Links! Ausgabe 09/2014

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„Der war doch nur ein Jude“

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2014

Rassismus ist alltäglich. Rassismus gibt es auch in der oft beschworenen „Mitte der Gesellschaft“. Für jene, die sich rassistisch äußern, ist ihr Denken oftmals dermaßen normal, dass ihnen ihr Rassismus gar nicht mehr auffällt. Der NSUProzess in München, der ja auch dazu dienen soll, den Opfern endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, liefert immer wieder Beispiele dafür. Da gibt es den Polizeibeamten, der äußert, ein Roma-Zeuge sei ein „typischer Vertreter seiner Ethnie“, bei der „die Lüge ein wesentlicher Bestandteil seiner Sozialisation darstelle“. Da steht in einer Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamts BadenWürttemberg: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist.“ Deutsche töten eben einfach nicht. Schon gar nicht aus rassistischen Motiven. Wie lange liegt die NS-Zeit zurück? Diese Blindheit gegenüber den Fakten ist keine westdeutsche Besonderheit. Bundesweit gehen wir von rund 180 Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 aus. Nur rund ein Drittel davon wird von den Behörden als ein solches Opfer anerkannt. Das ist in Sachsen nicht anders. Zwar sind erfreulicherweise nach einer erneuten Überprüfung der Fälle zwei weitere Opfer anerkannt worden. Nach langen Jahren. Und erst nach nachdrücklichen Forderungen der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Wir haben uns dieses Themas immer wieder angenommen. Wir werden es weiterhin tun. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn das Gedankengut von Neonazis, das Obdachlose als lebensunwert ansieht, als irrelevant angesehen wird und die Gerichte – weil das einfacher ist – einfach von einer Tat unter Alkoholeinfluss und ohne Motiv ansehen. Auch dann, wenn einige der Täter als Neonazis bekannt sind. Kein

einziger der ermordeten Wohnungslosen in Sachsen ist bisher als Opfer rechter Gewalt von der Staatsregierung anerkannt worden. Dass Sozialdarwinismus zum Gedankengut der Neonazis gehört, hat sich bis in die Amtsstuben sächsischer Ministerien offenbar noch nicht herumgesprochen. Wir haben deshalb in der gerade abgelaufenen Legislaturperiode nachgehakt. Unter Benennung der einzelnen Fälle und der Tatabläufe. Das Resultat? Man kann es nicht einmal als „dürftig“ bezeichnen. Die Staatsregierung geht weiter davon aus, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein Beispiel gefällig? In einer Kleinen Anfrage habe ich die Staatsregierung gefragt, warum Gerhard Helmut B. bisher nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt worden ist. Kaum jemand erinnert sich noch an den Fall. Am 17. Dezember 1995 wurde Gerhard Helmut B. in Leipzig durch mehrere Personen so schwer misshandelt, dass er verstarb. Drei Angeklagte wurden später wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Nach offiziellen Angaben hatte einer der Täter gegenüber einer Zeugin geäußert: „Der war doch nur ein Jude.“ Für die Staatsregierung kein Grund, ein mögliches politisches Motiv bei der Tat zu sehen. Die lapidare Antwort auf meine Fragen: Wir prüfen noch. Die Staatsregierung verwies darauf, dass man nach einer Kleinen Anfrage von mir vom Januar 2014 das LKA angewiesen habe, alle darin genannten Tötungsdelikte auf eine mögliche politische Motivation zu überprüfen. Möglicherweise werde es eine darüber hinausgehende Überprüfung durch das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus geben. Diese Antwort stammt aus dem Juli 2014. Eine lange Zeit für die Überprüfung weniger Fälle. Vor allem aber war es die Antwort auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt hatte. Ich wollte wissen und will es noch immer, aus welchen Gründen Gerhard Helmut B. eine Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt durch die Staatsregierung versagt bleibt, welche Gründe gegen die Annahme sprechen, eine politische Motivation sei zumindest ein Grund gewesen? Darauf gab es keine Antwort. Kein Wort. Also werden wir nachhaken müssen. Bis auch die Staatsregierung begriffen hat, dass Todesopfer rechter Gewalt Todesopfer rechter Gewalt sind. Auch in Sachsen.


