Kampf um Würde
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2018
Arbeitskämpfe sind ein Motor politischer Veränderung. Was heute selbstverständlich scheint, etwa die 40-StundenWoche oder die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wurde mit Streiks und Kampagnen erzwungen. Auch heute streiten Gewerkschaften für Forderungen, die über Tarifverträge und Branchen hinausweisen. PflegerInnen an der Berliner Charité und im Saarland beharren auf einer verbindlichen Personalbemessung, die IG Metall kämpfte für ein Recht auf Teilzeit mit Lohnausgleich, Amazon-Beschäftigte für einen Tarifvertrag nach Einzelhandelskonditionen und gegen Arbeitshetze und Überwachung. Dass um Arbeitsbedingungen hart gerungen werden muss, liegt in der Natur des Kapitalismus. Schon Marx formulierte, das Kapital habe die Tendenz, „sobald ihm Verlängerung des Arbeitstags ein für allemal durch das Gesetz abgeschnitten ist, sich durch systematische Steigerung des Intensitätsgrads der Arbeit gütlich zu tun und jede Verbesserung der Maschinerie in ein Mittel zu größerer Aussaugung der Arbeitskraft zu verkehren.“ Das ist in Zeiten von Arbeit 4.0 nicht anders als in der Frühphase der Industrialisierung, in der Metallindustrie nicht anders als beim Pflegepersonal im Krankenhaus. Solange der Kapitalismus besteht, müssen wir ihm die kleinsten Verbesserungen abtrotzen und dann alle Kraft aufbieten, um das Erreichte zu verteidigen. Dabei müssen Gewerkschaften und parlamentarische Linke zusammenarbeiten: Was in Arbeitskämpfen durchgesetzt wurde, muss rechtlich fixiert werden; was im Gesetz steht, muss verwirklicht werden. 8-Stunden-Tag, Entgeltfortzahlung und betriebliche Mitbestimmung sind Beispiele dafür, was sich so erreichen lässt. Schwächelt die ArbeiterInnenbewegung, kann ebenso viel verloren gehen. Als um die Jahrtausendwende die Gewerkschaften Mitglieder verloren und die SPD gegen die Interessen von ArbeitnehmerInnen Politik machte, wurden rapide arbeitsund sozialrechtliche Errungenschaften geschleift. Bei vielen wuchs das Gefühl, mit ihren
Interessen von der SPD nicht mehr vertreten zu sein. Einige kamen zur LINKEN. Doch andere wenden sich nach rechts. Rechte Listen treten bei Betriebsratswahlen an, AfD-Funktionäre laufen ungefragt auf Gewerkschaftsdemos mit, 15 Prozent der DGB-GewerkschafterInnen wählen AfD. Dahinter steckt aber nicht immer ein faschistisches Weltbild, sondern das subjektive Empfinden, AfD und Co. würden ihre Probleme kennen und ihre Sprache sprechen. Dass das AfD-Programm von Arbeitgeberinteressen geprägt ist, wird zur Nebensache. Die Nation allerdings bleibt bloß vorgestellte Gemeinschaft, geeint durch gemeinsame Identitätszuschreibungen, nicht durch gemeinsame Interessen. Die Interessengegensätze verschwinden dabei nicht, sie werden zugeschüttet und verschärfen sich. Das nährt Wut. Sie entlädt sich nicht etwa gegen das Kapital und seine Machtmechanismen, sondern gegen die Entrechteten dieser Gesellschaft: Geflüchtete, ArbeitsmigrantInnen, Erwerbslose, Obdachlose. Die „Verdammten dieser Erde“ werden gegeneinander gehetzt. Ein Kampf um Krümel statt um den Kuchen. DIE LINKE muss in und mit den Gewerkschaften Position beziehen: Für den Zusammenhalt der Belegschaften, für gute Arbeit, für Streit- und Streiklust statt Krötenschlucken. Linke Politik heißt, der Wut eine Richtung zu geben. Strukturen zu bekämpfen und nicht Menschen. Interessengegensätze sichtbar zu machen, statt sie zuzuschütten. Mit den Beschäftigten vor Ort in ihrer Sprache zu sprechen, ohne einfache Antworten zu geben. DIE LINKE muss deshalb Arbeitskämpfe als Impulsgeber nutzen, um Visionen zu entwickeln und konkrete Verbesserungen durchzusetzen. Aus solchen Auseinandersetzungen kann für die Beschäftigten Selbstbewusstsein erwachsen, das nicht auf der Abgrenzung beruht. Sondern auf der Erfahrung, dass, wer für seine Interessen einsteht, sich seine Würde selbst zurückgibt. • Sabine Zimmermann, MdB und Cornelia Falken, MdL
Links! 04/2018 Herr Tennler, was ist das größte bildungspolitische Problem in Sachsen? Der Lehrermangel. Der Begriff wird zwar inflationär gebraucht, aber es verbirgt sich nichts anderes dahinter, als dass seit über 20 Jahren Sparmaßnahmen durchgezogen wurden zulasten der perspektiven Bereitstellung von Lehrern. Das trifft derzeit vor allem den Grundund Oberschulbereich. Was sich später an den Gymnasien abspielen wird, weiß man noch nicht. Dort wird es auch zu Problemen kommen? An der Abwanderung der Absolventen wird sich nicht viel ändern. Es ist einfach eine Frage des Alters. Ich war zum Tag der offenen Tür an einem Gymnasium, und der Schulleiter hat mir – ziemlich emotional – gesagt, dass er riesige Probleme auf sich zukommen sieht. Aktuell ist zum Beispiel ein Mathelehrer krankheitsbedingt ausgefallen, und er kann den definitiv nicht ersetzen. Gemeinhin gelten die Gymnasien als die Schulart mit den kleinsten Schwierigkeiten. Das kann man nicht verallgemeinern, man muss den konkreten Fall sehen. Das Dilemma, in dem wir stecken, ist einfach, dass viele Eltern längst abgeschaltet haben. Sie finden sich mit der Situation ab und versuchen ihr Kind so gut wie möglich durchzuschleusen. Mich interessiert nicht, warum Unterricht ausfällt. Mich interessiert, dass registriert wird, dass er ausfällt. Es nützt mir nichts, wenn ein Lehrer durch die Gegend gejagt wird, der ständig nur Vertretung macht, und der Schüler am Ende gar keinen Bezug mehr zu dem Lehrer hat, alleingelassen wird und irgendwann bei der Prüfung große, runde Augen kriegt, weil er von dem, was dort steht, noch nie was gehört hat. Nun reden in der sächsischen Bildungspolitik alle über Lehrermangel. Wenn man ständig über Geld und Stellen diskutiert, kommt man nicht dazu, über die Bildungsqualität an sich zu sprechen. Genau. Es traut sich ja auch niemand, wirklich mal Stellung zu beziehen. Das wäre am Ende sicher ein vernichtendes Urteil über etliche Schulen. Es gibt Schulen, an denen es noch funktioniert, weil sie den Lehrermangel noch nicht so stark spüren, aber irgendwann ereilt er sie dann doch. Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, dass Frank Haubitz nach nur 56 Tagen wieder entlassen wird? Das ist für mich ein Aushängeschild von Politik, Macht, ich weiß gar nicht, ob es dafür schon einen Begriff gibt, wie in der CDU mit Personal umgegangen wird, das vielleicht noch ein kleines bisschen die Richtung halten will. Ich bin ganz vorsichtig, was diesen neuen Ministerpräsidenten betrifft. Ich habe ihn zwar kennengelernt bei einer Klausur des Landeselternrates, aber ich habe da kein gutes Gefühl. Ich glaube, bei der CDU wäre ein ganz anderer Schritt nötig gewesen, erstmal zu sagen: Wir entschuldigen uns in aller Form für unsere fehlentwickelte Bildungspolitik, an deren Ende wir nun stehen und erkennen müssen:
Links! im Gespräch
„Der Opportunismus wird immer unerträglicher“ Reiner Tennler aus Annaberg-Buchholz ist Vorsitzender des Ausschusses für Grundschulen beim Landeselternrat. Kevin Reißig hat mit dem Familienvater über Lernen und Lehren gesprochen.
Das und das und das funktioniert nicht, weil wir auf andere Dinge Wert gelegt haben. Bis heute wird das alles beiseitegeschoben von den Ministerien, die sich ja hinter der Politik verstecken. Das sind alles Beamte, seit zig Jahren die gleichen Leute. Vielleicht kann man es ganz kurz ausdrücken: 25 Jahre eine Partei – da sind wir wieder in der DDR angekommen. Wahrscheinlich ist der Mensch auch gar nicht dazu geeignet, konstruktiv über sein eigenes Wirken nachzudenken. Der Opportunismus wird immer unerträglicher. Michael Kretschmer gibt sich dialogorientiert, lösungsbereit, als dynamischer Regierungschef. Nehmen Sie ihm das ab? Ich muss da abwarten, ich würde das jetzt noch nicht einschätzen. Aber wie will man das Thema überhaupt angehen? In jedem Bundesland fehlen tausende Lehrer. Das Thema könnte man ja nur über den Bund angehen, und solange man sich sträubt, endlich dieses Kooperationsverbot abzuschaffen, wird das nichts. Das ist das erste, was fallen muss. Natürlich muss man bundesweit über Lehrermangel reden. Dem neuen Kultusminister Christian Piwarz wird vorgeworfen, seine bildungspolitische Kompetenz beschränke sich darauf, schulpflichtige Kinder zu haben. Was erwarten Sie von ihm? Er müsste in der eigenen Partei die Entwicklung der Bildungspolitik zunächst einmal aufarbeiten. Er könnte sich zwei, drei geeignete Leute suchen, dazu könn-
te zum Beispiel auch mal ein Elternvertreter gehören, da stelle ich mich gern zur Verfügung. Klar ist aber: Wir brauchen eine bundesweite Strategie. Niemand kann hier in Sachsen am Thema Lehrermangel tatsächlich etwas verändern, und mit Verbeamtung gleich gar nicht. Es gibt viel zu viele Ausschlüsse, außerdem bin ich ein absoluter Gegner von Klientelpolitik. Die Koalition hat sich nun auf die Verbeamtung geeinigt. Keine Lösung aus Ihrer Sicht? Nein. Man muss sich einfach mal damit beschäftigen, welche Gruppierungen dort rausfallen – Seiteneinsteiger, Teilzeitbeschäftigte, auch Lehrer, die an Schularten unterrichten, für die sie keine Ausbildung haben. Da bleibt eine kleine Gruppe übrig, und die, die von der Uni kommen. Aber ist das gerecht gegenüber denen, die seit 20, 30 Jahren im Job sind? Die Unbeweglichkeit der Kultusbürokratie ist sicher mitschuldig am Problem. Es wird nur zweimal im Jahr eingestellt, nicht alle Stellen werden schulscharf ausgeschrieben. Die Einstellungspolitik müsste „kundenfreundlicher“ werden. Oder? Ja. Das ewige Verfolgen alter Pfade entsteht ja aus dieser ewigen Machtposition. Natürlich richten sich die Leute, die dort arbeiten, auf diese Form der Macht ein, und keiner kommt auf die Idee, zu sagen: Leute, können wir das mal ein bisschen anders machen? Wir sind zwar ein demokratisches Land, vom großen
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Rahmen her, aber im Detail geht es immer nur um Abhängigkeiten, wie das eben unter Menschen ist. Das Schulsystem steckt in der Krise. Sollte man da wirklich große Umwälzungen angehen, wie das längere gemeinsame Lernen? Natürlich ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, weil der Punkt erreicht ist, an dem man nicht mehr vorwärts kommt. Aber ich erwarte das nicht von den Leuten in der Regierung, die sind zu weit weg von Entscheidungen, die die Zukunft bedeuten können. Der Verein „Gemeinsam länger lernen in Sachsen“ wird möglicherweise einen Volksantrag starten. Wie finden Sie das? Ich bin voll dafür, keine Frage. Das wäre ja schon mal ein Startpunkt, um zu sagen: Wir setzen einen neuen Rahmen. Den Verein gibt es seit vielen Jahren – schon daran sieht man, wie restriktiv unsere Herrschenden agieren. Es findet kein wirkliches Gespräch statt, wo ein Miteinander erkennbar wäre, das erkennen wir auch als Elternvertreter. Man wird als Feigenblatt benutzt, aber es gibt kein ergebnisoffenes Gespräch. Ich sehe die ganze Konstruktion Landeselternrat kritisch, die ist auch politisch herbeigeführt worden. Es gibt keine freie Elternvertretung in Sachsen. Das ist eine im Gesetz festgeschriebene Struktur, die nicht dazu beiträgt, dass freie Gedanken sich etablieren können. Wie steht der Landeselternrat zu dieser Initiative? Die meisten, die sich damit beschäftigen, können sich der Sache gar nicht verschließen. Denn es geht um den sozialen Frieden, der auf wackligen Füßen steht. Auf jedem Marktplatz muss sich jemand finden, der sich eine Woche lang hinstellt und Unterschriften sammelt. Anders wird es nicht gehen, man muss auf die Menschen zugehen und ihnen klar machen, dass es wichtig ist, dass die Kinder viel länger zusammenbleiben. Schon damit sie soziale Verbindungen knüpfen können, die dann vielleicht sogar ein Leben lang halten. Und damit sie genug Zeit haben, herauszufinden, was in ihnen steckt. Wir verschenken momentan viel Potential. Was entgegnen Sie der Behauptung, längeres gemeinsames Lernen sei die Rückkehr zur DDR-Einheitsschule und drücke leistungsstärkere Schüler runter? Das ist totaler Schwachsinn. Was stellt sich denn die CDU unter „leistungsstärkste Schüler“ vor, was wollen sie mit diesem Menschen erreichen? Ich glaube, gute Manager und gute Chefs brauchen eine ausgeprägte soziale Ader, und sie werden immer darauf achten, dass ihre Belegschaft ein Wohlstandsniveau erreicht, bei dem einerseits das Interesse für die Firma nicht verloren geht und andererseits immer geschaut wird: Wie geht es dem anderen? Nur das schafft ein Klima im Unternehmen, womit alle irgendwie klarkommen können. Die Vision kann doch nur sein, Ökologie, Ökonomie und das soziale Miteinander zu vereinbaren. Sonst weiß die Generation, die heute in die Schulen kommt, am Ende nicht mehr: In welche Gesellschaft wachse ich eigentlich rein?
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Die dritte Seite
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Ist das Kultur oder kann das weg? Über kaum eine Unternehmensbeteiligung des Freistaates Sachsen wurde in den letzten Jahren so viel diskutiert und gestritten wie um die „Manu“, wie die Porzellanmanufaktur (noch) liebevoll von den Meißnerinnen und Meißnern genannt wird. Der Begriff „Beteiligung“ ist in diesem Zusammenhang für Ottonormalverbraucherin und Ottonormalverbraucher wohl irreführend– suggeriert er doch, dass es sich um ein Unternehmen im Besitz mehrerer Eigentümerinnen und Eigentümer handelte. Dem ist mitnichten so – die SPM gehört zu 100 Prozent dem Freistaat Sachsen und somit uns allen, und steht gerade deshalb unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck. Über diese Beteiligung wurde schon viel geschrieben – besonders über die größenwahnsinnigen Ausflüge des ehemaligen Geschäftsführers Christian Kurtzke in das „Luxus-Nippes“Geschäft, zudem die Klagewelle, mit der der übereifrige Syndikus Bremer im Rahmen mehrerer Markenrechtsstreitigkeiten die halbe Stadt überzogen hat, und vor allem in letzter Zeit die vielen Millionen Euro, allein 28 im Jahr 2017, die der Freistaat in das Unternehmen pumpen musste, um den Geschäftsbetrieb zu sichern und den Kurtzke-Bremer-Scherbenhaufen zusammenzukehren.
und Bürgern, die hier Geldverschwendung und gar Insolvenzverschleppung wittern. Zugegeben: Im privaten Markt und Konkurrenzkampf würde es die Manufaktur wohl schon lange nicht mehr geben, beziehungsweise wäre sie, wie viele ehemalige Mitbewerber, entweder zu einem wertlosen Markennamen verkommen oder würde Alltagsgeschirr für den Massenmarkt herstellen.
berechtigte Frage, die wir nicht laut genug stellen können. Denn wenn wir, wenn sich der Freistaat und wenn sich die SPM dazu durchringen könnten, diese Frage mit „Ja, das ist Kultur!“ zu beantworten, würden wir uns endlich auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich machen und kämen gar nicht erst in die Bredouille, Subventionen für dieses Unternehmen rechtfertigen zu müssen.
Bei der Manufaktur geht es aber um etwas anderes. Sie ist ein wichtiger Teil der sächsischen Geschichte und unserer Kultur, und sie bewahrt für kommende Generationen den Schatz eines unvergleichlichen Kunsthandwerks, der unbezahlbar ist. Ist das Kultur oder kann das weg? – Das eine
Kultur kostet Geld – man muss sie sich leisten wollen. Und in Sachsen wollen wir das – wir leisten uns Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten, eine Staatsoper und die weltberühmte Staatliche Kunstsammlung in Dresden, alles Unternehmungen, mit denen man keinen Gewinn macht. Und
So steht für uns LINKE fest: Es ist der falsche Weg, auf Teufel komm raus den schwarzen Zahlen hinterher zu rennen. Die Manufaktur sollte das tun, wofür sie einmal gegründet wurde – hochwertiges künstlerisch von Hand bemaltes Porzellan herstellen und dies im Zweifelsfall zur Bewahrung dieses Kulturguts auch mit Hilfe aus der Staatskasse. Die Fehler liegen in der Vergangenheit. Wenn sich die Manufaktur nun auf den Weg macht, diese Fehler zu beheben und das zu tun, was wir immer gefordert haben, dann müssen wir in den sauren Apfel beißen und diese Kurskorrektur auch finanziell unterstützen.
Hier beginnt nun neues Ungemach. Der Unternehmer Dietmar Wagenknecht aus der Lausitz steht exemplarisch für eine Reihe von Bürgerinnen
• Tilo Hellmann
Von den Iden des März Die Iden eines jeden Monats waren bei den Römern der Antike Feiertage. Sie fielen jeweils auf den 13. oder 15. Tag des Monats und richteten sich nach dem Mondviertel. Wegen des 15. März im Jahr 44 vor unserer Zeitrechnung galten sie später aber auch als Metapher für drohendes Unheil. An diesem Tag war Gaius Iulius Caesar ermordet worden. Solches Unheil schwante in den Märztagen 1938 auch dem damaligen klerikal-faschistischen österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg. Die Katastrophe deutete sich massiv schon am 12. Februar an, als der deutsche Diktator Adolf Hitler den österreichischen Diktator böse demütigte und Österreicherinnen und Österreichern jeglichen positiven Einfluss auf die deutsche Geschichte absprach – bis zu seinem Auftauchen natürlich. Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 war nicht mehr zu vermeiden. Österreichische Politik, Kunst und Medien erinnerten sich im März sehr ausführlich des nun 80 Jahre zurückliegenden Ereignisses, seines Verlaufs und seiner Folgen. Im Herbst wird dann das 100jährige Jubiläum der Gründung der Republik Österreich zu feiern sein. Diese Repub-
auch außerhalb des Kultursektors sind die Beteiligungen Sachsens im Wesentlichen defizitär. Die Sächsische Haushaltsordnung schreibt in § 65 vor, dass der Freistaat Sachsen sich nur an Unternehmen privaten Rechts beteiligen darf, wenn u.a. „[…] ein wichtiges Interesse des Staates vorliegt und sich der vom Staat angestrebte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt […]“. Eine Privatisierung unserer Kulturgüter, wie sie in Bezug auf die Manufaktur schon so manches Mal gefürchtet oder gar gefordert wurde, können wir schon deshalb nur ablehnen. Unsere Kultur gehört uns allen und darf nicht ausschließlich Wirtschaftlichkeitsüberlegungen unterworfen werden – dies gilt für alle Bereiche!
lik war der deutschsprachige Rest der einstigen sogenannten Donaumonarchie. Sie verstand sich von Anfang an als zweiter deutscher Staat. Der Anschluss an Deutschland sollte Verfassungsgebot werden. Die Siegermächte wollten ihn nicht und verhinderten ihn. Hitler vollzog ihn – mit den Weihen der katholischen Kirche und der Empfehlung führender Sozialdemokraten wie dem ersten Staatskanzler Österreichs und dem ersten Bundespräsidenten der 2. Republik, Karl Renner. Man nannte den Anschluss im Gesetz verhüllend „Wiedervereinigung“. Nach 1945 gab es kaum jemanden, der oder die mit den Nazis was zu tun hatte. Das Land war erstes Opfer von Hitlers Aggressionsgelüsten gewesen. Das war Staatsdoktrin. Im Jahre 1938 sah es anders aus. Die illegalen Nazis krochen aus ihren Löchern. Schon vor dem 12. März wehten die Hakenkreuzfahnen von allen Masten und aus allen Fenstern. Die Massen jubelten und über 99 % der Stimmberechtigten legalisierten den Anschluss mit ihrem „Ja“ bei einer Volksabstimmung. Die Hatz auf Juden und Andersdenkende, auf politische Gegner begann sofort. Sie war brutal, zynisch und total. Das
ermunterte den derzeitigen österreichischen Bundespräsidenten zur Aussage, Österreicher seien nicht nur Opfer gewesen, sondern auch Täter. Nun, die umgekehrte Reihenfolge wäre wohl richtiger, Österreicher waren nicht nur Täter, ein Teil von ihnen waren auch Opfer. Sei’s drum.
Wichtiger scheint mir die Passage in der Rede des Präsidenten, es sei zwar die Wehrmacht über Nacht gekommen, aber „nicht über Nacht kamen die Verachtung für die Demokratie, der Militarismus, Intoleranz und Gewalt. Sie hatten sich schleichend in Österreich eingenistet.“ Gilt das nur für 1938 und davor? In Österreich regiert seit Dezember eine sogenannte rechtskonservative Regierung. Ein junger Bundeskanzler, hervorgegangen aus der konservativen ÖVP, in der Partei quasi alleinbestimmend, steht
ihr vor. Ein Vizekanzler, sozialisiert in einer deutsch-nationalen Burschenschaft und zugehörig der FPÖ, steht ihm zur Seite. Die FPÖ, vormals als „Wahlpartei der Unabhängigen“ bezeichnet, war das Sammelbecken ehemaliger Nazis. Ähnliche Entwicklungen gibt es in immer mehr europäischen Staaten. Nationalismus, Ruf nach dem „Starken Mann“, vor allem aber Rassismus und Ausländerfeindlichkeit breiten sich aus. Verharmlosen wir nicht den Holocaust. Verharmlosen wir nicht die Menschenjagden in der „Ostmark“ der ersten Tage, wo man Juden mit Zahnbürsten die Gehsteige von Losungen der alten Regierung reinigen ließ, durch unzulässige Vergleiche. Aber gibt es nicht schon wieder Ermordung von Ausländern durch einen „Nationalsozialistischen Untergrund“? Gibt es nicht die „Gruppe Freital“, deren Mitglieder nur von Glück sagen können, dass sie nicht zu Mördern wurden? Hängt nicht an vielen Grenzen das unsichtbare Schild „Ausländer unerwünscht“? Gibt es nicht die Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen und gibt es nicht beflissene Politiker und Politikerinnen, die Abschiebungen, Benachteiligungen und Diffamierung ausländischer Menschen zu ihrem Markenzeichen machen? Es hat sich schon wieder etwas eingenistet.
Hintergrund
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Brennpunkt Seidenstraße Jour fixe diskutiert aktuellen Mythos und orienthistorische Realitäten. Von Wulf Skaun
Diesem aktuellen Mythos spürt der Mediävist und Arabist Gerhard Hoffmann nach. In der März-Runde des 32. unkonventionellen Gesprächskreises Jour fixe an der Leipziger RLS verbindet er die neue spekulative Interpretation mit historischen Bezügen auf die alten Seidenstraßen bis zur Neuzeit. „Hoffmanns Erzählungen“ bieten dem zuhauf versammelten Publikum eine Mischung von Exotik und Sachlichkeit. Namen orientalischer Perlen an der jahrhundertealten Seidenstraße wie Buchara und Samarkand wecken bunte Emotionen gleich den Märchen aus 1001 Nacht. Beschreibungen der Routen auf den vielfach vernetzten, geostrategisch immer höchst bedeutsamen Seidenstraßen, der auf ihnen tätigen Händler und der Güter, aber auch Kulturen, Religionen, Techniken und Erfindungen vermitteln erstaunliche Einblicke in eine ferne
Welt, eingeordnet in Zusammenhänge zeitgenössischer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Gerhard Hoffmanns facettenreiche Zeitreise bis in die Anfänge der Karawanenwege und zurück ins Heute entlockt Altrektor Horst Hennig höchste Lobestöne, eine „welthistorische Lehrfahrt“ erlebt zu haben. Da hat der Referent schon diskurstüchtige Problemfragen aufgeworfen, die den Bogen von alten zu neuen Seidenstraßen schlagen. An einer entzündet sich die Debatte besonders: Führt die Seidenstraße als „Herz der Welt“, wie es Frankopan prophezeit, auch zur Schwächung des „Eurozentrismus“, zu Europas Ablösung als phasenweise hoch entwicklungsdynamische Kraft der neuen Weltgeschichte? Monika Runge sieht in der Veränderung der globalen wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse zugunsten
Chinas mehr Chancen als Nachteile für die Europäische Union, wenn diese in eigenem Interesse die Angebote des asiatischen Riesen zur Kooperation nutze. Besonders angeraten, da sich die amerikanische Führungsfunktion in der Welt, durch Trumps Abschottungspolitik noch beschleunigt, zurückbilde. Arnd Krause mag einer bipolaren Sicht Orientalismus versus Eurozentrismus nicht folgen. Die Neue Seidenstraße werde unvergleichlich größere Dimensionen als ihre historische Vorgängerin haben und sei ohne Einbeziehung Afrikas nicht denkbar. Aus dem Blick dürften auch der Nahe Osten und der eurasische Raum mit Russland nicht geraten. Europas Rolle im Seidenstraßen-Projekt bliebe also noch unklar. Adelheid Latchinian gibt zu bedenken, ob der Eurozentrismus unbesehen zu verteidigen sei. Die nationalen Egoismen in der EU gefährdeten das schöne Projekt Europa, ohne dass es fremde Mächte brauchte. Klaus Kinner fügt
Foto: Lommes / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
Xi Jinping hat einen Traum. Als nunmehriger Präsident von eigenen Gnaden hat Pekings mächtigster Mann noch bessere Karten, seine Vision von der „großen Wiederauferstehung der chinesischen Nation“ wahrzumachen. Ein Weg heißt „Neue Seidenstraße“. Als „Jahrhundertprojekt“ geplant, möchte Xi entlang der Routen vorneuzeitlicher „Seidenstraßen“ zu Lande und zu Wasser zwischen Zentralasien, Afrika und Europa moderne Handelskorridore aufbauen. Bei dem 2013 eingeleiteten Vorhaben geht es hauptsächlich um Häfen, Straßen und Bahnstrecken. Wird diese Strategie, für die Xi intensiv um Partner wirbt, zum zentralen Bezugspunkt einer „neuen Geschichte der Welt“, wie sie der in Oxford lehrende Historiker Peter Frankopan in seinem Buch „The Silk Roads“ geradezu heraufbeschwört? Bricht das chinesische Zeitalter an?
an, auch das politische System Europas sei, demokratietheoretisch betrachtet, nicht das Maß der Dinge. Als in die Debatte geworfen wird, dass Gefahr von Chinas möglicher Absicht drohe, seine wachsende wirtschaftliche Stärke machtpolitisch zu instrumentalisieren, um Europa zu dominieren, stoßen widersprüchliche Argumente aufeinander. Mit dem Rückzug der USA als Schutzpatron sei Europa ins Fadenkreuz des Großreiches geraten, dessen Übermacht es auf Dauer nicht standhalten werde. So viel kritische Distanz verwundert Horst Hennig. Er verfolge die Entwicklung Chinas und die Neue Seidenstraße als spannendes Experiment. Mit diversen Fakten und Zahlen, insbesondere aus Direktvergleichen mit den USA, begründet Roland Wötzel, warum China in der heutigen Welt „entwicklungsdynamisch“ einsame Spitze sei. Diese Position habe Xi bewogen, nicht nur auf globalen Märkten mitzuspielen, sondern selbst solche aufzubauen. Die neue Seidenstraße diene diesem Konzept. Auch er sehe eher kooperative Beziehungen mit Europa, da sich die Wirtschaftsprofile Chinas und der EU ergänzten. Nach 14 Wortmeldungen bläst Moderator Manfred Neuhaus zum Finale. Gerhard Hoffmann wertet zum Schluss Chinas Seidenstraßen-Initiative als ergebnisorientierte Strategie zweiseitiger Abkommen mit möglichst vielen Partnern, die multilaterale Abstimmungshürden mit ihren unvermeidlichen Zeitverzögerungen umgehe. Derzeit stoße sie in der EU und in den USA auf Gegner wie Befürworter. Brennpunkt Seidenstraße: Mythos oder Realität? Das gigantische Projekt bleibt spannend.
Fast 9.000 Hartz IV-Sanktionen in Sachsen Sozial-Skandal des Monats Mit Spannung wurde das Abstimmungsergebnis der SPD über die Neuauflage der Großen Koalition erwartet. Mit rund 66 Prozent war die Zustimmung überraschend hoch. Entsprechend groß waren auch die Erwartungen an den Koalitionsvertrag, der laut Martin Schulz einen „sozialdemokratischen Stempel“ tragen werde. Doch diese Erwartungen wurden bitter enttäuscht. So findet sich im Bereich Soziales keine einzige Passage über das unsoziale Hartz-IV-System. Nicht ein einziges Wort! Und das obwohl im Februar 2018 über sechs Millionen Menschen in Deutschland von dieser Leistung „lebten“. In Sachsen bezogen etwas weniger als 300.000 Menschen Leistungen nach SGB II.
Auch Kinder leiden unter der Armut und werden dazu von Jens Spahn verhöhnt, kritisiert Susanne Schaper
Als ob es nicht schlimm genug ist, dass sich im Koalitionsvertrag gar nichts zu dem Thema findet, müssen sich die Hartz-IV-Betroffenen auch noch vom neuen Bundesgesundheitsminister verhöhnen lassen, der meint, dass Menschen im Hartz-IV-Bezug nicht arm seien. Das von einem Mann zu hören, der seit seinem 22. Lebensjahr auf Kosten des Steuerzahlers gut bezahlt in Parlamenten sitzt und als Bundesgesundheitsminister über 15.000 Euro im Monat bekommt, ist eine schallende Ohrfeige für jeden Betroffenen. Eine solche Aussage von einem Bundesminister ist ein Skandal. Ein nicht minderer Skandal ist jedoch, dass die Sanktionierung der Mindestsicherung immer noch gängige Praxis ist. So waren im September 2017 in
Sachsen 8.820 Bedarfsgemeinschaften von mindestens einer Sanktion betroffen. Das entspricht einem Anteil von 3,8 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (LandtagsDrucksache 6/12177). 2012 lag diese Quote bei „nur“ 2,8 Prozent. Spitzenreiter in dieser unsozialen Disziplin war Leipzig mit 2.355 sanktionierten Leistungsbeziehern (Anteil an allen Erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 4,9 Prozent). Besonders schlimm: Auch Kinder leben in Bedarfsgemeinschaften, die von Sanktionen betroffen waren. Und zwar nicht wenige. So wurden insgesamt 2.389 Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einer Sanktion belegt, davon 1.215 Alleinerziehende und 1.174 Paargemeinschaften. Kinder, die ohnehin schon unter der Armut leiden, die der Bezug von
Hartz IV schlichtweg bedeutet, werden auch noch Opfer der unsozialen Sanktionspraxis. Und das nur weil ihre Eltern sich nicht an die willkürlichen und gängelnden Auflagen der Bundesagentur für Arbeit gehalten haben. Leider wird sich daran auf der Bundesebene auch in den nächsten dreieinhalb Jahren wohl nichts ändern. Ein Ende von Hartz IV kann es nur mit uns in einer Bundesregierung geben. Nächstes Jahr wird in Sachsen der Landtag neu gewählt. Vielleicht ist das eine neue Chance, in Sachsen zumindest die Folgen von Hartz IV und Armut durch einen Lebenslagenreport zu veranschaulichen, damit die Betroffenen nicht noch länger Opfer von Repressionen und staatlichem Desinteresse werden.
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Bundesverwaltungsgericht und Leipziger Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Am 28. Februar 2018 erleben die ortsnahen, aber sonst so ungleichen Adressen einen historischen Doppelauftritt. Hans Modrow kann seine Genugtuung über das am Nachmittag im Justizpalast erstrittene Recht, Einsicht in seine BND-Akten zu erhalten, schon am frühen Abend im Domizil des linksdemokratischen Bildungsvereins äußern. Stiftungsvorsitzender Peter Porsch hat die einmalige Chance genutzt, den Politiker der Linkspartei zum ersten Forum nach dessen Anfangserfolg im Rechtsstreit um seine jahrzehntelang dokumentierte Ausspähung durch westdeutsche Geheimdienste einzuladen.
