrund seiner „provokanten“ Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ als Revolutionsstück und von Ehm Welks „Gewitter über Gotland“ fristlos entlassen. 1927 gründete er die „Piscatorbühne“, die es ihm ermöglichte, durch experimentelle Inszenierungsmethoden agitatorische Ausdrucksformen zu entwickeln. Zwischen 1931 und 1936 ging er in die Sowjetunion, der aufkommende Faschismus trieb ihn dorthin, und nach ein paar Jahren in Paris emigrierte er schließlich in die USA. Erst in den Sechzigern kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Chef der „Freien Volksbühne“ in Berlin. Doch zurück zu Harry Belafonte. Die Schauspielerei eröffnete ihm neue Horizonte, und es wohl Piscator anzurechnen, dass Belafontes Bewusstsein

für revolutionäres Aufbegehren erwachte. Belafonte hatte Unterdrückung, Rassismus und Diskriminierung schließlich schon am eigenen Leibe erfahren müssen. Während der Aufführung eines Theaterstücks übernahm Belafonte die Rolle eines fahrenden Sängers, woraufhin ein Nachtclubbesitzer auf ihn aufmerksam wurde und ihn flugs engagierte. Anfangs noch eher

viertel- bzw. Viervierteltakt, der Ende des achtzehnten Jahrhunderts von den Sklaven auf den Antillen erschaffen und der vor allem in Trinidad zelebriert wurde, hat seinen Popularitätssprung tatsächlich Belafonte zu verdanken, speziell dessen „Banana Boat Song“. Außerdem dürfte jedermann klar sein, dass Reggae und Ska ohne den Calypso nie entstanden wären.

als singender Entertainer in den Clubs unterwegs, etablierte Belafonte sich zusehends als charismatischer Folkinterpret. Dass er als solcher den Nerv des Publikums traf, mag gewiss daran gelegen haben, dass die Folkmusik Mitte der Fünfziger immer mehr entfaltete, was die junge Studentenbewegung bis dahin sehr vermisste: Einen Hauch von Rebellion gegen eine aalglatte, verlogene Unterhaltungsmaschinerie, die das Aufbegehren einer Generation, die sich nach einer besseren Welt sehnte, ignorierte. Während sich in dieser Folk-Ära ganz unterschiedliche Stilrichtungen etablierten, beispielsweise Bluegrass, Country, Worksongs oder Folkblues, bevorzugte Belafonte die heißen Rhythmen aus der Karibik – waren sie ihm doch seit seiner Kindheit bekannt und vertraut. Durch Belafonte hielt so auch der Calypso Einzug in die populäre Unterhaltungsmusik. Dieser Tanz der Farbigen im Zwei-

Im New Yorker Stadtteil Greenwich Village eröffnete Belafonte eine Musikkneipe, die hauptsächlich von jungen Studenten besucht wurde. Spätestens ab diesem Zeitpunkt begann er, Lieder der Arbeiterklasse oder solche, die von Baumwollpflückern und Hafenarbeitern gesungen wurden, in sein Repertoire aufzunehmen. Die Medien bevorzugten allerdings seine Calypsosongs, weil sie die biedere Klangwelt des amerikanischen Schlagers bereicherten. Einige Songs verdrängten in den Charts sogar die Hits eines Elvis Presley. 1956 wurde Belafontes LP „Calypso“ produziert, die sich millionenfach verkaufte. Die Lieder „Matilda“, „Island in the sun“ und „Day-O“ wurden weltweit bekannt. Erwähnt werden soll allerdings auch der Umstand, dass Belafontes Art, seine Lieder vorzutragen, teilweise Widerspruch auslöste. Im Vergleich zu den Interpretationen anderer Folkgrößen, die ihre Songs rauer vortrugen, mit Banjo-, Mandoli-

nen- oder Gitarrenbegleitung – man denke an Woodie Guthrie oder Guy Caravan –, klangen Belafontes Lieder wohltuend harmonisch, beinahe schlagerhaft, was nicht jedermanns Geschmack war. Doch es war eben seine Methode, mit seiner sympathischen, etwas rauchigen Stimme eine größere Zuhörerschaft zu gewinnen, um auf die Missstände dieser Welt aufmerksam zu machen. Denn letztlich thematisierten seine Liedtexte auch Protest gegen die Apartheid und später gegen den Vietnamkrieg. Bemerkenswert ist auch, dass Belafonte durch jahrelange Recherchen herausfand, dass die Wurzeln der karibischen Musik in der Folklore Nigerias zu finden sind, während auf dem Festland der USA, hauptsächlich in New Orleans, kongolesische Rhythmen die schwarze Musik dominieren, geprägt vom westafrikanischen Groove. Mit den Jahren erlangte Belafonte Weltruhm; er hätte sich, wie manch anderer Kollege seiner Zunft, in den Reigen glitzernder Klischees einreihen können – doch er blieb sich und insbesondere seinem Einsatz gegen Rassismus nicht nur im eigenen Land, gegen einen gnadenlosen Kapitalismus und dessen unmenschliche Unterdrückungsmethoden bis heute treu. So verfolgte er auch mit großer Sorge die Situation in Südafrika, wo die Apartheid mit ihrer strengen Rassentrennung herrschte und die einheimischen Afrikanerstämme radikal unterdrückt wurden. Während einer Europatournee machte er 1961 in London die Bekanntschaft der großartigen südafrikanischen Sängerin Miriam Makeba, die zwei Jahre zuvor ihre Heimat unter Zwang verlassen hatte. Ihr war aufgrund ihrer Mitwirkung in der Anti-Apartheid-Filmproduktion „Comeback Africa“ die Staatsbürgerschaft entzogen worden, ihre Lieder verbot man. Belafonte war von ihr und ihrem Konzert so begeistert, dass er sie überredete, in Amerika aufzutreten. Sie willigte ein, und es begann eine enge, freundschaftliche Zusammenarbeit. Gemeinsam gingen sie in die RCA-Studios und spielten die LP „Songs from Africa“ ein. Die Platte enthält hauptsächlich Freiheitslieder aus Südafrika, die in den Sprachen der Zulu, Xhosa und Sotho gesungen werden. Jahre später war Belafonte abermals maßgeblich an einem Solidaritätsprojekt beteiligt. „We Are the World“, so hieß die Langspielplatte, deren Erlös den Opfern einer Dürrekatast-

rophe in Afrika zugutekam. Gemeinsam mit Prominenten wie Cindy Lauper, Willie Nelson, Bob Dylan, Ray Charles, Bette Midler, Billy Joel, Paul Simon, Tina Turner, Diana Ross, Stevie Wonder, Michael Jackson, Quincy Jones, Kenny Rogers und Dionne Warwick sang er den Refrain „We Are the World“. Bob Geldof, ebenfalls an dieser Produktion beteiligt, organisierte einige Monate später in England und in den USA das „Live-Aid-Konzert“, das sechzehn Stunden lang im Fernsehen übertragen wurde. 1987 wurde Belafonte zum „UNICEF-Botschafter des guten Willens“ ernannt. 2003 erschien die aus fünf CDs bestehende „Anthology Of Black Music“ mit dem Titel „The Long Road to Freedom“, die auch eine DVD sowie ein einhundertvierzigseitiges Buch umfasst. Fast zehn Jahre lang arbeitete Belafonte in seinem kleinen Studio daran. Der Direktor seines Plattenlabels, Georg Marek, unterstützte Belafontes Vorhaben, die Produktion freizugeben und zu veröffentlichen. Die Dokumentation umfasst die gesamte musikalische Entwicklung der Afroamerikaner von der Zeit der Sklaverei bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Die vielseitige Auswahl umfasst authentische A-Cappella-Gesänge und Trommeln afrikanischer Völker, Gospel, Spirituals der christlichen Gemeinden Amerikas, Folk- und Cityblues, Baumwollpflücker-Lieder, Freiheitslieder und vieles mehr. Die mitwirkenden Musiker stammen aus dem gesamten Land, so Leon Bibb, das Bluesduo Sonny Terry und Brownie McGhee, Big Joe Williams und Bessie Jones, um nur einige zu nennen. Dieses Gesamtwerk erschien bei Buddah Records und ist sehr empfehlenswert, besonders den Freunden der Weltmusik, als deren Erfinder Belafonte übrigens auch gilt. Harry Belafonte hat sich bis heute keinem politischen Disput enthalten, im Gegenteil. Immer wieder hat er bewiesen, dass er als Entertainer, Sänger und Schauspieler ein kämpferischer Aktivist für Menschenrechte, Weltfrieden und Toleranz war und ist. Wie bemerkte eine Moderatorin der „Kulturzeit“ sehr treffend? „Das Alter hat ihm nicht den Biss geraubt!“ Harry Belafonte feierte seinen 90. Geburtstag am 1. März 2017. Anlässlich dieses Jubiläums machte ihm die Stadt Harlem ein symbolisches Geschenk: Sie verlieh ihrer Stadtbibliothek seinen Namen. Jens-Paul Wollenberg


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April 2017

Sachsens Linke

Für die anstehende Debatte zum Bundestagswahlprogramm findet ihr diesmal eine umfangreiche Sonderbeilage mit Auszügen aus dem Entwurfstext vor.

und SPD in den vergangenen vier Jahren getrieben haben.

Axel Troost bilanziert im Vorfeld der Bundestagswahl, was CDU

e www.dielinke -sachsen.d

Außerdem geht es um Behindertenpolitik und

Aktuelle Infos stets auch

„Wir sind die Punkrockplatte im sächsischen Musikantenstadl“ René Jalaß, 34, ist der Neue im Sächsischen Landtag. Ende Februar rückte er für den ausgeschiedenen Sebastian Scheel in die Fraktion nach. Dort wird er in Zukunft neben Drogen- auch die Netzpolitik thematisch betreuen. Der ideale Anlass für das erste WhatsApp-Interview in der Geschichte von SachsensLinke. René, wo erwisch‘ ich Dich gerade? Ich komme gerade aus Wermsdorf. War da mit Suza und Frank Tempel in der Fachklinik Hubertusburg, eine Einrichtung der Suchtkrankenhilfe. Jetzt sitze ich im Gleis 8, am Leipziger Hauptbahnhof und warte auf den Zug nach Riesa. Klingt nach einem engen Terminplan. Du bist jetzt seit etwas mehr als einem Monat Landtagsabgeordneter. Hast Du Deinen Kalender schon im Griff? Oder eher Dein Kalender Dich? Beides. Ich trage selbst darin ein, was er mir diktiert ; Im Ernst: Wie war der erste Monat für Dich? Dass du in den Landtag nachrückst, war ja doch eher eine Überraschung. Auf jeden Fall. Ich hatte am 1. Januar erst in der Landesgeschäftsstelle angefangen und im Februar ging‘s schon rund. Der erste Monat bestand aus Parteiarbeit in der Wahlfabrik, der Mandatsannahme, dem Einfinden im Landtag, etlichen Interviews und einem (viel, viel eher geplanten) privaten Umzug. Es war der Horror. Aber so langsam kommst Du im Arbeitsalltag an? Ja, es strukturiert sich. Die Themenfelder zeichnen sich ab. Eigentlich würde ich keine nehmen. Die Fraktion hat schon weit über 50 (!) – zu viel für meinen Geschmack – aber es werden wohl Drogen- & Netzpolitik. Ich besuche jetzt schon etliche Einrichtungen. Viele mit freudigem Wiedersehen $

Stimmt, Du bist ja in der Partei als Drogenpolitiker durchaus bekannt, hast u. a. die drogenpolitischen Leitlinien der Landespartei im Wesentlichen ausgearbeitet und den Prozess in unzähligen Veranstaltungen begleitet. Das, und ich habe als Sozialarbeiter auch in etliche Bereiche geschaut. Spritzentausch, Jugendknast, etc. Die Kontakte bestehen natürlich immer noch. Mit einem guten Netzwerk und persönlichen Erfahrungen lassen sich die Parteibeschlüsse deutlicher, aktueller und präziser auch in den Landtag tragen. Es macht zumindest Sinn, zu wissen, worüber geredet wird. Qualifiziert dich für Drogenpolitik. Aber wie kommst Du zur Netzpolitik? Hey, ich hab ´nen Twitter-Account und ich liebe Memes. Klar. Jeder, der twittert, ist da automatisch kompetent. Aber Spaß beiseite: Wie willst Du den Bereich mit Leben füllen? Naja, hier muss ich mich schon

reinwurschteln. Nur Facebook und Twitter reicht da nicht. Zuallererst hab ich mit Halina aus dem Bundestag verabredet, dass wir uns einen ganzen Tag lang hinhocken und ich eine Besohlung zu unseren bundespolitischen Aktivitäten bekomme. Dann sind da noch Jule Nagel und Falk Neubert, unsere Leute für Datenschutz und Medien, die ich natürlich belästigen werde. Fragend schreite ich voran ` Nun wirst Du grad aber nicht über die Inhalte wahrgenommen, sondern vor allem über Äußerlichkeiten. „So bunt wird der Landtag“ usw. Und ein bisschen hast du das ja auch provoziert. Wie haben denn die lieben Kollegen auf deinen Pacman-Anzug reagiert, mit dem Du beim ersten Plenum aufgetaucht bist? Damit, dass anderen vor Schreck das Monokel in den Brandy fiel. Dabei dachte ich, so mit Anzug, das wäre schon angemessen & Aber im Ernst: Es ist nicht mein Job, den Spießern zu gefallen. DIE LINKE ist

darum, was an militärischen Tiefflügen über Deutschland problematisch ist. Dazu gibt‘s Neuigkeiten von den LAGs.

unter

Den Osten in den Fokus

keine Behörde, wir sind jung und geil drauf. Die Punkrockplatte im sächsischen Musikantenstadl. Dann können wir ja einiges erwarten. Letzte Frage: Lässt Du zumindest eine Namenstasse in der WahlFabrik? Das wäre das Mindeste ; Ich gehe mit einem stark weinenden Auge 4 Die anderthalb Monate waren zwar kurz, aber sauintensiv. Klar, es ist Wahljahr. Es ist irre, was alle dort – oft ungesehen – wegschleppen. Und zumindest für ´ne kurze Zeit war ich Teil des Teams und hatte nie das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Ihr seid ´ne fette Truppe. Aus Leipziger Sicht ist Dresden zwar am Arsch der Welt, aber komme trotzdem immer wieder gern reingeschneit $ Wollen wir hoffen. Ich danke für das Gespräch. Und viel Erfolg im Mandat. Sänk ju! Das Interview führte Thomas Dudzak.

Der Osten ist anders. Egal was man anschaut – Wirtschaftskraft, Einkommen, Arbeitslosigkeit, Rentenerwartung: Die neuen Bundesländer stechen hervor. Die alte Grenze ist auch 27 Jahre nach der Einheit sichtbar. Selbst bei der Familienplanung tickt der Osten anders. Zwei von drei Kindern kommen unehelich zur Welt. Doch die Politik richtet stets den Blick auf die Verhältnisse in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft. Kein Wunder, dass Umfragen zufolge auch ein beträchtlicher Teil der jüngeren Generation Ost Benachteiligungen kennt. Selbst diejenigen, die nach der Wende geboren wurden, empfinden sie. Es war die Ostkompetenz, das Verständnis für die Belange der Menschen in den neuen Bundesländern, welches die PDS auch ausgemacht hat. Nach der Parteineubildung 2007 haben wir dieses Verständnis vielleicht das eine oder andere Mal zurückgestellt, um als gesamtdeutsche Partei wahrgenommen zu werden und nicht als „Jammerossis“. Allerdings sollte eine gesamtdeutsche Partei ausmachen, dass sie die differenzierten Probleme im Land thematisiert. Das sollten wir nicht nur zur Bundestagswahl tun. Klar gibt es Erfolgsgeschichten, jedoch will ich die sozio-ökonomische Benachteiligung des Ostens nicht länger hinnehmen. Es wird Zeit, dass die Bundespolitik auf diese Belange eingeht. Es wird Zeit für ein Ostdeutschlandministerium, damit die Angleichung der Lebensverhältnisse vorangeht.


Sachsens Linke! 04/2017

Meinungen

Zum Interview mit Gregor Gysi (Links! März 2017, S. 5) Es ist schon erstaunlich – und sicher nicht nur für mich –, dass der neue Präsident der Europäischen LINKEN zu einem „Neustart der EU“ befragt wird und keinen Satz sagt zur Bedrohung des Friedens in Europa durch aggressive Handlungen der NATO. Da verlegen die Deutschen schon wieder Panzer an die russische Grenze und alle, die das schon 1941 erlebten, erstarren und wollen es nicht glauben – und dieser Zeitung ist das nicht mal eine Frage wert! Für mich völlig unverständlich, denn ähnlich wurde der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion vorbereitet. Dieses Verbrechen kostete allein die UdSSR 27 Millionen Tote, legte tausende Orte in Schutt und Asche. Und nun schon wieder? Und wir schauen zu. Wo bleibt der Protest der LINKEN? Wo die Europäische Linke? Muss erst gebombt und geschossen werden, müssen die an der russischen Grenze aufmarschierenden deutschen Panzer erst wieder „gen Feindesland“ rollen, bis die Linken aufwachen? Schon vor zwei Jahren haben sich über 200 ehemalige Verantwortungsträger der NVA der DDR warnend an die Öffentlichkeit gewandt. Schon einmal wurden ähnliche Warnungen vor den geplanten Aggressionen Hitlers nicht ernst genommen. Das darf sich nicht wiederholen. Niemand wird sich hinter der Ausrede „Das haben wir nicht gewusst“ verstecken dürfen. Dafür müssen aber die Europäische LINKE und ihr Präsident mehr tun als in diesem Interview zum Ausdruck kommt. Wir haben dazu auch und besonders die Möglichkeit im Bundestagswahlkampf. Hoffentlich „vergessen“ wir das nicht wieder. Heinz Bilan, Leipzig Gedanken zur Problematik Krieg – Frieden Ich möchte einige meiner Gedanken zu dieser Problematik darlegen, die mich auf Grund der gegenwärtigen weltweiten Entwicklung zutiefst bewegen. Ich war siebzehneinhalb Jahre alt, als ich in den verbrecherischen und völkermordenden 2. Weltkrieg befohlen wurde, und

habe seine Grausamkeiten, u.a. mit zwei ernsthaften Verwundungen, am eigenen Leibe erlebt. „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“! Dieser Schwur bewegt mein ganzes Denken, Fühlen und Handeln. So erhebt sich für mich u.a. die Frage: Warum und in wessen Interesse wurden nach dem 2. Weltkrieg bis zur Gegenwart etwa 350 regionale Kriege geführt? Liegen hierin nicht auch die Ursachen für die gegenwärtigen Flüchtlingsströme? Wenn ich mich nicht irre, war es J. F. Kennedy, der im Juni 1963 vor der UNO sagte: „Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen – oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende“. Doch diese Erkenntnis fand bis heute bei den herrschenden Politikern kein Gehör. Es erhebt sich also die Frage: Was ist erforderlich, um dem Krieg ein Ende zu setzen? Meiner Meinung nach erfordert das eine allgemeine und vollständige Abrüstung und die Verschrottung aller kriegerischen Mordwaffen! Es ist höchste Zeit, dieses Thema auf die Tagesordnung einer UNO– Vollversammlung und aller Parlamente der Völker zu setzen. Es geht um die Existenz der Menschheit! Ich wünsche mir, dass meine Partei DIE LINKE diese Problematik stärker in allen Medien wirksam macht. „Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde. Lasst uns die Warnungen erneuern ,und wenn sie schon wie Asche in unserem Munde sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind. Und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden!“ (Bertolt Brecht) Werner Böhm, Weinböhla Zu „Für einen Neustart der EU streiten“ (Links! 03/2017, S. 5) Europa geht bis zum Ural. Es

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Seite 2 wäre schön, wenn ein solidarisches, soziales, demokratisches, ökologisch nachhaltiges, nicht militaristisches und anti-neoliberales Europa unter Einschluss Russlands selbstverständlich wäre. Die EU und ihre Vorläuferorganisationen war dagegen von Anfang an ein Zusammenschluss zur Durchsetzung der Interessen der wirtschaftlich Mächtigen auf Kosten der Bevölkerung, zuerst im Bereich der Wirtschaft und der Nutzung der Kernenergie, jetzt auch im Finanzbereich, bei der militärischen Interessendurchsetzung, bei der Geflüchtetenbekämpfung usw. Statt hilflose Wünsche an die EU zu stellen und die EU zu verteidigen, wären diese Wünsche nur durch eine internationalistische, nicht auf die EU-Staaten beschränkte Zusammenarbeit von unten gegen die EU und den Euro durchsetzbar. Dazu gehören auch Schuldenschnitte und eine solidarische wirtschaftliche Zusammenarbeit nach dem Vorbild von ALBA (linker Staatenzusammenschluss in Lateinamerika). Somit stimme ich Uwe Schaarschmidt zu, dass die zu weiche Kritik der LINKEN an der EU eine Lücke bei den Opfern der EU gelassen hat, in die Nationalisten hineinstoßen konnten. Warum sollten wir Linke für EU und Euro im Interesse des Kapitals streiten, damit den Millionen Erwerbslosen und von Kürzungen betroffenen RentnerInnen in der EU in den Rücken fallen und den gleichfalls antisolidarischen NationalistInnen weiter Auftrieb verschaffen? Wäre nicht eine internationalistische Anti-EU-Politik besser? Uwe Schnabel, Coswig Für uneingeschränkte Gewissens- und Glaubensfreiheit Aus Anlass des Reformationsjubiläums wird 2017 neben der Vermittlung geschichtsträchtiger Fakten offen und verdeckt der Weg für eine schleichende Missionierung geebnet. Die Leistungen Martin Luthers, die 500 Jahre zurückliegen, sind zu würdigen, aber auch seine antisemitische Grundhaltung darf nicht außer Betracht bleiben. Und, wenn man Luthers Wirken ohne staatlich verordnete Euphorie betrachtet, bleiben die Abschaffung des Ablasshandels und die deutschsprachige Bibel übrig. Der Papst war obsolet, aber die evangeli-

schen Regionalfürsten erlangten bedeutenden politischen Einfluss. Sie negierten die Forderung nach einer Bescheidung auf ihr kirchliches Wirken im Amt. Die Geschichte zeigt uns überdeutlich, dass die Reform sehr partiell war und ein wirklicher Einfluss der Kirchen für eine friedliche, solidarische und gerechte Welt nicht gegeben war. Im Gegenteil! Könige. Kaiser, Führer, Präsidenten zogen mit Gottes Segen gegeneinander in der Krieg und Millionen Menschen kamen um. Politiker, die sich sonntags segnen lassen, zogen montags in den Krieg. Die Gefallenen und Toten wurden in unheiliger Allianz zwischen Staat und Kirche „feierlich“ zu Grabe getragen. Die im Ergebnis der Aufklärung, insbesondere der französischen Revolution, erfolgte Abschaffung einer Staatsreligion und die erfolgte Trennung von Staat und Religion werden leider offiziell ignoriert. Durch den Staat wird Kirchensteuer eingezogen, Millionen den Kirchen für deren Betreibung bereitgestellt und in öffentlichen Räumen, wie z. B. in Schulen, Krankenhäusern und Gerichten mit dem Kreuz indirekt für ein Glaubensbekenntnis geworben. Wir brauchen ganz dringend die öffentliche Diskussion zur Abkehr der Kirche vom Armuts- und Friedensideal des synoptischen Jesus. Denn dessen Ethik wurde nach dem Aufstieg zur Staatsreligion im 4. Jahrhundert ins Gegenteil verkehrt: Machtsucht und Gewalt prägten die Kirche, deren Weg konsequent über die jahrhundertelange Verfolgung von „Ketzern“ und Heiden bis zur Kooperation mit den europäischen Faschisten in Spanien, Italien und Deutschland sowie Kroatien führte. Dieser Sachverhalt liegt aber verschüttet im Bewusstsein der Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger. Das offenzulegen bedarf einer klugen und geduldigen Überzeugungsarbeit. Deshalb begrüßen wir eine Initiative des Landesvorstandes der Partei DIE LINKE Sachsen zur Trennung von Staat und Religion und möchten diese weiter aktiv unterstützen. Ich meine, zu diesem Problem und seiner gesellschaftlichen Bedeutung hat die Linke in Deutschland bisher viel Zurückhaltung geübt. i. A. Raimon Brete, OV Sonnenberg/Chemnitz

Das Neueste aus dem Landesvorstand

Sitzung vom 10. März 2017 Die itzung war diesmal von organisatorischen Themen geprägt. Wir stehen kurz vor dem Landesparteitag (LPT), der LandesvertreterInnenversammlung (LVV) und der Bundestagswahl. Erschwert wird die Vorbereitung durch Sebastian Scheels Wechsel nach Berlin, in dessen Folge René Jalaß in den Landtag nachrückte. Er hatte erst Anfang 2017 als Elternzeitvertretung für Juliana Schielke den Bereich Organisation in der Wahlfabrik übernommen, weshalb ein Nachfolger gesucht werden musste. Die frohe Kunde zu Beginn: Das ist gelungen, der Landesvorstand stimmte der Einstellung von Kevin Scheibel zu. Wir diskutierten den ersten Entwurf des Leitantrags. Er fand Zustimmung, bis auf wenige redaktionelle, sprachliche und inhaltliche Änderungen. Anschließend ging es um Organisatorisches. Mit Katja Kipping stammt eine der bekanntesten deutschen Politikerinnen aus unserem Landesverband. Deshalb hat sich der Landesvorstand dafür ausgesprochen, sie anstelle von Bernd Riexinger als Rednerin für den LPT zu benennen, obwohl sie selbst bei der LVV antritt. Des Weiteren wurde angesprochen, dass die Verabredung des „Kleinen Parteitags“ eingehalten werden soll, keine Finanzdebatte zu führen, sondern den Bericht der AG Finanzen vorzustellen. Der Landesvorstand stimmte dafür, dass der Parteitag durch ein Neumitglied eröffnet wird. Die Zeitpläne, Tagesordnungen und Geschäftsordnungen wurden mit Änderungen beschlossen. Es folgten Berichte über dieWahlkampfplanung, den Aktionen zum 13. Februar in Dresden und am 5. März in Chemnitz. Unsere Gleichstellungspolitische Sprecherin informierte über Aktionen rund um den Frauentag & One Billion Rising sowie über das neu erstellte Infomaterial zur Gleichstellung. Einstimmig hat der Landesvorstand die Unterstützung der vier in Sachsen stattfindenden Christopher Street Days beschlossen. • Tilo Hellmann

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 20.03.2017

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 03.05.2017.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720


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Vier Jahre Schwarz-Rot: Keine Fortschritte Im Herbst wird ein neuer Bundestag gewählt. Zeit für eine Bilanz „Ich habe gehofft, dass die große Koalition auch große Probleme angeht, aber das ist eine komplette Fehlanzeige.“ So kommentierte Dietmar Bartsch für die LINKE 2013 den Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot. Schon unser Wahlprogramm sparte nicht mit Kritik. Demnach wäre eine katastrophale Entwicklung zu erwarten gewesen. Doch die wirtschaftlichen Rahmendaten stimmen eher positiv. Die Wirtschaft expandiert, getragen von einem gestiegenen Konsum. Die öffentlichen Finanzen entwickeln sich positiv, ohne Kürzungsprogramme und ohne Steuererhöhungen werden Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich verbessert, der Trend zur Prekarisierung ist gestoppt. Dies liest sich für den ökonomi-

schen Laien wie eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Doch die Arbeit der Bundesregierung hat mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung nur bedingt zu tun. Wichtigs-

ter Wachstumsfaktor war in den letzten Jahren der private Konsum. Die gefallenen Energie- und Rohstoffpreise haben die internationalen Tauschre-

lationen (Terms of Trade) für Deutschland massiv verbessert. 2016 stiegen die Nettolöhne je Arbeitnehmer um 2,2 Prozent. Gleichzeitig sorgten vor allem die sinkenden Ölpreise dafür, dass die Verbraucherpreise sich nur um 0,5 Prozent erhöhten. Das bedeutet einen Reallohnanstieg von 1,7 Prozent. Zum Vergleich: 2013 stiegen die Löhne um 1,9 Prozent, die Preise um 1,5 Prozent – ein Reallohnanstieg von lediglich 0,4 Prozent. Die günstigen Rahmenbedingungen haben der deutschen Ökonomie einen Nachfrageschub beschert, für den man die Bundesregierung nur schwer verantwortlich machen kann. Auch der Bundeshaushalt wurde vor allem durch externe Einflüsse saniert. Drei Faktoren haben das Zinsniveau massiv gesenkt: Der internationale Überschuss an anlagesuchendem Kapital, die Geldpolitik der Europäi-

schen Zentralbank und der Ansturm auf deutsche Staatsanleihen angesichts der Krise in Südeuropa. Durch das Zinstief hat der deutsche Staat seit 2008 die riesige Summe von 240 Milliarden Euro eingespart, so die Bundesbank. Allein im vergangenen Jahr hätte er sonst 47 Milliarden mehr an Zinsen ausgeben müssen. Dann wäre die Schuldenbremse kaum einzuhalten gewesen. Die Bundesregierung hat auch hier von den Rahmenbedingungen und weniger von einer erfolgreichen Politik profitiert. Die nachhaltigsten Erfolge gab es auf dem Arbeitsmarkt. Für die Jahre seit 2014 erklärt sich der Anstieg des Arbeitsvolumens ganz klassisch über das Wirtschaftswachstum. Als maßgebliche Reform ist allein die Einführung des Mindestlohnes zu nennen. Erstmals seit vielen Jahren wurde damit die neoliberale Logik durchbrochen, dass „Reformen“ immer zu schlechteren Lebensbedingungen führen müssen. Doch der Mindestlohn ist zu niedrig, um eine echte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, gerade in den Ballungsgebieten. Trotz des leichten Rückgangs der Arbeitslosenzahlen erreichen die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt viele Arbeitslose nicht. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt seit Jahren stabil bei über einer Million. Und mit fast drei Millionen offiziellen und 4,5 Millionen tatsächlichen Arbeitslosen sind wir immer noch Lichtjahre von einem „normalen“ Umfang der Arbeitslosigkeit oder gar von Vollbeschäftigung entfernt. Das ist Massenarbeitslosigkeit mit allen Konsequenzen für die Betroffenen. Im Grunde stehen wir bei der Benennung der Herausforderungen am selben Punkt wie vor vier Jahren. Die derzeitige Bundesregierung hat nichts zur Lösung der zentralen Probleme beigetragen. An der Verteilungssituation hat sich nichts geändert. Die Investitionen liegen immer noch darnieder, der öffentliche Kapitalstock verfällt. Die staatlichen Strukturen, von der sozialen Sicherheit, der Bildung, der inneren Sicherheit, der Pflege bis hin zur originären Verwaltung sind stark geschwächt. Der ökologische Umbau kommt nur mühsam voran. Die günstige wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat vieles überdeckt, aber die Zeit wurde nicht dazu genutzt, die Probleme ernsthaft anzugehen. Axel Troost, stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer

Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE Anfang Mai erscheint im PapyRossa-Verlag das neue Memorandum 2017: „Statt „Germany first“ – Alternativen für ein solidarisches Europa“ mit einer ausführlicheren Bilanz.

