Bürokratiemonster vs. Bandwurmgruppe: Über Armutsexperten und Expertenarmut
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Mai 2014
Regierungen lieben Expertenkommissionen. Gibt es Kritik an einer Entscheidung, sagen Regierende maliziös: „Aber wir haben doch die Experten gefragt!“ Von Hartz bis Rürup gingen Regierungen so vor. Feigenblätter seien die Komissionen, sagen KritikerInnen. Nur bedeckt in der biblischen Geschichte ein Feigenblatt die Scham. In Bezug auf die Hartz-IV-Gesetze ist von den neuen alten Koalitionären der SPD von Scham keine Spur. Im Gegenteil, ganz schamlos arbeitet eine Kommission der Vorgängerregierung weiter. Ihr Name hat Bandwurmqualitäten: „ASMK-Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II (AG Rechtsvereinfachung im SGB II)“. Seit geraumer Zeit schlägt sie sich dieser Bandwurm durch den Paragraphendschungel der Hartz-Gesetze und scheidet „Verbesserungsvorschläge“ aus. Sein Ziel: Die schlimmsten bürokratischen Monster im Sozialgesetzbuch II erlegen, die seit Jahren Klagewellen und Widerspruchsfluten verursachen. Wovor die LINKE gemeinsam mit Hartz-IV-Initiativen seit langem warnt, hat nun auch die BILD-Zeitung erreicht, und auf einmal werden die Pläne zur Schlagzeile. Neben einigen kosmetischen Verbesserungen bestehen die „Vereinfachungen“ vor allem in Kürzungen. Kürzungen bei
den Kosten der Unterkunft, Kürzung bei den Zuschlägen für Alleinerziehenden und zu guter Letzt: Kürzung des Rechtswegs für die Betroffenen. „Aber die Experten …“, höre ich die Regierung sagen. Das Lateinische expertus kommt von „in etwas erfahren sein“ und meinte in antiker Zeit, etwas am eigenen Leib erfahren zu haben. Nun sitzen in der Kommission schlaue Frauen und Männer, Referentinnen aus den Arbeits- und Sozialministerien zumeist. Nur ExpertInnen sind sie vor allem im einem: Verwaltungsorganisation. Die Lebensrealitäten von Hartz-IV-Beziehenden haben sie in der Regel nicht am eigenen Leib erfahren. Nach einer Vollsanktion plötzlich um die Krankenversicherung bangen zu müssen; nicht zu wissen, wie man den eigenen Kindern ein möglichst normales Aufwachsen ermöglichen kann; sich Rechte, die auf dem Papier stehen, erst vor Sozialgerichten erstreiten zu müssen, all das sind Dinge, die diese ExpertInnen in der Regel fremd sind. Das wäre kein Problem, man kann ja fragen. Nur fehlt genau diese Expertise in derartigen Kommissionen. Vertreter von Erwerbsloseninitiativen, Gewerkschaften und Sozialberatungsstellen waren nicht geladen. Das ist gewollt. Und so leidet die Diskussion dieser ministerieller Armutsexperten vor allem unter einem: Expertenarmut. Katja Kipping
Links! im Gespräch
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Die Umgebung frei gestalten Dresden, Leipziger Straße 33. Grün umrankt erheben sich gealterte Ex-Fabrikgebäude, zwischen denen sich eine bunte Welt eröffnet: Der „Freiraum Elbtal“ – ein Biotop für Mensch, Tier und Pflanze, Ort für die freie Entfaltung. Hier blüht das Leben, können Kreative und Freigeister sich verwirklichen und ihre Umgebung völlig frei gestalten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verfließen ebenso gemütlich wie das Wasser der sich unweit entlangschlängelnden Elbe. Doch das Projekt ist keineswegs überall wohlgelitten und ein Beispiel dafür, dass urbane Freiräume beständig erkämpft und verteidigt werden müssen. Links! sprach mit Jacqueline „Yaki“ Muth, die als studierte bildende Künstlerin kräftig im Freiraum mitmischt.
Der Freiraum Elbtal e. V. hat ungefähr 30 Mitglieder. Einerseits sind das Mieter auf dem Grundstück, die die Räume selbst mit hergerichtet haben oder immer noch herrichten und dort Werkstätten, Ateliers, Veranstaltungsräume betreiben. Auf der anderen Seite sind das Leute, die sich einfach an den Projekten beteiligen und den Freiraum nutzen. Zusätzlich gibt es etwa 600 Leute, die sich regelmäßig auf dem Grundstück beteiligen. Zu diesen 600 kommen noch etwa 2.000, die ein- bis zweimal im Jahr zu einem der Feste kommen oder eine Veranstaltung besuchen. Größtenteils ist es aber ein Saisonbetrieb, weil das Grundstück im Winter schwer zu bewirtschaften ist, nur wenige Räume sind beheizbar. Meistens liegt das Grundstück dann ziemlich brach, bis auf diejenigen, die dann ihre Ateliers weiter nutzen oder im Bauwagen wohnen. Im Frühling erwacht das Leben. Kannst Du näher auf die Geschichte des Areals eingehen?
Yaki, für jemanden, der solche Welten nicht kennt, ist der Freiraum Elbtal in Größe und Form sehr beeindruckend. Was macht dieses Projekt aus, warum engagierst Du Dich hier? Der Freiraum Elbtal ist ein ehemaliges Industriegrundstück. Der Teil, den wir als Freiraum Elbtal nutzen, ist 12.500 Quadratmeter groß. Aufgrund seiner Gebäudestruktur – es war ursprünglich eine Ruine – bietet er viele Möglichkeiten, um sich selbst zu betätigen. Man kann sich komplett am Gelände austoben, seine Vorstellungen umsetzen, Räume unterschiedlich gestalten, sogar Wände rausnehmen und so weiter. Diese Gestaltungsmöglichkeit, dass man einfach so weit geht, dass man seine Umgebung komplett verändern kann, schätze ich hier sehr, auch weil das immer mehr verloren geht, aufgrund unserer gesellschaftlichen Strukturen und Ordnungen. Das ist auch ein Grund, weshalb ich mich hier engagiere, ich bin ja selbst freischaffende Künstlerin. Gestaltung hört hier eben nicht hinter dem Schreibtisch oder hinter der Staffelei auf. Wie viele Menschen sind beteiligt, woher kommen sie?
Das Gelände hat ursprünglich ein Industrieller gekauft, etwa um 1890, und ein Sägewerk eingerichtet. In der großen Halle gab es eine Sägeanlage, auf der Elbe eine Sägemühle, Holz wurde verflößt. Seiner Erbengemeinschaft gehört das Gelände. Vor der Wende wurden hier unter anderem die MelkusSportwagen hergestellt. Es gab aber auch noch andere Nutzungen, man sieht heute noch ein Schild: „VEB Verpackungswerk“. Nach der Wende stand es leer. Der Freiraum Elbtal e. V. hat 2006 das Grundstück gemietet. Vorher hatten schon ein paar Leute, die dann später den Verein gegründet haben, Teile des Grundstückes einzeln gemietet. Ganz am Anfang war es ein reiner Wagenplatz, da waren die Gebäude auch noch nicht nutzbar, voller Müll, die Dächer waren kaputt, Fenster fehlten. Nachdem der Wagenplatz sich dann den Wildwuchs ein bisschen zurechtgeschnitten hatte, hat sich peu á peu die Erschließung der Gebäude angeschlossen. Etwa 2010 gab es noch einmal einen Sprung, da war offenbar eine kritische Masse an Nutzern erreicht. Damals hat sich die Vereinsmitgliederzahl ungefähr verdreifacht, das hat logistisch auch ein paar Probleme mit sich gebracht, die haben wir aber gemeistert. Ab dem Moment gab es viele Veranstaltungen, bei denen offensiv gefordert wurde, dass mehr Leute das Grundstück nutzen können, auch wenn sie selbst vielleicht kein
Atelier betreiben. Vorher, in der Pionierphase, wurde zunächst das Gelände urbar gemacht. Projekte wie den Freiraum findet man relativ selten. Wagenplätze gibt es in Dresden nicht weiter, zumindest keine großen, die gibt es mehr in Leipzig und Berlin. Es gab ein paar Versuche, die scheiterten aber am Veto der Stadtverwaltung. Die Stadt ist der Meinung, dass es das nicht geben müsse, weil es das nie gab. Da sind andere Städte wesentlich weiter, die schauen, was man gemeinsam machen kann. Das geht sogar so weit, dass es Anschlüsse gibt für Strom, Wasser und so weiter. Davon ist Dresden momentan leider noch weit entfernt. Ansonsten gibt es schon noch viele Projekte, die ideell einen ähnlichen Ansatz verfolgen, zum Beispiel Jugendprojekte, die nicht-profitorientiert Angebote machen. Zum Beispiel in Löbtau gibt es einen Werkstattladen, dann gibt es noch die „Werkstattpiraten“, die eine offene do-it-yourself-Werkstatt betreiben. In Pieschen gibt es etwa das „Zentralwerk“. Das sind große Gemeinschaften, und dann gibt es viele kleinere, auch in Dresden. Derzeit sind viele Projekte in Dresden bedroht, durch den Bauboom und steigende Mieten. Viele sind schon weggefallen. Deshalb gibt es seit zwei Jahren eine Interessenverbund von nichtkommerziell agierenden Projekten, die „Interessengemeinschaft Freiräume“. Du hast schon übergeleitet: Der Freiraum ist bedroht. Warum? Das Gelände des Freiraums ist ein Privatgrundstück. Wir waren schon mehrmals bei der Stadtverwaltung, sowohl im Stadtplanungsamt als auch beim Baubürgermeister, und bei verschiedenen Stadträten, und haben um Hilfe gebeten. Die Stadtverwaltung sagt, dass das Grundstück in privater Hand sei und sie uns nicht helfen könnten. Wir sind aber konkret mit der Bitte hingegangen, dass wir als Verein weiter bestehen wollen und sie uns mitteilen mögen, welche Grundstücke vielleicht unseren Bedürfnissen entsprechen. Da war sehr deutlich, dass die Stadt ihre Verantwortung aus der Hand gibt. Ich meine, das ist viel zu kurz gedacht. Denn erstens gäbe es die Möglichkeit, wenn wir wirklich hier wegmüssen, dass wir ein anderes Grundstück bekämen und unsere Arbeit weiter fortsetzen könnten. Das müsste allerdings innenstadtnah sein, das ist auch ein Problem.
Da wünschen wir uns von der Stadt mehr Unterstützung. Die Erbengemeinschaft und ein Investor wollen hier Luxuswohnungen bauen, und wir möchten gern erreichen, dass bei diesen Überlegungen berücksichtigt wird, dass der Verein auch eine Bleibe in Dresden braucht, weil er inzwischen zu einem etablierten Kulturverein geworden ist, der hier in diesem Stadtteil seine Notwendigkeit hat. Hinzu kommt, dass die Chefin dieses Investors in der Vergangenheit versucht hat, uns als Kriminelle hinzustellen, auch als Drogensüchtige. Am Anfang wurde viel über die Presse versucht, uns zu diskreditieren. Das Gelände des Freiraums ist hochwassergefährdet. Könnte das die Bebauung verhindern? Ich habe den Eindruck, dass die Stadtverwaltung und eine knappe Mehrheit im Stadtrat diese Pläne noch immer befürworten. Mittlerweile wissen wir aber auch, dass der Freistaat Sachsen eine klare Definition besitzt, die sagt, dass Flutgebiete nicht bebaut, Retentionsflächen erhalten, eher rückgebaut und entsiegelt werden sollen. Die Stadt fährt da einen anderen Kurs. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber, dass es hier zu Überflutungen kommt. Wir haben uns auch entsprechend mobil eingerichtet, eine Wohnbebauung wäre etwas anderes. Was kann man tun, um den Verein zu unterstützen? Wir haben im Dezember eine Petition gestartet, auch weil wir
mit den Besitzern des Geländes in Kontakt treten wollen. Außerdem soll die Stadt diesen Prozess stärker moderieren und sich für Freiräume stärker einsetzen. Vermutlich sind das auch Hauptziele Deiner Stadtratskandidatur? Freiräume für Dresden ist einer meiner wichtigen Schwerpunkte. Auch die Mietenpolitik spielt für mich eine wichtige Rolle. Ich bin der Meinung, man muss über die Bedeutung von Kunst und Kultur generell reden, weil dafür bezahlbare Räume gebraucht werden. Außerdem hatten wir den Fall, dass der elbnahe Radweg im Winter nicht geräumt worden ist, weil die Stadt der Ansicht ist, dass die Leute im Winter auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen sollen. Das finde ich ziemlich frech, denn der Weg ist eine Hauptader für den Radverkehr, und es gibt immer mehr Menschen in Dresden, die nur mit dem Rad unterwegs sind, auch im Winter. Die Straßenverkehrssituation soll stärker an die reale Situation angepasst werden. Hinzu kommt die Verbesserung der Situation für Kulturschaffende, denn die Stadt kann zum Beispiel Aufträge vergeben, die zu Tarifbedingungen vergütet werden, und öffentliche Gebäude öfter für Ausstellungen zu öffnen. Im Moment ist aber die Raumsituation vordergründig. Die Fragen stellte Kevin Reißig. Infos und Spendenkonto unter www.freiraumelbtal.wordpress.com.
Bilder: Freiraum Elbtal e. V. / privat
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Liberalisierungsschub und Aushöhlung des Rechtsstaates Kanzlerin Angela Merkel und Kommissionspräsident Barroso hatten die Idee, zwischen der EU und Kanada das Freihandelsabkommen (CETA) und nun auch mit den USA ein Freihandelsabkommen auszuhandeln – euphemistisch auch als „Transatlantische Handelsund Investitionspartnerschaft“ (TTIP) bezeichnet. Die bis vor kurzem völlig geheim verlaufenden Verhandlungen und die der EU-Kommission erteilten Leitlinien zur Verhandlung wurden von Kanzlerin Merkel und vom ehemaligen FDP-Bundeswirtschaftsminister Rösler inhaltlich mitbestimmt und als geheim eingestuft. Zum Glück wurden diese EU-Leitlinien dem Europaabgeordneten der Grünen Sven Giegold zugespielt, der sie veröffentlichte. In den Vorgaben für die Verhandlungen wird z. B. der Grundsatz formuliert, dass das in der EU und den USA jeweils spezifische Liberalisierungsniveau „auf das höchste Liberalisierungsniveau“ per Vertrag angehoben werden soll. Das heißt: Nicht mehr die gewählten Politikerinnen und Politiker sollen künftig über mehr oder weniger Markt sowie dessen Regeln entscheiden. Politik würde so vollständig wirtschaftlichen Interessen der großen Unternehmen untergeordnet. Dabei geht es nicht in erster Linie um den Abbau von Zöllen, sondern um den Abbau „nichttarifärer Handelshemmnisse“. Darunter sind technische, soziale, ökologische und Verbraucherstandards sowie Arbeitsbedingungen zu verstehen, was die Gewerkschaften elektrisierte. Wenn nun in
Das ist so eine Sache mit der Sprache. Landläufig meint man, sie drücke aus, was wir zu sagen beabsichtigen. Das ist ja auch im Normalfall so. Aber wenn wir uns erst einmal auf sie eingelassen haben, bleibt sie nicht unbeteiligt an dem, was wir sagen, und sie wirkt oft ganz subtil, fast unbemerkt. Aber sie wirkt! „Der Einsatz unter Beteiligung aller Sicherheitskräfte konzentrierte sich zunächst auf die Stadt Slawansk“. Diesen Satz habe ich am 13.04.2014 im Internet bei t-online gelesen. „Der Einsatz ... konzentrierte sich“? Wer ist dieser „Herr Einsatz“? Er ist immerhin in diesem Satz grammatisches Subjekt. Aber ist er
den Leitlinien für die Verhandlungen der EU-Kommission von einer „Harmonisierung der Normen, Verfahren sowie Standards“ gesprochen wird, können wir davon ausgehen, dass sich diese Standards im Angleichungsprozess nicht an den höheren Normen der EU orientieren, sondern ganz sicher zur Abwärtsspirale der Standards in der EU führen werden. Schließlich laufen die Nachhaltigkeitsstandards für Biokraftstoffe, die Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln, von Hormonfleisch und chlorbehandelten Hühnchen, die Chemikalienrichtlinie und die Normen für Emissionswerte für Autos den amerikanischen Exportinteressen zuwider. Diese europäischen Standards treffen aber im Kern Vorsorge für ein gesundes Leben der Menschen. Schließlich wird von amerikanischer Seite gefordert, das öffentliche Beschaffungswesen
in der EU zu liberalisieren. Das hat den bayerischen Städtetag alarmiert, der davor warnt, dass dieses Handelsabkommen die kommunale Daseinsvorsorge in einer bisher noch nie dagewesenen Dimension aushebeln und einen massiven Privatisierungsschub auslösen würde. Schließlich wird mit den Leitlinien der EU dem Ganzen bezüglich der Verhandlungsvorgaben die Krone aufgesetzt, indem Investoren vor „direkter“ und „indirekter“ Enteignung durch Staaten geschützt werden sollen. Darunter fallen sämtliche staatlichen Maßnahmen wie grundgesetzlich mögliche Enteignungen im Sinne des Allgemeinwohls, Verordnungen, Gesetze und steuerliche Belastungen für Investoren, die die EU zum Schutz von Arbeitnehmerrechten, zum Schutz der Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Umwelt und des Klimas erlassen hat,
die die Profite der Investoren aber schmälern. Danach können Investoren Staaten verklagen, wie das bereits der Konzern Vattenfall wegen des Atomausstiegs gegen die Bundesregierung in den USA vorführt und 3,7 Mrd. Euro Schadensersatz fordert. Diese Klageverfahren sollen aber nun nicht in den Institutionen des demokratischen Rechtsstaates erfolgen, sondern in Schiedsgerichten, die mit je einer anwaltlichen Vertreterin bzw. einem Vertreter des Investors, des Staates und einer Konsenskandidatin oder einem Konsenskandidaten besetzt werden. Berufungsverfahren oder eine Überprüfung des Schiedsurteils sollen nicht zugelassen werden. Damit würde eine zum Rechtsstaat parallele Rechtsprechung etabliert, die den demokratischen Rechtsstaat aushöhlen würde. Sollte es tatsächlich zu solchen Vereinbarungen kommen, würden, so
die SPD-Bundesumweltministerin Hendricks, die „Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung, von 100 Jahren Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung mit einem Federstrich zerstört“. Ich bin gespannt, wie sich die im Bund mitregierende SPD im Verlauf der weiteren Verhandlungen und im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsprozess verhalten wird. Für die Linke darf es keine Frage sein, diesen ungeahnten Liberalisierungsschub für die Wirtschaft und die öffentliche Daseinsvorsorge durch die Hintertür sowie die Zerstörung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates zu verhindern. Sollte der Vertrag zwischen der EU und den USA zustande kommen, muss er als Gesamtpaket vom Europaparlament, von den nationalen Parlamenten der EUMitgliedsstaaten wie dem Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Einmal ratifiziert, könnte der Vertrag nicht ohne weiteres gekündigt werden. Hierfür müssten die USA und die EU inklusive sämtlicher Mitgliedsstaaten zustimmen. Aber das Veto eines einzelnen Mitgliedsstaates könnte ein solches Vorhaben schon blockieren. DIE LINKE sollte im EuropaWahlkampf Forderungen stellen: Sofortiger Verhandlungsstopp, vollständige Transparenz und Neuformulierung des Verhandlungsmandats für die EUKommission, Beteiligung der Parlamente und von zivilgesellschaftlichen Organisationen/ Verbänden am Verhandlungsprozess sowie ein europaweites Referendum zum Handelsabkommen. Dr. Monika Runge
auch der Akteur bei dem Ereignis, über den der Satz etwas aussagt? Nein, er ist es nicht. Der Satz ist nämlich eine „passivähnliche Konstruktion“, wie man in der Sprachwissenschaft sagt. Passiv und passivähnliche Konstruktionen sind „agensabgewandt“, so wiederum die Linguistik. Das heißt, in solchen Sätzen erfahren wir nichts oder nur wenig und Ungenaues über Akteure, über „Täter“. Man könnte hier nun einwenden, es seien im Beispiel die „Sicherheitskräfte“ als Akteure des Einsatzes mit genannt. Das sind sie. Nur wie? „Unter Beteiligung aller Sicherheitskräfte“ lese ich. Also waren sie zumindest nicht die Hauptakteure. Sie waren nur „beteiligt“. Jener „Herr Einsatz“ bleibt weiter geheimnisvoll im Verborgenen, doch ER „konzentrierte SICH“ auf die Stadt Slawansk. Mag sein, meine Argumentation erscheint spitzfindig, wenn auch linguistisch abgesichert. Es steht jedoch schon zuvor dies im Text: „Nachdem Aktivisten immer mehr Verwal-
tungsgebäude besetzt hielten, sah sich die Übergangsregierung sich (!) zum Handeln gezwungen.“ Der erste Teil des Satzes steht im Aktiv, und wir erfahren deshalb auch, wer da so aktiv wird. Der zweite Teil wird mit diesem „sah sich“ gebildet
ner, „was zu beweisen war.“ Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe diesen Text gewählt, weil er demonstriert, wie man mit Sprache Interpretationsmacht erlangt, ohne es ausdrücklich zu sagen. Ob die Verteilung von „Gut“ und „Böse“, die (un)heimlich im Satz mitschwingt, so stimmt oder nicht, darüber enthalte ich mich jetzt des Urteils. Wir wissen aber, Sprache aktiviert Deutungsmuster. Dafür hält sie noch mehr bereit als die Möglichkeit, einen Satz aktiv oder passiv zu formulieren und deshalb Akteure ausdrücklich zu benennen oder über sie zu schweigen. Zum Beispiel ist unser Wortschatz nicht einfach ein ungeordneter Haufen von Benennungsmöglichkeiten. Er ist sortiert. Seine Elemente sind miteinander vernetzt. Quasi in „Planquadraten“ abgelegt findet man jene sprachlichen Mittel, die man braucht, um über bestimmte Wirklichkeitsbereiche zu sprechen oder bestimmte Deutungsmuster hervorzuholen. Die Sprachwissen-
schaft nennt solche Planquadrate „frames“ (Rahmen). Gerade feiert wieder der frame „Kalter Krieg“ fröhliche Urständ. Man spricht vom „Osten“ und vom „Westen“. Die alten Deutungen schwingen mit: „Osten“ gleich „Reich des Bösen“, „Westen“ als „Reich der Freiheit“. Das eröffnet dem frame „Antikommunismus“ Tür und Tor. Putin wird zu Stalin, Russland zur neu geborenen Sowjetunion. Zugleich findet sich in diesem frame das Inventar für einen rabiaten Antiamerikanismus mit Kritik am selbsternannten „Weltgendarm“. Agentenstories schlagen hüben und drüben Kabolz. Alles, was die frames „Völkerrecht“ und „Menschenrechte“ hergeben, haut man sich kreuzweise um die Ohren. Schmerzlich vermisse ich aber auf beiden Seiten die Wiederbelebung des frames der „flower power“, in dem „make love no war“ oder „petting statt pershing“ auf uns warten. Wer steckt Blumen in die Gewehrläufe? Hallo Woodstock – wir haben ein Problem!