Zum 8. März
Linker Avantgardist auch noch mit 90 Hans Modrow stiftet Unruhe in Justiz und eigener Parteiführung. Von Wulf Skaun
Da ist er also, der legendäre letzte SED-Regierungschef der DDR, der der unerwartet jähen Wendung, mit der Gorbatschow den „kleinen Bruder“ preisgegeben hatte, am 1. Februar 1990 mit seinem selbstbestimmten Konzept „Für Deutschland einig Vaterland“ Rechnung trug. Der mit seinem Baulandgesetz vom 7. März 1990, besser als „Modrow-Gesetz“ bekannt, DDR-Bürger im letzten Moment berechtigte, Grund und Boden ihrer Eigenheime preiswert zu erwerben, ehe kapitalträchtige westwärtige Spekulanten zuschlagen konnten. Die Forumsgäste, die den linksdemokratischen Avantgardisten zumeist nur aus dem Fernsehen kannten, erleben nun hautnah einen konzentrierten 90-Jährigen, der von seinem alten Kampfgeist und seinem „Kümmerer“Naturell im Dienste der einfachen Leute nichts eingebüßt hat. Denn das macht Hans Modrow auf Peter Porschs Eingangsfrage nach den Gründen seines Ringens um Herausgabe seiner Akten sofort und unmissverständlich klar: Er sehe sich als prominenter Wegbereiter für jene 71.500 Bürger, die gleich ihm von Bundesnachrichtendienst, Bundesverfassungsschutz und anderen WestGeheimdiensten bespitzelt wurden. Sie
sollten ebenfalls das Recht erhalten, sich Einsicht in die über sie angelegten Dossiers zu verschaffen. Über diese juristische Vorleistung hinaus wolle er sich für eine ausgewogene Geschichtsschreibung starkmachen, die als Pendant zu den Berichten über die StasiPraktiken und deren Akten die Tätigkeit der geheimdienstlichen Organisationen des Westens und deren archivierte Befunde in den Blick nähme. In die Erinnerungskultur müsse endlich gleichberechtigte „Zweiheit“ einziehen. Was sich in der Verhandlung vor dem 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes über viereinhalb Stunden hingezogen
hatte, fasst der streitbare Ankläger für den Gesprächskreis in komprimierter Form zusammen. Nicht ohne zu betonen, dass sein beispielloses Auskunftsersuchen auch die obersten Verwaltungsrichter vor Entscheidungen stellt, für die es keine Erfahrungsmuster gibt. Modrow weiß, er hat (noch) nicht alles erreicht, jedoch Unruhe in die bundesdeutsche Justizlandschaft gebracht. In der Diskussion wird sich zeigen, dass diese Beschreibung auch ganz gut für seine politische Heimat passt. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ältestenrates der Linkspartei wird er gefragt, ob er für sein Ringen um
04/2018 Links! Akteneinsicht eigentlich Rückenwind aus den eigenen Reihen hatte. Schließlich, gab der Frager zu bedenken, könne das mindestens bei jenem Teil der Linkspartei-Führung zu Unmut führen, den er, Modrow, in Zeitungsinterviews als „im Establishment angekommen“ kritisiert habe. Der erfahrene Politiker pariert mit offenem Visier. Ja, das Akteneinsichts-Projekt habe der damalige Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi mit in Gang gesetzt, ob er es aber in seiner Fraktion „durchkriege“, hätte er nicht versprechen können. Später sei Dietmar Bartsch „sein Partner“ gewesen. „Ihre Bemerkung über die Parteiführung zielt aber sicher auf das Bild, das ich und meine Genossen im Ältestenrat derzeit von ihr haben“, lässt sich der Gast auch auf ein Statement jenseits der speziellen Aktenproblematik ein. Wer führe die Linke? „Zwei leiten die Partei, zwei leiten die Fraktion, aber die, die die Partei leiten, wollen auch im Parlament mitreden.“ Solche machtpolitischen „Spielchen“ führten zu Unverständnis und Verunsicherung an der Basis. Seine Hauptkritik an den Linken aber gelte ihrer Gesellschaftspolitik „von oben“. Sie habe ihre einstige Position als Kümmerer im Alltag, vor allem um die Interessen der Ostdeutschen, weithin aufgegeben. Vertrauensverlust sei die Folge. Die frühere PDS habe den Osten stärker vertreten. „Im Ältestenrat diskutieren wir diese Situation konstruktiv-kritisch. Und dass unser Wort an der Parteibasis gefragt ist, beweisen zahlreiche Anfragen an uns, zu Gesprächen vor Ort zu kommen.“ Warmherziger langer Applaus signalisiert Hans Modrow, dass sowohl seine Pioniertat in Sachen Akteneinsicht als auch seine innerparteiliche Kritik die Zustimmung der Anwesenden haben. Nicht zuletzt auch daran zu sehen, dass der Avantgardist mit 90 noch viele Male sein Autogramm in die druckfrische Broschur „Ich will meine Akte!“ setzen muss. Darin ist die jahrelange Vorgeschichte bis zur schließlich zugelassenen Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht dokumentiert.
Echt jetzt? Lifestylefokussierung? Katja Kipping über „Das Elend der Sozialdemokratie“ von Peer Steinbrück Peer Steinbrück hat ein Buch geschrieben. Erinnern wir uns: Eben jener Peer Steinbrück, der zusammen mit Gerhard Schröder in der SPD die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze durchgedrückt hat; eben jener Mann, der als Kanzlerkandidat 2013 seine Partei zu damals historischen Tiefen führte (wohlgemerkt DAMALS historisch.) Das Buch trägt den Titel „Das Elend der Sozialdemokratie“. Peer Steinbrück – Das Elend der Sozialdemokratie. Das klingt nach viel, viel Selbstkritik. Ist aber nicht so gemeint. (Ob dem Setzer der Titelseite die Ironie des Layouts aufgefallen ist, wissen wir nicht.) Was wir aber wissen können ist, dass Peer Steinbrück glaubt, die Ursachen für die Schwäche der SPD gefunden zu ha-
ben: „Vielfaltseuphorie“ und „Lifestylefokussierung“. Das sind Worte, die bombastisch wirken und wahrscheinlich auch innovativ klingen sollen. Letztlich sind sie aber vor allem eins: die etwas vornehme und verklausulierte Form zu sagen, Feminismus und Antirassismus und all der Einsatz für Minderheiten sind schuld an der Schwäche der SPD. (Andere drücken das etwas weniger vornehm aus, wenn sie vom „Genderwahn“ oder von „grün-versifft“ reden.) Frauenrechte und Flüchtlingssolidarität sind also schuld. Na, das ist doch mal eine These! Innovativ ist daran allerdings gar nichts, denn für welches Problem müssen Frauen und Flüchtlinge eigentlich gerade nicht als Sündenböcke herhalten? Da beschwert
sich einer über die „Lifestylefokussierung“ seiner Partei, der mit Hartz IV Millionen Menschen Armut und soziale Isolation als „Lifestyle“ aufgedrückt hat. Da wettert einer über die Lifestylefokussierung, dessen Lebensstil nach eigenem Bekunden guten Pinot Grigio nicht unter 8 Euro vorsieht. Ich meine, nicht der Einsatz für Frauenrechte oder Minderheiten ist schuld am Niedergang der SPD, sondern eine Politik, die Armut zementiert und zugleich Superreiche und Konzerne vor höheren Steuern beschützt. Kurzum eine Politik, wie sie von Männern wie Peer Steinbrück jahrelang durchgesetzt wurde. Das einzig Faszinierende daran ist, dass solche platten Thesen immer noch von Männern im Brustton des
Bedeutungsschwangerem vorgetragen bzw. aufgeschrieben werden. So als ob er da was ganz Neues herausgefunden hat. Dabei käut er nur wieder, was heute all die Internet-Trolls täglich im Netz verbreiten. Über die Ursachen der Schwäche der Sozialdemokratie nachzudenken, wäre in der Tat eine verdienstvolle Sache. Womöglich könnte dieses Nachdenken zu der Erkenntnis führen, dass sich die Sozialdemokratie stärker den Fragen von Klasse und Umverteilung widmen muss. Abfällige Bemerkungen zu Kämpfen gegen die Unterdrückungsverhältnisse Patriarchat und Rassismus hingegen bringen niemanden weiter – nicht die SPD und schon gar nicht die Arbeiter*innenklasse!
Links! 04/2018 Es scheint fünf nach zwölf zu sein, aber vielleicht ist es nicht zu spät. Die 1957 gegründete Musikzeitschrift Melodie & Rhythmus sollte schon 2008 ihr Erscheinen einstellen. Seinerzeit rettete dieVerlag 8. Mai GmbH die Zeitschrift, die es in der DDR einmal auf eine Auflage von 300.000 Exemplaren brachte. Unter der neuen Chefredakteurin Susann Witt-Stahl befand sich die M&R mitten im Wandel zu einem „Magazin für Gegenkultur“. Das neue Heft für das erste Quartal 2018 liegt am Kiosk. Doch nun ist unklar, ob es überhaupt weitergehen kann. Ralf Richter sprach darüber am Telefon mit der Chefredakteurin Susann Witt-Stahl. Es gibt sie noch, die M&R – was erwartet die Leserin, den Leser der vorerst leider letzten Ausgabe? Wir haben uns in diesem Jahr begleitend zur Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin für das Thema Afrika entschieden. Afrika ist derzeit ein Kontinent des Aufbruchs, in dem viele Bewegungen im Gange sind. Das beinhaltet viel Positives, aber auch Negatives. Wir in Europa sehen da in erster Linie die Situation der Flüchtlinge. Die Fluchtursachen haben viel mit Neokolonialismus und Umweltzerstörung zu tun, und wir fanden es wichtig, dass Künstler aus ihrer Sicht über die Situation in ihren jeweiligen Ländern berichten. Es ging uns darum zu zeigen, wie die gesellschaftlichen Veränderungen in Kunst und Kultur verarbeitet werden. Afrika ist Titelthema – aber das Heft bietet noch einiges mehr. Natürlich. Wir haben 2017 die Rubrik „Politische Kultur & Zeitgeist“ eingeführt, in der wir uns kritisch mit den Ideologemen unserer Gesellschaft im Bann des Neoliberalismus auseinandersetzen. Der Rechtsruck in Europa ist ja nicht zu übersehen. Viele registrieren da allerdings nur die politischen Aspekte und reflektieren kaum, wie stark inzwischen auch durch den Bereich Kultur rechtes Gedankengut transportiert wird. Hör-, Lese- und Filmtipps aus linker Perspektive finden sich auch? Ja, jede Menge. Im aktuellen Heft stehen die zum Teil auch in Zusammenhang mit dem Thema „Afrika“. Ein Beispiel ist der 2017 in Cannes ausgezeichnete Dokumentarfilm „Makala“ über einen kongolesischen Kohlearbeiter. Der Regisseur Emmanuel Gras stand uns dazu in einem Interview Rede und Antwort – außer um die Entstehungsgeschichte geht es auch um die besondere Ästhetik des Films. Wie haben Sie die Zeitschrift entwickelt, seitdem Sie Chefin sind? Ich habe die Chefredaktion vor dreieinhalb Jahren übernommen und versucht, die Melodie & Rhythmus auf einen zeitgeistkritischen Weg zu bringen und die marxistischen Akzente herauszuarbeiten, auch durchaus kritisch zu überarbeiten, zu aktualisieren und zu erweitern, die die Zeitschrift historisch als ein Organ der DDR-Tonkunst- und Populärkulturszene ursprünglich hatte. Aber das hat Ihnen nicht gereicht – das Blatt wurde in jüngerer Zeit noch einmal „umgekrempelt“. Ich habe es „Tigersprung“ genannt – eine Reaktion auf die dramatischen gesellschaftlichen Rückschritte, inklusive
Hintergrund
Melodie & Rhythmus auf der Kippe Ralf Richter telefonierte für Links! mit der Chefredakteurin Susann Witt-Stahl
Entdemokratisierung und Eindimensionalisierung, die sich derzeit vollziehen. Umgesetzt wurde der Neustart als Magazin für Gegenkultur mit Heft 2/2017, in dem wir nicht mehr nur auf Musik fokussieren, sondern aus allen Bereichen von Kunst und Kultur berichten und stärkere politische und ideologiekritische Akzente von links setzen. Denn nichts brauchen wir im Moment dringender als ein Organ, das fundamental-oppositionelle kulturelle und künstlerische „Unternehmungen“ abbildet und begleitet. Der Begriff „Gegenkultur“ geht auf einen amerikanischen Soziologen zurück – was bedeutet er auf die M&R angewendet? Inwieweit etwas Gegenkultur ist oder nicht, entscheidet sich für uns entlang der Frage, wie kritisch es sich zur die Welt beherrschenden kapitalistischen Produktionsweise positioniert. Beispielsweise sind Rapper aus dem rechten Spektrum, die gegen muslimische Migranten hetzen, keine Gegenkultur − egal wie subversiv sie daherkommen. Dagegen kann in Kuba vom Staat unterstützte linke Kultur durchaus Gegenkultur sein, wenn sie an den Werten der Revolution festhält, für die Verdammten der Erde und eine klassenlose Gesellschaft streitet. Ist Subkultur dann nicht auch gelegentlich Gegenkultur? Subkultur ist vorwiegend Nischenkultur, will anders sein, wendet sich speziell an Szenen, die marginalisiert sind und daraus auch einen Kult machen. Subkultur kann alles andere als fortschrittlich sein. Manchmal ist sie sogar rechtsradikal. Wir haben zum Beispiel diese NationalSocialist-Black-Metal-Szene, also eine Nazi-Musik-Subkultur. Diese würden wir sicher niemals als Gegenkultur durchgehen lassen, denn jede Form von Faschismus tritt stets für die Radikalisierung des kapitalistischen Systems ein und nicht für dessen Abschaffung. Gibt es für den Gegenkulturbegriff, wie Sie ihn verstehen, auch historische Vorbilder?
Wichtige Grundlagen hat zum Beispiel Clara Zetkin mit ihrem Aufsatz „Kunst und Proletariat“ von 1911 gelegt. Die Geschichte AMIGAS beginnt mit dem Auftrag der Sowjetischen Militäradministration an Ernst Busch, 500 Schallplatten für verdiente Spanienkämpfer zu produzieren – mit seinen Spanien- und Arbeiterkampfliedern. Ich kann mir vorstellen, dass für Personen, die um die Revolution von 1918 herum politisiert wurden, solche Musik nicht unbedingt Gegenkultur war. Als die proletarische Kultur in Deutschland ihre kurze Blüte erlebte, war der Begriff sicher noch nicht so notwendig in Stellung zu bringen. Heute aber, wo wir es mit einer systematischen Zerschlagung des sozialistischen und kommunistischen Kulturerbes zu tun haben, wir von einer schweren Krise linker aufklärerischer Kultur sprechen müssen, ist es höchste Zeit, den Gegenkultur-Begriff wieder stark zu machen. Im ersten Quartalsheft 2018 finden sich auch Wader oder Gundermann. Es lag also nahe, zu versuchen, das Heft ein wenig „zum Klingen zu bringen“ − vielleicht über QR-Codes oder Links Verbindungen zu Videos mit Sound oder Audiodateien herzustellen. Teilweise wird das sicher auch von der M&R-Zielgruppe erwartet. Wie weit sind Sie da gekommen? Wir mussten uns zunächst darauf konzentrieren, dass das gedruckte Magazin immer pünktlich erscheint. Das „Heft zum Klingen zu bringen“ wäre der nächste Schritt gewesen, der aber auch mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre. Zu berücksichtigen ist, dass M&R als Magazin für Gegenkultur noch in der Entwicklungsphase steckte. Wir haben aber immerhin zwei Filme produziert. Der aktuelle Film „,Mich rettet die Poesie‘ Konstantin Wecker – eine politische Nahaufnahme“ wurde im vergangenen Jahr anlässlich des 70. Geburtstages des Liedermachers produziert. Davor haben
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wir eine Filmdokumentation über zwei M&R-Veranstaltungen zu den jüdischen Kulturwelten von gestern und heute gemacht, die „Losgelöst von allen Wurzeln …“ heißt. Dafür haben wir Esther Bejarano, Sängerin und ehemaliges Mitglied im Mädchenorchester von Auschwitz, den israelischen Historiker und Kunsttheoretiker Moshe Zuckermann, der auch M&R-Stammautor ist, und den Schauspieler Rolf Becker zusammengebracht. Zu mehr sind wir noch nicht gekommen – das ist natürlich auch alles eine Geldfrage ... In den Leserbriefen findet man sowohl sehr positive als auch kritische Anmerkungen. Ein Leser meinte, für Musiker sei das Blatt offenbar nicht gedacht, und er frage sich, wer eigentlich die Zielgruppe sei. Ich gebe zu, dass ich mich das auch ein wenig gefragt habe. Ich habe mich immer gewehrt dagegen, die Zielgruppe der M&R zu sehr einzugrenzen. So wollen wir keineswegs nur Youngster ansprechen, sondern die Kunst und Kultur aller Generationen begleiten, erinnern, bewahren. Auf der anderen Seite wird man mit einem Magazin für Gegenkultur kaum Leute erreichen, die Tag und Nacht RTL schauen. Unsere Zielgruppe sind unweigerlich Menschen, die ein kritisches Verhältnis zur kapitalistischen Gesellschaft und deren Kulturindustrie haben und ihre Kritik am Bestehenden eben auch in Kunst und Kultur gespiegelt haben wollen, die mehr über das Denken gesellschaftskritischer Künstlerinnen und Künstler erfahren und die Geschichte fortschrittlicher Kunst und Kultur wach halten wollen. Für uns ist also Katharina Thalbach, die, wie in der aktuellen Ausgabe von M&R zu lesen, Brecht als Revolutionär gegen seine Entpolitisierung durch die neoliberale Rezeption verteidigt, weitaus interessanter als jemand, der in den aktuellen Hitparaden erfolgreich ist. Sie haben auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz gesagt, dass es möglicherweise doch noch nicht vorbei mit der M&R ist, sofern viele, die ihre Intentionen teilen, sie unterstützen. Was konkret kann die Leserin oder der Leser dieser Zeilen dafür tun? Ja, es ist noch möglich, dass wir mit M&R wieder auf die Beine kommen – aber nur sehr schwer. Das muss ich eingestehen, damit keine Illusionen aufkommen. Helfen kann man uns mit der Zeichnung eines sogenannten „Perspektivabos“. Um einen neuen Anlauf schaffen zu können, müssen wir die Marke von 1.700 Abos erreichen. Ein „Perspektivabo“ kann man völlig risikolos bestellen, denn man muss erst zahlen, wenn tatsächlich ein nächstes Heft produziert und geliefert werden kann. Nähere Informationen dazu finden sich in der jungen Welt – natürlich auch auf der M&R-Homepage. Gleichzeitig werden wir Künstlerinnen und Künstler bitten, anstehende Kampagnen zur Rettung der M&R zu unterstützen, und qualifizierte Kulturredakteure suchen, die unsere hoch gesteckten Ziele mit umsetzen können. Die M&R ist also keineswegs verloren und abgewickelt – jeder kann etwas dafür tun, sie am Leben zu halten.
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Sexismus meint zunächst Formen meist der bewussten, aber auch der unbewussten Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer biologischen Geschlechtszugehörigkeit. In der gesellschaftlichen Debatte zu diesem Problem drohen mindestens zwei Irrtümer: Ganz überwiegend – so auch die weltweite Bewegung – beschränken sich die Diskussionen zum einen ausschließlich auf männliche Übergriffe gegenüber Frauen; dies scheint (aber nur weitgehend) berechtigt zu sein angesichts der traditionellen und heute noch ganz mehrheitlich patriarchalen Strukturen von Gesellschaften, also Gesellschaften mit männlicher Vorherrschaft und entsprechenden Machtverhältnissen. Zum anderen werden die Debatten ganz mehrheitlich und unzulässig auf Sexualität reduziert. Wenn Frauen beispielsweise in einem Land nicht Auto fahren dürfen, so ist das klar ein Fall von Sexismus, aber nicht von Sexualität.
Sexismus in der DDR? Uta Schlegel über Verhältnisse & Verhalten
5. Gleichberechtigung mit den Männern, nicht gegen sie Typisch für die allermeisten DDR-Frauen war die Vorstellung, Gleichberechtigung mit den Männern (vor allem in Beruf und Familie) zu erreichen, nicht gegen sie. Das mag auch ihre Distanz (teilweise bis heute) zum westdeutschen Feminismus erklären, den sie als männerfeindlich wahrgenommen haben. Und die ausgeprägte Männerfeindlichkeit der gegenwärtigen Sexismus-Debatte scheint auch heute noch die ostdeutschen Frauen eher zu befremden.
Heute sind Übergriffe auf Frauen in allen Gesellschaften zu beobachten; ihre Häufigkeit und ihre Brutalität sind allerdings offenbar sehr unterschiedlich je nach Gesetzen, kulturellen Traditionen, vorherrschenden Religionen: je verwurzelter und ausgeprägter das Patriarchat, desto häufiger, drastischer und ungestrafter sind die Übergriffe auf Mädchen und Frauen – bis hin zu Genitalverstümmelung und Vergewaltigung. Bekanntlich kommt die SexismusDebatte aus den USA und bewegt sich vor allem in der mehr oder weniger prominenten Showbranche. Insofern verwundert kürzlich eine Fernsehsendung des MDR innerhalb der Reihe „Zeitreise“ zu „Sexismus in der DDR“ (siehe www.mdr.de/zeitreise/ sexismus-in-der-ddr-102.html) mit erstaunlichen Aussagen. So seien sexuelle Übergriffe auf Frauen in der DDR „gang und gäbe“ gewesen, und eine Untersuchung (152 Fragebögen) habe ergeben, dass 22 Prozent der Befragten vergewaltigt und 72 Prozent sexuell belästigt worden seien. Diese Befunde sind u. E. nur dadurch erklärbar, dass sie im Klientel der 1987 gegründeten „Frauenteestube“ in Weimar erhoben worden sind, einem Treffpunkt für betroffene Frauen, sowie auf Vortragsreisen der beiden Initiatorinnen zum Thema, damit also unter einer speziellen Gruppe. Dennoch sind diese Aussagen unter dem verallgemeinernden Titel „Sexismus in der DDR“ gemacht worden. Dazu haben mich nach der Fernsehsendung rund 100 Anrufe und Emails von DDR-Frauen und auch ein paar -Männern erreicht mit Fragen nach meiner Meinung dazu und mit grundsätzlich kritischen bis empörten Bemerkungen. Insofern muss gefragt werden, ob diese Aussagen tatsächlich den typischen DDR-Alltag wiedergeben. Leider kann man da kaum auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen, weil Sexismus eines der Tabuthemen in Politik, Forschung, Medien und überhaupt im öffentlichen Diskurs der DDR war. Aber was das Ausmaß von Sexismus in der DDR betrifft (und nur dieses soll hier in Frage gestellt werden, denn selbstverständ-
ren nunmehr eine sehr langjährige Zugehörigkeit zum Betrieb (sowie der berufliche Aufstieg in ihm), dessen Transferleistungen sozialpolitischer Regelungen (wie staatliches Kindergeld, Haushalttag) sowie Kontakte zu den PartnerInnen/Kindern der Betriebsangehörigen (wie Betriebskindergärten, Kinderferienlager, Vergabe von Urlaubsplätzen und gemeinsame Urlaube, Sportfeste). Auch dies förderte ein vertrauensvolles Miteinander zwischen den Geschlechtern und ihren PartnerInnen am Arbeitsplatz. Gegen möglichen Sexismus oder sexuelle Übergriffe standen jedoch nicht nur das Arbeitsklima, sondern – angesichts fehlender Sorge um den Arbeitsplatzverlust – auch Interventionsgremien wie die Frauenkommissionen und Gewerkschaftsgruppen.
DDR-Briefmarkenmotiv zum Fünfjahrplan 1953: Frau am Schaltrad lich gab es auch in der DDR Sexismus und sexuelle Gewalt), so ist primär nach deren strukturellen Bedingungen zu fragen. Als ganz wesentlich dafür können – und das ist für verschiedene, für Sexismus mögliche Lebensbereiche wie Erwerbsarbeit und Partnerbeziehungen / Ehe wissenschaftlich gut belegt – zunehmend flachere, egalitärere Geschlechterverhältnisse angesehen werden. Woran sind diese festzumachen? 1. Das Fehlen eines evidenten Sexismus in der Öffentlichkeit Eine Omnipräsenz frauendiskriminierender Bilder und Sprache (wie z. B. Pornografie, in der Werbung) gab es im Alltag der DDR nicht. Zudem war eine Vielzahl von Fördermaßnahmen an Frauen gerichtet, darunter auch solche, die im Kern familienpolitische Ziele hatten, z. B. Haushaltstag, anfangs das Babyjahr, reduzierte gesetzliche wöchentliche Arbeitszeit für Frauen mit zwei schulpflichtigen Kindern, Kinderbetreuungseinrichtungen. 2. Die eingeschränkte Wahrnehmung eigener Benachteiligung bei Frauen Vorgenanntes führte leider zu einer mangelnden Sensibilisierung der meisten Frauen gegenüber tatsächlich noch bestehenden Benachteiligungen von Frauen, z. B. bei ihrer Unterpräsentation in Leitungsfunktionen. Auch
erklärten Frauen solche Wahrnehmungen eher mit individuellen als mit strukturellen Defiziten. 3. Die Ehe als unökonomische Instanz Zum einen war die sog. Hausfrauenehe in der DDR ausgemustert und damit die direkte finanzielle Abhängigkeit der Frau vom alleinverdienenden Ehemann; auch steuerrechtliche Regelungen (Ehegattensplitting) gab es nicht. Zum anderen waren Scheidungen weniger kompliziert und teuer und führten weder zu Ehegattenunterhalt noch zu gegenseitigen Rentenansprüchen. Geschiedene Frauen mit Kind(ern) gerieten nicht an den Rand der Gesellschaft. Insofern leiteten die Frauen ihr Selbstverständnis und -bewusstsein von sich selbst und von ihren eigenen beruflichen Leistungen, nicht mehr vom beruflichen oder gesellschaftlichen Status der Ehemänner ab. 4. Der Arbeitsplatz mit Einbeziehung der Familien und staatlicher Sozialpolitik In Schul-, Berufs- und auch akademischer Bildung (teilweise auch mit breiterem weiblichen Berufsspektrum) hatten sich traditionelle Geschlechtsunterschiede deutlich nivelliert, und die Frauen standen mehrheitlich über die Lebensspanne in kontinuierlicher Berufsarbeit (meist Vollerwerbsarbeit). Typisch für die DDR-Frauen wa-
Resümierend: Mittlerweile ist ein Gleichstellungsvorsprung der ostdeutschen Frauen zum Zeitpunkt der deutschen Vereinigung unstrittig (z. B. hinsichtlich Bildungsstand, Ausmaß der Erwerbsarbeit und deren synchroner Vereinbarung mit Familie/Kindern, selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs, finanzieller Unabhängigkeit). Er schloss eine tendenzielle Nivellierung hierarchischer Geschlechterbeziehungen im Alltag der Erwerbsarbeit und Partnerschaften ein. So wichtig und richtig es ist, mit der Sexismus-Debatte Kritik zu üben an den noch vorherrschenden patriarchalen Gesellschaften in der Welt und insbesondere an sexueller Gewalt gegen Frauen – so destruktiv, kontraproduktiv und gefährlich wird es, wenn sie als ungeeignetes Phänomen geschichtsklitternd zur Denunzierung der DDR instrumentalisiert wird. Darüber hinaus ist es schlicht falsch, Sexismus (vgl. Rassismus) auf sexuelle Übergriffe und dabei auf Männer als Täter zu reduzieren, sowie ein verkrampftes bis gestörtes Verhältnis zwischen Frauen und Männern zu generieren. Dr. Uta Schlegel, Jahrgang 1943, war Abteilungsleiterin am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig, mitverantwortlich für die erste „Frauenstudie“ 1975 und promovierte 1982 zu Geschlechtsunterschieden und Gleichstellungsprozessen im Jugendalter. Nach 1990 beschäftigt sie sich in der Forschung mit Veränderungen weiblicher Normalbiografien und Lebenszusammenhänge in den neuen Bundesländern (KSPW) und Frauenförderprogrammen an Hochschulen (Martin-Luther-Universität).
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Charlys Blick
Lyrisches
Warum zeigt das Chemnitzer Monument keinen lächelnden Marx? Klaus Müller kennt die wahrscheinliche Antwort Fast die ganze Welt kennt Karl Marx. Aber keiner, ausgenommen seine Verwandten und Freunde, hat ihn jemals lächelnd oder gar lachend gesehen. Und höchstens Karikaturisten haben sich getraut, ihn auf diese menschenfreundliche Art darzustellen.
Was mir jedoch missfiel, war der strenge, ja fast böse Marxsche Blick. Ich dachte, was hatte der Schöpfer des Monuments, Lew Kerbel, gegen den Philosophen oder gar gegen die DDR? Zu Freunden äußerte ich: „Wieso kann denn keiner den Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus richtig freundlich darstellen? Diese Gesellschaftsordnung ist doch eine wunderbare Sache.“
Gegen Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde dannklar, dass sich der Philosoph über den missglückten Sozialismusversuch im Lande ärgerte, wo er doch für die arbeitenden Menschen nur das Beste gewollt hat. Wie weitsichtig manchmal große Bildhauer sind. Na, und als dann im Herbst 1989 alle möglichen selbsternannten Revolutionäre unter seinen Augen riefen „Marx ist tot, Jesus lebt“, da konnte er ja schlecht gute Miene zu bösem Spiel machen, zumal er wusste, was folgt. Seither bin ich eigentlich versöhnt und ganz zufrieden mit Charlys Blick.
Foto: gravitat-OFF / flickr.com / CC BY 2.0
Als ich 1979 nach Karl-Marx-Stadt kam, um hier bei der DDR-Nachrichtenagentur ADN zu arbeiten, fiel mir das gewaltige Monument im Stadtzentrum natürlich sofort auf, wie jedem, der hier vorbeigeht. Und ich hatte es immer im Blick, zumal sich meine Arbeitsstelle schräg gegenüber, im obersten Geschoß der damaligen Hauptpost befand.
Ich habe das Denkmal auch ausführlich beschrieben, das in dieser gewaltigen Größe bisher keine andere Stadt besitzt. Mit dem Sockel erreicht es immerhin eine Höhe von 11,60 Metern.
Zum 200.Geburtstag von Karl Marx Sie haben ihn nicht halb verstanden, fast machten sie die Idee zuschanden. Andere Meinungen verteufelt, in Frage gestellt Dabei ist kritische Haltung der Motor der Welt. Wir hörten eine Flut von Zitaten und wurden dadurch nicht gut beraten. So ging eine Schlacht verloren. Na und? Zur Resignation besteht kein Grund. Die Sonne geht unter, sie geht wieder auf. Gesetze bestimmen den natürlichen Lauf. Was heute ist, besteht nicht immer. Die Menschheit wird doch nicht dümmer. Der Kapitalismus frisst Kreide, und doch gelten Marx' Grundgedanken immer noch. Die Gesetze der Gesellschaft kann niemand verbiegen. Die großen Ideen von Marx werden siegen. • Hans-Joachim Noack
Politische Fäulnis
Annotiert: MARX-Handbuch Nach dem Kant-Handbuch von Gerd Irrlitz und dem Habermas-Handbuch von Hauke Brunkhorst u.a. (Hrsg.) hat der J. B. Metzler Verlag bereits vor einiger Zeit das von 33 Autoren verfasste und von Michael Quante sowie David P. Schweikard herausgegebene „Marx-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung“ verlegt. Die Herausgeber betonen, dass die vielfältigen Krisen, die die gesellschaftliche und politische Lage in Deutschland, in Europa und weltweit charakterisieren, „für eine ungebrochene Aktualität des Denkens von Karl Marx“ sprechen. Die Wirkung des Marx‘schen Werkes sei nicht nur dadurch bestimmt, von Anfang an und immer im Kontext gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen rezipiert und angeeignet worden zu sein, sondern auch dadurch, dass es sich auf viele wissenschaftliche Disziplinen erstreckt. Ein Grund hierfür sei, „dass Marx selbst sein Projekt einer umfassenden Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsformationen als ein genuin interdisziplinäres begriffen und auch betrieben hat“. Der Band besticht durch seine gelungene handbuchartige Gliederung und ist bestens geeignet, sich näher mit Marx zu befassen. Dank seiner inhaltlichen und methodologischen Gestaltung kann es sowohl als Lehrbuch als auch in gewissem Sinne als lexikalisches Nachschlagewerk dienen. Vorangestellt ist
ein umfassender biographischer Abriss, mit einem eingefügten Exkurs zu Friedrich Engels. Danach werden, ausgehend von der Dissertation und den Vorarbeiten, überblicksmäßig die Marx‘schen philosophischen Schriften behandelt, worauf die Betrachtung des Programms der Kritik der politischen Ökonomie folgt, um mit den politischen Schriften den ersten Teil des Bandes abzuschließen. Der nachfolgende Teil ist Marxens philosophischen und politisch-ökonomischen Grundbegriffen sowie den zentralen philosophischen Konzeptionen der Marx‘schen Theorie
gewidmet. Dazu wird in treffender Weise vermerkt: „Ein System des Wissens ist für Marx immer ein Ganzes, in dem die Teile sinnvoll und vollständig einen zusammenhängenden Komplex bilden, in dem alles voneinander abhängig ist. Der Grund ist, dass die Wirklichkeit ein zusammenhängendes Ganzes darstellt.“ Der letzte Teil behandelt Grundfragen der Marx-Interpretation, darunter Marx als Gerechtigkeits- und Entfremdungstheoretiker sowie als Kritiker der politischen Ökonomie, und die seiner philosophischen Strömungen, bis zur Ausstrahlung in andere Wissenschaftsdisziplinen, von denen vierzehn betrachtet werden. Die marxistischen Realisierungsversuche werden am Beispiel von W. I. Lenin und Mao Zedong mehr oder weniger angedeutet.
Tafeln klagen an: Bundesregierungen tischen Lüge vom Sozialstaat auf sind größerenteils verantwortlich für versalzene Armut Noch schlimmer wäre Heimatminister: braunschwarzer Ausdruck schwarzbraun oder arisch gefärbt sind Worterfindungen Vaterlandsminister Volkstumsminister • Jürgen Riedel
Aufbruch Pfingstrosenrausch ich erblüh‘ Denken
Der Anhang informiert über die vorliegenden Werkausgaben, enthält eine Auswahlbibliographie, ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sowie das Personenregister.