Terminhinweise Geheimdienste außer Kontrolle? – ein Insider berichtet! Bürgerforum mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. André Hahn, stellv. Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und stellv. Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss. Moderation: Thorsten Ahrens, Bundestagskandidat der LINKEN im Landkreis Görlitz. Im Anschluss steht der Abgeordnete auch für Fragen zur Flüchtlingspolitik und weitere aktuelle Themen aus dem Bundestag zur Verfügung. 18. April 2017, 18 Uhr, Abgeordnetenbüro von Mirko Schultze, Schulstraße 8, 02826 Görlitz Buchholz und Zimmermann in Zwickau Die Landesarbeitsgemeinschaft Frieden/Internationale Politik führt ihr nächstes Landestreffen am Freitag, dem 28. April 2017, in Zwickau durch. Neben eigenen Programmpunkten wie einer Debatte zum Bundestags-Wahlprogramm und dem Stand beim sächsischen Rüstungsatlas begrüßt die Arbeitsgemeinschaft auch einen Gast. In einer anschließenden öffentlichen Veranstaltung wird die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Christine Buchholz, das von der Bundestagsfraktion herausgegebene „Schwarzbuch Bundeswehr“ vorstellen. Sabine Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, wird zur Veranstaltung begrüßen. Die LAG lädt Interessierte herzlich zu beiden Veranstaltungen ein. Die LAG trifft sich am 28. 4. ab 15 Uhr in der Zwickauer Stadtgeschäftsstelle der Partei, Leipziger Straße 14, 08056 Zwickau. Die Veranstaltung zum Bundeswehr-Schwarzbuch beginnt um 18.30 Uhr im Gewerkschaftshaus Zwickau.


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DIE LINKE im Erzgebirge

Auf Tour durch den Landkreis Im Erzgebirge gibt es viele Traditionen. Eine neuzeitliche ist, dass DIE LINKE jährlich eine Tour durch den Erzgebirgskreis durchführt. Dabei sind neben unseren beiden Abgeordneten Jörn Wunderlich (Bundestag) und Klaus Tischendorf (Landtag) unsere Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte. Gestartet wird mit der Blumenaktion zum Frauentag und Schluss ist meistens erst mit den ersten Schneeflocken. So langsam gehören wir zur Stammbesatzung der Wochenmärkte in unserem Landkreis. Mancher Händler begrüßt uns wie alte Bekannte oder gute Freunde. Aber auch vor Einkaufsmärkten oder vor Sparkassenfilialen kann man/frau uns antreffen. Über alles, was wir erlebt haben, schreiben wir ein Tagebuch, das wir auf unserer Internet- und auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen. Diskutiert wird an unseren Infoständen über die Belange

der Kommunen, über die Landes- und Bundespolitik. Diese Gelegenheit nutzen unsere Abgeordneten und Kommunalpolitiker_innen gerne, um schnell und unkompliziert mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Jörn muss so mache Frage zu einem HartzIV-Bescheid oder zur Rentenungerechtigkeit beantworten. Klaus war stellenweise Fachmann für Kleinkläranlagen oder für Schulpolitik. Unsere Kommunalpolitiker_innen mussten viele Probleme mitnehmen, die sie später im Stadt- bzw. Gemeinerat angesprochen haben. Für unsere Landkreistour benötigen wir viel Zeit, Zeit für die Vorbereitung und Abarbeitung der vielen Probleme. In diesem Jahr „durfte“ Klaus Tischendorf die Tour „eröffnen“. Jörn konnte leider nicht mit dabei sein, da der Bundestag tagte. „Bewaffnet“ mit 250 Rosen starteten wir in Aue und lande-

ten nach fast sechs Stunden in Schlettau. Zwischendurch „wilderten“ wir im Heimatort des Landrates, besuchten die Bockauer „Wurzelkönigin“ und fuhren durch den Winterwald nach Cransdorf und Scheibenberg. Außer uns waren über zehn Teams der LINKEN im Landkreis unterwegs um Verkäuferinnen, Mitarbeiterinnen der Sparkasse, Hotelangestellten, Schwestern in Arztpraxen, Passantinnen auf der Straße oder Pflegerinnen in Seniorenheimen zum Frauentag mit einem Blumengruß zu ehren. Am 8. Mai geht unsere Tour weiter. Natürlich werden wir an vielen Orten an den Tag der Befreiung erinnern. Am 10. Mai gibt es wieder eine Bürgersprechstunde von Jörn Wunderlich auf dem Wochenmarkt in Stollberg. Enden wird unsere Tour am 23. September mit einem Familienfest auf dem Annaberger Markt. Wenn wir das geschafft haben, dann waren wir in allen Orten unseres Landkreises zu Gast. Berichte gibt es auch in diesem Jahr wieder unter www. dielinke-erzgebirge.de. Für alle, die mit uns ins Gespräch kommen wollen, hier noch unsere nächsten Termine: 9. 5. Eibenstock, 10.5. Schönheide und Stollberg, 11.5. Johanngeorgenstadt, 12.5. Lauter, 15.5. Drebach und Wolkenstein, 16.5. Seiffen, Deutschneudorf und Heidersdorf, 17.5. Börnichen und Großolbersdorf, 18.5. Zöblitz und Gornau, 19.5. Amtsberg und Grünhainichen. Andrea Schrutek & Angela Hähnel

Lesung: „Fabian“ von Erich Kästner und rechts, in Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise. Der scharfe Sarkasmus verfehlt seine Wirkung auch heute nicht, zumal der Leser unschwer in den Übelständen heutige wiedererkennt: emotionale Beziehungslosigkeit, Manipulation durch Berichterstattung, „Lösung“ politischer Differenzen durch Gewaltanwendung und Warencharakter zwischenmenschlicher Be-

ziehungen. „Fabian“ ist ein Roman, der auf unterhaltsame Weise ernst und auf ernste Weise unterhaltsam ist. Eine brillante Satire, leichtfüßig, intelligent, faszinierend und erschreckend aktuell zugleich. Es lesen Annette Richter, Franz Sodann und Peter Sodann. Textbearbeitung: Franz Sodann. 11. Mai, 18.00 Uhr, „VILLA FACIUS“, Hohensteiner Straße 2, 09385 Lugau.

12. April, 14 bis 17 Uhr: Bürgersprechstunde mit MdB Jörn Wunderlich. Wahlkreisbüro Stollberg, Herrenstraße 13.

1. Mai, 10 Uhr: DGB-Familienfest mit Stand der LINKEN. Annaberg-Buchholz, Markt; Aue, Markt.

20. April, 10 bis 16 Uhr: MdB Caren Lay beim Ortsverband Johanngeorgenstadt.

1. Mai, 10 bis 14 Uhr: öffentliche Diskussion mit Stefan Hartmann zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Bundestagswahlkampfes. Gaststätte Waldbad Oelsnitz.

8. Mai: 9:30 Uhr Lößnitz; 10 Uhr auf dem Friedhof in Neukirchen; 10:30 Uhr auf dem Friedhof in Adorf; 16 Uhr am Ehrenmal des unbekannten Soldaten in Schwarzenberg; 17 Uhr am sowjetischen Ehrenmal in Pockau-Nennigmühle.

Mit seinem Roman für Erwachsene zeichnet Erich Kästner ein imposantes Sittenbild im Berlin der späten 20er Jahre. Jakob Fabian studiert seine Stadt und das Leben: möblierte Zimmer, Bars, gewisse Damen und Etablissements, die Liebe ... Bald gerät er zwischen die Extreme seiner Zeit: grenzenlose Genusssucht, Betrug, Hochstapelei und Unmoral münden in politische Kämpfe zwischen links

Termine

23. April: Besuch der Genoss*innen aus dem Koora ASZ in Pistov zur Kranzniederlegung

Gedenkveranstaltungen

zum

10. Mai, 10 bis 13 Uhr: Bürgersprechstunde mit MdB Jörn Wunderlich auf dem Wochenmarkt in Stollberg.

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Neues aus dem Kreistag Ein Novum: Endlich gibt es im Kreistag eine Bürgerfragestunde, die Sitzungen werden dafür künftig um 18 Uhr unterbrochen. So ist unsere Forderung, die wir seit langem erhoben haben, endlich Teil der Tagesordnung. Schon beim ersten „Testlauf“ nahmen zwei Bürger die Möglichkeit wahr. Für uns als Opposition bleibt die Aufgabe, weiter zu ermutigen, öffentlich Fragen zu stellen und Anliegen vorzutragen. Wir werden dazu auch die Gelegenheit nutzen, wenn wir nach der Kreistagssitzung zu Bürgersprechstunden einladen. Dieser Erfolg blieb nicht der einzige. Wir haben verhindert, dass Informationen, die

laut Bekanntmachungssatzung bereitgestellt werden müssen, nur noch in elektronischer Form veröffentlicht werden (außer Notbekanntmachung). Der Kreistag folgte einhellig unserem Antrag, dass im gedruckten Landkreiskurier künftig über Gegenstände und das Veröffentlichungsdatum des neuen elektronischen Amtsblatts informiert wird. Es muss sichergestellt sein, dass die Informationen auch für jene zugänglich sind, die sich nicht im Internet bewegen. Indes führt das elektronische Amtsblatt zur Kosteneinsparung, es ist ständig verfügbar, und es gibt keine Terminzwänge für Veröffentlichungen. • Dr. Barbara Drechsel


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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

04/2017 Sachsens Linke!

Ein spannender Tag nah am Menschen Schuldnerberatung, Seniorenbüro, Rente – gemeinsam mit Susanna Karawanskij war Sabine Zimmermann am 4. April in Zwickau unterwegs. Zunächst ging es zur Schuldnerberatung der Caritas. Der Leiter und seine Mitarbeiterin informierten über ihre Arbeit. 2016 suchten 1.230 Menschen Rat und Hilfe, um ihre finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen. Dabei betreut die Caritas sowohl Kurzzeitfälle, denen mit wenigen Gesprächen geholfen werden kann, als auch Langzeitfälle. Diese erhalten langfristige Unterstützung, teils bis zum Privatinsolvenzverfahren und Hilfestellung zur Vermeidung erneuter Schulden. Doch auch die Vermittlung weiterer Hilfsangebote etwa der Suchthilfe, der Wohnungsnothilfe und anderer Angebote ist Teil der Arbeit. Verkompliziert wird diese jedoch durch rechtliche Vorgaben, die etwa die Erteilung von Beratungsscheinen zu Kannleistungen reduziert. So erhalten etwa Arbeitslosengeld I-Bezieher, die zusätzlich ALG II beziehen, aber seit dem 1. Januar der Arbeitsagentur zugeordnet sind, keinen Beratungsschein mehr. Das stellt die Beratungsstel-

le immer wieder vor Herausforderungen, sollen doch die Hilfesuchenden nicht darunter leiden, dass Schuldnerberatung noch immer keine feste Leistung des Sozialgesetzbuches ist. Hier ist die Politik gefragt, wir werden das entsprechend transportieren. Auf ebenso engagierte trafen wir im Seniorenbüro des Vereins Aktiv ab 50 e. V. (Foto). Die Vorsitzende und 2. Sprecherin der Seniorenvertretung in Zwickau, Kathrin Fiebig, sowie Christiane Tröger von der Seniorenvertretung informierten über ihre Aufgaben und Herausforderungen.

So bemängelte etwa Christiane Tröger, dass die Seniorenvertretung in keinem weiteren Gremium der Kommune vertreten ist. Vorlagen an den Stadtrat würden nicht zur Stellungnahme zur Verfügung gestellt. Die Einflussnahme auf kommunale Entscheidungen sei so sehr eingeschränkt. Der Verein bietet auch ein vielfältiges Angebot in den Bereichen Bewegung/Sport, Weiterbildung, Geselligkeit, Ausflüge, Demenzbegleitung. Dabei bringt er Hilfesuchende und Hilfsbereite zusammen. Eine Bitte wurde geäußert, dass die Projektförderungen nicht

mehr an hohe bürokratische Hürden geknüpft werden. Diese Hürden führten dazu, dass bereitgestellte Mittel nicht abgerufen werden (können). Es sei wichtig, Menschen auch zu ehrenamtlicher Arbeit zu befähigen, etwa in dem Fahrtkosten erstattet oder bei der Steuererklärung Aufwendungen für ehrenamtliche Arbeit geltend gemacht werden können. Auch hier bedürfe es der Unterstützung der Politik. den Abschluss des Tages bildete eine Diskussionsveranstaltung „Das muss drin sein: eine Rente, von der man gut leben kann“. Hier ging es um

das Rentenkonzept der LINKEN sowie die Auswirkungen der Arbeitsmarktentwicklung auf die Höhe der Altersrente. Auch die Rentenkampagne des DGB wurde vorgestellt. Sowohl in den Positionen der Referenten Sabine Zimmermann, Susanna Karawanskij und Matthias Eulitz vom DGB als auch in denen des Publikums wurde deutlich: die gesetzliche Rente muss gestärkt, die Riesterrenten in die gesetzliche Rente überführt, die paritätische Finanzierung wieder hergestellt werden. Und schließlich: Alle müssen in die Rentenkasse einzahlen, Lohnarbeiter und Angestellte, Politiker, Beamte und Selbständige. Einigkeit bestand auch darüber, dass das Rentenniveau wieder auf 53 % angehoben werden muss. Es war ein spannender Tag, der Einblick in soziale und ehrenamtliche Arbeit gewährte, der uns beeindruckende Menschen kennenlernen ließ und Aufträge für unsere Arbeit mitgab. Nochmals herzlichen Dank für die Offenheit und für die weitere Arbeit viel Erfolg, Kraft und Ausdauer. Wo wir unterstützen können, werden wir es tun. Simone Hock

Kreistag Zwickau wählt Mitglieder des Behindertenbeirates Der Kreistag Zwickau hat am 15. März 2017 die Mitglieder des Beirates für Menschen mit Behinderungen gewählt. Marina Salzwedel, Sprecherin für Inklusion und Seniorenpolitik der Linksfraktion, erklärt dazu: „Wir sind sehr froh, dass nach unserem langem Ringen nun der Weg frei ist für die Arbeit des Behindertenbeirates im Landkreis Zwickau. Lang genug hat es gedauert. Aber wir hätten uns mehr gewünscht – unter anderem dass die Behindertenbeauftragte des Landkreises in vol-

lem Umfang und stimmberechtigt einbezogen wird! Dass von den 15 Gremiumsmitgliedern acht Vertreter aus dem Kreistag und nur sieben von der Liga der freien Wohlfahrtspflege gewählt wurden, hat nicht nur bei uns für Verstimmung gesorgt. Während in der Weiterentwicklung des Sächsischen Integrationsgesetzes zu einem Inklusions-, Teilhabe-, und Gleichstellungsgesetz mehr politische Teilhabe und Interessenvertretung als zentrales Anliegen formuliert wird, wurde unser Antrag, den Beirat mit

mehr Liga-Vertretern zu besetzen, im Dezember abgelehnt. Dabei lautet das zentrale Motto der Behindertenbewegung in Deutschland ,Nichts über uns – ohne uns‘! Zur Verdeutlichung: 2015 lebten in Sachsen 391.137 Menschen mit einer schweren Behinderung. Davon anteilig im Landkreis Zwickau 30.054. Das entspricht 17,3 % der Gesamtbevölkerung. Diesen Anteil gilt es dementsprechend in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch trotz unserer berech-

tigten Kritik, der neu geschaffene Beirat soll und kann das Sprachrohr für die Belange der mit uns Seite an Seite lebenden Menschen mit Behinderungen im Landkreis Zwickau werden und wir hoffen auf eine gemeinsame erfolgreiche Arbeit für die Betroffenen.“ Außerdem bestellte der Kreistag sieben Stellvertreter des Kreisbrandmeisters, beschloss die Aufhebung des Eigenbetriebes ZIM sowie die Fortschreibung der Radverkehrskonzeption des Landkreises Zwickau und informierte

Kein Wildtierverbot in Zwickau Im vergangenen Jahr folgten fünf Stadtratskollegen und ich einer Einladung des in Zwickau gastierenden Zirkus Probst. Wir konnten uns von der Arbeit der Tierlehrerin Stephanie Probst und dem Raubtiertrainer Tom Diek jr. überzeugen. Stadtratskollege Hähner-Springmühl schätzte die Tierhaltung bei Probst als optimal ein. Dem konnte ich mich nur anschließen. Wichtigstes Kontrollinstrument auf der Grundlage bun-

deseinheitlicher Regelungen in jedem Gastspielort ist die Anlage 2 zum Tierbestandsbuch, nämlich die Prüfberichte der amtlichen Tierärzte. Das macht den Zirkus zum meist kontrollierten Tierhaltungsbetrieb Deutschlands. Prüfungsgegenstand sind die Beurteilung der Haltungseinrichtung, der Ernährungs- und Pflegezustand der Tiere, die Futtervorräte und deren Qualität, Bemerkungen, Auflagen und der Gesamteindruck

des Betriebes. Mit seiner Unterschrift bürgt der amtliche Tierarzt für die Richtigkeit seiner Angaben. Über einen langen Zeitraum legte uns Frau Probst diese Prüfberichte vor, und wir fanden keine negativen Eintragungen. In Vorbereitung auf die Sitzung des Haupt- und Verwaltungsausschusses nahm ich Kontakt zu Frank Keller vom Zirkus Krone auf und bat um Beurteilung der Videoaufnahmen bei Youtube. Herr Keller

antwortete: „Die Videoaufnahmen der Tierrechtsorganisationen entsprechen nicht der Realität.“ In der Verwaltungsvorlage wurde die rechtliche Beurteilung eines kommunalen Wildtierverbotes hinreichend dargelegt, die sich in der Kompetenz des Bundes liegt. Bei einer Enthaltung wurde durch die Mitglieder des Ausschusses ein Wildtierverbot in Zwickau abgelehnt. Thomas Koutzky

über umfangreiche Baumaßnahmen zur energetischen Sanierung der Sporthalle des Berufsschulzentrums Werdau und des Gymnasiums WilkauHaßlau. DIE LINKE Kreistagsfraktion Zwickau

Termine 28. April 2017, 18 Uhr, politikkontor, Bahnhofstr. 5 in Kirchberg: „NaZis‘17?! – alte Ideen im neuen Gewand“. Mit Anne Helm, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin für DIE LINKE, Sprecherin für Medien und Strategien gegen Rechts 4. Mai 2017, 18 Uhr, Schützenhaus WilkauHaßlau: „Inklusiv leben und lernen – was heißt das eigentlich?“ Mit Horst Wehner und Uwe Adamczyk. 20. Mai 2017, ab 14 Uhr: Kinderfest in Wilkau-Haßlau, Alter Marktplatz.


Sachsens Linke! 04/2017

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

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Eindrücke einer Vietnamreise In den letzten Jahren entwickelte sich in Vietnam immer mehr der Tourismus. Aber nicht nur die Küstenregion mit herrlichen langen Sandstränden vom Norden bis in den Süden, die malerische Land-

laub als sicheres Land mit niedriger Kriminalität. Wir sahen auf unseren Radtouren fleißige, freundlich aufgeschlossenen Menschen, sorgfältig gepflegte Gärten und Felder, hohe künstlerische

schaft des Nordens mit Bergen und Reisterrassen, die Trockenhalong-Bucht, die Halong-Bucht selbst, das Mekong-Delta oder die herrliche Insel Phu Quoc und die artenreiche, üppige Vegetation machen Vietnam als Reiseland interessant. Immer mehr Rucksack-, Pauschal- und Badetouristen aus aller Welt entdecken Vietnam für ihren Ur-

und handwerkliche Fertigkeiten bei der Pflege der alten kulturellen Traditionen. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung nach den verheerenden Kriegen und vor allem auch in den letzten Jahren zeigt auf, dass Vietnam versucht, die Gesellschaft variabel zu gestalten. Zunächst durchgeführte Verstaatlichungen wurden insbeson-

dere in der Landwirtschaft, Handwerk und Handel sowie in Teilen der Industrie wieder rückgängig gemacht. Anfängliche Stagnationen im Versorgungsbereich hauptsächlich von Nahrungsmitteln wurden nach dieser wirtschaftlichen Korrektur beseitigt. Der Boden für die landwirtschaftliche Bearbeitung wird an die Bauern auf 50 Jahre verpachtet. Damit behält der Staat die Eigentumsrechte über das Land, wobei der Bauer selbst die Entscheidung über seine Produkte trifft. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist in Vietnam weitestgehend durch eigene landwirtschaftliche Produkte gesichert. Vietnam ist inzwischen z. B. der weltweit zweitgrößte Reisexporteur, beachtlich sind auch die Produktion und der Export von Kaffee, Tee, Gewürzen, Fisch und Meeresfrüchten. In Vietnam leben etwa 88 Prozent ethnische Vietnamesen und weitere 53 anerkannte ethnische Minderheiten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung sind Atheisten, etwa 20 Prozent Buddhisten und etwa sechs Prozent Katholiken. Weitere Konfessionen sind Cao Dai, Hoa Hoa, Protestantismus und Islam.

Außenpolitisch hat Vietnam im Wesentlichen weltweit normale, entspannte Beziehungen und für die Bürger besteht die Möglichkeit des visafreien Reiseverkehrs in die unmittelbaren Nachbarstaaten. Auf Grund der jüngsten historischen Entwicklung ist Vietnam demografisch gesehen ein sehr junges Land. Vor allem auch deshalb ist dem Land zu wünschen, dass es

weiterhin eine positive Entwicklung in Frieden nehmen und die durchaus bestehenden Mängel und Probleme lösen kann. Siegfried Hamann, Stadtrat aus Weinböhla Ungekürzt erschienen in der Kreisausgabe DIE LINKE im Kreis Meißen April 2017. Bilder: Tet-Fest 2017, Autor: Nguyen The Nguyen (Ho-ChiMinh-Stadt)

Arbeitsgemeinschaften im Kreis Meißen Was tun mit dem Mitspracherecht? Verblüffung. Im August 2011 titelte der konservative Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Dunnerlittchen! Und erklärte, „dass er als Konservativer anerkennen müsse, dass die gegenwärtige ,bürgerliche‘ (Anführungszeichen von Schirrmacher) Politik unter anderem zu schlechteren individuellen Lebensmöglichkeiten und größerer Ungleichheit geführt habe und die Linke in ihrer Kritik daran richtig lag.“ Und an anderer Stelle sagte er einmal (sinngemäß), dass er nicht in Einzelheiten mit einer Partei übereinstimmen müsse, aber „das Mitspracherecht macht Sinn.“ Sowohl die Bundessatzung als auch die Landessatzung der Partei DIE LINKE erlaubt die Gründung von Bundeswie Landes-Arbeitsgemeinschaften (BAGn und LAGn). Eine Besonderheit ist, dass die Mitglieder dieser AGn nicht zwangsläufig Parteimitglied sein müssen. Das kommt zum Beispiel gehäuft in unserer recht aktiven „AG Linksju-

gend“ vor – ist aber kein Hindernis für die Wirksamkeit, bekanntlich eher im Gegenteil. Wenn wir eine Kreissatzung nötig hätten, dann würde der Umgang mit Kreis-Arbeitsgemeinschaften (KAGn) unbedingt dort hinein gehören. Wir haben nämlich welche. Und es kommt nicht darauf an, ob diese so genannt werden – „sogenannte“ AGn brauchen wir nicht –, sondern ob sie etwas erzeugen, das ohne sie nicht da wäre. Unsere am regelmäßigsten aktive Kreis-AG (KAG) ist die Redaktion unserer Zeitung. Das liegt an den fix geplanten Erscheinungsterminen – und daran, dass wir ein konkretes, fassbares Produkt herstellen, das sich regelmäßig und öffentlich der Kritik stellt. Dieses Minimum an Kreuz, das eine AG haben sollte, zeigt auch immer wieder die Linksjugend. Eine „AG Öffentlichkeitsarbeit“ gibt es dem Namen nach, ihr harter Kern ist aber mit der AG Zeitungsredaktion verschmolzen. Wünschenswert wäre auch die Belebung der (virtuell bereits existierenden) KAG „Betrieb und Gewerkschaft“. Auf den ersten Blick sieht man im Kreis

Meißen auf Gesamtmitgliederversammlungen zwischen fünf und zehn Mitglieder, die sich – einzeln angesprochen – stets als engagierte Gewerkschafter äußern. Nur zusammen haben sie noch nicht gefunden. Zusammen könnten sie etwas bewegen und die gewerkschaftliche Präsenz leben! Die AG „Politische Bildung und Kultur“ hatte schon einmal zwei Mitglieder (drei, wenn man den Zuständigen des Kreisvorstandes dazu rechnet) plus einen Interessenten. Was könnte man alles an Kultur und Bildung organisieren – wenn sich die Beteiligten (nicht nur der „Erfinder“ dieser AG) finden würden? Das war noch nicht alles – und da ist auch noch Luft nach oben. Warum ist das wichtig? BAGn und LAGn haben satzungsgemäße Rechte zur Mitgestaltung innerhalb der Partei. Ohne eigene Kreissatzung dürfen wir die Landessatzung sinngemäß anwenden. Und diese Mitwirkungsrechte sollte sich niemand entgehen lassen, der ein politisches Anliegen befördern möchte – und noch zwei Mitstreiter gefunden hat. Staub im Wind ist Materie.