Sprache macht Macht! – vor lauter Beflissenheit gleich falsch, weil zwei Mal. Und dass ja keine Zweifel aufkommen, wer die eigentlichen Schuldigen am Ereignis sind, kommt noch das Verb „gezwungen“ zum Einsatz – „sahen sich gezwungen“! Wer will jetzt noch an der Verteilung von Schuld und Unschuld zweifeln? Doch es geht munter weiter: „Das Innenministerium warf dem Kreml eine Aggression vor und sah sich nun selbst in die Offensive gezwungen.“ Der „Täter“ der Aggression ist klar benannt, das Innenministerium „sieht sich gezwungen.“ „Quod erat demonstrandum“ sagen die Latei-
Hintergrund
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Europäische Linksparteien
Linke Einheit auf der Insel Zwar hat die radikale Linke im Vereinigten Königreich eine lange und große Geschichte, dennoch gelingt es ihr seit Jahrzehnten nicht, nennenswert im politischen Betrieb mitzumischen. Vor allem die regionale Zersplitterung und das Mehrheitswahlrecht auf der Insel behindern den Aufbau einer starken linken Kraft jenseits von Labour. Zwar bieten die Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) – hier gilt das Verhältniswahlrecht – seit 1979 Chancen auf eine parlamentarische Vertretung linker Parteien oder Gruppierungen. Genutzt wurden diese aber weder von der traditionsreichen Kommunistischen Partei noch den zahlreichen trotzkistischen Organisationen oder dem AntiKriegs-Bündnis „respect“ von George Galloway, einem ehemaligen Labour-Unterhausabgeordneten. „Respect“, ein vielversprechendes Bündnis linker Parteien und Friedensinitiativen, zerfaserte sich nach seiner Gründung 2004 rasch und konnte die in es gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. Sinnbildlich steht die britische Linke ziemlich alleine da, wie der Verkäufer des „Morning Star“, dem ich seit über einem Jahrzehnt auf internationalen Festen der europäischen Linken begegne: Viel Papier, ein kleiner Stand und nur ein Mann dahinter. Nun begibt sich die britische Linke in einen neuerlichen Versuch, die eigene Zersplitterung aufzuarbeiten und mit einem linken Sammelbündnis links von
Labour neue, breitere Wählerschichten zu erreichen. Im November 2013 gründete sich das Parteiprojekt „Left Unity” und versammelte sich am 29. März 2014 zu einem ersten Parteitag. Die Gründung der Partei selbst ist Ausdruck der Frustration vieler Menschen über die harte Austeritätspolitik der Regierung Cameron, die in vielen Punkten von der oppositionellen Labour Party unterstützt wird. Ein entscheidender
und des für Neugründungen extrem ungünstigen Wahlsystems sahen sich viele Menschen gewissermaßen verpflichtet, eine parteipolitische linke Alternative aufzubauen. Der Aufruf wurde schnell von über 9.000 UnterstützerInnen getragen. Der Name „Left Unity“ ist vor dem Hintergrund der großen Anzahl linker Gruppen im Vereinigten Königreich gewählt, die ohne eine Perspektive auf Wahlerfolge und ob ihrer marginali-
selbst sozialistisch, ökologisch und feministisch. Das Spektrum ihrer Mitglieder reicht von ehemaligen linken Labour-Anhängern bis hin zu Kommunisten. Die Communist Party of Great Britain hat ihre Mitglieder aufgerufen, „Left Unity“ beizutreten und die Gründung einer eigenen Kommunistischen Plattform innerhalb der neuen Partei erreicht. Weitere Organisationen haben diesen Schritt vollzogen. Europapolitisch verortet sich
Bild: Graeme Maclean / CC BY 2.0 / Wikimedia Commons
Anstoß für die linke Sammlung kam von dem Filmregisseur Ken Loach, der im Herbst vergangenen Jahres einen Aufruf zur Gründung einer neuen linken Massenpartei verfasste, da Labour als Interessensvertretung der Beschäftigten versagt habe. Trotz Kenntnis des Scheiterns des letzten ambitionierten linken Parteienprojekts „respect“
sierten Position in der Gesell- „Left Unity“ nah an den BeBild: Luis García / Wikimedia Commons /CC BY-SA 3.0 schaft oftmals sektiererische schlüssen der Europäischen Linkspartei (EL). Ziel ist es demTendenzen aufweisen. Kate Hudson, eine bekannte nach nicht, den Austritt GroßbriPersönlichkeit der britischen tanniens aus der Union zu beförFriedensbewegung und Vorsit- dern, sondern die neoliberale zende der Campaign for Nuclear EU neu zu begründen. Und so Disarmament, fungiert als Inte- waren die Abstimmungen über rimvorsitzende der Partei. „Left die Verortung von „Left Unity“ Unity“ definiert sich selbst als in europapolitischen Fragen implurales Projekt und nennt sich mer eindeutig: mehr als zwei
Drittel der Delegierten sprachen sich im März für eine Politikausrichtung analog zur EL aus. Strategisch sieht sich „Left Unity“ aber in einer komplizierten Situation: Das Mehrheitswahlrecht macht einen Erfolg bei Wahlen schwierig. Demzufolge wird sie auch nur dort antreten (bei Lokal- und nationalen Wahlen), wo eine genuine Verbindung zum Wahlkreis besteht, wo lokale linke Bewegungen existieren und Wählerpotentiale vorhanden sind. Politisch aktiv möchte die Partei hingegen flächendeckend sein – auch aus dem Bewusstsein heraus, dass die Teilnahme an Wahlen nicht die einzige und auch nicht die wichtigste Form politischer Arbeit ist. Heute zählt die Partei etwas über 1.500 Mitglieder. Doch die Zahl steigt stetig. Leider kam die Initialzündung für die Formierung einer neuen linken Sammlungsbewegung im Hinblick auf die Europawahlen 2014 zu spät. „Left unity“ wird demnach hier noch keine Rolle spielen. Nichtsdestotrotz stellt „Left Unity“ ein hoffnungsvolles Projekt dar, das große inhaltliche Schnittmengen mit der LINKEN in Deutschland und der Europäischen Linkspartei aufweist. Vor diesem Hintergrund werden in den kommenden Wochen und Monaten die Kontakte zwischen „Left Unity“ und EL ausgebaut. Left Unity wird somit zunächst weiter an dem Aufbau fester Strukturen arbeiten und auf einer weiteren Konferenz in diesem Jahr einen Vorstand wählen. Dominic Heilig
Kostenlos ins Museum? Das gibt´s doch nur im Märchen. Oder? Was auf den ersten Blick anmutet wie ein Stück Erinnerung an längst vergangene Zeiten, ist keine Ostalgie. „Kostenlos ins Museum“ gibt es tatsächlich. Und die Frage nach dem „Wo“ ist leicht beantwortet: in der Trabant- und RobertSchumann-Stadt Zwickau. Genaueres erfuhr Links! von Ute Brückner, der Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE im Zwickauer Stadtrat. In Zwickau ist der Eintritt in Museen kostenlos. Gilt das für alle Museen und ist das ein Alleinstellungsmerkmal Zwickaus? Der Eintritt ist in alle städtischen Museen kostenlos, ja. Alleinstellungsmerkmal – würde ich so nicht sagen. Es gibt in Berlin einzelne Stadtbezirke, in denen der Eintritt in städtische Museen auch kostenlos ist. Sonst ist mir Vergleichbares nicht bekannt.
Wer kam auf die Idee und warum ist aus Deiner Sicht der kostenlose Eintritt in Museen so wichtig? Die Idee kam von uns, der LINKEN im Zwickauer Stadtrat. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Kultur und Bildung für jeden möglich sind, unabhängig vom Geldbeutel. Es geht um Bildungs- und Kulturgerechtigkeit. Gerade für Menschen mit geringem Einkommen sind Eintrittspreise selbst mit Ermäßigung oft eine Hürde. Diese wollten wir abbauen, sozusagen eine barrierefreie Teilhabe an Kultur und Bildung ermöglichen. Wie konnte das Vorhaben umgesetzt werden, wer waren Verbündete? Verbündete hatten wir keine. Möglich wurde es im Rahmen der Budgetverhandlungen zum städtischen Haushalt. Der kos-
tenlose Eintritt in städtische Museen ist also Teil des Kompromisses in der Haushaltsdebatte. Heftige Kritik kommt bis heute aus den Reihen von CDU und FDP. In ihren Augen sind das Geschenke, die unnötig Geld kosten. Ginge es nach ihnen, würden sie den kostenlosen Eintritt in Museen sofort wieder abschaffen. Mit Blick auf die Haushaltslage der Kommunen scheint der Verweis auf die Kosten nicht ganz von der Hand zu weisen. Also konkret: Was kostet dieses „Geschenk“? Nun, auf der einen Seite fehlen die vorher eingenommenen 45.000 Euro an Eintrittsgeldern. Andererseits fällt aber auch der Verwaltungsaufwand für Kassierung, Buchung und Abrechnung weg und die Beschäftigten, die bisher den Eintritt kassierten, stehen nun in den Museen für
Fragen zur Verfügung. Letztlich ist es eine politische Entscheidung, ob wir Geld lieber für Verwaltungsaufgaben oder für Kultur aufwenden. Nach Auffassung unserer Fraktion ist es aber in Kultur und Bildung wesentlich besser angelegt und schafft so einen Mehrwert für die Gesellschaft. Wie sieht es mit den Besucherzahlen aus? Sehr gut. Die Besucherzahlen sind deutlich gestiegen. Positive Rückmeldungen kommen auch aus der Lehrerschaft. Der kostenlose Eintritt in die städtischen Museen bedeutet für die Pädagoginnen und Pädagogen wesentlich weniger Aufwand vor Exkursionen. Die Eintrittsgelder müssen vorher nicht mehr eingesammelt werden. Und auch Eltern mit geringem Einkommen haben kein Problem mehr damit, das Eintrittsgeld aufzubringen.
Kurz: Alle Kinder haben nun die gleichen Voraussetzungen! Und das funktioniert alles ohne Probleme? Naja, ein paar Kleinigkeiten sind schon zu klären. Beispielsweise müssen die Öffnungszeiten dem veränderten Nutzungsverhalten, insbesondere durch Schulklassen, angepasst werden. Aber das wird Aufgabe des neu gewählten Stadtrats sein. In seiner Verantwortung liegt es auch, den Beschluss für den kostenlosen Eintritt in städtische Museen fortzuführen. Dein Resümee – Nachahmenswert für andere Kommunen? Ja, unbedingt. Denn wo Kultur herrscht, herrscht keine Gewalt! Die Fragen stellen Simone Hock und Sandro Tröger.
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Sachsens Linke
Die initiative „Leipzig Korrektiv“ vermittelt hautnahe und persönliche Eindrücke von der schlechten Lebenssituation der Roma in Ungarn. Karl-Heinz Gräfe beleuchtet die Hintergründe der Krise in der Ukraine.
Die beiden LINKEN Direktkandidierenden Annelore Liebchen und Robert Sobolewski erläutern ihre Motivation und eröffnen damit ei-
ne Vorstellungsserie. Die Linksjugend informiert über das Pfingstcamp und den Jugendwahlkampf.
Dialog für Sachsen
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Die Weichen sind gestellt
DIE LINKE. Sachsen wählt Landesliste Von außen war das Tagungsobjekt keine Zier: Rustikaler Industriechic begrüßte die TeilnehmerInnen der LandesvertreterInnenversammlung am 5. und 6. April 2014 in der Alten Wollkämmerei in Leipzig. Doch von Äußerlichkeiten sollte man sich nicht abhalten lassen. Im Tagungssaal selbst waren rund 300 VertreterInnen, Kandidierende und Gäste zusammengetreten, um die personellen Weichen für die Landtagswahl 2014 zu stellen. Die Veranstaltung bildete den Abschluss einer ganzen Reihe von Nominierungsveranstaltungen. Bereits am 1. April hatte der Landesvorstand den 30er-Vorschlag des Landesvorsitzenden und der Landesgeschäftsführerin auf 20 Namen zusammengekürzt. Am Donnerstag vor der LVV reihte schließlich die Beratung des Landesvorstandes, des Landesrates, der Kreisvorsitzenden und des Fraktionsvorstandes diese 20 Namen zum Listenvorschlag zur Landesliste. Dieser sollte schließlich auch Beratungsgrundlage der Tagung in Leipzig werden. Die LVV hatte eine anspruchs-
und verantwortungsvolle Aufgabe zu bewältigen. Sie bestimmte letztlich über die Zusammensetzung der nächsten Landtagsfraktion der sächsischen LINKEN. Vor diesem Hintergrund mahnte Rico Gebhardt in seiner Eröffnung einen vertrauensvollen und fairen Umgang miteinander an und verwies auf die Verantwortung der gesamten Versammlung für die Liste. In seiner kämpferischen Bewerbungsrede um den Listenplatz 1 hatte Gebhardt seine Partei danach aufgefordert, mit Selbstbewusstsein in den anstehenden Landtagswahlkampf zu gehen: „Lasst uns endlich sagen, was wir alles schon erreicht haben in diesem Land: Glaubt wirklich jemand, dass es einen gesetzlichen Mindestlohn gäbe ohne DIE LINKE?“ Auch antifaschistische Arbeit, Inklusion und Umweltschutz seien Punkte, die auch von der LINKEN auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Es seien nicht weniger als die unveräußerlichen Bestandteile eines besseren Lebens in Sachsen, die seine Partei anstrebe. Für einen Politikwechsel sei ein
starke LINKE entscheidend, so Gebhardt: „Wenn man keine neue Monarchie will in Sachsen, dann hat man nur eine Möglichkeit, nämlich DIE LINKE zu wählen. Wir stehen für soziale Gerechtigkeit, für sozialen Zusammenhalt und für soziale Sicherheit in diesem Land.“ Und weiter: „Brust raus, Bauch rein und vorwärts, dann wird das mit dem Wahltag am 31. August!“ Erwartungsgemäß wurde Gebhardt zum Spitzenkandidaten zur Landtagswahl gewählt. Für ihn stimmten 134 VertreterInnen, das entspricht 70,5 Prozent. Des Weiteren stimmten 47 VertreterInnen gegen Gebhardt, 9 enthielten sich. Auch auf dem Plätzen 2 bis 20 blieben größere Überraschungen aus. Der Listenvorschlag wurde weitgehend bestätigt. Lediglich Luise Neuhaus-Wartenberg aus dem KV Nordwestsachsen wurde auf den Listenplatz 11 positioniert, sie war ursprünglich für Listenplatz 5 vorgeschlagen. Die folgenden Listenplätze wurden vor allen Dingen an Kandidierende vergeben, die sich zum ersten Mal aussichtsreich um ein Landtagsmandat bewer-
ben. So entstand insgesamt eine Landesliste von 50 Namen, auf der nicht nur erstmals mehr Frauen als Männer kandidieren. Sie ist mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren auch die jüngste Landesliste der Partei. Fast jeder zweite Abgeordnete der LINKEN wird dem kommenden Landtag erstmals angehören. Gerhard Besier, Julia Bonk, Edith Franke, Freya-Maria Klinger, Volker Külow, Andrea Roth, Monika Runge und Karl-Friedrich Zais werden dem nächsten Landtag nicht mehr angehören, ebenso wie aller Voraussicht nach Heiderose Gläß, die als Unterstützerin nur noch auf dem Listenplatz 39 antritt. Dietmar Pellmann hingegen, der auf eine Bewerbung auf der Landesliste verzichtete, will in Leipzig sein Direktmandat verteidigen. Thomas Dudzak Alle Informationen zur LandesvertreterInnenversammlung, die Liveberichterstattung wie auch die komplette Landesliste sind auch im Internet zu finden: http://www.dielinke-sachsen.de/ partei/parteitag/lvv-2014/
Wenn die Wahlkampfmaschinerie in unserer Partei eine Lokomotive wäre, dann könnte man sagen, sie steht unter vollem Dampf. Die ersten Etappen der langen Reise durch das Wahlkampfjahr 2014 sind bereits absolviert, die nächsten stehen unmittelbar bevor. Mit viel Kraft und Engagement werden derzeit Plakate für den Kommunal- und Europawahlkampf gehangen, Informationsmaterial zusammengetragen und verteilt, Infostände durchgeführt. Die Partei rotiert mit ganzer Kraft. Und dies wieder einmal ehrenamtlich. Dafür gelten allen vor Ort Engagierten meine ausdrückliche Anerkennung und mein Dank. Wir zeigen wieder: Gemeinsam können wir viel erreichen. Wenn am 25. Mai die Wahllokale schließen und wir hoffentlich wieder stark in den Kommunen und in Europa vertreten sind, dann sind es nur noch etwas mehr als drei Monate bis zur Landtagswahl. Nachdem wir auf dem 11. Landesparteitag die inhaltlichen Weichen gestellt haben, folgten auf der LandesvertreterInnenversammlung in Leipzig die personellen. Betrachtet man die nunmehr vorliegende Landesliste für die Landtagswahl, so wird sicherlich nicht jeder vollkommen zufrieden sein. Dennoch, glaube ich, haben wir mit diesem Personalvorschlag ein starkes Angebot, das wir unterbreiten können. Wir können mit diesem Team selbstbewusst in den Wahlkampf gehen. Ich freue mich daher auf die Landtagswahlen. Lasst uns mit unserem Angebot für einen Politikwechsel in Sachsen einen starken Wahlkampf machen.
Sachsens Linke! 05/2014
Meinungen Verfassungsrambo Vaatz Ausgerechnet Herr Vaatz, seines Zeichens „DDR-Bürgerrechtler“ und Fraktionsvize der Union im Bundestag, fordert eine Einschränkung des Streikrechts angesichts des Pilotenausstandes bei der Lufthansa. Er gehört zu jenen, die nicht ganz zu Unrecht freie und unabhängige Gewerkschaften und die Gewährleistung des Streikrechts für die Gewerkschaftsmitglieder in der DDR forderten. Mit der Wiedervereinigung gilt nunmehr das Grundgesetz. Artikel 9 Abs. (3) verbietet eine Einschränkung des Streikrechts! Weiß das der Pseudodemokrat Vaatz nicht? Damit hat er sich endgültig auf die Seite der Vertreter der Wirtschaft und ihrer Apologeten in den Aufsichtsräten geschlagen. Die Piloten der Lufthansa fordern nur ein, was ihnen nach den bisherigen Tarifabschlüssen zusteht. Das will das Management der Lufthansa nun einseitig aufkündigen und provoziert damit bewusst den Arbeitskampf um die Erhaltung sozialer Rechte. Da dies mit seinen Auswirkungen Herrn Vaatz nicht passt, denkt er öffentlich über die Einschränkung des Streikrechts nach – unerträglich. Herr Vaatz, was würden Sie sagen, wenn den Bundestagsabgeordneten die Bezüge und bzw. Altersversorgung willkürlich gekürzt würden? Geht leider nicht, denn diese genehmigen sich ihre üppige finanzielle Versorgung selbst, ganz ohne Streik. Raimon Brete, Chemnitz Margaret Thatcher auf der LVV Die frühere britische Premierministerin und politische Wegbereiterin des Neoliberalismus, Margaret Thatcher, war im Jahr 1975 als frisch gewählte Oppositionsführerin im britischen Unterhaus auf einem Parteitag der CDU zu Gast. In ihren Memoiren schrieb sie über diesen Besuch mit typischer „stiff upper lip“ und im Ton der Verwunderung, dass sie zwar kein Wort von dem, was geredet wurde, verstanden habe, es aber scheinbar auf Parteitagen in Deutschland üblich sei, mit dem Mund so nah wie möglich ans Mikrofon zu gehen, lauf hineinzurufen, ja fast zu brüllen, und dafür dann den Applaus des Saals zu ernten.
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur
Nun haben spätestens seit der Bankenkrise nicht nur die Geschichte, sondern auch schlichte ökonomische Tatsachen über die Politik dieser Frau ihr Urteil gesprochen. Trotzdem fühlte ich mich als Delegierter und Redner auf der letzten Landesvertreterinnenversammlung an ihre Worte über Parteitage in Deutschland erinnert. Wäre Frau Thatcher am 5. oder 6. April in der „Alten Wollkämmerei“ in Leipzig zu Gast gewesen, hätte sie aber noch erwähnen müssen, dass sich so mancher Redner auch entgegen seiner Gewohnheit lauthals am Mikrofon bemerkbar machen musste, nicht um Applaus heischend die Stimme zu heben, sondern weil im Saal eine permanente Unruhe herrschte, gegen die es anzureden galt. Wesentlich ruhiger war es, als am Sonntagnachmittag Gregor Gysi sprach. Ihm war die Aufmerksamkeit – vollkommen zu recht – sicher. Ich hätte mir diesen Respekt aber gegenüber allen Rednerinnen und Rednern an diesem Wochenende gewünscht. Denn eines kann ja auch nicht sein: Kommt der „Leitwolf“ aus Berlin, sind alle still und lauschen aufmerksam gespannt seinen Worten. Wenn sich aber eine Kandidatin um Listenplatz XY bewirbt, wird überall im Saal geschwatzt. Auch schlechte, weil vielleicht aufgeregte Rednerinnen und Redner verdienen Respekt und Aufmerksamkeit, zumal die Redezeit auf fünf Minuten begrenzt war. Dies ist im Übrigen eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wer sich politisch glaubhaft für Solidarität und Respekt gegenüber allen Menschen einsetzen will, der muss damit in den eigenen Reihen anfangen. Der aktuelle Erfolg des Buches „Das Hohe Haus“ von Roger Willemsen besteht ja auch darin, dass er sehr klar einen Widerspruch herausarbeitet, nämlich dass diejenigen, die im Bundestag die Gesetze beschließen, im Plenum sitzen und dort oftmals Zeitung lesen, miteinander quatschen, sich in der Nase bohren oder den politischen Gegner mit dümmlichen Zwischenrufen angehen, während auf der Besuchertribüne diejenigen Platz nehmen, die sich an die beschlossenen Gesetze zu halten haben, sich und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-
Seite 2 aber im Hohen Haus nicht einmal räuspern dürfen, ohne vom Besucherdienst streng angeschaut zu werden, der immer in der Angst agiert, die Würde des Parlamentes könnte durch Gäste eine Störung erfahren. Für mich ist es eine Frage der Gerechtigkeit, nicht nur dem exzellenten Fraktionsvorsitzenden aufmerksam zu lauschen, sondern auch dem ungeübten Redner. Wer sich für die im Saal gehaltenen Reden nicht interessiert, kann gern außerhalb des Saals das Gespräch mit anderen suchen. Und wer vor der Vorstellung einzelner Bewerberinnen und Bewerber schon weiß, wen er wählt, kann ja trotzdem zuhören und Interesse bekunden. Die Gefahr, dadurch dümmer zu werden, ist nicht gegeben. Sandro Tröger, Zwickau Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin Am 07. März besuchten Heiderose Gläß, Landtagsabgeordnete der LINKEN aus Löbau, und der Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft für antifaschistische Politik, Jens Thöricht, die Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin und bereiteten damit eine Bildungsfahrt vor. Das Lager Lichtenburg hatte im NS-Staat als eines der ersten Konzentrationslager Vorläuferfunktion für das Lagersystem im Deutschen Reich. Am 13. Juni 1933 wurde es als „Konzentrationslager für männliche Schutzhäftlinge“ eingerichtet. Für 1000 Häftlinge geplant, war das KZ Lichtenburg bereits im September 1933 mit ca. 2000 Häftlingen stark überbelegt. Dadurch verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Häftlinge extrem. Mindestens 20 (dokumentiert) Häftlinge sind in der Zeit des Lagerbestehens durch Misshandlungen, schlechte Haftbedingungen und Morde im Strafbunker umgekommen. Es heißt, hier wurde der Prügelbock erfunden, der in anderen Konzentrationslagern übernommen wurde. Alfred Schneider – der Vater von Heiderose Gläß – war als Schutzhäftling in dem Lager inhaftiert. Zu 18 Monaten Gefängnis wegen Hochverrates verurteilt, saß er diese Strafe erst im damaligen Breslau und anschließend im Görlitzer Gefängnis ab. Nach Verbüßen der Haftstrafe wurde er in Schutzhaft genommen. „Angst vor dem Bullen mit dem Ochsenziemer“, onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 15.150 Exp. gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
so schrieb Heidis Vater aus der „Lichte“ und meinte damit das KZ Lichtenburg Prettin. Wer Interesse hat, das KZ zu besuchen und auf den Spuren von Alfred Schneider am Ort des Grauens zu gehen, sollte sich den 12. Juli 2014 fest im Terminkalender einplanen. Wir fahren 08:00 Uhr am Zittauer Büro der LINKEN in das KZ Lichtenburg Prettin ab. Anmeldungen sind ab sofort bei Jens Thöricht unter 03583/586017 bzw. per Email an jens.thoericht@linksmail.de möglich. Schwere Bedrohung für Russland Es ist schön, dass die LINKE die antirussische Hetze und die einseitige Darstellung der gleichgeschalteten systemtragenden Mainstreammedien kritisiert. Leider bleibt auch die „Links!“ davon nicht unbeeinflusst, insbesondere bei der Karikatur. So fanden in den von den USA, der EU bzw. NATO überfallenen Staaten keine Volksabstimmungen statt, die dies befürworteten. Umgekehrt widerspricht der Wechsel der Krim von der Ukraine zu Russland nicht dem Völkerrecht und wurde nicht von Putin, sondern der Krimbevölkerung durchgesetzt. Der „Rechte Sektor“ und die Bandera-Anhänger (z. B. Swoboda, weitere Mächtige) sind zwar keine unmittelbare Bedrohung für Russland, wohl aber für die ukrainischen Linken, die russischsprachige Bevölkerung usw. Außerdem arbeiten sie mit westlichen Kräften zusammen, die eine schwere Bedrohung für Russland darstellen, auch wegen deren militärischer Überlegenheit. Früher war dies das Dritte Reich, heute EU und USA. Diese wollen eine Unterwerfung möglichst großer Gebiete (z. B. freier Zugang zu Märkten und Rohstoffen), notfalls mit Gewalt, und eine Schwächung der übrigen Länder. Dafür dient auch die kritisierte Berichterstattung. Russland will dagegen, ob aus Überzeugung oder militärischer Schwäche, den Schutz der russisch(sprachig) en Bevölkerung, keine Bedrohung an den eigenen Grenzen und (Handels-)Beziehungen, von denen alle Beteiligten profitieren, aber keine Besetzung anderer Länder. Deshalb verweigerten sie den Einmarsch in die Ukraine und verlangen stattdessen Volksabstimmungen und Verhandlungslösungen. Uwe Schnabel, Coswig
So gesehen
Revoltieren von Stathis Soudias Und nun die Ukraine. Allerorts, wochenlang, ununterbrochen Berichte. Und Drohungen. Von der EU, der NATO, der US-Regierung. Mahnungen und Sanktionen aller Art. Gegen Russland. Was immer im Einzelnen dabei Wahrheit sein soll, wir sollten nicht vergessen: Erstens ist Russland kein sozialistischer Staat und Putin ein gewichtiger Spieler im Weltkasino. Und zweitens sind die Ereignisse in die Ukraine kein singuläres Phänomen. Vielmehr sind sie Glieder in einer großen Kette. Erinnern wir uns an die „Jasminrevolution“ in Tunesien, die am 17. Dezember 2010 begann. Landesweite Massenunruhen in der Bevölkerung, die sich in Wellen von Protestaktionen gegen das Regime und die Lebensbedingungen richten. Massenproteste unterschiedlicher Teile der Bevölkerung auch in Ägypten. Die Demonstranten wenden sich vor allem gegen das Regime des ägyptischen Präsidenten Mubarak, dem Korruption und Amtsmissbrauch vorgeworfen wird. Der „arabische Frühling“ macht die Runde. Libyen und Syrien folgen. Eines haben diese Aufstände gemeinsam: Das Volk will die Macht an sich reißen, will ein Stück vom Kuchen für sich. Nur kurz davor hat die größte Finanzkrise den Erdball erschüttert. Eine gewaltige Wirtschaftskrise folgte, deren Auswirkungen wir heute noch gar nicht übersehen können. Und nun beginnt ein „neues Spiel“. Regierungsgegner rufen in Venezuela zu Protesten auf. Ähnliches in Thailand. Und in beiden Ländern stehen Multimilliardäre hinter den Protesten gegen die gewählten Regierungen. Kurzum: Der Spieß wurde umgedreht. Weil die Finanzoligarchen auch die politische Macht haben wollen. Sie korrumpieren Teile des Volkes, finanzieren und entfachen „Volksproteste“. Nicht zu vergessen, die „Sparpolitik“ der EU, die ganze Völker entmündigt und ausraubt, um die Gewinne der Finanzspekulanten zu sichern. Nüchtern betrachtet ist die Ukraine nur ein weiterer Schritt, ein weiteres Steinchen. Wir sind Zeuge des brutalen, globalisierten Klassenkampfes. Nicht mehr, nicht weniger.
Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:
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Die nächste Ausgabe erscheint am 30.04.2014.
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Redaktionsschluss 20.04.2014
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BI „Leipzig Korrektiv“ besucht Edit Pikács Am 12. April 2014 besuchten die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky, Stephan Bosch und Richard Gauch, allesamt Mitglied in der Bürgerinitiative „Leipzig Korrektiv“ sowie der Bürgerrechtler Aladár Horvath Frau Edit Pikács in Galgagyörk. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung in Ungarn sind Roma. Viele von ihnen leben in ärmlichen Verhältnissen. Auch andauernde Diskriminierung und Ausgrenzung von der ungarischen Mehrheitsgesellschaft prägen ihren Alltag. Die von Roma bewohnten Häuser sind oft in einem ruinösen Zustand sowie ohne Strom- und Wasseranschluss. Die Chancen der Roma auf eine Berufsausbildung, einen sicheren Arbeitsplatz, angemessene Gesundheitsversorgung und auf Akzeptanz in der ungarischen Bevölkerung sind erschreckend schlecht. So lebt die Mehrheit der Roma, so wachsen sie auf, so prägt sich das Bild von ihnen. Oft hörten wir die Vorurteile: „Die Roma sind kriminell, dreckig und faul und sie wollen es auch nicht anders.“ Spricht man das Thema Roma gegenüber VertreterInnen der sogenannten Mehrheitsbevölkerung in Ungarn an, so bekommt man ganz sicher auch eine vorurteilsbehaftete, schreckliche Geschichte über die „Machenschaften der Roma-Clans“ zu hören. Kenntnisse über die Roma-Kulturen sind hingegen in der Mehrheitsbevölkerung so gut wie nicht vorhanden. In Ungarn leben die Roma in der ständigen Angst vor Übergriffen durch Rechtsextremisten. Besonders gefürchtet ist die gewaltbereite „Neue Garde“. Schon unter ihrem alten Namen „Ungarische Garde“, die verboten worden war, verbreiteten sie als Verbündete der Partei Jobbik Angst und Schrecken. Mit ihrer ständigen Hetze gegen die Roma hat sich der kulturell tiefsitzende und niemals hinterfragte
Antiziganismus in der ungarischen Gesellschaft radikalisiert. Die „Neue Garde“ verbreitet eine rassistische, antisemitische und antiziganistische Ideologie. Dabei hat sie oft die Unterstützung der sogenannten „gleichgeschalteten staatlichen Medien“ sowie ihrer verbündeten Partei Jobbik und einem Großteil der ungarischen Mehrheitsbevölkerung. Auf fruchtbaren Boden treffen die Hetztiraden
ße. Sie haben lautstark gerufen: „Ihr werdet verrecken, ihr dreckigen Zigeuner“ und „Wir machen euch den Holocaust“. Wir riefen die Polizei. Jedoch bis diese eintraf, waren die maskierten Personen schon verschwunden. Bis heute sind sie „unbekannte Täter“. Am folgenden Tag marschierte die Ungarische Garde auf und kesselte uns Roma ein. Wieder wurde die Polizei gerufen, aber die „Magyar Garda“
nicht zu Hause schlief. Wir hatten alle Todesängste! Ich rief die Polizei an und sie fragten am Telefon: „Wer schießt denn dort?“ Ich sagte: „Keine Ahnung, aber kommen sie schnell, wir werden hier alle gekillt!“ Die Polizei kam, und die Polizisten fassten ohne Handschuhe alles herumliegende an. Sie sammelten fünf Patronenhülsen auf. Einige Zeit später kamen weitere Spezialisten der Polizei aus Budapest, diese trugen wenigstens Gummihandschuhe. Die Ermittler vernahmen uns. Sie fragten, bei wem wir Schulden hätten? Ich sagte, dass wir keine Schulden haben, außer bei der OTP (ungarische Sparkasse). Sie wollten Beweise finden, um zu sagen, es seien irgendwelche Wucherer am Werk gewesen. Ich sagte, es müssen Gardisten gewesen sein, doch sie entgegneten, dass es hierzu kein Zusammen-
hang zu finden wäre. Ich wusste damals schon, dass es wohl einen Zusammenhang gab. Zu dieser Zeit nahmen die Ermittler die Sache nicht ernst, erst einige Monate später, als es dann Tote gab. Außer unserer Familie waren auch weitere zwei Häuser und deren Bewohner betroffen. Diese Tage hinterließen Spuren in der ganzen Familie. Wir wagten es einige Zeit lang nicht, zu Hause zu schlafen. Wir kamen bei meiner Mutter im Nachbardorf für einige Zeit unter. Mein Mann war damals schon an Krebs erkrankt, die Chemo-Therapie und die Bestrahlung belasteten ihn zusätzlich sehr stark. Wir bekamen von niemandem irgendeine Hilfe, am Haus und in der Wohnung sind noch immer Einschuss-Spuren zu sehen. Unser einziges Glück ist, dass wir noch leben. Mein damals 4 1/2 Jahre alter Enkel erwähnt die Tage immer wieder, bis heute! Oft weint er in der Nacht vor Angst. Es ist ihm bis heute nicht möglich, allein dem Weg zur Schule zu gehen. Die Teilnahme an Klassenfahrten oder Ausflüge mit Übernachtung sind für den nun 10jährigen Jungen bis heute unmöglich, so tief und unaufgearbeitet ist sein Trauma“. Frau Pikács weiter: „Wir wurden auch Opfer rassistischer Gewalt. Familien, die durch die Serie von Morden an Roma Todesopfer zu beklagen haben, bekommen vom ungarischen Staat eine Entschädigung. Aber wir starben nicht“. Die Bürgerbewegung um Aladár Horvath, die Kooperationspartner der BI „Leipzig Korrektiv“ ist, nimmt sich dieser Problematik an. Wir bitten nun alle LeserInnen um Hilfe. Der Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in Ungarn auf politischem Wege zu begegnen, scheint ein langer und steiniger Weg. Initiative Leipzig Korrektiv Roter Baum e V. Leipzig, Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE49850205000003474500, BIC: BFSWDE33DRE
Veranstaltungsstrategie bis zum Jahr 2019. Deutliches Indiz für die Akzeptanz durch die Mitglie-
der: Das Konzept wurde einstimmig angenommen. Manfred Thomas
ich weiter in der Küche geblieben, so hätten sie mich erschossen. Durch die Fenster schossen sie hinein. Später sah die Küche aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte, das Wohnzimmer bekam auch einiges ab. Hier schlief der Rest der Familie mit unserem Enkelkind Mikike. Mein Sohn und mein Enkel waren leichenblass, sie zitterten am ganzen Körper. Ein Glück, dass meine schwangere Tochter
Bild: Leipzig Korrektiv
der „Neuen Garde“ vor allem in den ärmeren Regionen Nordostungarns. Nach einer Serie von Morden an Roma in den Jahren 2008 und 2009 ist die Lage immer noch höchst gefährlich. Nächtliche Überfälle, Willkürherrschaft und Einschüchterung durch sogenannte Bürgerwehren gehören für viele Roma immer noch zum traurigen Alltag. Edit Pikács aus Galgagyörk beschreibt es so: „Der Höhepunkt des Leidens unserer Familie begann 2008. Zu dieser Zeit gingen wir beide, mein Mann und ich, arbeiten. Wir haben drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Am 14. Juni gab es eine heftige verbale Auseinandersetzung zwischen einer Roma und einer Nicht-Roma-Familie in unserer Straße. Die Polizei wurde gerufen und nahm ein Protokoll auf. In der Nacht randalierten maskierte Personen in unserer Stra-
konnte nur von einer Spezialeinheit der Polizei gestoppt werden. Nach einiger Zeit erschienen Leute von den TV-Sendern Echo-TV und Hir-TV, mit ihnen kam auch Zsolt Bayer. Er ist mit seinen rassistischen Äußerungen ein bekannter Journalist und guter Freund von Victor Orbán. Er machte mit der sogenannten „von der Ungarischen Garda geretteten“ Familie ein Interview und daraus eine Reportage, aus der hervorging, dass alles „nur wegen der Roma aus Galgagyörk“ passiere. Dies weckte die Aufmerksamkeit der Täter der nun folgenden Serie von Morden an Roma.“ Edit Pikács berichtet weiter: „In der Nacht des 21. Juli 2008 habe ich in der Küche geschlafen, es regnete stark. Auf einmal hörten wir ein lautes Knallen. Zu meinem Glück ging ich ins Wohnzimmer, um Licht zu machen. Wäre
Wechsel auf der Kapitänsbrücke Erstmals war das Gewerkschaftshaus in der „Karli“ am 8. März Tagungsort der Mitgliederversammlung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Zum Auftakt gab es Glückwünsche zum Internationalen Frauentag mit dem Gedicht „Brot und Rosen“ - vorgetragen von Geschäftsführerin Stefanie Götze. 90 Mitglieder und Gäste erwarteten mit Spannung Antwort auf viele Fragen, die in den vergangenen Wochen bereits auf mehreren Zusammenkünften zur neuen Veranstaltungsstrategie diskutiert wurden: Wie schaffen wir es, rund 25 Jahre nach
der Gründung der Stiftung, den anstehenden, notwendigen Umbruch zu meistern, den nicht immer einfachen Dialog zwischen den Generationen produktiv zu gestalten? Der vorgelegte Bericht über die Arbeit im zurückliegenden Jahr und die Ergänzungen durch die Stiftungsvorsitzende Dr. Monika Runge und von Schatzmeister Dr. Bernd Juhran verdeutlichten, dass die neuen Aufgaben von einem soliden Fundament aus in Angriff genommen werden können. Dabei blieben Sorgen und Probleme keineswegs unerwähnt. Rico Gebhardt, Landes- und Frakti-
onsvorsitzender der Partei DIE LINKE, wählte in seinem Grußwort den Vergleich vom Schiff, das trotz mancher Wellen seinen guten Kurs beibehalten hat. Dass dies auch künftig so sein wird, versicherte der „neue Kapitän“ auf der Brücke. Prof. Peter Porsch wurde mit 90 Prozent als Vorsitzender gewählt. Zuvor gab es viel Beifall und Dankesworte für Dr. Monika Runge, die weiter als Vorstandsmitglied ihre Erfahrungen einbringen wird. Und die erwarteten Antworten? Auch diese wurden gegeben: im Bericht des Vorstandes, der Diskussion und der beschlossenen
Bild: Gerd Eiltzer
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Direktkandidierende zur Landtagswahl
In dieser Ausgabe: Robert Sobolewski, Annelore Liebchen Halli Hallo, mein Name ist Robert Sobolewski, ich komme aus Geringswalde. Ich bin 27 Jahre alt und arbeite seit über zehn Jahren als Mechatroniker und Vorarbeiter in einer Firma, die sich um Kühlwasseranalyse und Dosiertechnik im Kraftwerksbereich spezialisiert hat. Seit zehn Jahren bin ich Mitglied der Linksjugend [´solid] und seit sieben Jahren Mitglied in der Linken. Außerdem bin ich seit 2011 auch Teil des Kreisvorstandes Mittelsachsen, dem ich mit viel Freude und, wie ich meine, auch mit viel Engagement beiwohne. Dort versuche ich den älteren Genossen die Bedürfnisse, Sorgen und Anliegen unserer Jugend nahezubringen. Im Gegenzug versuche ich auch der Jugend das Handeln und die Ansichten der älteren Genossen nahezu-
sischen Landtag, um auch ein Mitspracherecht für alternative Jugendliche und Subkulturen in der Landespolitik zu erhalten. Außerdem gibt es zu viele Missstände im Freistaat, die geändert werden müssen – angefangen beim lächerlichen sächsischen Demokratieverständnis, weiter über kommunale Mittelvergabe sowie im Tier- und Umweltschutz. Dazu gehört aber auch der Umgang mit Polizei, Sicherheitsbehörden und Nazis, denn so etwas wie der NSU muss ein für alle Mal unterbunden werden, weil Nazis leider immer noch frei agieren können. Ich möchte für ein Sachsen streiten und kämpfen, das sozialer, weltoffener und antifaschistisch ist und Diskriminierung jeder Art aufs härteste verurteilt. Außerdem darf sich
bringen und somit eine Brücke bauen. Seit 2013 bin ich Mitglied im Vorstand der Tiernothilfe Leisnig, die wir als Linksjugend ohnehin seit mehreren Jahren unterstützen. Ich kandidiere für den Säch-
Sachsen nicht länger mit der höchsten „Abschieberate“ von Flüchtlingen in der gesamten Republik rühmen, denn Bleiberecht für alle – und zwar überall – sollte das Ziel einer weltoffenen Gesellschaft sein.
Bis Ende der 1980er Jahre war ich als Werbeleiterin bei der Konsumgenossenschaft Kreis Schwarzenberg tätig. Nach Auflösung des Konsums folgte eine Weiterbildung zur Computergrafikerin. 1994 ging ich in die Selbstständigkeit, gründete eine kleine Werbefirma und arbeitete bis 2004 als Dozentin für verschiedene Bildungsfirmen. Seit meiner Schulzeit bin ich ehrenamtlich politisch aktiv. Mitglied der Partei bin ich seit 41 Jahren. Während der Wendezeit engagierte ich mich als Kreisvorstandsmitglied in Schwarzenberg und später in Aue-Schwarzenberg. 2004 wurde ich in den Gemeinderat von Pöhla gewählt. Nach vierjährigem Kampf gelang es, Pöhla nach Schwarzenberg einzugemeinden. 2008 wurde ich zur Ortsvorsteherin gewählt. Schnell waren wir uns im Ortschaftsrat einig, dass das ehemalige Rathaus im Ortszentrum weiter kommunal genutzt werden soll. Eine Arzt- und Zahnarztpraxis beherbergte das Gebäude schon. Ein neu gegründeter Heimat- und Geschichtsverein bezog noch leer
stehende Räume, richtete eine Bibliothek ein, zeigt Ausstellungen und führt Veranstaltungen durch. Die Stadt Schwarzenberg hat sich jetzt dazu bekannt, das Gebäude zu sanieren. 2010 gab es nur 13 Anmeldungen für die örtliche Grundschule, und die Schulschließung wurde angeordnet. Für die Vereine, Feuerwehr und das kulturelle Leben im Dorf ist dies ein erheblicher Eingriff in die Infrastruktur. Viele Kinder sind jetzt erst nach 15 Uhr zu Hause. Für Vereinsarbeit ist wenig Zeit und es gibt Nachwuchsprobleme. Unser Ort war bis zur Wende ein Trainingszentrum Ski und hatte hauptamtliche Trainer. Talentierte Nachwuchssportler gingen nach Klingenthal oder Oberwiesenthal. Jens Weißflog kommt aus Pöhla und profitierte von der guten Zusammenarbeit des Sportvereins mit der Schule. Jetzt haben wir ehrenamtliche Trainer und keine Lehrer mehr, die sich im Sportverein engagierten. Erhebliche Nachwuchsprobleme hat auch die Feuerwehr, denn mit der Grundschule wurde eng zusammengearbeitet. Eine kostspielige Werbekampagne des Innenministeriums – „Helden gesucht!“ – hat der Jugendfeuerwehr keinen Nachwuchs gebracht. Im Landtag würde ich mich für eine familienfreundliche Politik durch längeres gemeinsames lernen in Gesamtschulen nahe der Wohnorte einsetzen. In kleineren Orten sollte es doch im Interesse junger Familien Möglichkeiten geben,
erste Klassen mit 10 Schülern zu eröffnen. Schließlich leisten wir uns bundesweit 16 Kultusministerien, in denen von Klasse 1-10 ähnliche Lehrpläne für jedes Bundesland erstellt werden. Mit einheitlichen Lehrplänen und Lehrbüchern könnte da schon Personal für Schulen frei werden. Der Schülertransport auf Kosten der Eltern trägt auch nicht dazu bei, Familien in ländlichen Regionen zu halten. Sie siedeln in Gebiete mit Schulstandorten um. Da auch aus meinem Ort und unserer Umgebung viele Fachkräfte der Arbeit und fairen Löhnen nachfahren, ist es in Sachsen notwendig, dem Betriebsverfassungsgesetz mehr Bedeutung zu schenken. Die wenigsten Firmen verfügen über Arbeitnehmervertretungen. Teile Sachsens sind zum Billiglohnland und Zeitarbeit ist zur „Dauerarbeit“ geworden. Hier bedarf es klarer Regeln. Dass Zeit- oder Leiharbeit funktionieren können, zeigen einige Firmen, in denen Gewerkschaft und Betriebsrat aktiv sind. Wirtschaftsförderung in unserem Freistaat wird groß geschrieben. Nach 25 Jahren Einheit ist es an der Zeit, dass auch bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern etwas vom Gewinn ankommt. Damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben. Junge Leute wünschen sich sichere Arbeitsplätze zu fairen Löhnen, Kinderbetreuung und Schulen nahe an den Wohnstandorten, um Familien gründen zu können. Nur so kann der demografische Wandel gebremst werden.
Auf in einen engagierten Wahlkampf – Europa geht anders: sozial, friedlich, demokratisch Liebe Genossinnen und Genossen, wenn am 25. Mai gleichzeitig mit den Kommunalwahlen in zehn Bundesländern das Europäische Parlament gewählt wird, dann treten wir an, um Europa zu verändern. Diese Veränderung beginnt vor Ort, mit uns. Wir sind in diesem Wahlkampf diejenigen, die sich mit den Mächtigen anlegen. Wir werden die Stimme derjenigen sein, die keine Lobby haben. Seit der letzten Wahl ist die Erwerbslosigkeit in der Europäischen Union gestiegen, besonders bei jungen Menschen. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet, die Macht der Banken und der großen Unterneh-
men ist gewachsen. Die europäische Einigung als Idee des friedlichen Zusammenwachsens unseres Kontinentes wird immer weiter zu einem reinen Projekt verfremdet – weg von den Menschen und hin zu den Märkten. Die Europäische Union hat die Märkte geöffnet und die Konkurrenz der Standorte befeuert – der Druck auf Löhne ist spürbar, soziale Rechte werden beschnitten bzw. verweigert. Die Politik der EU findet Regelungen für Bratwürste und Gemüse, aber keine, die Banken und Spekulationen wirksam kontrollieren. Sie geht mit unmenschlicher Härte gegen Flüchtlinge vor, die zu Tausenden an den Grenzen umkommen, aber setzt keine Grenzen für Steuerflucht. Und
vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen wird deutlich: Europa braucht DIE LINKE mit klaren friedenspolitischen Positionen. Wir haben in Berlin unsere Kampagne zur Europawahl den Medien präsentiert – unsere Schwerpunkte gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie stehen im Mittelpunkt des Wahlkampfes. Die Plakate und die ersten Materialien sind bereits in die Kreisgeschäftsstellen ausgeliefert – der Wahlkampf kann also losgehen. Um einen fulminanten Wahlkampf hinzulegen, brauchen wir wieder viele aktive Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer. Unsere Partei verfügt bekanntllch nicht über die Mil-
lionenspenden, mit denen wir Leute fürs Plakatieren oder Zeitung verteilen einkaufen könnten. Vor allem aber ist das persönliche Gespräch der beste und nachhaltigste Wahlkampf. Daher unsere Bitte: Wenn Du es noch nicht getan hast, dann meldeDich bei Deinem Kreisvorstand und besprich, was Du im Wahlkampf tun kannst – es werden für ganz unterschiedliche Aufgaben viele helfende Hände gebraucht. Wenn du vor Ort keinen Kontakt findest, dann kannst Du Dich auch an die Bundesgeschäftsstelle per Telefon (030/24 009-111) oder online über www.linksaktiv.de wenden. Und natürlich wäre es großartig, wenn Du selbst neue aktive Mitstreiterinnen und Mitstreiter für unseren Wahl-
kampf gewinnst. Sprich Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde oder auch Verwandte doch einfach mal an, ob sie nicht mitmachen wollen. Auch Nichtmitglieder sind selbstverständlich herzlich eingeladen. In diesem Sinne laden wir Dich ein, im bevorstehenden Wahlkampfwieder gemeinsam mit uns für unsere Ziele und eine starke linke Fraktion im Europaparlament zu streiten. Mit Mut, mit einem kritischen Blick und hoffentlich auch mit Lust und Spaß. Mit solidarischen Grüßen Katja Kipping Bernd Riexinger Matthias Höhn
Kommunal-Info 4-2014 23. April 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Gesundheit Die Rolle der Landkreise bei der gesundheitlichen Versorgung Seite 3
Nebenangebote Entscheidung des BGH zu Nebenangeboten
Seite 3
Flächenfraß Kommunen könnten ihre Brachen und Baulücken besser nutzen Seite 4
Freihandelsabkommen Kommunale Daseinsvorsorge herausnehmen
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Hauptsatzung & Geschäftsordnung Wenn die bei den Kommunalwahlen am 25. Mai neugewählten Stadt, Gemeinde- Kreisräte danach zu den konstituierenden Sitzungen zusammenkommen, dann werden in diesen Sitzungen die Räte vom Bürgermeister bzw. vom Landrat auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet. In der Regel werden in der konstituierenden Sitzung die Hauptsatzung der Gemeinde/des Landkreises und die Geschäftsordnung des Gemeinderats/ Kreistags beschlossen.1
Hauptsatzung
Die Hauptsatzung ist so etwas wie ein Grund- und Verfassungsstatut einer Gemeinde. Im Unterschied zu allen anderen Satzungen, die die Gemeinde beschließt, muss sie mit der Mehrheit der Stimmen aller Gemeinderatsmitglieder beschlossen werden. Dabei zählt die Stimme des Bürgermeisters mit, da er ja stimmberechtigtes Mitglied im Gemeinderat ist. Zählt ein Gemeinderat z.B. 16 Gemeinderäte + Bürgermeister (=17), dann wäre für den Beschluss der Hauptsatzung eine Mehrheit von 9 Stimmen erforderlich. Mit dem Beschluss durch eine qualifizierte Mehrheit soll verhindert werden, dass die Hauptsatzung etwa durch eine im Gemeinderat gerade zufällige Mehrheit zustande kommt und auch allzu häufigen Änderungen unterworfen wird. Die Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen (SächsGemO) schreibt in der ab 1.Januar 2014 geltenden Fassung den Erlass einer Hauptsatzung in allen Gemeinden zwingend vor (§ 4 Abs. 2). Jedoch war es bislang schon gängige Praxis in den Gemeinden, Hauptsatzungen zu erlassen, um für den Gemeinderat eine stabile und kontinuierliche Arbeitsweise zu gewährleisten.
Mit der Hauptsatzung kann das durch die SächsGemO gesetzte Recht durch spezielle Regelungen ergänzt werden, um bestimmten Gemeindebesonderheiten (etwa der besonderen Siedlungsstruktur und Größe der Gemeinde) Rechnung zu tragen. Diese Regelungen müssen sich aber in jedem Fall in dem durch die SächsGemO vorgegebenen gesetzlichen Rahmen bewegen und dürfen den gesetzlichen Bestimmungen nicht widersprechen. Der Sinn kommunaler Satzungsautonomie besteht gerade darin, den Gemeinden eine eigene Gestaltungsfreiheit zu überlassen, damit sie ihre Angelegenheiten nach eigenen Zweckvorstellungen und den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten entsprechend regeln können. Den Gemeinden steht es dabei frei, ihre Hauptsatzung entweder auf das zwingend notwendige Maß zu beschränken oder darüber hinaus weitere Bestimmungen aufzunehmen. Je nach den örtlichen Bedürfnissen können z.B. Bestimmungen zum Gemeindegebiet, zum Leitbild der Gemeinde, zum gemeindlichen Wappen, zu örtlichen Gedenktagen oder zum Dienstsiegel aufgenommen werden. Die Musterhauptsatzung des Sächsischen Städte- und Gemeindetags hat für die Gemeinden zwar keinen verbindlichen Charakter, erfüllt aber für die Abfassung der Hauptsatzungen in den Gemeinden eine wichtige Hilfsfunktion, da sie ein hohes Maß an rechtlicher Verlässlichkeit gibt. Die Hauptsatzung gilt über die Wahlperiode hinaus, d.h. der neugewählte Gemeinderat ist zunächst weiterhin daran gebunden. Die Änderung der Hauptsatzung kann nur durch eine Änderungssatzung erfolgen, die ebenfalls durch eine qualifizierte Mehrheit aller Mitglieder des Gemeinderats zu be-
schließen ist. Die Hauptsatzung sowie Änderungssatzungen bedürfen keiner Genehmigung durch die Rechtsaufsichtsbehörde2, müssen ihr aber unverzüglich angezeigt werden. Wie andere gemeindliche Satzungen ist die Hauptsatzung öffentlich bekanntzumachen und tritt erst am Tage nach ihrer Bekanntmachung in Kraft. Werden mehrere Gemeinden zu einer neuen Gemeinde zusammengeschlossen, muss eine neue Hauptsatzung beschlossen werden, alte Hauptsatzungen aus aufgelösten Gemeinden haben keine Fortgeltung.