Links! im Gespräch

Links! 09/2014 Auch die politische Landschaft des sonst recht beschaulich – man könnte auch sagen: erstarrt – wirkenden Freistaates Sachsen wird gelegentlich von Skandalen erschüttert. Mitunter werden diese dann von Untersuchungsausschüssen des Landtages unter die Lupe genommen. Ob überdimensionierte Abwasseranlagen, illegale Müllgeschäfte, der Untergang der SachsenLB oder das Behördenversagen beim „NSU“-Terror: Die Opposition sorgt für Aufklärung – auch im Fall des bislang wohl meistdiskutierten Skandals, der unter der Bezeichnung „Sachsensumpf“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Der 2. Untersuchungsausschuss, der sich mit dem möglichen Vorhandensein „Krimineller und Korruptiver Netzwerke im Freistaat Sachsen“ befasste, hat seine Arbeit mit Ablauf dieser Legislaturperiode beendet. „Links!“ sprach mit dem Landtagsabgeordneten Klaus Bartl (DIE LINKE), der den Vorsitz führte, über die Ergebnisse. Herr Bartl, kurz und knapp vorab: Gab oder gibt es einen „Sachsensumpf“? Aus dem 15.600 Seiten umfassenden Material, das ein von 2003 bis Mai 2006 im Landesamt für Verfassungsschutz tätig gewesenes Referat für Organisierte Kriminalität (OK) zusammentrug, ergeben sich vielfältige Indizien für die Existenz von Strukturen der Italienischen Mafia, der osteuropäischen Mafia und Organisierter Kriminalität allgemein mit der ganzen Skala kapitaler Straftaten – von Mord, Menschenhandel, sexuellem Missbrauch von Kindern, Zwangsprostitution bis hin zu schwerer Korruption. Beweisbar, gar gerichtsfest, konnte der Untersuchungsausschuss all diese Verbrechensvorwürfe und vor allem die Frage der Involvierung herausgehobener Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Polizei und Verwaltung in selbige nicht aufklären. Das war allerdings auch nicht seine Aufgabe und stand nie in seinem Vermögen. Untersuchungsausschüsse sind keine „bessere Staatsanwaltschaft“. Die Auffassung der sich jetzt trennenden Koalitionsfraktionen CDU und FDP in ihrem Abschlussbericht, es habe nie einen Sachsensumpf gegeben, teile ich nicht. Bis heute wird verschleiert, abgelenkt, abmoderiert. Der Bericht der Oppositionsfraktionen zum Ausschuss spricht von einer „Umkehr der Verfolgungsrichtung“, also davon, dass Staatsregierung, Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und Justiz eine „Gegenerzählung“ zum „Sachsensumpf“ aufgebaut und durchgesetzt hätten. Das zieht sich wie ein roter Faden durch das 400-Seiten-Papier.

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„Elementar rechtsstaatswidrig und menschlich niederträchtig“ Das ist auch der rote Faden im Umgang mit der Affäre. In aller Kürze: Innerhalb von drei Tagen nach seinem Dienstantritt wollte der neue LfV-Präsident Reinhard Boos die Akten des OK-Referats gesichtet und dessen Arbeit als letztlich wertlos erkannt haben. Das widerspricht jeglicher Logik. Schon Anfang Juli 2007 gab man in einer Kabinettspressekonferenz gezielt Entwarnung. Lesart: Die Sachsensumpf-Vorwürfe sind haltlos, beruhen auf der fehlerhaften Arbeit einer „wild gewordenen“ Leiterin des zum damaligen Zeitpunkt bereits aufgelösten Referates Organisierte Kriminalität, Simone Skroch vormals Henneck, und von deren Mitarbeitern, die damit einen Skandal verursacht und dem Freistaat geschadet haben. Schon wenige Wochen nach dem Beginn der Affäre besprachen sich Innen- und Justizministerium sowie die Staatsanwaltschaft schamlos frontal darüber, ob die Verfahren, die sich aus den Anhaltspunkten in den Verfassungsschutz-Akten ergaben, „schon jetzt“ eingestellt werden könnten, und wie man in der Pressepolitik am besten verfahren sollte. Dieses konzertierte Vorgehen von Politik und Justiz verletzt im Kern die Gewaltenteilung! Zur Durchsetzung dieser Version hat man auch die Medien gezielt zu instrumentalisieren versucht. So zeigt etwa das Empfangsbuch des LfV während der Hochphase der Affäre eine Vielzahl von Journalistenbesuchen. Schon sehr bald richtete man die Ermittlungsbemühungen nicht gegen jene, die durch das Material möglicherweise belastet wurden, sondern auf diejenigen, die das Material gesammelt hatten.