Das menschliche Hirn ist auch Materie. Aber das menschliche Hirn ist organisiert. Machen wir was draus!

Meinungsäußerungen dazu nimmt die Redaktion sicherlich gern entgegen. Simone Stegner

Öffentlichkeitsarbeit ist ganz leicht Und: zuständig sind die Unzufriedenen Man kennt das natürlich. Nichts ist leichter, als der Welt mitzuteilen, was gut und richtig ist. Nur die dumme Welt ist einfach zu doof, das zu erkennen. Darum sind auch die Wahlergebnisse immer so schlecht. Alles ist ganz furchtbar und die zuständige Stellen müssten endlich mal ... Bis hierhin klar. Wer so denkt, ist „nicht zuständig“. Und gewöhnlich auch nicht bereit, etwas zu unternehmen, dass es sich ändert. An allem ist zu zweifeln! So dachte unter anderem Karl Marx (Redakteur), tat sich mit Friedrich Engels (Redakteur) zusam-

men und gab mit ihm zwei Jahre lang eine Tageszeitung heraus. Einfach so – und mit den gegebenen Mitteln der Zeit. Darunter: etwas Geld und viel Grips. Ohne zu fragen und ganz ohne Parteiauftrag. Einfach unverschämt. Ohne Rücksicht auf schon existierende Zeitungen – einfach, weil es etwas mitzuteilen gab. Wer kann uns hindern? Wer die Abschaffung des Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) durchsetzt. Wer uns mit „Argumenten“ wie „aussichtslos“, „sinnlos“ und „lächerlich“ „überzeugt“. Wer uns mit Vorwänden kommt, weil er keine echten Einwände vorbringen kann. Damit können wir fertig werden. • Reinhard Heinrich


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DIE LINKE. Kreisverband Bautzen

04/2017 Sachsens Linke!

Linker Journalismus am Rand des Daseins Zahlen zuerst, so geht Olaf Koppe, Gast des Kamenzer politischen Frühschoppens, an seine Aufgabe heran. Das mit dem Ortsverband DIE LINKE. Kamenz/Radeberg vereinbarte Thema lautet: „Keine Zeitung ist auch keine Lösung“. Er möge in 45 Minuten den fast 40 Interessierten alles über das neue deutschland (nd) von 1946 bis heute erzählen. Zur Vergangenheit sagt nur Moderator HansHellmut Junge ein paar Daten und Fakten, auch zum Gast. Der freut sich darüber, weil er derartige Aufmerksamkeit zum ersten Mal erlebe. Und bleibt locker bis zum guten Ende nach zwei Stunden interessanter Wissensvermittlung und Diskussion. Seit 2006 ist Koppe Geschäftsführer der sozialistischen Tageszeitung. So muss er quasi täglich die Erbsen zählen und zur Redaktionskonferenz am Vormittag mitteilen, ob es für die nächsten Tage noch zur Suppe reicht. Denn eine Auflage von etwa 27.000 Exemplaren als überregionales Presseorgan von Qualität und Glaubwürdigkeit ist äußerst kritisch. Koppe sagt nur „enormer Druck“ und lässt die Zukunft in der Schwebe. Klar, treuer Leserinnen und Leser bedarf es im-

mer – und vor allem neuer. Das nd hat eine gute Leserblattbindung, nur sind die Abonnenten überdurchschnittlich in die Jahre gekommen. Das reicht zum siebenten Platz im Reigen der

ene der dort verbreiteten antikommunistischen Grundstimmung, die ein aussichtsreiches Geschäft ausschließe, sagt Koppe. Überhaupt: Fast alle klagen über Leserschwund, seit

deutschen Tagesschreiber, teilt er mit. Nach aktuellen Erhebungen liegt Bild mit rund 1.800.000 Exemplaren vorn, die Süddeutsche Zeitung als erste Qualitätszeitung bringt es noch fast auf 370.000. Es folgen Frankfurter Allgemeine (252.000), Welt (182.000), Handelsblatt (125.000) und tageszeitung (51.000). Dazu gehört eigentlich, dass der intelligente Münchner an seinem Zeitungskiosk auch das nd erwerben könnte. Das sei nicht nur eine Logistikfrage, sondern auch

über zehn Jahren anhaltend. Er nennt Gründe: Wegbrechen von Werbeeinnahmen um etwa ein Drittel, veränderte Lebensbedingungen der Menschen, wie spätere Familiengründungen und Ausbildungsabschlüsse, Information und Kommunikation durch elektronische Medien, Glaubwürdigkeitsfragen, Altersstruktur der Leserschaft … Einst hätten Werbung und Anzeigen 60 Prozent der Einnahmen gebracht und 40 Prozent die Abonnenten. Jetzt sei es umgekehrt, sagt Koppe.

Größter Posten bei den Ausgaben? Das Personal! Qualitätsjournalismus aus überwiegend eigener Hand kostet – und der Mindestlohn für die Zusteller, den Koppe begrüßt, auch. Er nennt eine Summe: 4,8 Millionen Euro. Er nennt weitere Zahlen: aktuell 74 Redakteure, 40 Verlagsmitarbeiter, weltweit gute Journalisten als Freie. Es fällt der Name Karin Leukefeld, einzige deutsche Journalistin mit Dauerakkreditierung in Syrien. „Wir mussten die Finanzierungsmodelle enorm verändern.“ Beispielsweise den Online-Bereich erweitern und verbessern oder Trends bedienen, unter anderem das Zeitungslesen am Wochenende. Es gebe auch Überlegungen, eine Art Kombination von Abo und Smartphone zu kreieren. Oder die Werbeeinnahmen zu optimieren. Kritisch setzt sich Koppe mit der Glaubwürdigkeit der Medien auseinander. Diese leide weniger durch die ungerechtfertigten pauschalen Vorwürfe, die Journaille lüge wie gedruckt, sondern durch den selbst verschuldeten Abbau der Qualitäten. Er habe in den vergangenen Jahren unter anderem feststellen müssen, dass Zeitungen zum Teil bis zu 80 Prozent keine eigenen Pro-

dukte veröffentlichen, sondern die der Agenturen. So stünden in verschiedenen Zeitungen die gleichen Texte, schwinde das eigene Profil. „Es gibt nicht linken oder rechten, sondern nur guten oder schlechten Journalismus“, meint der Geschäftsführer. Seine Zeitung sorge dafür, dass eigene Anteile und die Qualitäten möglichst hoch bleiben. Neue Mitstreiter für die unterschiedlichen Inhalte zu finden sei indes nicht leicht. Christian Schneider, sorbischer Schriftsteller und gelernter Journalist, kommt gut vorbereitet zum Frühschoppen. Von wegen Qualitätsjournalismus des nd, das er täglich außer Sonntag in seinen Briefkasten hat! Koppe darf sich anhören, was der Wortkünstler als intellektuell hochgedrehte Sätze ohne verständlichen Sinn bezeichnet, die er auch noch zitieren möchte aus einem kürzlich erschienenen Beitrag. Wenn er Chef gewesen wäre, hätte er das nie drucken lassen. Koppe schmunzelt und versichert, die Kritik weiterzugeben. Ja, ja, das sei nicht einfach unter dem Dach am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin. Mitten im Leben und nicht am Rand. Trotz alledem. Reinhard Kärbsch www.politfruehschoppen.de

ZCOM Hoyerswerda: „Kein Museum für Computer-Nerds“ „Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“ (Thomas Watson, IBMChef, 1943). „Es gibt keinen Grund dafür, dass jemand einen Computer zu Hause haben wollte.“ (Ken Olson, Präsident von Digital Equipment, 1977). Diese Zitate finden sich im ZuseMuseum Hoyerswerda an der gläsernen Außenwand. Sie sind Beleg für die keineswegs geradlinige Geschichte des Computers von der Erfindung durch den Hoyerswerdaer Schüler Zu-

se bis hin zum heutigen Stand. Nicht mal jene, die sich damit auszukennen glaubten, erkannten damals seine Bedeutung. Das Zuse-Computer-Museum wurde im Januar 2017 neu eröffnet. Als neuer Nachbar liegt es neben meinem Wahlkreisbüro. Damit gibt es in der Zuse-Stadt eine sehenswerte Ausstellung, welche die Geschichte des Computers anschaulich aufzeigen will. Von den ersten Maschinen Zuses, die ganze Räume füllten, bis

zum heutigen Smartphone, das die Leistungskraft zehntausender Ur-Computer auf Hosentaschenformat komprimiert. Trotzdem, so Museumsleiterin Andrea Prittmann, will man „kein Museum für Nerds“ sein. Und so spielt der technische Aspekt in der Ausstellung nicht die Hauptrolle. Vielmehr geht es um den Einfluss des technischen Fortschrittes auf unseren Alltag. Die Funktion eines attraktiven Museums für die Region ist da-

Tschechische Lehrkräfte für sorbische Schulen Auf Initiative des sorbenpolitischen Sprechers der Linksfraktion im Landtag, Heiko Kosel, trafen sich der Vertreter des Regionspräsidenten der Region Ústí, Petr Šmíd, verantwortlich für Schulwesen, Jugend und Sport, mit der Vorsitzenden des Sorbischen Schulvereins e.V. Ludmila Budar und dem Abgeordneten des Europaparlaments Jaromir Kohliček zu einem Koordinierungsgespräch. Thema: Möglichkeiten der Gewinnung tschechischer Lehrer für sorbische Schulen. Danach erklärte Kosel: „Der Tatsache, dass der

Sorbisch-Unterricht in der Ober- und Niederlausitz wegen fehlender Lehrer gefährdet ist, sind sich die sorbischen Akteure bewusst. Bis 2025 werden 99 Lehrerkräfte aus dem Dienst ausscheiden. Da ab 2017 bis etwa 2025 jährlich zehn bis 15 Lehrer nicht mehr zur Verfügung stehen, ist sofortiges Handeln notwendig. Die Idee, Lehrkräfte aus Polen, Tschechien und der Slowakei für sorbische Schulen zu gewinnen, wird durch beide Ministerien geteilt. Ein bloßes Abwerben wäre auf Grund der angespannten Arbeitsmarktsitu-

ation in Tschechien kontraproduktiv. Daher bieten die tschechischen Partner dem sorbischen Volk eine Solidaritätsinitiative an. Als ersten Schritt sollen für Gymnasiasten in der Region Ústí Informationsveranstaltungen über die Geschichte der tschechisch-sorbischen Beziehungen, die Lage der Sorben und die Ausbildungs- und Berufsperspektiven angeboten werden. Zugleich sehen wir die sächsische Landesregierung in der Pflicht, die Voraussetzungen für den Einsatz tschechischer Lehrkräfte an sorbischen Schulen zu schaffen.“

bei klar erkannt. Es soll mehr als eine Schlecht-Wetter-Variante für die Seenland-Touristen im Sommer sein, sondern ganzjähriger Anziehungspunkt beim Besuch in Hoyerswerda. Umso

wichtiger also, die Kunde vom toll umgesetzten Museumskonzept in die Welt hinaus zu tragen. Ein Besuch in Hoyerswerda lohnt sich – durch das ZCOM nun umso mehr. Caren Lay


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Tiefflug-Auslagerung in den Osten? Hahn und Tackmann gegen Militär-Tiefflüge he gemeinsamer Kleiner Anfragen zum Thema gestellt. „Mich erreichen immer öfter in den letzten Monaten Klagen über Tiefflugaktivitäten im Raum Rheinsberg. Unser Erfolg gegen die Bundeswehr mit der Schließung des Bombodroms 2009 hält die Bundeswehr offensichtlich nicht davon ab, die Region wieder

ner Region, die mit dem Naturpark Sächsische Schweiz als eine weltweit anerkannte und hochsensible Tourismusregion gilt. Das Ergebnis ihrer Anfragen ist aber vor allem beim Thema Tiefflüge ernüchternd: Das Verteidigungsministerium blockt hier jede Information. André Hahn: „Beim Thema Tiefflüge mauert die Bundes-

aber die Existenz eines jährlichen Kontingents von 1.600 Tiefstflug-Stunden über dem Territorium der Bundesrepublik. Das heißt, man hat die Möglichkeit, dass jeder dieser ‚tiefen‘ Tiefflüge durch Messungen der Flugbetriebs- und Informationszentrale (FLIZ) des Luftfahrtamtes der Bundeswehr kontrolliert werden

regierung, verstrickt sich aber in krasse Widersprüche. Einerseits behauptet die Bundesregierung, dass es keine Möglichkeit zur statistischen Erfassung von Tiefflügen gibt. Auf der anderen bestätigt die Antwort der Bundesregierung

kann. Also müssen ja alle anderen Tiefflüge mit den Messungen auch erfasst werden können“, schlussfolgert der sächsische Abgeordnete. Auch Tackmann ist verärgert: „Seit langem mache ich mit anderen Brandenburger MdBs

Bild: pyntofmyld / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

Das Verhältnis von Bundeswehr und Ostdeutschland ist ziemlich schillernd: Einerseits ist die Bundeswehr Strukturfaktor und bereitwilliger Arbeitgeber im deindustrialisierten Raum, andererseits kann eine Anstellung bei ihr bei Tod und Töten enden. Nicht zuletzt ist die Bundeswehr auch Landverwüster auf den hiesigen Manöverplätzen. Der Osten ist also nicht nur verlängerte Werkbank, sondern auch verlängertes Rekrutierungs-, Aufmarsch- und Übungsgebiet (auch für andere NATO-Truppen). Auch in einem anderen Fakt wird diese „koloniale“ Einstellung der Bundeswehr gegenüber dem Osten der Bundesrepublik seit jüngstem deutlich: bei militärischen Flugübungen, und insbesondere bei Tiefflügen. Im Westen regt sich insbesondere im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Bayern mehr und mehr Widerstand gegen die dortigen massiven militärischen Luftübungen. Daher hat die Luftwaffe wohl entschieden, mehr Tiefflüge in den Osten „auszulagern“ – offensichtlich in der Hoffnung, dass sich die Bürger hier dagegen weniger zur Wehr setzen. Denn seit dem Jahr 2014 gibt es wieder zunehmende militärische Überflüge zumindest in zwei östlichen Regionen, im Gebiet der Sächsischen Schweiz und in der Kyritz-Ruppiner Heide, wie eine Anfrage der LINKEN jüngst ergab. Die beiden Bundestagsabgeordneten der LINKEN, André Hahn und Kirsten Tackmann, haben inzwischen eine Rei-

regelmäßig mit Tiefflugübungen zu belästigen“, sagt Kirsten Tackmann, die Linke-Abgeordnete des Wahlkreises in Brandenburg. André Hahn erhält ebenfalls Bürgerbeschwerden zur Tiefflugpraxis der Bundeswehr im Elbtal, ei-

der Linken auf Beschwerden von Bürgern in Nord-Brandenburg aufmerksam, die sich gegen die Belastung durch militärischen Fluglärm richten. Wir verlangen von der Bundesregierung seit geraumer Zeit genauere Informationen über das Aufkommen und die Anzahl besonders von Tiefflügen über diesem Gebiet. Sogar Maschinen aus Köln üben über unserem Gebiet.“ Und zur Messung von Lärmpegeln, um die Lärmbelastung erst einmal tatsächlich festzustellen, will sich die Bundesregierung erst gar nicht herablassen: Es gebe dafür, heißt es kurz und schnoddrig in der Antwort, „keine gesetzliche Grundlage“. Eine solche Informationspolitik „grenzt an Irreführung“, meint André Hahn. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Flugbetriebs- und Informationszentrale des Luftfahrtamts der Bundeswehr verpflichtet wird, Auskunft über Art und Anzahl der Tiefflüge zu geben, die von der Bundeswehr durchgeführt werden.“ Es ist zu hoffen, dass durch die Kleinen Anfragen die Wahrheit über die Tiefflugbelastungen in beiden Regionen und die Lärmbelastung zu Tage kommt. Viele Menschen hoffen darauf, dass die Politik die Bundeswehr-Willkür über den beiden Regionen endlich beendet. Und das nicht nur aus Eigennutz: Die Rolle, die die Bundeswehr-Aufklärungstornados aktuell beim Tod von 33 Flüchtlingen in AlMansour in Syrien spielten, zeigt, wie schnell aus diesen Übungen tödlicher Ernst wird. Thomas Kachel

Neues von der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik Am Samstag, dem 18.März 2017, haben wir uns in Leipzig zu unserer jährlichen Mitgliederversammlung getroffen. Als Gast konnten wir Horst Wehner begrüßen, der uns über behindertenpolitische Initiativen der Landtagsfraktion informierte. Das wichtigste Anliegen ist es, unsere linken behindertenpolitischen Forderungen auf Landesebene einzubringen. Schließlich muss das im letzten Jahr trotz zahlreicher Proteste verabschiedete Bundesteilhabegesetz in ein Landesgesetz übertragen werden. Hierzu wurden unsere wichtigsten Forderungen einstimmig in einer Resolution verabschiedet (siehe unten).

Turnusgemäß musste auch ein neuer Sprecher*innenrat gewählt werden. Gewählt wurden Andreas Kermer, Wilfried Thäsler, Birger Höhn und Susann Schöniger. Susann Schöniger Resolution der Mitgliederversammlung der LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der Partei DIE LINKE.Sachsen vom 18. März 2017 Ende 2016 wurde das Bundesteilhabegesetz (BTHG) verabschiedet. Ziel dieses Gesetzes ist es, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen zu verbessern.

Es gab im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zahlreiche Proteste behinderter Menschen, da der Gesetzentwurf bei Weitem nicht weit genug ging. Durch die Proteste wurden kurz vor dem Beschluss im Bundestag noch positive Änderungen erreicht. Insgesamt bleibt dieses Gesetz jedoch hinter den Erwartungen von Behindertenverbänden und behinderten Menschen zurück. Entsprechende Umsetzungsregelungen des Bundesteilhabegesetzes müssen nun auf Länderebene erfolgen. Die Teilnehmer*innen der Mitgliederversammlung der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik der Partei DIE LIN-

KE.Sachsen vom 18. März 2017 in Leipzig fordern die Sächsische Staatsregierung auf, 1. unverzüglich die notwendigen landesrechtlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes zu ergreifen und dabei vor allem das berechtigte Interesse der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen nach unbürokratischen, teilhabeorientierten Regelungen zu wahren; 2. auf sachsenweit einheitliche Maßstäbe bei der Finanzierung von Hilfen für Menschen mit Behinderungen hinzuwirken, um auf diesem Wege sowohl den Betroffenen

in allen Landesteilen ähnlich auskömmliche, teilhabeorientierte Unterstützung zukommen zu lassen als auch die Transparenz und Vergleichbarkeit der Leistungen zu gewährleisten; 3. das trägerübergreifende persönliche Budget auch im Freistaat Sachsen endlich zu dem beabsichtigten Instrument der Hilfen „aus einer Hand“ auszubauen, durch das Menschen mit Behinderungen das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf unbürokratische, schnelle und die Wahlfreiheit der Unterstützungen sichernde Art und Weise uneingeschränkt gewährleistet wird.


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Mitgliederversammlung des Liebknecht-Kreises Zwei Jahre nach seiner Gründung nimmt der LiebknechtKreis Sachsen (LKS) im Landesverband einen etablierten und weithin anerkannten Platz ein. Er ist ein wichtiger Akteur in der Auseinandersetzung um das strategische Profil der sächsischen LINKEN geworden. Das spiegelt sein Auftreten auf Landesparteitagen ebenso wider wie Standpunktäußerungen in bislang sechs Broschüren der Publikationsreihe „Schriften des LKS“. Das Interesse an seinem Wirken beschränkte sich nicht nur auf Sachsen, was sich nicht zuletzt in einer Reihe von überregionalen Presseveröffentlichungen zum Ausdruck kam. Dieses positive Fazit stand am Beginn der diesjährigen Mitgliederversammlung, die am 11. März 2017 an traditionsreicher Stätte (Liebknecht-Haus Leipzig) stattfand. In seinem Eingangsreferat erinnerte Volker Külow vor rund 30 anwesenden LKS-Mitgliedern nochmals an die Intentionen der Gründung des LKS im Frühjahr 2015, die weiterhin Gültigkeit besitzen. Es geht der landesweit wirkenden AG vornehmlich darum, die Vertreterinnen und Vertreter des linken Flügels besser zu vernetzen, diesen inhaltlich und personell zu stärken und damit das innerparteiliche Kräfteverhältnis im Landesverband in Richtung linkssozialistischer Positionen zu verschieben. Das alles ist natürlich kein Selbstzweck: die sächsische LINKE soll als eine kämpferische und pluralistische Mitgliederpartei von unten gestärkt werden. Während es im ersten Jahr zu-

nächst um eine Gründungsund Aufbauphase und daran anschließend um eine Konsolidierungsphase ging, begannen im Frühjahr 2016 die Mühen der Ebene. Insbesondere nach dem Landesparteitag in Neukieritzsch im Juni 2016 konnte an den Schwung des Gründungsjahres nicht ganz angeknüpft werden. Die bis dahin sehr aktive Publikationstätigkeit (pro Quartal ein Heft) wurde nach dem sechsten LKS-Heft leider nicht fortgesetzt; auch der quotierte SprecherInnenrat aus insgesamt 12 Mitgliedern verlor trotz seines zweimonatigen Tagungsmodus etwas an Schwung. Folgerichtig standen neben inhaltlichen Fragestellungen auf der LKS-Mitgliederversammlung auch die künftige Arbeitsweise, Vorschläge zur Verbesserung der internen und externen Kommunikation und die bisherigen Leitungsstrukturen auf dem Prüfstand. Mit der beschlossenen Verkleinerung des SprecherInnerates auf nunmehr sechs Mitglieder (natürlich wieder quotiert) und die Gründung eines Aktionsrates verbindet sich die Erwartung, die weitere Arbeit effizienter zu organisieren. Viele Vorschläge gab es zur Kommunikation, deren Verbesserung bereits unmittelbar nach dem 11. März eingeleitet wurde. Neben der Überarbeitung der Webseite werden der Blog und der Facebook-Auftritt einen deutlich höheren Stellenwert gewinnen. Darüber hinaus sollen die Vernetzungen der Mitglieder untereinander und deren Medienkompetenz ausgebaut werden. Um

die Ausstrahlung im Landesverband zu erhöhen, wird es künftig auch mehr inhaltliche Angebote für die Basis vor Ort geben, die sich als Angebote für eine moderne marxistische Bildungsarbeit verstehen. Der bevorstehende 150. Jahrestag des Erscheinens des ersten Bandes von Marx’ Hauptwerk „Das Kapital“ – der Druckort war Leipzig – und eine Konferenz zum 100. Jahres-

auch an durchaus erfreuliche Entwicklungen anknüpfen, die es im zweiten Jahr des LKS auch gab. Deutlich verbessert wurde beispielsweise die Zusammenarbeit mit anderen linken Strukturen innerhalb der Partei (Marxistisches Forum, Kommunistische Plattform, Antikapitalistische Linke usw.) sowie mit externen Bündnispartnern (DKP, SDAJ, RotFuchs usw.)

tag der Oktoberrevolution bieten dafür eine willkommene Gelegenheit. Hier kann man

Wie vom LKS nicht anders zu erwarten, meldete er sich unter der Überschrift „Für eine

starke LINKE im Bundestagswahljahr 2017“ auch mit einer Erklärung zu Wort. In ihr heißt es zur gegenwärtig in der Partei heftig diskutierten Frage über etwaige rot-rot-grüne Bündniskonstellationen nach dem 24. September: „Regierungsbeteiligung auf Bundesebene lehnen wir nicht grundsätzlich ab, aber sie ist für uns kein Wert an sich. In der derzeitigen gesellschaftlichen Situation in der BRD ist mit der von Martin Schulz geführten SPD und Grünen nach unserer Auffassung nur eine Modifikation des Status Quo, aber kein grundlegender Politikwechsel möglich; beiden Parteien fehlt dazu der Mut und die Bereitschaft. Die Fokussierung auf ein vermeintlich linkes Lager ist Illusionstheater und eine Regierungsbeteiligung der LINKEN im Herbst wäre eine Integrationsfalle – insbesondere angesichts einer möglichen offenen Krisensituation in der näheren Zukunft, in der die Partei nicht mehr als überzeugende Alternative einer grundsätzlich anderen Politik auftreten könnte. Natürlich werden wir uns keinen positiven Veränderungen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung verweigern und allen entsprechenden parlamentarischen Beschlüssen zustimmen. Rote Haltelinien in den wichtigsten Politikfeldern halten wir jedoch weiterhin für unverzichtbar“ (der ganze Text unter http://liebknecht-kreis. blogspot.de). Man kann sicher sein, dass es nicht die letzte Wortmeldung des LKS in dieser Debatte war. Volker Külow

schen mit Beeinträchtigung ist daher eine Forderung vieler Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Des Weiteren muss es verstärkte Bemühungen geben, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Es gibt über die Integrationsämter gute Unterstützung für Arbeitgeber, diesen Weg zu gehen. Der Mindestlohn in Werkstätten und verstärktes Engagement zur Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt sind Voraussetzungen für ein gutes Leben jenseits von Armut auch im Alter. Menschen mit Behinderungen sind prozentual überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Daher sind sie, um ihr Leben zu fristen, auf Transferleistungen angewiesen. Wir, die LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik, möchten, dass die Zugänge zu Leistun-

gen vereinfacht werden und unbürokratisch möglich sind. Das gilt auch für das von uns geforderte Teilhabegeld, um die besonderen behinderungsspezifischen Bedarfe auszugleichen. Für Menschen mit besonderen Bedarfen ist das im ländlichen Raum ungleich schwieriger. Dort, wo es fast keinen oder überhaupt keinen barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr gibt, wo Ärzte sind Mangelware sind, von barrierefreien Arztpraxen und Läden des täglichen Bedarfs ganz zu schweigen. Es gibt viel zu tun auf dem Weg zu einer sozial gerechteren Welt. Lasst uns dafür Partei ergreifen. Oder, um mit Henry David Thoreau zu sprechen: „Lass dein Leben zum Reibungswiderstand gegen Ungerechtigkeit werden.“ Susann Schöniger

Beeinträchtigte Menschenwürde „Wenn ein Mensch nicht mit seinen Begleitern mithält, liegt es vielleicht daran, dass er einen anderen Trommler hört. Laß‘ ihn nach der Musik ausschreiten, die er hört, egal wie bedächtig oder weit entfernt diese klingt.“ In Sachsen leben über 350.000 Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die oft als Menschen mit Behinderung bezeichnet werden. Ein „Leben in Menschenwürde“ liegt für sie in vieler Hinsicht in weiter Ferne. Die LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik setzt sich dafür ein, dass DIE LINKE weiterhin und konsequent deren Interessen vertritt und schlüssige, realitätsnahe Vorschläge für die Verbesserung der Lebensbedingungen dieser vielen Menschen erarbeitet. Insbeson-

dere im Bundestagswahljahr müssen wir dies auch deutlich aussprechen, um diese Interessenvertretung glaubwürdig zu machen. „Ergreif Partei – in Zeiten wie diesen müssen wir Haltung bewahren.“ So ist es auf unserer Internetseite zu lesen. Ja gerade in Zeiten wie diesen ist dies wichtiger denn je. Ebenso hört man immer wieder Begriffe in unserer Partei wie „soziale Gerechtigkeit“, zum Beispiel auch im aktuellen Bundestagswahlprogramm. Für mich bedeutet dies, dass soziale Gerechtigkeit kein Selbstläufer ist und es gilt, eben genau dafür Partei zu ergreifen. Menschen mit besonderen Bedürfnissen spüren diese Notwendigkeit tagtäglich unmittelbar, sind sie doch noch häufiger mit sozialer Ungerechtigkeit konfrontiert. So gibt es beispielsweise

in Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung keinen Mindestlohn. Menschen gehen täglich arbeiten für ein Taschengeld, obwohl sie wichtige Auftragsarbeiten für Unternehmen verrichten. Diese Werkstattmitarbeiter sind keine Arbeitnehmer im herkömmlichen Sinne, sondern besitzen nur einen sogenannten „arbeitnehmerähnlichen“ Status. Daher sind sie auf andere Leistungen wie EU-Rente oder Sozialhilfe angewiesen. Was dies nicht zuletzt für ein Leben im Alter bedeutet, liegt auf der Hand – es droht Altersarmut, da eine auskömmliche Rente nicht erreicht wird. Das ist ein Armutskreislauf, der nichts mit einem Leben in Würde zu tun hat und bei dem man von sozialer Gerechtigkeit nicht reden kann. Ein Mindestlohn in Werkstätten für Men-


Sachsens Linke! 04/2017

Jugend

Seite 10 bedingungsloses Grundeinkommen ist uns ein wichtiges Anliegen. Das zeigen die Debatte auf dem Landesjugendplenum und der mit großer Mehrheit angenommene Beschluss, in welchem wir einen Mitgliederentscheid dazu auf Bundesebene der LINKEN fordern. Darüber hinaus wurde ein Antrag beschlossen, dass

tragtenrat fügt hinzu: „Dieses Mal lag ein großer Fokus auf der Bundesebene des Jugendverbandes. Die insgesamt 55 teilnehmenden jungen Menschen haben unsere paritätische besetzte und sehr junge Delegation aus 22 Personen für den Bundeskongress der linksjugend [‚solid] gewählt. Zusätzlich beschloss die links-

... und viele Inhalte gab‘s beim Landesjugendplenum in Limbach

Vom Freitag, dem 17. März bis zum Sonntag, dem 19. März 2017, fand in Limbach-Ober-

frohna das Landesjugendplenum der linksjugend [`solid] Sachsen statt. Anton Hörtels

vom Beauftragtenrat stellte hernach fest: „Die Diskussion um ein emanzipatorisches und

für uns ‚Kritik […] am Abschiebebeauftragten der sächsischen Staatsregierung Geert Mackenroth nicht nur möglich sein muss, sondern notwendig ist‘, wie es im Antrag heißt, und unseren Mitgliedern Weiterbildung im Umgang mit Schmähkritik anbieten werden, nachdem Mackenroth einen kritischen Facebookpost der Linksjugend Dresden zur Anzeige gebracht hat.“ Franziska Fehst vom Beauf-

jugend [´solid] Sachsen, sich auf Bundesebene für kostenfreie Verhütungsmittel einzusetzen und diesen Punkt als Forderung in den Bundestagswahlkampf aufzunehmen.“ Auf dem Landesjugendplenum konnte der Eintritt von sechs neuen Mitgliedern in die linksjugend [´solid] Sachsen festgestellt werden. Von den 55 Teilnehmenden waren 48 jünger als 27 Jahre, 46 waren Mitglieder der Linksjugend.