Wenn du wählst hast du Verantwortung sie übernimmst eine Bestimmung es erkennst lebst du
• Prof. Dr. Kurt Schneider
Farbexplosion
Michael Quante / David P. Schweikard (Hg.), unter Mitarbeit von Matthias Hoesch: Marx-Handbuch. Leben-WerkWirkung. J.B. Metzler Verlag 2016. 446 Seiten, 49,99 Euro. ISBN 978-3-47602332-2
Grau in Grau weicht Grün in Grün bunter Frühlingsregenbogen • Janina Niemann-Rich
Stefan Bollinger, Autor von „Oktoberrevolution. Aufstand gegen den Krieg“, hat nahezu zeitgleich in der Reihe „Basiswissen“, verlegt vom PapyRossa Verlag, den Titel „Lenin. Theoretiker, Stratege, marxistischer Realpolitiker“ veröffentlicht. Er beginnt mit der Situationsbeschreibung: „Seine Denkmäler in der ehemaligen Sowjetunion, in der alten DDR, in Osteuropa sind fast alle geschleift. Hundert Jahre nach der Oktoberrevolution wird er gerne als deren unglückseliger Führer missachtet.“ Selbst den Führern in Moskau heute passten Lenin und seine Revolution nicht in ihr Geschichtsbild. „Sie wollen an das starke Russländische Imperium anknüpfen“, schreibt Bollinger, „so dass der gestürzte Zar wie der Wiederhersteller der Großmacht Sowjetunion, Stalin, weit besser davonkommen als der radikale Zerstörer Lenin.“ Eine geradeso des sozialen Anspruchs beraubte Sicht auf Lenin (und Trotzki) entfalten heute, wie beispielhaft belegt wird, Neokonservative in den USA. Die Zeiten, da Linke ihren theoretischen, strategischen, politischen Kopf unbefangen lobten, sind lange vorbei. Zahlreiche Linke, gerade der postkommunistischen Parteien, tun sich heute schwer mit Lenin, was Bollinger grotesk findet, „denn alle Reform- und Erneuerungsbewegungen hatten sich bis in die Zeiten der ‚Wende’ 1989/91 mit ihren antistalinistischen Reformversuchen in Osteuropa, die kläglich von der Konterrevolution vereinnahmt wurden, Lenins als Galionsfigur versichert“, darunter auch M. S. Gorbatschow, der sich noch 1987 als treuer Kommunist und Leninist gab. Ebenso hatten auch die Reformer, die sich eher nach sozialdemokratischen Entwicklungswegen sehnten, „mit dem politischen, machtund sozialismusorientierten kämpferischen Lenin kaum noch etwas gemein. Er diente nur noch als Feigenblatt für einen Weg generell weg vom Sozialis-
Geschichte
Lenins Erbe auf Bleibendes prüfen
Vorausgegangen waren 1912 sein Eintritt in die SPD und seine Kontakte zu den Bremer Linken. Ab 1915 hatte er in Wilhelmshaven und ab 1917 in Cuxhaven politische Zirkel gebildet, in denen die Bremer „Arbeiterpolitik“ und die „Spartakusbriefe“ diskutiert wurden.
betraf vor allem die umstrittene „Diktatur des Proletariats“, von Marx und Engels inhaltlich noch nicht systematisch ausgearbeitet, die von Lenin zur Zentralkategorie seines Macht- und Revolutionsverständnisses wurde. Die hierzu von Bollinger vorgebrachten analytischen Überlegungen regen an, sich einmal mehr mit der diesbezüglichen Gedankenwelt Lenins zu beschäftigen. Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution hatte er in Anbetracht der Schwierigkeiten einer auf sich allein gestellten Revolution mit dem Blick auf die von der internationalen Arbeiterklasse zu gestaltende Zukunft erklärt: „Dieser erste Sieg ist noch nicht der endgültige Sieg und unsere Oktoberrevolution hat ihn nur unter beispiellosen Mühsalen und Schwierigkeiten, unter unerhörten Qualen, begleitet von größten Misserfolgen und Fehlern unserseits davongetragen ... Wir fürchten uns nicht, unsere Fehler zuzugeben, und wir werden sie nüchtern beurteilen, damit wir lernen, sie zu korrigieren.“ Dieser Sicht fügte er hinzu: „Wir haben dieses Werk begonnen. Wann, in welcher Frist, die Proletarier welcher Nation dieses Werk zu Ende führen werden, das ist unwesentlich. Wesentlich ist, dass das Eis gebrochen, dass die Bahn frei gemacht, dass der Weg gewiesen ist.“
Prof. Dr. Kurt Schneider empfiehlt ein lehrreiches Buch von Stefan Bollinger
mus.“ Das alles in Betracht ziehend, schlussfolgert Bollinger, wird heutige Beschäftigung mit Lenin mit dem „Zwiespalt zwischen historischen Leistungen, Fehlentwicklungen, Irrtümern, zwischen Bewahrenswertem und unter sozialistischen und demokratischen Gesichtspunkten zu Verwerfendem zurechtkommen müssen“. Folgerichtig wird auf die Kernfrage, die Leninsche
Vor 45 Jahren verstorben: Karl Baier Geboren am 3. Januar 1887 in Magdeburg, leitete Karl Baier am 5. November 1918 den Matrosenaufstand in Cuxhaven. Er war Vorsitzender des dortigen Arbeiter- und Soldatenrates und gehörte dem 53er Ausschuss der Marine an, den er in der Vollversammlung sowie im Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte vertrat. In dessen Auftrag nahm er als Gast am Gründungsparteitag der KPD teil.
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Nach seiner ab 1917 währenden Mitgliedschaft in der USPD wird Baier Anfang 1919 Mitbegründer der Magdeburger KPD-Organisation, die ihn zu ihrem Vorsitzenden wählt. 1921 erfolgt seine Wahl als Abgeordneter des Provinzialsächsischen Landtags. Es ist die Zeit, in der er wiederholt für mehrere Monate inhaftiert wird. 1925 wird er leitender Mitarbeiter im Zentralvorstand der Roten Hilfe Deutschlands (RHD). Im Zuge des massiven Richtungsstreits in der KPD wird er jedoch als Kritiker des ultralinken Kurses im Juli 1929 aus der Partei ausgeschlossen, verbunden mit dem Verlust aller Ämter in der RHD, woraufhin er der KPD-Opposition beitritt. 1932 schließt er sich der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) an und gehört ab März 1933 zu deren illegaler Reichsleitung. Im August 1933 wird Baier verhaftet und im Dezember zu zweieinhalb Jah-
Staatsauffassung, eingegangen, die mit dem Rückgriff auf das „Kommunistische Manifest“ bereits den Kern seines Verständnisses einer sozialistischen Gesellschaft zum Ausdruck brachte. Lenin wandte sich hierbei nicht nur gegen das Staatsverständnis der Herrschenden, „sondern gleichzeitig gegen die Leerstellen in der marxistischen Diskussion seiner Zeit“. Das
ren Gefängnis verurteilt, die er in Plötzensee und Tegel verbringt. Nach seiner Entlassung ist er wiederum illegal tätig, wofür er ein von ihm 1936 gegründetes und bis 1945 existierendes Versandgeschäft nutzt. Er hat Kontakte zu der von Anton Saefkow geleiteten Widerstandsgruppe und leistet eine vielfältige Hilfe für untergetauchte Nazi-Gegner und jüdische Familien.
Foto: Berkan / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
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Unter seinen Nachfolgern ging diese erstmalige historische Chance verloren. Damit steht heute die internationale Linke vor der Aufgabe, das ihr hinterlassende reichhaltige Erbe Lenins unter den veränderten weltweiten Bedingungen auf das nach wie vor substantiell Bleibende zu prüfen. Zu den marxistischen Historikern, die sich sachkundig darum bemühen, gehört Stefan Bollinger. Stefan Bollinger: Lenin. Theoretiker – Stratege – marxistischer Realpolitiker. PapyRossa Verlag 2017. 147 Seiten, 9,90 Euro. ISBN 978-3-89438-656-6
Nach der Befreiung ist er in Fangschleuse bei Erkner für kurze Zeit deren erster Antifa-Bürgermeister. Er kehrt Mitte 1945 nach Berlin zurück und übernimmt im neu gegründeten Magistrat die Leitung des Sonderdezernats für Flüchtlinge und Heimkehrer. Danach (1948) wird er mit der Leitung des Hauptsozialamtes beauftragt und ebenso 1950 mit dem soeben geschaffenen Amtes für Kirchenfragen. Als vormaliges Mitglied „parteifeindlicher Gruppen“ wird er 1951 im Zuge der „Parteiüberprüfung“ aus dem Staatsapparat entfernt und aus der SED ausgeschlossen. Auf seinen Protest und die Intervention des Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck hin macht die ZPKK den Ausschluss von Baier noch im selben Jahr rückgängig. Ab 1952 arbeitet er im Gewerkschaftsverlag „Tribüne“. Im Februar 1960 geht er in Rente und leistet in verschiedenen Funktionen ehrenamtliche Arbeit. Karl Baier verstirbt am 12. April 1973 in Berlin. • Prof. Dr. Kurt Schneider
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Terminübersicht Plauen, 7. April, Uhrzeit wird noch bekannt gegeben n Vortrag und Diskussion „Deutschland alternativlos?“ Fragen zu Neuer Rechter, Ideologie und Klassenkampf*. Mit Daniel Kulla (Autor) Eine Veranstaltung der Feministischen Aktion Plauen und der RLS Sachsen. Projekt Schuldenberg, Thiergartner Straße 4, 08527 Plauen Dresden, 9. April, 18 Uhr n Podiumsdiskussion „Die kriegen Alles und wir Nichts!“* Mit Dr. Kristin Kaufmann (Sozialbürgermeisterin der Stadt Dresden), Frau Puszkar (Bereichsleiterin Jobcenter Dresden) und Mitarbeiter*innen der Caritas-Asylberatung Dresden Palitzschmuseum, Gamigstraße 24, 01239 Dresden Veranstaltungsraum Palitzschhof, 1. Etage, barrierefrei Chemnitz, 10. April, 15 Uhr n Lesung Stefan Heym - Der Unbequeme* REIHE: Chemnitz liest Stefan Heym mit Mitgliedern des AK Chemnitz und der Gruppe Quijote (Chemnitz) auf dem Stefan-Heym-Platz 1, 09111 Chemnitz Chemnitz, 11. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Wer bin ich - und wenn ja: Wer weiß das?* Die Frage lautet nicht: Was machen Sie mit Ihren Daten? Die Frage lautet: Was machen die Daten mit Ihnen? REIHE: Industrie 4.0, mit Mark Neis (ITExperte). Eine Veranstaltung des Interessensgemeinschaft „Zukunft 4.0“ in Kooperation mit dem Abgeordnetenbüro Nico Brünler und der RLS Sachsen All-In, Rosenhof 14, 09111 Chemnitz Leipzig, 12. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion „Die Farbe Rot“ – Vorstellung von Gerd Koenens monumentaler Untersuchung der Ursprünge und Geschichte des Kommunismus REIHE: Jour Fixe - ein unkonventioneller Gesprächskreis. Mit Prof Dr. Wolfgang Geier (Historiker), Moderation: Klaus Kinner und Manfred Neuhaus. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Görlitz, 12. April, 18 Uhr n Gespräch Demokratie als Fiktion? Mit Peter Porsch. BürgerInnenbüro MdL Mirko Schultze, Schulstraße 8, 02826 Görlitz Dresden, 12. April, 19 Uhr n Gespräch und Diskussion Ich will meine Akte! Vom Umgang mit Geheimdienstakten aus dem Kalten Krieg. Mit Hans Modrow (vorletzter Ministerpräsident der DDR). Saal, Haus der Begegnung, Großenhainer Straße 93, 01127 Dresden Leipzig, 13. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion
Frauen in Bewegung - Proteste im Iran aus Perspektive der Frauenrechtsbewegung* Mit Cornelia Ernst (MdEP, Sprecherin der Delegation DIE LINKE im Europäischen Parlament) und Mina Ahadi (Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime). Eine Veranstaltung der GUE/NGL und der RLS Sachsen. Pögehaus, Hedwigstraße 20, 04315 Leipzig Dresden, 17. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Verschwörungstheorien Die Legende von den großen Strippenzieher*innen* REIHE: Junge Rosa. Mit Peter Bierl (Journalist und Autor). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 18. April, 21 Uhr n Workshop Einführung ins Versammlungsrecht* mit Tim Detzner (Chemnitz) Eine Veranstaltung der RLS Sachsen und des Rothaus. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Leipzig, 24. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Marx und Aristoteles über Reichtum REIHE: PHILOSOPHISCHE DIENSTAGSGESELLSCHAFT. Mit Prof. Dr. KlausDieter Eichler (Philosoph), Moderation: PD Dr. Peter Fischer. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 25. April, 19 Uhr n Vortrag und Diskussion Marx global. Die Marxismen der Gegenwart REIHE: „An allem ist zu zweifeln!“ Marx‘ Motto heute. Mit Jan Hoff (Gesellschaftswissenschaftler und Historiker). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 26. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion Vernichtung und Vertreibung als Teil einer türkischen Homogenisierungspolitik* Mit Ismail Küpeli (Politikwissenschaftler). Universität Leipzig, Hörsaalgebäude, Universitätsstraße 7, 04109 Leipzig (genauer Ort wird noch bekannt gegeben) Leipzig, 26. April, 18 Uhr n Vortrag und Diskussion „Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ Heinrich Böll zum 100. Geburtstag* REIHE: Rosa L. in Grünau. Mit JensEberhard Jahn (Publizist). Wahlkreisbüro Grünau, Stuttgarter Allee 18, 04207 Leipzig (barrierefrei) Chemnitz, 27. April, 18 Uhr n Vernissage Das “Kapital” als Comic* REIHE: Marx 200. Mit Jari (Zeichner). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit der VHS Chemnitz. Ganztägig zu besichtigen bis 15 April.
VHS Chemnitz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 27.-28. April, 10-18 Uhr n Workshop „Doppelte Vergangenheit” und Totalitarismusparadigma. Geschichtspolitische Diskurse und Entwicklungen seit 1990 im Land Sachsen* Mit Cornelia Siebeck (Historikerin), Enrico Heitzer (Historiker) und Jonas Kühne (Historiker/Politikwissenschaftler). Eine Veranstaltung der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig mit Unterstützung der RLS Sachsen. KUBUS, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Wissenschaftspark, Permoserstraße 15, Leipzig Der Workshop strebt eine Bestandsaufnahme der Erinnerungskultur in Sachsen anhand authentischer Orte mit „doppelter Vergangenheit“ an und will deren gesellschaftspolitische Implikationen thematisieren. Dabei wird eine kritische Perspektive auf die Konsequenzen geworfen, die jenes Paradigma für das Geschichtsbewusstsein und die historisch-politische Bildungsarbeit besitzt. Der Workshop richtet sich an Multiplikator*innen und Akteur*innen im gedächtniskulturellen Feld in Sachsen. Entsprechende inhaltliche Vorkenntnisse werden erwartet. Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt., Teilnahme nur mit Anmeldung. Teilnahmegebühr: 10 Euro. Kontakt: jonas.kuehne(at)zwangsarbeitin-leipzig.de Leipzig, 28. April, 11-19 Uhr n Konferenz „Marx und Marxismus. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis“ Mit Prof. Dr. Peter Porsch (RLS), Prof. Dr. Manfred Neuhaus (Mitarbeiter MEGA), Dr. Urs Lindner (Philosoph, Universität Erfurt), Prof. Dr. Silke van Dyk (Soziologin, Friedrich-Schiller-Universität Jena), Rüdiger Mats (Autor), Prof.
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 10.950 Exemplaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto
Dr. Erika Maier (Ökonomin, Expertin Geld- und Preistheorie), Dr. Christoph Jünke (Historiker), David Bebnowski (Sozialwissenschaftler, Autor), Jana König (Politikwissenschaftlerin, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung), Prof. Dr. Ulrich Brieler (Institut für Philosophie Universität Leipzig); Moderation: Dr. Antonella Muzzupappa (RLS), Katrin Gerlof (Journalistin), Thomas Land (Max-Weber-Kolleg Erfurt). Eine Veranstaltung von Marx200, Marx Expedition Leipzig (AK des StuRa Leipzig) und der RLS Sachsen. Vortragssaal,Universitätsbibliothek (Albertina), Beethovenstr. 6, 04107 Leipzig Programm und weitere Informationen unter: www.sachsen.rosalux.de Teilnahmebeitrag: 10 Euro, ermäßigt 5 Euro (inkl. Pausenversorgung). Als Ermäßigungsgründe gilt z.B. der Status als Student*in, Schüler*in, Inhaber*in Leipzig Pass, Erwerbslosigkeit usw. Darüber hinaus wissen wir um prekäre Einkommenssituationen auch bei Freiberuflichkeit. Wir setzen auf eine solidarische Selbsteinschätzung! Generell gilt: Teilnahmebeiträge dürfen keine Barriere für die Teilnahme an politischen Bildungsveranstaltungen darstellen. Wir bitten aus organisatorischen Gründen um eine Anmeldung bis zum 13. April 2018: schmohl@rosalux-sachsen.de Niesky, 28. April, 10 -12 Uhr n Vortrag Noch immer ein Sprengsatz. Eine Hommage an Karl Marx zum 200. Geburtstag* Mit Dr. Volker Külow. Mit Unterstützung der RLS Sachsen. Bürgerhaus Niesky, Muskauer Str. 31, 02906 Niesky * in Kooperation der Rosa-LuxemburgStiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.
Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.03.2018 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.05.2018. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773
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Rezensionen
04/2018 Links!
Mit Marx den Aufstieg von Trump und Co. verstehen Dr. Volker Külow empfiehlt einen aktuellen Sammelband über „Die neuen Bonapartisten“ Die 1852 erstmals veröffentlichte Schrift „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ nimmt in Marx’ Schaffen eine Schlüsselstellung ein. Aus heutiger Perspektive liefert der Autor nicht nur eine brillante Darstellung und Interpretation der Ereignisse in Frankreich seit der Februarrevolution 1848, die schließlich zum Staatstreich durch den Neffen Napoleons am 2. Dezember 1851 führten. Die Bedeutung der „genialen Arbeit“ (Friedrich Engels 1885) für die politische Theorie des Marxismus besteht darin, dass Marx auf der einen Seite die Determinierung der politischen Entscheidungen durch die objektiven Bedingungen – die antagonistischen Produktions- und Klassenverhältnisse – immer wieder hervorhebt, auf der anderen Seite aber eine Betrachtung aufgibt, die von einer Entsprechung der verschiedenen Ebenen – Ökonomie, Klassenverhältnisse, Politik im Sinne einer strengen Determinierung ausgeht. Das weltweite Erstarken rechter und nationalistischer Kräfte und Parteien lässt im vorliegenden Sammelband die beiden Herausgeber sowie 13 weitere Autorinnen und Autoren (darunter Frank Deppe, Horst Kahrs, Ingar Solty, Rudolf Walther und Gerd Wiegel) anhand der jüngsten Entwicklungen
in zahlreichen Ländern (u.a. BRD, Italien, Österreich, Polen, Russland und USA) danach fragen, inwieweit Marx’ Bonapartismustheorie für die Erklärung der Gegenwart taugt. „Fragmentierung der Klassen, Pattsituation in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, Verzicht des Bürgertums auf politische Herrschaft (und zur Not auch auf demokratische Errungenschaften) zugunsten ökonomischer Macht, Verselb-
ständigung der Exekutive, vermittelte Herrschaft des Pöbels“, werden hier die zentralen Strichworte von Marx’ „vorbildlicher Analyse der plebiszitären Diktatur“ (Herbert Marcuse) aufgelistet.
sammenhang von Demokratie und Kapitalismus sowie über die Hegemoniefähigkeit der Bourgeoisie im politischen Feld einer demokratischen Verfassung sehr vorsichtig umgegangen werden.“
Das Herangehen ist nicht unumstritten, wie zuletzt Dieter Boris unter der Überschrift „Grobe Allerweltsformel“ in der jungen Welt vom 19. März 2018 ziemlich heftig monierte. Ungeachtet dieser Kritik überzeugt der Ansatz grundsätzlich, denn fast alle Beiträge entgehen der Gefahr, Marx’ Herangehen als Schablone zu missbrauchen. Insbesondere das instruktive Nachwort von Frank Deppe bringt den theoretischen Gebrauchswert vom „18. Brumaire“ für die Betrachtung der Gegenwart auf den Begriff: „Die Tendenz zum autoritären Kapitalismus im frühen 21. Jahrhundert bringt vielfältige Erscheinungen der Entdemokratisierung hervor, die auch als ‚Bonapartismus’ bezeichnet werden können. Aufgrund der gewaltigen Unterschiede zwischen dem Entwicklungsniveau der kapitalistischen Produktionsweise um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich und dem globalen Finanzmarktkapitalismus der Gegenwart sollte jedoch mit der quasi metahistorischen Verallgemeinerung Marxscher Erkenntnisse über den Zu-
Natürlich enthebt die Bonpartismustheorie die heutige Linke nicht, „den eigenen Kopf wirklich anzustrengen“ (Dieter Boris). Was man von Marx aber allemal lernen kann, ist ein Politikverständnis, das weniger auf parlamentarische Konstellationen und Mitregieren schielt, sondern sowohl auf einer genauen, Widersprüche und Veränderungen mitdenkenden Analyse der realen Klassenkräfte und -verhältnisse als auch der Einbeziehung von Sitten, Gebräuchen und Denkstrukturen verschiedener Milieus und Volksklassen basiert: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“ Martin Beck/Ingo Stützle (Hrsg.): Die neuen Bonapartisten. Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen. Karl Dietz Verlag Berlin 2018, 270 S., 18 €
Alain Badiou an der TU Dresden Gleich am Eingang fällt es einem Gast auf, Minuten bevor das Gespräch mit dem französischen Philosophen beginnt: „Sein so viel diskutiertes neues Buch ,Versuch, die Jugend zu verderben‘ fehlt auf dem Büchertisch!“, bemerkt der ältere, aus den alten Bundesländern stammende Herr zu seiner Frau missmutig – und zieht es liebevoll aus seiner Umhängetasche. Er hat recht, aber das Ganze hat wohl einen einfachen Grund: Der Kapitalismus macht auch vor der Präsentation der Bücher eines verdienten glühenden Kommunisten nicht halt. Veranstalter dieses „Passagen-Gespräches“ ist auf Einladung des Dresdner Literaturforum e.V. der in Wien ansässige PassagenVerlag. Neben Alain Badiou sitzt auf dem Podium außer dem Übersetzer der Philosoph und Verlagsgründer Peter Engelmann. Alle Bücher auf dem Tisch des Buchhändlers aus der alternativen Dresdner Neustadt sind von ihm und gewiss hat er den Händler gebeten, ausgerechnet seinen Bestseller, der beim konkurrierenden Suhrkamp-Verlag erschienen ist, nicht auf den Tisch zu legen. Wenn man ein wenig bösartig wäre, könnte man aber sagen: Viel ist an diesem Abend an der Dresdner Jugend ohnehin nicht zu verderben – von der Jugend ist nicht viel zu sehen. Studenten sind im Veranstaltungssaal der Universitätsbibliothek beim Besuch des über 80-jährigen Jugendfreundes Alain Ba-
diou deutlich in der Minderheit. Sie besetzen eher schüchtern die hinteren Sitzreihen. Auch hierfür ist die Ursache leicht auszumachen: Zwar gibt die Philosophische Fakultät stolz bekannt, gemessen an der Zahl der Studierenden zu den größten Fakultäten der TU zu gehören, doch ist kein einziger Professor anwesend, niemand von der TU heißt den Gast mit den unbequemen Ansichten willkommen. Ein Kommunist als Gast der Philosophischen Fakultät? Das ist undenkbar bei der stark auf Theologie setzenden Einrichtung. Die Studenten haben vielleicht zufällig die Informa-
tionen gelesen, aber gewiss hat sie kein Professor aufmerksam gemacht auf die lehrreiche Veranstaltung oder wäre gar mitgekommen. Wer am richtigen Ort das Falsche sagt, dem hört man einfach nicht zu. So ist das in Dresden! Alain Badiou sagt dann in der Tat sehr viel Falsches – aus der Perspektive derer, die eine neoliberale Elite im konservativen Elbtal heranzüchten wollen und sollen. So äußert er: „Die Linke gibt es im Grunde nicht mehr – alle Probleme werden heute aus der Sicht der Privilegierten betrachtet.“ Darin herr-
sche Konsens über alle Parteigrenzen hinweg. Auch das Gerede von Europa sei genau besehen eine andere Art von Fremdenhass – Europa gegen den Rest der Welt, das könne es auch nicht sein. Alain Badiou fordert – nicht ohne dabei auf großes Erstaunen beim Publikum zu treffen –, in den Flüchtlingen und Migranten „nomadisierende Proletarier“ zu sehen. Wenn man diese Perspektive einnehme, fühle man sich besser, schiebt er nach und erinnert gleichzeitig daran, dass die meisten dieser Menschen in Indien und China anzutreffen sind. Doch auch in Europa werde deren Zahl unter den Einheimischen in den eigenen Ländern immer größer. Sie seien die Klasse, auf die er seine Hoffnung richtet und es sei wichtig, dass sich die Intellektuellen ihnen zuwenden und Bündnisse eingehen. Das positive Schlusswort spricht am Ende Dresdens sozialster Unternehmer Jörg Polenz, der als Veranstalter des „Palaissommer“ seit Jahren kostenlose Kultur für alle in Dresden ermöglicht und im letzten Jahr bei seinem ersten Philosophiegespräch mit Richard David Precht und Christian Felber dreitausend überwiegend junge Menschen auf die Elbwiesen lockte. Er dankt als Pragmatiker Alain Badiou für seine Denkanstöße und regt die Anwesenden an, den Fokus auf Solidarische Ökonomie und Gemeinwohlökonomie auszurichten. • Ralf Richter
Links! 04/2018 Am 2. Februar 2018 fand in dem im Leipziger Stadtbezirk Connewitz gelegenen „Werk 2“ eine bemerkenswerte musikalische Veranstaltung statt. Sie widmete sich dem Genre Liedermacher und Chanson. Das mehr als dreistündige Konzert unter dem Titel „Leipziger Liederszene der 80er Jahre“, das anlässlich des Erscheinens der DVD gleichen Namens vom Label-Chef des Musikverlages „Loewenzahn“, Ulrich Doberenz, und den Initiatoren des Projekts Dieter Kalka und Hubertus Schmidt organisiert wurde, war unerwartet gut besucht und ausverkauft. Das zeigt, dass das Interesse an der Liedermacherei immer noch groß ist. Die Idee für ein DVD-Projekt hatten die beiden Liedermacher Kalka und Schmidt, deren Kompetenz der Sache dienlich schien. Sie bekamen den achtenswerten Hinweis, dass im sächsischen Staatsarchiv viel VHSMaterial lagere. Es war ab Mitte der 1980er Jahre vom damaligen Direktor des Leipziger Kulturkabinetts, Stefan Göök, aufgezeichnet worden. Zu DDR-Zeiten bestand freilich kaum die Möglichkeit, Videogeräte und Zubehör zu erwerben, schon angesichts des Kaufpreises. Ausnahmen bestätigten jedoch die Regel, und so gelang es, auf verschlungenen Wegen dem Bezirkskabinett für Kultur in Leipzig eine Videokamera nebst zugehöriger Ausstattung zu beschaffen. Die Aufnahmen dienten hauptsächlich den Protagonisten aus dem sogenannten Kleinkunstbereich zur Selbstkontrolle, in den Bereichen Chanson, Liedermacher, Kabarett, Off-Theater oder Ballett. So dokumentierte Stefan Göök unzählige Auftritte in den Clubs und Kleinkunstbühnen der MesseMetropole und gewährt heute einen seltenen Einblick in die Liedermacherszene jener Jahre. Dass den größtenteils widerborstig erscheinenden Liederleuten, die den staatlichen Kulturbehörden höchst suspekt erschienen, solche Podien geboten wurden, war mitunter dem Stadtkabinett für Kulturarbeit zu verdanken. Dessen Leiter war, wie erwähnt, Stefan Göök. Doch vor allem der Lyriker Odwin Quast, der geniale Organisator, verstand es geschickt, als Leiter des „Arbeitskreises Chanson“ passende Auftrittsorte zu finden, auf deren Bühnen er seine „Schützlinge“ singen lassen konnte, ohne dass es zu Unannehmlichkeiten in Folge staatlicher Willkür gekommen wäre. So kreierte Quast mehrere Veranstaltungsreihen, die er persönlich moderierte, wie das „Lieder-Café“ im Haus der Volkskunst (heute Sitz des legendären Theaters der jungen Welt), das „Chanson-Café“ im historischen Café Günther (heute Café Grundmann), das „Tele-Phon“ im Eiskeller (heute Conne Island) oder die „Chansonspirale“ im Haus Leipzig und an diversen anderen Spielstätten in der Stadt. Als Leiter des „Talente-Studios“ förderte er Nachwuchskünstler aus der Region, die das teilweise als Sprungbrett für eine spätere professionelle Karriere nutzten. Ein umfangrei-
Die letzte Seite ches Interview mit Quast ist auf der DVD enthalten – es zieht sich bruchstückhaft wie ein roter Faden durch die Dokumentation, die an die dreißig Protagonisten vorstellt. Dabei ist hervorzuheben, dass es damals Schätzungen zufolge mehr als hundert vorwiegend junge Liedermacher gab, alle aus Leipzig!
Sänger der „Folkländer“, und Dieter Beckert von „Karls Enkel“, dessen hochkarätiges Repertoire auf tiefschwarzem Humor beruht. Das Duo kreierte den Begriff „Brachial-Romantik“. Ines Agnes Krautwurst und Stephan König, die sich des Chansons in klassischer, teilweise jazziger Form bedienen, Susanne Grütz und Hu-
Ein seltener Einblick! Jens-Paul Wollenberg freut sich über eine ganz besondere Film-Dokumentation von Hubertus Schmidt und Dieter Kalka, das mit in der DDR seltenem VHS-Material die Leipziger Liedermacher-Szene der 80er zeigt
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legendären Folkgruppe „Wacholder“ Jörg „Ko“ Kokott; Dieter Kalka, sensibler Liedermacher mit teils rebellischem Charakter; José Perez, der aus Chile stammende Interpret mit herzzerreißender Stimme; das virtuose Klang-Quartett „Pojechaly“; und, nicht zu vergessen, der Dichter Andreas Reimann, der maßgeblich als kongenialer Texter für etliche Liedund Chansoninterpreten galt und gilt, die seine zum Teil sehr spitzzüngige, satirische Lyrik schätzten – sie alle werden gewürdigt. Musikalische Mentoren, die junge Talente förderten, kamen aus dem Jazzbereich oder der Unterhaltungsmusikbranche ernstzunehmender Art. Einen wichtigen Beitrag im Arbeitskreis Chanson leistete der Schauspieler, Dichter, Übersetzer und Liedermacher Werner Bernreuther, der als Dozent für Liedinterpretation an der Leipziger Musikhochschule tätig war. Mit pädagogischem Feingefühl vermittelte er wichtige Ratschläge zu Bühnenpräsenz, Stimmbildung, Interpretation und Textdichtung, ohne mit angemessener Kritik zu sparen. Der am 6. Dezember 1941 in Sonneberg geborene Bernreuther, der zwischen 1965 und 1969 ein Schauspielstudium an der Theaterhochschule Leipzig absolvierte, sammelte zwischen 1971 und 1979 Erfahrungen an verschiedenen Theatern der Republik. Die konnte er, auch als einer der wichtigsten Songpoeten seiner Zeit, als Mentor zahlreicher Junginterpreten weitergeben. Das verhalf etlichen davon zu DDR-weiter Bekanntheit, Stephan Krawczyk sei hier erwähnt, auch Dieter Kalka. Bernreuther selbst war Preisträger bei den Chansontagen in Frankfurt an der Oder und leitete von 1986 bis 1987 einen Liedermacherlehrgang beim Komitee für Unterhaltungskunst Leipzig. Nach der Wende zog er nach Berlin, wo er als Übersetzer arbeitete – unter anderem an Texten von Bulat Okudschawa und Wladimir Wyssozki. Auch Bernreuther ist in diesem von Jürgen B. Wolff sehr aufwändig und liebevoll gestalteten Werk, das eine sechzigseitige Broschüre beinhaltet und gespickt ist mit zeitdokumentarischem Material, seltenen Fotos, Biografien, Zeitungsannoncen, Plakaten und Interviewschnipseln, zu sehen und zu hören. Eine CD mit zwanzig hochwertigen Studioaufnahmen ergänzt die DVD auf interessante Weise. Den Machern dieses Projekts ist ein imposantes Projekt gelungen, das eine Liedermachergeneration vorstellt, die sich staatlich verordneten kulturpolitischen Leitzielen verweigerte und dennoch Förderung genießen konnte. In diesem Widerspruch bildete sich eine Nische kulturell eigenwilliger Freizügigkeit.
Ein fester Kern der Aktivisten hat sich bis in die Gegenwart erhalten und bespielt weiter die Kleinkunstbühnen, so zum Beispiel das „Duo Sonnenschein“, bestehend aus Jürgen B. Wolff, ehemals charismatischer
bertus Schmidt huldigen klassischen Chansons tiefgründiger Art mit robustem Piano-Arrangement. ClemensPeter Wachenschwanz, der brillierende singende Kabarettist mit sonorer Bluesröhre; der Ex-Frontmann der
Die DVD-CD-Edition „Leipziger Liederszene der 80er Jahre“ erschien 2018 bei „Loewenzahn/RUM Records“. www.loewenzahn-verlag.com
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April 2018
Sachsens Linke
Aktuelle Informationen stets auch unter www.dielinkesachsen.de
Linke Bildungsakademie: Deine Ideen sind gefragt! Welche Themen wünschst Du Dir für die Bildungsakademie des Vereins Linke Bildung und Kultur im November? Vom 16.11. bis zum 18.11. 2018 wird die linke Bildungsakademie des Vereins Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. im Gut Frohberg in Krögis bei Meißen stattfinden. Im Mittelpunkt stehen die Voraussetzungen und Bedingungen für Beteiligung und Kommunikation und damit verbunden die Weiterbildungen und Qualifikation derer, die sich in linken Strukturen und Zusammenhängen engagieren oder dies vorhaben. In erster Linie geht es um Fähigkeitsvermittlung. Egal ob Du Dich in der Partei, Vereinen, Initiativen und/oder Bündnissen einbringst: Hier wird die Möglichkeit geboten, in fünf Workshop-Schienen verschiedene Skills rund um politische Arbeit zu
erlernen, auszuprobieren und Wissen zu vertiefen. Bevor wir in die inhaltliche Planung gehen, wollen wir von euch wissen, welches Thema euch besonders unter den Nägeln brennt, womit wir euch in eurer Arbeit am besten unterstützen können und was ihr schon immer einmal lernen wolltet. Mögliche Themen könnten sein: Argumentationstraining, emanzipatorische und effektive Moderation in und mit unterschiedlichen Kontexten, konstruktives Beraten und Einbinden, Konflikttraining, Wege der Entscheidungsfindung, freies Reden, Beteiligungsorientierte Kampagnen und alles rund ums Thema Netzwerken, Umgang mit dem Arbeitsdruck in linken Zusam-
menhängen oder der Herausforderung und notwendigen Verständigung zum Kinderhaben in politischen Zusammenhängen. Schreibe uns doch einfach bis zum 31.05.2018 eine Mail an alex. jahns@dielinke-sachsen.de oder rufe kurz an: 0351/8532731. Im Anschluss daran geben wir Euch ein Feedback der Ergebnisse und zu deren möglicher Umsetzung. Während der Akademie gibt es neben qualitativ hochwertigen Seminaren auch genügend Raum, um sich zu vernetzen, zu diskutieren und einander zuzuhören. Alle Seminare werden prozessoffen vermittelt. Wir freuen uns darauf, von Dir zu hören und Dich im November auf unserer Akademie begrüßen zu können!