Insbesondere der Umgang mit Simone Henneck/Skroch hat für Empörung gesorgt. Skroch war die Haupt-Zielperson der Gegenerzählung von LfV und Staatsregierung. Neben ihr der Leipziger Kriminalhauptkommissar Georg Wehling, ein höchst erfolgreicher OK-Ermittler. Vereinfacht gesagt: Man hat Henneck/Skroch und ihrem Referat unterstellt, sie hätten bei der Sammlung der Informationen schlampig und in Teilen rechtswidrig gearbeitet, Skroch selbst sei von persönlichen Motiven getrieben gewesen, habe die Vorwürfe aufgebauscht und damit einen Skandal verursacht. Tatsächlich hat sie nur Weisungen ihrer Vorgesetzten ausgeführt, und das Material gab durchaus Anlass zu weitergehenden Ermittlungen. Sie wird wie viele andere bis heute mit Straf- und Disziplinarverfahren überzogen, die nicht enden wollen. Sie wurde mit Kalkül beruflich, finanziell und gesundheitlich ruiniert. Man verzögerte bewusst die Einleitung eines ersten Disziplinarverfahrens und vernahm sie in der Staatsanwaltschaft Dresden als Zeugin und nicht als Beschuldigte, damit sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen konnte. Die Staatsanwaltschaft übte, animiert durch den damaligen

CDU-Justizminister Geert Mackenroth höchstselbst, Druck auf ihre behandelnde Ärztin aus, ihr Vernehmungsfähigkeit zu attestieren. Über den Umgang mit ihr, insbesondere über Vernehmungstermine, gab es rechtswidrige Absprachen zwischen Justizministerium, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft. Für besonderen Diskussionsstoff sorgten die Geschehnisse am 3. Juli 2007. Was an diesem Tag im LfV geschah, hat mein Abgeordnetenkollege Karl Nolle von der SPD als „weißrussische Sonderbehandlung“ bezeichnet. An diesem Tag trat Skroch nach einem Urlaub trotz gesundheitlicher Beschwerden den Dienst wieder an. Das war in der Hochphase der Affäre. Obwohl sie darauf hinwies, dass sie krank sei – wie sich am Abend herausstellte, wohl wegen einer beginnenden Hirnhauterkrankung –, und sich nicht vorbereiten konnte, zwang ihre Vorgesetzten Reinhard Boos und Dr. Olaf Vahrenhold die Beamtin unter Androhung disziplinarrechtlicher Konsequenzen, zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung zu fahren. Diese dauerte dann sechs Stunden, und als Skroch ins LfV zurückkehrte, brach sie zusammen. Es ist erwiesen, dass der LfV-Präsident Boos und sein Vertreter Vahrenhold die gerufenen Rettungskräfte erst nach etwa einer Stunde zu der dringend behandlungsbedürftigen Patientin durchließen. So lange hatten sie sie „bearbeitet“, verhört, und ihr eröffnet, dass ein Disziplinarverfahren gegen sie eröffnet werde. Noch auf der Krankentrage nahm man ihr die Dienstschlüssel ab. Das alles war elementar rechtsstaatswidrig und menschlich niederträchtig. Auch weitere ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gerieten ins Visier. Michael Heide, der 2007 an der Aufarbeitung des OKAktenmaterials