May Day? Not for the nazi scum! rechnen ist als beispielsweise in Städten wie Leipzig. Zudem plant die Partei „Die Rechte“ (gemeinsam mit Kameradschaften) einen ähnlichen Aufmarsch in Halle durchzuführen. In letzter Zeit traten sie am 1. Mai vor allem im Ruhrgebiet oder in Erfurt auf. Auf derartigen Aufmärschen kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Angriffen auf Linke und Journalist*innen. Massive Gegenproteste in vielfältiger Art und Weise bleiben also mehr als notwendig. Sowohl in Gera als auch in Halle sind Gegenproteste geplant. Haltet euch auf dem Laufen-

Foto: Left-Stickers.com / flickr.com / CC BY-NC 2.0

Auch am diesjährigen 1. Mai wollen Faschist*innen diverser Parteien und Gruppierungen den internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse für sich okkupieren. Während in den letzten Jahren die neofaschistische Kaderpartei „Der Dritte Weg“ in Saalfeld und Plauen versuchte, ihren Aufmarsch durchzusetzen, hat sie nun eine Demonstration für den 1. Mai 2017 in Gera angemeldet. Die Strategie bleibt gleich. Man versucht, einen völkischen „Antikapitalismus“ im NS-Stil zu propagieren – in Provinzstädten, wo vermutlich mit weniger Gegenwehr zu

Queerfeministisches Aktionswochenende „LOVE ME GENDER – or fuck off“ vom 7. bis 9. April 2017 in Leipzig Wir mögen in einer postfaktischen Welt leben – aber sicher in keiner postfeministischen! Gesellschaft und Politik sind immer noch Spiegelbilder des Patriarchats und noch lange nicht frei von sexistischen Inhalten. Links sein bedeutet dagegen anzukämpfen, und linke Politik kann und muss

diese Kämpfe supporten: Sie muss feministisch, queeraktivistisch, antikapitalistisch und antifaschistisch sein. Für eine aufgeklärte, libertäre und emanzipatorische Gesellschaft. Um dieser ein kleines Stück näher zu kommen, wird vom 7. bis zum 9. April 2017 in Leipzig unser queerfeministisches Aktionswochenende stattfinden. Am Freitag geht es bereits um 16:30 Uhr los. An diesem Wochenende wird

es ein volles Programm mit vielen tollen Referent*innen geben, beispielsweise wird eine Podiumsdiskussion mit Katja Kipping, Jule Nagel, Sarah Buddeberg und Anja Klotzbücher stattfinden. Zudem gibt es Workshops zu den Themen „Kritische Männlichkeit“, „Queer Refugees“, „Geschlecht und Kapitalismus“, „Fatshaming“ & Transmisogynie“, eine bunte Party u. A. mit FaulenzA, Jennifer Ge-

den und seid am 1. Mai in Halle oder Gera dabei – um Nazis zu blockieren und um für einen emanzipatorischen Antikapitalismus und Solidarität zu streiten. Infos gibt es unter www.gera-nazifrei.de und unter www.erster-mai-halle.de Paul Gruber

Termine 2. April: Sitzung des Beauftragtenrates. Wann? 12 Uhr. Wo? Ort wird noch bekannt gegeben.

genläufer + DJ* Le_go und eine Streetaction „Socken in Schubladen sortieren“ und noch vieles mehr. Aber keine Angst: auch (und gerade!) Anfänger*innen, die sich noch nicht so in der ganzen verqueeren SternchenWelt wohl fühlen, sind herzlich eingeladen.

7.-9. April: Qeerfeministisches Wochenendes „Love me Gender - or fuck of“. Wo? Interim, Leipzig. Infos: www.gleft. de/1Ej

Anmelden könnt ihr euch unter www.gleft.de/1Ec.

2.-5. Juni: Pfingstcamp. Wo? Doksy, Tschechien. Infos: www.gleft.de/El

8. April Feministisches Wochenende/ FaulenzA. Wann? 16:30 Uhr. Wo? Interim, Leipzig. Infos: www.gleft.deEm


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

04/2017 Sachsens Linke!

Griechenland aktuell: Die Syriza-Jugend im Spannungsfeld zwischen Partei und Bewegung Im Rahmen einer Bildungsreise nach Griechenland (Athen), die vom 20.02.2017 bis zum 26.02.2017 in Kooperation mit der Linksjugend [´solid] Sachsen und dem Ring Politischer Jugend Sachsen e.V. stattfand, organisierte ich zusammen mit Nondas Floras von der SyrizaJugend das Programm dafür. Dieses Programm sollte einerseits einen vernetzenden, andererseits einen bildenden Charakter aufweisen. Es sollte eine ausgeglichene Sichtweise zwischen der Syriza-Jugend und linken, sozialen Bewegungen dargelegt werden. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Mitglieder des Jugendverbandes von Syriza nicht gleichzeitig Mitglied in der Partei sein dürfen. Somit wird sich dieser Bericht weniger mit der Partei auseinandersetzen. Die Programmpunkte waren alle auf einander aufbauend erdacht worden. Neben den Besuchen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die uns über den aktuellen Stand zum Prozess gegen die neo-faschistische Partei „Goldene Morgenröte“ aufklärte, gab es ein einführendes Treffen mit der Syriza-Jugend. Auch kam die geschichtliche Bildung nicht zu kurz, die einen Besuch im Museum für den kommunistischen und linksgerichteten Widerstand während der faschistischen Besatzung sowie eine Zeitzeugenführung durch ein früheres Foltergefängnis der Militärjunta beinhaltete. Auch wurden die Zusammenhänge der Jugend mit sozialen

Bewegungen ausführlich dargelegt. Zum einen wurde uns erklärt, was das Projekt „Solidarity for all“ (Solidarität für alle) ist. Diese Einrichtung, finanziell unterstützt von Syriza, ist eine Schirmorganisation, die viele soziale Hilfseinrichtungen

flüchtetenprojekt „City Plaza“. Das „Plaza“ war ein früheres Hotel, das besetzt und in Absprache mit der alten Belegschaft zur Aufnahmestätte für Geflüchtete umfunktioniert wurde. Dort sind zurzeit ca. 400 Menschen untergebracht,

Wänden zu finden ist und in autonomen Gruppen praktiziert wird, sind die Genoss*innen von Syriza eher ungern gesehen. Auch dies ist der restriktiven Politik der Kommission und des EU-Rates geschuldet. Unsere Genoss*innen der Sy-

unter einem Dach versammelt und koordiniert. Somit kommt die Hilfe für Bedürftige auch dort an, wo sie benötigt wird. Die Besonderheit ist, dass es eigens eine Abteilung von Syriza gibt, die sich um die Kontaktaufnahme und Pflege zu Hilfsorganisationen kümmert. So wird gezeigt, dass die Regierung zwar die Austeritätspolitik der Troika umsetzen muss, die Partei selbst aber weiterhin an ihrem sozialen Kurs festhält. Auch besuchten wir das Ge-

die durch Freiwillige aus ganz Europa rund um die Uhr betreut werden. Hier beginnt die Spannung. Mitglieder von Syriza sind dort nicht gern gesehen. Für die Helfer*innen des Projektes stehen die Partei und der Jugendverband für eine EU-Politik, welche die Festung Europa eher ausbaut als Geflüchtete willkommen zu heißen. Auch im links gerichteten Athener Viertel „Exarchia“, wo der Ausspruch „Refugees Welcome“ oft an den

riza-Jugend engagieren sich in vielfältigen Projekten, die z. B. Geflüchteten die Integration in die griechische Gesellschaft er-

möglichen sollen. Die Sparvorgaben der Troika und der Fakt, dass Griechenland als ein Ankommensland für geflüchtete Menschen fungiert, passen nicht zusammen. Momentan sind die Auswirkungen der Austeritätspolitik in der gesamten Gesellschaft zu spüren. Die Armut nimmt zu, ebenso wie die Arbeitslosigkeit, gerade unter Jugendlichen. Auch hat sich zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte Griechenlands die Sterblichkeitsrate von Säuglingen erhöht. Somit ist die Austeritätspolitk menschenfeindlich. Darunter leiden auch eine linke Partei wie Syriza und natürlich der Jugendverband. Zum einen wollen die Genoss*innen ihre soziale Politik weiterhin durchführen, zum anderen werden sie für ihr Regierungshandeln gescholten, ohne darauf wirklich Einfluss nehmen zu können. Syriza und ihr Jugendverband sind das beste Beispiel einer linken, regierungswilligen Partei, die linke Themen umsetzen möchte, aber an einer übermächtigen Troika scheitert. Um das zu ändern, bedarf es unserer Solidarität. Zu jeder Zeit. Björn Reichel, Europabüro Dr. Cornelia Ernst

Zum Artikel des Finanzbeirates: Eine Klarstellung In der letzten Ausgabe von „Sachsens Linke!“ erklärt der Landesschatzmeister im Namen des Finanzbeirates die Arbeit der AG Finanzen als gescheitert und stellte ein eigenes Finanzkonzept vor. Um Irritationen zu vermeiden, ist folgende Klarstellung notwendig. Der letzte Landesparteitag am 18. Juni 2016 in Neukieritzsch beauftragte eine neu zu bildende Arbeitsgruppe Finanzen unter Einbeziehung der bereits vorliegenden Papiere mit der Erarbeitung eines neuen Finanzkonzeptes für DIE LINKE. Sachsen. Teil dieser Arbeitsgruppe wurde auch der Finanzbeirat. Die Arbeitsgruppe tagte im folgenden halben Jahr regelmäßig und diskutierte intensiv verschiedene Kernthemen

im Bereich Finanzen. Das Ergebnis dieser Diskussion wurde der gemeinsamen Beratung von Landesvorstand, Kreisvorsitzenden und Landesrat am 4. Februar 2017 vorgelegt. Unter TOP IV dieser Beratung wurde das Papier der AG Finanzen diskutiert und sich im Ergebnis darauf verständigt, auf der nächsten gemeinsamen Beratung von Landesvorstand, Kreisvorsitzenden und Landesrat Beschlüsse hinsichtlich einer Einarbeitung der Ergebnisse in das bestehende Finanzkonzept zu fassen. Der Landesparteitag am 29. April 2017 soll inhaltlich über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe informiert werden. Vor diesem Hintergrund wirkt es mindestens irritierend, dass der Finanzbeirat die Arbeit der

AG Finanzen als gescheitert bezeichnet und zur Diskussion über ein eigenes Finanzkonzept aufruft. Ein solches Konzept des Finanzbeirates lag der Arbeitsgruppe Finanzen bereits im November 2016 vor. Es war von seinen Ideen her Bestandteil der Diskussion in der AG Finanzen. Aus ganz unterschiedlichen Gründen und inhaltlichen Erwägungen haben Punkte dieses Konzeptes keine Mehrheit in den Beratungen gefunden. Dies gilt übrigens in gleichem Maße für alle anderen Papiere, welche Grundlage der Diskussion waren. Die in der Arbeitsgruppe geführten Diskussionen wurden in dem am 4. Februar vorgestellten Ergebnispapier zusammengeführt. Dass derzeit der Finanzbeirat erklärt, die AG Finanzen

hätte ihren Auftrag nicht erfüllt, weil nicht dem Konzept des Finanzbeirates gefolgt wurde, halten wir für ein Fehlverständnis von Demokratie. Wir gehen davon aus, dass die Verabredung der gemeinsamen Beratung von Landesvorstand, Kreisvorsitzenden und Landesrat vom 4. Februar 2017 weiter Bestand hat und es auf dem kommenden Landesparteitag keinen Antrag mit einem Entwurf eines Finanzkonzeptes geben wird. Adam Bednarsky (Vorsitzender Stadtverband DIE LINKE. Leipzig) Nico Brünler (Vorsitzender Stadtverband DIE LINKE. Chemnitz) David Himmer (Geschäftsführer Kreisverband DIE LINKE. Nordwestsachsen)

Marion Junge (Vorsitzende Kreisverband DIE LINKE. Bautzen) Uta Knebel (Vorsitzende Kreisverband DIE LINKE. Meißen) Dierk Kunow (Vorsitzender Kreisverband DIE LINKE. Görlitz) Holger Luedtke (Vorsitzender Kreisverband DIE LINKE. Westsachsen) Jens Matthis (Vorsitzender Stadtverband DIE LINKE. Dresden) Falk Neubert (Vorsitzender Kreisverband DIE LINKE. Mittelsachsen) Janina Pfau (Vorsitzende Kreisverband DIE LINKE. Vogtland) Lutz Richter (Vorsitzender Kreisverband DIE LINKE. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) Sandro Tröger (Vorsitzender Kreisverband DIE LINKE. Zwickau)


Sachsens Linke! 04/2017

DIE LINKE im Bundestag

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US-Forderung nach zwei Prozent für Rüstung ablehnen! Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) solle jedes NATO-Mitglied bis zum Jahr 2024 für Rüstung ausgeben. Auf diese „Zielvorgabe“ einigten sich die Regierungen der Vertragsstaaten 2002. 15 Jahre lang blieb die Vereinbarung, was die Sprache der Diplomatie schon nahegelegt hatte: eine mehr oder weniger unverbindliche „Zielvorgabe“. Lediglich fünf von 28 Partnern hatten sie 2015 erfüllt. Die meisten Mitgliedsstaaten waren kaum willens oder fähig zu mehr. Nun, im Jahr 2017 und insbesondere seit der Forderung des neuen US-Präsidenten Trump, die Europäer sollten sich finanziell stärker an der NATO beteiligen, ist das „Zwei-Prozent-Ziel“ plötzlich in aller Munde. DIE LINKE lehnt es ab und hat dafür gute Gründe: Es ist politisch wie haushälterisch falsch und gefährlich. Zwei Prozent von hundert, das klingt erst einmal nicht nach viel. Wenn wir uns jedoch vor Augen halten, dass das BIP in Deutschland 2016 über drei Billionen Euro – 3.132.000.000.000 Euro – betrug, wird die Größenordnung deutlich. Der Verteidigungsetat ist der zweitgrößte Einzelplan im Bundeshaushalt. Bereits für 2017 wurde er von der Großen Koalition um acht Prozent auf nun 37 Milliarden Euro erhöht. Das war der stärkste Anstieg seit 25 Jahren. Dennoch liegen die Militärausgaben „nur“ bei 1,2

Prozent des deutschen BIP. Ein Anstieg auf die Zielmarke zwei Prozent bis 2024 käme also fast einer Verdopplung nah. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass das BIP anders als in den letzten Jahren nicht weiter anstiege, erhöhten sich die Rüstungsausgaben damit auf fast 63 Milliarden Euro – eine Summe, die jede Dimension sprengt.

konnte es seine Renten und sein Gesundheitssystem nicht mehr bezahlen. Es ist zu bezweifeln, dass das zu mehr Sicherheit führt. Doch das „Zwei-Prozent-Ziel“ ist nicht nur finanziell verantwortungslos, es steht auch für eine politische Strategie der Aufrüstung, die keine Probleme löst. Im Gegenteil: Die Erfahrungen aus Afghanistan,

mawandel und die rücksichtslose Handelspolitik der reichen Staaten sind wichtige Faktoren, die bestehende Konflikte schüren und neue entstehen lassen. Nicht nur in den „failed States“ Afrikas bilden sie die Ursachen für die großen Fluchtbewegungen unserer Zeit. Wer mehr Sicherheit will und den Menschen eine Zukunft in ihrer Heimat ermöglichen möchte,

Das gilt aber nicht nur für NATO-Staaten mit hohem BIP. Griechenland gehört zu den wenigen Staaten, die die NATO-Vorgabe erfüllen, weil sein BIP seit der Finanzkrise 2008 immer kleiner wurde. Dafür

dem Irak oder Syrien zeigen, dass sich Konflikte verfestigen und ausweiten. Krisen, Konflikte und Kriege haben Ursachen. Extreme Armut in weiten Teilen der Welt, der Kampf um Rohstoffe, Umweltzerstörung, Kli-

muss diese Ursachen bekämpfen. Statt für Rüstung benötigen wir endlich mehr Mittel, um weltweit eine nachhaltige soziale, ökologische und friedliche Entwicklung mit stabilen Staaten zu fördern.

Durchgesetzt hat sich diese Erkenntnis in der Regierungspolitik leider noch nicht. Während ernsthaft überlegt wird, der NATO-Vorgabe entsprechend die Ausgaben für Militär quasi zu verdoppeln, spielt die UN-Vorgabe für Entwicklungspolitik nur eine untergeordnete Rolle. Bereits 1972 war international vereinbart worden, einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. 45 Jahre später verfehlt die Bundesrepublik diese ODA-Quote mit 0,52 Prozent für humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik im Haushalt weiterhin. Dabei wäre eine andere Politik ohne weiteres machbar. Wenn nur ein Teil der für Aufrüstung vorgesehenen Gelder in Entwicklungspolitik fließen würde, könnten mittelfristig weitere Mittel für militärische Zwecke eingespart werden. Mehr Geld für Entwicklungspolitik ist die beste Verteidigungspolitik. Wie es weitergehen wird, entscheidet sich nach der Bundestagswahl. Die CDU/CSU steht der NATO-Vorgabe positiv gegenüber. Die SPD grenzt sich zumindest im Wahlkampf von der Forderung ab. Doch nur eine starke LINKE kann garantieren, dass es in Zukunft mehr Sicherheit durch eine friedensorientierte, nachhaltige Außen- und Entwicklungspolitik gibt. Michael Leutert

Gemeinsam für Kinderrechte! Kinderrechte sind ein stets aktuelles und leider nicht immer mit der notwendigen Sensibilität beachtetes Thema. Die UNO geht von der folgenden Situation aus: „51 Prozent der knapp 60 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht oder in flüchtlingsähnlichen Situationen befinden, sind jünger als 18 Jahre.“ UNICEF befindet, dass weltweit 150 Millionen Kinder arbeiten müssen. Der Blick muss aber nicht in die Ferne schweifen – auch in der westlichen Welt werden Kinderrechte missachtet. Erst Ende Januar legten USamerikanische Polizisten an einem Flughafen in Washington einem fünf Jahre alten Kind über fünf Stunden Handschellen an. Begründet wurde das Vorgehen mit der angeblichen Gefährlichkeit von Kleinkindern für die nationale Sicherheit. Auch in Deutschland ist die Lage keinesfalls vorbildlich. UNICEF führt beispielhaft „Lehrermangel, un-

gleiche Chancen und nicht genug Schutz vor Gewalt und Missbrauch“ an. Eines haben die Kinder weltweit gemein: Ihnen werden ihre völkerrechtlich verbrieften Rechte verwehrt. Rechte, die von fast allen Staaten der Welt völkerrechtlich anerkannt und ratifiziert wurden. Deutschland ist da keine Ausnahme. Seit Jahren wird das Thema im Bundestag von der Tagesordnung getilgt. Erst wird der Punkt auf das Ende der Sitzungswoche gelegt, nur um ihn dann aus Zeitmangel ganz zu streichen. Eine Farce, ebenso wie die Tatsache, dass Kinderrechte noch nicht im Grundgesetz verankert sind, wie es die Initiative „Kinderrechte ins Grundgesetz“ fordert. Für Kinderrechte muss man sich stark machen. Deswegen hielt ich im Februar einen Vortrag zu Kinderrechten vor einer 10. Klasse an der Gerhard-Hauptmann-Oberschule

in Limbach-Oberfrohna. Dabei ging es in erster Linie um die Vermittlung von Basiswissen. Dazu gehört die Kenntnis der zehn wichtigsten Kinderrechte: Gleichheit, Gesundheit, Bildung, Spiel und Freizeit, freie Meinungsäußerung und Beteiligung, gewaltfreie Erziehung, Schutz im Krieg und auf der Flucht, Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung, elterliche Fürsorge und besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung. Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch einfordern. Für eine konsequente Umsetzung und Garantie der Kinderrechte weltweit! Jörn Wunderlich


Kommunal-Info 3-2017 4. April 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.

Sparkassen Sparkassen bleiben wichtige Partner von Kommunen ... Seite 3

Gentrifizierung Studie zum kommunalen Umgang mit der Gentrifizierung Seite 4

Internsivseminare Freies Reden und sicheres Auftreten Kommunalhaushalt und Kommunalwirtschaft

Seite 4

Anzeige-, Vorlageund Genehmigungspflicht Damit die Rechtsaufsichtbehörden (Kommunalaufsicht) 1 ihre Überwachungsfunktion wahrnehmen können, ohne zunächst selbst tätig zu werden, haben die Kommunen die Bringepflicht, ihnen bestimmte Beschlüsse anzuzeigen, vorzulegen oder durch sie genehmigen zu lassen. Jedoch verbietet es sich aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht, nun alle Vorgänge in der Kommune einer Überwachung zu unterziehen oder alle Beschlüsse einer Berichtspflicht zu unterwerfen.

Die Anzeigepflicht

Anzeigepflichtig sind alle Satzungen, die von einer Kommune erlassen werden, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (z.B. ist die Haushaltssatzung vorlagepflichtig). Durch die Anzeigepflicht wird die Rechtsaufsichtsbehörde in die Lage versetzt, ihre Aufsichtsfunktion umfassend wahrzunehmen, denn dadurch erhält sie Gelegenheit zur Überprüfung und bei rechtserheblichen Fehlern die Möglichkeit, nachträglich korrektiv tätig zu werden. In einem gestuften System der präventiven Rechtsaufsicht ist die Anzeigepflicht die unterste Stufe. Die Anzeige muss erst nach Abschluss des Satzungsverfahrens, also grundsätzlich nach der öffentlichen Bekanntmachung und dem Inkrafttreten, dann jedoch unverzüglich vorgenommen werden. Versäumt die Gemeinde die Anzeige, dann hat dies keine Auswirkung auf die rechtliche Wirksamkeit

der Satzung. Zum Wesen der Anzeige stellte das Verwaltungsgericht Dresden in seinem Urteil vom 30. Juli 1998 u.a. fest: „Die Anzeige der Satzung nach § 4 Abs. 3 Satz 3 SächsGemO stellt im Gegensatz zur Genehmigung oder Vorlage nach § 119 SächsGemO nicht einen Mitwirkungsakt der Rechtsaufsichtsbehörde oder eine sonstige Wirksamkeitsvoraussetzung dar, sondern dient ausschließlich der vorbeugenden Rechtskontrolle und soll der Rechtsaufsichtsbehörde die Überprüfung der Satzung auf ihre Gesetzmäßigkeit erleichtern.“ Der Anzeigepflicht unterliegen neben den Satzungen weiterhin folgende Vorgänge2: ein Fehlbetrag bei der Feststellung des Jahresabschlusses oder ein höherer Fehlbetrag als im Haushaltsstrukturkonzept ausgewiesen bei solchen Gemeinden3, die auf Anordnung der Rechtsaufsichtsbehörde gemäß § 75 Abs. 4 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) 4 ein Haushaltsstrukturkonzept aufstellen müssen; Änderungen in einer Satzung oder in einem Gesellschaftsvertrag bei privatrechtlichen Unternehmen, an denen die Kommune beteiligt ist, sofern diese nicht genehmigungspflichtig sind (§ 102 Abs. 3); Verfügungen über Vermögen und Kreditaufnahmen bei Unternehmen in Privatrechtsform, an denen die Gemeinde beteiligt ist, soweit diese von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für ein Unternehmen sind (§ 96a

Abs. 1, 2b u. § 102 Abs. 3); die Übertragung von Kassengeschäften auf Dritte gemäß § 87 Abs. 1; der Beschluss über die Feststellung der Jahresrechnung durch Gemeinderat entsprechend § 88b Abs. 3; der Gemeinderatsbeschluss über den Entzug der Leitung des Rechnungsprüfungsamtes (§ 103 Abs. 4); wenn durch vorgesehene Zinsaufwendungen der Haushaltsausgleich und die mittelfristige Finanzplanung ernsthaft gefährdet sind (Verwaltungsvorschrift KommHHWi-Doppik A II Nr. 4); der Beteiligungsbericht der Kommune gemäß § 99 Abs. 4.