Gestaltungsspielräume
Welche Gestaltungsmöglichkeiten lässt die SächsGemO für die Hauptsatzung einer Gemeinde zu: das Quorum für Anträge auf Durchführung einer Einwohnerversammlung kann bis auf 5 % herabgesetzt werden (§ 22 Abs. 2) – in Landkreisen finden prinzipiell keine Einwohnerversammlungen statt; das Quorum für Einwohneranträge, mit denen sich der Gemeinderat innerhalb von 3 Monaten zu befassen hat, kann bis auf 5 % herabgesetzt werden (§ 23) – in Landkreisen besteht keine Möglichkeit, das Mindestquorum von 10 % abzusenken; das Quorum für Bürgerbegehren kann bis auf 5 % herabgesetzt werden (§ 25 Abs. 1) – in Landkreisen besteht keine Möglichkeit, das Mindestquorum von 10 % abzusenken; die Zahl der Gemeinderäte kann um die nächsthöhere Größengruppe heraufgesetzt oder auf die nächstniedere Größengruppe herabgesetzt werden (§ 29 Abs. 3) – in Landkreisen besteht für die Zahl der Kreisräte eine analoge Regelung nicht;
die Bildung von beschließenden Ausschüssen und die Übertragung bestimmter Aufgabengebiete zur dauernden Erledigung (§ 41 Abs. 1); Anträge, die nicht vorberaten worden sind, können auf Antrag des Vorsitzenden oder eines Fünftels aller Mitglieder des Gemeinderats den zuständigen beschließenden Ausschüssen zur Vorberatung überwiesen werden (§ 41 Abs. 1); die Bildung von beratenden Ausschüssen (§ 43 Abs. 1); beratende Ausschüsse können den Vorsitzenden aus ihrer Mitte wählen, der dann insoweit die Aufgaben des Bürgermeisters wahrnimmt (§ 43 Abs. 3); die Bildung eines Ältestenrates (§ 45); die Bildung eines Beirates für geheimzuhaltende Angelegenheiten und von sonstigen Beiräten (§§ 46, 47); die Bestimmung der Hauptamtlichkeit des Bürgermeisters in Gemeinden mit weniger als 5.000, aber mehr als 2. 000 Einwohnern (§ 51 Abs. 2); das Quorum für Bürgerbegehren zur Einleitung eines Abwahlverfahrens des Oberbürgermeisters in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern kann auf ein Fünftel herabgesetzt werden (§ 51 Abs. 8) – in Landkreisen gilt generell ein Mindestquorum von 50 % für die Abwahl des Landrats; die dauernde Übertragung von Aufgaben auf den Bürgermeister (§ 53 Abs. 2); die Stellvertretung des Bürgermeisters kann auf den Vorsitz im Gemeinderat und die Vorbereitung seiner Sitzungen sowie auf die Repräsentation der Gemeinde beschränkt werden, in diesem Falle hat der Bürgermeister im Einvernehmen mit dem Gemeinderat Fortsetzung auf Seite 2
Kommunal-Info 4/2014 einen oder mehrere geeignete Bedienstete zu bestellen (§ 54 Abs. 2); die Bestimmung der Zahl der Beigeordneten (§ 55 Abs. 1); die Bestellung des/der Gleichstellungsbeauftragten und weiterer Beauftragter für spezielle Aufgabengebiete (§ 64); die Einführung der Ortschaftsverfassung (§ 65 Abs. 1) und Bestimmung der Zahl der Ortschaftsräte (§ 66 Abs. 2); die Übertragung weiterer Angelegenheiten auf den Ortschaftsrat (§ 67 Abs. 2); die Durchführung von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren in den Ortschaften (§ 69 Abs. 2); die Aufhebung der Ortschaftsverfassung durch Änderung der Hauptsatzung zur nächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte (§ 69a Abs. 1); die Einteilung des Stadtgebietes der Kreisfreien Städte in Stadtbezirke (§ 70 Abs. 1); die Bestimmung der Zahl der Mitglieder des Stadtbezirksbeirates in Kreisfreien Städten (§ 71 Abs. 1).
Seite 2 sie nicht zugleich gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, haben deshalb keinen Einfluss auf die so gefassten Beschlüsse.4 Deshalb beeinträchtigt ein Verstoß gegen ihre Bestimmungen die Gültigkeit einer Entscheidung im Gemeinderat nicht, sofern nicht zugleich ein Verstoß gegen gesetzliche Verfahrensvorschriften vorliegt. Der Bürgermeister kann daher wegen eines solchen Verstoßes nicht nach § 52 Abs. 2 widersprechen, die Rechtsaufsichtsbehörde kann Verstöße gegen die Geschäftsordnung nicht nach § 114 beanstanden).5 Erst wenn ein wesentlicher Verstoß gegen die Geschäftsordnung vorliegt, führt das regelmäßig zur Rechtswidrigkeit des ihn betreffenden Beschlusses des Gemeinderats. Wesentlich ist ein Verstoß, wenn: gegen die Rechte der Mitglieder des Gemeinderats, Gruppenrechte (Frakti-
Bürgermeister, die Zusammensetzung, der Geschäftsgang und die Aufgaben des Ältestenrates.
Gesetzliche Vorgaben
Die SächsGemO sieht vor, zu folgenden Angelegenheiten gesetzliche Vorschriften durch die Geschäftsordnung auszugestalten.
Anfragerecht der Gemeinderäte (§ 28 Abs. 6):
Danach kann jeder Gemeinderat an den Bürgermeister schriftliche oder in einer Sitzung des Gemeinderats mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten der Gemeinde richten, die binnen angemessener Frist, die grundsätzlich vier Wochen beträgt, zu beantworten sind. Näheres ist in der Geschäftsordnung zu regeln.
Fraktionen (§ 35a Abs. 1, 4):
Die Bildung, die Stärke der Fraktio-
Mitwirkung im Gemeinderat und in den Ausschüssen (§ 44):
In der Geschäftsordnung kann Näheres bestimmt werden, wie sachkundige Einwohner und Sachverständige in die Beratungen einbezogen werden können, wie den Einwohnern oder Vertretern von Bürgerinitiativen die Gelegenheit gegeben werden kann, in einer Einwohnerfragestunde das Wort zu ergreifen oder wie bei der Vorbereitung wichtiger Entscheidungen betroffenen Personen und Personengruppen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Auffassung vorzutragen (Anhörung).
Ältestenrat (§ 45):
Wird durch die Hauptsatzung ein Ältestenrat gebildet, der den Bürgermeister in Fragen der Tagesordnung und des Gangs der Verhandlungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse berät, ist Näheres über die Zusammensetzung und den Geschäftsgang in der Geschäftsordnung zu regeln. A. G.
Geschäftsordnung
Mit § 38 Abs. 2 SächsGemO hat der Gemeinderat zwingend seine inneren Angelegenheiten, insbesondere den Gang seiner Verhandlungen, durch eine Geschäftsordnung zu regeln. Wie bei der Hauptsatzung müssen sich die Regelungen der Geschäftsordnung in dem durch die SächsGemO vorgegebenen gesetzlichen Rahmen bewegen und dürfen den gesetzlichen Bestimmungen nicht widersprechen. Im Unterschied zur Hauptsatzung ist die Geschäftsordnung des Gemeinderats von ihrer Natur her keine kommunale Satzung, sie bedarf daher nicht zwingend einer öffentlichen Bekanntmachung und ist auch gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde nicht anzeigepflichtig. Mit ihrer Beschlussfassung tritt die Geschäftsordnung unmittelbar in Kraft, das gilt ebenso für Änderungen. Die Geschäftsordnung gilt über die Wahlperiode hinaus für den nächsten Gemeinderat, soweit sie nicht ausdrücklich aufgehoben oder geändert wird.3 Die Geschäftsordnung regelt vornehmlich die inneren Rechtsbeziehungen der Mitglieder des Gemeinderats, darüber hinaus kann sie auch subjektiv-öffentliche Rechte der Einwohner regeln (Einwohnerfragestunde). Die Geschäftsordnung kann jederzeit allgemein oder für den Einzelfall durch einfachen Beschluss im Gemeinderat abgeändert werden. Sobald der Gemeinderat mehrheitlich einen Geschäftsordnungsbeschluss fasst, der von der bisher geltenden Geschäftsordnung abweicht, ist dann mit dieser Beschlussfassung in der Sache auch die bisherige Geschäftsordnung geändert, mit der Folge, dass die bisherige Regelung aufgehoben und die neu beschlossene Verfahrensweise wirksamer Bestandteil der Geschäftsordnung wird. Diese sogenannte ad hoc (Sofort)-Änderung der Geschäftsordnung ist allerdings umstritten. Da die Geschäftsordnung jederzeit durch einen Gemeinderatsbeschluss geändert werden kann, besitzt der einzelne Gemeinderat nur einen bedingten Anspruch auf Einhaltung. Verstöße gegen die Geschäftsordnung, sofern
Gemeinderäte unter Angabe des Grundes der Abwesenheit, die Gegenstände der Verhandlung, die Anträge, die Abstimmungs- und Wahlergebnisse und den Wortlaut der Beschlüsse enthalten. Der Vorsitzende und jedes Mitglied können verlangen, dass ihre Erklärung oder Abstimmung in der Niederschrift festgehalten wird.
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onen) oder Minderheitenrechte verstoßen wurde, gegen in der Geschäftsordnung eingeräumte Außenrechte der Einwohner und Bürger verstoßen wurde.
Inhalt der Geschäftsordnung
Zum Inhalt einer Geschäftsordnung des Gemeinderats gehören: die Ladungsfrist zu Sitzungen, die festen Sitzungstage, Fraktionsbildung und Fraktionsrechte, die Sitzordnung, das Verfahren bei Ausschluss wegen Befangenheit, das Verfahren zur Durchführung des Vertretungsverbotes, die Eröffnung der Sitzung, die Bekanntgabe der Niederschrift der letzten Sitzung, die Feststellung der Beschlussfähigkeit, die Abwicklung der Tagesordnung, Wortmeldungen und Worterteilungen, die Verteilung der Redezeiten, der Schluss der Aussprache, Anträge zur Geschäftsordnung, die Verweisung an einen Ausschuss, die Form der Abstimmung, die Abstimmungsreihenfolge bei mehreren Anträgen, das Feststellen des Abstimmungsergebnisses, der Inhalt der Niederschrift, Ordnungsrufe des Vorsitzenden, die Entziehung des Wortes, der Ausschluss aus der Sitzung, Einzelheiten bezüglich der Einwohnerfragestunde, Anfragen der Gemeinderäte an den
nen, ihre Rechte und Pflichten innerhalb des Gemeinderats sind durch die Geschäftsordnung zu regeln. Außerdem kann die Geschäftsordnung vorsehen, dass Arbeitnehmer der Fraktionen zu nichtöffentlichen Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse Zutritt haben.
Einberufung der Gemeinderatssitzung (§ 36 Abs. 3):
Die Geschäftsordnung regelt Näheres über die Einberufung der Gemeinderatssitzung durch den Bürgermeister, die schriftliche oder elektronische Form in angemessener Frist bei rechtzeitiger Mitteilung die Verhandlungsgegenstände und der Zustellung der für die Beratung erforderlichen Unterlagen.
Gang der Verhandlungen (§ 38 Abs. 2):
Gemeinderat regelt insbesondere den Gang seiner Verhandlungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch eine Geschäftsordnung. Zum „Gang der Verhandlungen“ gehört alles, was zwischen der Eröffnung der Sitzung und deren Schließung geschieht, also die Beratung, Beschlussfassung und Bekanntgaben zu den Verhandlungsgegenständen der Sitzung.
Niederschrift (§ 40):
In der Geschäftsordnung ist Näheres zur Niederschrift über den wesentlichen Inhalt der Verhandlungen des Gemeinderats zu regeln. Die Niederschrift muss insbesondere den Namen des Vorsitzenden, die Zahl der anwesenden und die Namen der abwesenden
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Gemeinden sind nach § 3 Abs. 1 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) kreisangehörige Städte und Gemeinden sowie kreisfreie Städte. In Städten führt der Gemeinderat die Bezeichnung Stadtrat (§ 27 Abs. 2). Der Einfachheit halber werden hier nur die Bezeichnungen Gemeinde und Gemeinderat verwendet. Da in den Landkreisen entsprechend der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) für die Hauptsatzung und Geschäftsordnung analoge Regelungen Anwendung finden, wird nur dort auf die Landkreise eingegangen, wo es für sie abweichende Regelungen gibt. 2 Rechtsaufsichtsbehörde für kreisangehörige Städte und Gemeinden ist das jeweilige Landratsamt, für Landkreise und Kreisfreie Städte ist es die Landesdirektion Sachsen. 3 Vgl. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2. Aufl. Beck, München 2000, Rn.489. 4 Vgl. Hegele/Ewert, Kommunalrecht im Freistaat Sachsen, Boorberg 2004, 3. Aufl., S. 114. 5 Vgl. Menke/Ahrens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, Kohlhammer 2004, S.104.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
April 2014
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
PARLAMENTSREPORT Gleichheit statt Vier-Klassen-Kinder-Gesellschaft Liebe Leserinnen und Leser, die Vorboten des Wahlkampfes sind inzwischen auch im Parlament unverkennbar. Vordergründig sieht man sie in Debatten wie jener zum „Autoland Sachsen – Motor für Beschäftigung und Wachstum“, mit der CDU und FDP einmal mehr etwas für sich beanspruchten, woran sie nahezu unbeteiligt sind. Doch auch im Hintergrund findet Bizarres statt. Seit 1999 ist per Erlass geregelt, dass Persönlichkeiten des politischen Lebens in den letzten zwölf Wochen vor Wahlen nicht im Schulunterricht oder bei „sonstigen schulischen Veranstaltungen“ präsent sein dürfen. Mit einem offiziellen Schreiben mahnte das Kultusministerium unlängst die Schulen, genau darauf zu achten, dass der Erlass eingehalten wird. Abgeordnete aller Fraktionen hätten junge Menschen dann zwar in den Landtag einladen, nicht aber mit ihnen über Politik sprechen können. Dabei zählen schon Grundschulkinder zu den gern gesehenen Gästen auf den Landtagsfluren, soll doch politische Bildung – zu Recht – so früh wie möglich beginnen. Zum Glück wurde diese drohende Skurrilität abgewendet. Der Landtagspräsident, faktisch getrieben durch die demokratischen Fraktionen, griff zum Telefon, beschwerte sich und erreichte, dass Schülerinnen und Schüler das Hohe Haus nun weiter besuchen können – und wir Abgeordnete jungen Menschen nicht aus dem Weg gehen müssen. Dass das wenigstens kurzzeitig zu befürchten war, zeigt: Im Freistaat hat sich eine Kultur des blinden Gehorsams gegenüber Oberen etabliert. Das müssen wir ändern. Deswegen braucht Sachsen eine neue, unverbrauchte und vernunftgeleitete politische Mehrheit.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Kindererziehung ist eine Lebensleistung, auf die jede Mutter und jeder Vater besonders stolz sein kann. Bei der Rente muss das angemessen gewürdigt werden. Bei dieser Gerechtigkeitsfrage hapert es allerdings: Zwar haben CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Kindererziehung besser anerkennen“ zu wollen. Die Umsetzung allerdings – die sogenannte Mütterrente – lässt das Ziel, Ost- und Westdeutsche in der Rentenpolitik gleich und damit gerecht zu behandeln, weiter in die Ferne rücken. Deshalb brachte die Fraktion DIE LINKE das Thema „Staatsregierung blockiert Rentengerechtigkeit: Das Beispiel Mütterrente‘“ mit einer Aktuellen Debatte ins Plenum des Landtages. Die Bundesregierung will ab Juli 2014 allen Müttern und Vätern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, einen zusätzlichen Entgeltpunkt in der Alterssicherung gewähren. Heiderose Gläß, gleichstellungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, bekundete ihre Freude darüber, dass vor allem viele Frauen deshalb sehr bald eine höhere Rente bekommen werden. Freilich müssten jedoch vor allem ostdeutsche Frauen, die bereits frühzeitig wieder ins Erwerbsleben eingestiegen waren, damit rechnen, weniger zu bekommen als den versprochenen Entgeltpunkt. Denn dieser Aufwuchs wird auf Arbeitseinkommen, Witwenrenten und sogar die Altersgrundsicherung angerechnet. Mit der Mütterrente wird auch keine Gleichstellung erreicht, vielmehr werden ostdeut-
sche Eltern benachteiligt. Zwar ist die staatliche Einheit Deutschlands seit nunmehr 24 Jahren hergestellt. Dennoch haben Ost- und Westrentner bei gleichem Einkommen unterschiedliche Rentenansprüche. Denn ein Entgeltpunkt – als zentrale Werteinheit der gesetzlichen Rentenversicherung – ist im Osten derzeit 25,73 Euro wert, im Westen hingegen 28,13 Euro. Damit setzt sich die Ungleichbehandlung bei der Mütterrente automatisch fort, da sie ja im Wesentlichen auf der Vergabe zusätzlicher Entgeltpunkte beruht. Der Unterschied von 2,40 Euro sei „durch nichts gerechtfertigt“, so Gläß. „Wir schaffen eigentlich eine Vier-Klassen-Kindergesellschaft. Ein West-Kind vor 1992 ist 56,26 Euro wert, ein West-Kind nach 1992 84,39 Euro. Ein Ost-Kind vor 1992 ist 51,46 Euro wert und ein Ost-Kind nach 1992 77,19 Euro“. Die Bundesregierung verzichte trotz ihrer satten Mehrheit auf eine gerechte Rentenreform, kritisierte der LINKE Sozialexperte Dr. Dietmar Pellmann. Auch nach den für 1. Juli vorgesehenen Rentensteigerungen betrage der Abstand zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert West noch neun Prozent. Die Staatsregierung habe sich damit abgefunden, dass die Rentenangleichung, sollte sie überhaupt kommen, noch Jahrzehnte dauern werde, so Pellmann. Wohl deshalb habe sie eine Initiative von Thüringen, Sachsen-Anhalt und anderen ostdeutschen Ländern im Bundesrat, die sich gegen die Ungleichbehandlung von Ost- und Westeltern
richtete, nicht unterstützt. Sie setze sich auch nicht ausreichend dafür ein, dass soziale Leistungen wie die Mütterrente aus Steuermitteln finanziert würden, um die Rentenkassen zu entlasten. „Vielmehr hofft man, dass die zum 1. Juli eintretenden Regelungen als Beruhigungspille für die Landtagswahlen wirken, und dass niemand merkt, dass eigentlich kein einziges rentenpolitisches Problem auch nur ansatzweise gelöst ist“, kritisierte Pellmann. Stattdessen müsse endlich dafür gesorgt werden, dass das beständig sinkende Rentenniveau – 2030 soll es noch bei 43,7 % des durchschnittlichen Arbeitseinkommens liegen – wieder auf 53 Prozent angehoben werde, indem Dämpfungsfaktoren in der Rentenberechnung abgeschafft würden. Für alle durch die Rentenversicherung finanzierten sozialen Leistungen, also auch für die Mütterrente, müsse ein Ausgleich aus dem Bundeshaushalt geleistet werden. Aus den Überschüssen der Rentenkassen müsse eine Demografie-Reserve gebildet werden, um für künftige Generationen vorzusorgen. Es ist bizarr, dass Deutschland auch im 24. Jahr der staatlichen Einheit Deutschlands weiter durch eine Rentenmauer getrennt wird. Die Staatsregierung muss endlich ihren Teil dazu beitragen, Altersarmut zurückzudrängen. Und sie muss sich dafür einsetzen, dass Lebensleistungen in Ost und West gleichermaßen zu angemessenen und gerechten Renten führen.
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PARLAMENTSREPORT
April 2014
Kein Geld für Menschenrechte: Inklusionsgesetz abgelehnt Seit fünf Jahren sind die Maßgaben der UN-Behindertenrechtskonvention geltendes Recht in Deutschland, mithin auch in Sachsen. Die Staatsregierung gibt vor, sächsisches Landesrecht seit Jahren so zu ändern, dass den Rechten von Menschen mit Behinderung zur Geltung verholfen wird. Das ist mitnichten so. Nicht zuletzt deshalb haben die Fraktionen von LINKEN und SPD im vergangenen Jahr ihren Entwurf für ein „Gesetz zur Gleichstellung, Inklusion und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Inklusionsgesetz)“ (Drucksache 5/11841) vorgelegt. Der Zustand der Inklusion behinderter Menschen ist erreicht, wenn sie gänzlich in der Gesellschaft „angekommen sind“, in dem Sinne, dass sie innerhalb derselben nicht länger als separate Gruppe wahrgenommen werden. Nun stand der Entwurf im Plenum zur Abstimmung. Die Debatte wurde von einem Gebärdensprachdolmetscher übersetzt, was Horst Wehner, behindertenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, ausdrücklich lobte. Letztlich müsse das allerdings, wie im Bayerischen Landtag, bei allen Plenarsitzungen zum Standard werden. Anschlie-
ßend begründete der LINKE Sozialpolitiker erneut, welche Ziele LINKE und SPD mit ihrem umfassenden Gesetzeswerk verfolgen. Gleichwertige Lebensbedingungen und Chancen für Menschen mit und ohne Behinderung sind wichtige Grundsätze. Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben und ihr Leben selbst gestalten können. Dazu ist eine Vielzahl von Einzelregelungen vorgesehen, etwa etwa ein allgemeines Gebot zur Gleichstellung und Inklusion von Menschen mit Behinderung und ein Diskriminierungsverbot, außerdem Festlegungen zu umfassender Barrierefreiheit in Bau und Verkehr, auch bei der Kommunikation öffentlicher Stellen, damit Dokumente auch für Sehbehinderte lesbar werden. Die Deutsche Gebärdensprache soll als gleichberechtigte Amtssprache anerkannt und in Unterricht und Ausbildung eingesetzt werden, wie auch der Bildungsbereich insgesamt – von der frühkindlichen bis zur Hochschulbildung – inklusiv gestaltet werden soll. „Es ist uns bewusst, dass unser Vorhaben sehr ambitioniert ist“, kommentierte Horst Wehner den Entwurf und kritisierte die Koaliti-
onsfraktionen für ihre Verweigerungshaltung. „In den Ausschüssen hat man uns vorgeworfen, wir hätten eine Wünsch-dir-was-Liste vorgelegt. Was ist schlimm daran, wenn Menschen mit Behinderungen Wünsche, Träume und Visionen haben? Seien Sie doch ehrlich. Was wünschen sie sich denn in aller Regel? Dinge, die für Menschen ohne Behinderungen selbstverständlich sind. Was ist das für ein Land, in dem Menschen mit Behinderungen von der Gewährung ihrer Menschenrechte nur träumen dürfen?“ Selbstverständlich sei Inklusion nicht zum Nulltarif zu haben, die Maßnahmen kosteten Geld. Da es allerdings um den Grundsatz der Menschenwürde und um Menschenrechte gehe, könne er dieses Argument nicht gelten lassen. Es sei zynisch, wenn die CDU betone, dass die dazu notwendigen Mittel „zunächst erarbeitet werden“ müssten. Das mache ihn „richtig wütend“, bekannte Wehner: „Ich frage Sie: Was ist mit denen, die gern arbeiten wollen und es einfach nicht können, weil der Arbeitsplatz nicht barrierefrei ist oder weil Menschen mit Behinderungen eben nicht von A nach B gelangen können? Denken Sie das überhaupt einmal mit?“
Bei CDU und FDP überwog letztlich wohl der übliche Hang zu Lippenbekenntnissen. Sie schmetterten das Inklusionsgesetz ab. So wird es wohl noch Jahre dauern, bis Sachsen die UN-Behindertenrechtskonvention endlich umsetzt. Die Fraktion DIE LINKE wird weiter Druck machen.
Qualität zählt, nicht kalte Zahlen! Wer ins Krankenhaus muss, darf mit Recht eine bestmögliche und hochwertige Behandlung erwarten. Gerade in unserer alternden Gesellschaft wird Krankenhausmedizin immer wichtiger, auch weil das Netz der ambulant tätigen Hausund Fachärzte dünner wird. Krankenhausleistungen müssen sich vorrangig an Qualität und nicht an ökonomischen Interessen messen lassen. Bei Sachsens Krankenhäusern existieren jedoch zwei grundsätzliche Probleme: eine viel zu oberflächliche Bedarfsplanung und ein millionengroßes Finanzierungsloch. Die politischen Planungen zur Krankenhauslandschaft fußen derzeit vor allem auf der Belegungshäufigkeit und der wirtschaftlichen Entwicklung der Krankenhäuser. Das sagt freilich kaum etwas über die tatsächlich erbrachten Versorgungsleistungen aus. „So werden nach dem sächsischen Kranken hausgesetz alle drei Jahre Krankenhäuser, Fachabteilungen und Betten gezählt, auf- und abgebaut und hin- und hergeschoben“, kritisiert Kerstin Lauterbach, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. „Die Qualität der Leistung muss stattdessen Leitkriterium für die Krankenhausplanung werden“. Es müsse eine
langfristige Entwicklungsperspektive her, so Lauterbach. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE „Krankenhausbedarfsplanung und -finanzierung auf neue Herausforderungen einstellen“ (Drucksache 5/13523) forderte dementsprechend die Staatsregierung auf, bis Ende Juni einen bis 2030 reichenden Krankenhausbedarfsplan vorzulegen. „Auf dieser guten Planung kann auch eine gute Finanzierung aufbauen. Ihnen fehlt allerdings beides“, wies Lauterbach die Staatsregierung auf das zweite große Problem hin. Nachdem der sächsische Krankenhausbereich nach 1990 mit großem Aufwand saniert und modernisiert worden war, kam es in den vergangenen zehn Jahren zur Stagnation. Heute nimmt Sachsen bei den Krankenhausinvestitionen den letzten Platz aller Bundesländer ein. Der so entstandene Investitionsstau, der mit etwa 350 Millionen Euro beziffert wird, wirkt sich zunehmend auf die Qualität der Versorgung aus. Die Krankenhäuser leben von ihrer Substanz. Momentan gehen die Krankenhäuser davon aus, dass jährlich etwa 240 Millionen Euro gebraucht werden. Der aktuelle Haushalt sieht 101 Millionen Euro für diesen Bereich vor; davon stammen allerdings 44 Millionen Euro von den gesetzlichen
Krankenkassen. Diese sind nach 2015 nicht mehr verpflichtet, sich finanziell zu beteiligen. Umso wichtiger ist es, dass der Freistaat rechtzeitig für eine solide Krankenhausfinanzierung sorgt. Nach dem Willen der LINKEN soll sich die Staatsregierung in Berlin für ein Investitionshilfeprogramm für den stationären medizinischen Bereich einsetzen. Außerdem zielte der Antrag darauf ab, dass im nächsten Doppelhaushalt mindestens 150 Millionen Euro für Kran-
kenhausinvestitionen eingeplant werden. Sozialministerin Clauß (CDU) erkennt zwar nach eigener Aussage den Zuschussbedarf in Millionenhöhe. Dennoch lehnte das Plenum den Antrag der LINKEN mehrheitlich ab. Es wird eine Hauptaufgabe der demokratischen Opposition bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen sein, die Staatsregierung auch im Krankenhausbereich zum Handeln zu bewegen – im Dienste der Behandlungsqualität.