mitarbeitete und durch den Arbeitsdruck krank wurde, musste trotz Arbeitsunfähigkeit beim LfV-Präsidenten Boos erscheinen und wurde dort aufgefordert, ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben und einzuräumen, dass er Informationen nach außen durchgestochen habe. Er weigerte sich. Bald darauf versuchte man mit einem Trick, ihn zu verhaften, durchsuchte mit martialischem Aufgebot sein Wohnhaus. Als er sich den Behörden stellte und der Haftrichterin vorgeführt wurde, stellte sich heraus, dass seinem Haftbefehl die Beweisgrundlage fehlte. Er wurde einstweilen wieder entlassen, ist aber beruflich erledigt. Der Mitarbeiter D. H., vormals „Quellenführer“ im OK-Referat und als verdeckter Ermittler im Milieu der extremen Rechten tätig, wurde ohne Ansehen seiner daraus folgenden Gefährdung in den uniformierten Streifendienst versetzt. Ähnliches widerfuhr dem früheren LfV-Mitarbeiter Gernot Heischmann, weil er sich weigerte, die Identität nachrichtendienstlicher Personen, denen gesetzlich geregelter Quellenschutz zugesagt war, gegenüber der Staatsanwaltschaft zu offenbaren. Georg Wehling schließlich, dem man unterstellte, als V-Person „Gemag“ maßgeblich an der „Konstruierung“ der Sachsensumpf-Vorwürfe mitgewirkt zu haben, wurde serienweise mit Straf- und Disziplinarverfahren überzogen. Inzwischen hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht entschieden, dass er wieder „qualifikationsbezogen“ einzusetzen sei. Dennoch leitet der ehemalige Leiter des Leipziger OK-Dezernates, dann Chef der Mord-Untersuchungskommission Leipzig und später Leiter der Kriminaltechnik, heute eine Einsatzgruppe, die Diebstahl und Vandalismus an Briefsammelkästen nachgeht. Wie ist insgesamt die Rolle des Landesamtes für Verfassungsschutz einzuschätzen? Der Verfassungsschutz, besser gesagt seine „im Auge des Orkans“ Mitte Juni 2007 etablierte neue Führung, war eine treibende Kraft bei der Verhinderung der Aufklärung. Der neue Präsident Boos beeinflusste gemeinsam mit seinem Stellvertreter Vahrenhold in unerlaubter Weise die Arbeit der Staatsanwaltschaften, stand wesentlich hinter der Gegenerzählung. Und er hat sich aktiv daran beteiligt, als es darum ging, die vermeintlichen Vorwurfsurheber beruflich zu vernichten, persönlich zu diskreditieren und sie mit den Mitteln des Straf- und Disziplinarrechts finanziell und gesundheitlich zu ruinieren. Hat die Opposition nicht auch zur Skandalisierung beigetragen? Hat sie, teils allerdings ange-


Die dritte Seite

Seite 3 stachelt von der berüchtigten „Mafia-Rede“ des damaligen Innenministers Buttolo Anfang Juni 2007 im Landtag. Wir müssen rückblickend einräumen, dass wir in der Anfangszeit der Affäre möglicherweise an einigen Stellen etwas über das Ziel hinausgeschossen sind. Allerdings haben wir das, glaube ich, wieder wettgemacht, indem wir konsequent die Aufklärung vorangetrieben haben, was dem Umgang von Staatsregierung, Verfassungsschutz und Justiz mit den Vorwürfen angeht. Da sind wir auf viele unappetitliche, ernüchternde, auch empörende Vorgänge gestoßen. Dennoch hätten uns etwas mehr Distanz und Abgeklärtheit schon damals eher geholfen, hinter die eigentlichen Mechanismen der Affäre zu blicken. Konnte die Aufklärung der eigentlichen Vorwürfe unter den gegebenen Umständen überhaupt funktionieren? Natürlich, wenn wirklich alle Beteiligten ergebnisoffen und nicht machtgetrieben beziehungsweise ideologisch instrumentalisiert an die Untersuchung herangegangen wären. Obwohl die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages und auch der damalige Innenminister dem Verfassungsschutz den klaren Auftrag erteilt hatten, das Aktenmaterial aufzuarbeiten und der Staatsanwaltschaft zur Prüfung zu übergeben, geschah dies nur in einem von vier FallKomplexen. Die anderen Akten wurden lediglich geschwärzt und dadurch de facto unbrauchbar gemacht, bevor sie an die Staatsanwaltschaft gingen. Dort wurden in der Regel im Bereich der Verfolgung der Organisierten

Wahlzeiten sind schon verrückte Zeiten. Das hätte ich nie für möglich gehalten, Herr Tillich schreibt mir ganz persönlich. „Unser Ministerpräsident“ steht vorne auf der Karte, und er selbst lächelt mich an. Kein Irrtum! Die Adresse stimmt auf die Hausnummer genau. Noch erstaunlicher ist aber der Inhalt der Karte. Ein Lob für mich! Ich hätte „den sächsischen Weg seit 1990 mitbestimmt, mitbegleitet und mitgestaltet.“ Das habe ich tatsächlich tapfer versucht. Herr Tillich hat mich freilich gerade dabei und bislang massiv behindert. Und jetzt stellt er fest, dass mein Bemühen erfolgreich war: „Das hat unserem Land gut getan. Das