Die Vorlagepflicht

Im Unterschied zur Anzeigepflicht können vorlagepflichtige Beschlüsse einer Kommune erst dann vollzogen werden, „wenn die Rechtsaufsichtsbehörde die Gesetzmäßigkeit bestätigt oder den Beschluss nicht innerhalb eines Monats beanstandet hat.“ (§ 119 Abs. 1) Insofern kann die Vorlagepflicht als eine gesteigerte oder qualifizierte Form der Anzeigepflicht betrachtet werden. Da der Rechtsaufsicht nach Artikel 89 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung und § 111 Abs. 1 nur eine Kontrolle der Gesetzmäßigkeit zusteht, unterliegen auch vorlagepflichtige Beschlüsse lediglich der Rechtmäßigkeitskontrolle. Der Rechtsaufsichtbehörde steht es hingegen nicht zu, die Zweckmäßigkeit der Beschlüsse zu bewerten. Die Prüfung hat sich darauf zu beschrän-

ken, ob der rechtliche Rahmen und die Grenzen eines rechtlichen Beurteilungsspielraumes eingehalten wurden. Der Vorlagepflicht ist ebenso wie der Anzeigepflicht unverzüglich nach Beschlussfassung im Gemeinderat nachzukommen. Im Unterschied zur Anzeigepflicht muss ein Beschluss, für den die Vorlagepflicht besteht, bereits vor der öffentlichen Bekanntmachung der Rechtsaufsicht vorgelegt werden. Während die Anzeigepflicht lediglich der vorbeugenden Rechtskontrolle dient, stellt die Vorlagepflicht einen Mitwirkungsakt der Rechtsaufsichtsbehörde dar. Erst nach Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses kann dieser öffentlich bekannt gemacht und damit in Kraft gesetzt werden. Unterbleibt eine ausdrückliche Bestätigung der Gesetzmäßigkeit durch die Rechtsaufsichtsbehörde, darf der Beschluss einen Monat nach erfolgter Vorlage durch die Kommune vollzogen werden, sofern nicht bis zu diesem Zeitpunkt eine Beanstandung vorliegt. Versäumt es eine Kommune, bei einem vorlagepflichtigem Beschluss der Vorlagepflicht zu entsprechen, dann hat das wie bei der Anzeigepflicht keine hemmende Auswirkung auf die Außenwirksamkeit des Beschlusses. Unabhängig von einer Vorlage an die Rechtsaufsichtsbehörde im Außenverhältnis ist er wirksam und vollziehbar. Lediglich im Innenverhältnis tritt anders als bei den anzeigepflichtigen Beschlüssen eine Vollzugshemmung ein. Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 3/2017 Die Beschlüsse sind gegenüber Dritten voll wirksam, auch wenn die Kommune ihrer Pflicht zur Vorlage nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen sein sollte. Es handelt sich insoweit lediglich um eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung allerdings haftungsund dienstrechtliche Folgen haben kann.5 Der Vorlagepflicht unterliegen folgende Vorgänge, die in einzelnen Bestimmungen der SächsGemO aufgeführt sind: Nach § 121 sind Beschlüsse über Verträge der Gemeinde mit einem Gemeinderat, dem Bürgermeister oder einem Beigeordneten sowie Beschlüsse über Verträge der Gemeinde mit einer juristischen Person, die von einem Gemeinderat, dem Bürgermeister oder einem Beigeordneten geführt werden oder an denen solche Personen maßgeblichen Einfluss haben, der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen. Dies gilt aber nicht für Beschlüsse über Verträge, die nach einem feststehenden Tarif oder einem ortsüblichen Entgelt abgeschlossen werden oder die für die Gemeinde nur von geringer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Der Vorlagepflicht unterliegen insbesondere die Haushalts- und die Nachtragssatzungen entsprechend dem kommunalen Haushaltsrecht nach § 76 Abs. 2 und § 77 Abs. 1. Dies umfasst auch alle Bestandteile und Anlagen zu diesen Satzungen wie sie in § 1 der Kommunalen Haushaltsverordnung-Doppik aufgezählt sind. Enthalten die Haushalts- bzw. die Nachtragssatzung genehmigungspflichtige Bestandteile, dürfen die Satzungen erst nach Erteilung einer rechtsaufsichtlichen Genehmigung öffentlich bekannt gemacht werden und in Kraft treten. Vorlagepflichtig sind alle Beschlüsse über Maßnahmen und Rechtsgeschäfte, die nach § 94a zur Errichtung, Übernahme, Unterhaltung und wesentlichen Veränderung wirtschaftlicher Unternehmen oder der mittelbaren und unmittelbaren Beteiligung an ihnen dienen. Hierbei sind alle Rechtsformen der kommunalen Unternehmen einbezogen, denn hier geht es im Kern darum, ob das Unternehmen eine wirtschaftliche Betätigung ausübt. Trifft das nicht zu, dann entfällt die Vorlagepflicht. Die Gemeinde muss bei der Beschlussvorlage im Einzelnen nachweisen, dass (a) der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt (b) das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf steht und (c) der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann. In Umkehr der Beweislast hat nicht die Rechtsaufsichtsbehörde die etwaige Rechtswidrigkeit nachzuweisen, sondern die Kommune hat den Nachweis der Rechtmäßigkeit zu erbringen. Vorlagepflichtig sind ebenso Konzessionsverträge, die die Gemeinde abschließt, durch die Energieversorgungsunternehmen die Benutzung von Gemeindeeigentum einschließlich der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze für Leitungen zur Versorgung der Einwohner gestattet wird. Mit der Vorlage hat die Gemeinde nachzuweisen, dass

Seite 2 durch den Konzessionsvertrag die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde nicht gefährdet wird und die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde und ihrer Einwohner gewahrt bleiben. Bedienen sich die Gemeinden und die betreffenden Energieversorgungsunternehmen vollständig der vorhandenen Musterverträge, können sie sich teure Begutachtungen und eine Prüfung im Rahmen der Vorlagepflicht durch die Rechtsaufsichtsbehörde ersparen. Gleiches gilt für die Verlängerung, für wichtige Änderungen und Ablehnung von Konzessionsverträgen. Das Sächsische Staatsministerium des Innern hat die Inhalte der vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag erarbeiteten Musterverträge Strom und Gas mit den in § 101 normierten Voraussetzungen für vereinbar erklärt. Sie bedürfen daher bei der Vorlage nach § 102 Abs. 2 keiner erneuten inhaltlichen Prüfung durch die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde und müssen nicht nochmals durch einen unabhängigen Sachverständigen begutachtet werden.6 Mit der Novellierung der SächsGemO vom 28. November 2013 ist die Vorlagepflicht entfallen, wenn die Gemeinde die vollständige oder teilweise Veräußerung von Unternehmen in der Rechtsform des privaten Rechts beschließt.

und der Notwendigkeit der Nachweisführung ergibt sich aber der faktische Zwang zur Schriftform. Kommunale Beschlüsse zu folgenden Vorgängen bedürfen der Genehmigung: die Bestimmung, Feststellung und Änderung des Namens der Gemeinde bedarf der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der obersten Rechtsaufsichtsbehörde (§ 5 Abs. 1); die erstmalige Führung von Wappen und Flaggen sowie deren Änderung; (§ 6 Abs. 1) Gebietsänderungen von Gemeinden, die nicht durch Gesetz sondern durch Vereinbarung erfolgen, bedürfen der Genehmigung; die Genehmigung bedarf des Einvernehmens mit der obersten Rechtsaufsichtsbehörde (§ 8 Abs. 1); mit Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde kann die Wahl des Bürgermeisters bis zu einem Jahr nach Freiwerden der Stelle aufgeschoben werden, wenn die Auflösung der Gemeinde bevorsteht (§ 50 Abs. 1); hat die Gemeinde ein Haushaltsstrukturkonzept zu beschließen, bedarf dies der Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde, die Geneh-

Die Genehmigungspflicht

Die Genehmigung ist die weitestgehende Form der Mitwirkung der Rechtsaufsichtsbehörde an kommunalen Entscheidungen. Während bei genehmigungspflichtigen Beschlüssen eine positive Mitwirkung in Form der Genehmigung zwingend erforderlich ist, kann bei der Vorlagepflicht diese positive Mitwirkung in Form der Bestätigung der Gesetzmäßigkeit allein durch Zeitablauf unterstellt werden (keine Beanstandung innerhalb eines Monats). Die Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde ist ein Verwaltungsakt. Soll die Genehmigung versagt werden, ist die Gemeinde vorher zu hören. Nach § 119 Abs. 2 darf ein Beschluss der Gemeinde, der nach gesetzlicher Vorschrift die Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde erfordert, erst nach Erteilung der Genehmigung vollzogen werden. In Verbindung damit bestimmt § 120 Abs. 1, dass Rechtsgeschäfte bis zur Erteilung der nach gesetzlicher Vorschrift erforderlichen Genehmigung unwirksam sind. Im Unterschied zur Vorlagepflicht erlangt ein nicht genehmigter Beschluss nicht nur keine Rechtswirkung nach innen, sondern auch keine Rechtswirkung nach außen.7 Auch wenn die SächsGemO keine Vorgabe über eine Frist macht, innerhalb der die Aufsichtsbehörde über die Genehmigung zu entscheiden hat, besteht die Verpflichtung zur sachgerechten Förderung und Entscheidung innerhalb eines angemessenen Zeitraumes. Erfolgt kein Bescheid oder nicht in angemessener Zeit, kann auch Untätigkeitsklage erhoben werden. Es besteht zwar kein Schriftformerfordernis, sodass auch eine mündliche Genehmigung auch wirksam ist, wenn sie durch den vertretungsbefugten Mitarbeiter der Rechtsaufsichtsbehörde erteilt wird. Aus Gründen der Klarheit

migung kann unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden (§ 72 Abs. 6); Reichen die Finanzierungsmittel für die Fortsetzung von Bauten, Beschaffungen und sonstigen Auszahlungen des Finanzhaushalts nicht aus, darf die Gemeinde mit Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde Kredite für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen bis zu einem Viertel des durchschnittlichen Betrages der Kreditermächtigungen für die beiden Vorjahre aufnehmen (§ 78 Abs. 2); der Gesamtbetrag der Verpflichtungsermächtigungen bedarf im Rahmen der Haushaltssatzung dann der Genehmigung, wenn in den Jahren, zu deren Lasten sie veranschlagt sind, Kreditaufnahmen vorgesehen sind (§ 81 Abs. 4); der Gesamtbetrag der vorgesehenen Kreditaufnahmen für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen bedarf im Rahmen der Haushaltssatzung der Genehmigung [Gesamtgenehmigung] (§ 82 Abs. 2); die Aufnahme der einzelnen Kredite, deren Gesamtbetrag genehmigt worden ist, bedarf der Genehmigung [Einzelgenehmigung], wenn durch Gesetz Kreditaufnahmen beschränkt sind (§ 82 Abs. 4); Kreditähnliche Rechtsgeschäfte mit Ausnahme von Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der laufenden Verwaltung [hier geht es vor allem auch um das Immobilienleasing und andere Investorenvorhaben wie Betreiber- und

Kooperationsmodelle, Fondsmodelle, Miet-Kauf] bedürfen der Genehmigung (§ 82 Abs. 5); überschreiten Bürgschaften und Verpflichtungen aus Gewährverträgen die Wertgrenzen eines Geschäfts der laufenden Verwaltung (§ 53 Abs. 2), bedürfen sie der Genehmigung (§ 83 Abs. 2); übersteigt der der Höchstbetrag der Kassenkredite im Rahmen der Haushaltssatzung ein Fünftel der im Ergebnishaushalt veranschlagten ordentlichen Aufwendungen, bedarf dies der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde (§ 84 Abs. 3); der Genehmigung bedürfen Rechtsgeschäfte, in denen sich die Gemeinde verpflichtet, (1) Grundstücke oder grundstücksgleiche Rechte sowie andere Vermögensgegenstände unentgeltlich oder unter ihrem vollen Wert zu veräußern, sofern sie nicht geringwertig sind, (2) Vermögensgegenstände mit besonderem wissenschaftlichen, geschichtlichen, künstlerischen oder denkmalpflegerischen Wert zu veräußern. die Errichtung, Übernahme, Unterhaltung und wesentliche Änderung eines Unternehmens in der Rechtsform des privaten Rechts durch die Gemeinde sowie die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung daran bedürfen der Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde, über die Genehmigung ist binnen acht Wochen nach Eingang des vollständigen Antrages zu entscheiden, der Eingang des Antrages ist der Gemeinde unverzüglich zu bestätigen, dabei ist auf fehlende Unterlagen hinzuweisen; die Genehmigungsfrist kann durch die nächsthöhere Rechtsaufsichtsbehörde verlängert werden (§ 102 Abs. 1).

Arten von Genehmigungen

Nach herrschender Auffassung werden zwei Arten von Genehmigungen unterschieden zwischen: solchen, bei eine reine Rechtskontrolle der bezeichneten Maßnahme stattfindet und solchen, bei denen auch eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der kommunalen Entscheidung erfolgt. Eine Prüfung der Zweckmäßigkeit ist ausnahmsweise nur dann gestattet, wenn dies ein Zusammenwirken von Staat und Gemeinde im Grenzbereich zwischen kommunaler Zuständigkeit und überörtlicher Zielsetzung erfordert (Kondominium). Der AufsichtsbehörFortsetzung auf Seite 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 3/2017

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Sparkassen als wichtige Partner Sparkassen bleiben wichtige Partner von Kommunen, Wirtschaft und Bevölkerung – Leistungsfähigkeit muss erhalten werden. Sparkassen als regional tätige Kreditinstitute stehen aktuell mit ihrem Geschäftsmodell vor großen Herausforderungen. Neue Standards bei der europäischen Bankenaufsicht sind auf die Regulierung internationaler Großbanken ausgerichtet und berücksichtigen zu wenig die Besonderheiten der Sparkassen. Zudem erfordern veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen, die Digitalisierung des gesamten Wirtschaftslebens sowie veränderte Kundenansprüche eine Anpassung der Geschäftsstrategien. Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Städtetag am 22. Februar in Osnabrück über die Situation der Sparkassen beraten und ein Positionspapier zu aktuellen Herausforderungen verabschiedet. Zu Gast war in der Sitzung des Hauptausschusses der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly aus Nürnberg, sagte nach den Sitzungen in Osnabrück: „Trotz aller Veränderungen bleiben die Sparkassen auch in Zukunft für sehr viele Menschen in den Städten und für die Städte selbst verlässliche Partner. Zu Recht haben sie das besondere Vertrauen der Menschen und der lokalen Wirtschaft bei der Versorgung mit Geld Fortsetzung von Seite 2

Anzeige-, Vorlage- und Genehmigungspflicht de kommt hierbei das Recht zur gleichberechtigten und letztverantwortlichen Entscheidung zu. Eine Kondominialentscheidung ist allerdings seit der „Rastede-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 23.11. 1988 nur zulässig, wenn im Rahmen einer vorzunehmenden Güterabwägung überwiegende Gründe für eine gleichberechtigte Mitwirkung der staatlichen Genehmigungsbehörde an den örtlichen Angelegenheiten sprechen. Im Zweifelsfall ist im Hinblick auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht davon auszugehen, dass sich die Genehmigung lediglich auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit erstreckt.8 Im Sächsischen Kommunalverfassungsrecht beträfe das nur die Genehmigung von Namen (§ 5), Wappen und Flaggen (§ 6) sowie Gebietsänderungen von Gemeinden(§ 8).9 AG —— 1 In Kommunal-Info Nr. 2/2017 wurden die Stellung und die Aufgaben der Kommunalaufsicht behandelt. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 119, Randnummer (Rn) 2. 3 Die Bestimmungen der Sächsischen

und Krediten. Sparkassen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge. Sie erfüllen einen öffentlichen Auftrag und sie sind auch wesentliche Finanzierungspartner der Kommunen. Diese breite regionale Verankerung gilt es zu erhalten. Deshalb brauchen die Sparkassen bei Umbauprozessen die Unterstützung der Kommunen als ihren Trägern Gemeindeordnung gelten sinngleich für die Landkreise. Wenn hier fortlaufend nur die Gemeinde genannt wird, gilt das immer auch für einen Landkreis. 4 Sofern im Text nichts anderes genannt ist, beziehen sich die Paragraphenbezeichnungen im fortlaufenden Text stets auf die Sächsische Gemeindeordnung. 5 Vgl. Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar; Hrsg.: K.-H. Binus / W.-U. Sponer / S. Koolman, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 419, Rn 6. 6 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 102, Randnummer Rn 23. 7 Vgl. Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Auflage 2004, S. 276. Im Kommentar von Binus/Sponer/Koolman (s. Fn. 4) wird die Rechtsauffassung vertreten, „dass auch die genehmigungspflichtigen Beschlüsse bis zur Erteilung der Genehmigung lediglich einem internen Vollzugsverbot unterliegen, jedoch nicht schwebend unwirksam sind.“ (a.a.O., S. 420, Rn. 9) 8 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 119, Randnummer Rn 14. 9 Vgl. Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar; Hrsg.: K.-H. Binus / W.-U. Sponer / S. Koolman, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 420, Rn 11.

und einen besseren Schutz vor Überregulierungen.“ Nicht ausschließlich am Gewinn orientiert, erbringen Sparkassen zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Dienstleistungen, von denen die jeweiligen Kommunen ebenso profitieren wie die örtliche Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger. In der akuten Phase der internationalen Finanzkrise wirkten die deutschen Sparkassen nachweislich stabilisierend für die Volkswirtschaft. Pläne der EU-Kommission zu einer europaweiten Bankenregulierung und das Vorhaben eines europaweiten Einlagensicherungssystems müssen deshalb verhältnismäßig sein und die enge und bewährte Bindung zwischen Sparkassen und Kommunen in Deutschland berücksichtigen, betont Maly. „Die Vorschläge der EU-Kommission vom November 2015, eine vergemeinschaftete Einlagensicherung zu schaffen, lehnen wir ab. Die bestehende, funktionsfähige Institutssicherung der Sparkassen darf nicht durch europäische Einlagensicherungssysteme gefährdet werden. Bankenaufsicht und Einlagensicherungsregeln in Europa gehen zu weit, wenn sie systemrelevante Großbanken und regionale Sparkassen in einen Topf werfen. Vor allem kleine, regionale Sparkasseninstitute brauchen Schutz vor unverhältnismäßig hohem Aufwand und Überregulierung, die sich aus der starken Orientierung auf die Regulierung von Großbanken leider ergeben“, so Maly. Als öffentlich-rechtliche, dezentrale Kreditinstitute in kommunaler Trägerschaft sind die Sparkassen in besonderem Maße ihrer jeweiligen Region verpflichtet. In enger Zusammenarbeit mit den Kommu-

nen haben die Sparkassen ganz wesentlichen Anteil beim Bau und dem Erhalt elementarer kommunaler Infrastruktur sowie bei der Finanzierung von mittelständischen Unternehmen, Mikrounternehmen und Startups. Sparkassen haben nach wie vor das dichteste Filialnetz aller Kreditinstitute, auch wenn die Zahl der Filialen regional sinkt. „Auf sich verändernde Markt- und Wettbewerbsbedingungen gilt es angemessen zu reagieren. Dazu gehört für die Sparkassen, in enger Kooperation mit den kommunalen Trägern, das jeweilige Filialnetz zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen sowie zukunftsfähige Vertriebsstrukturen und Produktangebote zu entwickeln“, so der Städtetagsvizepräsident. Sparkassen haben in den vergangenen Jahren hohe dreistellige Millionen-Beträge für die Förderung gemeinwohlorientierter Projekte in ihren jeweiligen Regionen eingesetzt. In unterschiedlichem Maße und wo es wirtschaftlich vertretbar für die Institute ist, schütten Sparkassen zudem auch Gelder an ihre Träger aus Auch dies ist ein Ausdruck des öffentlichen Auftrags und der Gemeinwohlorientierung. Das Positionspapier des Deutschen Städtetages „Aktuelle Herausforderungen für Sparkassen“ steht als Download bereit im Bereich Presse, Beschlüsse unter www.staedtetag.de. Aus: Städtetag aktuell Nr. 2/2017


Kommunal-Info 3/2017

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Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung Die neue Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) stellt Praxiserfahrungen der Städte Berlin, Dortmund, Freiburg, Köln, Leipzig, München, Stuttgart und Wien mit stadtentwicklungs- und wohnungspolitschen Steuerungsmöglichkeiten gegen Gentrifizierung vor. Verdrängung von Mietern, Engpässe bei bezahlbaren Mietwohnungen, Veränderung von Stadtquartieren: „Gentrifizierung“ wird häufig als Chiffre herangezogen, all diese Prozesse zu beschreiben. Gleichzeitig werden damit Forderungen an Politik und Verwaltung formuliert, sozial-räumliche

zung mit jüngeren Trends der (Innen-) Stadtentwicklung sowie mit dem Phänomen Gentrifizierung aus wissenschaftlicher Perspektive. Die zentralen Fallstudienergebnisse fließen in Handlungsempfehlungen ein, und es werden Vorschläge zur Veränderung übergeordneter Rahmenbedingungen aus Sicht der projektbeteiligten Akteure dargestellt. Auch wurden eine handlungsorientierte Annäherung an Gentrifizierung aus kommunaler Perspektive sowie Thesen zum kommunalen Umgang damit erarbeitet. Insgesamt zeigt sich: Die Kommunen stehen zwischen zwei Ebenen von Rah-

Intensivseminar Kommunikation in der Kommunalpolitik III Freies Reden und sicheres Auftreten Freitag, 05.05.2017 ab 18:00 Uhr bis Sonntag, 07.05.2017 ca. 14:00 Uhr „Hotel Braugut“, Chemnitzer Str. 2, 09232 Hartmannsdorf Referenten in beiden Seminaren: Dr. Christian Wirrwitz (Dozent, Trainer, Coach) Dr. Romy Jaster (Philosophin, Humboldt-Univ. Berlin)

Intensivseminar Kommunaler Haushalt - Kommunale Wirtschaft Freitag, 12.05.2017, ab 18 Uhr bis Sonntag, 14.05.2017, ca 15 Uhr „Alte Schule“, Schulweg 10, Schönteichen OT Cunnersdorf Schwerpunkte:

Gerechtigkeit sicherzustellen. Gerade weil der Begriff Gentrifizierung oft „kämpferisch“ verwendet wurde, haben viele Kommunen in der Vergangenheit eher vermieden, sich offensiv damit auseinanderzusetzen. Diese Situation hat sich verändert, denn in vielen (Groß-)Städten wird es angesichts von Zuwanderung sowie steigenden Immobilien- und Mietpreisen immer schwerer, eine Wohnungsversorgung sicherzustellen, die sich auch weniger einkommensstarke Bevölkerungsgruppen leisten können. Vor diesem Hintergrund entstand das Kooperationsprojekt „Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung“, das die Städte Berlin, Dortmund, Freiburg, Köln, Leipzig, München, Stuttgart und Wien gemeinsam mit dem Difu von 2014 bis 2016 durchgeführt haben. Darin ging es weniger um eine wissenschaftliche Vertiefung von Befundlagen zur Gentrifizierung. Im Vordergrund stand vielmehr die Frage, wie sich die projektbeteiligten Städte dem Phänomen Gentrifizierung stellen und welche Ziele sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen erreichen können. Folgende Fragen standen im Fokus: Welche „Befunde“ rund um das Thema „Aufwertung“ werden von wem wie bewertet? Welche Möglichkeiten der kommunalen Steuerung von Entwicklungen „betroffener“ Quartiere bestehen? Welche Formen der Kommunikation mit unterschiedlichen Akteursgruppen erscheinen notwendig oder wenigstens wünschenswert? Die Projektergebnisse sind als Studie „Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung. Praxiserfahrungen aus acht Kommunen“ in der Reihe „Edition Difu – Stadt Forschung Praxis“ veröffentlicht. Neben der Darstellung der acht Fallstudien findet sich darin unter anderem eine Auseinanderset-

menbedingungen. Übergeordnet werden Städten durch gesetzliche Regelungen wie Miet-, Bau- und Bodenrecht sowie durch Rechtsinstrumente zur Steuerung von Stadt(teil)- und Wohnungsmarktentwicklung Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Gleichzeitig definieren diese Gesetze und Instrumente auch die Reichweitengrenzen. Auf der kommunalen Ebene selbst geht es unter anderem um die Frage, inwieweit hier die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (tatsächlich) ausgeschöpft werden bzw. warum dies ggf. nicht der Fall ist. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei „Gentrifizierung“ nur im Idealfall um einen exakt definierbaren Tatbestand handelt, aus dem sich unmittelbar der „richtige“ Maßnahmeneinsatz von Politik und Verwaltung ableiten lässt. Da Gentrifizierung für eine generelle, prozesshafte Auseinandersetzung unterschiedlicher Akteure mit ihren jeweiligen Interessen an unterschiedlichen Qualitäten von Stadt(teilen) steht, stellt sich neben der „Instrumentenfrage“ auch die nach geeigneten Kommunikationsstrategien und -formaten zwischen Politik, Verwaltung und anderen Akteuren – allen voran Einwohnern. Hier geht es um die „untere“ Ebene der Rahmenbedingungen kommunalen Handelns: Die von Politik und Verwaltung als „richtig“ definierten stadtentwicklungs- und wohnungspolitischen Strategien sind mit Vorstellungen und Befürchtungen zu konfrontieren, die in den Lebenswelten vor Ort formuliert werden. Kommunaler Umgang mit Gentrifizierung. Praxiserfahrungen aus acht Kommunen, Edition Difu, Nr. 15, 2017, 312 S., ISBN: 978-3-88118579-0, Preis: 39.00 EUR. Aus: Difu-Berichte, Nr. 1/2017

Kommunaler Haushalt: Haushaltssatzung und Haushaltsplan – was beinhalten beide? Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen? Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was ist eine vorläufige Haushaltsführung? Welche Abweichungen vom Haushaltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen? Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen? Was ist ein Haushaltsstrukturkonzept? Was steht im Jahresabschluss und in der Eröffnungsbilanz und nach welchen Grundsätzen sind sie zu erstellen? Welche Übergangsregelungen zur DOPPIK gelten ab 2017? Kommunale Einnahmen: Wie können Mandatsträger Einfluss auf den kommunalen Haushaltsplan nehmen? Wo kommen die kommunalen Einnahmen her? Wie werden Gebühren und Beiträge kalkuliert? Auf welcher Basis steht der sächsische kommunale Finanzausgleich? Welche finanziellen Auswirkungen hat der Wegzug eines Einwohners? Kommunale Unternehmen und die Rechte und Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten: Einführung in das Kommunale Wirtschaftsrecht Unter welchen Voraussetzungen darf eine sächsische Kommune wirtschaftliche Unternehmen führen? Welche Unternehmensformen des öffentlichen und des privaten Rechts kommen für kommunale Unternehmen infrage und was muss im Gesellschaftsvertrag einer GmbH enthalten sein? - Welche „fakultativen“ Regelungen sind möglich? Welche Aufgaben hat ein Aufsichtsrat in einer GmbH? Welches sind wesentliche Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Organen von Unternehmen? Wie können Interessenskonflikt der kommunalen Vertreter in Aufsichtsräten aufgelöst werden? Können Unternehmen und Beteiligungen ohne weiteres veräußert werden? Was gehört als Mindestinhalt in einen Beteiligungsbericht? Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater) Teilnehmerbeitrag: 20,00 EUR Anmeldungen bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel. 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de


März 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Der Osten ist mehr als die verlängerte Werkbank des Westens – Einheit jetzt!