April 2014
PARLAMENTSREPORT
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Kostenlos zur Schule Die CDU-geführten Staatsregierungen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwa die Hälfte der sächsischen Schulen geschlossen. Von den 2.591 Schulen, die im Schuljahr 1992/1993 noch ihre Pforten für junge Menschen öffneten, sind 1.365 geblieben. Eines der vielen Probleme, die daraus erwachsen, sind die immer länger und länger werdenden Schulwege. Manche Kinder brauchen mehr als 45 Minuten, um zur Schule oder wieder nach Hause zu kommen. Das verursacht immer höhere Kosten. Vor dem 1.1.1996 war die Schülerbeförderung im Freistaat für die Eltern kostenfrei. Das änderte sich, als die Landkreise und kreisfreien Städte in die Lage versetzt wurden, von den Erziehungsberechtigten einen Eigenanteil für die Schülerbeförderung fordern zu können. In den Landkreisen Mittelsachsen und Zwickau sowie im Erzgebirgskreis müssen Eltern pro Schuljahr und Kind bis zu 145 Euro für die Schülerbeförderung zahlen, in der Regel in monatlichen Raten. Im Landkreis Meißen allerdings sind nun Jahresraten fällig. Insbesondere Elternhäuser mit mehreren Sprösslingen stehen dann schnell vor einer unzumutbaren Belastung. Die Fraktion DIE LINKE hat den Entwurf für ein „Gesetz zur Regelung der Kosten-
freiheit der Schülerbeförderung für Eltern und Schüler in Sachsen (Sächsisches Schulwegekostenfreiheitsgesetz“ (Drucksache 5/14109) vorgelegt, der nun erstmals im Plenum zur Diskussion stand. In ihrer Einbringungsrede zeigte die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Cornelia Falken, den Handlungsbedarf. „Derzeit ist die Schülerbeförderung in vielen anderen Bundesländern, etwa Thüringen und Bayern, nach wie vor kostenfrei. Im Freistaat Sachsen gibt es einen einzigen Landkreis, in dem die Eltern nicht für die Schülerbeförderung zur Kasse gebeten werden. Das ist der Vogtlandkreis. In allen anderen Kreisen werden die Eigenanteile von den Eltern erhoben. Diese werden von Jahr zu Jahr höher“. Die Sächsische Verfassung regelt in Artikel 102 Abs. 4, dass der Schulunterricht unentgeltlich ist. Nach
langem Kampf werden nun Schulbücher kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Kostenfreiheit müsse folglich auch für die Schülerbeförderung gelten, so Falken. Mit ihrem Gesetzentwurf wolle die LINKE erreichen, dass die Landkreise und kreisfreien Städte keine Eigenanteile mehr erheben dürfen. Das solle ab dem Schuljahr 2014/2015 gelten. Die Frage, wie die Kommunen dann ohne dieses Geld auskommen sollen, beantwortete Falken mit einem erneuten Verweis auf die Verfassung: „Das haben wir ganz klar geregelt. Sollten Mehrbelastungen durch ein Gesetz entstehen, ist den kommunalen Trägern in jedem Fall ein direkter finanzieller Ausgleich zu gewähren“. Daher müsse der Freistaat die Kosten übernehmen. Das koste zunächst 14 Millionen Euro pro Jahr, die im Rahmen der Haushaltsbewirtschaftung bereitgestellt werden könnten. Ab dem Doppelhaushalt 2015/2016, der in diesem Jahr verabschiedet werden muss, seien diese Kosten in der Haushaltsplanung entsprechend zu berücksichtigen. Der Gesetzentwurf wurde zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Das Thema Schülerbeförderung, das viele Familien im Land bewegt, bleibt also weiter auf der Tagesordnung.
Länger gemeinsam lernen – Modellversuche retten! Sollen leistungsschwächere und leistungsstärkere Schüler möglichst lange gemeinsam lernen? Diese Frage war in Politik und Wissenschaft lange Zeit höchst umstritten. Inzwischen setzt sich langsam die Sichtweise durch, dass es generell sinnvoll sein kann, junge Menschen nicht oder wenigstens nicht allzu früh in Schubladen einzusortieren. So können sich „Starke“ und „Schwache“ gegenseitig unterstützen, wovon beide Seiten profitieren. Im Freistaat Sachsen gab es in der vergangenen Wahlperiode einen zaghaften Versuch, längeres gemeinsames Lernen praktisch auszuprobieren. Das von der damals mitregierenden SPD vorangetriebene Ansinnen, in Sachsen die Gemeinschaftsschule einzuführen, firmierte unter dem Titel „Schulmodellversuch – Schule mit besonderem pädagogischen Profil – Gemeinschaftsschule“. Neun Schulen waren bereit, sich auf den Weg zu machen, das Interesse der Eltern war groß. So wurde etwa die Gemeinschaftsschule in Geithain mit Anmeldungen förmlich überrannt.
Beim Machtantritt von CDU und FDP im Jahr 2009 war schlagartig Schluss. Es war eine der ersten Amtshandlungen des Kultusministers Roland Wöller, den Schulversuch per Verwaltungsvorschrift faktisch zu beenden. Denn die CDU beharrt weiterhin auf der Trennung der Schülerinnen und Schüler nach der vierten Klasse, erteilt längerem gemeinsamem Lernen eine Absage. Heute sind die Nachbarschaftsschule in Leipzig und das Chemnitzer Schulmodell die einzigen Schulen, die noch nach einem besonderen pädagogischen Konzept unterrichten – im Fall der Nachbarschaftsschule Leipzig seit fast einem Vierteljahrhundert. Teile dieses Konzeptes sind etwa gemeinsamer Unterricht von der 1. bis zur 10. Klasse, Kennenlern-Wochenenden und altersgemischte Klassenstufen. Wochenplan- und Projektarbeit spielen eine große Rolle. Der Genehmigungsbescheid für das Chemnitzer Schulmodell ist allerdings bis zum 31. Juli 2018, der für die Nachbarschaftsschule gar nur bis zum 31. Juli 2014 befristet.
„Daraus entnehme ich, dass für die Schulen über den Zeitraum hinaus keine Sicherheit besteht“, so Cornelia Falken, Bildungsexpertin der Fraktion DIE LINKE. „Wir möchten nicht nur, dass das längere gemeinsame Lernen auch im zukünftigen Schulgesetz steht, indem klar formuliert wird, dass Schulen, die es wollen, es auch ermöglichen können. Wenigstens müssen diese beiden Schulen bestehen bleiben!“ Daher brachte die Fraktion DIE LINKE den Antrag „Nachbarschaftsschule Leipzig (NaSch) und Chemnitzer Schulmodell unbefristet fortführen!“ (Drucksache 5/12202) ein. Er forderte die Staatsregierung auf, dafür sorgen, dass die beiden Gemeinschaftsschulen, die nach reformpädagogischen Grundsätzen arbeiten und ihren Ursprung in der Bürgerbewegung des Jahres 1989 haben, auch über 2018 hinaus fortgeführt werden können. Die Koalitionsmehrheit lehnte allerdings ab. Ihr ist die Selektion offenbar wichtiger als die Suche nach besseren pädagogischen Modellen, die allen Schülern Vorteile bringen können.
Plenarspiegel April 2014 Am 9. und 10. April 2014 fanden die 94. und 95. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – „Staatsregierung blockiert Rentengerechtigkeit: Das Beispiel ‚Mütterrente‘“ Gesetzentwürfe – „Gesetz zur Einführung der kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts im Freistaat Sachsen“ (Drs 5/11427) – „Gesetz zur Gleichstellung, Inklusion und selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Inklusionsgesetz – SächsInklusG)“ (Drs 5/11841) – „Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen“ (Drs 5/14073) – „Gesetz zur Regelung der Kostenfreiheit der Schülerbeförderung für Eltern und Schüler in Sachsen (Sächsisches Schulwegekostenfreiheitsgesetz – SächsSchulKostFreihG)“ (Drs 5/14109) Dringlicher Antrag: – „Verantwortungsübernahme der Staatsregierung für ihr gescheitertes Fondsbetreibermodell V.I.A. Infrastrukturfonds GmbH & Co. Fonds Nr. 1 Projekt Beilrode/Arzberg – Entschuldung des ZV Beilrode/ Arzberg jetzt!“ (Drs 5/14183) Anträge: – „Krankenhausbedarfsplanung und -finanzierung auf neue Herausforderungen einstellen“ (Drs 5/13523) – „Nachbarschaftsschule Leipzig (NaSch) und Chemnitzer Schulmodell unbefristet fortführen!“ (Drs 5/12202) Änderungsanträge: – zum Gesetzentwurf von CDU/ FDP „Gesetz zur Änderung der Haushaltsordnung des Freistaates Sachsen“ (Drs 5/14206) Sammeldrucksache 5/14150: In den Berichten der Ausschüsse waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: – „Abschiebestopp von Roma, Ashkali und Balkan-Ägyptern in die Staaten der Balkanhalbinsel“ (Drs 5/11064) – „Gesundheitlichen Arbeitsschutz verbessern – auf verstärkte psychische Belastungen in der Arbeitswelt reagieren“ (Drs 5/11724) – „Gemeinsame Justizvollzugsanstalt für Sachsen und Thüringen in Zwickau-Marienthal“ (Drs 5//13744) Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
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PARLAMENTSREPORT
April 2014
Wie weiter in der Hochschulpolitik? Am 12. April veranstaltete die Landtagsfraktion im Dresdener Gewerkschaftshaus eine „hochschulpolitische Bilanzkonferenz“. Sie stand unter dem Titel: „Quo vadis, Hochschule?“ und wurde vom hochschulpolitischen Sprecher der Fraktion, Gerhard Besier, geleitet. Nach der ersten Hochschulkonferenz im November 2011 war es die zweite ihrer Art und vermutlich auch die letzte, zumindest auf absehbare Zeit. Bekanntlich wird Gerhard Besier der nächsten Landtagsfraktion nicht angehören. Von seiner Reputation als Wissenschaftler und als streitbarer Intellektueller profitierten jedoch nicht nur die Hochschulkonferenzen, sondern die Hochschulpolitik der Landtagsfraktion insgesamt. Nur so gelang es der Fraktion, Teile der Professorenschaft in Sachsen für eine linke Hochschulpolitik zu interessieren und für die eine oder andere Veranstaltung zu gewinnen. Die Runde, die im Gewerkschaftshaus zusammenkam, um über Hochschulpolitik in Sachsen zu diskutieren, war klein, aber fein. Das Publikum war überschaubar, die Professorenschaft hochkarätig. Kurzerhand wich man vom geplanten Ablauf mit Workshops und Impulsreferaten ab und setzte sich zu einem Round-Table-Gespräch zusammen. Dem Publikum bot das die Möglichkeit, den Präsidenten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, den in Leipzig lehrenden Philosophen Pirmin Stekeler-Weithofer, einmal aus nächster Nähe kennenzulernen, oder auch den Soziologen und Elitenforscher
laufe das auf eine immer größere Angleichung des Fächerprofils in den Hochschulen hinaus. Sachsen leistet sich jetzt schon ein überdurchschnittliches Profil an Ingenieurwissenschaften, die doppelt so teuer sind wie etwa die Rechtsund Wirtschaftswissenschaften. Unter dieser Art der Profilbildung leiden insbesondere die kleinen, sog. Orchideenfächer und die Geisteswissenschaften. Im Vergleich mit den MINT-Fächern gelten sie als drittmittelarm und als Kostenfaktor. Deshalb fällt es den Hochschulleitungen leichter, sie einzusparen. Michael Hartmann von der TU Darmstadt, einen der profiliertesten Kritiker der gegenwärtigen Hochschulpolitik. Als Dritter im Kreis der Professoren fungierte Eckehard Binas, ein Kulturwissenschaftler, der lange Zeit an der Hochschule GörlitzZittau gelehrt hatte und seit 2013 Präsident der Fachhochschule Potsdam ist. Alle drei klugen Köpfe treten gewöhnlich vor einem großen Auditorium auf. Sie einmal im persönlichen Gespräch befragen zu können, machte den Reiz der zweiten Hochschulkonferenz aus. Dass sie bis in die Nachmittagsstunden andauerte, unterstreicht den anregenden Charakter der Gesprächsrunde. Eröffnet hatte sie Rico Gebhardt, der Fraktionsvorsitzende. Danach ging es in medias res. Die angesprochenen Themen waren breit gefächert: Sie reichten von der BolognaReform und der Exzellenzinitiative über die Beschäftigungsverhältnisse in den Hochschulen und den
Einfluss der Politik auf die Hochschulen (Stichwort Autonomie) bis hin zum Stellenwert und zur Bedeutung von Hochschulen für Sachsen. Dass die Professoren für mehr Planung in der Hochschulpolitik und für eine länderübergreifende Kooperation plädierten, überraschte insofern ein wenig, als dass Planen in Verruf geraten ist, weil es vorschnell mit sozialistischer Planwirtschaft assoziiert wird. Hier scheint sich ein Umdenken anzubahnen. Zuviel, so die Kritik, bleibe in der Hochschulpolitik dem Zufall überlassen. Das führe die Profilbildung an den Hochschulen deutlich vor Augen. Welche Fachrichtungen eingestellt, welche Institute geschlossen werden, geschehe in einer völlig unkoordinierten Weise. Der Grund ist in der Regel ganz einfach: Die Hochschulen müssen sparen und Stellen abbauen. Folglich schauen sie, wo Professoren aus Altersgründen ausscheiden, deren Stellen dann nicht wieder besetzt werden. Im Ergebnis
Den Gedanken der Planung im Hochschulbereich hat die Gesprächsrunde leider nicht vertieft. Allein der Wunsch nach Planung ist jedoch bemerkenswert. Er ist eine Aufforderung zum politischen Handeln. Politik und Gesellschaft sollten sich der Bedeutung von Hochschulen für das Land bewusst werden und dementsprechend agieren. Das erfordert zwar auch ein stärkeres Hochschulministerium, ist aber nicht mit einer zentralen Steuerung der Hochschulen zu verwechseln. Vielmehr geht es um eine Kontextsteuerung, die auf ein abgestimmtes bzw. koordiniertes Handeln aller hochschulischen Akteure setzt. Andernfalls sei, so Gerhard Besier, der Verlust von Vielfalt vorprogrammiert. Und der Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ergänzt: Wenn Sachsen nicht zu den Verlieren im Wettbewerb mit den anderen Bundesländern gehören wolle, dann dürften die sächsischen Hochschulen nicht weiter an Attraktivität einbüßen. Jochen Mattern
Verfassung achten, sozialen Ausgleich umsetzen! Der Tagesordnungspunkt klang wenig aufregend: „Gesetz zur Änderung der Haushaltsordnung des Freistaates Sachsen“ (Gesetzentwurf der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion). Eigentlich ging es um einen Routinevorgang: Die erste Änderung der im Mai 1992 in Kraft getretenen sächsischen Landesverfassung am 10. Juli 2013, die ja eine Änderung der Finanzverfassung bedeutete, sollte in die bestehende Haushaltsordnung übersetzt worden. Es ist noch in frischer Erinnerung, wie 102 der 132 Abgeordneten dem von den fünf demokratischen Fraktionen ausgehandelten Kompromiss zustimmten, der da lautete: Gemäßigtes Kreditverbot (mit Ausnahmen bei Steuerausfällen und Katastrophen) plus sozialer Ausgleich bei der Haushaltsaufstellung plus kommunaler Mehrbelastungsausgleich. Ein Jahr lang dauerte der Verständigungsprozess, bevor die Fraktionsvorsitzenden am 1. Februar 2013 den Entwurf vorlegten, auf dessen Grundlage dann das parlamentarische Prozedere begann.
Das entsprechende Verfassungsänderungsgesetz trat zum 1.1.2014 in Kraft. Doch schon die erste – im Juristendeutsch gesprochen – „einfachgesetzliche Umsetzung“ ging jetzt gründlich schief und führte dazu, dass der Konsens dahin ist: Nach heftigem verbalen Schlagabtausch in der April-Sitzung des Landtags hob nur Schwarz-Gelb die Hände, Rot-Rot-Grün stimmte geschlossen dagegen. Dabei steht doch gleich im ersten Satz des Vorblattes des Gesetzentwurfes unter der Überschrift „Zielstellung“: „Ziel ist es, die sächsische Haushaltsordnung (SäHO) an die ab 1. Januar 2014 geltende neue Verfassungslage anzupassen.“ Doch das, resümierte Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, „geschieht aber nun ohne jede Plausibilität, Begründung und Rechtfertigung bezogen allein auf Art. 95, mit welchem die so genannte Schuldenbremse (…) eingeführt wurde. Die Neuausregelung des Art. 94 Abs. 2 hingegen, der genauso zur Finanzverfassung
gehört, lassen Sie – und hier passt das Wortbild bestens – links liegen.“ Dieser Teil der Verfassungsänderung war auf Initiative der Fraktion DIE LINKE erfolgt. „Art. 94 Abs. 2 fügt per Verfassungsbefehl hinzu, dass bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes neben den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch dem sozialen Ausgleich
Rechnung zu tragen ist“, erinnerte Bartl. Das gilt zwar weiter, aber so geht es nicht. Über mögliche Antworten, einschließlich einer möglichen Verfassungsklage, wird noch zu berichten sein.
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig
Kommunal-Info 4/2014
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Landkreise in der gesundheitlichen Versorgung Auszug aus: Positionen des Deutschen Landkreistages in der Gesundheitspolitik
1. Landkreise im Gesundheitswesen: Vernetzung statt Segmentierung Der Deutsche Landkreistag sieht in der Unterstützung insbesondere durch Vernetzung und Koordinierung der Sicherstellung der flächendeckenden gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung, die immer auch die pflegerische Versorgung mit bedenken muss, eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben kommunaler Selbstverwaltung auf der Landkreisebene. Die für die Gesundheitsversorgung von morgen erforderlichen Vernetzungs-, Koordinations- und Integrationsleistungen können nur im Rahmen eines dezentralisierten Gesundheitswesens erbracht werden. Infolgedessen müssen Entscheidungskompetenzen verstärkt in die Regionen und an die vor Ort Verantwortlichen verlagert werden. Vor diesem Hintergrund wächst den Landkreisen als Vertreter der überörtlichen
kommunalen Daseinsvorsorge eine besondere Verantwortung zu. Dies gilt umso mehr, als sie ohnedies wesentlicher Akteur des dezentralisierten Gesundheitswesens sind – als Träger von Krankenhäusern, mit ihrer Gesundheitsverwaltung aufgrund ihrer Zuständigkeiten im Bereich Soziales, Bildung und Jugend sowie als Träger der kommunalen Demokratie auf überörtlicher Ebene. Ein dezentralisiertes Gesundheitswesen wird ohne demokratischen Input von der kreiskommunalen Ebene keine hinreichende Legitimität und Akzeptanz erlangen können... 2. Krankenhausentwicklung Die stationäre medizinische Versorgung ist seit Jahrzehnten ein Kernbereich der gesundheitlichen Verantwortung der Landkreise. Hieran hat sich trotz der aus finanziellen Gründen in manchen Fällen erfolgten Abgabe von
Kreiskrankenhäusern an private oder freigemeinnützige Träger nichts geändert. Die Landkreise nehmen auf ihrem Gebiet den Sicherstellungsauftrag für die stationäre medizinische Versorgung wahr. Wenn private und frei gemeinnützige Krankenhäuser ihren Versorgungsauftrag zurückgeben sollten, stehen die Landkreise in der Pflicht, eigene Krankenhäuser zu betreiben, soweit eine bedarfsgerechte Versorgung nicht durch andere Träger gewährleistet ist. Daher ist es richtig und wichtig, dass auch Landkreise weiterhin Träger eigener Krankenhäuser sind. Im ländlich und kleinstädtisch geprägten Raum ist in den vergangenen Jahren viel dafür getan worden, die Krankenhausstruktur zu optimieren. Eine Überversorgung ist hier nicht festzustellen. Daher müssen die Krankenhäuser im ländlichen Raum finanziell so ausgestattet sein, dass sie auch
BGH zu Nebenangeboten Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 07.01.2014 (X ZB 15/13) zu der aus kommunaler Sicht wichtigen Frage Stellung genommen, ob im Rahmen der vergaberechtlichen Wertung von Nebenangeboten der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium zulässig ist. Mit seinem Beschluss hat der BGH jetzt klargestellt: Ist in einem EU-weiten Vergabeverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium, dürfen Nebenangebote grundsätzlich nicht zugelassen und gewertet werden. Der BGH hat im Ergebnis auf die Divergenzvorlage des OLG Jena (Beschluss vom 16.09.2013 – 9 Verg 3/13) hin entschieden und die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantwortete Rechtsfrage (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 23.03.2010 – Verg 61/09, einerseits sowie OLG Schleswig, Urteil vom 15.04.2011 – 1 Verg 10/10, andererseits) nunmehr abschließend beantwortet. Der BGH hat unter anderem ausgeführt, dass die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen brauchen, sondern Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken dürfen, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss.
Die vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten, die den vorgegebenen Mindestanforderungen genügen, ist durch Festlegung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten, dies ermöglichen, dass Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen. Mit dem vorliegenden Beschluss hat der BGH die seit dem Jahr 2010 offene Frage nach dem „Preis als alleiniges Zuschlagskriterium“ bei der Wertung
bei einer normalen Mengenentwicklung ihren Versorgungsauftrag unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung erfüllen können. Häufig stellt sich eine Finanzierungsproblematik bei den die Grund- und Regelversorgung sicherstellenden Krankenhäusern in der Fläche. Dies ist ein Auftrag an die Finanzierung des laufenden Krankenhausbetriebs aus den Einnahmen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung ebenso wie an die Investitionsfinanzierung der Länder. Die Krankenhäuser in den Landkreisen gewährleisten eine flächendeckende Versorgung mit stationären medizinischen Leistungen, insbes. der Grundversorgung, die rund um die Uhr und ganzjährig zur Verfügung steht. Dies wird noch nicht hinreichend im Fallpauschalensystem honoriert. Im Rahmen der Krankenhausinvestitionen leisten in vielen Ländern auch die Landkreise einen erheblichen Beitrag. So finanzieren die Landkreise – nicht selten aus Schulden – auch Investitionen in private oder freigemeinnützige Häuser mit. Für die Länder gilt, dass es einer deutlichen Aufstockung der Landesmittel für Krankenhausinvestitionen bedarf, um die Infrastruktur auf einem angemessenen Niveau zu halten. Dies senkt im Ergebnis auch die Betriebskosten und ist daher auch von dieser Seite aus sinnvoll. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, aber auch im Hinblick auf den zunehmenden Ärztemangel im ambulanten Bereich, kommt den ländlichen Krankenhäusern der wohnortnahen Grund- und Regelversorgung eine besondere Bedeutung zu. Wo dies von den Vor-Ort-Verhältnissen her als sinnvoll und zielführend erscheint, sollten hier insbesondere auch intelligente sektorenübergreifende Versorgungskonzepte gefördert und entsprechende Umstrukturierungshilfen geleistet werden. Auch die Länder müssen ihre Zuständigkeit für die Krankenhausplanung verstärkt nutzen, um die gesundheitliche Daseinsvorsorge in der Fläche nachhaltig zu gewährleisten… (Deutscher Landkreistag, Juni 2013)
von Nebenangeboten abschließend beantwortet. Kommunalen Vergabestellen obliegt es nunmehr, in jedem Einzelfall eine bedarfsgerechte Prüfung der in Frage kommenden Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung vorzunehmen. Die alleinige Nennung des Kriteriums „Preis“ ist mithin bei der Wertung von Nebenangeboten nicht mehr zulässig. Einer Vorlage an den EuGH bedurfte es nach Ansicht des BGH vorliegend nicht, weil die Anwendung des nationalen Rechts offenkundig nicht in Widerspruch zu den vergaberechtlichen Bestimmungen und Vorgaben des Unionsrechts stehe. (http://www.dstgb-vis.de/dstgb_vis/)
Kommunal-Info 4/2014
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Flächenfraß eindämmen Kommunen könnten ihre Brachen und Baulücken besser nutzen, wären sie bekannt
Würden Kommunen alle Brachflächen und Baulücken in ihrem Einzugsgebiet kennen und nutzen, müssten sie deutlich weniger zusätzliche Fläche auf der „grünen Wiese“ verbrauchen. Doch häufig fehlen genaue Informationen zu diesen Innenentwicklungspotenzialen. Ein bundesweites Flächenmonitoring könnte helfen, diese Wissenslücke zu schließen. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) hat Grundlagen dafür noch im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entwickelt. Wie lassen sich bundesweit potenzielle Flächen für die so genannte Innenentwicklung von Städten und Gemeinden, also Brachflächen und Baulücken im Bestand der Kommunen, erheben und nutzen? Dieser Frage sind die Wissenschaftler des IÖR gemeinsam mit der Leipziger Projektgruppe Stadt + Entwicklung nachgegangen. Dazu haben sie eine bundesweite repräsentative Online-Befragung von Städten und Gemeinden aller Größen durchgeführt. Auf Basis der repräsentativen Befragung von 451 Städten und Gemeinden (rund vier Prozent aller deutschen Kommunen) wurden erstmals statistisch belastbare Hochrechnungen zu den vorhandenen Flächenpotenzialen in ganz Deutschland möglich. Das Ergebnis: Mindestens 120.000 Hektar Brachflächen und Baulücken gibt es in deutschen Städten und Gemeinden. Dies entspricht rund 15 Quadratmeter
pro Einwohner. Dem steht ein Flächenverbrauch von jährlich etwa 3,5 Quadratmeter pro Einwohner gegenüber. Um diese Fläche erweitern deutsche Kommunen jedes Jahr ihre Siedlungs- und Verkehrsfläche in Richtung „grüne Wiese“.
erläutert Projektleiter Dr. Georg Schiller. Das Potenzial an Flächen im Bestand ist unter Umständen sogar noch höher. Denn die Untersuchungen haben gezeigt, dass der Umfang vorhandener Flächen von den Kommunen häufig unterschätzt wird – vor allem dann, wenn
„Würden die Kommunen ihre Innenentwicklungspotenziale kennen und nutzen, müssten rein rechnerisch in den nächsten vier Jahren keine neuen Flächen am Stadtrand versiegelt werden“,
sie selbst nur auf Schätzwerte zu ihren freien Flächen zurückgreifen können. Dies war in 70 Prozent der befragten Städte und Gemeinden der Fall. Aktuell erhebt nur etwa ein Drittel
Freihandelsabkommen TTIP Kommunale Daseinsvorsorge vom Abkommen ausschließen! Mehr Transparenz schaffen!