Kriminalität völlig unerfahrene Staatsanwälte mit den weiteren Ermittlungen betraut. Die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen (INES), die dafür qualifiziert und prädestiniert wäre, wurde nicht eingeschaltet. Es gab auch kein übergreifendes Ermittlungskonzept. Das alles passt zur Zielstellung, den vermeintlichen Beweis für die Haltlosigkeit der Vorwürfe zu erbringen und die Verfolgungsrichtung umzukehren – und fortan nicht mehr auf jene zu zielen, die laut der Beobachtungen des LfV möglicherweise in Organisierte Kriminalität verstrickt sein konnten. Stattdessen verfolgte man jene, die man als Urheber der Vorwürfe, als Unruhestifter ansah. Hat die Staatsregierung die Untersuchungen im gebotenen Umfang unterstützt? Der Sachsensumpf-Untersuchungsausschuss bestand ja auch schon in der vierten Wahl-

periode des Landtages. Damals mussten wir uns erst über ein reichliches Jahr lang vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof die notwendigen Akten herausklagen. In der jetzt endenden 5. Wahlperiode verhielt sich die Staatsregierung kooperativer. Allein das Material, das der Ausschuss auf Anforderung bekam, füllt 1.091 Aktenordner. Welche Forderungen leiten Sie aus den Untersuchungsergebnissen ab? Die demokratischen Oppositionsfraktionen haben zur letzten Landtagssitzung einen gemeinsamen Entschließungsantrag vorgelegt. Darin haben wir uns dafür ausgesprochen, die ideologischen Debatten um Schuldzuschreibungen und Machterhalt durch sachorientierten Streit zu ersetzen. Ein zentraler Punkt ist auch die Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften. Jegliche Einflüsse auf die

09/2014 Links! Organe der Strafrechtspflege, ob sie von Politik, Verfassungsschutz oder woanders herkommen, müssen unterbunden werden. Entsprechend qualifizierte Staatsanwälte müssen wieder eigenständig ermitteln können. Außerdem haben wir gefordert, den Aktenfundus des Untersuchungsausschusses der Forschung zugänglich zu machen, natürlich unter Beachtung des Datenschutzes. Das Material ist eine einmalige zeitgeschichtliche Informationssammlung insbesondere zu den Entscheidungsmechanismen im Verantwortungsbereich des Staatsministeriums des Innern sowie des Staatsministeriums der Justiz und für Europa für den historischen Zeitraum seit der „Wende“ in Sachsen. Meine Fraktion hat übrigens die wichtigsten Befunde der Ausschussarbeit in einer Broschüre zusammengestellt, dort sind sie für jedermann nachlesbar. Was ich hier

nur in aller Kürze schildern kann, ist dort umfänglich aufgearbeitet. Am Ende Ihrer Untersuchungen warf die Opposition den Begriff „weiße Korruption“ in den Raum, von der der Freistaat betroffen sei. Was ist damit gemeint? Wir haben vor dem Hintergrund, dass die Aufklärung der eigentlichen Vorwürfe verhindert wurde, keine Grundlage, um davon zu sprechen, dass Sachsen ein Sonder-Gebiet in Sachen Mafia oder struktureller Organisierter Kriminalität ist. Was wir aber sicher sagen können, ist folgendes: Der eigentliche Sachsensumpf, wie wir ihn belegt haben, bestand im Umgang der Verantwortlichen in Politik und Justiz mit den Vorwürfen und vor allem mit denen, die man als deren Urheber ausgemacht hatte. Der Sumpf ist die rücksichtslose Suche nach Schuldigen, die an der Grenze zur Illegalität und Rechtsbeugung verlaufende Abmoderation des öffentlichen Skandals, bei der man die körperliche und seelische Zerstörung von auserkorenen „Schuldigen“ billigend in Kauf nahm. Die Mechanismen, die dabei abliefen, haben wir als „weiße Korruption“ charakterisiert. Mit dem Ausschuss hat die demokratische Opposition gezeigt, wie informelle Netzwerke innerhalb der Eliten von Politik, Verwaltung und Justiz des NachWende-Freistaates Sachsen „neue Seilschaften“ gebildet haben, denen es zuallererst um den Erhalt der eigenen Macht und das persönliche Fortkommen ging. Die Fragen stellte Kevin Reißig.

ist ein Grund für den Erfolg unseres Landes.“ Welch richtige Einsicht, und es kommt noch dicker: „Wir wollen diesen Weg mit Ihnen weitergehen“, ruft bzw. schreibt er mir zu. Wohlan, denke ich. Endlich! Der Tillich wählt DIE LINKE. Doch dann der Hammer: „Ich bitte Sie für die nächsten fünf Jahre um Ihr Vertrauen.“ Nimmt der sich selber noch ernst? „Zweitstimme ist Tillich-Stimme“, steht vorne auf der Karte auf rotem Untergrund. Wie das? „Tillich-Stimme“ wäre höchstens Stimme zweiter Wahl, sagen mir doch die Karte und mein politischer Verstand. Mut hat er aber, der Herr Tillich. „Mit Mut. Mit Weitsicht. Miteinander.“ lese ich grün unterlegt. Erst denke ich ja, dass es mit der Weitsicht nicht so weit sein kann. Ich werde ihn nicht wählen. Und von wegen „Miteinander“? Die PDS bzw. DIE LINKE im Sächsischen Landtag hat das oft mit guten Anträgen probiert, aber die CDU hat es seit 1990 nicht zustande gebracht, auch nur einem dieser Anträ-