Lasst uns um die beste Idee streiten Seit Jahren sagen wir: Hartz IV muss weg. Richtig so! Und ja, wir haben unsere Positionierung weiterentwickelt. Wir wollen eine sanktionsfreie Mindestsicherung. Aber könnte auch dieses Konzept bereits nicht mehr zeitgemäß sein? Nun hat die SPD den Vorstoß gewagt und will ein Grundeinkommen. Dabei will sie die Sanktionen weitestgehend abschaffen, einen öffentlichen Beschäftigungssektor aufbauen, in dem nicht mehr unter menschenunwürdigen Bedingungen für einen Euro die Stunde geschuftet werden soll, sondern das monatliche Einkommen zumindest der Mindestsicherung entspricht. Das ist immer noch weit weg von dem, was wir wollen, aber es ist ein Schritt. Wir haben es bis dato nicht geschafft, unsere Vorstellungen über eine generelle Absicherung für Menschen ohne Gängelei mehrheitsfähig zu machen. Auch weil wir Debatten nicht geführt haben. Auf dem vergangenen Landesparteitag habe ich gesagt, dass es höchste Zeit wird, dass wir uns wieder diesen Themen verschreiben und damit Zukunft beschreiben. Zeit wird es allemal und genau dafür standen wir einst als PDS und LINKE: mutige Vorschläge zum Wohle aller Menschen.
kommunal geht nur sozial Über 1.000 Kommunalpolitiker*innen sind derzeit für uns tätig – in Kreistagen, Ortschaftsräten, Stadtund Gemeinderäten, als (Ober)Bürgermeister*innen sowie als sachkundige Einwohner*innen oder ohne Mandat. Bei dieser starken sachsenweiten Verankerung soll es auch nach den Kommunalwahlen im Frühjahr 2019 bleiben. Doch dafür müssen wir einige Schrauben drehen. Beim Landesvorstand gibt es dafür eine Arbeitsgruppe, die sich die Vorbereitung der Kommunalwahlen auf den Tisch gezogen hat.
Aktuell widmen wir uns zwei großen Blöcken: Kandidat*innenfindung und inhaltliche Schwerpunkte. Dafür haben wir Ideen, erste Materialien und Treffen mit Kreis- und Ortsverbänden organisiert. Denn die Umsetzung, Orga und der Wahlkampf werden dann wieder vor jeder Haustür stattfinden. Doch bis dahin suchen wir Unterstützung, nehmen Anregungen und Ideen entgegen und kommen bei euch vorbei! • Lars Kleba, Mitglied im Landesvorstand
Unterwegs in der Platte oder auf dem Land Katja Kipping geht auf Sommertour. Wenn ihr die Parteivorsitzende einladen wollt – auf eine Wanderung, eine Radtour oder zum gemeinsamen Kuchenessen, wenn ihr Land, Leute, interessante Institutionen zeigen wollt, dann meldet euch bitte bis zum 10. Mai 2018 bei Marko Forberger: marko.forberger@gmail.com
Nun hat der Landesvorstand nicht nur den Vorschlag unterbreitet, dass wir die Spitzenkandidatur mit einer Befragung aller Mitglieder entscheiden, sondern auch die inhaltlichen Schwerpunkte für das Landtagswahlprogramm 2019. Beides stünde uns gut zu Gesicht und ich hoffe, dass der Landesparteitag im August dem Vorschlag folgt. Wenn wir nicht vor allem bei den großen Themen beginnen, wieder Pflöcke einzuschlagen, werden wir in Sachsen nicht weit kommen - als Partei und bei unseren Wahlergebnissen. Deshalb: Lasst uns diskutieren, lasst uns streiten um die beste Idee. Und lasst uns damit echte LINKE sein.
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Leserbriefe Zu „Warum tunesische Jugendliche in Boote steigen“ (SachsensLinke 03/2018, S. 8)
Besser die Lage in Herkunftsländern verbessern Den Bericht möchte ich loben, denn ich bin auch der Meinung, dass es vielmehr darauf ankäme, die Situation in Tunesien (und anderen Herkunftsländern) zu verbessern als sich darauf zu konzentrieren, Menschen, die sich Illusionen über Europa machen, von Booten zu holen. Die Losung unbeschränkt „offener Grenzen“ drückt unrealistische politische Strategien aus, aber klar sollte auch sein, dass man nicht die EU-Länder, die primäre Ankunftsländer sind, alleine lassen darf. Das ist insbesondere den Visegrad-Ländern zu sagen. • Dr. Raimund Ottow, Dresden
Zuerst die Ursachen in BRD, EU und NATO beseitigen Ich stimme Ralf Richter insofern zu, dass die Probleme zuerst an Land gelöst werden müssen. Dazu gehört, dass die westeuropäischen Mainstreammedien ein zu positives Bild ihrer Länder zeichnen. Hinzu kommt die Wirtschaftspolitik der EU, die zur Verarmung und Ausplünderung der Herkunftsländer führt. Und wenn ein Land den eigenen Reichtum für die Bevölkerung und nicht für westliche Konzernprofite verwenden will, wird es zerstört, wie z.B. Libyen zeigt, mit den erwähnten negativen Folgen auch für Tunesien. Somit müssen die Ursachen zuerst in der BRD, der EU und der NATO beseitigt werden. Hilfsorganisationen können da bestenfalls die Probleme nur leicht abmildern. Und wenn sie versuchen, die Entwicklungsmodelle der problemverursachenden Staaten durchzusetzen oder wenn sie hochbezahlte eigene Kräfte senden oder nicht die Eigenaktivitäten der Bevölkerung unterstützen, sondern eine Hilfsindustrie aufbauen, verschärfen sie die Probleme noch. Das gilt auch für die mangelnde Unterstützung der europäischen Mittelmeerstaaten auch durch die BRD. Solange wir die Problemursachen bei uns nicht gelöst haben, können wir den Menschen nicht verwehren, zu uns zu kommen. Auch viele Ostdeutsche gingen ja in den Westen, weil sie sich dort bessere Aussichten erhofften. Und dann stimme ich dem Sächsischen Flüchtlingsrat zu, dass sie eine sichere Überfahrt benötigen. Deshalb sehe ich keinen Widerspruch zwischen beiden Positionen. Und es sollte klargestellt werden, dass Bekämpfung der Migrationsgründe nicht mehr Lager, Grenzkontrollen, Polizei- und Armeegewalt, Überwachung und Anti-Migrations-Propaganda bedeuten, wie es u.a. die BRD-Regierung vertritt. Und die Nichtunterstützung der europäischen Mittelmeerländer ist auch keine Rechtfertigung, dass sie den Druck an die Geflüchteten weitergeben und sie menschenrechtswidrig behandeln. • Uwe Schnabel, Coswig
Zu „Lenin – Ein Leben“ (Links! 03/2018, S. 11)
Kenntnisreiches Bild von Lenin? Die Bolschewiki verwirklichten als einzige den Wunsch der Bevölkerung nach einer Bodenreform und Frieden. In seiner Schrift „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?“ legte Lenin dar, wie die Bolschewiki Russland demokratisieren wollten. Brecht machte daraus die Aussage über die Köchin, die den Staat regiert. Leider aber logischerweise wollten die Feinde der Bolschewiki die Revolution im Blut ertränken. Dagegen mussten sich die Bolschewiki wehren. Dabei übernahmen sie teilweise die Methoden ihrer Feinde. Nachdem diese Feinde die Revolution nicht mehr zerschlagen konnten, wollte Lenin einen gemäßigteren Kurs durchsetzen. Auch wegen der Folgen des Attentats auf ihn konnte er das nicht mehr umsetzen. Selbst den Aufstieg Stalins konnte er nicht mehr verhindern. Auch die Aussage, dass er keinen tolerieren konnte, der etwas auf den Kasten hatte, ist offensichtlich falsch, wie u.a. das Beispiel Trotzki zeigt. Lenin wollte, auch potentielle, Verbündete durch Argumente überzeugen. Dass er Gelegenheiten entschlossen nutzte, während die Verzögerungsstrategie seiner Gegner zuverlässig die Revolution verhindert hätte, spricht auch nicht gegen ihn. Wenn all das nicht erwähnt wird, kann dann von einer differenzierten Vorgehensweise und einem kenntnisreichen Bild gesprochen werden? • Rita Kring, Dresden Zu „Die Wurzeln des Rassismus“ (Links! 01-02 2018, S. 6)
DDR-Gesellschaft nicht diskreditieren Der Autor bläst in das Horn derjenigen, die versuchen, um die DDR-Gesellschaft zu diskreditieren. Da Rassismus und Fremdenhass ein allgemein menschliches (psychologisches) Problem sind, greift seine Darstellung viel zu kurz. Ich kenne sehr viele Menschen, die in der DDR mit Ausländern gearbeitet oder studiert haben (allein 40.000 Kubaner konnten in der DDR kostenlos studieren). Die Studenten lebten zusammen in Wohnheimen oder Wohnungen, die ihnen bereitgestellt wurden. Die Ausländer, die unter Auflagen hier lebten und arbeiteten, konnten sich frei bewegen und schlossen viele Freundschaften mit DDR-Bürgern. Ich habe es als Studentin selbst erlebt. Die Rede von der Diskriminierung soll über die Zustände im Westen hinwegtäuschen, wo Ausländer oft die „Drecksarbeiten“ erledigen mussten. Dass es Diskriminierung in der DDR gegeben haben mag, ist nicht auszuschließen. Doch eher muss man wohl sagen, dass sich die große Masse der Ausländer in der DDR sehr wohl fühlte. Rechtes Gedankengut wurde nicht geduldet, es gab keine rechten Parteien, keine „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die ihre Einstellungen verbreiten konnten.
Dennoch konnte man keinem verbieten, rechtes Gedankengut zu pflegen: die Gedanken sind frei. Wenn der Autor Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen zitiert, sollte er auch Solingen und Mölln erwähnen. Ich empfehle die Liste über „Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der BRD“, die dokumentiert, dass die Zahl von Todesopfern rechter Gewalt im Westen deutlich höher ist als im Osten. Das sollte man aufarbeiten! In Rostock-Lichtenhagen waren es vor allem Rechte aus den alten Bundesländern, die dieses Pogrom angeheizt haben. Das ist erwiesen, und auch, dass Vertreter verantwortlicher Behörden, maßgeblich nicht aus dem Osten (die waren alle entlassen worden), in ihre Heimatorte gefahren waren, denn es war Wochenende! Vermutlich kamen diese Ereignisse aber auch den Politikern gelegen, denn schließlich fanden sie einen Grund, das Asylrecht zu verschärfen (Drittstaatenregelung). Außer Acht lässt der Autor die Zeit der Wende, die für sehr viele Ostdeutsche der Fall in ein tiefes Loch war, viele wurden entwurzelt und fühlten sich hilflos. Entgegen der Behauptung, die DDR sei kein antifaschistischer Staat gewesen und Rassismus sei vor allem im Osten verbreitet, möchte ich erinnern, dass schon im Kindergarten zu Völkerfreundschaft und Frieden erzogen wurde. Das fand seine Fortsetzung in den Schulen. Herr Wegener sieht die Ursache des Rassismus im Osten auch darin, dass die deutschen Verbrechen während der Kolonialzeit nicht aufgearbeitet wurden, sondern Denkmäler aus dieser Zeit abgerissen und damit die Erinnerung daran getilgt werden sollte. Hätte Herr Wegener DDR-Geschichtsbücher zu Rate gezogen, wäre ihm aufgefallen, dass im Osten, im Gegensatz zur BRD, nicht nur die Verbrechen der Nazizeit, sondern auch die der Kolonialzeit thematisiert und verurteilt wurden. Denkmäler wurden gestürzt und Straßen umbenannt, jedoch nicht weil man die Vergangenheit ruhen lassen wollte, sondern weil man Verantwortliche für das Geschehene nicht noch ehren wollte und weil man mit diesem verbrecherischen Staat gebrochen hatte und einen neuen bauen wollte, einen, in dem das Kapital nicht mehr herrschen sollte. Die BRD, die sich als Nachfolger des Deutschen Reiches verstand, hat sich bis heute nicht bei den Nachkommen der Herero entschuldigt und verweigert seit 2015 die Annahme ihrer Klageschrift. Es war der erste durch Deutsche begangene Völkermord (ca. 65.000 Herero und 10.000 Nama). Doch die Bundesrepublik verweigert diesen Begriff mit der Begründung, er sei erst 1948 durch die UNO eingeführt worden. Als im Bundestag 2016 das Massaker an den Armeniern als Völkermord verurteilt wurde, hatte man keine Probleme damit: es betraf ja die Türken. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Deutsche Reich diese Verbrechen geschehen ließ, weil die Türkei sein Verbündeter war. Übrigens lebte der Hauptverantwortliche unbehelligt bis 1921 in der Berliner Fasanenstraße, bis er von Armeniern erschossen wurde. Der Autor zitiert aus dem Buch von
Harry Waibel „Der gescheiterte Antifaschismus der SED“. Ich habe diesen „Historiker“ in Chemnitz erlebt. Er las eine Stunde lang aus Stasiakten vor, in denen Aufmärsche von Rechten und Schlägereien zwischen Ausländern und Einheimischen akribisch geschildert wurden. Da kann ich nur sagen: Schön, dass die Stasi das beobachtet hat, dazu war sie ja auch da. Aber davon einen allgemeinen Rassismus in der DDR ableiten zu wollen, ist Oberflächlichkeit oder Unvermögen. Wie Deutschland heute zu rechtem Gedankengut steht, kann man am NSUProzess beobachten, an Skandalen in der Bundeswehr oder an der Debatte um Kasernen, die Namen von Wehrmachtsoffizieren tragen. Kurz nach der Wende wurden in Ostdeutschland in vielen Orten die Straßennamen geändert: Namen von Kämpfern gegen den Faschismus wurden gelöscht. Straßen und Plätze wurden nun nach Herzögen, Fürsten oder gar Königen benannt. Die erste Schule, die den Namen der Geschwister Scholl erhielt, befand sich nicht etwa in München, sondern in Freiberg (Sachsen). Das war 1949! Die Namen so vieler mutiger Menschen sind schon vergessen, dabei könnten sie uns allen Vorbild sein im Finden des richtigen Weges. Der kann nur darin bestehen, für Frieden und Solidarität einzutreten, den Schwachen beizustehen, Unrecht zu beseitigen. Doch das Gegenteil geschieht. Die Bundeswehr hat ihren Anspruch als Verteidigungsarmee aufgegeben. Wir stehen wieder an der „russischen Front“. Deutsche Soldaten sind in Kriegen gefallen. Dabei sollte nie wieder eine Mutter ihren Sohn beweinen! Herauszufinden, warum das so ist, könnte Auftrag eines Historikers sein. • Erika Zeun, ERZgebirge
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 23.03.2018 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 02.05.2018.
04/2018 Sachsens Linke!
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„Ein Gesetz, das Prostituierte nicht schützt“ SachsensLinke sprach mit der Gleichstellungspolitikerin der Landtagsfraktion der LINKEN, Sarah Buddeberg, über das Prostituiertenschutzgesetz Seit Juli 2017 gilt das Prostituiertenschutzgesetz auf Bundesebene. Wie ist der Stand in Sachsen? Wie die meisten Länder hinkt Sachsen hinterher. Lange wurde das Ausführungsgesetz wie eine heiße Kartoffel weitergereicht, weil es keine Einigung gab, welches Ministerium zuständig ist – wegen fehlender Ressourcen und weil Prostitution ein Tabuthema ist. Niemand wollte sich daran die Finger verbrennen. Nun liegt der Ball beim Sozialministerium und die Kritik an dessen Gesetzesentwurf ist groß. Wer kritisiert das Ausführungsgesetz? Anfang Februar gab es eine Anhörung im Sozialausschuss mit Sachverständigen aus verschiedenen Bereichen. Alle Expert*innen sprachen sich gegen das Gesetz aus. Darunter Vertreter*innen der Gesundheitsämter, der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen, Massagesalons sowie der Städte- und Gemeindetag. Selten waren sich Sachverständige in einer Anhörung so einig.
Und was bemängeln sie? Vor allem, dass das Gesetz Sexarbeiter*-innen eben nicht schützt, sondern drangsaliert und vermutlich viele in die Illegalität treiben wird. Zum Beispiel müssen sie die verpflichtenden Gesundheitsberatungen selbst bezahlen. Und alle Prostituierten müssen sich registrieren lassen. Bisher ist aber nicht klar, wer Zugriff auf die Anmeldedaten hat. Kann etwa das Jugendamt sehen, dass Frau XY als Nebenverdienst Sexarbeit betreibt und hat das Auswirkungen auf Sorgerechtsfragen? Oder hält die Polizei künftig Menschen an, weil die das Merkmal „Prostitution“ in irgendeiner Akte tragen? Der Datenschutz ist bislang völlig ungeklärt! Ein besonderer Irrsinn ist übrigens, dass Prostituierte unter 21 Jahren sich doppelt so oft anmelden und beraten lassen müssen. Aber dient das nicht ihrem Schutz? Nur theoretisch. Junge Sexarbeiter*innen müssen zweimal im Jahr zur Gesundheitsberatung – und natürlich
auch zweimal im Jahr dafür bezahlen. Das Gesetz zwingt also gerade diejenigen dazu, mehr Prostitution zu betreiben und Geld zu verdienen, die eigentlich der Gesetzesbegründung nach besonders geschützt werden sollen. Warum stellt sich der Städteund Gemeindetag gegen das Gesetz? Verdienen Kommunen nicht daran? Die Städte werden sogar ziemlich alleine gelassen mit den Kosten, die das Ausführungsgesetz verursacht. Es ist zwar ein finanzieller Ausgleich vom Land vorgesehen, etwa für die Registrierung, Dolmetscherkosten und Beratungen. Berechnungen der Stadt Chemnitz zeigen aber, dass dieser Ausgleich viel zu niedrig ist und dass es lediglich eine einmalige Zahlung vom Land, aber keinen dauerhaften Ausgleich gibt. Dieses vermurkste Gesetz wird auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen. Gibt es denn Bundesländer, in denen das besser läuft? Ja, die gibt es. In sieben Ländern, etwa in Brandenburg und Baden-Württemberg, werden von Sexarbeiter*innen keine Gebühren für die regelmäßige Anmeldung und Gesundheitsberatung erhoben. Und in den anderen Bundesländern sind die Gebühren deutlich niedriger. Sachsen wird nach dem jetzigen Stand die höchsten Gebühren bundesweit erheben. Im Verhältnis zu den Einkommen, die Sexarbeiter*innen in Sachsen erzielen, sind diese Gebühren für viele kaum zu stemmen. Welche Forderungen stellt DIE LINKE, um Sexarbeiter*innen wirklich zu schützen? Wir wollen, dass Registrierung und Beratungen für die Sexarbeiter*innen kostenlos sind. Außerdem müssen die Kommunen vom Land dauerhaft die finanziellen Aufwendungen erstattet bekommen. Schließlich ist es an den Städten und Gemeinden, die Beratungsstellen im Gesundheitsamt dem Bedarf entsprechend umzubauen und zusätzliches Personal einzustellen. Wir fordern außerdem, die aufsuchende Sozialarbeit weiter auszubauen. Denn bei den verpflichtenden Beratungen, die das Gesetz vorsieht, werden Zwangslagen wohl kaum zuverlässig erkannt. Sinnvoll wäre auch eine Landesfachstelle, um den Fachdialog zwischen Gemeinden zu fördern und Expert*innenmeinungen bei künftigen Entscheidungen einzubeziehen. Vor allem aber braucht das
Neues aus dem Landesvorstand Der Landesvorstand hat bei seiner Tagung am 9. März 2018 folgende Beschlüsse gefasst: Wie bereits durch Pressemitteilung bekanntgegeben, hat der Landesvorstand das Wahl- und Aufstellungsverfahren zur Landtagswahl 2019 beschlossen. Inhaltlichen Schwerpunkt bildet ein Mitgliederentscheid über die zentralen Inhalte des Wahlprogramms 2019 sowie zur Spitzenkandidatur. Um diesen Vorhaben adäquat umzusetzen, wurde eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung des Wahl- und Aufstellungsverfahrens beauftragt. Weiterhin beschloss der Landesvorstand einen vorläufigen Ablaufplan für die Landtagswahl 2019 sowie die Landtagswahlkampagne gemeinsam mit einer Agentur zu realisieren. Auch wurde die Einberufung der Landesseniorenkonferenz 2018 beschlossen. Diese wird am 21. Juni 2018 in Dresden stattfinden. Des Weiteren fasste der Vorstand den Beschluss, die ehrenamtliche Stelle eines/r Landesinklusionsbeauftragten der sächsischen LINKEN einzurichten. Sie wird für eine Dauer von zwei Jahren berufen. Abschließend beschloss der Landesvorstand, den Aktionsplan Ost der ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden zu unterstützen. Dieser sieht vor, konkrete politische Maßnahmen zu entwickeln, um gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu realisieren. Die Ausgestaltung dieser Politik soll in Kooperation von Landesvorstand und Landtagsfraktion erfolgen. Abschließend wurde der Landesvorstand über die Ereignisse rund um den 13. Februar 2018 Dresden und die laufenden Vorbereitungen des Karl-Marx-Jahres informiert. • Marcus Boës Ausführungsgesetz konkrete Datenschutzregelungen, um die Privatsphäre der Sexarbeiter*innen tatsächlich zu schützen. Wie geht es in Sachsen nun weiter mit dem Gesetz? Die Kritik in der Anhörung im Sozialausschuss war dermaßen laut, dass die Landesregierung sie unmöglich übergehen kann. Hier muss nachgebessert werden! Wann das Ausführungsgesetz dann aber wirklich fertig – und akzeptabel – sein wird, ist im Moment noch nicht klar. Hier sind die Koalitionsfraktionen gefragt. Aktuell steht das Gesetz noch nicht mal auf der Tagesordnung der nächsten Sozialausschusssitzung, es wird also frühestens im Juni-Plenum verabschiedet werden können. Selbstverständlich werden wir weiter unsere Forderungen stark machen und einen entsprechenden Änderungsantrag einbringen.
Sachsens Linke! 04/2018
Harald Wendler wiedergewählt Viele haben am 18.3. nach Frankfurt/ Oder geblickt, wo sich René Wilke, Oberbürgermeisterkandidat der LINKEN, in der Stichwahl durchsetzen wollte und schließlich auch konnte. Allerdings haben auch wir in Sachsen und besonders hier im Erzgebirge mitgefiebert, und zwar bei der Bürgermeisterwahl in Geyer. Hier trat unser Harald Wendler erneut an, als einziger Kandidat. Ein weiterer Kandidat konnte nicht genug Unterschriften sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden. Nichts war zu sehen von einem Plakatwald. Die Briefkästen quollen nicht über mit Wahlkampfmaterialien. Vielmehr war und blieb Harald im Gespräch, trat mit einer Agenda an und
konnte mit dem, was er für Geyer in den letzten Jahren erreicht hat, überzeugen. Zugegebenermaßen hätten die geyerschen Genoss*innen und der Kreisvorstand Erzgebirge gern mehr unterstützt, aber es war scheinbar genau richtig, wie er sich entschied. Mit 99,7 Prozent der Stimmen wiedergewählt bei immerhin 46 Prozent Wahlbeteiligung! Wenn es nur einen Kandidaten gibt, spricht auch die Wahlbeteiligung dafür, dass sich viele in Geyer von Harald Wendler gut vertreten fühlen. Wir gratulieren Harald Wendler aufs Herzlichste und wünschen viel Kraft und Erfolg, um alle Vorhaben anzupacken. • Antje Feiks
Am 8. März auf Tour Auch in diesem Jahr waren die LINKEN im Erzgebirge wieder im Landkreis unterwegs und haben zum Internationalen Frauentag Blumen verteilt. Klaus Tischendorf und ich haben zusammen mit Angela Hähnel und Andrea Schrutek im Bereich Aue-Schwarzenberg und Stollberg eine Tour durchgeführt. Start war um 9 Uhr am ECE in Zschorlau. Hier bekamen wir tatkräftige Unterstützung durch Andy Schellenberger, einem jungen Genossen aus dem Ortsverband Oberes Erzgebirge. Wir bemerkten die vielen freudigen Gesichter der Frauen und auch ein gewisses „Überraschtsein“. Eines war hier schon klar: Die Tour wird allen Beteiligten viel Freude bereiten und einiges an Überraschungen bereithalten.
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DIE LINKE. Kreisverband Erzgebirge
ganz jungen Genossin aus Thalheim. Zu unserer Überraschung gab es rote Glückskekse. Zum Abschluss drehten wir noch eine Runde über Lugau und Stollberg. Ziemlich erschöpft, aber mit vielen freudigen Eindrücken, beendeten wir gegen 17 Uhr im Bürgerbüro Stollberg
unsere Tour. Zu guter Letzt tagte um 18 Uhr der geschäftsführende Kreisvorstand. Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Genossinnen und Genossen bedanken, die am 8. März viele Lächeln auf die Gesichter der Frauen im Kreis gezaubert haben. • Holger Zimmer
Theaterpädagogisches Zentrum Stollberg gesichert Auf Grund der Umgestaltung des Verwaltungsgebäudes des Kreiskrankenhauses Stollberg musste sich das Theaterpädagogische Zentrum (TPZ) eine neue Wirkungsstätte suchen. Mit großer Unterstützung der Stadt Stollberg und des Landkreises wurde eine sehr gute Lösung gefunden. Die ehemalige JVA Hoheneck wird in Zukunft das Domizil des Kinder- und Jugendtheaters „Burattino“ sein. Dazu wird der vorhandene Kinosaal für die Zwecke des TPZ umgestaltet. Über einen Nutzungsvertrag zwischen dem Erzgebirgskreis und der Stadt Stollberg wird das Projekt über 15 Jahre abgesichert. Die Baumaßnahmen sollen 2020 beendet sein. Insgesamt stehen dem TPZ dann 1063 m² zur Verfügung. Der Umbau wird zu zwei Dritteln aus Fördermitteln „Stadtumbau Ost“ finanziert. Den Eigenanteil der Stadt Stollberg übernimmt der Landkreis. Der Erzgebirgskreis beteiligt sich damit mit 1.457.600 €, die als vorgezogenes Nutzungsentgeld in den Jahren 2018 bis 2022 gezahlt werden sollen. Ziel ist es, zusammen mit der Erlebniswelt „Phänomenia“, die bereits ins Schloss Hoheneck eingezogen ist, sowie mit der Gedenkstätte einen größeren Bekanntheits- und Wirkungsgrad zu erlangen. Weiterhin können Schülerprojekttage/wochen durchgeführt werden. Kulturelle Bildung und das Miteinander sind wichtige und notwendige Güter in unserer Gesellschaft. • Siegfried Opitz, Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Stollberg, Kreisrat
Weiter ging es über Sosa, Breitenbrunn nach Elterlein. In Breitenbrunn wurde eine kurze Kaffeepause eingelegt und den netten Frauen hinter der Theke eine Rose überreicht. In Elterlein wartete das Regionalfernsehen ERZTV bereits auf uns. Ein kurzes Statement und ein kleiner Rundgang durch die Geschäfte am Markt waren für viele überraschend, denn wann kommt denn schon mal das Fernsehen nach Elterlein? Weiter ging es nach Thalheim. Hier hatten wir Unterstützung durch Karoline Loth, einer
Familienfest der LINKEN Samstag, 26. Mai, 10 bis 16 Uhr, Markt in Annaberg-Buchholz mit Straßencafé, Kochtour, Hüpfburg, Kinderbasteln und vielem mehr. Gäste: Rico Gebhardt, Caren Lay und Klaus Tischendorf
LINKE bündeln Kräfte im oberen Erzgebirge Seit geraumer Zeit laufen bei den LINKEN des Erzgebirgskreises Fusionen kleinerer zu größeren Ortsverbänden. So wurde auch das Zusammengehen der Ortsverbände Eibenstock und Johanngeorgenstadt seit etwa zwei Jahren gemeinsam intensiv vorbereitet. Am 28.02.2018 wurde im Rahmen einer Gesamtmitgliederversammlung beider Ortsverbände – Kreisvorsitzender Holger Zimmer war als Gast dabei – zunächst die Bildung des Ortsverbandes Oberes Erzgebirge einstimmig
beschlossen. Der Name ist durchaus passend, weil es in noch höher gelegenen Regionen des Landkreises leider keine LINKEN-Ortsverbände gibt.Danach erfolgte ordnungsgemäß die Wahl des neuen Ortsvorstandes. Ich selbst wurde zur Vorsitzenden und Peter Bley als mein Stellvertreter gewählt. Weitere Vorstandsmitglieder sind Christine Hauck, Wolfgang Halangk, Dirk Lambrecht, Kai Brenner und Andy Schellenberger. Erfreulich ist, dass sich mit Letzteren zwei junge Genossen aktiv in die Arbeit des Vorstandes einbringen.
Das Wahlergebnis ist auch mit Blick auf die Altersstruktur eine gute Mischung. Die Frauen – zwar unterrepräsentiert – stehen den Männern in puncto hohem persönlichen Engagement in nichts nach. Der Ortsverband Oberes Erzgebirge ist gut aufgestellt. Wir konnten erst kürzlich zwei Neumitglieder gewinnen und sind insgesamt mit vier Genoss*Innen in beiden Stadtparlamenten vertreten. Außerdem arbeiten die jüngsten unserer 25 Mitglieder u. a. in drei der fünf Arbeitsgruppen des Kreisverbandes mit. Besonderen Wert
legen wir auch auf den „kurzen Draht“ zum Koordinierungsrat Aue-Schwarzenberg, zu Kreisvorstand und Kreistagsfraktion, der über die wechselnde Teilnahme der Vorstandsmitglieder an deren Zusammenkünften gegeben ist. Mein persönliches Ziel ist es, die Erfahrung der älteren Genoss*Innen mit dem Tatendrang der Jugend zu verbinden. Vor diesem Hintergrund beteiligen wir uns aktiv an laufenden Aktionen und gehen optimistisch ins Wahljahr 2019. • Elke Schleichert
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DIE LINKE. Kreisverband Zwickau
04/2018 Sachsens Linke!
Frühlingssingen versus Nazisprech Für den 24. März hatte sich auf dem Kornmarkt in Zwickau die Bürgeroffensive Deutschland e. V. angemeldet, mit RednerInnen aus dem eindeutig rechtsradikalen Umfeld. Bürgerinnen und Bürger um Wolfgang Wetzel und Simone Hock sowie der Bürgerinitiative „Zwickau Zeigt HerZ“, wurden aktiv und meldeten eine Veranstaltung in der Klosterstraße vor der Hochschulbibliothek an. Unterstützung erhielten sie vom Theater Plauen-Zwickau, von der Sängerin Judy Schubert, dem Zwickauer Ensemble Saitenspiel sowie Sebastian Krumbiegel von den „Prinzen“. Letzterer war zweifelsohne der Stargast des Frühlingssingens für Toleranz und Nächstenliebe. Mal abgesehen davon, dass Sebastian Krumbiegel schon seit vielen Jahren sehr deutlich Position gegen rechte Propaganda und menschenfeindliche Umtriebe bezieht, hatte er noch einen sehr persönlichen Grund, dabei zu sein: Einer der auf dem Kornmarkt angekündigten Redner war jener Alexander Kurth, der Sebastian Krumbiegel vor rund 15 Jahren
überfallen und zusammengeschlagen hatte und dafür verurteilt wurde. Über 250 Menschen waren der Einladung zum Frühlingssingen gefolgt. Zu den Teilnehmerinnen gehörten VertreterInnen aller demokratischen Parteien, der Kirchen, von Vereinen und einfach interessierte Bürgerinnen und Bürger, die gemeinsam ein Zeichen setzen wollten. Mehrfach wurde in Gesprächen am Rande deutlich, dass viele nur gekommen waren, weil eine Bürgerinitiative und keine Partei aufgerufen hatte und weil es inhaltlich darum ging, für etwas Position zu beziehen und nicht gegen etwas. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn es wieder gilt, deutlich zu machen, dass wir in einer bunten und vielfältigen Gesellschaft leben wollen. Zum Abschluss der Veranstaltung ließen die TeilnehmerInnen bunte Luftballons als Zeichen der Hoffnung und Vielfalt in den Himmel steigen. Alles war friedlich geblieben, die Veranstalter zufrieden und so bleibt allen TeilnehmerInnen und Unterstützern recht
8. März 2018 im Kreisverband Zwickau Am 8. März startete die linksjugend ihre Aktion „Halbe Lohntüte“ Mit ihr wollen die jungen Genossen auf die immer noch herrschende Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern aufmerksam machen und daran erinnern, dass Frauen noch immer durchschnittlich 21 Prozent weniger verdienen als Männer. Diese Ungerechtigkeit zieht sich durch das ganze Leben. Es geht dabei nicht nur um den Lohn, sondern auch um die spätere Rente. Frauen leisten einen großen Teil der Arbeit in unserer Gesellschaft und verdienen daher eine gleiche Vergütung wie Männer. Daher waren Mitglieder der Linksjugend Zwickau in Glauchau unterwegs, um die sogenannte „Halbe Lohntüte“ verteilen. Das Ziel ist es, vor allem jungen Frauen diese Ungerechtigkeit aufzuzeigen. Blumen binden im der Kreisgeschäftsstelle Wie in den Vorjahren nutzten auch in diesem Jahr zahlreiche Genossinnen und Genossen die Gelegenheit, in der Kreisgeschäftsstelle Sträuße zur Verteilung in ihren Ortsverbänden zu binden. Dabei gab es bei Kaffee und etwas Gebäck wieder viele interessante Gespräche und kurzweilige Anekdoten. Dieser Erfahrungsaustausch über Generationsgrenzen hinweg ist eine wunderbare Möglichkeit, sich besser kennen zu lernen sowie Verständnis für unterschiedliche Meinungsansätze zu entwickeln. Schon jetzt darf sich aufs kommende Jahr gefreut werden, wenn es eine Neuauflage gibt.
