Eine durchsichtige Scharade
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juni 2016
Was im Landtag sein vorläufiges Ende fand, war Teil eines gut eingerührten PR-Coups der Kohlelobby. Die hatte nach dem Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall nach einer Chance gesucht, ihr ramponiertes Image in der Lausitz wieder aufzuhübschen. Sie fand es in den Pfingstprotesten der Klimaschutzbewegung. Die finden seit Jahren statt, werden ordentlich öffentlich angekündigt. Selbst Blockaden oder Besetzungen als durchaus umstrittene Instrumente des zivilen Ungehorsams werden bekannt gemacht, u. a. damit sich Energieversorger darauf einstellen können. Das tun sie auch – das Kraftwerk Schwarze Pumpe war vorsorglich auf 20 % seiner Leistung heruntergefahren worden. Die Organisatoren von „Ende Gelände“ und Campact stimmten ein Sicherheitskonzept ab, mit Land, Kommunen, Unternehmen, Polizei und Justiz. Die Organisatoren schulen sogar die Demonstranten, damit niemand zu Schaden kommt! Diesen Grundkonsens hat „Ende Gelände“ veröffentlicht. Er war unter anderem die Grundlage meiner Unterstützung für die Pfingstproteste – auch wenn ich mich für eine wesentlich weniger dramatische Protestform entschieden habe, einer Demonstration von Welzow nach dem abbaubedrohten Proschim. Diese Demo verlief absolut friedlich, fröhlich und war bunt – auch parteipolitisch. Jetzt startete der PR-Coup: Bereits am Samstag liefen die Medien-Ticker über von Bildern über Klimaaktivisten im Tagebau, auf Förderbändern, auf Gleisen, über Zäune kletternd. Von „meiner“ friedlichen Demo kam nichts. Die entspannt agierende Polizei begleitete die Aktivisten, hinderte lange niemanden an nichts. Bis Vattenfall intervenierte und die Räumung verlangte. Nun wurde eingegriffen, Klimaaktivisten wurden festgesetzt, eingekesselt. Dann flogen die ersten Böller auf Aktivisten – aus einer spontanen Gegendemonstration von Kohlebefürwortern. Nazis hatten sich offensichtlich unter die Gegendemonstranten gemischt, wie sie bereits in der Nacht zuvor und tagsüber Gruppen von Klimacampteilnehmern bedroht und
angegriffen hatten. Die Polizei schritt ein. Auch darüber erfährt der Leser der regionalen Zeitungen in Brandenburg und Sachsen später, wenn überhaupt, nur am Rande. Am Sonntag wurde das Klimacamp einschließlich der Blockaden beendet. Am Montag erschien ein großformatiger Artikel eines betroffen dreinblickenden leitenden Vattenfall-Mitarbeiters, der über verängstigte Bergleute und einen entgleisten Zug berichtete. Warum, wie nach Blockaden zu erwarten wäre, keine strengen Kontrollen an den Strecken um Tagebau und Werk erfolgt sind, bleibt sein Geheimnis. Zeitgleich stapeln sich Pressemitteilungen von Koalitionspolitikern, die scharfe Angriffe gegen Grüne und LINKE fahren. Die ersten Positionspapiere von Vereinen und Wirtschaftsorganisationen, später von Vattenfall und IGBCE verlangen nach Distanzierungen von Linken und Grünen. Schließlich der vorläufige politische Abschluss der Kampagne im Plenum: Die Koalitionsabgeordneten Rohwer, Heidan, Hirche, Krauß (CDU) und Baum (SPD) – keiner von ihnen war auch nur in der Nähe der Proteste – überbieten sich in Schuldzuweisungen und Entgleisungen (u.a. Krawallbrüder, Terroristen) gegen linke und grüne Abgeordnete. Die klimapolitische Dimension der Proteste wird in regionalen Medien nicht einmal angerissen! Die Unterstützung starker Teile der örtlichen CDU im rot-roten Brandenburg für die Pfingstproteste wird in Sachsen verschwiegen. Hätte der Protest besser nicht stattfinden sollen? Sind Blockaden und Werksbesetzungen wirklich legitim? Solange keine Gewalt gegen Menschen ausgeübt wird: Ja. Hier geht es um mehr als ein Lausitzer Problem. Es geht ums Überleben unseres Planeten, weil der Klimakiller CO2 die Erde kollabieren lässt. Vorher ernten unsere Kinder und Kindeskinder die Folgen unseres Egoismus: Naturkatastrophen und Klimaflüchtlinge. Kleiner ist es leider nicht zu haben. „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Das soll Lenin gesagt haben. Wären die Menschen 1989 der CDUDefinition von legitimem Protest gefolgt, stünde vermutlich noch die Mauer. Ziviler Ungehorsam gehört zu einer funktionierenden Demokratie. Wenn es um existentielle Fragen geht, muss der Druck auf Politik und Wirtschaft erhöht werden können. Ich lasse der Koalition die Kriminalisierung der Umweltbewegung nicht durchgehen. Wenn Unvernunft zu Politik wird, wird Widerstand zur Pflicht! • Kathrin Kagelmann