Liebe Leserinnen und Leser, ich mach´ mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt! Gäbe es in der Politik einen Pippi-Langstrumpf-Preis, er ginge in diesem Monat an den Vizechef des Dresdner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Joachim Ragnitz. Der glaubt plötzlich, dass sich die Löhne in Ost und West „bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts im Durchschnitt“ angeglichen haben werden. Vor wenigen Wochen hatte er noch vorhergesagt, dass „der Lohnabstand zum Westen wohl noch längere Zeit bestehen bleiben“ werde. Jedenfalls kommt er nun zu dem Schluss, dass die Angleichung der Ost-Renten an das Westniveau nicht beschleunigt werden müsse (nach dem Willen der CDU-SPD-Bundesregierung hat sie Zeit bis 2024) – und dass die ostdeutschen Löhne bei der Rentenberechnung nicht mehr hochgewertet werden müssten. Wie aber ist der Stand nach 27 Jahren Einheit? Vollzeitbeschäftigte in Sachsen verdienen durchschnittlich 28 Prozent weniger als westdeutsche Vollzeitbeschäftigte, in vielen Fällen bei gleicher Tätigkeit. 36 Prozent der ostdeutschen Vollzeitbeschäftigten arbeiten zu einem Niedriglohn, in den West-Bundesländern sind es 16,6 Prozent. Wie zum Hohn hat die sächsische Wirtschaftsförderung mit niedrigen Löhnen lange geworben, auch mit Ragnitz‘ Schützenhilfe. Nein, solche Forscher taugen als Politikberater ebenso wenig wie das rothaarige Mädchen aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern. Wir kämpfen weiter für gleichwertige Lebensbedingungen, zugunsten aller in Deutschland, die ein geringes Einkommen erzielen. Wir wollen das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben und eine solidarische Mindestrente einführen. Die Angleichung der Renten muss aus Steuermitteln finanziert und bis 2019 abgeschlossen werden.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Eine sächsische Altenpflegerin verdient monatlich 900 Euro weniger als ihre Kollegin in Bayern. Eine Fachkraft in Mecklenburg-Vorpommern bekommt im Durchschnitt etwa 17.000 Euro weniger im Jahr als eine in Hessen. Das hat Folgen: Im Osten erhalten zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner weniger als 1.000 Euro. 26 Prozent der 18- bis 29-jährigen Sächsinnen und Sachsen sagen laut „Sachsen-Monitor“, die Einheit hätte ihnen überwiegend Nachteile gebracht. Das zeigt: Die soziostrukturellen Unterschiede zwischen Ost und West sind längst nicht Geschichte. Das Thema gehört auf die Tagesordnung, deshalb rief die Linksfraktion es im Landtag auf: „Zeit für einen Politikwechsel zur Beendigung der Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland“. Rico Gebhardt, LINKEN-Fraktionschef, stellte fest: „Vor zwanzig Jahren ist der wirtschaftliche und soziale Aufholprozess des Ostens zum Erliegen gekommen. Ich denke, dass wir endlich deutlich machen müssen, dass die Menschen im Osten keine Menschen zweiter Klasse sind. Und wir müssen endlich für mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit auch für die Kinder- und die Enkelgenerationen der nach 1990 Geborenen sorgen“. Es sei notwendig, ein Ministerium für ostdeutsche Belange einzurichten. Die Tarifbindung auch der sächsischen Unternehmen müsse erhöht, Betriebsräte müssten unterstützt und eine Strukturpolitik angestoßen werden, die mehr Unter-

nehmenswachstum ermöglicht. Denn die hiesige Wirtschaft ist viel kleinteiliger strukturiert, so sind viele OstBetriebe kleiner als die westdeutschen. Im Kreis Bautzen etwa gibt es 12.150 Unternehmen, von denen nur zehn Prozent mehr als zehn Beschäftigte haben. Was sich in den deutschen Hochlohnregionen Mittelstand nennt, sind nach sächsischem Maßstab Großbetriebe. Nico Brünler, in der Linksfraktion zuständig für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, warnte die CDUgeführte Staatsregierung davor, niedrige Löhne weiter als Standortvorteil anzupreisen. „Das führt zu einem Ruf als Billiglohnland, in dem Großunternehmen ihre Produktionsanlagen nur als verlängerte Werkbank betrachten und nach Belieben wieder stilllegen, weil ihnen im Unternehmen keine strategische Bedeutung zukommt.“ Selbst Ministerpräsident Tillich hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eingeräumt, dass er „immer wieder“ erlebe, „dass sächsische Standorte trotz längerer Arbeitszeiten und geringerer Löhne aufgegeben werden, um Standorte im Westen zu schonen.“ Er, Tillich, „kenne Beispiele, wo Unternehmen mit Verweis auf ihre ostdeutsche Herkunft aufgefordert wurden, ihre Angebote um bis zu 20 Prozent billiger zu machen“. Brünler kritisierte, dass Sachsen nicht mit einer aktiven Standortpolitik reagiere. Beim Lausitzer Schienenfahrzeugbauer Bombardier sei zu beobachten, was falsch läuft: Es gebe auf den sächsischen Gleisen immer weniger Bombardier-Züge,

weil sich bei der Vergabe von Strecken an die privaten Konkurrenten der Bahn stets der billigste Anbieter durchsetzen müsse. Weil die Verkehrsverbünde zu wenig Geld vom Land bekommen, müssten sie auf Biegen und Brechen sparen, also entweder Strecken abbestellen oder die Ausschreibekriterien herunterschrauben. Nun kämpfen die Bombardier-Beschäftigten gegen den Stellenabbau. Redner der Regierungskoalition sangen das alte Lied, die DDR-Wirtschaftspolitik sei für die heutige Lage verantwortlich. Diese Sicht blendet allerdings aus, dass es die Treuhandanstalt war, die nach 1990 maßgeblich dafür sorgte, dass kein einziger Konzern seinen Sitz in Sachsen hat. „Ich lasse mir ja gern gefallen, dass Sie mir vor 20 Jahren vorgerechnet haben, was die DDR alles falsch gemacht hat. Aber sich hier hinzustellen, nachdem Sie 27 Jahre lang für die Wirtschaftspolitik verantwortlich waren, und zu sagen, das liege an der DDR, das ist doch lächerlich“, rief Gebhardt der CDU zu. Der dauerhafte Lohnabstand zu Westdeutschland hat gravierende soziale Folgen. Im Osten können mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht leben und müssen den Gang zum Amt antreten. Ihre Renten fallen geringer aus, Altersarmut wird bedrohlicher, von einem ausgebauten Betriebsrentensystem ganz abgesehen. Am Ende leiden auch die Kinder unter der Einkommensarmut. Das war und ist nicht hinnehmbar!


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PARLAMENTSREPORT

März 2017

Eines ist sicher: Afghanistan ist nicht sicher

Laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat sich die Sicherheitslage innerhalb des letzten Jahres akut verschlechtert. Ganz Afghanistan wird als Krisenregion angesehen, die innerstaatlichen Konflikte zwischen IS, Taliban-Gruppen und anderen regionalen Clans haben sich ausgebreitet, die Regierung verliert an Stabilität. Die Vereinten Nationen stellen fest, dass im gesamten Staatsgebiet ein bewaffneter Konflikt tobt. Der Militäreinsatz westlicher Mächte hat auch Afghanistan keinen Frieden gebracht, sondern das Land destabilisiert. Davon profitieren fundamentalistische Kräfte, ein perfekter Nährboden für Terror-Organisationen ist entstanden. Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland! Terroranschläge sind an der Tagesordnung – selbst in Kabul, was Bundesinnenminister Tho-

mas de Maiziere (CDU) eigentlich wissen müsste. Schließlich ereignete sich auch während seines Besuches im letzten Winter eine solche Gewalttat, als er gerade in der deutschen Botschaft zu

zug Geflüchtete zurücknimmt. Die Bundesrepublik Deutschland drang auf eine solche Übereinkunft, die Menschenrechte zur Verhandlungsmasse macht. „So wird Aufbauhilfe zum Kne-

in Sicherheit möglich ist. Ähnlich halten es Bremen, Thüringen, Brandenburg und Niedersachsen. Abschiebungen nach Afghanistan sind ein Rechtsbruch, an dem sich Sachsen nicht beteiligen

Mittag aß. Mindestens zwanzig Menschen starben, 29 wurden verletzt. Die Liste solcher Attentate ist lang. Im letzten Jahr kamen laut UN fast 3.500 Zivilisten um, darunter fast tausend Kinder. Im Land selbst sind Hunderttausende auf der Flucht. Etwa 2,6 Millionen waren bis zum letzten Jahr außer Landes geflohen. 95 Prozent (!) leben heute in Pakistan und im Iran.

bel für die durch den Westen zerstörten und ausgebeuteten Länder“, kritisiert Juliane Nagel, die Sprecherin der Linksfraktion für Migrationsund Flüchtlingspolitik.

muss. Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch die EU-Grundrechte-Charta verbieten es, Menschen in ein Land abzuschieben, in dem ihnen Gefahr für Leib und Leben droht. Die sächsische Staatsregierung sollte außerdem auf der Bundesebene dafür kämpfen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nicht länger beschönigt wird. Die Ablehnung dieses Vorstoßes durch CDU, SPD und AfD zeigt: Es ist höchste Zeit für einen Politikwechsel, auch in Sachsen.

Bild: Ninara / flickr.com / CC BY 2.0

„In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und anderen Gewaltverbrechen kommen.“ Diese Einschätzung stammt nicht von der LINKEN, sondern vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik – das so eine Reisewarnung begründet. Dennoch forciert dieselbe Bundesregierung die Abschiebung von Menschen in dieses Land, auch mit Unterstützung der sächsischen Landesregierung. Seit Dezember 2016 starten wieder Flugzeuge in Richtung Hindukusch, gerechtfertigt mit der Lüge, es gebe in Afghanistan Orte, an den man sicher leben kann. So opfern die Regierenden in Bund und Land Menschenrechte und im schlimmsten Fall Menschenleben, um vor der Bundestagswahl Härte zu zeigen.

Hilfszahlungen aus der EU fließen indes nur, wenn Afghanistan im Gegen-

Die Linksfraktion fordert (Drucksache 6/8768): Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen – Sicherheitslage neu bewerten! Schleswig-Holstein geht diesen Weg schon. Dieses Bundesland beteiligt sich nicht an Abschiebungen in dieses Land, solange dort kein Leben

Für eine Obergrenze bei Dispo-Zinsen!

Hohe Konto- und Zusatzgebühren, intransparente Kontomodelle und horrende Dispozinsen sind ein ständiges Ärgernis. Neben den Kontoführungsgebühren gibt es viele kleine Zusatzkosten, die man erst bei genauerem Hinse-

hen findet – sei es für Überweisungen, mehrmaliges Geldabheben am Schalter, die EC-Kartennutzung oder den SMS-Versand von Transaktionsnummern für das Online-Banking. Insbesondere Menschen im ländlichen Raum müssen das akzeptieren, wenn vor Ort kein anderes Kreditinstitut ansässig ist. Damit nicht genug: Obwohl der Leitzins der EZB extrem niedrig ist, leiden die Sparerinnen und Sparer unter hoher Zinslast, während ihre Guthaben kaum noch Erträge bringen. Manche Sparkassen erheben sogar Strafzinsen

für Einlagen über 100.000 Euro, was vor allem Unternehmen, Vereine und Kommunen trifft. Zudem dürfen Banken Dispo-Kredite fristlos kündigen, was Schuldner noch tiefer in die Verzweiflung treibt. Die Linksfraktion streitet im Landtag dafür, die Kundinnen und Kunden besser zu schützen (Drucksache 6/8725). Wir wollen über das Sparkassengesetz regulierend auf das Bankwesen einwirken und fordern die Staatsregierung zu einer Bundesratsinitiative

Bild: stachelbeer / flickr.com / CC BY 2.0

Wer in den letzten Wochen und Monaten Post von seiner Bank des Vertrauens erhielt, dAurfte selten gute Nachrichten lesen. Januar 2016: Die Erzgebirgssparkasse erhöht die Gebühren für die Girokonten. Wer nicht binnen zwei Wochen widerspricht, hat aus Sicht der Bank seine Zustimmung erteilt, ob wissentlich oder nicht. Die Verbraucherzentrale mahnt die Sparkasse ab. Juli 2016: Die Sparkasse Zwickau erhöht die Gebühren für Girokonten, die Ostsächsische Sparkasse führt neue Kontomodelle ein. Die Sparkasse Vogtland kündigt an, im April 2017 ihre kostenlosen Kontomodelle abzuschaffen, indes steigen die Gebühren für andere Konten. Solche Beispiele sind vielen bekannt. Nicht nur Sparkassen bitten ihre Kundinnen und Kunden stärker zur Kasse, auch Privatbanken ziehen nach. So werden die Kosten der Finanzkrise auf jene abgewälzt, die an ihr unschuldig sind.

auf. Wir wollen mehr Transparenz bei Gebühren und Zinsen und eine Obergrenze bei Dispo-Zinsen, die maximal fünf Prozentpunkte über dem Leitzins liegen soll. Die Kreditinstitute sollen außerdem verpflichtet werden, die individuellen Vergütungen ihrer Vorstände und Aufsichtsräte offenzulegen. Für Dispokredite soll eine mindestens einmonatige Kündigungsfrist gelten, um Schuldnerinnen und Schuldnern eine Atempause zu verschaffen. „Seit Jahren verdienen Kreditinstitute an Kontoüberziehungen. Dispositions- und Überziehungskredite sind eine willkommene Einnahmequelle, ein lukratives Geschäft mit geringem Ausfallrisiko“, kritisiert Janina Pfau, Sprecherin für Verbraucherschutz. Damit müsse Schluss sein. „Insbesondere Dispozinsen müssen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher leicht verständlich, zugänglich und somit auch leicht erkennbar sein.“ Wenn die Landesregierung diese Vorschläge umsetzen würde, könnte schon bald erfreuliche Post im Briefkasten landen. Solange CDU und SPD allerdings in Bund und Land das Sagen haben, ist damit nicht zu rechnen.


PARLAMENTSREPORT

März 2017

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Ein modernes Schulgesetz gibt’s nur mit uns!

Für die Linksfraktion ist klar, was sich ändern muss, damit das Schulgesetz wirklich modern wird. Das größte Manko bleibt, dass CDU und SPD auf längeres gemeinsames Lernen verzichten. Dabei lernen leistungsstarke und leistungsschwächere Kinder schon in der Grundschule mit- und voneinander. Niemand kann sagen, wie sich die Zehnjährigen dann entwickeln. Trotzdem werden sie getrennt, laut CDU eine „bewährte“ Praxis. Allerdings beklagt Sachsen hohe Schulabbruch-Zahlen, Industrie und Handwerk vermissen guten Nachwuchs. Wir wollen, dass öffentliche Schulen zu Gemeinschaftsschulen werden dürfen, in denen frühestens nach der achten Klasse entschieden wird, wer welchen Abschluss anstrebt. In der Anhörung im Schulausschuss stimmte uns der Sachverständige Frank Schenker zu. Schenker ist Bürgermeister der Stadt Jena und Dezernent für Bildung – und Mitglied der CDU. In Jena ist die Gemeinschaftsschule ein Erfolg und die Schulform, die von Eltern und ihren Kindern am häufigsten gewählt wird.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Änderungen, für die sich die Linksfraktion einsetzt. Wenn es nach CDU und SPD geht, sollen künftig bis zu 28 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse lernen. Das ist zu viel! Die Obergrenze sollte auf 25 sinken – der Lernqualität zuliebe. Außerdem müssen weitere Schulschließungen auf dem Land verhindert wer-

den. Oberschulen sollen mit 20 Schülerinnen und Schülern pro Klassenstufe auskommen dürfen (bisher 25), Grundschulen mit insgesamt 50 Kindern (bisher 60). Weil der Schulbesuch keine freiwillige Sache ist, sollen die Eltern nichts mehr für die Schülerbeförderung zahlen müssen, wie es bis 1996 der Fall war. Auch die verfassungsrecht-

lich garantierte Lernmittelfreiheit muss endlich umgesetzt werden. Wir wollen im Schulgesetz festschreiben, was gemeint ist: etwa Schulbücher, Kopien, Taschenrechner oder Grundstoffe für Chemie- und Werkunterricht. Das Land soll den Schulträgern, also Kreisen und Kommunen, die Kosten erstatten. Nach dem Willen von CDU und SPD soll jedoch das Kultusministerium entscheiden, welche Lernmittel kostenlos sind, und die Schulträger bleiben auf den Kosten sitzen. Im Falle der Schulsozialarbeit fordert der Regierungsentwurf, dass sie an allen Schulen, insbesondere aber an Oberschulen stattfinden soll. Im Doppelhaushalt stehen Mittel für 280 Stellen für die Schulsozialarbeit bereit, ungefähr genauso viele Oberschulen gibt es im Freistaat. Allerdings liegt die Gesamtzahl der öffentlichen Schulen bei etwa 1.300. Wir wollen Schulsozialarbeit zur Pflicht machen und die nötigen Mittel bereitstellen – schon damit weniger junge Leute ohne Abschluss bleiben. Dazu soll auch die Verpflichtung aller Schulen beitragen, inklusiven Unterricht anzubieten. In ihm lernen Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen gemeinsam. Ebenso wollen wir dafür sorgen, dass Ganztagsangebote künftig sicher gefördert werden. Denn Theatergruppen, Sporttraining, Schulchor und Co. entwickeln Kompetenzen. In puncto Modernisierung ist es zudem erforderlich, den Bildungs- und Erziehungsauftrag der öffentlichen Schulen von seiner Bindung an die „christliche Tradition“ zu lösen. Denn nur ein Fünftel der sächsischen Bevölkerung gehört einer christlichen Konfession an.

Bild: © highwaystarz - Fotolia.com

Nach langem Hin und Herr wollen CDU und SPD im April das Schulgesetz ändern. Ihren Entwurf nennen sie allen Ernstes „Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens“. Dieser Titel ist heillos übertrieben. Denn die Koalition plant keinen großen Wurf. Die Koalitionäre beschränken sich im Wesentlichen darauf, den Schulen und Schulträgern zusätzliche Aufgaben zu übertragen, ohne ihnen die dafür nötigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Außerdem, und das ist der wichtigste Punkt, bleibt es beim gegliederten Schulsystem. Auch künftig wird also nach Klasse 4 aussortiert, wer auf das Gymnasium gehen soll und wer nicht. Dieses Schulmodell stammt von 1919.

Wir sind auf die Argumente der Koalition gespannt, wenn das Parlament im April über das Schulgesetz berät.

Ausschreibung: Preis „Gelebte Willkommenskultur und Weltoffenheit“ Zum dritten Mal lobt die Fraktion DIE LINKE den Preis „Gelebte Willkommenskultur und Weltoffenheit in Sachsen“ aus. Zwar können wegen der herrschenden Abschottungspolitik inzwischen weniger Menschen bei uns um Hilfe bitten – doch die Ruhe trügt: das Gift der Spaltung, der schlichten Scheinlösungen, der Hetze gegen Sündenböcke wirkt nach wie vor, Menschenrechte stehen infrage. Der Preis soll all jene würdigen, die dem Hass eine Absage erteilen und sich für ein friedliches Miteinander aller Menschen, für einen weltoffenen Freistaat Sachsen einsetzen. Sie sind potentielle Partner im Kampf um soziale Sicherheit für alle, die hier leben. Die Auszeichnung wird in den Kategorien „Etablierte Initiative“, „Junge Initiative“ und „Einzelpreis“ vergeben. Die beiden erstgenannten sind mit jeweils 1.000 Euro, der Einzelpreis ist mit 500 Euro Preisgeld dotiert. Die Finanzierung der Preisgelder erfolgt unmittelbar aus Spenden unserer Abgeordneten. Für

den Preis können sich Personen, Gruppen, Initiativen, Vereine oder Verbände bewerben, die sich für Geflüchtete bzw. Migrantinnen und Migranten engagieren, sofern sie in Sachsen wohnhaft und tätig sind. Die Engagierten können sich selbst für den Preis bewerben oder von Dritten vorgeschlagen werden. Der Bewerbung bzw. dem Vorschlag ist eine aussagekräftige schriftliche Beschreibung der jeweiligen Tätigkeit, der Initiative, des Projektes, der Aktion bzw. Leistung beizufügen, die der folgenden Struktur entsprechen soll: 1. Angabe einer ladungsfähigen Postadresse und einer Ansprechperson mit Kontaktdaten (postalisch, telefonisch, E-Mail) 2. Angaben, auf welche Kategorie sich die Bewerbung bezieht (Junge Initiative oder Etablierte Initiative) und zum Grad der Etablierung (kurze Beschreibung zur Dauer des Bestehens, der Anzahl von Mitstreiterinnen und Mitarbeiter, der genutzten Infrastrukturen)

3. Antworten auf die folgenden Fragen im Umfang von jeweils maximal 3.000 Zeichen inkl. Leerzeichen: 3.1. Welche Arbeits- und Aktionsformen zählen zur Tätigkeit des Projektes und wie werden sie jeweils konkret umgesetzt? 3.2. In welchem Verhältnis stehen ehrenamtliche und mögliche hauptamtliche Arbeit? 3.3. Wie werden Asylsuchende bzw. Geflüchtete an der Arbeit des Projektes beteiligt? 3.4. Welche Erfolge wurden bisher erreicht? 3.5. Welchen Widerständen begegnet die Arbeit vor Ort? Bei Bewerbungen in der Kategorie „Einzelpreis“ sollte neben der Angabe von ladungsfähigen Adress- bzw. Kontaktdaten ein Bewerbungsschreiben eingereicht werden, das einen Umfang von 10.000 Zeichen inkl. Leerzeichen nicht überschreitet und Aussagen zu den folgenden Punkten beinhaltet:

• Beschreibung der Tätigkeit(en), aus der/denen das Engagement besteht • Aufzeigen von Erfolgen •´Aufzeigen möglicher Widerstände, denen das eigene Engagement begegnet. Bewerbungen und Vorschläge können – unter Ausschluss des Rechtsweges – bis zum 15. Mai 2017 an die folgende Adresse eingereicht werden: Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Stichwort: „Gelebte Willkommenskultur und Weltoffenheit in Sachsen – 2017“, Bernhardv.-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch eine Jury, der Fraktionsmitglieder sowie externe Persönlichkeiten angehören. Die Preisverleihung findet im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung am 14. Juni 2017 statt. Veranstaltungsort ist das Radisson Blu Park Hotel & Conference Centre, Nizzastraße 55, 01445 Radebeul. Nähere Informationen folgen.


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PARLAMENTSREPORT

März 2017

Großflächenkampagne gegen Kinderarmut

Plenarspiegel

März 2017 Die 50. und 51. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 15.03.2017 und am 16.03.2017 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Löhne und Renten niedrig – Lebenshaltungskosten hoch. Zeit für einen Politikwechsel zur Beendigung der Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland“ Anträge „Mehr Transparenz, Kundenorientierung und Verbraucherschutz bei den Kreditinstituten – Verbraucher_innenschutzinitiative aus Sachsen“ (Drs 6/8725) „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen – Sicherheitslage neu bewerten“ (Drs 6/8768) Sammeldrucksache 6/8790 mit Beschlussempfehlungen der Ausschüsse zu folgenden Anträgen der Linksfraktion: „Tierschutz verbessern Rechtsverordnung zum Schutz freilebender Katzen unverzüglich erlassen und finanzieren!“ (Drs 6/4061) „Lehrerausbildung in der Region Chemnitz“ (Drs 6/5107) „Zugang zum feuerwehrtechnischen Dienst im Freistaat Sachsen erleichtern“ (Drs 6/8054) „Ausbau- und Erhaltungsstrategie für die kommunale Infrastruktur entwickeln und Investitionsschwäche der sächsischen Kommunen mildern!“ (Drs 6/8235) „Integration fördern: Verwaltungspraxis im Freistaat Sachsen in aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen verbessern“ (Drs 6/8239) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

„Aufwachen, Herr Tillich!“ Dieser Slogan trägt die neue Großflächenkampagne der Linksfraktion (siehe Titelseite), die für zwei Wochen im Land präsent sein wird. Ethisch und volkswirtschaftlich wird Kinderarmut zum größten Problem unseres Landes. Bundesweit ist jedes fünfte Kind armutsgefährdet, aktuell leben in Deutschland etwa zwei Millionen arme Kinder. In Sachsen sind es mindestens 150.000, weit mehr als im Bundesdurchschnitt. Kinder von Alleinerziehenden oder von kinderreichen Eltern sind besonders häufig betroffen. Sie müssen vieles entbehren – warme Mahlzeiten, Obst und Gemüse, altersgerechte Bücher, Spielzeug, Freizeitaktivitäten, Schulausflüge, die Möglichkeit, Freunde einzuladen oder Geburtstage zu feiern. Demütigungserfahrungen prägen das spätere Leben.

und die armen Eltern von Übermorgen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden. Die Linksfraktion will die Eltern entlasten. Auf Bundesebene muss eine existenzsichernde Kindergrundsicherung in Höhe von 1.050 Euro eingeführt werden. Ein erster Schritt wäre die Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro. Kleine und mittlere Einkommen müssen entlastet, große Einkommen und Vermögen stärker belastet

Hauptursache für Kinderarmut ist die Einkommensarmut der Eltern. Das ist auch ein Ost-Problem: Das mittlere monatliche Bruttoeinkommen von Vollzeitbeschäftigten liegt im Erzgebirgskreis bei 2.036 Euro, in Wolfsburg über 4.600 Euro. Deutschland gehört zu den vermögendsten Staaten der Welt. Der Reichtum ist jedoch höchst ungleich verteilt. Arme Kinder werden oftmals die armen Jugendlichen von Morgen

werden. Auch auf Landesebene lässt sich helfen: Lernmittel und Schülerbeförderung könnten kostenlos sein. Die Löhne ließen sich erhöhen, wenn das Unternehmenswachstum gefördert, die Tarifbindung erhöht und Betriebsräte gestärkt würden. Die Staatsregierung unternimmt aber nichts, sie will nicht einmal Daten zur Kinderarmut beschaffen. Eine andere Mehrheit würde nicht erst einschlafen, sondern anpacken!

Rico Gebhardt, Dietmar Bartsch und Sarah Buddeberg präsentieren das Motiv.

Sarah Buddeberg ist neue „PGF“ Die Linksfraktion hat auf Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden die 34-jährige Dresdner Theaterwissenschaftlerin Sarah Buddeberg zur Parlamentarischen Geschäftsführerin (PGF) gewählt. Sie folgt auf Sebastian Scheel, der als Staatssekretär nach Berlin gewechselt ist. Buddeberg gehört dem Landtag seit 2014 an, sie ist gleichstellungspolitische Sprecherin und war bisher stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Zuvor war sie mehr als zwei Jahre lang die Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE im Dresdner Stadtrat. Ihre Ziele fasst sie wie folgt zusammen: „Mein Kommunikations-Credo ist: moderierend nach innen, selbstbewusst nach außen. Ich möchte die

Stärken der 27 Abgeordneten mehr zur Geltung bringen und damit die Wirksamkeit der gesamten Fraktion erhöhen. Ich will mich zugleich dafür stark machen, dass der Landtag mit größtmöglicher Offenheit dem weit verbreiteten Gefühl entgegentritt, dass Politik weit weg vom alltäglichen Leben stattfindet.“ Fraktionschef Rico Gebhardt gratulierte zur Wahl: „Ich verspreche mir von Sarah Buddeberg wichtige Impulse für ein gutes Miteinander in der Fraktion, aber auch im Kontakt mit all den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie ist geduldiges Netzwerken im gesellschaftspolitischen Raum gewohnt – und das wird auch in der Auseinandersetzung mit

den Seilschaften der CDU helfen. Sie ist eine Brückenbauerin mit Einfühlungsvermögen.“ Die zweite Hälfte der Legislaturperiode wird spannend!

Termine Landessenior*innenkonferenz 2017: Kommunale Daseinsvorsorge aus der Perspektive älterer Menschen 8. April 2017, 10-15 Uhr, Hotel „Deutsches Haus“, Multifunktionsraum, Schulplatz 1, 08371 Glauchau Veranstaltungsinformationen unter gleft.de/1Br

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017

04/2017 Sachsens Linke!