Frauentag in Kirchberg Bereits am 6. März gab es in Kirchberg eine kleine blumige Aufmerksamkeit anlässlich des internationalen Frauentags. Es hat sich in den vergangenen Jahren bewährt, für derartige Aktionen den immer dienstags stattfindenden Wochenmarkt zu nutzen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Gemeinsam mit unserem Kirchberger Fraktionsvorsitzenden Frank Schmidt konnten über 100 Sträuße nicht nur auf dem Wochenmarkt sondern auch in Geschäften, im Familienzentrum, dem Cafe Marie am Altmarkt, der vom Verein Lebenshilfe betrieben wird, sowie der Behindertenwerkstatt an die Frau gebracht werden. Strahlende Augen und herzliches Lachen waren einmal mehr Dank für die Aktion. Am 8. März folgte dann die Frauentagsfeier der Kirchberger Genossinnen und Genossen im politiKKontor. Natürlich gab es auch hier Blumen. An einer reich gedeckten Tafel gab es dann zahlreiche Gespräche über aktuelle Themen und Veranstaltungen.
herzlich zu danken. Zu diesen zählt auch unser Kreisverband, der das Auf-
Umzug der Kreisgeschäftsstelle Seit 1997 sind wir in den Räumlichkeiten Leipziger Straße 14 in Zwickau eingemietet. In den letzten Monaten hat ein Eigentümerwechsel des Hauses stattgefunden. Der neue Eigentümer wollte uns als Mieter behalten. Die angekündigten Mieterhöhungen hätten aber die Räumlichkeiten so verteuert, dass der Kreisvorstand einstimmig entschied, auszuziehen. Die Suche nach neuen Räumen gestaltete sich aus zahlreichen Gründen schwierig. Es waren bestimmte Anforderungen zu berücksichtigen. Unsere Untermieter – Geschäftsstelle der Kreistagsfraktion sowie Wahlkreisbüro Sabine Zimmermann – sollten mit umziehen können. Das Objekt sollte sich zudem in der Kreisstadt Zwickau in zentraler Lage befinden und der Zugang zu den Räumen muss barrierefrei möglich sein. Durch das letzte Kriterium schieden zahlreiche mögliche Objekte aus. Nicht zu vergessen auch die finanziellen Aspekte. Als Kreisverband müssen wir immer damit rechnen, dass unsere Untermieter, deren Mietzahlungen derzeit über 40 Prozent unserer Mietkosten für die Kreisgeschäftsstelle decken, ausziehen oder sich nur noch in der Lage sehen, weniger zu zahlen. Sprich: Die Mietkosten müssen so niedrig sein, dass wir als Kreisverband die anfallenden Kosten notfalls komplett selbst decken können. Am Ende blieb ein Objekt übrig, in der Äußeren Plauenschen Straße 20. Auf knapp 107 Quadratmetern stehen uns im 1. Obergeschoss des Gebäudes vier Büroräume zur Ver-
steigen der Ballons finanziell unterstützte. Foto: telemarco
fügung – neben Abstellmöglichkeiten sowie WC und kleiner Küche. Der Zugang ist barrierefrei. Die monatlichen Kosten werden in den ersten drei Jahren des Mietvertrages um knapp 35 Prozent unter den derzeitigen Mietkosten liegen. Unsere beiden Untermieter ziehen mit um. Zum 30. April werden wir die Geschäftsstelle in der Leipziger Straße 14 aufgeben. Die Umzugsvorbereitungen sind derzeit in vollem Gange. Ab dem 1. Mai befindet sich unsere neue Kreisgeschäftsstelle dann in der Äußeren Plauenschen Straße 20 im Herzen von Zwickau. Eine offizielle Einzugsfeier ist in Planung. • Sandro Tröger, Kreisvorsitzender
Termine 20. April 2018, 19 Uhr, politiKKontor – BürgerInnenbüro Horst Wehner, Bahnhofstraße 5, 08107 Kirchberg: Lesung mit Birger Höhn aus seinem Buch „Auf dem Weg zu mir selbst – Innenansichten eines Autisten“. 21. April 2018, 14 Uhr, Hauptmarkt Zwickau: Interkulturelles Fest in Zwickau. 2. Mai 2018, 19 Uhr, Aktiv ab 50 e. V., Kopernikusstraße 7, 08056 Zwickau: Streitgespräch zwischen Dr. Axel Troost (DIE LINKE) und Dr. Jürgen Martens (FDP) zum Thema „Millionärssteuer – Lösung oder Schnapsidee?!“ Veranstaltungsräume sind barrierefrei, Parkmöglichkeiten sind vorhanden, ÖPNV-Anbindung ist gut. 8. Mai 2018, 16 Uhr, Hauptfriedhof Zwickau, Mahnmal: Ehrendes Gedenken zum Tag der Befreiung
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DIE LINKE. Kreisverband Meißen
„Coswig – Ort der Vielfalt“ und wir Das demokratische Klima mitgestalten!, fordert Reinhard Heinrich „Ort der Vielfalt“ ist Coswig schon, seitdem die Stadt diesen Titel 2009 vom Bundesfamilienministerium verliehen bekam. Ehrlicherweise ist zu sagen, dass DIE LINKE in Coswig „bereits“ 2015 darauf reagierte. Mit einem Blogbeitrag auf „Coswig von Links“. Und es ist nicht sicher, dass die Mehrheit der Mitglieder das überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Schließlich macht das Bundesfamilienministerium CDU-Politik. Das weiß man. Die Ansicht, dass die Regierung beim Souverän „angestellt“ ist, verträgt sich auch schlecht mit Denkgewohnheiten von einer führenden Rolle. Da nimmt man lieber das politische Klima in Coswig als „undurchsichtig“ wahr und verlässt sich auf die nachzählbaren Linkswähler.
Auf die ist Verlass. Dass DIE LINKE Sachsen seit 2009 fast regelmäßig jeweils ein Viertel ihrer Wähler (absolut) verloren hat, kann im Kreis erst wahr sein, wenn der Landesvorstand es bestätigt. Das Landesamt für Statistik? Pah. Und wenn es im Kreis kein Thema ist – was sollen wir dann darüber reden? Als Coswig 2009 den Titel erhielt, ging es „lediglich“ um Demokratie. Ein Landtagswahlkampf war überstanden, Kerstin Lauterbach zog wieder in den Landtag ein und alle hatten genug geleistet. Unterdessen ist „dank“ der Fluchtbewegungen von Süd nach Nord auch in Coswig die Frage aufgekommen: Wie gehen wir damit um? Unsere Verbündeten
aus früheren Bürgerbegehren – zum Beispiel gegen die Privatisierung der Elblandkliniken 2006 – stehen seit Jahren auf der Matte und engagieren sich für eine gute und sinnvolle Unterbringung der Flüchtlinge, für ihr menschliches Weiterleben, das über bloßes Fortexistieren hinaus geht und eben alles, was ein Land, das Flüchtlinge tausendfach produziert hat, der Welt schuldet. Gegen Rassismus und Ausgrenzung. Diese Verbündeten sind – was wir längst wissen – immer dieselben: Hauskreise der evangelischen Kirchgemeinde, Stadträte ohne Schwenken einer Parteifahne, Parteilose, Katholiken, engagierte Kulturmenschen und jede Menge Bürger, die
sich nichts Politisches anmerken lassen. Weil sie selbst politisch sind. Von der Polis (griechisch für Gemeinwesen) her engagiert. Spielt das für DIE LINKE Coswig eine Rolle? Gregor Gysi forderte anlässlich einer Wahlveranstaltung in Riesa einmal, den Zeitgeist mitzugestalten. Zeitgeist, politisches Klima: das sind die Verhältnisse, unter denen rechtes Gedankengut gedeiht – oder verwelkt. Wir Linken waren nie unsichtbar in der Initiative „Coswig – Ort der Vielfalt“. Aber Leuchttürme waren wir auch nicht. Nicht dass man uns übersehen würde. Niemand wird übersehen, wo gearbeitet wird. Aber ein wenig sichtbarer dürfen wir schon noch werden.
Kurznachrichten aus Meißen und Großenhain Harald Kühne fasst zusammen, was es aus Sicht der LINKEN Neues gibt Sonnenstrahlen ist auch die LINKE wieder im Stadtbild Großenhains zu sehen. Mindestens einmal im Monat führen der Ortsverband und die Stadtfraktion eine Marktsprechstunde auf dem Wochenmarkt durch. Es werden aktuelle Materialien verteilt und Stadträte stehen, wenn möglich, ganz aktuell Rede und Antwort. Der diesjährige Auftakt erfolgte am 27. März.
Vom 23.4. bis zum 27.4. wird der Kreisverband der LINKEN Meißen unter der Überschrift „Pflegenotstand stoppen“ eine Aktionswoche durchführen. Es ist bereits das zweite Mal, dass sich DIE LINKE diesem Thema öffentlich widmet. Nachdem im vorigen Jahr die Pflegeeinrichtungen im Fokus standen, geht es diesmal um die ambulante Pflege im ländlichen Raum. Dazu sind Gespräche mit Bürgermeistern und ambulanten Pflegediensten geplant. Auf ausgewählten Wochenmärkten werden thematische Infostände vorbereitet und mit einem Infomobil wird es eine Land-Tour geben. Den Auftakt bildet ein Pressegespräch am 12. April.
André Hahn (MdB) am 13. April in Meißen
***** Für den Tierschutz hat die LINKE schon immer ein offenes Ohr. In Erinnerung sind u.a. Fachgespräche unserer Landtagsfraktion mit sächsischen Tierschutzvereinen. In Großenhain hat die Zusammenarbeit schon eine längere
Tradition. Der örtliche Tierschutzverein führt seine Jahreshauptversammlung oder die alljährliche Weihnachtsfeier im Bürgerbüro von MdL Kerstin Lauterbach durch. Dabei kommt es auch
immer wieder zu einem konstruktiven Gedankenaustausch. Zur diesjährigen Jahreshauptversammlung übergab Kerstin Lauterbach dem Vorsitzenden des Großenhainer Tierschutzvereins Armin Krake eine mit viel Beifall bedachte Spende aus dem „Spendentopf von links“. ***** Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht zu uns kommen, gehen wir eben hin. Damit betritt die Linksfraktion im Großenhainer Stadtrat Neuland. Sie organisiert regelmäßig öffentliche Straßenbegehungen. Ziel ist es, Probleme vor Ort zu erfahren, um diese dann im Stadtrat zu thematisieren. Der Auftakt erfolgt dieser Tage im Großenhainer Wohngebiet Waldsiedlung. ***** Die warme Jahreszeit beginnt (hoffentlich). Und mit den ersten wärmenden
Wie uns die vergangene Bundestagswahl zu schaffen macht Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Dr. André Hahn, wird auch in der aktuellen Wahlperiode neben seinem Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge den Landkreis Meißen betreuen. Hintergrund ist, dass es in Sachsen nur sechs Bundestagsabgeordnete der LINKEN gibt, aber 16 Bundestagswahlkreise. Die Abgeordneten wollen trotzdem dafür sorgen, dass es in allen Regionen Ansprechpartner aus der Bundestagsfraktion gibt. Wie das konkret gestaltet werden soll, wird André Hahn am 13. April bei einem Arbeitstreffen mit Vertretern des Kreisverbandes DIE LINKE. Meißen beraten. Von 14 bis 15:30 Uhr besteht die Möglichkeit des direkten Gespräches mit ihm im Rahmen einer Bürgersprechstunde im Haus für Viele(s) in der Dresdner Str. 13 in Meißen.
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DIE LINKE.Kreisverband Bautzen
Nicht nur am Frauentag: Pflegearbeit ist mehr wert! Aktionen anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März sind gute und wichtige Tradition in der Partei DIE LINKE. Das ist auch im Wahlkreis Bautzen nicht anders. Deshalb verteilt die Bundestagsabgeordnete Caren Lay in jedem Jahr Rosen an Frauen aus einem bestimmten Berufsfeld. In den letzten Jahren war das vor allem der Einzelhandel – hier sind viele Frauen, meist zu prekären Arbeitsbedingungen, beschäftigt. In diesem Jahr aber wählte unsere Lausitzer Bundestagsabgeordnete einen anderen Fokus. Die Bundespartei setzte mit dem Material „Nicht nur am Frauentag: Pflegearbeit ist mehr wert“ dieses Mal den Ton. Bereits im Rahmen einer Perspektivwechsel-Aktion war Caren im letzten Sommer einen Tag mit einem ambulanten Pflegeservice in Bautzen unterwegs und hat hautnah miterlebt, unter welcher Belastung die auch hier hauptsächlich weiblichen Beschäftigten arbeiten. Neben zu wenig Zeit für die Patienten und der hohen bürokratischen Belastung war die schlechte Bezahlung in der Pflege schon dort ein Thema. Anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 2018 besuchte Caren Lay deshalb nun passend zum Pflege-Motto das Pflegeheim Bautzen-Seidau. Dort überbrachte sie jeder Altenpflegerin und den beschäftigten Frauen der Hausleitung den
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DIE LINKE lädt ein zum 1. Mai in Hoyerswerda Bereits zum 24. Mal findet am 1. Mai unser politisches Volksfest in Hoyerswerda statt, das wir auch in diesem Jahr mit vielen Bürgerinnen und Bürgern begehen wollen. Besonders freuen wir uns darüber, als Rednerin unsere Parteivorsitzende Katja Kipping begrüßen zu können. Los geht‘s um 10 Uhr, und bis 14 Uhr gibt es Live-Musik von der Band „PartyExpress“.
traditionellen Blumengruß und die besten, kämpferischen Wünsche zum Frauentag. Verbunden mit der Botschaft, dass DIE LINKE sich wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft für eine Verbesserung der Arbeitssituation in Pflegeberufen einsetzen wird: für faire Bezahlung, gute Arbeitszeiten, ausreichend Personal und eine an den Bedürfnissen der Patient_innen und nicht an den Profiten der Konzerne im Gesundheitswesen ausgerichtete Praxis. Selbstredend gab es für alle Bewohnerinnen des Pflegeheimes dann natürlich auch den FrauentagsBlumengruß. Am Nachmittag fand in Bautzen die Frauentags-Veranstaltung des Ortsverbandes DIE LINKE. Bautzen statt, an der auch Caren Lay teilnahm. Bei einem bunten multikulturellen Programm gab es die Gelegenheit zum Gespräch über tagesaktuelle Fragen. • Silvio Lang
Regina Schulz beendet Tätigkeit als Ortsverbandsvorsitzende Die langjährige Vorsitzende des Ortsverbandes DIE LINKE. Kamenz/Radeberg, Regina Schulz, legte ihre Funktion wie angekündigt zum Jahresende 2017 nieder. Der Kreisvorstand dankte ihr auf dem letzten Parteitag am 3. März in Pulsnitz noch einmal für die Ausübung des arbeitsintensiven Ehrenamtes in den letzten zehn Jahren
und verabschiedete sie würdig. Für einen neuen Vorstand fanden sich vorerst keine Mitglieder. Die bestehenden Basisgruppen bleiben nach wie vor erhalten und werden ehrenamtlich durch die Kreisvorstandsmitglieder Ralph Büchner in der Region Kamenz und Jens Dietzmann in der Region Radeberg betreut.
Michael Kretschmer macht Neonazis hoffähig – und knüpft an Skandal von Bautzens CDU-Vizelandrat Witschas an! Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat den Neonazi Marco Wruck, vormals NPD-Chef in Bautzen, zum Bürgerforum unter dem Motto „Miteinander in Sachsen – für eine starke Zukunft“ eingeladen. Dafür habe ich kein Verständnis. Man könnte denken, die Sache ist so verrückt, dass es sich um ein peinliches Büroversehen handeln muss. Aber nein, Sachsens Ministerpräsident verteidigt offensiv die herzliche Einladung
an Bautzens früheren NPD-Chef und verharmlost ihn gar als „vermeintlichen ,Rechten‘“. Mit dieser Einladung eines bekannten Neonazis zum Bürgergespräch knüpft Kretschmer nahtlos an den Skandal um Bautzens CDU-Vizelandrat Udo Witschas an. Der hatte mit Wruck enge konspirative Kontakte gepflegt und sich mit ihm insbesondere über Flüchtlingspolitik im Kreis verständigt. Dass Herr Witschas von CDU-Landrat Harig und
der CDU des Kreises im Amt gehalten wird, ist schlimm genug. Dass Kretschmer nun auf allen Kanälen seine offizielle Einladung an Wruck toll findet, schlägt dem Fass den Boden aus. Selbstverständlich müssen sich alle mit der extremen Rechten auseinandersetzen. Der freundliche Dialog mit Nazis gehört aber nicht dazu! Zur vermeintlichen Befriedung trägt er gleich gar nicht bei, das zeigt der kommunikative Schmusekurs von Witschas mit Wruck.
Die Nazi-Szene ist und bleibt in Bautzen ein großes Problem. Dass Herr Kretschmer nun seine Amtszeit damit beginnt, Neonazis hoffähig zu machen, ist einer Demokratie und eines humanistischen Menschenbildes unwürdig. Mit Henkern der Demokratie darf es keinen Dialog auf Augenhöhe geben! Wir brauchen einen Dialog der Demokratinnen und Demokraten. • Marion Junge, MdL
Sachsens Linke! 04/2018 Wie kam es zur Friedensfahrt? Die Geschichte ist relativ schnell erzählt. Kurz nach dem Krieg, 1947, wollte der Chefredakteur der polnischen Zeitung „Glos Ludu“ die freundschaftlichen Verbindungen zwischen Polen und der Tschechoslowakei durch einen Sportwettkampf verbessern. Ein damals erst angedachtes Motorradrennen zwischen Weichsel und Moldau fiel der Nachkriegszeit zum Opfer. Ein Radrennen schien dagegen realisierbar. So wurde das Rennen 1948 erstmals ausgetragen und fand zwischen Warschau und Prag statt. Veranstalter waren die Tageszeitungen „Rudé Právo“ aus Prag und „Trybuna Ludu“ aus Warschau. Da man sich nicht einigen konnte, wo der erste Startort sein sollte, startete die erste Friedensfahrt am 1. Mai 1948 in Warschau und in Prag. Die erste Etappe von Prag nach Pardubice gewann der Jugoslawe Milan Poredski und gilt seitdem als erster Etappensieger in der Geschichte der Friedensfahrt. Der erste Gesamtsieger wurde auf der Strecke Warschau – Prag ermittelt. Am 5. Mai wurde der Jugoslawe August Prosinek dafür in Prag gefeiert. Wenige Tage später, am 9. Mai, gewann der Jugoslawe Alexander Zoric auf der Strecke Prag – Warschau den Gesamtsieg. 1950 nahm erstmals eine Mannschaft der DDR an diesem Etappenrennen teil. Am Ende belegte sie den 8. Platz. 1952 kam die DDR als drittes Veranstalterland hinzu. Ab diesem Jahr führte das damals schwerste Amateur-Etappenrennen der Welt in wechselnder Streckenführung jeweils im Mai durch die Hauptstädte von Polen, der Tschechoslowakei und der DDR. Erster Etappensieger in der DDR-Hauptstadt Berlin war 1952 der Österreicher Franz Deutsch. Den Einzelsieg holte der Engländer Ian Steel, die Mannschaftswertung gewann seine Mannschaft, England. Im Jahr 2012 schenkte die Witwe des Engländers Ken Jovett dem Museum ein blaues Trikot, welches ihr Mann 1952 getragen hatte. 1953 gelang den DDR-Radsportlern der erste Etappensieg. Auf der 8. Etappe von Berlin nach Görlitz siegte Bernhard Trefflich. Am Ende der Fahrt belegte er hinter Gustav-Adolf Schur (3.) den 4. Platz in der Gesamtwertung. Die DDR-Mannschaft gewann damals erstmalig die Mannschaftswertung. Zwei Jahre später holte Gustav-Adolf Schur den ersten Gesamtsieg in die DDR. Der Mythos „Täve“ nahm seinen Anfang. Im Jahr 1956 nahm erstmalig eine Mannschaft aus der BRD teil. Auf der zweiten Etappe von Warschau nach Lodz siegte „Täve“, der BRD-Fahrer Hans Brinkmann belegte mit einem fünften Platz die beste Einzelplatzierung während der gesamten Fahrt. Erst am 15. Mai 1984 feierte der erste bundesdeutsche Radsportler einen Etappensieg. Achim Stadler gewann auf der sechsten Etappe von Prag nach Mlada Boleslaw bei der achten Friedensfahrtteilnahme einer BRD-Mannschaft. Ab 1990 war die Friedensfahrt als reines Amateurrennen Geschichte. Jetzt starteten auch Profis. Hier sei an den Deutschen Steffen Wesemann erinnert. Er gewann zwischen 1992 und 2003 insgesamt fünf Mal die Friedensfahrt.
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Sport für den Frieden – im Frieden Vor 70 Jahren startete die Internationale Friedensfahrt. Ralf Fiebelkorn blickt zurück
4. Mai 1962 in Leipzig, kurz vor dem Start zur dritten Etappe nach Erfurt. In der ersten Reihe steht die sowjetische Mannschaft in den blauen Trikots der führenden Mannschaft. Dazwischen die DDR-Fahrer, die mit ihrer Mannschaft zum Etappenstart zeitgleich auf Platz zwei lag.
Olaf Jentsch (56 / DDR) und Anton Novosad (23 / CSSR) im Spurt um Platz 3 kurz vor dem Ziel der 8. Etappe der 37. Internationalen Friedensfahrt im polnischen Karpacz. Der Däne Jakob Piil nahm mehrfach teil und gewann 2001. Zwei Monate nach seinem Sieg wurde er dänischer Meister auf der Straße. Den vorerst letzten Etappensieg einer Friedensfahrt konnte am 20. Mai 2006 der deutsche Fahrer Torsten Schmidt für das Team Wiesenhof feiern. Am gleichen Tag gewann der Italiener Gianpaolo Cheula, die 58. Internationale Friedensfahrt für sein Team Barloworld. Dass es nicht die letzte Friedensfahrt gewesen sein soll, zeigen Initiativen zu einem Neustart des Rennens. Zuletzt versuchten es tschechische Radsportfreunde anlässlich des 70. Jahrestages. Das Rennen sollte Ende Mai/Anfang Juni gefahren werden. Zum wiederholten Male scheiterte es an möglichen Sponsoren. Radsportteams hatten bereits kurz nach Bekanntwerden des Vorhabens Interesse gezeigt.
Bisher haben weit über 3.700 Sportler aus 67 Ländern eine Strecke von 108.990 km auf den Straßen des Friedens zurückgelegt. Mögen noch viele weitere Friedensfahrtkilometer und Radsportler folgen ... Radsportfreunde verglichen dieses Rennen immer wieder mit der legendären „Tour de France“, so dass sie im Volksmund auch „Tour de France des Ostens“ genannt wurde. Da ich gerade bei der „Tour“ bin: Sehr oft besuchten Organisatoren der Tour de France die Friedensfahrt als Gäste. Im Gegenzug waren Organisatoren der Friedensfahrt zu Gast bei der „Tour“. Sie verglichen das Engagement zur Vorbereitung und Durchführung des Rennens mit ihren eigenen Erfahrungen und nahmen manche Anregung mit für ihre eigene Arbeit. Viele Profi-Radsportteams sahen in der Friedensfahrt einen Marktplatz.
Sie sichteten und warben Radsportler für ihre Teams. Viele Radsportler, die nicht aus dem damals so bezeichneten sozialistischen Wirtschaftsgebiet kamen, nutzten das Rennen um sich zu zeigen. Um nur einige Namen zu nennen: 1958 gewann Piet Damen aus den Niederlanden im Mai die Friedensfahrt. Im Juli bei der Tour de France belegte er am Ende den 11. Platz. Der Friedensfahrtsieger von 1969, Jean-Pierre Danguillaume aus Frankreich, bestritt die Tour und gewann insgesamt sieben Etappen. Ein anderes Beispiel: Ein Radsportler wurde direkt aus einem Rennen heraus als Profi abgeworben. Der Niederländer Steven Rooks absolvierte 1983 zwei Etappen und trat zur 3. Etappe nicht mehr an. Wenige Tage später startete er für das niederländische Team TI - Raleigh-Campagnolo als Profi. Es gibt noch vieles zu berichten. Wer waren die Fahrer mit den meisten Friedensfahrtteilnahmen? Wer hatte die meisten Etappensiege? Antworten auf diese und noch viele weitere Fragen gibt es im Radsportmuseum „Course de la Paix“ in der Sachsen-Anhaltischen Gemeinde Bördeland. Viele ehemalige Friedensfahrtteilnehmer kamen schon ins Museum. Sie bringen ihre Erinnerungen mit. Oft führen sie auch Besucher durch das Museum und berichten aus ihrem eigenen Friedensfahrtleben. Sehr oft führt der zweimalige Friedensfahrtsieger und Straßenradweltmeister Gustav-Adolf „Täve“ Schur Gäste durchs Museum. Das offizielle Symbol der Friedensfahrt ist Pablo Picassos weiße Friedenstaube. Sie zierte die Trikots der führenden Fahrer des Rennens. Einige, die das Trikot eines Friedensfahrtsiegers getragen haben, werden am 10. Mai an der Geburtstagsfeier „70 Jahre Internationale Friedensfahrt“ teilnehmen. Unter ihnen der Niederländer Piet Damen (1958), die Deutschen GustavAdolf Schur (1955, 1959), Axel Peschel (1968), Olaf Ludwig (1982, 1986), Uwe Ampler (1987, 1988, 1989, 1998). Die Sieger von 1978, Alexander Awerin und 2006, Gianpaolo Cheula wurden von den Organisatoren der Feier ebenfalls eingeladen. Eingeladen sind auch viele weitere nationale und internationale Teilnehmer. Die Zusage liegt dabei bereits von Tarek Aboul Zahab aus dem Libanon vor. Er nahm in den Jahren 1962 und 1963 als Einzelstarter an der Friedensfahrt und in den Jahren 1964/1965 als Mitglied einer internationalen Mannschaft teil. Mit weiteren Fahrern aus Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Polen und Deutschland sind die Veranstalter im Gespräch. Wer also am 10. Mai gemeinsam mit Friedensfahrtfreunden den 70. Geburtstag der Friedensfahrt feiern möchte, ist gern gesehen in Bördeland OT Kleinmühlingen, vor und im Radsportmuseum „Course de la Paix“, in der Grabenstraße 20. Näheres zum Ablauf der Veranstaltung und zum Museum ist auch unter www.friedensfahrt-museum.de zu finden. Fotos: Radsportmuseum „Course de la Paix“.
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Hochschule geht alle an! René Jalaß über seinen Start als Hochschulpolitiker und seine Pläne Hochschulpolitik? Studiengebühren? BAföG? Semesterbeitrag? Hochschulrat? Senat? Alles Begriffe, von denen ich lange nichts mehr gehört hatte, bis ich im September 2017 den Sprecher*innenbereich Hochschulund Wissenschaftspolitik der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag übernommen habe. Daraufhin habe ich mich auf die Socken gemacht, beziehungsweise habe mich in den Zug gesetzt und fuhr durch ganz Sachsen, um mich mit Akteur*innen innerhalb und außerhalb der Hochschulen zu treffen: Studierendenvertretungen, Mittelbauinitiativen, Rektor*innen, Gewerkschaften und und und. Kurzum: es wurde viel Kaffee getrunken. Das erste Fazit: Hochschulen sind nicht nur der Campus, vielmehr reichen alle Themen und Probleme an den Hochschulen in alle Teile der Gesellschaft hinein. Hochschule geht alle an! Nun wollte ich die gesammelten Probleme nicht nur „mitnehmen“, sondern mich direkt ans Werk machen. Allein ist das schwierig, so organisierte ich im Januar ein hochschulpolitisches Vernetzungstreffen mit aktiven Genoss*innen aus ganz Sachsen im geschichtsträchtigen Erich-ZeignerHaus in Leipzig, dem Wohnort des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten (1923) und Oberbürgermeister Leipzigs (1946-49). Dieser Einladung folgten etwa 25 Interessierte und Vertreter*innen aus unterschiedlichen Bereichen der Hochschulen aus ganz Sachsen. Inhaltlich standen die zukünftige hochschulpolitische Vernetzung innerhalb der Partei DIE LIN-
KE sowie die perspektivische Erarbeitung hochschulpolitischer Positionen, welche den aktuellen Herausforderungen an den Hochschulen gerecht werden, im Vordergrund.
nur in der parlamentarischen sondern auch in der parteipolitischen Arbeit wieder mehr in das Bewusstsein aller Genoss*innen zu rücken.
In ganz Sachsen gibt es derzeit etwa 110.000 Studierende und jede Menge Probleme, seien es die miese Finanzierung der Hochschulen, die Lehr-
Auch im Parlament gibt es Wege, Themen zu platzieren und zu problematisieren. Beispielsweise in aktuellen Debatten im Plenum des Landtages, durch Anträge aber auch durch Klei-
amtsausbildung nach Staatsräson, die sinkende studentische Mitbestimmung usw. Aber es wurde nicht nur inhaltlich diskutiert sondern auch über Strukturen gesprochen. Ich freue mich, dass die LAG Hochschulpolitik mit dem Vernetzungstreffen wieder reaktiviert wurde und nun als wichtiger Ansprechpartner für alle hochschulpolitischen Themen agieren kann. Damit kann es auch gelingen, die Themen und Probleme an den sächsischen Hochschulen nicht
ne Anfragen. Schockierend war für mich die Antwort der Staatsregierung auf meine Kleine Anfrage zum Thema Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung. Es wurde deutlich, dass die Staatsregierung es vollkommen in Ordnung findet, wenn Studierende bei krankheitsbedingtem Prüfungsrücktritt ihr Krankheitsbild offenbaren müssen. Sei es durch die Beschreibung der Einschränkungen bzw. der Art der Leistungsminderung, die die Student*innen durch die Krankheit
haben oder die explizite Nennung der Krankheitssymptome. Dies stellt meiner Meinung nach einen eklatanten Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. (siehe dazu www.gleft.de/27D). Hochschulen sind keine abgeschlossenen Räume, sondern bedeutende Akteure bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis einer Gesellschaft. Deshalb ist es ebenso notwendig, auch die gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb der Hochschulstandorte kritisch zu begleiten. Immer wieder ist etwa auch Rassismus an der Hochschule ein Thema, oder die studentische Mobilität, die Familienfreundlichkeit von Hochschulen sowie die Wohnungssituation der Studierenden. Auch grundsätzliche Fragen, etwa ob die Hochschulen im 21. Jahrhundert vor allem das Bruttoinlandsprodukt weiter hochtreiben oder aber emanzipierte und kritische Menschen jenseits von marktwirtschaftlicher Logik ausbilden sollen, bleiben wichtige Ansatzpunkte linker Hochschulpolitik, wie ich sie verstehe. Um nicht nur im „Mikrokosmos der Hochschulen“ zu bleiben, werde ich ab Mai 2018 auch mit den Genoss*innen in den einzelnen Kreis- und Stadtverbänden sowie mit den anderen Abgeordneten auf meiner „Hochschule geht alle an! – Tour“ ins Gespräch kommen. Ihr wollt euch einbringen oder habt Bock auf einen Besuch von mir? Meldet euch am besten unter: rene.jalass@slt.sachsen.de
Wenn Pflege Pflege braucht Kathleen Noack über ein Mega-Thema und den Pflegestammtisch in Zöblitz Der Kreisverband DIE LINKE. Erzgebirge lud am 22. März nach Zöblitz zum Pflege-Stammtisch mit Susanne Schaper, MdL und u. a. stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission „Sicherung der Versorgung und Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege älterer Menschen im Freistaat Sachsen“ ein. Interessierte Genoss*innen, Bürger*innen sowie Mitarbeiter der Träger verschiedener Einrichtungen informierten wir vorab per Postkarte und Einladung. Begrüßen durften wir Genoss*innen, Bürger*innen und den Prokuristen der Sozialbetriebe Mittleres Erzgebirge gGmbH. Nach Einleitung des Kreisvorsitzenden Holger Zimmer und vielen Informationen von Susanne Schaper entstand eine interessante Gesprächsrunde. Was sind Gründe für den Pflegenotstand in unserer Region? Sachsen hat durch seinen hohen Altersdurchschnitt vergleichsweise viele Pflegebedürftige und ist im Pflegebereich Niedriglohns-
tandort. Zudem erschweren Gesetzesänderungen mit noch mehr Dokumentationsaufwand die Arbeit. Ein Problem ist auch die bessere Vergütung in den alten Bundesländern während und nach der Ausbildung, die viele junge Pfleger*innen weglockt. Was kann man noch tun, um bei uns mehr Fachkräfte anzusiedeln? Die Infrastruktur attraktiver gestalten: Kitaplätze sind rar, Betreuungszeiten starr, Schulen in benachbarten Orten und der ÖPNV nicht kompatibel mit Dienstzeiten. Nicht nur Schichtdienst, Arbeit an Wochenenden und Feiertagen, auch Bereitschaftsdienste über 24 Stunden und geteilte Dienste stellen organisatorische Probleme dar, gerade wenn familiäre Unterstützung fehlt. Kitas öffnen erst nach Frühdienstbeginn, schließen am späten Nachmittag. Betreuungszeiten gehören an Dienste angepasst und auch Bus oder Bahn müssen Pflegende rechtzeitig zum Dienst und wieder nach Hause bringen.