ge zuzustimmen. Die „Weitsicht“ lässt mich jedoch nicht los. Zwar ist die Karte dominant schwarz – eben wie die sächsische Vergangenheit der letzten 25 Jahre –, Rot und Rot und Grün machen aber alles bunt und lassen hoffen.

Post von Tillich – Nachbetrachtung Nun bekommt man ja nicht nur Post in Wahlzeiten. Die Straßenlaternen und Bäume sind vollgehängt mit guten Ratschlägen. Da lobe ich mir zum Beispieldie FDP. Wenn ich mit meinem Motorroller so dahinrolle, macht sie mich darauf aufmerksam, dass ich in Sachsen bin und nicht in Berlin. Herzlichen Dank! So ein Motorroller verrollt sich ja auch mal ganz schnell, und wie leicht verwechselt man den Markt von Grimma mit dem Alex. Vergleichbares könnte übrigens in

Brandenburg passieren. Von der FDP lernen heißt siegen lernen, dachte deshalb wohl dort DIE LINKE und plakatierte, „Hier ist Brandenburg und nicht Berlin“. Übrigens, warum fahre ich mit dem Motorroller und nicht mit dem Auto? „Ihr Auto würde uns wählen“, warnt mich die FDP. Mein Auto habe ich deshalb vorsichtshalber bis nach dem Wahltag weggesperrt. Umso mehr wünsche ich mir allerdings, dass Rico Gebhardts Erkenntnis, „meine Kinder würden LINKE wählen“, endlich in einer deutlichen Herabsetzung des Wahlalters Erfüllung findet. Überhaupt, DIE LINKE: Die rät uns zur Symbiose „Sächsisch und weltoffen“. Das ist auch bitter nötig. Die auf linker Großfläche sehr symbolisch ins Schräge stürzende Krone der Sächsischen Staatskanzlei wird oft gar nicht als diese erkannt. Viele in der Provinz vermuten einen fallenden Kirchturm. Das ist peinlich und ruft nach mehr residenzorientierter sächsischer Heimatkunde. In Dresden hingegen fehlt

manchmal Weltoffenheit. Es fährt täglich ein Zug durch die Stadt, der von Hamburg über Berlin kommend nach Prag und Wien bis ins kärntnerische Villach braust. Er eröffnet über Dresden dem Sächsischen die Welt. Der Zug heißt „Vindobona“, der lateinische Name für Wien. Nun hängt aber in Dresden seit Jahren ein Fahrplan, der just für diesen Zug keinen der zwei Wiener Haltepunkte verzeichnet. Nach dem tschechischen Breclav kommt Wiener-Neustadt Hbf. Wiener-Neustadt ist jedoch (anders als die Neustadt von Dresden) gut 40 Kilometer von Wien entfernt. „Muss man nicht wissen, warum machen die Ösis das auch“, sagen mir Dresdener Politiker. „Wir schreiben doch nicht alle Bahnhöfe in den Fahrplan“, meinen Dresdener Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. Stirbt die Hoffnung dennoch zuletzt? „Alles im Blick“, versprechen mir CDU-Kandidaten. Angesichts von NSA, CIA, BND usw. ist mir schließlich auch das suspekt.


Hintergrund

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„Er hat immer gesagt „Die Lichte bei Torgau“ … Mit diesen Worten beginnt die damalige Löbauer Landtagsabgeordnete Heiderose Gläß ihren Vortrag über einen aus Schlesien stammenden Antifaschisten, der während der faschistischen Diktatur unter anderem im Konzentrationslager Lichtenburg eingesperrt war. Es handelt sich um ihren Vater, Alfred Schneider. Wir sitzen im Seminarraum der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg Prettin, die Stimmung ist bedrückend. Heiderose Gläß lässt uns an ihren sehr persönlichen Erinnerungen und