Der Ausschuss für Finanzen und Kommunalwirtschaft des Deutschen Städte- und Gemeindebundes befasste sich in seiner diesjährigen Frühjahrssitzung in Hüfingen mit dem zwischen der EU und den USA aktuell verhandelten Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). „Das Abkommen birgt aus kommunaler Sicht die Gefahr in sich, dass wichtige kommunale Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung, öffentliche Krankenhäuser oder der ÖPNV künftig Liberalisierungspflichten unterworfen werden“, äußerte der Vorsitzende des Ausschusses, Oberbürgermeister Dr. Bernhard Gmehling, Stadt Neuburg an der Donau, besorgt. „Dies würde nicht nur einen Eingriff in die kommunale Organisationshoheit bedeuten, sondern ließe auch Qualitätseinbußen befürchten. Insbesondere liefen die Regelungen Gefahr, die bereits auf der Ebene des EU-Primär- und Sekundärrechts geschaffenen Ausnahmen - so zuletzt im Bereich der EU-Dienstleistungsrichtlinie - zu unterlaufen“, betonte der Ausschussvorsitzende.
„Wir begrüßen daher das klare Bekenntnis im Koalitionsvertrag, bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen auf die Wahrung der europäischen Sozial- und Umweltstandards sowie den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge Wert zu legen. Dies verbinden wir mit dem Appell an die Bundesregierung, sich auf der europäischen Ebene dafür einzusetzen, dass die kommunale Daseinsvorsorge explizit vom Anwendungsbereich des Ab-
kommens ausgeschlossen wird“, hob der Vorsitzende hervor. „Dem Abkommen fehlt es vor allem an der nötigen Transparenz“, äußerte Gmehling kritisch. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Erst auf öffentlichen Druck hin reagierte die EU-Kommission und stellte den ebenfalls kritischen Abschnitt über den Investitionsschutz nun zur öffentlichen Konsultation. „Um insgesamt mehr Akzeptanz für das Abkommen zu schaffen, müssen jedoch für alle Regelungsbereiche entsprechende Konsultationsmöglichkeiten des Abkommens geschaffen werden“, forderte der Vorsitzende. Damit die kommunale Ebene nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird, muss das Mandat über die Verhandlungen offengelegt und gegenüber den europäischen und nationalen Parlamenten und der kommunalen Ebene regelmäßig über den jeweiligen Verhandlungsstand berichtet werden. Abschließend hob Gmehling hervor, dass man das Abkommen trotz der Kritik nicht grundsätzlich ablehne, da es positive Effekte für Wirtschaft und Wachstum in Europa, etwa durch die Vereinheitlichung von Standards, mit sich bringen kann. (DStGB, Berlin, 03.04.2014)
aller Kommunen in Deutschland seine Innenentwicklungspotenziale systematisch. Zudem gibt es hier deutliche Unterschiede zwischen Ost (20 %) und West (40 %) sowie Landgemeinden (25 %) und Großstädten (bis zu 100 %). Gerade in kleinen Kommunen aber schlummert ein großes Potenzial: Mehr als ein Viertel der in der Untersuchung erfassten Brachflächen und Baulücken lag demnach in Gemeinden
unter 5.000 Einwohner. „Doch gerade die kleinen Gemeinden tun sich besonders schwer mit der systematischen Erfassung ihrer Innenentwicklungspotenziale“, so Schiller. „Sie scheuen den hohen Personal- und Kostenaufwand, den es braucht, um vor allem die Erfassung kleinteiliger Baulücken zu stemmen – und diese Baulücken stellen mit 56 Prozent den größeren Teil der Flächenpotenziale.“ Die Wissenschaftler des IÖR kommen zu dem Schluss: Sollen Kommunen sich künftig nachhaltig entwickeln, informiert und transparent planen und handeln, dann müssen sie auf genaue Informationen zu ihren Flächenpotenzialen zurückgreifen können. Entsprechend müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es Kommunen erlauben, nötige Grundlagen für ihre Planungen zu erstellen und zu nutzen. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist ein bundesweites Flächenmonitoring aktuell nur durch eine Befragung der Kommunen, wie sie im Projekt durchgeführt wurde, möglich. „Es hat sich gezeigt, dass sich auf diesem Wege für ganz Deutschland Aussagen zu Innenentwicklungspotenzialen und auch zu regionalen Unterschieden treffen lassen“, erklärt Georg Schiller. Um Informationen über Veränderungen erfassen zu könne, müssten die Befragungen regelmäßig wiederholt werden. Auf dieser Grundlage ließen sich statistisch belastbare Aussagen generieren. Politische Diskussionen zur flächensparenden Siedlungspolitik könnten daran unmittelbar anknüpfen. (www.ioer.de)
05/2014 Sachsens Linke!
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Worum es in der „Ukraine-Krise“ geht USA und EU machten zu ihrer Strategie, was US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski 1997 auf den Punkt brachte: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh-und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr .... Wenn Moskau allerdings die
schafts-und Finanzexperten noch bei Existenz der Jugoslawischen Sozialistischen Föderativen Republik die separatistischen Bewegungen in den multiethnischen jugoslawischen Bundesrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien, Mazedonien und Montenegro, nahmen auch die damit einsetzenden mörderischen Bürgerkriege in Kauf. Wer sich dem widersetzte, wie die Republik Serbien, wurde durch eine Militärintervention
endlich gestoppt und energisch zurückwiesen wurde. Nicht weil ein von Volkes Mehrheit gewählter Präsident im Machtrausch Krieg gegen Europa führen und Europa spalten will. Putin ist nicht mehr bereit, zu akzeptieren, dass Russlands Sicherheit und Lebensinteressen ernsthaft bedroht werden. Die westlichen Politiker, Militärs, Diplomaten und Ideologen wissen sehr wohl, dass sie mit ihren Aktionen in der Ukraine die rote Linie, die
Verbündeten konzentriert sich mit besonderer Brachialgewalt und scharfen ideologischen Attacken schon lange auf die ehemalige Unionsrepublik Ukraine, die einst der UNO angehörte und über Atomwaffen verfügte. Der erste große Versuch, die 1991 entstandene Ukraine ihrem Einfluss zu unterwerfen, war die in Kiew 2004 inszenierte „Orangenfarbene Revolution“. Ihre Hauptinitiatoren war die aus der „Komsomolwirtschaft“
1999 abgestraft – 3000 Serben wurden getötet, Hundertausende wurde Flüchtlinge, das Kosovo dem serbischen Staatsverband „heraus bombardiert“, faktisch in ein NATO-Protektorat umgewandelt. Die vor allem von USA und BRD in der Republik Serbien organisierte „Bunte Revolution“ putschte ein Jahr später den demokratisch gewählten serbischen Präsident Slobodan Milosevic weg und schleppte ihn vor ein selbsternanntes „Internationales Tribunal“. Es ist diesen Politikern unangenehm, sie reagieren bösartig, wenn man ihnen in Erinnerung bringt, wie unglaubwürdig ihr Geschwätz von Freiheit, nationaler Selbstbestimmung, Demokratie und Menschenrechte auch angesichts der todbringenden NATOKriege in Afghanistan, Irak, Syrien oder Libyen ist. Nach dem Motto „Haltet den Dieb“ erleben auch wir hierzulande diese von nahezu gleichgeschalteten Medien und in „Konsens geeinten“ Politikern organisierte, die Wahrheit vernebelnde Scheindebatte in den letzten Monaten, weil die bisher weitgehend „friedliche“, aber unübersehbare Ostexpansion von NATO und EU von der Moskauer Führung unter Putin
die Atommacht Russland ihnen jetzt gesetzt hat, nicht überschreiten können. Das alles erinnert zwar an den überwunden geglaubten „Kalten Krieg“, der mehrmals bis an den Rand eines Dritten Weltkrieges heranreichte. Bei diesem Vergleich wird jedoch außer Acht gelassen, dass es nicht wie noch im kurzen 20. Jahrhundert 1917-1989 um einen kalten oder heißen Krieg zwischen Kapitalismus und des Staatssozialismus geht. Denn Letzterer ist bekanntlich in China seit den 80er und seit 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in den aus der UdSSR hervorgegangenen Neustaaten wie Russland, Ukraine, Kasachstan, Moldawien oder Georgien in einen wilden Oligarchen-Kapitalismus transformiert worden. Es handelt sich heute um gänzlich neue, zwischenkapitalistische Auseinandersetzungen um Macht-und Einflusssphären vor allem in Europa und Asien. Dem „alten Kapitalismus“ der USA geht es dabei um die Sicherung seiner Weltgroßtmachstellung gegenüber den aufstrebenden kapitalistischen Newcomern China und Russland. Die Strategie der USA und der von ihr abhängigen europäischen NATO-
1989-1992 zur Oligarchin aufgestiegene Millionärin Julija Tymoschenko (* 1960), unterstützt vom viertreichsten Oligarchen lgor Kolomojski (6,5 Mrd. $). Es ist verständlich, dass die hierzulande Regierenden diese korrupte „Gasprinzessin“, die das Land einige Jahre regierte, 2011 ins Gefängnis kam und dann durch den Maidan-Putsch befreit wurde, zur Märtyrerin gemacht wird. Der reichste ukrainische Oligarch Rinat Achmetow, „Arbeitgeber“ für 300 000 Werktätige in der Donbass-Region, war zunächst Finanzier und Lenker der Partei der Regionen, zog im politischen Skat-Machtspiel 2010 einen neuen Buben hervor –Viktor Janukowytsch (* 1950), einst kommunistischer Wirtschaftsfunktionär, der samt seiner Familie nicht gerade zu den Bedürftigen des Landes gehört. 2010 nach den Regeln der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie zum Staatspräsidenten gewählt, beharrte er jedoch auf der Neutralität seines Landes. Im November 2013 unterzeichnete er das EU-Assoziierungsabkommen nicht, weil dadurch die schon bestehende soziale und ökonomische Krise des Oligarchen-Kapitalismus
Der Maidan im Februar 2014. Bild: Amakuha / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangt Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.“ Das ist der eigentliche Kernpunkt der sog. Ukraine-Krise, ausgelöst vom unentwegten imperialistischen Streben von NATO und EU, um nicht nur Osteuropa, sondern auch alle Nachfolgestaaten der UdSSR in ihren Einflussbereich zu bringen. So offen wird das allerdings von den westlichen Politikern nicht gesagt, sie bemänteln es mit der verlogenen Debatte um die Sicherung von Menschen-und Völkerrecht, den Kampf um Demokratie und das Recht auf nationale Selbstbestimmung. NATO und EU traten diese von ihnen bei jeder Gelegenheit von Russland eingeforderten hehren Werte bisher mit Füßen, indem sie seit 1989 die Separation aller Unionsrepubliken aus dem sowjetischen Staatsverband wesentlich beförderten, die Großmacht UdSSR zu Fall brachten. Ebenso unterstützten der Politiker und Geheimdienstler, Wirt-
sich zur nationalen Katastrophe ausweiten und die Ukraine in die EU-Schuldknechtschaft führen würde. Daraufhin mobilisierte der Westen, die von ihm und einem Teil der ukrainischen Oligarchen (Timoschenko, Kolomojski, Schokoladenkönig Petro Poroschenko, Stahlmagnat Sergej Taruta) aufgebaute, finanzierte und gelenkte Opposition samt gewaltbereiten Neofaschisten (Svoboda, Rechter Sektor) und putschten im Februar 2014 Janukowytsch aus dem Amt, ernannten sich selbst zur Regierungsmacht. Präsidentenmacher Achmetow ließ in der nationalistisch aufgeheizten Situation der „Maidan-Revolution“ seinen Parteigenossen fallen. Wohl im Interesse der Sicherung seines zumeist im Ausland gebunkerten 16-Milliardenvermögens. Es würde ausreichen, das Land mit einem Schlag von den Auslandsschulden zu befreien. Nicht um des „Volkes Wohl und Leben“ wie er im Februar 2014 verlogen verkündete, als er auf das schon gesattelte westliche Pferd aufsprang: „Die Wirtschaft kann nicht schweigen, wenn Menschen getötet werden. Das ist eine echte Gefahr für die Spaltung des Landes, wenn eine politische Krise das Land in eine politische Rezession führt und das Ergebnis ein geringerer Lebensstandard für die Menschen ist.“ Russland beantwortete diese Aktionen von NATO und EU vorerst mit der Rückeingliederung der Krim in die Russische Föderation. Die Halbinsel war seit 1783 Bestandteil des Russischen Reiches und danach der Sowjetunion. Es ist nun das eingetreten, was die US-Strategen verhindern wollten – Russland hat nun unwiderruflich den „Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewonnen“. Die Atommacht Russland wird auch alles daransetzen, dass die Ukraine mit ihren nur noch 46 Millionen Menschen, ihren reichen Bodenschätzen, großen industriellen, landwirtschaftlichen und kulturellen Potentialen weitgehend im Einflussbereich der schon seit 2012 im Aufbau befindlichen Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft unter Russlands verbleibt. Die Gegenseite hingegen will nach wie vor die Ukraine der EU und NATO zuschlagen. Einer ihrer Repräsentanten, der an die Regierungsmacht geputschte Arsenij Jazenuk (* 1974), weiß schon, wie man die Ukraine zwar über über „Tränen, Entbehrungen und Schmerzen“, aber im „Schutze der EU“ zu „Demokratie, Freiheit und nationalem Wohlstand“ bringen wird: „Wir werden in unserem Land tun, was die Griechen in dem ihren getan haben“. Karl-Heinz Gräfe
Sachsens Linke! 05/2014
Jugend
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Pfingstcamp 2014: Für immer 16! Seit 16 Jahren veranstaltet die linksjugend [’solid] Sachsen zu Pfingsten ein mehrtägiges offenes, politisches und kulturelles Treffen – das Pfingstcamp. Der Veranstaltungsort ist wie die letzten drei Jahre Doksy in der Tschechischen Republik, der Termin der 6. bis 9. Juni. Auch in diesem Jahr steht uns wieder das gesamte Camp zur Verfügung. So viel Platz ist auch nötig, da die Zahl der Teilnehmer_Innen kontinuierlich stieg und letztes Jahr schon bei 550 lag. Und mit Dir werden es auch dieses Jahr noch mehr unterschiedliche Menschen sein, die ein verlängertes Wochenende mit Seminaren, Workshops, Konzerten und dem ganzen Drumherum erleben. Bands, Künstler_innen und Shows Jindrich Staidel Combo, xmusclefreeyouthx, Miniplaybackshow, Call me Lolita unplugged, DJ Tschüss Ey, Supermarioperformance: Eintauchen in die 8 Bit Welt, acid. milch&honig, DJ Lutz, Sookee, Theory & Praxys und weitere werden zum Tanz aufspielen und so manche Wade zucken lassen. Aber auch nach und
während den Konzerten und Shows sollte für alle Teilnehmer_innen dieses Wochenende im Land der lachenden Rehe ein unvergessliches werden. Einige Seminare Kommunalpolitik, Erstehilfe bei Drogennotfällen, Das Frauenbild in der DDR, Wie Geschlechtsidentitäten entstehen, Intersektionalität, Pinkstinks, Schule und Geschlecht, Pfingstcampradio, Kritik der Critical Whiteness, verkürzte Kapitalismuskritik, Selbstverteidigungsworkshop, Digitales DJ‘ing, Barrierefreie Veranstaltungsorga, Lockpicking, Asyl in Sachsen, Was tun bei Polizeikontrollen, Kadereinsatz in Zeiten des Fachkräftemangels, 1984 WAS an instruction manual ($NSA), Nähworkshop, Theaterworkshop, SiebdruckWorkshop, Das europäische Asylsystem, Kritik der bürgerlichen Ökonomie, Europa- was läuft da eigentlich?, Stencilworkshop, Einführung Marx, Kritik und Aktualität der Menschenrechte, Erfahrungsaustausch zu selbstverwalteten Hausprojekten, Klettern, Demo-Ersthelfer_innen-Work-
Auf in einen heißen Sommer Am 31.08. ist Landtagswahl. Bis dahin haben wir einen großartigen Sommer vor uns. Für den Wahlkampf der Linksjugend Sachsen hat sich ein Wahlkombinat gegründet, das voller Tatendrang steckt, diesen Sommer heiß werden zu lassen. Es wird sich alle zwei Wochen in verschiedenen Städten treffen und als feste und konstante Gruppe einen bombiges Konzept austüfteln. Genaue Infos zu unseren Ideen werden noch folgen. Wenn Du allerdings mitmachen waillst und sofort die neusten Infos haben möchtest, melde dich doch einfach bei unsere Jugendwahlkampfmanagerin Marie: marie.wendland@linksjugend-sachsen.de. Der Sommer wird heiß – lasst uns den schwarzen Riesen zum Schmelzen bringen! Marco Böhme (Platz 10), Anja Klotzbücher (Platz 15), Werner Kujat (Platz 34), Marie Wendland (Platz 37), Tom Rumberger (leider nicht im Bild, weil krank - Platz 44) und Anna Gorskih
(Platz 49) kandidieren auf der Landesliste der sächsischen LINKEN für den Landtag. Die zweitgrößte Partei in Sachsen und Oppositionsführerin hat derzeit 29 Abgeordnete. Je stärker das Ergebnis bei der Wahl ist, desto mehr Leute aus unserem Jugendverband können im Landtag für unsere Positionen streiten. Foto: Gerd Eiltzer
shop, Verhältnis von Antiziganismus und Antisemitismus, Funkworkshop. Löt-Workshop, Kamingespräch „Ich hab mich im Bundestag verlaufen“, Kochduell, Presseerklärungen selbst schreiben, Barrierefreie Pädagogik-Spiele, Tschechisch-Sprachkurs und vieles mehr. Preis (mit Vollverpflegung, auch vegetarisch oder vegan und Wasser- und Obstbuffet) Pro Teilnehmer_in kostet das Pfingstcamp knapp 100 €, davon entfallen 60 € auf Übernachtungs- und Verpflegungskosten und 40 € auf Seminar- und Kulturprogramm sowie die Organisation. * 60 Euro für ermäßigte Übernachtung im Bungalow, Zelt oder wo immer du willst * 35 Euro für superermäßigte Übernachtung im Bungalow * 30 Euro für superermäßigte Übernachtung wo du willst, außer in einem Bungalow (z. B. dein Zelt) * 90 Euro Normalpreis * 90plus Euro für Menschen, die es ermöglichen wollen und können, dass die Teilnahme am Camp bei niemandem am
Geldbeutel scheitert * 15 Euro für Kinder unter 12 Jahren Unterkunft 696 Betten in 2-4 Personenbungalows stehen zur Verfügung. Wie auch im letzten Jahr wird es ein ausgetüfteltes OnlineTool geben. Dort kannst Du alle Plätze, die schon vergeben oder noch frei sind, auf einer Karte des Geländes sehen und Dich für einen Platz entscheiden. So ist es möglich, Dich mit den Menschen, mit denen Du gerne einen Bungalow teilen möchtest, auf einen bestimmten zu einigen. Anreise Alle zwei Stunden fahren Züge von Dresden nach Zittau. Ab dort gibt es am Freitag von 16 - 24 Uhr einen Bustransfer. Wenn Du das Angebot nutzen möchtest, solltest du dies in der Anmeldung vermerken. Ab Montagmittag geht es in zwei Etappen (11:00 und 14:00) wieder zum Bahnhof nach Zittau zurück. Anmeldung Geht ganz einfach online auf unserer Website oder direkt unter http://gleft.de/pM.
Termine 01. Mai 2014: Nazis in Plauen im Weg stehen, mehr unter http://takeitback.tk und www. vogtland-nazifrei.de 02. bis 03. Mai 2014: Kulturund Musikfestival „Rock am Kuhteich“ im ehemaligen Freibad Borna, mehr unter http:// www.rock-am-kuhteich.de 08. Mai 2014, ab 19:00 Uhr: Podiumsdiskussion „Jugend in Europa - Generation Krise!“ im LinXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig, mehr unter http:// gleft.de/yG 09. bis 11. Mai 2014: Bundesparteitag im Velodrom, PaulHeyse-Straße 26, Berlin, mehr Infos unter http://gleft.de/xf 08. Mai 2014, ab 16:00 Uhr: Zentrale Wahlkampfveranstaltung zur Europa- und Kommunalwahl auf dem Hauptmarkt in Zwickau mit Cornelia Ernst und Rico Gebhardt, mehr unter http://gleft.de/yI 10. Mai 2014, ab 14:00 Uhr: KooRa-Sitzung in der WahlFabrik, Kleiststraße 10 a, Dresden 10. bis 24. Mai 2014: antirassistische Aktionswochen in Leipzig, Infos auf http://www. rassismus-toetet-leipzig.org/ 17. Mai 2014: Rainbowflashs in Dresden, Chemnitz, Leipzig, Pirna, Plauen und wo du willst, Genaueres unter http://gleft. de/xg 18. Mai 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung im Büro der linksjugend Chemnitz, Rosenplatz 4, Chemnitz 24. Mai 2014: Antirassistische Demonstration in Leipzig, mehr Infos auf http://www.rassismus-toetet-leipzig.org 24. Mai bis 01. Juni 2014: CSD in Dresden, alle Infos unter http://www.csd-dresden. de/2014 25. Mai 2014: Kommunal- und Europawahlen, das heißt, nach dem 48-h-Wahlkampf noch ein gemütliches Frühstück und dann auf ins Wahllokal um die Ecke 31. Mai 2014, ab 14:00 Uhr: Stay Rebel Festival, Park der Opfer des Faschismus, Chemnitz, mehr unter http://stayrebel.blogsport.de/ 06. bis 09. Juni 2014, Pfingstcamp im tschechischen Doksy, Infos und Anmeldung unter http://gleft.de/pM Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de.
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
05/2014 Sachsens Linke!