Neben höherer Vergütung sollten auch Aufstiegschancen den Beruf attraktiver machen. Die Spezialisierung der Ärzte nimmt zu, die Pflege hingegen macht alles, obwohl ein dementer Patient einen anderen Pflegebedarf als ein an Krebs Erkrankter hat. Zahlen zeigen: 25 Prozent der Auszubildenden brechen ab, Ausgebildete bleiben nur etwa acht Jahre im Beruf. Eine Pflegekraft hat im Durchschnitt die Verantwortung für 13 Patienten. Laut Informationen der Krankenkasse BKK bewerten 40 Prozent der Pflegekräfte ihre Arbeitsfähigkeit als mäßig bis schlecht (in den Kliniken ein Drittel). Es fallen im Jahr durchschnittlich 24 Krankheitstage an, in anderen Branchen nur 16 Tage. Alles in allem demotiviert die derzeitige Situation, sorgt für hohe Krankenstände und weitere Berufsausstiege. 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Alle Angehörigen, die zu Hause pflegen, verdienen
ein riesengroßes Dankeschön! Sie erfahren eindeutig zu wenig Unterstützung. Da sie meist nicht mehr voll arbeiten können, wäre hier eine Art Betreuungsgeld angemessen. Sie opfern sich auf, verzichten auf Freizeit, müssen finanzielle Einbußen in Kauf nehmen. Beratungsstellen sind notwendig, um beispielsweise Antworten auf die folgenden Fragen zu geben: Welche Ansprüche hat man? Was kommt auf einen zu, wenn der Pflegegrad beurteilt werden soll, was, wenn das Gutachten dann nicht den tatsächlichen Pflegeaufwand spiegelt? Weiterhin muss unsere Pflegeversicherung zu einer Pflegevollversicherung (und das gern auch durch Steuergeld!) werden und nicht nur „Teilkasko“ sein. Sonst werden die Kosten für höhere Löhne auf die zu Pflegenden umgelegt und somit Pflegende und Gepflegte gegeneinander ausspielt. Sinnvolle Gesetzesänderungen sind also notwendig!
Sachsens Linke! 04/2018 Das Landesjugendplenum in Görlitz stand ganz unter dem Einfluss der Landtagswahl in unserem schönen Bundesland, welche bekanntermaßen im Jahre 2019 stattfinden wird. Bei den letzten Wahlen, 2009 und 2014, hatte sich der Landesverband ein Landesjugendwahlprogramm geschrieben, welches in handlichem A5-Format die Positionen des Verbandes zu vielen Themen bündelte und erläuterte. Nachdem wir auch diese Programme im idyllischen Görlitz beschlossen hatten, stellte sich für uns auch in diesem Jahr die Frage, ob es wieder ein Wahlprogramm geben sollte und falls ja, welche Form dieses haben sollte. Dazu verfasste der Beauftragtenrat einen Antrag, in welchem wir verschiedene Verfahrensvorschläge machten. Da in ein Programm immer auch inhaltliche Tendenzen innerhalb des Verbandes einfließen, war der Samstag ganz inhaltlichen Debatten gewidmet. Zu diesem Zweck hatten wir alle Teilnehmer*innen gefragt, welche politischen Schwerpunkte sie interessieren. In zwei Workshop-Phasen durfte sich dann frei zu den einzelnen Themen ausgetauscht werden. Die Diskussionsstände wurden auch schon festgehalten und helfen bei der Erstellung des Programms. Apropos: Am Sonntag entschied das Plenum, dass wir statt eines
Start ins Wahljahr Ein kleiner Bericht vom Landesjugendplenum in Görlitz
Doch das macht gar nichts besser. Zum einen werden Geschlechterklischees bedient, die nicht die Realität widerspiegeln. Zum anderen wird der Tag von einem Kampftag der Gleichberechtigung herabgesetzt zu einem jährlichen Pflichttermin des Respektierens
Programms zwei schreiben wollen. So soll es ein Grundsatzprogramm geben, in welchem wir auch unsere Meinungen zu nicht landespolitischen Themen darlegen. Außerdem gibt es ein Wahlprogramm, welches kürzer, schärfer und konkreter ist. Um die redaktionelle Ausgestaltung kümmert sich eine Redakti-
onsgruppe. In den inhaltlichen Prozess wollen wir möglichst viele Mitglieder einbeziehen, als digitaler Verband vor allem im Internet. Da wir zur Wahl gern wieder eigene Kandidat*innen auf der Landesliste der Linken aufstellen wollen, haben wir uns
der Frauen* in der Gesellschaft. Doch jeder Tag ist Frauen*kampftag. So lange bis gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird. So lange, bis keine Frau* mehr verbal oder gar körperlich angegriffen und herabgewürdigt wird. So lange, bis keine Frau mehr Sex hat, den sie nicht will. So lange bis Frauen* nicht mehr als Sexobjekt in Werbung und Unterhaltung herhalten müssen. So lange werden wir kämpfen und wir wollen und brauchen eure verdammten Blumen nicht. Reicht uns eure Hand und lasst uns gemeinsam auf Augenhöhe für Gerechtigkeit und Fairness eintreten. Unser Wunsch ist nicht die Weltherrschaft, sondern Respekt. Denn Feminismus und vor allem der Kampf gegen Sexismus sind auch eine Bewegung für die Freiheit aller Geschlechter. Aus Klischees und Zwängen heraus. Hin zu Selbstliebe und Akzeptanz.
Es gibt noch viel gemeinsam zu schaffen, gerade in Zeiten, in denen AfD, Trump und Co. die Leute mit ihren menschenfeindlichen Ansichten zurück ins Mittelalter ziehen wollen. Moment ... Mittelalter? Wohl eher 20. Jahrhundert. Das deutsche Frauenwahlrecht ist gerade erst 100 geworden. Bis 1977 durften Frauen ohne die Erlaubnis ihrer Männer nicht arbeiten. Die gesetzliche Gleichberechtigung wird erst 60 Jahre alt. Vieles ist schon passiert, doch wir leben noch lange nicht in so emanzipierten und aufgeklärten Verhältnissen, wie sich viele gern einreden. Der Equal Pay Day war wieder erst am 18. März, 77 Tage arbeiten Frauen* durchschnittlich umsonst für gleiches Gehalt und der Kampf geht weiter. We don't fight for flowers! We fight for equality!
1. Mai: Auf nach Chemnitz! Seit vielen Jahren gehen am 1. Mai Arbeiter*innen auf die Straße, um für ihre Anliegen, gegen Ausbeutung und Kapital zu demonstrieren. In Deutschland waren es jedoch die Nazis, die den 1. Mai im Jahr 1933 erstmals zum Feiertag machten. In dieser Tradition sieht sich anscheinend auch die Kleinstpartei „Der III. Weg“, die zum bekannten Datum in diesem Jahr nach Chemnitz mobilisiert. Auch sie sagen, dass sie sich gegen den Kapitalismus
Gedanken gemacht, was wir von Menschen, die sich eine Kandidatur mit unserer Unterstützung vorstellen können, erwarten. Zu diesem Zwecke wurde ein vom BR eingebrachter Antrag verabschiedet, welcher festlegt, dass wir zum Beispiel junge Menschen kandidieren lassen wollen (unter 27), dass die Kandidat*innen im außerparlamentarischen Bereich vernetzt sein sollen und dass sie sich selbst als belastbar genug für Wahlkampf und Landtag betrachten. Ferner sollen gewählte Abgeordnete, die unser Votum erhalten haben, uns nach der Wahl nicht vergessen, sondern finanziell und inhaltlich unterstützen. Alle Anträge unter www.gleft.de/2a9
We don't fight for flowers! Warum wir eure Blumen nicht wollen Am 8. März war wieder einmal Frauen*kampftag und vor allem in Ostdeutschland werden zu diesem Anlass noch immer öffentlichkeitswirksam Blumen an Frauen verteilt. Als Geste der Aufmerksamkeit und Anerkennung. Als kleines Dankeschön. Oft gut gemeint, wirkt diese Geste auf einige Menschen eher als zynische, herablassende Abfertigung. „Was? Die Rechte von Frauen* sind in Theorie und Praxis noch immer nicht denen der Männer gleichgestellt? Oh sorry. Hier hast du ein Blümchen, Süße.“
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Jugend
stellen, sie wollen jedoch keinen Kommunismus, sondern einen „deutschen Sozialismus“. Das heißt im Klartext: Arbeitszwang, rassistische Ausgrenzung, sexistische Arbeitsteilung und ganz viel Volksgemeinschaft. Es ist eine besorgniserregende und zugleich realistische Annahme, dass die Nazis bundesweit mobilisieren und Chemnitz wahrscheinlich den größten Naziaufmarsch seit der Wende erle-
Meinen die das ernst? Nr. 4: Republik Europa Hier stellen wir euch jeden Monat eine Forderung aus dem Linksjugend-Wahlprogramm vor. Die Forderung: Mehr statt weniger Europa – Für eine lebendige Republik! Die Begründung: In Zeiten zunehmender nationaler Abschottungspolitik und deutscher Hegemonie in Europa bedarf es einer linken, solidarischen Antwort. Die Forderung nach offenen Grenzen bleibt nicht verhandelbar und ist in der EU glücklicherweise Realität. Bei aller berechtigten linken Kritik an der derzeitigen EU wäre der Rückbau derselben oder gar die Beendigung des Projekts der völlig falsche Weg. Vielmehr bedarf es einer Kompetenzerweiterung, unbedingt verbunden mit dem Umbau zu einer sozialen und demokratischen Republik der Regionen, welche die Unterschiedlichkeit der Regionen auch nicht außen vor lässt – ein Europa mit flächendeckend gleichen Sozialleistungen, gleichem Wahlrecht und vielen anderen möglichen Projekten. Eigentlich ein netter Gedanke, oder? Die Union ist tot, es lebe die Republik!
Termine ben wird. Einer solch reaktionären und menschenfeindlichen Ideologie gilt es sich massiv und kraftvoll entgegenzustellen. Daher rufen wir alle Genoss_innen auf, an besagten 1. Mai nach Chemnitz zu kommen, um dem faschistischen Mob entgegenzutreten und für eine solidarische und antirassistische Gesellschaft einzustehen. Für den Sozialismus, ohne „deutsch“ davor!
13. bis 15.April: Bundeskongress der linksjugend [‘solid] in Erfurt 20. bis 22.April: Herbstakademie im April in Oberau 21. April: Gegendemo zum „Schild und Schwert“-Festival in Ostritz 28. April: BR Sitzung in Leipzig
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
Du kommst hier nicht rein! Das Bundesverwaltungsgericht hat Fahrverbote für rechtens erklärt. Wichtig ist, dass nicht die Falschen zur Rechenschaft gezogen werden, meint Frederick Beck Man mochte es kaum glauben, als die ersten Stimmen aus dem Gerichtssaal drangen. Soeben hatte der 7. Senat des in Leipzig ansässigen Bundesverwaltungsgerichts die Revisionsklage der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg bezüglich der Inhalte ihrer Luftreinheitspläne abgewiesen. Mit dieser Entscheidung ist nun der Weg für Fahrverbote in deutschen Kommunen auch ohne entsprechendes Bundesgesetz frei.
Wichtig ist aber dennoch, dass mit dem Urteil nicht die falschen Akteur*innen zur Rechenschaft gezogen werden. Es gilt nun seitens der Politik sicherzustellen, dass betroffenen Verbraucher*innen eine Möglichkeit bekommen, für ihren Diesel, mit welchem sie nicht mehr in Städte wie Stuttgart oder München einfahren
dürfen, von den Herstellern einen adäquaten Ersatz zur Verfügung gestellt bekommen. So muss also die Möglichkeit bestehen, das alte gegen ein neues, sauberes Fahrzeug zu tauschen. Richtig ist auch, dass es Ausnahmeregelungen z. B. für kleine Handwerksbetriebe geben soll. So wird vermieden, dass Existenzen von heute auf
Foto: GillyBerlin / flickr.com / CC BY 2.0
Diesem Urteil ging ein langer Prozess voraus, der schließlich vor dem höchsten deutschen Gericht endete und das mit Erfolg. Ohne die Deutsche Umwelthilfe wäre es jedoch nie zu diesem famosen Sieg für den Gesundheit- und Umweltschutz gekommen. Wieder einmal war sie es, die der Politik vorauseilte und eine Entscheidung herbeiführte, zu der sich wohl keiner der regierenden Bundespolitiker*innen hätte durchringen können, schon alleine, weil dazu die Mehrheiten im Bundestag fehlen. Für DIE LINKE ist es ein Achtungserfolg, der aufzeigt, dass unsere Position einen Weg markiert, der richtig und wichtig für unsere Zukunft ist. Es kann nicht weiter hingenommen werden, das jährlich viele tausend Menschen an den Folgen der Abgasbelastung zu Grunde gehen, die Luft verschmutzt, ja sogar verpestet wird und unsere aller Recht auf Leben beschränkt.
European United Left / Nordic Green Left European Parliamentary Group
morgen zerstört werden, weil die Neuanschaffung von Fahrzeugen für solche Unternehmen nicht zu stemmen ist. Auch hier muss die Politik tätig werden und den Betroffenen Hilfe zubilligen. Da das Verfahren nach Meinung von der Verhandlung Beiwohnenden als sehr sachlich zu bewerten sei, heißt das auch, dass in diesem Fall allein rationale Argumente zu der Entscheidung geführt haben. Diese zeigen nun einmal, dass es ohne Fahrverbote nicht gehen kann. Jetzt gilt es für eine baldige Umsetzung des Urteils zu streiten. Wir als LINKE werden dies immer unter dem Aspekt der Wahrung von Interessen der Umwelt und der sozialen Verträglichkeit tun. Der Weg darf an dieser Stelle nicht enden, sondern muss konsequent zu Ende gegangen werden. Vielleicht hat dieses Urteil auch Signalwirkung für die Oberen der Europäischen Union, respektive der Kommission und des Rates. Es sollte doch gelingen, einen europäischen Konsens zu erwirken, der es allen EU-Bürger*innen ermöglicht, in einer sauberen Umgebung zu atmen. Schließlich liegt auf der Hand, dass Abgase keine Ländergrenzen kennen und es daher nur mit einer gemeinsamen Lösung funktionieren kann. In diesem Sinne heißt das für uns: Jetzt erst recht weiterkämpfen, damit es eine Zukunft gibt, die allen zuträglich ist!
SOS – Affenalarm In der Causa Dieselgate, so konnte man lange glauben, gab es einfach nichts mehr zu „toppen“. Doch weit gefehlt. Jüngst deckte ein journalistischer Rechercheverbund auf, dass die größten deutschen Autobauer mittels der von ihnen gegründeten „Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ (EUGT) eine Studie in Auftrag gaben, welche die Schädlichkeit der von den Fahrzeugen emittierten Stickoxide messen sollte.
rend die deutsche Untersuchung nur gefördert, nicht aber von der EUGT beauftragt wurde und sich vor allem um mögliche Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz drehte, steht die in den USA durchgeführte Studie in einem direktem Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Bei dieser Studie wurden zehn Javaneraffen in eine luftdichte Kammer gepfercht. Dort mussten sie stundenlang die toxischen Stoffe einatmen. Wie es den Tieren danach gesundheitlich erging, ist nicht bekannt.
Rechtlich schien zunächst alles sauber, denn die Ethikkommissionen der Universität Aachen und der betroffenen US-amerikanischen Uni, an welcher die Tests durchgeführt wurden, gaben grünes Licht. Skandalös ist allerdings, dass mit dieser Studie der Beweis dafür erbracht werden sollte, dass auch die manipulierten – also die Grenzwerte weit übersteigenden – Abgaswerte keine Beeinträchtigung der Gesundheit mit sich bringen würden. Die Studien wurden in den Jahren 2013 und 2014 durchgeführt. Wäh-
Diese Tests hatten keinen tieferen wissenschaftlichen Sinn. Es ging Volkswagen nur darum, beweisen zu können, dass auch höhere Abgaswerte keine Gefahren für die Menschen darstellen. Es war wohl das Ziel, so weitermachen zu können wie bisher und keine echten Veränderungen im Unternehmen vornehmen zu müssen. Offiziellen Angaben zufolge sollen die Konzernspitzen nicht über diese Art Tests informiert worden sein. Laut neuesten Erkenntnissen war dies je-
doch sehr wohl der Fall. Dies belegen interne E-Mails und Protokolldokumente. Der Cheflobbyist des Wolfsburger Volkswagenkonzerns musste als erstes Bauernopfer bereits seinen Hut nehmen. Thomas Steg übernahm im gleichen Atemzug auch die volle Verantwortung für die beschriebenen Vorgänge. Unternehmenschef Müller entschuldigte sich für das Geschehene.
die nationalen und internationalen Aufklärungsprozesse besitzen. Es geht darum, dass die Entscheider*innen in Brüssel und Berlin begreifen, dass sie im Sinne der Verbraucher*innen eine sinnvolle und nützliche Lösung erzielen müssen. Generell stehen wir Versuchen, welche Qualen für Menschen und Tiere nach sich ziehen, ablehnend gegenüber.
Bleibt zu hoffen, dass nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Oder erwarten uns noch weitere Zumutungen? Gab es gar Tests an Menschen?
Da die betreffenden Firmen nicht von sich aus den Schritt an die Öffentlichkeit gegangen sind, wird der bisherige Eindruck untermauert, dass für echten Wandel in der Unternehmenskultur kein Platz ist.
Deshalb fordert DIE LINKE weiterhin, dass VW bedingungslos alle relevanten Dokumente offenlegt, die im Zusammenhang mit dem Abgasskandal stehen und die Chefetage sich konsequent und ehrlich um Aufklärung der Vorwürfe bemüht. Des Weiteren halten wir den Druck auf deutsche und europäische Politiker*innen hoch, die Einfluss auf
• Frederic Beck, Büro MdEP Cornelia Ernst Dossier zu den Entwicklungen nach dem Ende des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments zum Abgasskandal: www.gleft.de/2an
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DIE LINKE im Bundestag
Das Märchen vom „Chancenland“ Bei der Bildung fehlt der große Wurf, kritisiert Sören Pellmann Lernenden wird häufig erzählt: „Wiederholt es, dann prägt es sich besser ein!“ Gleiches hat sich wohl die Koalition mit ihrer Skizze vom „Chancenland Deutschland“ gedacht. Aber eines vorab: Je öfter die GroKo Bildung als Faktor zur Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit betrachtet, umso öfter verkennt sie auch, wie das deutsche Bildungssystem institutionelle Ungerechtigkeit produziert. Wer die Digitalisierung von Bildung und die Aufhebung des Kooperationsverbots als Allheilmittel betrachtet, hat längst den Blick für die Wirklichkeit verloren. Zwar hat die GroKo erfreulicherweise erkannt, dass das Kooperationsverbot überdacht werden muss. Allerdings ist dies nicht nur im Hinblick auf die Finanzierung kommunaler Schulbauten sinnvoll und nötig. Darüber hinaus gibt es jede
Menge anderer Baustellen. Welch groteske Auswüchse der Bildungsföderalismus angenommen hat, müssen vor allem Schülerinnen und Schüler „ausbaden“, die umzugsbedingt von einem Bundesland in ein anderes wechseln. Dann kann es geschehen, dass Fächer plötzlich nicht mehr existieren, dem Lernenden mehrere Jahre Fremdsprachunterricht fehlen oder sich die Abiturzeit um ein ganzes Jahr verkürzt, um nur einige Beispiele zu nennen. Dies alles macht deutlich, dass es nicht damit getan ist, ein Kooperationsverbot zu kippen. Vielmehr muss ein bundeseinheitliches Bildungssystem das Ziel sein. Auch bei einem weiteren bildungspolitischen Thema verpasst die Regierungskoalition den großen Wurf. So
Ein Plädoyer für den Soli Am 15. März 2018 behandelte der Bundestag einen Antrag der AfD-Fraktion, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Begründet wurde dieser mit der angeblichen Verfassungswidrigkeit des Soli und dem arg strapazierten „Da haben die Bürger mehr Netto vom Brutto“. Wer bei diesem Slogan auch an die FDP denken muss, liegt gar nicht falsch – die FDP brachte einen Tag später einen ähnlichen Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Soli ein. Keine Überraschung, denn in steuerpolitischen und ökonomischen Fragen trennt die bürgerliche „Mitte“ und das völkisch-nationalistische Rechtsaußen nicht (mehr) viel. Als Mitglied im Finanzausschuss fiel mir die Aufgabe zu, für unsere Fraktion diesem Unsinn eine Absage zu erteilen. Weil der „Sachzweck“ des Soli, die Finanzierung der deutschen Einheit, weggefallen ist, müsse auch der Zuschlag abgeschafft werden, argumentierte die AfD. Das ist insofern unzutreffend, als dass a) das Bundesverfassungsgericht hierüber noch nicht abschließend entschieden hat und b) der Soli keine Sonderabgabe, sondern eine allgemeine Steuer ist. Das heißt, dass damit auch andere Dinge bezahlt werden können, wie zum Beispiel Kita-Plätze in Ost und West, das BAföG, Maßnahmen gegen Altersarmut und Rechtsradikalismus und, und, und. Auch braucht manche westdeutsche Kommune ebenfalls dringend finanzielle Unterstützung. Der Soli wird auch nicht allein in Westdeutschland erhoben, sondern Ostdeutsche haben ihn gleichermaßen zu leisten. Die Grenze des Soli verläuft nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen denen mit hohem und jenen mit geringem Einkommen. Ein Abgeordneter wie ich zum Beispiel, mit einem Einkommen von rund 10.000 € brutto, zahlt etwa 130 € im Monat an Soli. Eine Familie mit zwei Kindern und maximal 4.400 € brutto zahlt dagegen kei-
nen Soli, weder in Ost noch in West. So bekommt der Begriff „Solidaritätszuschlag“ eine ganz neue Bedeutung. Er wird von jenen bezahlt, die viel haben. Und diejenigen sollen nach dem Willen der AfD und auch der FDP entlastet werden und sich so der sozialpolitischen Verantwortung entziehen dürfen? Das ist mit uns nicht zu machen! Das Ergebnis einer Abschaffung des Soli wäre ein Loch im Haushalt von über 18 Milliarden (!) Euro. Das ist ungefähr so viel wie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung insgesamt zur Verfügung steht und doppelt so viel wie der Haushalt für das Familienministerium vorsieht. Wie will die AfD das gegenfinanzieren, wenn sie den Spitzensteuersatz nicht erhöhen, die Vermögensteuer nicht wieder einführen und die Erbschaftssteuer abschaffen will? Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel fiel mir ins Wort mit „In Arbeit und Soziales kann man einsparen!“ Heißt im Klartext: Die AfD will die Grundsicherung im Alter senken, medizinische Leistungen einschränken und die Unterstützung für Familien zusammenstreichen. Solche Klientelpolitik kannten wir sonst nur von der FDP, doch unerwartet kommt das nicht. Setzte die FDP noch 2009 die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen durch, was ihr den Spottnamen „Mövenpick-Partei“ einbrachte, ist die Eigentümerfamilie von Finck mittlerweile dicke mit der AfD. Und AfD wie FDP berufen sich auf Rekordsteuereinnahmen. Aber diese Überschüsse und Mehreinnahmen wird es nicht jedes Jahr geben. Die Leistungen in der Sozialpolitik brauchen wir aber jedes Jahr, genauso die bei Forschung, Bildung, Entwicklungszusammenarbeit und Programmen gegen die extreme Rechte! • Michael Leutert
kündigt sie zwar eine Mindestausbildungsvergütung an, versäumt es dann jedoch, sich genauer festzulegen. Dabei hätte die Orientierung am Mindestlohn der kleinste gemeinsame Nenner der Koalitionäre sein müssen. So zumindest wäre gesichert, dass die Chance auf Ausbildung nicht zur Ausbeutung verkommt. Ähnlich verhält es sich beim avisierten Ausbau des BAFöG. Eine Reform hin zu einer rückzahlungsfreien, elternunabhängigen Förderung von 1050 Euro im Monat wird nicht annähernd erreicht. Dieses Einkommen ist aber mittlerweile an zahlreichen Hochschulstandorten notwendig. Vor allem für Studentinnen und Studenten aus sozial benachteiligten Familien wäre es fatal, wenn das BAFöG nicht in ausreichendem Maße angepasst würde. Das zweifelhafte
Ablenkungsmanöver der propagierten Digitalisierung von Bildung passt hier auch ins Bild. Es ist natürlich gut, dass die längst verschlafene Zukunft endlich auch in der Schule einziehen soll. Allerdings wird dies zur problematischen Situation führen, dass Schulen eine digitale Tafel ohne ausreichend schnelle Internetverbindung besitzen werden. Gleichzeitig stellt die Wartung der neuen Geräte die Schulträger und Schulen vor kaum stemmbare Herausforderungen. Aber spätestens wenn die Koalition nur einen unverbindlichen Wunsch äußert, dass die Lehrinnen und Lehrer entsprechend fortgebildet werden sollen, wird klar, dass die Vorbereitung auf die moderne Arbeitswelt den sozial schwächeren Schülerinnen und Schülern wohl vorenthalten bleibt.
Stellenausschreibung Die sächsischen Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Bundestag haben sich in der 19. Legislaturperiode zu einer Landesgruppe zusammengeschlossen, um landesspezifische Themen und Interessen in Berlin gemeinsam besser vertreten zu können. Für die Region Südwestsachsen (Vogtland/ Erzgebirge) suchen wir ab 1. Juni 2018 eine Regionalmitarbeiterin / einen Regionalmitarbeiter. Zu ihren/ seinen Aufgaben gehören u.a.: • selbstständige Organisation und Vernetzung der Arbeit als Regionalmitarbeiter_in in Abstimmung mit den regionalen MdB-Büro der Landesgruppenmitglieder und den Büros unserer Landtagsabgeordneten, sowie mit dem Büro der Landesgruppe Sachsen (Koordinator) • Mitwirkung an Konzepten und Ideenentwicklung für landesweite oder regionale Aktivitäten des öffentlichen Wirkens und deren Umsetzung (Touren etc.) • Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von parlamentsbezogenen Veranstaltungen und Terminen in der Region • Kontaktpflege, Kommunikation und Kooperation mit regionalen Organisationen und Verbänden sowie mit Gliederungen der Partei DIE LINKE • Kontaktpflege zu Bürgerinnen und Bürgern, Bearbeitung von Bürgerinnenund Bürgeranfragen • Organisation und Begleitung von Informationsfahrten nach Berlin • regionale Pressearbeit, Herstellung und Pflege von Medienkontakten, Mitarbeit bei der Erstellung von Publikationen Von der Bewerberin/dem Bewerber erwarten wir: • abgeschlossene Berufsausbildung oder Studium • einen kommunikativen, selbstständigen und teamfähigen Arbeitsstil • ausgeprägte Motivation und Eigeninitiative, Organisationsfähigkeit, Kreativität, • sehr gute Kenntnisse der politischen Strukturen und Arbeit in der Region sowie eine gute politische Vernetzung in der Region • Erfahrung in der regionalen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit • einen sicheren Umgang mit modernen Kommunikationstechniken • politisches Denken und Identifikation mit den politischen Grundwerten der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE. • KfZ-Fahrerlaubnis ist von Vorteil Geboten werden: • ein auf das Ende der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages befristetes Beschäftigungsverhältnis • 2.100 Euro brutto für eine Teilzeitstelle mit regelmäßiger Wochenarbeitszeit von 24h • regelmäßiger Arbeitsort regelmäßiger Arbeitsort Plauen/ Marienberg Ihre aussagekräftige Bewerbung mit den vollständigen Unterlagen richten Sie bitte an: Sören Pellmann, Sprecher der Landesgruppe Sachsen, per E-Mail (max. 2 MB) bis spätestens zum 27. April 2018 oder an DIE LINKE im Bundestag, MdB Sören Pellmann, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. E-Mail: soeren.pellmann@ bundestag.de. Ihr Ansprechpartner für Fragen zu dieser Stellenausschreibung ist Marko Forberger (Koordinator der Landesgruppe), Tel.: 0163/3846548.
Kommunal-Info 3-2018 3. März 2018 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.
Kulturraumgesetz wurde novelliert Am 14. März 2018 hatte der Sächsische Landtag Änderungen des Sächsischen Kulturraumgesetzes (SächsKRG) beschlossen. Dem Landtag lagen für die Beschlussfassung zwei Gesetzentwürfe vor, einmal der Entwurf der Regierungskoalition CDU/SPD und der Entwurf der Landtagsfraktion der LINKEN, die beide zuvor am 15. Januar 2018 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Landtagsausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien waren. Bereits zum 3. November 2015 hatte ein Evaluierungsbericht des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zu dem seit 2008 entfristeten SächsKRG vorgelegen, wozu am 26. Januar 2016 im zuständigen Landtagsausschuss eine öffentliche Anhörung stattgefunden hatte.1 Nach nunmehr zwei Jahren stand endlich die zu beschließende Überarbeitung des SächsKRG auf der Tagesordnung des Landtags. Ein Blick in den beschlossenen Entwurf der Regierungskoalition verrät, dass die Änderungen am SächsKRG doch recht überschaubar sind. Und wie einer der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung mitteilte, habe in der Evaluierungskommission Einigkeit darüber bestanden, dass es nur eine marginale Veränderung des Gesetzes geben sollte. Welche wesentlichen Änderungen wurden am SächsKRG nun vorgenommen? Was wurde in den Stellungsnahmen der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung im Januar 2018 vorgebracht?
Kulturelle Bildung
Nach § 3 SächsKRG, der den sachlichen Geltungsbereich des Gesetztes bestimmt, werden kulturelle Einrichtungen, einschließlich Musikschulen,
und Maßnahmen von regionaler Bedeutung, unabhängig von ihrer Trägerschaft und Rechtsform auf Beschluss des Kulturkonventes nach Maßgabe der verfügbaren Finanzmittel unterstützt. Neu wurde jetzt angefügt, dass Einrichtungen und Maßnahmen der Kulturellen Bildung dabei angemessen zu berücksichtigen sind. Die gesetzliche Festschreibung der Förderung von „Einrichtungen und Maßnahmen der Kulturellen Bildung“ im SächsKRG fand allgemeine Zustimmung in der Sachverständigenanhörung, da kulturelle Bildung für die Entwicklung des einzelnen Individuums wie auch für das gesellschaftliche Miteinander von Bedeutung seien. Auch wenn die Mehrzahl kultureller Einrichtungen bereits jetzt schon kulturelle Bildung in ihrem Angebot berücksichtige, könne es nicht schaden, die kulturelle Bildung durch ausdrückliche Nennung in ihrem Stellenwert zu erhöhen und eben dort mehr zu fördern, wo das bisher nicht oder wenig eine Rolle spielte. So können z.B. durch einen Netzwerkkoordinator oder durch eine Netzwerkstätte wichtige Kontakte geknüpft und Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen entwickelt werden. Dennoch seien in der Kulturlandschaft „gesonderte“ Einrichtungen der kulturellen Bildung oder Maßnahmen eher eine Ausnahmeerscheinung. Im Kunst- und Kulturbereich sei fast generell eine Mischung von Kunst- und Kulturangeboten mit denen der kulturellen Bildung anzutreffen. Von daher wäre es besser, so ein Vorschlag in der Anhörung, in § 3 SächsKRG auf die Nennung von „Einrichtungen und Maßnahmen“ zu verzichten, dafür aber in § 2 die kulturelle Bildung vielmehr als ein Ziel des Kulturraumgesetzes zu verankern.
Finanzierung und Bedarf
In § 6 SächsKRG wird der Betrag, den der Freistaat Sachsen jährlich für die Kulturräume in Gestalt des „Kulturlastenausgleichs“ zur Verfügung stellt, von bisher mindestens 86,7 Mio. Euro auf mindestens auf 94,7 Mio. Euro aufgestockt. Davon werden bereit gestellt: zur Förderung der Kulturpflege in den Kulturräumen mindestens 90 Mio. Euro anstatt der bisher mindestens 82 Mio. Euro; für Investitionen und Strukturmaßnahmen in kulturellen Einrichtungen einschließlich damit verbundener Personalmaßnahmen mindestens 1,5 Mio Euro anstatt der bisher mindestens 1Mio. Euro. Den Landesbühnen Sachsen werden für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nur noch Zuschüsse höchstens von 3,2 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, bisher waren es höchstens 3,7 Mio. Euro. Die Aufstockung des jährlichen Gesamtbetrags im „Kulturlastenausgleich“ um 8 Mio. Euro auf 94,7 Mio. sei zwar sehr begrüßenswert, doch gleiche diese nur den „Stillstand“ von vielen Jahren aus, wurde in der öffentlichen Anhörung festgestellt. Stellt man die Steigerung der Personalkosten im Kulturbereich der Steigerung der Kulturraummittel gegenüber, so zeige sich über die Jahre ein großes Delta. Die Versäumnisse der letzten Jahre ließen sich nicht von heute auf morgen beheben. Deshalb müssten weitere Schritte folgen, um die vorhandenen Defizite abzubauen. Selbst wenn eine Erhöhung um 10 Mio. Euro erfolgen würde, die schon mal in Rede standen, könnten die Haustarife bei den Theatern und Orchestern nicht abgebaut werden. Nach dem, was die Kommission im Kultursenat festgestellt hat, gäbe es allein einen Mehrbedarf an 12 Mio. Euro, um allein
die Haustarifmisere im Theater- und Orchesterbereich zu überwinden. Wie der kaufmännische Direktor des Theaters Görlitz-Zittau berichtete, bestehe dort nun schon seit 20 Jahren ein Haustarifvertrag mit 15 % Lohnverzicht, und das trotz erfolgter Fusion der Theater mit einhergehendem Personalabbau. Haustarifverträge, gedacht für die Überbrückung kurzzeitiger finanzieller Engpässe, dürften nicht zum Dauerzustand werden. Nach den Fusionen im Theaterbereich sei beim Sparen nun das Ende der Fahnenstange erreicht, jetzt gehe nichts mehr, solle die Qualität weiter gesichert werden. Deshalb wäre es angeraten, wie in der Evaluierungskommission thematisiert, für den jährlichen Betrag zur Förderung der Kulturpflege in den Kulturräumen eine Dynamisierung oder stufige Erhöhung vorzusehen, auch wenn das in der beschlossenen Gesetzesänderung nicht durchsetzbar war. Auch die als Sachverständige geladene Leipziger Kulturbürgermeisterin fand es bedauerlich, dass das jetzige SächsKRG keine solche Dynamisierung vorsehe, die aber die Stadt Leipzig selbst sehr wohl für die großen Häuser als auch für die freie Kunst und Kultur festgeschrieben habe, was vielleicht als eine Ansage an die Sächsische Staatsregierung verstanden werden konnte, es ebenso zu tun, um nicht schlechter gegenüber der Stadt Leipzig dazustehen. Nicht nur im Theater- und Orchesterbereich bestehe eine teils dramatische Situation, in vielen anderen Bereichen der Kultur wären „prekäre Arbeits- und Honorarverhältnisse“ anzutreffen. Für die sächsischen Musikschulen, wo die Personalkosten 85 % an den Gesamtkosten ausmachen, wurde in der Anhörung festgestellt, dass im ländlichen Raum bald die qualifizierten Fachkräf-
Kommunal-Info 3/2018 te ausgingen. Aus dem „Stuttgarter Appell“ des Verbands der Musikschulen (VdM) vom Mai 2017 wurde zitiert: „Eine öffentliche Musikschule, wie sie vom VdM in seinem Strukturplan aufgestellt ist, von den Kommunalen Spitzenverbänden in ihrem gemeinsamen Positionspapier gefordert und im KGSt -Gutachten beschrieben wird, ist grundsätzlich nur mit angestellten, weisungsgebundenen und angemessen vergüteten Lehrkräften zu realisieren. Musikschulen, deren Träger von ihren Honorarkräften mehr verlangen als die vertraglich vereinbarten Unterrichtsstunden, um eine Qualität zu erreichen, wie sie grundsätzlich nur mit angestellten Lehrkräften zu erreichen ist, vertrauen bisher darauf, dass es keine Kläger bei den Gerichten gibt.“ Wie andere Träger der Kulturarbeit warten auch die Museen „auf mehr Geld im System“, denn dort fehlten Museumspädagogen und Konservatoren.