Aufzeichnungen ihres Vaters teilhaben. Wer war dieser Alfred Schneider? Am 28. Juni 1908 in Schlesien geboren, wächst er in einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie auf. Als junger Mensch erlebt er mit seinen sechs Geschwistern den Hunger und die Bemühungen der Mutter, Essen zu besorgen. Er absolviert eine Lehre als Hauer, arbeitet ab 1930 in diesem Beruf. 1932 heiratet er. Ein Jahr später beginnt

seine illegale Arbeit. Er verteilt Zeitungen, klärt über die Absichten der Faschisten auf. Nach seiner Verhaftung wird ihm im Januar 1935 im damaligen Breslau der Prozess wegen Vorbereitung zum Hochverrat gemacht. Nach Ablauf der Strafe wird Schutzhaft angeordnet. Nachdem er im KZ Lichtenburg und im KZ Sachsenhausen eingesperrt war, wird Alfred Schneider am 5. Februar 1937 entlassen. Er nimmt seine Arbeit als Bergmann wieder auf und arbeitet bis zum 11. November 1942 illegal gegen die Faschisten. An diesem Tag wird er zu Wehrmacht einberufen und soll als „Kanonenfutter“ im Strafbataillon 999 in Afrika kämpfen. Am 31. Mai 1946 wird er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er stirbt am 10. Oktober 1992 in Thüringen. „Ein schwarzer Sonntag“ – mit diesen drei Worten beschreibt Alfred Schneider den Tag seiner Verhaftung durch die Gestapo. „Es war am 25. März 1934. Am frühen Morgen kam der Genosse Helmut F. zu mir und sagte: Alfred, man ist uns auf der Spur, vernichte alles Material und sei auf der Hut“, schreibt der Verhaftete nach dem Zweiten Weltkrieg. Material in Form von Zeitungen und Broschüren zum Verteilen in der Arbeiterschaft erhielt die Gruppe um Schneider von Genossen aus der Tschechoslowakei. Sie berieten miteinander, wie der Kampf gegen die Nazidiktatur weiter geführt werden sollte. „Der Empfang und das Wiedersehen mit den Genossen war ein sehr trauriges Erlebnis. Wir wurden mit Gummiknüppeln und Ochsenziemern zusammengeschlagen und in Einzelhaft gehalten“, schreibt Schneider Jahre später. Nach dem Aufenthalt im KZ

Lichtenburg (der Lichte bei Torgau) wird er mit weiteren Häftlingen in das KZ Sachsenhausen überstellt. Darüber schreibt er: „In dieser Zeit habe ich sehr viel Trauriges und Schweres erlebt. Ein Erlebnis werde ich nicht vergessen, so alt ich werde. In den ersten Wochen im November 1936 wurden wir in der Nacht auf den Appellplatz alarmiert. Es waren sieben Häftlinge entkommen, durch einen Gang unter dem Stacheldraht, den sie gegraben hatten. Die ganze Nacht wurde untersucht und zahlreiche Häftlinge erbarmungslos zusammengeschlagen. Am anderen Tag standen sieben Kreuze auf dem Appellplatz. Wir erlebten, dass sechs Häftlinge an diesen aufgehängt waren und zu Tode gequält und erschlagen wurden. Das siebte Kreuz blieb leer.“ Heiderose Gläß liest die Zeilen vor. Die Stille zeigt mir,

dass die Anwesenden nachdenken. Keiner wagt zu sprechen. „Ich dachte mit meiner Schwester, der Vater bringt was durcheinander. Wir wollten diese Erzählung nicht glauben. Vielleicht hat er später ,Das siebte Kreuz‘ von Anna Seghers gelesen, das handelt von einer Begebenheit im KZ Dachau“, meint sie. Am 25. Juni 2014 aber erscheint im „neuen deutschland“ ein Artikel unter der Überschrift „Das siebte Kreuz von Sachsenhausen“. Der Vater der Löbauer Landtagsabgeordneten Heiderose Gläß hatte Recht, es ist so passiert. Seine Zeilen sind wahr. Im Anschluss an den emotionalen Einblick in das Leben ihres Vaters führt uns die Leiterin der Gedenkstätte durch dieselbe. Wir betreten den „Sandhof“, den Platz, an dem die Häftlinge „Lagersport“ machen mussten. Dabei mussten sie bis zur völligen Entkräftung

exerzieren. Im „Bunker“, jener Stätte, die von den Häftlingen „Färberei“ genannt wurde, erahnen wir das Geschehene, die Folter und Misshandlungen. Die Häftlinge wählten den Begriff „Färberei“, da die dort Eingesperrten oftmals so starken Misshandlungen ausgesetzt waren, dass sie blutüberströmt und grün und blau geschlagen aus dem Arrest entlassen wurden. Wir gedenken der Gemarterten, den Toten und legen Blumen an einer Gedenktafel im „Bunker“ nieder. „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“ (aus dem Schwur von Buchenwald) Jens Thöricht