Der Herbst naht: Auf zur Debatte über das Wahlprogramm für die Bundestagswahl! Die 2. Tagung des 5. Bundesparteitags der LINKEN findet vom 9. bis 11. Juni 2017 in Hannover statt. Im Mittelpunkt wird die Beratung und Beschlussfassung zum Wahlprogramm

zu den Bundestagswahlen am 24. September 2017 stehen. Für die Vorbereitung drucken wir den Entwurfstext hier auszugsweise nach. Grundlage ist die Drucksache 045 aus

der Beratung des Parteivorstands am 1./ 2. April 2017. Der komplette Entwurfstext ist unter https://www.die-linke.de/ die-linke/wahlen/wahlprogramm-2017 einsehbar.

Der Landesverband Sachsen der Partei DIE LINKE führt Ende April und Anfang Mai 2017 drei thematische Regionalkonferenzen durch, um eine breite Debatte zum zwei-

ten Entwurf des Bundestagswahlprogramms d zu ermöglichen. Zu den Regionalkonferenzen wurden Leitfragen erstellt, die wir hier ebenso abdrucken wie Auszüge aus dem Entwurf.

Regionalkonferenzen zum Wahlprogramm und Leitfragen

Leitfrage II: EU vs. Nationalstaat: Was muss sich auf nationaler Ebene ändern, damit sich Europa ändert? Was muss sich auf europäischer Ebene ändern, damit sich in den Mitgliedsstaaten etwas ändert?

In die Debatte einbeziehen sollten wir, dass der Ansatz, einen „extra“-Europateil auszuformulieren, im Grunde verfehlt ist. Vielmehr müsste die europäische Ebene in allen Punkten viel stärker mitgedacht werden. Europapolitik ist keine außerirdische Politik, die getrennt von Bundes- oder Landeseben funktioniert. Ein weitere Grundfehler ist, dass dieses Kapitel XV ausschließlich aus deutscher Perspektive gedacht wurde. Das ist deutsche Europapolitik, und die ist doch wohl nicht unser Ding. Cornelia Ernst, Anja Eichhorn

Leitfrage I: Ostdeutschland verfügt über Erfahrungswerte und –vorsprünge, beispielsweise hinsichtlich längeren gemeinsamen Lernens in der Vergangenheit, der Gleichstellung der Geschlechter, seit 1990 in Sachen Transformation, der Osten dient zudem als Experimentierfeld für den neoliberalen Umbau. Hier findet sich aber auch die Bereitschaft, kreativ auf neue Entwicklungen zu reagieren, hier hat man Erfahrungen mit alternativen Wirtschaftsformen. Was macht „ostdeutsche Identität“ aus?

Weitere Fragen: Ist der Euro die Inkarnation des Bösen? Entscheidet sich die Europäische Zukunft am Euro?

Dresden, 3. Mai 2017, Gewerkschaftshaus – Impulsreferat Susanna Karawanskij (angefragt): Thema Osten

Leitfrage II: Welcher strukturellen Veränderungen bedarf es, um endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West

Leipzig, 26. April 2017, KUB Galerie – Impulsreferat Cornelia Ernst: Thema Europa Leitfrage I: Was bedeutet „Neustart“ der EU? Gibt es Verteidigungswertes an der EU (wie z. B. die Freizügigkeit und europäisch formulierte Grundrechte)?

herzustellen (z. B. Löhne, Renten, öffentliche Daseinsvorsorge, soziale Infrastruktur)? Und was ist mit der beobachtbaren demografische Entwicklung, insbesondere in Bezug auf ländliche Räume? Muss sie zwingend den Rückbau öffentlicher Vorsorgestrukturen zur Folge haben oder gibt es bessere Alternativen? Chemnitz, 4. Mai 2017, Luxor – Impulsreferat Sabine Zimmermann: Themen Selbstständige, Kinderarmut Leitfrage I: Diskussionsvorschlag über einen Ergänzungsantrag zu (Solo-)Selbstständigen Vorbemerkung: Meine Zeilen beziehen sich auf den ersten Ent-

wurf des Wahlprogramms. Der Leitantrag, den der Parteivorstand daraus am ersten AprilWochenende erarbeitet hat, lag mir bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor. Zum Thema: Es ist schön zu lesen, dass der Programmentwurf auf die veränderte und sich verändernde Arbeitswelt eingeht. Gleichwohl verortet er Soloselbstständige nur im Bereich von Crowd- und Cloudworking (Kapitel I, S. 9) und im Kapitel XI (S. 38) im Kulturbereich. Während über Crowd- und Cloudworking noch gar keine belastbaren Zahlen vorliegen (vgl. Forschungsbericht 462 des BMAS), arbeiten etwa 200.000 Menschen als Musikerinnen und Musiker, bildende, darstellende


Links! 04/2017

und sonstige KünstlerInnen. Der übergroße Teil der Soloselbstständigen (insgesamt etwa 2,3 Millionen, zum Vergleich: es gibt etwa eine Million LeiharbeiterInnen in Deutschland) arbeitet in anderen Branchen, so z. B. etwa 183.500 im Handel und 129.000 als Lehrerinnen und Lehrer (vgl. Forschungsbericht 465 des BMAS). Während es also sinnvoll ist, dass im Kapitel XI „Kultur für Alle von Allen“ über Soloselbstständigkeit gesprochen wird, erscheint die sonstige Abhandlung im Abschnitt „Statt digitales Prekariat - soziale Absicherung für alle Beschäftigten“ am falschen Ort. Es wäre deshalb überlegenswert, den Soloselbstständigen im Kapitel I „Gute Arbeit …“ einen eigenen Abschnitt zu widmen. Das gesamte Sozialversicherungssystem ist auf abhängige Beschäftigung zugeschnitten. Selbstständige werden immer noch als Besserverdienende behandelt und gelten nicht als schutzbedürftig. Die Realität sieht anders aus. Gerade Soloselbstständige haben im

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017 Durchschnitt niedrigere Einkommen als abhängig Beschäftigte. Sie sind oft schlecht rentenversichert und haben große Beitragsschulden bei den Krankenkassen. Nicht etwa, weil sie das so wollen, sondern weil sie die Beiträge nicht zahlen können. Ein Abschnitt zu Soloselbstständigkeit könnte etwa so aussehen: Eine gerechte soziale Absicherung für Soloselbstständige Die sozialen Probleme von Selbstständigen müssen endlich ernst genommen werden. Sozialversicherungen zielen noch immer vor allem auf abhängig Beschäftigte. Selbstständige gelten somit nicht als schutzbedürftig und werden allzu oft als besser verdienend vorgestellt. Doch viele Selbstständige, vor allem Soloselbstständige, haben ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen. Ihre Beiträge zur Gesetzlichen Krankenkasse werden aber nicht nach diesem Einkommen berechnet. Vielmehr gilt für sie die sogenannte

Mindestbemessungsgrundlage. Dabei wird von einem monatlichen Einkommen von 2.231 Euro ausgegangen, bei Existenzgründung und in Härtefällen von 1.487 Euro. Unterhalb dieser Einkommensgrenzen sinkt der Krankenkassenbeitrag nicht mehr. Je geringer also das Einkommen, desto höher der Anteil des Krankenkassenbeitrags. Viele geraten deshalb mit ihren Beitragszahlungen in Rückstand. So beklagen die Krankenkassen steigende Beitragsschulden. Die Folge ist eine eingeschränkte gesundheitliche Versorgung für viele Selbstständige. Das wollen wir ändern. Deshalb fordern wir in einem ersten Schritt, dass der Mindestbeitrag sich nach der Geringfügigkeitsgrenze (aktuell 450 Euro im Monat) bemisst und sich der Beitrag ab dieser Grenze nach dem tatsächlichen Einkommen richtet (vgl. Antrag Bundestagsfraktion DIE LINKE, Drucksache 18/9711). Auch die Altersvorsorge ist für viele Selbstständige ein großes Problem. So ist lediglich ein

Viertel der Solo-Selbstständigen in ein obligatorisches System der Altersvorsorge einbezogen (vgl. Antwort auf die Große Anfrage Bundestagsfraktion DIE LINKE, Drucksache 18/10762). Auch hier gilt: Nicht weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Das Problem der Altersarmut ist kein vermutet zukünftiges, sondern ein bereits vorhandenes. Zwar beziehen ehemals Selbstständige häufiger hohe Alterseinkommen als abhängig Beschäftigte (mehr als 3.000 Euro erhalten neun Prozent der Selbstständigen, zwei Prozent der abhängig Beschäftigten). Aber während ein Drittel der vormaligen Arbeiter und Angestellten ein Nettoeinkommen unter 1.000 Euro erzielt, sind es bei den ehemals Selbstständigen fast die Hälfte. Um die soziale Lage und Vorsorgemöglichkeiten für Soloselbstständige zu verbessern, fordern wir in einem ersten Schritt, auf die fiktiven Arbeitnehmerbeiträge bei der Renten-, aber auch bei der Arbeitslosen- und Pflegever-

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sicherung zu verzichten. Holger Weidauer Leitfrage II: Kinderarmut zeitigt gravierende wie weitreichende Folgen für die Entwicklung und Perspektive vieler Heranwachsender, etwa was Teilhabe in sozialer, kultureller Hinsicht und in Sachen Bildung betrifft. Die Kindergrundsicherung ist eines der Mittel, das DIE LINKE in ihrem Entwurf zum Bundestagswahlprogramm vorschlägt, um Kinderarmut wirksam zu begegnen. Entsprechend der Dringlichkeit dieser Problematik sollte ein Passus zur Kindergrundsicherung in die Einführung zum Wahlprogramm unter der Rubrik „Was wir dringend angehen“ Platz finden. Wir wollen über Bedeutung und Gewichtung der Kindergrundsicherung im Wahlprogramm respektive einen linken Politikansatz debattieren und darüber, inwieweit deren Einführung auch einen ersten konkreten Schritt in Richtung unseres Projekts sanktionsfreie Mindestsicherung von derzeit 1.050 Euro bilden kann.

Auszüge aus dem Entwurf des Bundestagswahlprogramms I. Gute Arbeit für Alle statt Niedriglohn, Dauerstress und Abstiegsangst Millionen Menschen in Deutschland wünschen sich bessere Löhne, sichere Arbeitsplätze, weniger Stress und Arbeitszeiten, die mit dem Leben mit Kindern, Familie und Freundschaften vereinbar sind. Aber diese berechtigten Ansprüche werden für viele Beschäftigte nicht eingelöst. Viele arbeiten bis zur Erschöpfung und kommen doch mit ihrem Lohn kaum bis zum Monatsende über die Runden. Ein Viertel der Beschäftigten arbeitet in unsicheren, prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit, Werkverträgen, befristeter Beschäftigung, Minijobs, Solo- und Scheinselbständigkeit. Prekär Beschäftigte können das eigene Leben kaum planen und sich kaum eine berufliche Perspektive aufbauen. Sorgen um den Arbeitsplatz und die berufliche Zukunft, Dauerstress und belastende Arbeitszeiten machen krank. DIE LINKE kämpft für einen grundlegenden Kurswechsel in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik, für ein neues Normalarbeits-ver-


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hältnis. Das alte „Normal-arbeitsverhältnis“, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Beschäftigten und Gewerkschaften erkämpft wurde, bedeutete Sicherheit gegen das Risiko von sozialem Abstieg. Es erlaubte, die Zukunft zu planen und die Grundlagen dafür zu legen, dass es den Kindern einmal besser geht. Wir wollen ein Neues Normalarbeitsverhältnis, dass für alle Menschen und für Männer und Frauen gleichermaßen gilt: Die Löhne müssen für ein gutes Leben und für eine Rente reichen, die den Lebensstandard im Alter sichert. Arbeit darf nicht krank machen, sie muss planbar und mit dem Leben mit Kindern vereinbar sein. Arbeit muss für alle Menschen sicher und unbefristet, tariflich bezahlt, sozial abgesichert und demokratisch mitgestaltet sein. Das gilt, egal ob die Arbeit mit Laptop oder Wischmopp, im Pflegekittel oder Blaumann geleistet wird. In einem reichen Land wie unserem fängt sozial gerechte Politik damit an, dass Armut trotz Arbeit, sozialer Abstieg und permanente Unsicherheit in prekären Jobs sofort gestoppt werden. DIE LINKE will folgendes als Sofortmaßnahmen durchsetzen: • Der gesetzliche Mindestlohn muss auf 12 Euro erhöht werden. Der Mindestlohn von 8,84 Euro, den die Große Koalition auf Druck der Gewerkschaften, Sozialverbände und der LINKEN endlich eingeführt hat, ist zu niedrig. Nur ein Mindestlohn von 12 Euro schützt vor Altersarmut. Er muss flächendeckend gelten: Diskriminierende Ausnahmeregelungen für Langzeiterwerbslose, Praktika, jugendliche Beschäftigte und Menschen mit Behinderungen wollen wir streichen. Der Mindestlohn muss jährlich angehoben werden, dabei ist mindestens die Produktivitäts- und Preisentwicklung zu berücksichtigen. Um die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns zu kontrollieren, müssen dringend mehr Kontrolleure eingestellt werden. • Befristungen stoppen! Immer mehr Menschen hangeln sich jahrelang von einem befristeten Job zum nächsten. Jeder zweite neu abgeschlossene Arbeitsvertrag ist befristet. DIE LINKE fordert daher die ersatzlose Streichung der „sachgrundlosen Befristung“ aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Sachgründe müssen strikt beschränkt, Kettenbefristungen verboten werden: Der zweite Arbeitsvertrag beim gleichen Arbeitgeber muss unbefristet sein, Befristungen sollen auf längstens ein Jahr beschränkt werden.

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017 • Lohndumping durch Leiharbeit und Werkverträge verhindern! Leiharbeit schafft im gleichen Betrieb Beschäftigte zweiter Klasse. Beschäftigte in Leiharbeit verdienten 2015 nur knapp 60 Prozent des Durchschnittslohns. Wir wollen Leiharbeit abschaffen. Lohndumping muss sofort unterbunden werden: Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen müssen den gleichen Lohn wie Festangestellte plus eine Flexibilitätszulage von 10 Prozent erhalten! Kein Einsatz von Leiharbeitsbeschäftigten darf länger als drei Monate dauern. Leihar-

spruch auf eine Mindestarbeitszeit von 18 Stunden pro Woche erhalten.

beiter müssen nach drei Monaten im Betrieb übernommen werden und dürfen nicht gegen andere Leiharbeiter ausgetauscht werden. Der Einsatz von Leiharbeit und die Vergabe von Werkverträgen müssen an die Zustimmung des Betriebsrates und die Einhaltung der im Kernbetrieb gültigen Tarifverträge gebunden werden. Der Missbrauch von Werkverträgen durch Scheinselbstständigkeit muss wirksam unterbunden werden, indem die Beweislast umgekehrt wird und zukünftig beim Arbeitgeber liegt.

häufig die Löhne, prekäre Arbeit, Stress und die Erpressbarkelt der Belegschaften nehmen zu. Die LINKE kämpft für eine Umverteilung des Reichtums von den Profiten zu den Löhnen. Die Löhne für Geringund Normalverdienende müssen deutlich steigen!

• Immer mehr Beschäftigte, mehrheitlich Frauen und Alleinerziehende, werden in unfreiwillige Teilzeit, Mini- und Midi-Jobs und damit in Altersarmut abgedrängt. DIE LINKE fordert soziale Absicherung: ab dem ersten Euro muss die Pflicht zur Sozialversicherung gelten. Beschäftigte in Teilzeit müssen einen Rechtsan-

Höhere Löhne statt steigender Rendite Mit der Einführung der Agenda 2010-Reformen durch die Regierung von SPD und Grünen wurde Niedriglöhnen, prekärer Beschäftigung und Tarifflucht der Weg bereitet. In den vergangenen Jahren sind die Löhne kaum gestiegen. Tarifverträge gelten nur noch für eine Minderheit. Wo Unternehmen Tarifflucht begehen, sinken

Die Bundesregierung hat nichts gegen die Tarifflucht der Unternehmen getan. Wir wollen die Verhandlungsposition von Beschäftigten und Gewerkschaften verbessern. Die Arbeitgeberseite kann gegen die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ein Veto einlegen. Das wollen wir abschaffen. Wir wollen, dass Tarifverträge auf Antrag eines Tarifpartners für allgemeinverbindlich erklärt werden. Es muss als „öffentliches Interesse“ angesehen werden, Tarifverträge in ihrer Reichweite zu stärken und einen Unterbietungswettbewerb zu Lasten von Löhnen und Arbeits-

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bedingungen zu verhindern. Bei Betriebsübergängen und Auslagerungen müssen die bisherigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung unbefristet geschützt bleiben. Einige Unternehmen verstoßen systematisch gegen den Mindestlohn, das Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz. Recht muss durchgesetzt werden: in der Arbeitswelt gibt es häufig einen Freifahrtschein, der Rechtstaat versagt häufig. DIE LINKE fordert die Einrichtung einer staatlichen Beschwerdestelle unter Einbeziehung des DGB. Wir wol-

der Schweiz hatten ein Verhältnis von 1 zu 12 gefordert – das ist der nächste Schritt. Jahresgehälter über einer halben Million Euro dürfen nicht mehr steuerlich abzugsfähig sein. Wir wollen Wege prüfen, wie sie in Portland (USA) gegangen werden: Dort wird eine Strafsteuer erhoben für Unternehmen, deren Löhne zu weit auseinander gehen. Wir fordern verbindliche Regeln für alle öffentlichen Unternehmen. Obergrenzen für Gehälter in Unternehmen sollen dazu beitragen, die Einkommen in der Gesellschaft gerechter

len Staatsanwaltschaften mit Schwerpunkten für die Arbeitsgerichtsbarkeit schaffen und mehr Personal für die Aufsichtsbehörden.

zu machen: Wir schlagen vor, dass niemand mehr als 40 Mal so viel verdienen sollte wie das gesellschaftliche Minimum. Das ist derzeit knapp eine halbe Million Euro im Jahr.

Der Staat muss eine Vorreiterrolle für gute Löhne einnehmen: Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen wollen wir daran knüpfen, dass Tarifverträge eingehalten werden und an Kriterien der Gewerkschaften für gute Arbeit gebunden sind. Die Löhne in den unteren und mittleren Einkommensgruppen des Öffentlichen Dienstes müssen deutlich steigen. DIE LINKE will gute Löhne für alle Beschäftigten- und gerechte Löhne. Wir wollen verbindliche Obergrenzen für Manager- und Vorstandsgehälter: Sie dürfen nicht mehr als das Zwanzigfache des niedrigsten Gehalts im Unternehmen betragen. Die Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit Um die Lohndiskriminierung von Frauen zu überwinden, braucht es einen grundlegenden Kurswechsel in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Ein verbindliches Entgeltgleichheitsgesetz und Lohnmessungsinstrumente sind wichtige Schritte. DIE LINKE will darüber hinaus den Niedriglohnbereich, in dem mehrheitlich Frauen tätig sind, abschaffen. Alle Geschlechter müssen die gleichen Chancen haben, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Deshalb schaffen wir familiengerechte Arbeitszeiten, eine Umverteilung der Arbeit, Ausbau von Ganztagsbetreuung


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Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017

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Die Digitalisierung führt dazu, dass sich die Anforderungen an die Arbeit und Qualifikation der Menschen verändern. Von den Beschäftigten wird erwartet, dass sie sich lebenslang weiterbilden, um mit den technischen Veränderungen Schritt zu halten. Bislang werden die Menschen mit dieser Anforderung im Stich gelassen. DIE LINKE will ein umfassendes Recht auf Weiterbildung. Die Qualifizierung der Beschäftigten ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht auf die Einzelnen abgewälzt werden darf.

in Kitas und Schulen sowie von Angeboten für Menschen mit Pflegebedarf. Die gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit mit den Menschen in Kindertagesstätten, Pflegeberufen und in der sozialen Arbeit, die immer noch mehrheitlich von Frauen geleistet wird, muss anerkannt und besser bezahlt werden. DIE LINKE wird mehr Geld in soziale Dienstleistungen investieren. Wir beenden die Unterfinanzierung von Bildung, Gesundheitsversorgung und Pflege. Der Pflegemindestlohn muss auf 14,50 Euro erhöht und Tarifregelungen für Pflegefachkräfte müssen bundeseinheitlich für verbindlich erklärt werden. Die LINKE will die Rechte von Beschäftigten in Privathaushalten stärken. Kontrollen und arbeitsrechtliche Unterstützung müssen ausgeweitet werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag muss auch für Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter und für Beschäftigte gemäß Arbeitnehmerentsendegesetz gelten.

Immer noch verdienen Beschäftigte im Osten Deutschlands weniger als im Westen. Der Niedriglohnsektor ist größer. Dem stellen wir uns entgegen. Wir unterstützen die Gewerkschaften beim Kampf um bundeseinheitliche Flächentarifverträge (vgl. Kapitel Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West). Statt digitales Prekariat – soziale Absicherung für alle Beschäftigten Digitalisierung und die Arbeit und Auftragsvergabe über „Clouds“ und Plattformen schafft neue, oft entgrenzte und prekäre Beschäftigungsformen. Die Beschäftigten haben meist keine soziale Absicherung, Mitbestimmung, Tarifverträge, und sie sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Das Arbeitsrecht findet keine Anwendung. In Deutschland gibt es über zwei Millionen Solo-Selbstständige. Für viele bedeutet das ökonomi-

sche Unsicherheit. Ihnen drohen die Folgen von entgrenzter Arbeit, die auch viele Kreative trifft: Unzureichende Honorare, Erschöpfung und Altersarmut. Die digitale Agenda der Bundesregierung gibt keine Antwort darauf, wie diese Prekarisierung zurückgedrängt werden kann. • Das Arbeitsrecht und die Definitionen von „Arbeitnehmer“ und „Betrieb“ müssen den neuen Formen angemessen werden, um Scheinselbständigkeit effektiver zu bekämpfen. Solo-Selbständige müssen in die Arbeitslosen-, Gesundheits-, Renten- und Pflegeversicherung einbezogen werden. Die Beitragssätze müssen sich am realen monatlichen Einkommen orientieren und dürfen nicht dazu führen, dass Solo-Selbstständige ergänzend Mindestsicherung in Anspruch nehmen müssen. • Bei Crowdwork-Plattformen müssen sowohl die Be-

treiber als auch die Auftraggeber an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme paritätisch beteiligt werden. Wir schaffen branchenspezifische Mindesthonorarregelungen, die bundesweit gelten. Damit wollen wir einem ruinösen Preiswettbewerb entgegen wirken. Die Öffentliche Hand muss eine Vorreiterrolle einnehmen mit einer Mindesthonorarordnung bei öffentlich finanzierten Aufträgen. DIE LINKE verteidigt die Schutzrechte und demokratische Mitbestimmung der Beschäftigten gemeinsam mit den Gewerkschaften. Wir wollen sie so ausweiten, dass Crowd- und Cloudworking reguliert werden und gute Arbeit auch in der Cloud möglich wird. Arbeitsschutzrechte müssen umfassend gelten und nach Empfehlungen einer Kommission aus Gewerkschaften, Expertinnen und Experten aus Arbeitsrecht und Arbeitsmedizin auf diese Herausforderungen hin überarbeitet werden.

• Bei der betrieblichen Weiterbildung dürfen Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Fortbildungsmaßnahmen, die im Interesse der Unternehmen sind, müssen auch von diesen finanziert werden. Alle Beschäftigten müssen zum Zwecke der Weiterbildung einen Rechtsanspruch erhalten, ihre Arbeitszeit zeitweise zu reduzieren oder zeitlich begrenzt ganz aussetzen zu können. Wo Unternehmen Regelungen verweigern, muss eine gesetzliche Verpflichtung greifen: Der Arbeitgeber muss während der Bildungsteilzeit einen teilweisen Lohnausgleich von mindestens 70 Prozent des Nettogehalts und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Der Staat muss Bildungsteilzeit von Beschäftigten durch eine stärkere Berücksichtigung bei den Rentenansprüchen und der Höhe von Ansprüchen auf AlG-1 unterstützen. Für Geringverdienende (mit Einkommen von 70 Prozent und weniger des Durchschnittslohns einer Branche) muss ein vollständiger Lohnausgleich durch staatliche Zuschüsse garantiert werden. • Damit sich alle Unternehmen gleichermaßen an der Finanzierung beruflicher Weiterbildung beteiligen, schlägt DIE LINKE einen Weiterbildungsfonds vor, in den alle Unternehmen einer Branche einzahlen.

IX. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West Das neoliberale Wirtschaftsmodell mit der einseitigen Ausrichtung auf den Export führt zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Regionen. Seit Jahren stagniert die Wirtschaftskraft im Osten bei nur 67 Prozent des West-Niveaus. Die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur ist kleinteilig, und es gibt keine großen Unternehmenszentralen. Die Bun-

desregierung befördert die Ungleichheit zwischen den Regionen durch ihre ungerechte Steuer- und Wirtschaftspolitik. Die Versorgungslücken in einigen Regionen, Bundesländern und Kommunen sind dramatisch. Der Investitionsstau in den Kommunen liegt bei weit über 100 Milliarden Euro. Städte und Gemeinden in Ost und West brauchen mehr Mit-

tel, um in ihre öffentliche Infrastruktur investieren zu können. Gerechtigkeit für die Menschen in Ostdeutschland Auch im dritten Jahrzehnt nach der deutschen Einheit sind die Menschen in Ostdeutschland in vielen Bereichen nicht gleichgestellt: die Renten sind niedriger, die Löhne sind nied-

riger, die Wirtschaftsleistung liegt immer noch über ein Drittel unter der der westlichen Bundesländer. So unterschiedlich die persönlichen Erfahrungen vor und nach 1989 sind und so vielfältig deren Bewertungen ausfallen – es bleibt, dass die Wirklichkeit in den ostdeutschen Ländern weit hinter dem zurückbleibt, was in der Wendezeit versprochen

und erwartet wurde. Die Art und Weise der Vereinigung hat die Lebensperspektiven von vielen Menschen beschnitten. Und neue, strukturelle Probleme sind entstanden. Auch hoher Leistungswille aller Generationen im Osten, auch ausgeprägte Bereitschaft zum Verzicht sowie große Investitionen und eine weithin moderne Infrastruktur, haben es


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nicht vermocht, die kulturelle Demütigung und die sozialen Benachteiligung vieler Ostdeutscher sowie den ökonomischen Zusammenbruch des Wirtschaftsraumes der ehemals sozialistischen Länder nach 1989/90 zu kompensieren. Zwei verfehlte Politikansätze sind dafür verantwortlich: 1. Immer noch leiden die ostdeutschen Bundesländern unter der falschen Treuhand-Politik, die auf DeIndustrialisierung gesetzt hat. Positive wirtschaftliche Elemente aus der ehemaligen DDR wurden nicht aufgegriffen. 2. Die Formen der Investitionen folgten neoliberalen Vorstellungen von Wirtschaftsförderung: Niedriglohn für die Beschäftigten und Steuervorteile für die Unternehmen. Die soziale Infrastruktur, die öffentliche Daseinsvorsorge wurde vielerorts aufs aller Nötigste runter gekürzt. Die Folgen neoliberaler Politik der vergangenen 25 Jahren zeigen sich in Ostdeutschland wie unter einem Brennglas. Sie verbanden sich mit sozialen Benachteiligungen und kulturellen Demütigungen der Menschen in Ostdeutschland.