Eigenanteil in Kulturräumen
Beibehalten wurde in § 6 Abs. 3 SächsKRG die Bestimmung, dass durch die Erhebung einer Kulturumlage in den ländlichen Kulturräumen die Mitglieder des Kulturraumes an den über die vom Kulturraum finanzierten kulturellen Einrichtungen und Projekte angemessen beteiligt werden. Und nach § 6 Abs. 4 darf die Zuweisung der finanziellen Mittel aus dem „Kulturlastenausgleich“ des Freistaates bei den ländlichen Kulturräumen nicht höher sein als das Zweifache der dort erhobenen Kulturumlage. Das bedeutet aber in der Konsequenz, wenn der Freistaat für die einzelnen ländlichen Kulturräume mehr Mittel bereit stellt, also insgesamt um 8 Mio. Euro wachsen lässt, müssten die Mitglieder der ländlichen Kulturräume ihren Finanzierungsanteil entsprechend erhöhen, um das eine Drittel des Eigenanteils zu erreichen. Folglich müsste dafür bei den Landkreisen als Mitgliedern der Kulturräume die Kulturumlage entsprechend angehoben werden. In der öffentlichen Anhörung stand deshalb die Frage im Raum, ob eine Erhöhung der Kulturumlage denn von den Landkreisen auch zu schultern sei. Dazu erklärte die Sachverständige vom Sächsischen Landkreistag (SLT), dem Dachverband der Landkreise, dass die Rückmeldungen von den Landkreisen zu den Gesetzentwürfen sehr unterschiedlich waren. Viele Landkreise hätten geantwortet: „Wunderbar! Nach dem Motto, so viel, wie man bekommen kann! Wir setzen das auch um.“ Aber das war nicht die durchgängige Antwort. Insbesondere im ostsächsischen Raum sähe die Situation etwas schwieriger aus. Deshalb der Appell des SLT, dass das Gesetz auch für die kommunalen Aufgabenträger umsetzbar sein muss. Daher die dringende Bitte, hier vorsichtig heranzugehen, auch und gerade wegen der Situation im ostsächsischen Bereich. Es nütze nichts, wenn die Landesmittel erhöht werden, die Kofinanzierung aber nicht erbracht werden kann. Von daher sei wirklich zu überlegen, wie man mit diesem Thema umgehen könnte, vielleicht auch außerhalb der Regelungen des Kulturraumgesetzes. Von einem zweiten Sachverständigen kam dazu der Hinweis, dass gegebenenfalls geprüft werden sollte, ob eine Flexibilisierung hinsichtlich des individuellen Entscheids einzelner Kulturräume möglich
Seite 2 sei. Der Kulturraumsekretär aus dem Kulturraum Erzgebirge-Mittelsachsen glaubte zu wissen, dass in seinem Kulturraum die beiden Landkreise willens wären, einen höheren Eigenanteil mitzutragen, obwohl er auch sehe, dass es in anderen Kulturräumen enger zugehe.
Landesbühnen
Seit 2011 werden die Sächsischen Landesbühnen Radebeul aus dem SächsKRG mitfinanziert. Das war seinerzeit schon auf Widerspruch gestoßen und wurde bereits intensiv bei der öffentlichen Anhörung im Januar 2016 thematisiert, wurde aber wiederum bei der jüngsten Anhörung im Januar 2018 von den Sachverständigen kritisch angesprochen. Die Sachverständigen wiederholten ihre Kritik von 2016: Die Kulturräume sollten nicht mit den Landesbühnen befrachtet werden. Die direkte Finanzierung der Landesbühnen durch das Kulturraumgesetz sei systemisch nicht stimmig oder „systemwidrig“, wie einige Sachverständige sogar betonten. Auch die Evaluierung habe hierzu in einer ersten Betrachtung zum einen aufgezeigt, dass die Hereinnahme der Landesbühnen systemwidrig sei. Zum anderen wurde in der Evaluierung dargelegt, dass die Begründung, die seinerzeit zur Aufnahme der Landesbühnenfinanzierung in das Kulturraumgesetz geführt habe, nicht trägt. Die angenommene landesweite Strahlkraft der Landesbühnen sei nicht gegeben, sie konzentriere sich im Wesentlichen auf einige wenige Spielorte. Zudem wurde mit der Hereinnahme der Landesbühnen in die Kulturraumfinanzierung ein schwelender Unruheherd geschaffen, der spätestens dann, wenn bei nächster Gelegenheit die Mittel mal wieder knapp sind, nicht mit der weiteren Unterstützung durch die Kulturräume gerechnet werden kann. Eine abschließende Frage in der Anhörung lautete, ob denn überhaupt einer der anwesenden Sachverständigen eine Lanze dafür brechen würde, dass die Landesbühnen in der Kulturraumfinanzierung bleiben sollten. Als vom Ausschussvorsitzenden registriert wurde, dass keiner der Sachverständigen die gestellte Frage positiv beantworten mochte, kam laut Protokoll der Zuruf aus dem Saal: „Damit ist sie beantwortet!“
Mitgliedschaft von Oberzentren
Neu gefasst mit einer klarstellenden Präzisierung des Beitrittsverfahrens wurde in § 7 SächsKRG die Beitrittsmöglichkeit der kreisangehörigen Oberzentren (Plauen, Zwickau) und der Städte des Oberzentralen Städteverbundes (Bautzen/Görlitz/Hoyerswerda) zu den ländlichen Kulturräumen. Diese Städte können Mitglied im jeweiligen ländlichen Kulturraum werden, wenn die Stadt und der Kulturraum das beschließen. Soweit eine Stadt den Beitritt zum Kulturraum beschließt, muss der Kulturraum innerhalb von sechs Monaten nach Mitteilung des städtischen Beschlusses über den Beitritt entscheiden. Der Kulturraum kann den Beitritt nur ablehnen, wenn dieser die Aufgabenerfüllung des Kulturraumes gefährden würde. Der Ablehnungsbeschluss ist schriftlich zu begründen. Fasst der Kulturraum innerhalb der Frist von sechs Monaten keinen Beschluss, wird der Beitritt zu dem im städtischen Beitrittsbeschluss genannten Zeitpunkt
wirksam, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist von sechs Monaten. Die Beitrittsbeschlüsse sowie der Beitritt bedürfen der Genehmigung der jeweiligen Rechtsaufsichtsbehörde sowie der Bekanntgabe im Sächsischen Amtsblatt. Die Oberzentren Plauen und Zwickau haben diese Option gewählt und sind Mitglieder des Kulturraums Vogtland-Zwickau. Wie bisher werden die Städte, die Mitglied eines ländlichen Kulturraumes geworden sind, im Kulturkonvent durch den Oberbürgermeister als stimmberechtigtes Mitglied vertreten, im Falle der Verhinderung durch seinen Stellvertreter. Wie bislang sind diese Städte zur Zahlung der Kulturumlage verpflichtet. Davon unberührt bleibt die Pflicht, sich als Sitzgemeinde angemessen an der Finanzierung der lokalen Einrichtungen zu beteiligen sowie die festgelegte Kreisumlage an den zugehörigen Landkreis zu zahlen.
Kulturbeirat und Kultursekretariat
Während bisher die Kultursachverständigen für den Kulturbeirat unbefristet berufen wurden, wird jetzt nach § 4 Abs. 7 SächsKRG die Berufung zunächst auf fünf Jahre befristet, jedoch mit der Möglichkeit, dass die gleiche Person immer wieder neu für jeweils fünf Jahre berufen werden kann. Bisher schon konnten die zuständigen, im Kulturraum wirkenden regionalen und überregionalen Fachverbände und Fachstellen dem Kulturkonvent Vorschläge für die Besetzung des Kulturbeirates unterbreiten. Nun wurden deren Einflussmöglichkeiten gestärkt: sie können nicht nur wie bisher dem Kulturkonvent Vorschläge für die Besetzung des Kulturbeirates unterbreiten, sondern sie sind jetzt vor der Berufung der Kultursachverständigen zu hören. Dass Kultursachverständige nicht mehr auf Dauer, sondern auf fünf Jahre befristet berufen werden, fand in der Anhörung allgemeine Zustimmung. Bei der Frage der Wiederberufung schieden sich jedoch die Geister. Einige Sachverständige plädierten in der Anhörung für eine nicht begrenzte Wiederberufung, denn bei einer nur einmaligen Wiederberufung, wie im Gesetzentwurf der Linksfraktion vorgesehen, sei es mitunter schwierig, für eine Neubesetzung mit wirklich ausgewiesen qualifizierten Kulturfachleuten eine ausreichende Zahl von Bewerbern zu finden, die auch bereit wären, sich viele Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit ans Bein zu binden. Ebenso spräche dafür, dass bei einer nur einmaligen Wiederberufung der Kultursachverständigen ein unverzichtbarer Teil an „Kulturraumgedächtnis“ verloren gehen könnte. Es bestehe die Gefahr, dass erfahrene und engagierte Persönlichkeiten aus lediglich formalen Gründen von einer Mitwirkung im Kulturbeirat ausgeschlossen werden, ohne dass adäquater Ersatz für die jeweilige Sparte zur Verfügung stünde. Gerade bei den kleineren Sparten sei es nicht immer leicht, qualifizierte Personen zu finden, was bei einer Begrenzung der einmaligen Wiederberufung dazu führen könnte, dass diese kleineren Sparten dann nicht mehr im Kulturraum vertreten wären – das könne nicht gewollt sein. Andere für die Anhörung geladene Sachverständige hielten hingegen ei-
ne einmalige Wiederberufung in den Kulturbeirat durchaus für sinnvoll. Das würde der Erneuerung des Gremiums gut tun und die Meinungsvielfalt fördern. Bei einer „Dauerpräsenz“ bestände die Gefahr des Stillstands. Neben der Kontinuität in der Tätigkeit des Kulturbeirats sei auch eine fortwährende Innovation erforderlich, die nur durch Rotation der Mitglieder erreicht werden kann. Deshalb wäre eine nur einmalige Wiederberufung in den Kulturbeirat folgerichtig. Neu eingefügt wurde in § 4 Abs. 8 SächsKRG, dass für die Arbeit des Kulturbeirats die kommunalrechtlichen Vorschriften über beratende Ausschüsse entsprechende Anwendung finden. Aus § 43 Abs. 2 der Sächsischen Gemeindeordnung ist danach insbesondere zu entnehmen, dass die Sitzungen des Kulturbeirats nichtöffentlich sind. Bisher galt schon, dass der Kulturkonvent an die Entscheidungsvorschläge des Kulturbeirates nicht gebunden ist. Hier wurde jetzt neu die Bestimmung in § 4 Abs. 9 angefügt, wenn der Konvent Entscheidungen trifft, die von den Entscheidungsvorschlägen des Kulturbeirates abweichen, dann hat der Kulturkonvent dem Kulturbeirat eine Begründung für dessen abweichende Entscheidung schriftlich mitzuteilen. Dass es nach dem neuen SächsKRG den Kulturräumen frei gestellt ist, selbst darüber zu entscheiden, wie sie die Kultursekretariate als ihre Verwaltungsstellen organisieren wollen, fand in der Anhörung allgemeine Zustimmung.
Berichte
Aufgenommen in das neue SächsKRG wurde in § 3 Abs. 6, dass die Kulturräume jährlich Angaben zu den von ihnen geförderten Einrichtungen und Maßnahmen sowie zur jeweiligen Höhe der Förderung zu veröffentlichen haben. In § 10 SächsKRG wird nun vorgegeben, dass der Sächsische Kultursenat im Abstand von jeweils vier Jahren einen Bericht über den Vollzug des Sächsischen Kulturraumgesetzes erstellt, der insbesondere Empfehlungen für Zusammenarbeit und Kulturförderung zwischen Land und Kommunen enthält. Die Empfehlungen sollen substantiiert begründet werden. Der erstmalige Bericht ist dem Landtag bis zum 31. Dezember 2021 zuzuleiten. AG 1
Siehe hierzu „Kulturraumgesetz begutachtet“, in: Kommunal-Info, Nr. 2/2016. 2 KGSt = Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.
Kommunal-Info 3/2018
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Politische Teilhabe von MigrantInnen Teil II - Kommunalwahlrecht und kommunale Migrationsbeiräte Von Konrad Heinze, Chemnitz Der vorangegangene Teil der Kurzreihe „Politische Teilhabe von MigrantInnen“, erschienen in der Kommunal-Info 1/2018, widmete sich grundlegenden Rechten. Diese sind in der Sächsischen Gemeindeordnung als „Einwohnerrechte“ normiert und stehen MigrantInnen auch ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder EU-Bürgerschaft offen. Vertiefend behandelt dieser Beitrag die „Mitwirkung in sonstigen Beiräten“, welche ein sinnvolles Instrument politischer Teilhabe sein können. Die Möglichkeiten, aber auch die Beschränkungen kommunaler Migrationsbeiräte sind jedoch immer vor dem Hintergrund der fortgesetzten Debatte um das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige zu betrachten.
Exkurs Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige
Seit Ende der 1980er und Beginn der 1990er Jahre wird die Auseinandersetzung um die Erweiterung des Kommunalwahlrechts geführt. Hierzu gab es eine Reihe von Vorstößen, seien es Gesetzesentwürfe im Bundestag und Bundesratsinitiativen zur Änderung des Grundgesetzes oder Wahlrechtsänderungen innerhalb einzelner Bundesländer. Insbesondere letztere schienen aussichtsreich: so wurden 1989 in Schleswig-Holstein und Hamburg entsprechende Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Ein im Jahr 1990 gefälltes Urteil des Bundesverfassungsgerichts negierte aber diese Gesetze und formuliert das bis heute immer wieder vorgebrachte Hauptargument gegen das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige: das Wahlvolk muss deckungsgleich mit dem Staatsvolk sein, demnach dürfen nur deutsche StaatsbürgerInnen wählen.1 Die Ratifikation des Vertrages von Maastricht im Jahr 1992 widerspricht diesem Urteil. Im Zuge der Umsetzung des Vertrages in nationales Recht wurde das Grundgesetz geändert2 und seither verfügen EU-BürgerInnen auf der kommunalen Ebene über das aktive und passive Wahlrecht. Die damit einhergehende Besserstellung von EU-BürgerInnen gegenüber Drittstaatsangehörigen sei infolge des europäischen Integrationsprozesses vertretbar, so die vorherrschende Rechtsmeinung.3 Letztlich ist es eine paradoxe Situation, die aber nicht juristisch, sondern nur politisch aufgelöst werden kann. Nach Auskunft der Bundesregierung von 2007 spricht das Urteil des BVerfG nicht grundsätzlich gegen ein erweitertes Kommunalwahlrecht, vielmehr fehlt es allein an einer politischen, verfassungsändernden 2/3-Mehrheit.4 Hier wirkt die in Deutschland starke Tradition des ius sanguinis, des Abstammungsprinzips, nach.5 Im Kern steht die Frage, wie Gesellschaft organisiert sein soll: Teilhabe nur für jene, die als Deutsche geboren sind oder für Alle, die hier leben? Ohne eine eindeutige politische Antwort auf diese Frage
So eine „direkte Wahl“ gewünscht ist, ist sie rechtlich als Vorschlag an den Gemeinderat zu werten. Der Rat wiederum kann im Sinne einer Übereinkunft diese Vorschläge per Einigung oder Wahl bestätigen. Ferner ist in diesem Falle eine Wahlordnung zwingend notwendig.
Aufgaben der Beiräte
sind die Chancen der mannigfaltigen Initiativen von Kommunen, Ländern, Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen realistisch als gering einzuschätzen. Gleichwohl besteht eine kommunale Handlungsmöglichkeit darin, das Kommunalwahlrecht für Alle stets aufs Neue zu thematisieren. Dies kann in Form einer Resolution der Gemeindevertretung geschehen.6 Im Bereich der politischen Teilhabe von MigrantInnen liegt die BRD im europäischen Vergleich zurück. Die Einbürgerungsquote gehört zu den EUweit niedrigsten7 und im Gegensatz zu Deutschland haben 15 von 28 EU-Staaten das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige eingeführt (elf davon allerdings nur passiv).8 Vergleichende Studien aus diesen Staaten zeigen, dass Vorbehalte wie der Konfliktimport, die Einflussnahme ausländischer Regierungen oder ein vermindertes Interesse an Einbürgerungen empirisch nicht zu bestätigen sind.9 Vielmehr werden die Erfahrungen gemacht, dass Einbezug und Mitbestimmung auf der kommunalen Ebene einen positiven Einfluss auf die politische Integration haben können.10
Kommunale Migrationsbeiräte
Solange aber „die volle politische Partizipation durch Einbürgerung oder Reform des Wahlrechts für Drittstaatsangehörige nicht möglich ist, müssen auf kommunaler Ebene andere Wege und Möglichkeiten der Partizipation gefunden werden.“11 Auf der Grundlage von § 47 SächsGemO zu bildende Migrationsbeiräte12 können eine solche Möglichkeit sein, gesetzt den Fall, ihre Arbeit und Beteiligung wird erst genommen. Wie bei allen anderen Formen von Beiräten gilt auch hier, dass ohne die Wertschätzung seitens Gemeinderat und Verwaltung sie keine Bedeutung erlangen können. Im schlechtesten Fall führen mangelnde Verbindlichkeit und Achtung geradewegs zu mehr Resignation und Politikverdrossenheit.13 Im Falle der Migrationsbeiräte kann so der Eindruck entstehen, sie seien „Beruhigungspille und Frühwarnsystem gegen Unzufriedenheit“14, aber nicht der Versuch, Teilhabe zu ermöglichen. Für einen detaillierten Überblick zu den Funktionen, Rechten und Pflichten
kommunaler Beiräte sei auf Dr. Achim Grunkes Beitrag „Beiräte in der Kommunalpolitik“, erschienen in der Kommunal-Info 5/2017, verwiesen. Die wichtigsten Aspekte sollen dennoch hier kurz aufgeführt sein15: Die Bildung von Beiräten ist allein über eine Regelung zur Hauptsatzung und somit mit der Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder möglich. Zwingend erforderlich ist eine auf das Handlungsfeld hinweisende Namensgebung als auch eine hinreichende Bestimmung der Aufgaben. Hierbei sind allgemein gehaltene All-Formulierungen ausreichend. Ebenso sind Bestimmungen zur Gesamtzahl der Mitglieder, zur Verteilung der Sitze zwischen Gemeinderatsmitgliedern und sachkundigen EinwohnerInnen sowie Regelungen zur Bestimmung des Vorsitz und der Stellvertretung notwendig. Die Mehrheit der Sitze sollen sachkundigen EinwohnerInnen vorbehalten sein, jedoch dürfen die Gemeinderatsmitglieder nicht in eine Nebenrolle gedrängt werden. Insgesamt soll die Größe des Beirats im angemessenen Verhältnis zur Größe des Gesamtgemeinderates stehen. Beiräte können sich eine eigene Geschäftsordnung geben, müssen dies aber nicht zwingend. Weiter nehmen sie als Organteile des Gemeinderats eine Vorberatungs-, Initiativ- und Interessenvertretungsfunktion wahr und bieten Beratung, Information, Sprechstunden und einfache technische Hilfe für den von ihnen vertretenen Personenkreis an. Zur Erfüllung dieser Aufgaben und Zwecke haben Beiräte das Recht, dem Gemeinderat von sich aus Beschlussempfehlungen zu unterbreiten, das Recht auf Anhörung und umfassende Information sowie das Antragsrecht gegenüber dem Gemeinderat. Beiräte tagen in der Regel öffentlich. Beiratsvorsitzende sollen bei der Verhandlung des vom Beirat erwirkten Tagesordnungspunktes anwesend sein, ferner haben sie zum TOP Rede- und Antragsrecht. Sachkundige EinwohnerInnen sind in Beiräten rede-, antragsund stimmberechtigte Vollmitglieder. Demgegenüber haben sie die Pflicht zur gewissenhaften Mitarbeit. Ihre Bestellung obliegt dem Gemeinderat, eine direkte Entsendung durch Interessenoder Fachverbände ist ausgeschlossen.
Kommunale Migrationsbeiräte nehmen diese Aufgaben, Rechte und Pflichten wie andere Beiräte auch wahr. In Anbetracht des von ihnen vertretenen Personenkreises verfolgen sie naturgemäß aber speziellere Ziele. Übergeordnetes Ziel ist, die lokale Integrationspolitik gemeinsam mit Verwaltung und Kommunalpolitik zu entwickeln. Hierzu zählen unter anderen die Erarbeitung und Fortschreibung kommunaler Integrationskonzepte, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit kommunalen Integrationsbeauftragten, die Vertretung der Interessen der migrantischen Bevölkerung (in den letzten Jahren ist hier insbesondere die Vertretung der Interessen von Geflüchteten hinzugekommen), die Beratung von Politik und Verwaltung, die Förderung der politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Partizipation der migrantischen Bevölkerung, die Förderung des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens, die Verbesserung der Lebensverhältnisse der migrantischen Bevölkerung, die Unterstützung und Beratung von MigrantInnen und MigrantInnenorganisationen sowie die Durchführung von geeigneten Projekten und Veranstaltungen.16 Die Kommune gewinnt Wissen und Sichtweisen hinzu, welche(s) sonst leicht übersehen werden, und so den Erkenntnishorizont gemeindlicher Entscheidungen erweitern. Gleichsam ist für viele MigrantInnen ohne Wahlrecht ein kommunaler Migrationsbeirat eine der wenigen Möglichkeiten, sich politisch engagieren zu können. Konkrete Themen und Aufgaben erschließen sich aus nahezu allem, was die Querschnittsaufgaben von Migration und Integration betrifft: Bildung, Sozialpolitik, Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik, Antidiskriminierung, Interkulturelle Arbeit und weitere. Im Interesse einer zielgerichteten Aufgabenerfüllung ist daher eine Schwerpunktsetzung in der Beiratsarbeit zu empfehlen.
Gründung eines Beirats
Soll ein kommunaler Migrationsbeirat neu gegründet und besetzt werden, sind im Vorfeld einige Dinge zu beachten. Erstens zeigt die Erfahrung, dass Migrationsbeiräte dann sinnvoll arbeiten können, wenn ihre Einrichtung
Kommunal-Info 3/2018 von einem breiten Konsens zwischen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen und den Fraktionen des Rates getragen wird. Dazu ist es unabdingbar, dass die Einrichtung, vor allem die Ausarbeitung der Satzung des Beirates, unter Beteiligung von und in Absprache mit VertreterInnen von MigrantInnenorganisationen etc. selbst erfolgt. Zweitens sind eine Reihe von Informationen einzuholen, insbesondere ein Lagebild über die demographische und politische Situation in der Kommune: wieviele Menschen mit Migrationshintergrund leben in der Kommune, wieviele davon sind Eingebürgerte und wieviele im rechtlichen Sinne AusländerInnen? Wieviele Asylsuchende und anerkannte Geflüchtete leben in der Kommune? Wie hoch ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung, welches sind die größten Nationalitätengruppen? Welcher Art und Größe sind die ansässigen MigrantInnenorganisationen, wie gut sind diese untereinander und mit kommunalen Stellen vernetzt? Welche weiteren Gruppen, Einrichtungen, Initiativen und Einzelpersonen sind wichtig? Wo ist das Thema Migration/Integration in Rat und Verwaltung angesiedelt, welchen Stellenwert hat es dort? Welche Fraktionen im Rat, welche Person in der Verwaltung können für das Vorhaben gewonnen werden, wer muss noch überzeugt werden?17 Damit ein kommunaler Migrationsbeirat seinem Anspruch genügen kann, breites Fachwissen und möglichst viele unterschiedliche Lebenslagen abzubilden, müssen entsprechend viele verschiedene Gruppen vertreten sein, die die Vielfalt hinsichtlich Herkunftsland, Alter, Geschlecht, Religion, politischer Orientierung und sozialer Lage widerspiegeln. Die „Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns“ (AGABY) empfiehlt, zu diesem Zweck in der Satzung des Beirats das Prinzip des Minderheitenschutzes festzuschreiben, demnach quotierte Plätze für kleinere Herkunftsgruppen und/oder unterschiedlichem aufenthaltsrechtlichen Status zu reservieren. Ferner ist es sinnvoll, auch Eingebürgerte und (Spät-) AussiedlerInnen als sachkundige EinwohnerInnen im Migrationsbeirat in Betracht zu ziehen, denn so können auch deren spezifischen Sichtweisen und Erfahrungen Gehör und Vertretung finden.18 Über die Zusammensetzung des Gremiums gelangt man zu einer der zentralen Fragen hinsichtlich der Einrichtung eines kommunalen Migrationsbeirates: Wahl oder Benennung der Mitglieder, die nicht dem Gemeinderat angehören? Wie weiter oben angeführt, ist die Regelung zur Bildung von Beiräten in der SächsGemO recht knapp gehalten. Die Durchführung einer Wahl zur Bestimmung der sachkundigen EinwohnerInnen ist zwar nicht eindeutig vorgesehen, aber auch nicht untersagt. Die Einschränkung besteht aber darin, dass eine solche Wahl rechtlich nur eine „Vor-Wahl“, gewissermaßen ein Vorschlag an den Gemeinderat sein kann, der diesen Vorschlag per Einigung oder Wahl bestätigen kann. Festzuhalten ist, dass, ob per Benennung oder Wahl gebildet, alle Beiräte selbstverständlich demokratisch legitimierte Interessenvertretungen als auch beratende Fachgremien sind. Durch die
Seite 4 Entscheidung für den einen wie den anderen Modus wird dennoch die jeweilig zugehörige Funktion hervorgehoben und gestärkt. So weisen „gewählte“ Migrationsbeiräte gemeinhin eine höhere Akzeptanz seitens der EinwohnerInnen und BürgerInnen mit Migrationshintergrund auf, d.h., sie verfügen über eine wesentlich höhere demokratische Legitimation. „Benannte“ Migrationsbeiräte sind wiederum mehr als Fachgremium zu verstehen. Das bedeutet die Fachkompetenz wird stärker betont, aber sie stehen stärker in der Abhängigkeit der Zusammensetzung der Gemeindevertretung.19 Benennungsverfahren laufen darüber hinaus Gefahr, die Vielfalt der EinwohnerInnenschaft mit Migrationshintergrund nicht repräsentieren zu können. Dennoch kann eine Benennung in Abhängigkeit von den Gegebenheiten der Kommune sinnvoll sein: etwa wenn die Gemeinde sehr klein ist und nur wenige EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund hat oder wenn der Beirat neu begründet wird und die Voraussetzungen für eine Wahl noch nicht gegeben sind.20 Wird einem Wahlverfahren der Vorzug gegeben, muss notwendig eine Wahlordnung ausgearbeitet werden, die alle nötigen Fragen zur Organisation und Durchführung eines Wahlverfahrens klärt: wie, wo, wann wird gewählt, wie wird die Wahl beworben? Wer darf Wahlvorschläge einreichen, wer darf wählen und sich wählen lassen? Wer ist in der Verwaltung für Organisation und Durchführung zuständig, wie wird ausgezählt und wie das Ergebnis bekannt gegeben? Erfahrungswerte zeigen, dass es insbesondere auf einen gut gelegten Wahltermin ankommt, nicht in den Schulferien und im besten Fall parallel zum Termin der regulären Kommunalwahl. Diese Zusammenlegung erhöht den Stellenwert der Wahl und spart gleichzeitig Kosten und Aufwand - wird das notwendige Prozedere doch eh durchgeführt. Die Wahlwerbung sollte frühzeitig erfolgen, es müssen ausreichende, zentral gelegene und barrierefreie Wahllokale angeboten werden und ergänzend zur Urnenwahl sollte die Briefwahl möglich sein.21
Beiräte in Sachsen
In Sachsen sind aktuell vier kommunale Migrationsbeiräte aktiv. In Dresden wird zur Besetzung des „Integrations- und Ausländerbeirats“ ein Wahlverfahren angewandt. Der Chemnitzer „Migrationsbeirat“ wird im Benennungsverfahren gebildet. In Leipzig ist betreffend des „Migrantenbeirats“ der Umstieg vom Benennungszum Wahlverfahren Gegenstand einer seit 2014 geführten Ratsdebatte. Interesse verdient der „Ausländerbeirat“ der Stadt Zittau, da sie mit Abstand die kleinste Gemeinde mit einem Migrationsbeirat ist. Hier wird ein Mischverfahren aus Benennung und Wahl angewandt. Ein Teil der Nicht-Gemeinderatsmitglieder des Beirates wird vom Stadtrat berufen; die nicht vom Stadtrat zu berufenden Mitglieder hingegen werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Grundlegend für einen Migrationsbeirat ist der erklärte Wille der Kommunalpolitik, mit einem solchen Gre-
mium einen Partner in der lokalen Integrationspolitik zu haben. Einen Beirat zu bilden, nur dass man ihn hat, ist ein kontraproduktives Vorgehen. Eine 2017 erschienene Arbeit über den Prozess der Einrichtung des Leipziger Migrantenbeirats verdeutlicht am konkreten Beispiel die Wichtigkeit von Wertschätzung, Kommunikation und Abstimmung, Interessenvermittlung und Interessenausgleich. Ohne die intensive Kooperation zwischen den Fraktionen des Rates, der Verwaltung und der Zivilgesellschaft wäre der Leipziger Beirat nicht zustande gekommen. Ebenso wichtig ist es, den Erfahrungsaustausch mit ähnlich großen Gemeinden zu suchen und das Thema zum Gegenstand des öffentlichen Interesses zu machen.22 Die Einrichtung kommunaler Migrationsbeiräte ist aus funktionalen (Informationen zu und von denjenigen, die von gemeindlichen Entscheidungen betroffen sind) und symbolischen (tatsächliche und sichtbare Teilhabe am politischen Leben einer Kommune) Gründen sinnvoll und zu empfehlen. Dennoch darf nicht aus dem Blick geraten, dass sie als beratende Gremien kein Ersatz und Ausgleich für fehlende Bürgerrechte sein können.23
Lesehinweise:
Grunke, Achim: Beiräte in der Kommunalpolitik, in: Kommunal-Info 5/2017. AGABY (Hrsg:) Handbuch Erfolgreiche Arbeit in Integrationsbeiräten, abrufbar unter: http://www.handbuch. agaby.de. Landeshauptstadt Dresden: - Satzung der Landeshauptstadt Dresden für den Ausländerbeirat, vom 25. September 2003. - Neufassung der Satzung über die Wahlordnung zur Wahl der ausländischen Kandidatin- nen/Kandidaten des Ausländerbeirates der Landeshauptstadt Dresden, vom 11.12.2008. Chemnitz - Hauptsatzung der Stadt Chemnitz, Stand März 2018. Leipzig - Geschäftsordnung für den Migrantenbeirat der Stadt Leipzig (in der vom 1. Bürgermeister bestätigten und von der Ratsversammlung am 16.12.2009 zur Kenntnis genommenen Fassung ). - Entwurf einer Wahlordnung für den Migrantenbeirat der Stadt Leipzig. Zittau - Satzung des Ausländerbeirates der Stadt Zittau, vom 22.10.2009. - Wahlordnung des Ausländerbeirats, vom 22.10.2009.