Roma in Ungarn – Am Rande einer geschlossenen Gesellschaft Im März 2014 sind wir nach Ungarn gereist, um uns dort über die Lage der 700.000 ungarischen Roma zu informieren, und um den Vorsitzenden der jüngst gegründeten Romapartei (MCP), Aladár Horváth, zu treffen. Letztes Jahr fiel die Entscheidung, eine eigene Romapartei zu gründen, um ihre politischen Interessen ausreichend vertreten zu sehen. Laut Horváth sind alle anderen Parteien „vom Rassismus“ infiziert und daher weder willens noch in der Lage, die Interessen der größten ethnischen Minderheit in Ungarn (sieben Prozent der Gesamtbevölkerung) zu vertreten. Die ungarischen Roma sind von allen anderen Parteien zu oft enttäuscht worden, es wurden Versprechungen gemacht, die nicht gehalten werden konnten. Horváth weiß um die Schwierigkeit, wenn sich eine Partei wie die Romapartei als „ethnische Partei“ definiert, denn dies entspricht der Argumentation der rechtskonservativen Regierung von Orbán, wonach die Gesellschaft von klar definierbaren Ethnien oder „Volksgruppen“ dominiert ist. Deshalb versteht sich die Romapartei eben nicht als Partei, die nur für Roma da ist, sondern als Partei, die alle sozial benachteiligten Menschen ansprechen soll. Die Romapartei MCP stellte sich bei der Parlamentswahl am 6. April 2014 erstmalig zur Wahl. Leider
konnte sie nicht Teil des linksliberalen Wahlbündnisses werden, aber der Vorsitzende Horváth hofft, dass dies bei der nächsten Parlamentswahl realisiert werden kann. So wie in vielen Mitgliedstaaten der EU werden Roma in Ungarn ausgegrenzt, leben in separaten Siedlungen, finden kaum Arbeit – die Arbeitslosigkeit unter Roma liegt derzeit bei fast 90 Prozent. Im Vergleich dazu betrug die durchschnittliche Arbeitslosenquote in der ungarischen Bevölkerung ca. zehn Prozent. Die Ghettoisierung von Roma nimmt im Laufe der letzten Jahre zu: Bereits 2008 gab es in Ungarn mehr als 100 Dörfer, die vorwiegend von Roma bewohnt waren, und weitere 200 Dörfer, in denen der RomaAnteil 30 Prozent betrug. Die Mehrheitsbevölkerung begegnet Roma mit Hass und Abneigung. So ließ etwa der Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, verlautbaren, dass die „ungarische Mehrheit der Roma-Minderheit“ ausgeliefert sei. 2008 und 2009 wurden insgesamt neun Roma ermordet. Sechs Morde an Roma gehen auf das Konto einer Bande, deren Mitglieder erst 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Die Aufklärung der Fälle war deshalb besonders schwer, weil der ärztliche Notdienst oder Polizisten die Spuren verwischt hatten. Wie verbreitet
der Hass gegen Roma auch unter Polizisten war, verdeutlicht ein Ereignis aus dem Februar 2009: Statt die Fußspuren der Mörder zu sichern, urinierte ein Polizist in die Vertiefung im Schnee. Die europäischen Struktur-
Roma in Ungarn faktisch keinen Zugang zu diesen Fördergeldern. Denn die Entscheidung, ob ein Projekt förderungswürdig ist oder nicht, trifft ein ungarischer Beamter in einem ungarischen Ministerium. Und da seit 2010 die rechtskonserva-
Cornelia Ernst, Aladár Horváth
fonds stellen Gelder für die Inklusion von benachteiligten Gruppen bereit, und selbstverständlich können und sollen diese auch für Roma eingesetzt werden. In der Europäischen Roma-Rahmenstrategie, die im April 2011 vorgelegt wurde, werden die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu aufgefordert. Da aber die Strukturfonds nicht von europäischer Seite verwaltet werden, sondern von den nationalen Ministerien (in diesem Falle also von den ungarischen Ministerien), haben
tive Partei Fidesz an der Macht und der Antiziganismus (sog. Roma-Feindlichkeit) tief in der Gesellschaft verwurzelt ist, besteht auf Seiten der Regierung keinerlei Wille, einen Teil der Gelder aus den Strukturfonds für Roma auszugeben. Dabei ist die ungarische Regierung ausdrücklich von Brüssel gelobt worden, denn die nationale Roma-Strategie, die Ungarn vorgelegt hat, sieht auf dem Papier gut aus. Jedoch leider nur auf dem Papier. Die Realität zeigt etwas anderes: Nahezu al-
Vorsitzenden haben sich gerade französische Linkskräfte auf den europäischen Weg gemacht – in eine EL als Dachorganisation unterschiedlicher Linksparteien. Noch sind andere wichtige linke Parteien, z.B. in Skandinavien, nicht mit dabei, auch die SP der Niederlande hat sich nicht auf die Mitarbeit in einer paneuropäischen Parteienstruktur eingelassen, ebenso wie die kommunistischen Parteien aus Griechenland oder Portugal. Deshalb gilt mit Blick auf die künftige parlamentarische Zusammenarbeit linker Kräfte im Europaparlament für die Partei der Europäischen Linken und ihre Mitgliedsparteien: Sie werden sich entscheiden müssen, wie sie in diese Kämpfe gehen und gemeinsam mit anderen erfolgreich Politik gestalten wollen und müssen. Ist es uns ernst mit unserem Kandidaten als klarer Alternative zu einer Politik von Merkel, Cameron, Hollande und des „Weiter so!“ mit dem Europa der Banken, des Ausverkaufs von Politik und Demokratie an die Finanzmärkte und zunehmender Abkoppelung der Politikentscheidungen der Mitgliedstaaten und
der EU-Institutionen von demokratischen Teilhabemöglichkeiten der Menschen? Verbinden wir mit und durch Tsipras unseren Anspruch auf ernsthafte gesellschaftliche Veränderungen in und auf der EU-Ebene: Was setzen wir der Troika und ihrer Politik in Bezug auf die dringend notwendige nachhaltige sozial-ökologische Entwicklung in der EU mit einer gemeinsamen Währung entgegen? Welche Wege zur Veränderung heutiger EU-Politik zeigen wir in konkreter Auseinandersetzung mit den anderen europäischen politischen Parteien auf, damit nicht Ablehnung des “ach so fernen Brüssel“ als einzig greifbares Gefühl bleibt, Wahlabstinenz und politische Gleichgültigkeit weiter um sich greifen, oder noch viel bedrohlicher: rechtspopulistische und rechtsextreme politische Kräfte einer Frau Le Pen, eines Herrn Wijlders, der ungarischen Jobbik oder gar der griechischen “Goldenen Morgenröte“ die falsche EU-Politik von konservativen, (neo)liberalen und auch sozialdemokratischen Parteien für ihre Ziele ausnutzen können. Das EP hat im April in seiner letzten
le europäischen Fördergelder, die von Ungarn für Roma ausgegeben wurden, landeten in sog. „Arbeitsprogrammen“, wo Roma einfache Arbeiten verrichten müssen, um überhaupt Sozialhilfe zu erhalten. Projektanträge, die von Roma-Organisationen eingebracht wurden, haben bisher noch niemals einen Zuschlag erhalten. Ministerpräsident Orbán hat nur eine einzige Verbindung zu den Roma: Florian Farkas, Mitglied des rechtskonservativen Fidesz und Präsident der Nationalen Selbstverwaltung der Roma. Die Roma nennen ihn nur „Kapo“. Er hat im Parlament für jedes unsoziale und gegen Roma gerichtete Gesetz gestimmt und das öffentliche Arbeitsprogramm befürwortet, mit dem hauptsächlich Roma schikaniert werden. Seit einiger Zeit führt die ungarische Regierung die sog. „liebevolle Segregation“ durch. Dabei finanziert die rechtskonservative Fidesz für hundert Roma den Besuch von religiösen Elitehochschulen, damit eine Art „Roma-Elite“ entstehen kann. Natürlich wird im Rahmen dieses Programmes völkisches und ethnisches Denken vermittelt, und diese jungen Roma sprechen dann die Sprache von Fidesz und Jobbik – und äußern sich selbst abwertend über die Minderheit der Roma. Cornelia Ernst, Manuela Kropp
Glückwunsch zum 10.! Die Partei der Europäischen Linken (EL) steht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vom 22.-25. Mai vor einer ihrer größten Aufgaben und Herausforderungen. Erstmalig haben sich die Delegierten von über 30 Parteien auf dem jüngsten ELKongress in Madrid im Dezember 2013 auf einen gemeinsamen Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten geeinigt: Alexis Tsipras, den Vorsitzenden der noch jungen griechischen Linkspartei Syriza. Wer hätte das vor zehn Jahren gedacht, als Fausto Bertinotti (PRC, Italien) und Lothar Bisky (PDS/resp. Die LINKE) als Gründungsväter mit vielen anderen MitstreiterInnen aus dreizehn Parteien die Europäische Linke als neuartiges gemeinsames europäisches Parteienprojekt in Rom aus der Wiege hoben? Zahlenmäßig gewachsen, als eigenständiges politisches Subjekt anerkannt und mit beiden Füßen in den gesellschaftlichen Kämpfen für ein anderes Europa stehend, ist die EL heute in Lissabon, Paris, Luxemburg, Athen, Madrid, Wien und Berlin ein realer Faktor, in Warschau,
Budapest, Tallinn und auch in Brüssel eine Adresse, die neue nationale Parteienprojekte anzieht oder auch Hoffnungszeichen ist für eine notwendige Neuformierung linker Kräfte. Nicht alles, was damals vor zehn Jahren gedacht und in erste Projekte zu investieren versucht wurde, ist aufgegangen: Die EL als Netzwerk, als Bewegungspartei. Die EL als eigenständiges politisches Subjekt in konsequenter Ausrichtung auf die europäische Politikentscheidungsebene. Die gleichzeitige stärkere Hinwendung zu inhaltliche Themenfelder bearbeitenden gemeinsamen, auch dezentral funktionierenden Arbeitsgruppen und als unterschiedlichen linkspolitischen Kräften offen stehendes plurales Parteienprojekt. Vieles andere aber konnte weit stärker in der Praxis umgesetzt werden: Die EL ist heute akzeptierter Partner von sozialen Akteuren im außerparlamentarischen Kampf um Frieden und soziale Gerechtigkeit, gegen Austeritätspolitik und menschenfeindliche Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik. Und mit Pierre Laurent als wiederbestätigtem
Plenarwoche der auslaufenden Legislatur mehrheitlich die Verordnung über das Statut und die Finanzierung der europäischen politischen Parteien und politischen Stiftungen auf den Weg gebracht und damit auch für die EL und den linken Stiftungsverbund transform! transparentere Bedingungen im Parteienwettstreit für eine andere Politik (in) der EU geschaffen. Gestiegene Verantwortung für die EL und ihre Mitgliedsparteien auch in diesem Sinne. 2014 ist also ein wichtiges Jahr für die EL – parlamentarisch wie außerparlamentarisch: Glückwunsch zum Geburtstag und viel Kraft, gute Ideen, Tatkraft, Überzeugungsfähigkeit, Freundlichkeit und Spaß sowie den immer notwenigen Humor und Optimismus all ihren Mitgliedern und SympathisantInnen. In diesem Sinne und nun erst recht: Carpe Diem! Helmut Scholz
Sachsens Linke! 05/2014
DIE LINKE im Bundestag
Eindrücke aus Afghanistan
Ende März war ich zum zweiten Mal als Bundestagsabgeordneter in Afghanistan. Im Rahmen einer Delegationsreise mit zwei Staatssekretären und anderen Mitgliedern des Haushaltsausschusses haben wir die deutschen Kontingente der ISAF-Mission in Termez und Masar-e Sharif besucht. Das erste Mal war ich in gleicher Funktion im Oktober 2007 im Land. Als Haushaltspolitiker ging es mir damals darum, die Verwendung von Geldern aus dem Bundeshaushalt für den sogenannten zivilmilitärischen Aufbau zu kontrollieren und die Ergebnisse der Maßnahmen zu überprüfen. Kurz zuvor hatte die erste große Operation unter deutschem Kommando und mit deutscher Beteiligung zur Bekämpfung von Aufständischen im Norden Afghanistans begonnen. Der deutsche Einsatz wandelte sich immer sichtbarer zu einem Kriegseinsatz, dessen Hochzeit in den Jahren 2008 und 2009 kurz bevor stand. Mittlerweile ist der Abzug der deutschen Truppen, den DIE LINKE immer gefordert hat, zum Jahresende längst beschlossene Sache. Für mich lag das Hauptaugenmerk meiner Reise deshalb zum einen auf der Frage, wie die Bilanz ausfällt und wie es weiter geht. Auch die Sicht der Soldatinnen und Soldaten wollte
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ich erfahren. Zum anderen hat mich interessiert, wie die Vorbereitung und die Umsetzung des Abzugs laufen. Immerhin handelt es sich allein bei der Rückverlegung von Material aus Afghanistan um die bislang größte logistische Operation der Bundeswehr. Die Ausgaben dafür sind immens.
Nicht weniger als 42 Prozent mit einem Neuwert von 150 Millionen Euro werden an die Afghanen übergeben, verkauft oder verschrottet. Die Begegnungen mit den Soldatinnen und Soldaten waren offen und informativ. Ich habe keine schießwütigen Rambos kennengelernt, sondern diffe-
einzelnen Soldaten als Feindbild dienen dürfen, sondern dass der Einsatz zu hinterfragen ist, den Politiker beschlossen haben. Soweit ich es vor Ort beurteilen konnte, läuft der Abtransport des Materials ohne Probleme. Der Zeitplan des Abzugs aus Afghanistan
Nur die Flugkosten bis in die Türkei werden von der Bundeswehr schon auf 150 Millionen Euro geschätzt. Aufgrund der hohen Rückführungskosten werden jedoch nur 47 Prozent des Materials nach Deutschland zurückgebracht.
renziert denkende Menschen. Sie haben mir von ihren konkrete Aufgaben berichtet, was mir geholfen hat, einen Einund Überblick zu gewinnen. Und sie haben mich einmal mehr darin bestärkt, dass auch für uns LINKE nicht die
steht. Eine andere Frage ist die Gesamtentwicklung der Kosten, die sich zurzeit noch nicht abschätzen lässt. Allerdings zeigen sich bereits Mängel, denen nachgegangen werden muss. So sind in dem vor sieben Monaten an
die afghanischen Sicherheitskräfte übergebenen Feldlager Kunduz, in das insgesamt rund 250 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt geflossen sind, bereits schwere Schäden entstanden. Die dort stationierte afghanische Bereitschaftspolizei beklagt massive Probleme bei der Wasser- und Stromversorgung, weite Teile des Lagers werden nicht genutzt. Während von der Bundeswehr die Afghanen verantwortlich gemacht werden, heißt es von diesen, es habe keine ausreichende Übergabe und Einweisung gegeben. Was hat der Einsatz nun gebracht? Das lässt sich nicht isoliert beantworten. Nur eine ebenso eine umfassende wie realistische Bestandsaufnahme statt Zweckoptimismus kann der neuen Prioritätensetzung auf Entwicklungszusammenarbeit und ziviler Außenpolitik dienen: Was Afghanistan am dringendsten benötigt, ist Stabilität. Die wird nur zu erreichen sein, wenn es eine Verbesserung der Sicherheitslage gibt. Dafür ist eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung, an der die Menschen auch teilhaben können, die wichtigste Voraussetzung. Dazu beizutragen sollte der Ansatzpunkte für eine künftige zivile deutsche Afghanistanpolitik sein. Michael Leutert
vermietet wird. Wo da eine Bremswirkung sein soll, sehe ich nicht.
nutzen denen, die ihre Umgebung verlassen müssen, die Durchschnittswerte?
Durchschnittlich sind die Mieten 2013 in Deutschland doch nur um 1,3 Prozent gestiegen, und in vielen Gebieten ist eher Leerstand ein Problem. Warum müssen da überhaupt die Mieten gebremst werden?
Was muss der Bund noch tun?
Für eine echte Mietpreisbremse! Interview mit Caren Lay, stellvertretende Fraktions- und Parteivorsitzende der LINKEN Justizminister Heiko Maas legte das Konzept für seine Mietpreisbremse vor. Können sich die Bürgerinnen und Bürger bald über sinkende Mieten freuen? Zunächst einmal klingt es ja ganz gut: Die Mieten sollen bei Wiedervermietung um maximal 10 Prozent über dem Mietspiegel steigen dürfen. Doch es bleiben viele Fragen und Probleme. Ob das Gesetz überhaupt angewendet wird, soll nach dem Willen der Bundesregierung in der Verantwortung der Länder liegen. CDU-geführte Länder können es also einfach aus politischen Gründen blockieren. Es ist also offen, ob es in Sachsen eine Mietpreisbremse geben wird. Außerdem orientiert sich das Gesetz weiterhin am Mietspiegel, und der bildet nur die Entwicklungen bei Neuvermietungen ab. Damit ist er ein Mieterhöhungsspiegel und als
Grundlage für eine Mietpreisbremse unbrauchbar. Noch ein letzter Punkt: Völlig unverständlich ist, warum nur bei Wiedervermietung und nicht bei Bestandsmieten gebremst werden soll. DIE LINKE fordert doch auch eine Mietpreisbremse. Wo ist da der Unterschied? Wir wollen eine echte Mietpreisbremse! Das bedeutet, dass es überhaupt keine Erhöhungen nur aufgrund von Wiedervermietungen geben darf, wenn sich der Wohnwert nicht verbessert. Mieterhöhungen
bei Bestandsmieten dürfen maximal im Rahmen des Inflationsausgleichs durchgeführt werden. Außerdem muss der Mietspiegel neu gestaltet werden: Er muss auf dem Durchschnitt aller Mieten einer Gegend basieren und nicht nur auf der Höhe der Neuvermietungen der letzten Jahre. Denn das Gesetz von Minister Maas kann in der Praxis bedeuten, dass eine Wohnung, die wegen eines alten, langjährigen Mietvertrags beispielsweise noch 200 Euro kostet, aber laut Mietspiegel heute 400 Euro kosten könnte, an den nächsten Mieter für 440 Euro
Bild: DerComputerChecker / CC BY-SA 3.0 DE / Wikimedia Commons
Die durchschnittliche Entwicklung sagt nicht viel aus. In etlichen Städten explodieren seit Jahren die Mieten. Auch in Sachsen erleben wir drastische Steigerungen. Seit 2008 sind binnen fünf Jahren in Leipzig die Mieten um 10 Prozent gestiegen, in Dresden sogar um 19 Prozent. Auch kleinere Städte sind betroffen – besonders wenn es sich um Uni-Standorte handelt. In eher kleinen Jena im benachbarten Thüringen stiegen die Mieten im selben Zeitraum um 18 Prozent. Die Folgen sind der Wegzug ganzer Bevölkerungsschichten und eine Entmischung der Stadtteile. Was
Ich möchte drei Maßnahmen nennen: Der soziale Wohnungsbau muss wieder angekurbelt werden. Seit 2002 ist jede dritte Sozialwohnung weggefallen, in Sachsen sind es sogar zwei von drei. Damit ist das Land Spitzenreiter beim Abbau von Sozialwohnungen. Außerdem muss der Staat in unserer alternden Gesellschaft dringend mehr Geld für Barrierefreiheit in den Städten in die Hand nehmen. Ebenso fordern wir, dass die Altschulden ostdeutscher Wohnungsbauunternehmen unverzüglich gestrichen werden.
Geschichte: Blickpunkt Erster Weltkrieg
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05/2014 Links!
„Ein Krieg der Dichter und Denker“ Der Chef des Generalstabes, Helmuth von Moltke (18571888), warnte in einer Reichstagsrede am 14. Mai 1890: „Wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre lang wie ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt – wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen“. Und später: „Es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!“ Sein Neffe – der deutsche Generalstabschef gleichen Namens (1906-1914) allerdings tat genau daran mit. Von 1914 bis 1918 gingen „Stahlgewitter“ (Ernst Jünger) hernieder. Die tragende Rolle spielte das Militär. Der Vorhang fiel – alles Menschliche verschwand dahinter. Beide Moltkes dürften gewusst haben: Krieg ist nie nur ein Akt militärischer Gewalt, er ist auch ein Feld geistiger Auseinandersetzung. Gefochten wird nicht nur auf dem Feld, sondern auch in Werkhallen und Ingenieurbüros. Dabei werden auch Pinsel und Feder zu Waffen. Der jüngere Moltke entdeckte auf seine Art den Geist für sich, als er schrieb: „Eine geistige Weiterentwicklung der Menschheit ist nur durch Deutschland möglich ... Es ist das einzige Volk, das zur Zeit die Führung der Menschheit zu höheren Zie-
und eine ungeheure Hoffnung“. Ferner spricht Mann von der „Veredlung“ des Menschen im Krieg und vom Ausstieg aus einer „satten Friedenswelt“. Der Soziologe Max Weber („Politik als Beruf“), bedauerte hingegen, dass er in diesem „großen und wunderbaren Krieg“ nicht mit an die Front ziehen durfte.
Dort kam die Ernüchterung: „Sehe von meinem Lager den Sternschnuppen zu. Denke an die Leichen, an den erschossenen Spion. Droben am Firmament dieselbe Not. Leben ist Sterben, Werden, Verderben“. Bei einem Sturmangriff bei Loivre, am 26. September 1914, schrieb eine Kugel einen
Als Lazarettoffizier verteidigte er ihn dennoch: „Wir mußten ein Machtstaat sein und mußten, um mitzusprechen bei der Entscheidung der Zukunft der Erde, es auf diesen Krieg ankommen lassen“. Der Dichter der Lüneburger Heide und Urvater der Umweltschutzbewegung, Hermann Löns, schaffte es, obwohl schon relativ alt (Jahrgang 1866), an die Front.
letzten verderblichen Reim und beendete sein Leben. Hinterlassen hat Löns ein berührendes wie realistisches Kriegstagebuch. Im August 1914 meldete sich der Maler Franz Marc freiwillig zum Kriegsdienst. Bei Ausbruch des Krieges empfand er ihn noch als „positive Instanz“. In seinen „Briefen aus dem Feld“ beschreibt Marc ein „krankes
Europa“, das durch den „Krieg geläutert werde“. Ein Umdenken setze erst 1915 ein. Da bezeichnete er den Krieg als den „gemeinsten Menschenfang, dem wir uns ergeben haben“. 1916 wurde Franz Marc in die Liste der bedeutendsten Künstler Deutschlands aufgenommen und damit vom Kriegsdienst befreit. Doch zwei Granatsplitter rissen den „Blauen Reiter“ nahe Verdun bei einem Erkundungsritt am 4. März in den Tod – einen Tag vor seiner Freistellung vom Kriegsdienst. Als der damalige Kriegsteilnehmer Adolf Hitler, der sein Eisernes Kreuz nur der Fürsprache eines jüdischen Offiziers zu verdanken hatte, 1933 zur Macht gekommen war, galt Marcs Kunst übrigens als „entartet“. In jedem Krieg geht es auch um Ideen und um Köpfe, die sie tragen sollen. Die wahre Kunst staatlichen, politischen und militärischen (Nicht)-Handelns sollte darin bestehen, so zu arbeiten, dass diese Köpfe nicht fallen müssen, sondern dass mit ihnen im friedlichen Wettbewerb um die besten Ideen gerungen werden kann. Allerdings scheint diese „Kunstfertigkeit“ nicht sehr geschätzt zu sein. Auf jeden Fall wäre sie kreativer, sinnstiftender und menschlicher als der Bau immer neuer Waffen, die Erfindung immer neuer Kriegsgründe und damit verbundener Lügen und die ständige Reanimation alter Feindbilder. René Lindenau
zu schreien, als er verbunden wurde...“ Am Ende vergeblich, äußerte Gaston Brion in einem Brief: „Von der Vorsehung erbitte ich nur, dass mir diese Gnade gewährt wird: Lieber gleich den
seine Mutter um Verzeihung, als er ihr am 10. August 1914 schrieb: „Ich hätte bleiben sollen, hätte für Dich Cello üben sollen, für Dich, die so viele Opfer gebracht, für mein schon
Tod, als ein schreckliches Leiden, Folge dieser fürchterlichen Verwundungen, deren Zeuge wir alle Tage sind“. Vergeblich, denn drei Tage nach seiner Verwundung hielt das Leben noch an ihm fest, bevor es ihn am 11.September 1916 nach 30 Jahren fallen ließ. Der 22-jährige Cellist Maurice Marèchal bat in einem Brief an
krankes Mütterchen ... Ich bin, ich will nicht feige sein. Doch die Idee, dass eine idiotische Kugel meine Zukunft verpfuschen kann, das lässt mich angstvoll erzittern“. Aber er hatte Glück, überlebte den Krieg und wurde zu einem der bedeutendsten Cellisten Frankreichs. Weniger Glück war dem 20-jährigen Philosophiestudenten
Heinz Pohlmann beschieden. Er verfasste am 1. Juni 1916 auf dem „Toten Mann“ bei Verdun einen letzten Brief an seine Eltern. Da heißt es: „Wenn Ihr diese Nachricht von mir erhaltet, dann ist wohl herbes Leid über Euch gekommen, denn dann bin ich nicht mehr auf dieser Welt. Ich kann es verstehen, aber um eins bitte ich Euch: beklagt mich nicht ... Denn trotz aller trüben Erfahrungen und Nachrichten glaube ich doch an eine Zukunft. Für das neue, größere, bessere Vaterland gebe ich gern mein junges Leben“. So war Pohlmann, wie viele andere Kriegsteilnehmer, selbst im Moment der unmittelbaren Bedrohung des eigenen Lebens nicht frei von „vaterländischem Geist“. Sein Fazit über den Krieg fasste der Berliner Technikstudent Hans Martens am 4. Februar 1915 in folgende Worte: „Das ist überhaupt das Scheußliche in dem jetzigen Krieg – alles wird maschinenmäßig, man könnte den Krieg eine Industrie gewerbsmäßigen Menschenschlachtens nennen – (…) Mi-
nenwerfer sind das Abscheulichste. Sie werden lautlos abgeworfen und schlagen oft dreißig Mann kaputt“. Am 14. Juli 1915 war er „kaputt“, im Alter von 22 Jahren fiel Martens. Der US-amerikanische Pilot Mc Connell schrieb „über“ Verdun: „Da unten ist nur der finstere braune Gürtel, ein Streifen gemordeter Natur. Wälder und Straßen sind verschwunden, von den Dörfern ist nichts geblieben als graue Flecken. Während schweren Artilleriefeuers habe ich Granaten wie Regen fallen sehen“. Was bleibt nun als Lehre und Konsequenz aus dieser (Brief)Geschichte? Der HarvardGeschichtsprofessor Niall Ferguson zitiert in seinem Buch „Der falsche Krieg“ (PantheonAusgabe, November 2013) aus einem Aufsatz von George Bernhard Shaw (Seite 15): „Erschießt Eure Offiziere und geht nach Hause“. Nun – so radikal muss die Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen ja nicht sein. Aber nach Hause gehen – das können sie doch... René Lindenau
len übernehmen kann“. Moltke machte mit diesen Worten schon deutlich, worum es dabei geht: Um geistige Führungsansprüche, um die Verteidigung und Ausweitung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen- und Einflusssphären. So werden Kriege vorbereitet und gemacht. Und es gilt: Für Kriege wird militärisch und geistig mobil gemacht. Dafür bluten müssen meist weniger die Generale, umso mehr jedoch die einfachen Soldaten. Während die Kriegsmaschine so am Laufen gehalten wird, hallt nicht nur der Geschützdonner über die Schlachtfelder, auch auf propagandistische Begleitmusik wird den Soldaten ein Anrecht eingeräumt. Im Oktober 1914 unterzeichneten 93 Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller einen „Aufruf an die Kulturwelt“. Darin erhoben sie „gegen die Lügen und Verleumdungen unserer Feinde in dem aufgezwungenen Daseinskampf“ ihren Protest. Die deutsche Kriegsschuld und der Völkerrechtsbruch wurden in „kulturvoller“ Weise abgestritten. Letztlich wurde noch das Vermächtnis von Goethe, Beethoven und Kant bemüht, um den Krieg zu rechtfertigen. Für andere wie für den „Zauberberg“, Thomas Mann, wurde die Feder zum Bajonett. Ganz „Mann-haft“ stach er zu, als er sich zu diesem Waffengang äußerte: „Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden
Ein Krieg in Briefen Jedes geschichtliche Ereignis lässt Fragen zurück. Bei der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, wie der US-Diplomat und Historiker George F. Kennan den Ersten Weltkrieg nannte, ist das nicht anders. Eine wichtige Quelle, um sich ein Bild von dessen Verlauf und von seinen Gräueln zu machen – oder auch, um Antworten zu ergründen –, ist die Feldpost. In ihr finden sich die Schilderungen der Soldaten über den Kriegsalltag. So wurden etwa 28,7 Milliarden Briefe, Telegramme und Postkarten zwischen den Fronten und dem deutschen Zuhause hin- und hergeschickt. Circa 6,8 Millionen Briefe schrieben deutsche Soldaten pro Tag. So berichtet ein Georg Sally Cohn am 28. November 1914 von einem 17-Jährigen: „Der linke Unterschenkel von einer Granate schwer zersplittert, der rechte große Fleischwunde. Tränenden Auges stand der Kamerad und Freund neben dem Verwundeten, der seine Hand fest presste (...) Armer Bursch, das Bein muss fort. Er biss wacker ins Hemd, um nicht
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Links! 05/2014
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Termine Dresden, 1. Mai, Donnerstag, 16.00 Uhr Buchvorstellung und Diskussion: »Eine Milliarde für Süderlenau« Bedingungsloses Grundeinkommen: Was wäre, wenn? Mit der Autorin Astrid Wenke. Moderation: Katja Kipping, MdB Eine Veranstaltung des WIR e.V. gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 7. Mai, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Hartz IV - Anspruch und Wirklichkeit, eine kritische Bestandsanalyse. Mit Prof. Dr. Klaus Dörre, Soziologe, Uni Jena. Moderation: Dr. Dieter Janke. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 10. Mai, Sonnabend, 11.00 - 16.00 Uhr Workshop: Schreiben auf Leben komm raus! Mit Uwe Hirschfeld, EHS Dresden. Eine gemeinsame Veranstaltung des AK kritische Soziale Arbeit, der Hochschulgruppe Lux Dresden und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden. Teilnahmegebühr: 5,00 €, ermäßigt: 3,00 €, SlamteilnehmerInnen „Gutes Leben2“: 0 € Dresden, 13. Mai, Dienstag, 19.00 Uhr Buchvorstellung: Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten. Mit Prof. Dr. Mario Kessler, Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam. Eine gemeinsame Veranstaltung des HATiKVA e.V., des Vereins für regionale Politik und Geschichte Dresden e.V. und der RLS Sachsen. HATiKVA e.V., Pulsnitzer Straße 10, 01099 Dresden Chemnitz, 14. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Kritische Theorie - eine Einführung***. Mit Steffen Juhran, Leipzig. Lokomov, Augustusburger Str. 102, 09126 Chemnitz
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert
In linken Kreisen erfreuen sich die Begriffe „Kritische Theorie“ oder „Frankfurter Schule“ ebenso wie die Namen Adorno und Horkheimer enormer Popularität. Manchmal kann man auf Theorie-Veranstaltungen durchaus Begriffs-Bingo spielen, wobei „Barbarei“, „‚struktureller‘ Antisemitismus“, vielleicht „Kulturindustrie“, mit Sicherheit „Aufklärung“ und „regressive Kapitalismuskritik“ zu den heißen Kandidaten gehören. Die grundlegende Spaltung in jene, welche sich in irgendeiner Form auf „ideologiekritischem“ Boden bewegen und sich damit auch immer irgendwie auf Kritische Theorie beziehen, und jenen die mit diesem ganzen Begriffs-Instrumentarium nichts am Hut haben, zieht sich dabei bis in Habitus und Sprache fort. Ziel dieses Referates soll es sein, einige Grundfragen zur Orientierung zu klären und das theoretische Koordinatengerüst abzustecken, auf dem sich die meisten Debatten auch heute noch bewegen: Wer und Was sind nun diese Autoritäten, auf die sich offenbar große Teile der radikalen Linken heute beziehen? Was haben ihre Theorien mit den geläufigen Positionen zu tun, um die sich heute noch die Diskussion dreht? Und: Wie „links“ ist das eigentlich alles noch? Es wird eine Mischung aus biographischem und theoretischem Input geben, um darzustellen, wieso gerade die „Frankfurter Schule“ derartigen Einfluss unter radikalen Linken und im deutschen Feuilleton gleichermaßen erringen konnte. Dresden, 14. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Das Ende der Billigarbeit in China? Industrieller Umbau und Arbeitsbeziehungen im Perlflussdelta. Mit Dr. Florian Butollo, Wissenschaftspreisträger der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden In den letzten drei Jahrzehnten ist China zum führenden ExporVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-
teur von Konsumgütern geworden – auf Kosten einer prekären Armee von Arbeitsmigranten, die in den Weltmarkfabriken schufteten. Doch steigende Kosten, wirtschaftliche Ungleichgewichte und eskalierende Arbeitskonflikte zeigen die Grenzen dieses Entwicklungsmodells auf. Auch die chinesische Regierung ist daher um eine technologische Aufwertung der Produktionsstrukturen und eine Befriedung der Arbeitskonflikte bemüht. Im Vortrag wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Aufwertung der Produktion auch eine Verbesserungen der Arbeitsbeziehungen mit sich bringt und was das für die Zukunft der chinesischen Arbeitskonflikte bedeutet. Dem liegt eine umfangreiche empirische Untersuchung über den industriellen Wandel im Perlflussdelta zugrunde. Leipzig, 15. Mai, Donnerstag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Gespräch: »Dr. Rudolf Franz 1882-1956. Zwischen allen Stühlen – ein Leben in der Arbeiterbewegung«. Mit dem Autor Prof. Dr. Gerhard Engel. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Zwickau, 15. Mai, Donnerstag, 17.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Krim zwischen Russland und Ukraine - Probleme, Hintergründe und Lösungsansätze. Mit MdB Stefan Liebich, Berlin. Politikkontor, Bosestraße 43, 08056 Zwickau Weißwasser, 16. Mai, Freitag, 18.00 Uhr Lesung und Gespräch: »Die Frau meines Vaters«. Mit Anja Röhl, Publizistin und Stieftochter von Ulrike Meinhof. Begegnungsstätte Weißwasser, Gutenbergstraße 17, 02943 Weißwasser Zittau, 17. Mai, Sonnabend, 10.00 Uhr Lesung und Gespräch: »Die Frau meines Vaters«. Mit Anja Röhl, Publizistin und Stieftochmine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter
ter von Ulrike Meinhof. Infoladen Zittau, Äußere Weberstraße 2, 02763 Zittau Dresden, 17. Mai, Sonnabend, 11.00 - 16.00 Uhr Workshop: Performen auf Leben komm raus! Mit u.a. Jochen Kretschmer, Schauspieler Dresden. Eine gemeinsame Veranstaltung des AK kritische Soziale Arbeit, der Hochschulgruppe Lux Dresden und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Europabüro, Schweriner Straße 50 a, 01067 Dresden Teilnahmegebühr: 5,00 €, ermäßigt: 3,00 €, SlamteilnehmerInnen „Gutes Leben2“: 0 € Chemnitz, 17. / 18. Mai, Sonnabend, Sonntag, ganztägig Ausfahrt in die Gedenkstätte des ehemaligen KZ MittelbauDora*** Eine Veranstaltung der Mobilen Jugendarbeit Mitte AJZ e.V. Chemnitz in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Teilnahmebeitrag: 10 Euro Um Anmeldung wird, wegen begrenzter Teilnehmerzahl, unter chemnitz@rosalux-sachsen.de oder unter 0160/97501483 gebeten. Chemnitz, 20. Mai, Mittwoch, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Nach dem Machtwechsel in der Ukraine – enttäuschte Hoffnungen und bedrohte Souveränität. Mit Ivo Georgiev, Leiter des Referates Ost-, Mittelost- und Südosteuropa der RLS. Lesecafé Odradek, Leipziger Straße 3, 09113 Chemnitz Leipzig, 21. Mai, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Nach dem Machtwechsel in der Ukraine – enttäuschte Hoffnungen und bedrohte Souveränität Mit Ivo Georgiev, Leiter des Referates Ost-, Mittelost- und Südosteuropa der RLS. Moderation: Boris Krumnow. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 20.04.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 30.05.2014.