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017 2019 wird der Solidarpakt II auslaufen und die Fördermittel der EU werden rückläufig sein. Der Osten bleibt die größte Ansammlung von strukturschwachen Regionen bundesweit. Ostdeutschland ist keineswegs durchgängig eine wirtschaftlich abgehängte Region. Gerade in den größeren Städten überwiegen Zukunftschancen und gute Entwicklung. Doch auch die vergleichsweise erfolgreichen Teilräume können mit den Leistungszentren im Westen nicht mithalten. Die Versprechen aller Bundesregierungen seit der Vereinigung, gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen, sind gebrochen worden. Die beschlossene „Rentenanpassung“ ist nur eine Fortsetzung davon: Sie sieht vor, dass eine Gleichbehandlung erst 2025 abgeschlossen ist. 35 Jahre nach der Vereinigung! Wir wollen eine vollständige Angleichung der Renten als Sofortmaßnahme. Noch immer gibt es im Osten weniger Rente für dieselbe Lebensleistung. Die Löhne und Gehälter sind niedriger, die Armutsquote ist höher, und es

sind mehr Menschen erwerbslos. Ostdeutsche haben weniger Vermögen, die Tarifbindung und die Gewerkschaften sind schwächer. Kein Wunder, dass 65 Prozent der Ostdeutschen der Meinung sind, die Bundesregierung tue zu wenig, um die Lebensverhältnisse in Ost und West anzugleichen. Wir haben eine besondere Verantwortung im Umgang mit diesen sozialen wie regionalen Ungleichheiten und Umbrüchen. Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit und gleichwertige Lebensverhältnisse. Wir verstehen uns im Unterschied zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien als Vertreterin der Interessen der Menschen in Ostdeutschland. Das bleiben wir auch in Zukunft. Aus den Erfahrungen in Ostdeutschland lässt sich lernen: Die Probleme von de-industrialisierten Regionen lassen sich gerade nicht durch Sonderrecht, durch sanktionierte Benachteiligung, durch Lohnverzicht oder die Schaffung von Sündenböcken lösen. Wir werden endlich mit den Benachteiligungen für Ostdeutsche Schluss machen:

• Wir fordern gleiche Rente für gleiche Lebensleistung! Noch immer erhalten Rentnerinnen und Rentner in Ost und West für die gleiche Lebensleistung keine gleichwertige Rente. Die Große Koalition will die Ostdeutschen nun mit ihren Rentenplänen bis 2025 hinhalten. Wer 1990 in Rente gegangen ist, müsste dann 100 Jahre alt werden, um noch die Renteneinheit zu erleben. Gleichzeitig plant die Große Koalition, die Umrechnung der niedrigeren ostdeutschen Löhne abzuschaffen, was zu erheblichen Rentenkürzungen für die heute in Ostdeutschland Beschäftigten führen würde. • DIE LINKE will die Benachteiligung ostdeutscher Rentnerinnen und Rentner endlich beenden. Daher muss der Rentenwert Ost sofort an das Westniveau steuerfinanziert angeglichen werden. Solange es noch starke Lohnunterschiede zwischen Ost und West gibt, muss die Umrechnung erhalten bleiben. Die Angleichung der Ostrenten darf nicht zum Nachteil der heute Beschäftigten führen. Für Zeiten des Niedriglohns wollen

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wir generell für alle Beschäftigten in Ost wie West eine Hochwertung in der Rente einführen (vgl. Kapitel Gute Renten). • Bei der Überführung der Alterssicherungssysteme der DDR in bundesdeutsches Recht wurden Rentenansprüche für verschiedene Gruppen, zum Beispiel von Krankenschwestern, von Beschäftigten der Braunkohleveredelung und in der DDR Geschiedenen unzureichend anerkannt. Hunderttausende Ostdeutsche und rund 20 Berufsgruppen sind davon nach wie vor betroffen. Dabei geht es nicht nur um empfindliche finanzielle Einbußen bei der Rente, es geht auch um das Gefühl, dass die eigene Leistung weniger wertgeschätzt wird, nur weil man im Osten des Landes gelebt und gewirkt hat. Wir sagen hingegen: Die Lebensleistungen im Osten müssen anerkannt werden! • Neoliberale Arbeitsmarktpolitik ist überall und insbesondere im Osten gescheitert: Wir wollen gute Arbeit statt prekärer Jobs. Den Niedriglohnsektor wollen wir mit ei-


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nem gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro trockenlegen. Tarifflucht durch Werkverträge und Leiharbeit muss unterbunden werden. Die ausufernden Befristungen wollen wir zurückdrängen und auf wenige Sachgründe beschränken. DIE LINKE steht für den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ – in Ost und West. • Die Treuhand hat in Ostdeutschland ein weitgehend deindustrialisiertes Land zurückgelassen. Wir brauchen Investitionen und regionale Entwicklungspläne für gute Arbeit und sozial und ökologisch nachhaltige Produktion. Wir wollen den Genossenschaftsgedanken als solidarisches Wirtschaftsmodell stärken. Dazu gehören für uns auch Agrargenossenschaften als soziales wichtiges Bindeglied zwischen einer nachhaltigen Landwirtschaft und den Dörfern. • Die ostdeutschen Wohnungsbauunternehmen werden von ihren Altschulden befreit und die freien finanziellen Mittel im Interesse der Mieterinnen und Mieter und der öffentlichen Unternehmen eingesetzt. • Wir wollen besonders innovative Industrien und For-

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017

schung im Osten fördern, um neue Entwicklungspfade zu ermöglichen. Wir wollen Hochschulen und Fachhochschulen ausbauen und eine gemeinnützige Forschungs-GmbH schaffen. Beim Wandel von Lebensund Arbeitswelt sowie gesellschaftlichen Werten haben Ostdeutsche besondere Erfahrungen gemacht. Bis heute entfalten auch Erfahrungen aus der Zeit vor der „Wende“ ihre Wirkung: Vielen Frauen ist es selbstverständlich, sich nicht zwischen Kindern und Beruf entscheiden zu müssen. Egalitäre Rollenvorstellungen in Familien sind weiter verbreitet. Wer soziale Absicherung erfahren hat, ist weniger bereit, alle Lebensbereiche Konkurrenz und Wettbewerb zu unterstellen. Diese Haltungen müssen auch aus ökonomischer und ökologischer Sicht wieder stärker ins Blickfeld gerückt werden. Hinzu kommen positive Erfahrungen und Modelle wie Polikliniken und Agrar- sowie andere Genossenschaften als Formen solidarischer Ökonomie. Diese unterschiedlichen Erfahrungen und progressiven ostdeutschen Lebensmodelle müssen auch in der Bundespolitik als wichtige Impulse für die Zukunft anerkannt werden. Sie

sind wertvolle Alternativen zu sozialer Kälte und einer Dominanz von Profit und Wettbewerb in immer mehr Lebensbereichen. Die Regionen stärken: gleichwertige Lebensverhältnisse DIE LINKE kämpft für die Verwirklichung der im Grundgesetz verankerten Gleichheit der Lebenschancen: Weder die soziale noch die regionale Herkunft von Menschen dürfen ein Hindernis bei der Wahrnehmung von Lebenschancen und der Gewährleistung von Lebensqualität sein. Auch zwischen nord- und süddeutschen Regionen, zwischen Regionen der De-Industrialisierung und der industriellen Zentren gibt ein Gefälle der Einkommen wie zwischen Ost und West. Zerfallende Infrastruktur, hohe Erwerbslosigkeit und wachsende Armut führen etwa im Ruhrgebiet und anderen benachteiligten Regionen für viele Menschen zu Perspektivlosigkeit. Die Erfahrungen vieler Beschäftigter in Ostdeutschland belegen: Als Billiglohn-Regionen hatten und haben weder die ostdeutschen Länder noch die strukturschwachen Regionen im Westen eine Chance – das Gegenteil ist der Fall. Wir

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setzen der Strategie von Kürzungen und Niedriglohn eine aktive regionale Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik entgegen, die gute Arbeit an erste Stelle setzt und zukunftsfähige Forschungs- und Industrieentwicklung mit dem ökologischen Umbau von Wirtschaft und Infrastruktur verbindet. Dazu gehören existenzsichernde Mindestlöhne. Leiharbeit und Werksverträge passen nicht in das Modell einer zukunftsorientierten Regional- und Strukturpolitik. Mit den Gewerkschaften, den Kammern und Wirtschaftsverbänden beraten wir kontinuierlich über geeignete Maßnahmen, das Unterlaufen von Arbeitsrecht und Tarifverträgen zu unterbinden, Leiharbeit und Werkverträge zurückzudrängen. Und streiten gemeinsam mit den Gewerkschaften dafür, sie umzusetzen.

• Wir brauchen einen solidarischen Länderfinanzausgleich, der diesen Aufgaben gerecht wird. Wir wollen eine umfassende Gemeindefinanzreform, in der u.a. die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer umgewandelt wird.

Für die Entwicklung der Regionen brauchen wir dringend die Einnahmen aus einer Vermögensteuer: Wir wollen Reichtum besteuern, damit mehr Geld vor Ort da ist. Nur durch gut bezahlte Arbeit, eine sanktionsfreie Mindestsicherung und eine zukunftsfähige Wirtschaft, die mehr als bloß verlängerte Werkbank ist, lässt sich Armut dauerhaft bekämpfen.

• Wir setzen uns dafür ein, dass die Stadtumbauprogramme Ost und West zu einem Programm für strukturschwache Regionen umgearbeitet wird. Städte und Gemeinden müssen in die Lage versetzt werden, die Herausforderungen der demographischen Entwicklung, des energetischen Umbaus, der Konversion und des sozialen Zusammenhalts zu bewältigen.

• Wir wollen einen Solidarpakt III für strukturschwache Regionen in Ost und West einführen. • Im Zuge des sozial-ökologischen Umbaus wollen wir die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung sichern. • In Wissenschaft und Forschung muss umfangreicher investiert werden, um Innovationen und die Hochschulen besonders in Ostdeutschland zu stärken.

XV. Europa der Menschen statt der Banken und Konzerne Die Europäische Union ist in einer grundlegenden Krise. Die soziale Ungleichheit ist gewachsen, Reichtum und Armut explodieren. Die neoliberale Politik der Konkurrenz und Austerität hat zu Massenerwerbslosigkeit geführt und in Südeuropa eine verlorene Generation hervorgebracht. In der ganzen EU sind es fast ein Viertel, in Italien, Portugal, Spanien, Griechenland 40 bis 60 Prozent der jungen Menschen, die keine Arbeit finden. In dieser EU hat die Wettbewerbsfähigkeit im Interesse der Profite von Banken und Konzernen Vorrang vor den Interessen der Bevölkerungen. Die „Rettung“ Griechenlands war zu über 90 Prozent eine Finanzierung von reichen Gläubigern und Bankprofiten, nicht zuletzt deutscher Banken. Die Durchsetzung von neoliberalen Handelsabkommen wie TTIP und CETA gegen den Willen von hundertausenden Menschen oder die Erpressung Griechenlands, die verheerende neoliberale Kürzungspolitik fortzusetzen, zeigt: Wenn die Menschen eine andere Politik wollen, wird die Demokratie

als Wettbewerbshindernis beiseitegeschoben. In Großbritannien stimmte die Mehrheit der Bevölkerung für einen Austritt aus der EU. Es ist diese unsoziale und undemokratische EU, die autoritären Kräften, Rassismus und Nationalismus Auftrieb gibt. Europa kann durch Demokratie und soziale Gerechtigkeit verändert werden – andernfalls besteht die Gefahr, dass rechte Parteien und Populisten Europa nach ihrem Bild verändern. Wer den Rechtsruck in Europa stoppen will, muss sich für einen grundlegenden Politikwechsel in Deutschland einsetzen. Die deutsche Regierung spielt eine zentrale Rolle dabei, die Europäische Union weiter zum Wettbewerbsraum umzubauen. Standortkonkurrenz, Druck auf die Löhne und den Sozialstaat, Freihandel und Aufrüstung sind weder im Interesse der Menschen in Deutschland noch der im restlichen Europa. Die einseitige Exportorientierung der deutschen Wirtschaft führt zu De-Industrialisierung, Verschuldung und Massener-

werbslosigkeit in weiten Teilen der EU. Sie geht auch zu Lasten der Beschäftigten in Deutschland: Die Folge sind prekäre Arbeit, Niedriglohn und Dauerstress. DIE LINKE kämpft daher für einen Politikwechsel in Deutschland und eine andere Wirtschaftspolitik. Für höhere Löhne, Umverteilung des Reichtums und öffentliche Investitionen für einen sozialökologischen Umbau der Wirtschaft. Nur so kann die tiefe Krise in Europa überwunden werden. Die neoliberale Konstruktion des Euros nützt vor allem der deutschen Exportindustrie und internationalen Großkonzernen, während es Europa wirtschaftlich und sozial spaltet. Die Politik der EZB, „billiges Geld“ zur Verfügung zu stellen, aber gleichzeitig auf Kürzungspolitik zu drängen, verhindert einen Ausweg aus der Krise. Die Politik von Troika, Merkel & Co zerstört die Gemeinschaftswährung. Auch die Währungsunion muss radikal reformiert werden oder sie wird zerbrechen. Voraussetzung dafür ist

eine andere deutsche Wirtschaftspolitik und ein Ende der Austerität. Die Auflösung des Euros ist dagegen ein Szenario, auf das man sich wohl oder übel vorbereiten muss, aber keine Lösung. DIE LINKE will einen Neustart der Europäischen Union. Die Verträge von Lissabon haben den Neoliberalismus in die Grundlagen der EU eingeschrieben. Wir brauchen eine grundsätzliche, soziale und demokratische Alternative zu dieser neoliberalen EU: mit neuen Verträgen, neuen Strukturen, neuen Hoffnungen. In allen Mitgliedstaaten muss über die neuen Verträge in Volksabstimmungen entschieden werden. Wir wollen die Finanzmärkte entmachten und den europäischen Bankensektor demokratisch kontrollieren. Im Vordergrund stehen für uns die Interessen der Menschen in Europa, nicht ein Währungssystem. Wir wollen mit der neoliberalen Wettbewerbspolitik brechen. Wir wollen die Binnennachfrage stärken und die Spekulation zurückdrängen.

Die EU kann durch Bewegung von unten, ein Aufstehen der Menschen in Europa für Demokratie und soziale Gerechtigkeit, verändert werden. Nur durch soziale Bewegungen konnten die Privatisierung des Wassers, die Bolkestein-Richtlinie verhindert werden. Nur so werden wir auch TTIP, TISA und CETA verhindern. DIE LINKE steht an der Seite der Gewerkschaften und ist Teil der sozialen Bewegungen. Wir werden in Deutschland und in Europa weiter dafür kämpfen, dass die Interessen der Menschen Vorrang vor Profit und Wettbewerb haben. Austerität für die unten, Profite für die oben? Die Macht der Banken und Konzerne brechen! Wir wollen die Kürzungsdiktate in Europa beenden. Es müssen sofort wirksame Schritte gegen Massenerwerbslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit der Jugend in den Krisenländern eingeleitet werden. Die Löhne in Deutschland müssen steigen, den deindustrialisier-


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ten Regionen Europas müssen alternative Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden. • Daher fordert DIE LINKE ein europäisches Investitionsprogramm, das vor allem auf Entwicklung im Bereich öffentlicher und sozialer Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitsversorgung und Pflege sowie einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft setzt. Zur Finanzierung wollen wir in allen EU-Staaten eine einmalige Vermögensabgabe auf Vermögen über eine Million Euro zur Rückführung der Staatsschulden. • Wir wollen die öffentliche Kreditaufnahme vom Finanzmarkt abkoppeln: Die EZB soll den Euro-Staaten in festgelegtem Rahmen direkt Geld leihen dürfen. Dabei sollen Preisstabilität und Vollbeschäftigung berücksichtigt werden. Als ersten Schritt fordert DIE LINKE die Gründung einer europäischen Bank für öffentliche Anleihen, die zu ihrer Refinanzierung Zentralbankkredite aufnehmen kann. Wir wollen eine öffentliche europäische Ratingagentur schaffen. Ratings von privaten Agenturen dürfen nicht Gegenstand von verbindlichen Regeln der EU sein.

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017

• Wir wollen öffentliche Investitionen in der EU fördern, statt mit öffentlichen Geldern private Investitionen und private Renditen abzusichern. Private Investitionsprogramme fördern die Privatisierung von Autobahnen, Krankenhäusern und öffentlicher Daseinsvorsorge. • Keine Bankenrettung auf Kosten der Gesellschaft! Die Eigentümer und Gläubiger müssen für die Banken haften. Die Einlagen von Kleinsparerinnen und Kleinsparern müssen öffentlich abgesichert werden. Sparkassen und Genossenschaftsbanken dürfen nicht für Mega-Banken haften. • Wir wollen eine Europäische Schuldenkonferenz, bei der die Staatsschulden auf ihre Legitimität und ihre Tragbarkeit geprüft und Lösungen gefunden werden, die den am stärksten verschuldeten Ländern einen Ausweg aus der humanitären Katastrophe und den Pfad zu einer nachhaltigen Entwicklung eröffnen. • TTIP, CETA, TISA und EPAs stoppen! Freihandelsabkommen heizen den Standortwettbewerb an und untergraben soziale Rechte, Umweltstandards und die Demokratie. In der Handelspolitik werden wir uns wei-

ter allen Verträgen widersetzen, die Verschlechterungen der Rechte der Beschäftigten, im Verbraucher-, Umwelt- und Klimaschutz und beim Schutz und der Förderung von Kulturgütern bedeuten. • Wir wollen den Unterbietungs-Wettbewerb – welches Land bietet dem Kapital die niedrigsten Steuern, Löhne und Sozialleistungen – unterbinden. Wir kämpfen für Mindeststandards und eine abgestimmte Besteuerung der Superreichen in Europa. Wir wollen, dass Lohndumping in der EU gestoppt wird. Lohn-, Steuer- und Sozialpolitik müssen in diesem Sinne aufeinander abgestimmt werden. DIE LINKE kämpft für einen Europäischen Mindestlohn, der bei 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns liegen muss. • Wir lehnen die Kapitalmarktunion ab, mit der die Kapitalmärkte der Mitgliedstaaten stärker miteinander verkoppelt werden. • DIE LINKE fordert gemeinsam mit den Gewerkschaften eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen. Soziale Grundrechte und die Tarifautonomie müssen Vorrang vor den Binnenmarktfreiheiten ha-

ben. Sozialstaatlichkeit muss in den EU-Verträgen neben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geschützt werden. In der Euro-Krise wurde offensichtlich: wir brauchen Mechanismen gegen die Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen. Die Exportüberschüsse der Einen sind notwendig die Schulden der Anderen. So kann kein soziales Europa entstehen! Wir wollen die Staaten auf ausgeglichene Handelsbilanzen verpflichten. Das ist im Interesse der Menschen in Deutschland, weil die Löhne steigen und die Wirtschaft stärker auf Nachfrage im Inneren statt auf Spekulation ausgerichtet wird. Und es ist im Interesse einer gerechten wirtschaftlichen Entwicklung unserer europäischen Nachbarn. • Wir wollen Steuerflucht bekämpfen: durch automatische Meldepflichten für Banken, die Möglichkeit, verdächtige Guthaben einzufrieren, Entzug von Banklizenzen für nichtkooperative Banken und verbesserte Strafverfolgung gegen Steuerhinterziehung und durch Kapitalverkehrskontrollen. Eine EU, in der Parlamente entscheiden statt Kommission und Regierungen!

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Die Regierenden der EU nutzen die Verhandlungen der Freihandelsverträge TTIP, CETA und TISA, um Rechte der Beschäftigten und den Verbraucherschutz weiter zu schleifen. Fiskalpakt und Troika schaffen weitere Eingriffsmöglichkeiten in die Entscheidungen gewählter Volksvertretungen. Statt einer im Kern undemokratischen EU wollen wir die Institutionen der EU grundlegend demokratisieren und einen Neustart für die Demokratie in Europa. Wir wollen die Rechte der Parlamente stärken. Unter den gegebenen Bedingungen dürfen keine weiteren Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert werden. Entscheidungen sollen auf den Ebenen getroffen werden, die zu am stärksten davon betroffen sind: Kommunale Angelegenheiten in den Kommunen und bundesweite Angelegenheiten in den nationalen Parlamenten. Entscheidungen in der EU müssen vom Europaparlament und den nationalen Parlamenten getroffen und kontrolliert werden, statt von der EU-Kommission oder nicht-legitimierten Gremien. • DIE EZB muss unter demokratische Entscheidungen und Kontrolle des Europäischen Parlaments gestellt werden


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statt „unabhängig“ von diesen und über der Demokratie zu stehen. Die EZB muss neben der Preisstabilität gleichrangig auf wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung verpflichtet werden. • Wir lehnen die Entmachtung der Parlamente und Eingriffe in die Tarifautonomie durch den Fiskalpakt ab. • Wir wollen EU-weite Volkbegehren und Volksentscheide ermöglichen. • Soziale Grundrechte müssen von einzelnen Personen auch beim Europäischen Gerichtshofeinklagbar sein. • Wir wollen europaweite öffentlich-rechtliche Medien und Plattformen und einen gleichberechtigen Zugang dazu für alle demokratischen politischen und sozialen Kräfte und Bewegungen. • Wir wollen die Grundrechte in Europa stärken: Keine verdachtsunabhängige Datenspeicherung und Profiling. Unter dem Vorwand der Sicherheit und des Kampfes gegen den Terrorismus werden Überwachungstechnik und Datensammlung ausgebaut und die Freiheitsrechte ausgehöhlt, die man zu verteidigen vorgibt. Das Freizügigkeitsrecht in der EU muss für Alle gelten. Die hohe Arbeitslosigkeit in Süd- und Osteuropa zwingt insbesondere junge Menschen zur Abwanderung aus Not und untergräbt echte Freizügigkeit. Wir sind gegen den Ausschluss von Arbeit suchenden Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern aus der Sozialhilfe. Stattdessen sollen sie dabei unterstützt werden, eine gute Arbeit zu finden. Alles andere bringt Armut, Verelendung und Ausbeutung hervor. Dabei muss das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gelten, um Lohndumping zu unterbinden. • Wir brauchen einen starken europäischen Datenschutz, damit der in Deutschland besser funktioniert. Das heißt zügige Umsetzung der DatenschutzReform. • Im europäischen Haftbefehl und der europäischen Ermittlungsanordnung muss das Recht auf anwaltliche Unterstützung und Übersetzung gesichert werden. Gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen Die europäischen Kohäsionsfonds und Programmen wie der Europäischen Sozialfonds (ESF)

Sonderbeilage: Wahlprogramm 2017 und der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) haben in den Mitgliedsstaaten der EU, in Regionen und Kommunen den Ausbau von technischer und sozialer Infrastruktur befördert. Das ist ein wichtiger Beitrag, um über Grenzen hinweg vergleichbare Lebensbedingungen zu schaffen. Das von uns geforderte Europäische Investitionsprogramm soll diese Fonds nicht ersetzen, sondern ergänzen: Als Bestandteil für einen sozialen Neustart der EU. • Die Kohäsionspolitik muss auch nach der laufenden Förderperiode ab 2021 weitergeführt werden. Insbesondere die südeuropäischen Länder Europas müssen weiterhin Mittel aus den Kohäsionsfonds erhalten, um bestehende Probleme vor Ort zu lösen und vorhandene Chancen besser zu nutzen. • Der Europäische Sozialfonds (ESF), der die Mitgliedsstaaten im Bereich der Beschäftigungspolitik und bei der Festlegung des sozialen Zusammenhalts unterstützt und damit zur sozialen Dimension der EU beiträgt, muss weitergeführt und weiterentwickelt werden. • Um den Rechtstrend in Europa entgegen zu wirken, muss auch die grenzüberschreitende Kooperation weiterhin Unterstützung erhalten. Das INTERREG-Programm bindet bereits zahlreiche Menschen länderübergreifend, vor allen in den Grenzregionen ein und fördert somit den europäischen Gedanken des Zusammenhalts. • Die Mittel der EU-Agrarförderung wollen wir im Sinne einer linken Agrarpolitik nutzen: Die

Exportorientierung beenden, ökologische Nachhaltigkeit, regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung stärker fördern.

beenden. Sicherheit gibt es nur mit konsequenter Friedenspolitik und Förderung globaler Gerechtigkeit statt Standortkonkurrenz.

Keine Europäische Union der Aufrüstung und Militarisierung

• Wir wollen die EU-Rüstungsagentur abschaffen.

Die Mitgliedsstaaten der NATO haben sich verpflichtet, jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Aufrüstung und Kriegsfähigkeit zu investieren. Die Antwort auf die Wahl von Trump zum Präsidenten der USA und das Brexit-Votum der britischen Bevölkerung sind auch in der EU Pläne zu weiterer Aufrüstung mit dem Ziel einer „strategischen Autonomie“. Gemeint sind: eine europäische Armee, finanziert und geführt aus der Europäischen Union. Ein gemeinsamer Rüstungsmarkt soll geschaffen und die Rüstungsindustrie europäisiert werden. Der Binnenmarkt für Verteidigungsgüter soll gestärkt werden. Dafür werden auch Förderungsmöglichkeiten für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) aus den Fördertöpfen der EU geprüft. Auf die wirtschaftlichen und sozialen Zerfallsprozesse der EU folgen militärische und sicherheitspolitische Integrationspläne. Wirtschaftliche Entwicklung wird als Rüstungsförderung betrieben. Der Ausbau einer „Verteidigungsunion“ oder „Militärunion“, die Schaffung einer europäischen Armee und andere Vorhaben der Militarisierung führen nicht zu mehr Sicherheit für die Menschen in Europa, sondern sichern Konzerninteressen militärisch ab. Wir wollen die Militarisierung der EU

• Wir setzen uns für ein EUweites Verbot von Rüstungsexporten ein. • Unser Investitionsprogramm umfasst auch Mittel für den zivilen Umbau der Rüstungsindustrie. Die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie müssen in ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Arbeitsplätze überführt werden. • EURATOM wollen wir auflösen. Bis dahin wollen wir die EU-Verträge entflechten. • Wir treten ein für eine Europäische Friedens- und Entspannungspolitik. Sichere Fluchtwege und Schutz der Menschenrechte statt Krieg gegen Flüchtlinge Es ist mit einem demokratischen und menschlichen Europa nicht vereinbar, dass Tausende von Menschen auf ihrem Weg in ein vermeintlich sicheres Europa im Mittelmeer ertrinken oder in rechtsfreien Räumen in Auffanglagern und Abschiebezentren vor den Grenzen der EU interniert werden. Wir streiten für legale und sichere Fluchtwege nach Europa. Dies würde Leben retten und das Geschäft der Schlepper unterbinden. Der aktuelle „Krieg gegen die Schlepper“ ist allzu oft ein Krieg gegen Boote voller Flüchtlinge. Repression

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und Überwachung, Entmündigung und Entrechtung ziehen sich durch die Vorschläge der Europäischen Kommission. Wir brauchen eine humanistische Asylpolitik und einen ebenso zu definierende Rahmen für Einwanderung in die EU. • Fähren statt Frontex! Frontex muss abgeschafft und durch eine koordinierte Seenotrettung in europäischer Verantwortung ersetzt werden. • Die Verantwortung, die Flüchtlinge zu schützen, darf nicht auf Drittstaaten außerhalb der EU übertragen werden. Die Pläne, in Nordafrika Asyllager zu schaffen, lehnen wir ab. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen Flüchtlinge nicht abgewiesen werden! Der von der Kanzlerin vorangetriebene EU-Türkei-Deal muss aufgekündigt werden! • Das EU-Dublin-System ist gescheitert. Wir setzen uns für ein faires und solidarisches System der Flüchtlingsaufnahme und Verantwortungsteilung in der EU ein. Ein Ausgleich soll vor allem finanziell hergestellt werden („Fluchtumlage“). Wir wollen das Prinzip der „freien Wahl des Mitgliedsstaates“ für die Geflüchteten. Durch eine Fluchtumlage werden Anreize für menschliche Bedingungen für Geflüchtete gesetzt. • Die Grenzen Europas müssen für schutzsuchende Menschen offen sein, es muss sichere und legale Fluchtwege geben. • Die EU muss der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten.


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