1
Siehe hierzu BVerfGE 83, 37 - Ausländerwahlrecht I und BVerfGE 83, 60 - Ausländerwahlrecht II, beide vom 31.10.1990. 2 Ergänzung von Satz 3 in Art. 28 Abs. 1 GG durch das Gesetz vom 21.12.1992. 3 Vgl. Sieveking, Klaus: Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige – »kosmopolitische Phantasterei« oder Integrationsrecht für Einwanderer?, in: ZAR 4/2008, S. 122. 4 Vgl. BT-Drs. 16/4666: Antwort auf die Kleine Anfrage BT-Drs. 16/4361, vom 13.03.2007, S. 1. 5 Vgl. Roth, Roland: Integration durch politische Partizipation, in: Gesemann, Frank/Roth, Roland (Hrsg.):
Handbuch lokale Integrationspolitik, Wiesbaden 2018, S. 633. 6 Vgl. hierzu B’90/GRÜNE Speyer: Verabschiedung der Resolution Kommunales Wahlrecht für Alle vom 07.05.2009 und die Musterresolution in der Broschüre „Demokratie braucht jede Stimme!“ der Arbeitsgemeinschaft der Auslanderbeiräte Hessen (agah). 7 Vgl. Gesemann, Frank/Roth, Roland (Hrsg.); Integration ist (auch) Ländersache!, zweite vollständig überarbeitete, korrigierte und erweiterte Auflage, Berlin 2015, S. 70. 8 Vgl. Groenendijk, Kees: Wahlrecht und politische Partizipation von Migranten in Europa, IMIS-Kurzdossier 26/204, S. 4. 9 Vgl. Gesemann, Roth: Ländersache!, S. 36. 10 Vgl. Cyrus, Norbert/Vogel, Dita: Förderung politischer Integration von Migrantinnen und Migranten. Begründungszusammenhänge und Handlungsmöglichkeiten, Osnabrück 2008, S. 26. 11 Polat, Ayca: Integrationspolitik in Kommunen. Zwischen Vision und Wirklichkeit, in: Stemmler, Susanne (Hrsg.): Multikultur 2.0. Willkommen im Einwanderungsland Deutschland, zweite Auflage, Göttingen 2011, S. 235. 12 Die Bezeichnungen sind vielfältig: Migrantenbeirat, Ausländerbeirat, Integrationsbeirat, etc. Migrationsbeirat sei hier als neutraler Oberbegriff gewählt. 13 Vgl. Kommunaler Qualitätszirkel für Integrationspolitik (Hrsg.): Politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten, Stuttgart 2010, S. 14. 14 Vgl. Riza, Baran: Teilhabe schaffen - die Sicht der Migrationsbeiräte, in: Stemmler: Multikultur 2.0., S. 239. Die folgenden Angaben beziehen sich auf eben diesen genannten Artikel. 15 Vgl. AGABY (Hrsg.): Handbuch Erfolgreich arbeiten im Integrationsbeirat. Abschnitt 1, online abrufbar unter: www.handbuch.agaby.de 16 Vgl. AGABY: Handbuch, Abschnitt 2.2. 17 Vgl. AGABY: Handbuch, Abschnitt 2.4. 18 Vgl. Bausch, Christiane: Die politische Partizipation von Personen mit Migrationshintergrund in Ausländerund Integrations(bei)räten, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) Politische Partizipation und Repräsentation in der Einwanderungsgesellschaft, 2011, S. 12. 19 Vgl. AGABY: Handbuch, Abschnitt 2.7. 20 Vgl. AGABY: Handbuch, Abschnitt 2.6. 21 Jacob, Marc S.: Der lange Prozess bis zur Einrichtung des Leipziger Migrantenbeirats (1996-2008). Eine Analyse der Erfolgsfaktoren, Leipzig 2017, S. 13ff. 22 Vgl. Cyrus/Vogel: Politische Integration, S. 32. 23 Lässt man die „harten“ Regelungen außen vor, die auf der Bayerischen Gemeindeordnung beruhen, ist es zu den „weichen“ Faktoren ein patentes und anwendbares Handbuch, wie z.B. zu Grundsätzen der Wahl, die Organisation der Arbeit im Beirat, welche Personen als KandidatInnen vielversprechend sind usw.
März 2018
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Endlich weg mit dem bildungspolitischen Scherbenhaufen! Liebe Leserinnen und Leser, seit 100 Tagen ist Michael Kretschmer Ministerpräsident – Zeit für eine erste Bilanz. Ich finde übrigens nicht, dass er diese übliche „Schonfrist“ verdient hat. Schließlich hat er als CDU-Generalsekretär seit Jahren die Entwicklung des Freistaates mitbestimmt, und nicht zum Positiven, wie ich finde. Das scheint er fortsetzen zu wollen – auch wenn er bisher vor allem redet und kaum handelt. Der „Sachsenspiegel“ sah ihn als Regierungschef, der allen alles verspricht: Doch mit dem Einlösen hapert es. Kretschmer benennt ständig eine von der CDU selbst verschuldete Mängelliste und kündigt zum x-ten Mal an, dass er die Schäden reparieren will. Die soziale Spaltung ist der größte Missstand – aber wo sind hier Kretschmers neue Rezepte? Der einzige reale Punkt ist ein Schritt zurück, die Lehrer-Verbeamtung, die die Lehrerschaft spaltet, viel Steuergeld kostet und deren Effekt unsicher ist. Ins Gespräch bringt Kretschmer sich nicht mit Lösungen, sondern mit zweifelhaften Solidaritätsadressen. Dem Autor Uwe Tellkamp sprang er öffentlich bei, als der wahrheitswidrig behauptete, „95 Prozent“ der Geflüchteten seien vom Motiv der Einwanderung in Sozialsysteme getrieben. Kretschmer meinte dennoch, Tellkamp sei ihm „als kritische Stimme willkommen“. Das gilt wohl auch für den früheren NPD-Chef von Bautzen. Den lud Kretschmer „herzlich“ ein zum Bürgerforum „Miteinander in Sachsen – für eine starke Zukunft“ und nannte ihn einen „vermeintlich ,Rechten‘“. Ja, eine offene, sachliche Debatte ist wichtig. Aber mit Henkern der Demokratie darf es keinen Dialog auf Augenhöhe geben! Sachsen braucht keinen Chefprediger, sondern einen Macher, der durch Handeln ermutigt. Ich bin skeptisch, dass Kretschmer diesen Anspruch einlöst.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
„Aufbruch in schwieriger Zeit – neue Impulse für das Bildungsland Sachsen“. So betitelte Christian Piwarz (Foto) seine Regierungserklärung, mit der er nach monatelangem Koalitionskrach darstellte, wie die Regierung die selbstverursachten Schäden zu reparieren gedenkt. Zweifel daran, dass das gelingen wird, nährt auch diese Rede.
lungen inzwischen mehr als 60 Prozent beträgt. Gegensteuern wollen CDU und SPD, indem sie ab 2019 grundständig ausgebildete Lehrkräfte im Alter von bis zu 42 Jahren verbeamten. Für Cornelia Falken, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist nur eines
Neuanfang, wie ihn der Ministerpräsident angekündigt hatte, sind wir im Bildungsbereich weit entfernt. Alles, was jetzt noch getan werden kann, ist, den Schaden zu begrenzen“, so Falken. Es sei gut, dass die Regierung nun langjährige Forderungen der LINKEN umsetze – wenn auch spät und nur notgedrungen. Dazu zählten die Ausweitung der Lehramtsausbildung an der TU Chemnitz und die gleiche Entlohnung in A13/ E13 auch für Grundschullehrkräfte und „Lehrer unterer Klassen“ mit DDRAbschluss. Aber es werde weiter mit kurzfristigen „Maßnahmenpaketen“ regiert, wo doch eine transparente und fundierte Bildungsplanung vonnöten sei. Falken forderte erneut ein Lehrerpersonalentwicklungskonzept und eine attraktive Einstellungspraxis. Seiteneinsteiger müssten einen sechsmonatigen Vorbereitungskurs erhalten und vom ersten Schultag an berufsbegleitend fortgebildet werden. Lehrkräfte ab dem 63. Lebensjahr müssten ein tarifliches Altersteilzeitmodell mit zusätzlichen Anrechnungsstunden bekommen. Das wichtigste aber sei der NettoLohnausgleich für angestellte Lehrkräfte im Vergleich zu Beamten, der durch einen Tarifvertrag sichergestellt werden müsse. Denn Beamte bekommen deutlich mehr netto vom Brutto als Angestellte. Vielleicht ließen sich so auch viele Teilzeit-Lehrkräfte motivieren, ihre Stundenzahl zu erhöhen.
Zu einem Aufbruch gehörte, grundsätzlich zu prüfen, ob das Schulwesen noch zeitgemäß ist. Das ist es nicht, etwa weil es kein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht. Zum Grundsätzlichen kamen auch von Piwarz nur beredtes Schweigen und die üblichen Parolen: „Sachsens Bildungssystem hat in der Vergangenheit und Gegenwart Schlagzeilen gemacht. Es zählt zu den besten und erfolgreichsten Bildungssystemen Deutschlands. Viele Bundesländer schauen auf uns, adaptieren unsere Lehrpläne, Konzepte und Grundsatzpapiere. Sachsen ist sozusagen Klassenbester unter allen Bundesländern.“ Dagegen nahm sich die Selbstkritik bescheiden aus. „Sachsen hat es sich über Jahre geleistet, junge, gute Lehrerinnen und Lehrer wegzuschicken. Nun hat uns die Realität eingeholt. Die Annahme, dass wir für unser hoch gelobtes, erfolgreiches Bildungssystem die Lehrerinnen und Lehrer bekommen, die wir brauchen, hat sich als falsch erwiesen.“ Zum Halbjahr konnten erstmals nicht alle freien Stellen besetzt werden, auch nicht mit Seiteneinsteigern, deren Anteil an den Neueinstel-
sicher: dass dieses Instrument der Vergangenheit in den Kollegien Ungerechtigkeit schaffen wird. „Sicher wird sich die Bewerberlage etwas entspannen. Doch alle wissen: Der Notstand ist nicht das Ergebnis versäumter Verbeamtung, sondern jahrelanger Personalfehlplanung der CDU.“ Auch andere Länder, die schon verbeamten, haben Nachwuchssorgen. Und: „Die Verbeamtung bringt keine Entlastung. Ohnehin profitieren nur lediglich 7.000 der etwa 33.000 Lehrkräfte. Die Altersgrenze benachteiligt gerade die, die in den vergangenen Jahren die Arbeit in den Schulen getan haben.“ Zur Beschwichtigung verweist Piwarz auf Maßnahmen, die solche Ungerechtigkeit angeblich abfedern: So soll es ab 2019 an weiterführenden Schulen 20 Prozent Beförderungsstellen geben, mit denen Lehrkräfte höher eingruppiert werden können. Hinzu kommt ein Budget für Leistungsprämien. Nach welchen Kriterien diese Boni vergeben werden sollen, bleibt unklar. „Wir stehen vor einem bildungspolitischen Scherbenhaufen. Von einem
„Wir wollen keine Experimente, wir wollen unser bewährtes und erfolgreiches Schulsystem erhalten“, so Piwarz. Wir finden: Wenn die CDU wirklich noch etwas retten will, muss sie ihre Selbstherrlichkeit überwinden und bereit sein, wirklich neue Wege zu gehen.
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PARLAMENTSREPORT
März 2018
Damit wir uns alle zuhause fühlen
Hoffnung! Sie wird gebraucht in diesen Zeiten. Ein gutes Mittel, mit dem die Landesregierung sie stiften könnte, wäre der Staatshaushalt. Im Dezember entscheidet die Landtagsmehrheit über den Plan für 2019 und 2020 – und wieder über Rekordsummen. Wer glaubt, dass Ministerpräsident Kretschmer (CDU) damit neue Akzente setzen wird, irrt wohl. Zum Haushalt sagt er dasselbe wie sein Vorgänger. Die Beschwörung hoher Investitionen und niedriger Schulden macht aber keine Hoffnung. Man glaubt fast, Ex-Finanzminister Georg „Mister Njet“ Unland sei noch im Amt. Die Linksfraktion hat sich bei ihrer Frühjahrsklausur in Erfurt auf erste Schwerpunkte für den Etat verständigt. „Wir wollen die unverbindliche Ankündigungspolitik des Kabinetts Kretschmer mit konkreten Alternativen im Interesse der Menschen vor Ort herausfordern“, sagt Fraktionschef Rico Gebhardt. Erstens macht die Linksfraktion den Vorschlag, den Finanzausgleich dauerhaft zugunsten der Kommunen zu verändern (s. Spalte). Besonderen Schub soll der
öf fentliche Personennahverkehr erhalten, mit dem die Mobilität auch abseits der Metropolen steht und fällt. Derzeit hat nur die Hälfte der Bevölkerung Anschluss an Verbindungen, die über den Schulbus hinausgehen. Wir setzen zudem auf einen sächsischen Tarifvertrag für Lehrkräfte, der bundesweit konkurrenzfähige Nettoeinkommen schafft. Ohne Pensionslasten und mit mehr Netto – so soll der Beruf attraktiver werden. Weiterer Schwerpunkt ist die frühkindliche Bildung – die schrittweise Verbesserung des Betreuungsschlüssels soll finanziert werden. In zwölf Jahren soll eine Fachkraft in der Krippe nur noch drei, im Kindergarten 7,5 und im Hort 13 Kinder betreuen. Auch beim Kulturraumgesetz wollen wir drauflegen. Details gibt es bald auch zur flächendeckenden medizinischen Grund- und Notfallversorgung. Neben Investitionen in Krankenhäuser steht der Abbau des Fachkräftemangels insbesondere bei der Pflege an. Sachsen soll allen einen Ort bieten, an dem sie sich zuhause fühlen können.
Kommunalfinanzen retten!
Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Staat wieder funktioniert. Die CDU ist dafür verantwortlich, dass das oft nicht mehr so ist. Die Kassen sind zwar voll, aber das Geld kommt nicht dort an, wo es gebraucht wird: in den Kommunen, den Kitas, Schulen und Hochschulen, bei Freiwilligen Feuerwehren, in Krankenhäusern, Polizeirevieren, Justizvollzugsanstalten, Verkehrsverbünden. Nun müssen alle Beteiligten ständig darum ringen, dass es „irgendwie weitergeht“. In diesem ermüdenden, unpolitischen Kampf um Geld und Personalstellen stellt kaum jemand eigentlich wichtige Fragen – zum Beispiel: Wie soll gelernt und gelehrt werden? Wie schaffen und erhalten wir gute Arbeitsplätze, auch in Zeiten der Digitalisierung? Wie behalten wir im Kampf um Sicherheit unsere Grundrechte? Wie nutzen wir Energie, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören? Wie beleben wir die Demokratie, besonders die Volksgesetzgebung? Der Landeshaushalt muss Freiraum schaffen, damit wir endlich wieder über Politik reden können. Billiger ist Zuversicht nicht zu haben.
Konzerne an die Kette!
Die Linksfraktion fordert (Drucksache 6/12101): Massenentlassungen trotz Gewinnsteigerung verhindern! Die Landesregierung soll im Bundesrat dafür streiten, dass Unternehmen nicht mehr einfach hunderte Arbeitsplätze streichen können, obwohl sie Gewinne machen. Dazu müsste das Kündigungsschutzgesetz geändert werden. Kündigungen bei anhaltend
positiver Ertragssituation gälten dann als sozial ungerechtfertigt, sofern die Kündigungsgründe nicht in der Person oder im Verhalten der oder des Beschäftigten liegen. Soll davon abgewichen werden, müsste der Betriebsrat zustimmen. Auch mit dem Betriebsverfassungsgesetz ließen sich die Beschäftigten besser schützen. Der Betriebsrat soll Kündigungen widersprechen dürfen, die nicht aus vorrangig wirtschaftlichen Gründen oder wegen einer verringerten Auftragslage vollzogen werden. Nico Brünler, Sprecher für Wirtschaftspolitik, erinnerte an das Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes 1951. „Damals herrschte Konsens: Unternehmen sind nicht in
erster Linie der Maximierung ihrer Gewinne und den Renditeerwartungen der Anteilseigner verpflichtet, sondern auch und besonders der Gesellschaft.“ Doch seit den 90er Jahren, nach dem Wegfall der DDR als sozialstaatlicher Alternative, komme dieser Konsens unter die Räder. „Maßstab ist vermehrt nicht mehr das Schicksal derer, die den Wohlstand erschaffen, sondern die Entwicklung der Börsenkurse und der Ertrag der Kapitalseite.“ Betriebsräte sollten bei Massenentlassungen und Werksschließungen volles Mitspracherecht haben. Das wäre nicht das Ende, aber eine Zähmung des Kapitalismus. Sachsen braucht eine Regierung, die das will!
Foto: Südstädter / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Immer wieder entlassen Konzerne trotz guter Auftragslage vor Ort Beschäftigte und schließen Betriebsteile – weil sie nicht mehr ins Portfolio passen, Managemententscheidungen falsch oder die Profite zu niedrig sind, oder weil Finanzinvestoren Geld wollen. Die sächsischen Standorte von Bombardier und Siemens oder die Waggonbau Niesky GmbH sind nur die jüngsten Beispiele. Hunderte Industriearbeitsplätze stehen auf dem Spiel, Zulieferbetriebe und ganze Landstriche sind bedroht. Die Landesregierung nährt den Eindruck, die Politik könne lediglich an die Unternehmen appellieren oder gar neue Fördermittel anbieten. Das stimmt nicht. Klar, den Kurs oder Standortentscheidungen eines Unternehmens kann nicht der Landtag beschließen. Aber er kann Leitplanken errichten und die Regierung zwingen, in Berlin zu kämpfen – damit Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen müssen.
Sachsens CDU rühmt sich gern einer „soliden Finanzpolitik“. Doch für die guten Zahlen auf der Landesebene zahlen andere einen hohen Preis: die Kommunen bluten aus. In ihrer Zwangslage zwischen Pflichtaufgaben und kargen Einnahmen haben sie immer weniger Spielraum für Entscheidungen. Dabei wissen doch die Menschen vor Ort viel besser als die Dresdner Ministerialbürokratie, was sie brauchen! Auf Antrag der LINKEN fand deshalb eine Aktuelle Debatte statt. LINKEN-Kommunalpolitiker André Schollbach schlug Alarm. „Die sächsischen Kommunen waren 2016 allein im Bereich der Kernhaushalte mit 2,9 Milliarden Euro verschuldet“. Das sei aber nur die halbe Wahrheit: Denn mehr als 80 Prozent der kommunalen Gesamtschulden sind aus den Kernhaushalten ausgelagert. „In ihrer Not lassen viele Kommunen die Kredite von Eigenbetrieben oder stadteigenen Unternehmen aufnehmen. Addiert man diese Kredite zu den Schulden der Kernhaushalte, kommt man auf einen Schuldenstand von sage und schreibe 15,7 Milliarden Euro.“ Zum Vergleich: Der Landeshaushalt umfasst etwa 18 Milliarden Euro pro Jahr. Erschreckend sei auch der Umstand, so Schollbach, dass zu Beginn des Jahres 2018 insgesamt 296 Gemeinden und drei Landkreise noch ohne beschlossenen Haushalt dastanden – zum Beispiel Aue, Döbeln, Mittweida, Zwickau, Hoyerswerda, Kamenz, Bad Muskau, Niesky, Weißwasser, Coswig, Meißen, Riesa, Dippoldiswalde, Freital, Sebnitz, Grimma, Torgau. Die Linksfraktion wird in der Haushaltsdebatte radikale Vorschläge machen. Erstens soll mehr Geld vom Freistaat zu den Kommunen umverteilt werden – 400 Millionen Euro pro Jahr. So erhielte jede Gemeinde pro Einwohner und Jahr 100 Euro mehr zur freien Verfügung. Zweitens sollen die Landkreise und kreisfreien Städte Regionalbudgets von jährlich 10 Millionen Euro als frei verfügbare Mittel erhalten. Das wären noch einmal 32 Euro je Einwohner. Haushalts- und Finanzpolitikerin Verena Meiwald erinnerte an den Hilferuf parteiunabhängiger Bürgermeister, die im Herbst die Öffentlichkeit suchten. „Es handelt sich nicht um Horrorszenarien der Opposition, sondern um ein strukturelles Problem.“ Deshalb werde die Linksfraktion flächendeckende Verbesserungen einfordern.
März 2018
PARLAMENTSREPORT
Klimaschutz geht nur sozial gerecht Der Begriff „Wende“ hat für die wenigsten einen positiven Klang. Er steht oft für Umwälzungen, bei denen viele zu Unrecht etwas einbüßen. Vorbehalte gibt es denn auch gegenüber der „Energiewende“, die nur funktioniert, wenn möglichst viele sie mittragen – auch im eigenen Konsumverhalten. Deshalb muss sie sozial gerecht erfolgen. Dafür hat sich die Linksfraktion eingesetzt und Vorschläge präsentiert (Drucksache 6/12637), die ökologische und soziale Ziele verbinden. „Wir wollen die Staatsregierung beauftragen, dafür zu sorgen, dass Privathaushalte besser Energie einsparen können. Gleichzeitig sollen ärmere Haushalte finanziell entlastet werden, damit sie nicht verdrängt werden“, so der LINKEN-Klimapolitiker Marco Böhme. Wir fordern, n dass Sachsen wieder Fördermittel für energetische Sanierung zahlt, sofern Heizungssysteme auf der Basis erneuerbarer Energieträger, Wärmepumpen und Wärmenetze verbaut werden.
n dass Sachsen nur noch ökologisch zertifizierte Dämmstoffe verwendet und fördert. Energiearmut ist weit verbreitet, selbst nach der Definition der Bundesregierung. Haushalte gelten als energiearm, wenn mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für die Energieversorgung draufgehen. Das betrifft etwa 13 Prozent aller deutschen Haushalte! Im Extremfall können Rechnungen nicht mehr bedient werden, dann wird abgeklemmt. 2017 traf das in Sachsen mehr als 8.000 Haushalte. „Stromsperren lösen das Problem nicht: Die Menschen haben zu wenig Geld“, so Böhme. Auch die EU fordert von den Mitgliedstaaten, die Stromversorgung schutzbedürftiger Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. „Eine Möglichkeit wäre, dass die kommunalen Stadtwerke auf Stromsperren verzichten. Man kann auch über PrepaymentZähler nachdenken, die in betroffenen Haushalten eingeführt werden könnten.“ Damit wird Strom wie das Gutha-
ben eines Prepaid-Handys im Voraus bezahlt. Doch damit nicht genug. Die Landesregierung soll außerdem im Bund darauf hinwirken, dass die „Modernisierungsumlage“ gesenkt wird. Mit ihr dürfen Vermieter nach einer Modernisierung bis zu elf Prozent der Kosten auf die Mieterinnen und Mieter umlegen, auch dann noch, wenn die Maßnahmen längst bezahlt sind. „Für viele ist das eine Gelddruckmaschine, indem einfach irgendetwas modernisiert wird, etwa ein Fahrstuhl angebracht wird, wofür die Mieter ewig mehr Miete zahlen. Wir halten das für absurd“, so Böhme. Die Umlage solle auf sechs Prozent sinken und nur noch verlangt werden dürfen, bis die Modernisierung bezahlt ist. Die Regierungskoalition wischte alles vom Tisch – kein Wunder. Denn als staatliche Lobbyorganisation für die Braunkohleunternehmen liegt ihr ja daran, dass die Energiewende nicht breit akzeptiert wird.
n eine Abwrackprämie für alte, stromfressende Haushaltsgeräte und kostenlose Energieberatungen für Menschen mit geringem Einkommen. n dass die „Kosten der Unterkunft und Heizung“ für Hartz IV- und Sozialhilfe-Betroffene trotz energetischer Sanierung in voller Höhe erstattet werden. n dass das Wohngeld an schwankende Heizkosten angepasst wird. n Sozialtarife für Strom, weil die Regelsätze nicht ausreichen; ein Gratis-Sockel für eine gewisse Strommenge soll die Grundversorgung sicherstellen und Verschwendung eindämmen. n die Wiedereinführung der staatlichen Strompreisaufsicht sowie
Kultur-Probleme bleiben vorerst ungelöst Sachsens Landtagsmehrheit hat es abgelehnt, das Kulturraumgesetz zu modernisieren. Das Regelwerk ist zwar bewährtes Förderinstrument für Theater und Orchester, Museen, Bibliotheken, Musikschulen, soziokulturelle Zentren, Tierparks, Festivals. Aber nach 24 Jahren sind Verbesserungen nötig, mahnt der LINKEN-Kulturpolitiker Franz Sodann. Anstatt LINKE Vorschläge im „Gesetz zur Weiterentwicklung der Kulturräume“ (Drucksache 6/11224) anzunehmen, wählten CDU und SPD den Minimal-Kompromiss. Kunst- und Kulturschaffende hätten Hoffnungen in Evaluation des Kulturraumgesetzes im Jahr 2015 gesetzt, so Sodann. „Welche Enttäuschung! Das Gesetz wurde nicht durchleuchtet.“ Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates und Mitglied der Arbeitsgruppe, gab zu Pro-
tokoll: „Ein Manko der Arbeit waren fehlende Gutachter als Gäste. Aber es sollte schnell und ein wenig lautlos vonstatten gehen, nicht zu viel Staub aufwirbeln und keine Erwartungen wecken, die dann ohnehin nicht hätten befriedigt werden können.“ Dann folgte die zweite Enttäuschung: zwei Jahre Stillstand. Erst eine Woche nachdem die Linksfraktion ihren Gesetzentwurf vorgelegt hatte, kamen CDU und SPD mit ihrem Entwurf aus der Deckung. Der war die dritte Enttäuschung, kritisiert Sodann. „Es gibt minimale Änderungen – etwa Planungssicherheit bei den Landeszuweisungen – aber das war es schon.“ Die Landesbühnen werden weiter systemwidrig aus den Kulturraummitteln finanziert, die nun auf zu geringem Niveau festgeschrieben sind. So bleiben auch Haustarifverträge an Theatern und Orchestern, derentwe-
gen die Beschäftigten bis zu 30 Prozent weniger verdienen. „Und da sind sie, die ,prekären Arbeitsverhältnisse‘. Ich nenne sie beim Namen: die beschissenen Arbeitsverhältnisse auch der Lehrkräfte an den Musikschulen, der Tänzerinnen und Tänzer, Schauspielerinnen und Schauspieler, Museumspädagoginnen und -pädagogen. Um das zu beenden, brauchen wir zwölf Millionen Euro mehr im System.“ Die Landesregierung aber lasse die Kulturräume ausbluten. Seit 2005 stiegen die Tarife im öffentlichen Dienst um 30 Prozent, die Kulturraummittel aber nur um neun Prozent. „Kunst und Kultur sind kein weicher, sondern ein knallharter, identitätsstiftender Wirtschaftsfaktor“, bilanziert Sodann. Umso schlimmer ist es, dass diese Landesregierung nun die Probleme festschreibt, unter denen Kulturschaffende seit Jahren leiden.
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Integration: Lösungen, die wohl keine sind Regiert die AfD in Sachsen schon mit? Das könnte man vermuten, wenn man sieht, mit welchen Mitteln die Landesregierung inzwischen für Integration sorgen will. Sie setzt auf Zwang statt auf Motivation. Die Probleme wird sie so wahrscheinlich nicht lösen. Weil nicht nur einheimische, sondern auch geflüchtete Menschen bestrebt sind, sich dort niederzulassen, wo sie sich wohlfühlen, lebt mehr als Hälfte der anerkannten Asylsuchenden in Leipzig, Chemnitz und Dresden. Das verschärft die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt, die eine Folge des Regierungsversagens ist. Nun soll es eine „Wohnsitzauflage“ richten, die Innenminister Wöller klammheimlich und vorbei am Landtag ermöglicht hat – per Erlass, der nur auf Umwegen an die Öffentlichkeit kam. Ab April sollen die Landkreise anerkannten Schutzberechtigten für drei Jahre ihren Wohnort zuweisen dürfen. Welche Kriterien dafür gelten sollen, bleibt unklar, wie Juliane Nagel, flüchtlingsund migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, nach einer Sondersitzung des Innenausschusses auf Antrag der Linksfraktion kritisiert. „Das gewählte heimtückische Verfahren eröffnet der VerwaltungsWillkür gegenüber Geflüchteten Tür und Tor.“ Auch der hohe Verwaltungsaufwand stelle die Wohnsitzauflage als Instrument in Frage, zumal die Integration nur befördert werden könne, wenn nicht nur auf Basis der Einwohnerzahl verteilt wird, sondern etwa der örtliche Wohnungs- und Arbeitsmarkt mit betrachtet wird. Die Linksfraktion setzt auf „weiche Faktoren“, also darauf, die Lebensbedingungen für alle auch abseits der Großstädte zu verbessern. Vor dem Hintergrund der angestrebten „Entlastung“ der Großstädte ist es ein schlechter Witz, dass Geflüchtete während des Asylverfahrens nun länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben sollen. Denn die konzentrieren sich – in den Großstädten. Während der noch immer monatelangen Verfahren dürfen geflüchtete Kinder dann nicht die Schule besuchen. Und fast die Hälfte der Asylbescheide wird hernach auf dem Rechtsweg korrigiert. Nicht nur die kommunalen Spitzenverbände sind skeptisch, ob das alles helfen wird. Ihre Zustimmung erkauft sich die Landesregierung mit einer leichten Erhöhung der Pauschale, die Landkreise und kreisfreie Städte für die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern bekommen. Der Freistaat muss aber mehr tun!
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PARLAMENTSREPORT
März 2018
Ausstellung zum 70. Jahrestag des Sorbengesetzes – wustajeńca składnostnje 70. róčnicy Zakonja wo zachowanju prawow serbskeje ludnosće
Plenarspiegel
März 2018
Vor 70 Jahren, am 23. März 1948, verabschiedete der Sächsische Landtag das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“. In acht übersichtlichen Paragrafen legte es den Grundstein für die Vertretung der Interessen des sorbischen Volkes in Sachsen. Anlässlich des Jahrestages zeigt die Linksfraktion die allgemein
Čornak, Bürgermeister von Nebelschütz; Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina; Bjarnat Cyž, Vizepräsident der FUEN, Dachverband der autochthonen ethnischen Minderheiten in Europa, zudem Jan Budar, Direktor der Stiftung für das sorbische Volk sowie Judit Šołćina, Leiterin des Minderheitensekretariats in
Die 68. und die 69. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 14. und 15. März 2018 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen auf beiden Plenartagen vertreten: Aktuelle Debatte „Sorgen der Kommunen ernst nehmen – Kommunalfinanzen zukunftsfest machen!“ Gesetzentwürfe „Gesetz zur Weiterentwicklung der Kulturräume im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/11224) Anträge „Verhinderung von Massenentlassungen trotz Gewinnsteigerung“ (Drs 6/12101) „Klimaschutz sozial gerecht: Für eine nachhaltige energetische Gebäudesanierung und bezahlbare Energiepreise für alle“ (Drs 6/12637) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de
Termine
zugängliche zweisprachige Ausstellung „Die Sorben: Kultur und Recht im Selbstverständnis / Serbja: Kultura a prawo w sebjezrozumjenju“. Sie setzt sich aus Leihgaben des sorbischen Dachverbandes Domowina, der Stiftung für das sorbische Volk und des Sorbischen Museums in Bautzen zusammen.
Berlin. Für den musikalischen Rahmen sorgte das „Sorbian Art Trio“. Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, sprach als „Nachfahre der deutschen Migranten, die in sorbisches Land eingewandert bzw. eingefallen sind – je nach Sichtweise. Gerade deshalb sage ich
großer gemeinsamer Anstrengungen, dafür zu sorgen, dass das Rad der Geschichte nicht zurückgedreht wird.“ Heiko Kosel, sorbischer Abgeordneter der Linksfraktion, erklärte in seiner Rede, er „möchte dieses Jubiläum „70 Jahre Sorbengesetz“ zum Anlass nehmen, dafür zu werben, in einen gesellschaftlichen Dialog einzutreten, um den Schutz und die Förderung der sorbischen Sprache und Kultur in Zukunft noch realitätsnäher, demokratischer und damit am Ende effektiver zu gestalten.“ Dass die Linksfraktion ihre Räumlichkeiten für Ausstellungen zur Verfügung stellt, ist schon eine lange und gute Tradition. Die repräsentative Demokratie läuft bekanntlich – unbeschadet aller ihrer Vorzüge – schnell Gefahr, zu repräsentativem Gehabe zu verkommen. Da sind Ausstellungen wie geöffnete Fenster zur Welt, die frische Luft ins „Hohe Haus“ strömen lassen. Die aktuelle Ausstellung wird unterstützt vom der Domowina – Bund Lausitzer Sorben e.V., der Stiftung für das sorbische Volk und dem Sorbischen Museum Bautzen. Noch bis Ende April kann sie von Montag bis Freitag zwischen 10 und 16 Uhr im Sächsischen Landtag besichtigt werden (4. Etage). Der Eintritt ist frei. Personalausweis nicht vergessen!
Bei der Ausstellungseröffnung konnten wir hochrangige Gäste begrüßen. Unter anderem war Tomáš Jan Podivinsky, Botschafter der Tschechischen Republik, zugegen; außerdem Jaromír Kohliček, tschechischer Abgeordneter des Europaparlaments, auch Odřich Bubeniček, Landeshauptmann der Region Ustí, sowie Měto Novak, Fachreferent der Landesbeauftragten für Angelegenheiten der Sorben / Wenden in Brandenburg. Dazu gesellten sich Renate Harcke, Fraktionsgeschäftsführerin der Linksfraktion im Brandenburgischen Landtag; Tomaš
Fachgespräch: »Psychosoziale Notfallversorgung in Sachsen« 18. April 2018, 16 - 19 Uhr Dresden, Sächsischer Landtag Krisenintervention und Notfallseelsorge z. B. bei Großschadensereignissen sind nicht landesweit koordiniert. Aus diesem Grunde wird gefordert, eine Landeszentralstelle PSNV einzurichten, welche u. a. für die regionale Vernetzung, die Ausbildung von Fachkräften und die Qualitätssicherung zuständig sein soll. Wir bitten um Rückmeldung bis 13.4.2018 an linksfraktion@slt.sachsen.de
ganz bewusst und ohne jede Zuspitzung: Ohne lebendiges Sorbisch wäre Sachsen nicht Sachsen.“ Mit dem 1. Sorbengesetz „wurde zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands ein Gesetz zum Schutz einer ethnischen Minderheit beschlossen.“ Deshalb sollte dieser Tag „als Festtag in der sächsischen und deutschen Demokratiegeschichte begangen werden. Denn am Umgang mit den Minderheiten zeigen sich Zivilität und Humanität der Demokratie.“ Das „sorbische Siedlungsgebiet in Sachsen“ werde seit der letzten Bundestagswahl „von zwei direkt gewählten deutschnationalen Abgeordneten vertreten“ – am Wahlverhalten der sorbischen Bevölkerung habe dies nicht gelegen. „Es bedarf
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