Leipzig, 26. Mai, Montag, 18.00 Uhr Vortrag und Gespräch: Der große russische Dichter Michail Lermontow. Mit Prof. Dr. Roland Opitz, Literaturwissenschaftler und ehemaliger Leiter des Reclam-Verlages. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 27. Mai, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Walter Eucken und die Quellen des Ordoliberalismus. Mit Dr. Uwe Dathe, Jena. Moderation: Dr. Jürgen Stahl. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 28. Mai, Mittwoch, 19.00 Uhr Kä – Ki – Tu oder wenn sich Erich Kästner, Egon-Erwin Kisch und Kurt Tucholsky begegnet wären! Mit dem Trio Literale Marion Neumann, Karin Funke und Gabriel Krappmann. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 29. Mai, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU Ukraine - Russland – Krim. Umbruch und neue Grenzverschiebungen in Osteuropa. Rückblick und Annäherung an eine neue europäische Gegenwart. Mit Boris Krumnow, RLS Sachsen/ Netzwerk AGRU. Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig Cunnersdorf, 30. Mai, Freitag, 20.00 Uhr REIHE: Philosophinnen in Cunnersdorf*** Mit Theano von Thurij (Antike) und Hypathia von Alexandria (Spätantike) Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit der Alten Schule Cunnersdorf e.V. Alte Schule e.V./Schulweg 10/ 1920 Schönteichen OT Cunnersdorf *** in Kooperation mit der RLS: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank
Rezensionen
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05/2014 Links!
Der Lumpenhund in der Revolution Alexander Nitzberg hat eine Neuübersetzung des Romans „Das hündische Herz“ aus dem Frühwerk von Michail Bulgakow vorgelegt Das Experiment einer besseren Gesellschaft begann mit einer Revolution, deren weitere Entwicklungen in den frühen 20er Jahren von der Gruppe der Poputschiki begleitet wurden. Aus der Position des Beobachters kommentierten die „literarischen Weggenossen“ die Versuche und Irrtümer jener frühen Jahre durchaus bissig und attackierten die Verfehlungen scharfzüngig. Sehr pointiert geschieht dies in der Groteske Das hündische Herz, die die Diskrepanz der Personifizierung von Lumpi und der Reduzierung von Lumpikow behandelt. Hart ist das Los des Straßenköters Lumpi im Moskau der 20er Jahre. Eine obdachlose Töle, die Hunger und Schmerzen leidet. Eben hat ihn ein unfreundlicher Koch mit kochendem Wasser verbrüht – eine wirklich überflüssige Grausamkeit –, als ein gut angezogener, wohlriechender Herr ihm eine Wurst, „Krakauer spezial“ hinhält, um „den nervösen Köter zu ködern“. Sein neuer Herr, Prof. Preobrashenski, beschäftigt sich mit der Verjüngung der Menschen und möchte experimentell sehen, was passiert, wenn einem Hund Hoden und Hypophyse
eines Menschen eingepflanzt werden. So beginnt Lumpis Vermenschlichung, akribisch dokumentiert vom Assistenten Dr. Bormenthal. Der Hund wächst, verliert sein Fell, geht fortan auf zwei Beinen und beginnt zu sprechen, jeden Tag ein neues Wort – meist unflätige Gossensprache. Er denunziert, stiehlt, ergattert einen Posten als Funktionär, den er nutzt, um Liebesdienste einer jungen Frau zu erpressen. Auch mit dem Vorsitzenden der Hausverwaltung macht Genosse Lumpikow, wie „der neue Mensch“ genannt werden möchte, gemeinsame Sache, sodass Preobrashenski in Zeiten der „Wohnflächenkürzung“ um seine Sieben-Zimmer-Wohnung bangen muss. Die Geister, die er rief, wird er nun nicht los und sieht, dass sich die Eigenschaften des Organspenders, eines kleinkriminellen Alkoholikers, der bei einer Messerstecherei ums Leben kam, in Lumpikow manifestiert haben. Diese „fürchterliche Geschichte“ schrieb Bulgakow in einer ersten Fassung Anfang 1925, deren Veröffentlichung in der Sowjetunion jedoch erst 1987 möglich wurde. Bereits im darauf folgenden Jahr
Version handelt es sich um das Originaltyposkript des Romans, das als „Fassung letzter Hand“ gelten darf. Diese Neuübersetzung ist jedoch nicht
nur wegen ihres Rückgriffs auf die vom Schriftsteller autorisierte Fassung zu loben. Vor allem ist es der Übersetzung von Alexander Nitzberg gelungen, die furiose Prosa des Originals zu erhalten. In exzellenter Weise werden die Polyphonie, Perspektiv- und Stilwechsel wiedergegeben. Die Sprache reicht von der des Bildungsbürgers über den politischen Jargon des Proletariats bis zum primitiven Vokabular der Gosse. Ebenso großartig geglückt sind die das Experiment begleitenden Aufzeichnungen des Assistenten Bormenthal, die einem Schreibblock gleichen, mit Streichungen, Auslassungen und Hervorhebungen. Mit dem Titel „Das hündische Herz“ orientiert sich Nitzberg näher am Original, das auch diese adjektivische Struktur aufweist. Denn, so führt Nitzberg in seinem bemerkenswerten Nachwort aus, es geht dem Autor nicht um den Unterschied zwischen Mensch und Hund, sondern zwischen dem Menschlichen und dem Hündischen. Andreas Haupt Michail Bulgakow: Das hündische Herz, Galiani Verlag, Berlin, 176 Seiten, 16,99 Euro.
fallen, versuchte er sich tapfer bei allen beliebt zu machen. ... Bis er schließlich sich selbst genauso wenig leiden konnte wie andere auch. Und dann starb“. Zeitlebens war Thompson schwerer Alkoholiker, auch begünstigt durch seine Arbeit als Alkoholschmuggler während der Prohibition. Nach seinem ersten großen Erfolg mit „Nichts als Mord“ drohte
er wieder im Alkohol zu versinken, doch Mitte der Fünfziger nahte Rettung in Gestalt von Stanley Kubrik, der mit ihm – als großer ThompsonFan – seinen zweiten Spielfilm „The Killing“ verwirklichte. Als Drehbuchautor hatte Thompson damit Einfluß auf Regisseure wie Scorsese, die Coen-Brüder oder Tarantino. Leseempfehlung! Rico Schubert
Michail Bulgakow, um 1910
erscheint die Novelle in einer Übersetzung von Thomas Raschke, mit dem Titel Hundeherz im Verlag Volk und Welt. Doch erst bei der vorliegenden
Weit mehr als schwarze Krimis Jim Thompson, der Dostojeweski der hard boiled Krimis Einer der bekanntesten Filme der Schauspielikone Steve McQueen ist „Getaway“. Der berühmten Verfilmung von 1972 liegt ein Roman des bis vor kurzem leider fast vergessenen Jim Thompson aus dem Jahr 1959 zugrunde, ein Autor, der wohl auf eine Stufe mit den Klassikern des hards boiled Krimis, Raymond Chandler und Dashiell Hammett, zu stellen ist. In Deutschland erschienen seine Romane kurz nach seinem Tod im April 1977 zunächst bei Ullstein, die sich auch in der Aufmachung an die Originale in den USA anglichen. Sehr farbenfrohe Einbände ließen schwerlich „große“ Literatur vermuten, sondern machten mehr den Eindruck klassischer Pulp-Literatur. Erst seit Mitte der Neunziger, als sich der ehrwürdige und wohl über jedes Kritikerurteil erhabene Diogenes Verlag an Neuübersetzungenen und Neuauflagen machte, erhielt Thompson den ihm gebührenden Platz – neben Chandler
und Hammett, die beide auch bei Diogenes erscheinen. Die Neuübersetzungen haben den Büchern gut getan, ganz aktuell bringt aber auch Heyne die ersten Romane Thompsons neu auf den Markt. Jim Thompsons Leben war nicht einfach, selbst sein Tod – er verhungerte nach mehreren Infarkten – passte irgendwie zu seinen Büchern. In denen wird erstmals in der Kriminalliteratur eingehender auf die Psyche der Täter eingegangen. Nicht umsonst war er als Dostojewski der NoirKrimis bekannt. Seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA ließ ihn sehr unter McCarthy leiden – er stand zeitweilig auf der sogenannten „Schwarzen Liste“, was seiner Bekanntheit in der Literatur nicht sehr zuträglich war. Eine der besten Psyche-Studien legte er 1952 mit seinem Roman „Der Mörder in mir“ vor. Ein „Held“ wie der so ungemein symphatisch wirkende Lou Ford zeigt im Laufe des
Buches, dass ein psychotisch kranker Mensch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt; seine Psychose bricht aus und er bringt fünf Menschen um. In seinen Kriminalromanen zeigt Thompson auf, dass Gewalt, Habgier und Korruption in der amerikanischen kapitalistischen Gesellschaft selbstverständlich sind. Von seinen 27 Büchern gelten heute zehn als Klassiker des Genres. Einen guten Eindruck auf sein Schreiben vermittelt vielleicht eine Szene aus „The Grifters“: „Während er ihr nachschaute, wie sie zum Lift ging, dachte er ohne Bitterkeit, dass das Schlimmste am Altern die Angst war. Die Unsicherheit, die aus der Angst entstand. Man wusste eben, dass man nicht mehr so viel taugte ... Und er wusste auch, dass er sich nicht immer allzu intelligent anhörte, und er konnte nie mehr richtig tadellos ausssehen, wie sehr er sich auch anstrengte. Und da er genau wußte, dass es es unmöglich für ihn war, jemandem zu ge-
Kultur
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Das Ende von Windows XP und das Schweigen der Parteien Dass von der CDU zum Ende von Windows XP am 8. April nichts zu hören war, konnte man absehen – im Bundeskanzleramt versucht man gerade zu verstehen, was das Internet ist. Aber was ist eigentlich mit den anderen? LINKEN, Piraten oder Grünen? Zum Hintergrund: Der US-Konzern Microsoft beglückte bislang die Computergemeinde der Welt alle paar Jahre mit einem Betriebssystem, genannt Windows. Wenige davon waren es wert, installiert zu werden – die meisten waren Flops. Dabei verdanken Sie und ich mit höchster Wahrscheinlichkeit Microsoft, dass Sie den Zugang zu einem PC gefunden haben. Denn mit Windows setzte sich die sogenannte graphische Oberfläche durch, vorher gab es DOS oder UNIX. Manch einer hier im Osten erinnert sich noch an den KC 86, den Kleincomputer von Robotron, mit dem für Technikfreunde der Sonderklasse das Computerzeitalter begann. Programme wurden per Radiowellen von Jugendradio DT 64 ausgestrahlt und mit einem Kassettenrecorder zu Hause per Handbedienung aufgezeichnet. Minutenlanges Pfeifen und Rauschen im Radio und am Ende hatte der Nerd, der sich damals wohl eher als Computer-Freak bezeichnet hat, ein Programm – und in der Klasse schüttelten alle mit dem Kopf, wie man sich mit so spacigen Dingen wie mit einem Computer beschäftigen kann. Doch dann kam in den 90ern Windows auf die Rechner der Welt – und plötzlich sah man zwischen Afghanistan und Zypern, dass der PC wohl doch nicht nur etwas für Freaks ist, sondern für den ganz normalen Menschen. Die Verwaltungen aller Länder leckten Blut und fingen an, ihre Dateikarten in den Computer einzugeben,
und Schreibmaschinen wurden zögerlich aufs Altenteil verschoben. Seitdem beherrscht Windows die Computerwelt – zwar hatte es schon vor Windows eine graphische Oberfläche gegeben, erfunden von den Apple-Gründern, doch es war nicht das Anliegen von Apple, einen „Volks-Computer“ in der Welt zu verbreiten. So blieb der Apple klein und fein ein elitäres Nischenprodukt – überall an den US-Elite-Universitäten wie in Princeton war der Apple verbreitet und kam so in westdeutsche Computersäle wie den der Freien Universität in Westberlin. Für die Masse war der Apple nix –
übertragung gehabt – an französischen Skiorten und in französischen Küchen suchte man im Minitel nach Schneeberichten oder Rezepten, die Bundespost experimentierte mit BTX, genannt Bildschirmtext und heute noch bei allen Fernsehsendern zu bewundern. Viele hatten also etwas, aber nur einer setzte sich durch: Microsoft im Verein mit Intel, einem Produzenten für Prozessoren. Das „Silicon Valley Saxony“ verdankt seine Entstehung der Ansiedlung des IntelKonkurrenten im Dresdner Norden. Der kalifornische Konzern AMD versuchte dem Platzhirsch Intel eine Zeit lang den Rang ab-
– obwohl es längst Alternativen zu Windows gibt? Wie lange dauert es, bis man begreift, dass die Datenautobahnen und Datenspeicher die Blutbahnen des gegenwärtigen Zeitalters sind und man diese eben nicht dem Gutdünken eines Konzerns in Redmond überlassen kann? Wozu braucht man „Linke Medienakademien“, wenn dort nur gelernt wird, einen Blog zu betreiben, Homepages zu gestalten, und bei all dem das Wichtigste auf der Strecke bleibt – weil man danach seine Daten bei Twitter und Facebook verkauft und das in heiliger Einfalt noch als „Erfolg“ feiert? Längst gibt es mit
gut, aber zu teuer. In etwa zeitgleich mit der Verbreitung von Windows setzte sich (von Angela Merkel vollkommen unbemerkt – weder NSA, CIA noch Bundesverfassungsschutz wollen sie informiert haben!) das Internet durch. Auch hier hatten die Einzelstaaten in Europa noch ihre eigenen Projekte der Daten-
zulaufen, inzwischen hat AMD längst das Werk verkauft. Wie kann es sein, dass sich Gemeinden, Privatpersonen und zahlreiche Großbetriebe und Kleinbetriebe auf Gedeih und Verderb den Entscheidungen einer US-Konzernzentrale ausliefern und unsere Parteien dem Ganzen seit Anfang an zusehen
der nach einem finnischen Studenten benannten Software LINUX und deren Derivaten Ubuntu, Suse oder Mint Alternativen bei Betriebssystemen. Diese sind nicht nur kostenlos, sondern werden demokratisch von allen Computerfreunden der Welt weiterentwickelt. Die Stadt München hat sich
zehn Jahre durchgekämpft, um ihre Computer von Windows zu befreien und auf LINUX umzustellen – in den meisten deutschen Städten ist man noch weit davon entfernt. Aber es gibt Teilerfolge: So arbeitet die erfolgreichste Kommunalbibliothek Deutschlands, die Dresdner Stadtbücherei, ausschließlich mit LINUX. LINUX ist nicht nur kostenlos, sondern auch noch höchst demokratisch – Kommunen und Unternehmen, die sparen wollen und sich gegen die Diktatur von Konzernen stellen, sollten es als selbstverständlich betrachten, auf LINUX umzusatteln. Eine linke Medienakademie hätte die Hauptaufgabe, Interessenten und vor allen Dingen Mitarbeiter in Kommunen LINUX-fit zu machen. Da wäre sogar ein Bündnis von LINKEN und Piraten denkbar. Nächste Schritte wären ein europäisches Internet, dessen Daten nicht mehr über US-Knotenpunkte laufen, und die Einführung europäischer Sicherheitsstandards. Doch die Politik muss damit anfangen: „Alle Gemeinden, in denen die LINKE die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister stellt, arbeiten daran, ihre Computerinfrastruktur auf LINUX umzustellen und führen kostenlose LINUX-Schulungen für die Bevölkerung durch“. Dies wäre eine Meldung, mit der die Partei bei allen Wahlen dieses Jahres bundesweit punkten könnte – und sollte. Auf 30 Prozent der Computer weltweit ist Windows XP installiert – in Deutschland auf Geldautomaten und auf den PCs der Telekom. Und wieder einmal verschlafen Politiker die Chance, sich zu profilieren und vor allen Dingen etwas für die Wählerinnen und Wähler zu tun. Ralf Richter
„Ich provoziere für die Liebe und die Revolution“ Léo Ferré, der große Chansonnier und Anarchist – das Chanson bedeutet ihm Poesie und Kraft. Ein verzweifelter Schrei, der die Hoffnung in sich trägt, die Hoffnung auf Anarchie als innere Haltung. Seine Lieder, die schonungslos politische und soziale Missstände anprangern, trägt er mit beißender Ironie vor. Außergewöhnlich und unnachahmlich schleudert er mit vielschichtigem, teils aggressiv klingendem Sprechgesang dem Publikum, das wie hypnotisiert jeden Satz von seinen Lippen zu lesen scheint, seine Wut entgegen: „Für die Erstürmung der Bastille, auch sie ganz umsonst ist, thank you, Satan!“ Léo Ferré betritt diese Welt am 24. August 1916 in Monaco, als Sohn einer Monegassin italienischer Herkunft. Sein Vater leitet ein Spielkasino. Die Schulzeit
verbringt er im ihm verhassten Klostercollege Saint-Charles im italienischen Bordighera. Sehr bald entdeckt Ferré seine Liebe zur Musik und beginnt, Klavier zu spielen, wird Mitglied in einem Chor und begegnet Maurice Ravel, der in Monaco ein Orchester dirigiert. Ferrés erste Komposition ist die Vertonung eines Gedichtes von Verlaine: „Soleils couchants“. Schließlich studiert er, dem Willen seiner Eltern zum Trotz, Musik beim aus Russland stammenden Leonid Sabaniev. Wieder nach Beausoleil zurückgekehrt, komponiert er bereits Opern, moderiert bei Radio Monte Carlo und wird Regieassistent. 1946 lernt er Edith Piaf kennen und zieht nach Paris, wo er im berühmten Kabarett „Le bœuf sur le toit“ als Chansonsänger auftritt. Ein Jahr später folgen weitere Auf-
tritte auf Cabaretbühnen, und er gibt ein großes Konzert für die „Federation Anarchiste“. In Paris entstehen dann auch erste Schallplattenaufnahmen. Zu Beginn der Sechziger kommt es zu einem gesanglichen Rendesvouz mit Josephine Baker im „Olympia“. 1961 schließt er enge Freundschaft mit dem kommunistischen Dichter Aragon, dessen Texte er neben Gedichten von Villon, Rimbaud, Roger Caussimon oder Boudelaire ebenfalls in sein Repertoire aufnimmt. 1968 treffen Ferrés Chansons den Nerv der Zeit, denn die poetischen Inhalte entsprechen gänzlich den Idealen einer aufrührerischen Generation. Durch die Zusammenarbeit mit der Rockband „Zoo“ erreicht er auch in der französischen Jugendbewegung eine enorme Populari-
tät. Erst in den Achtzigern kehrt er zur alten Chansontradition zurück und interpretiert Songs mit schlichter Klavierbegleitung. 1984 gibt er sehr erfolgreiche Tourneen, die ihn quer durch Europa und Kanada führen. 1985 und 1986 gastiert Ferré in der DDR, Österreich und der BRD. Ostern 1985 wird er zusammen
mit der Sängerin Juliette Greco als wichtigster Star beim Chansonfestival „Printemps de Bourges“ gefeiert. Am 14. Juli 1993 hörte sein ruheloses Herz auf, zu schlagen. Seine Chansons, die von liebevoller Anarchie geprägt sind, bleiben zeitlos aktuell. Jens-Paul Wollenberg
Bild: Fédération Anarchiste / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0