Aus dem Wörterbuch der extremen Rechten: „aktive Bevölkerungspolitik“ Frauke Petry, Spitzenkandidatin der AfD in Sachsen für die Landtagswahlen, erlangte öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Forderung: „Wir brauchen Politiker, die den Mut haben, das Wort einer ‚aktiven Bevölkerungspolitik‘ in den Mund zu nehmen.“ Das erinnert an den Vorwurf, den Holger Apfel, damals Vorsitzender der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, 2004 aus Anlass der Einsetzung einer Enquetekommission zum demografischen Wandel in Sachsen erhoben hatte. Dem sächsischen Ministerpräsidenten hielt Apfel in wortgleicher Formulierung vor, dass er das Wort „aktive Bevölkerungspo-

litik“ nicht einmal in den Mund nehme. Die seinerzeitige Zurückhaltung des sächsischen Ministerpräsidenten davor, von einer aktiven Bevölkerungspolitik zu sprechen, geschweige denn eine solche zu betreiben, resultierte möglicherweise aus den historischen Erfahrungen mit der „Blut und Boden“-Politik im Nationalsozialismus. Mutterkreuze und Rassengesetze, ‚Heim ins Reich’ und ‚Volk ohne Raum’ sind zu Chiffren einer totalitären Politik geworden, die vor der Intimsphäre der Menschen (dem Kinderwunsch) nicht zurückschreckte und bis hin zur globalen Expansion reichte. Dass nach solchen

Erfahrungen eine aktive Bevölkerungspolitik eine höchst zweifelhafte Angelegenheit ist, leuchtet nur den Unbelehrbaren nicht ein. Bevölkerungspolitik (nach Art der NPD und der AfD) ist eine staatlich gelenkte Manipulation ethnischer und konfessioneller Bevölkerungsgruppen. Unter Missachtung individueller Grundrechte wirkt der Staat aktiv auf die natürliche Reproduktionsrate der „deutschen“ Bevölkerung ein. Die NPD kalkulierte dafür auch Maßnahmen zur Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen ein. Eigens dafür stellte sie wiederholt einen Kandidaten zur Wahl, der das Amt eines „Ausländerrück-

kehrbeauftragten“ ausüben sollte. Frauke Petry beruft sich für ihre Politik zur Hebung der deutschen Geburtenrate – die DreiKind-Politik – nicht auf das NS-Regime, sondern auf die DDR. Deren Familienpolitik sei vorbildlich gewesen. Im Osten stoßen solche Töne auf eine positive Resonanz, schreibt die Presse. Was eine staatlich gelenkte Bevölkerungspolitik missachtet, das sind sogenannte negative Freiheiten. Reproduktive Selbstbestimmung und Freizügigkeit sind zwei grundgesetzlich verbürgte Kernnormen (auch die freie Berufswahl), an denen staatliche Eingriffe ihre

Grenze finden. Sie formulieren zugleich einen politischen Gestaltungsauftrag in dem Sinne, dass demokratische Politik verpflichtet ist, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen und kontinuierlich bereitzustellen, ohne die Bürgerinnen und Bürger ihrer Grundrechte zu berauben. Eine aktive Bevölkerungspolitik, wie von AfD und NPD gefordert, ebnet das Spannungsverhältnis von negativen und positiven Freiheiten ein zugunsten der Eingriffsrechte des Staates. Dafür braucht es in der Tat den von Frau Petry geforderten „Mut“, denn wir befinden uns dann auf dem Weg in einen autoritären Staat. Jochen Mattern


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September 2014

Sachsens Linke

Die Landtagswahlen sind gelaufen - auch diese Zeitung widmet sich naturgemäß breit deren Auswertung, unter anderem mit einer Debatten-Doppelseite und differenzierten Blicken insbesondere auf den neuen Spieler im Parteienwettbewerb, die „Alternative

für Deutschland“. Katja Kipping präsentiert ihre Vorstellungen von einem „Kinderprivileg“, mit dem politische Transformationsprojek-

te konkret angestoßen werden sollen. Jochen Mattern wirft einen kritischen Blick auf Sachsens „halben König“ Stanislaw Tillich.

Dialog für Sachsen

hläge einbringen - au Diskutieren und Vorscen .de ww w.dialog-für- sachs

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Gute Basis

Foto: Ralf Roletschek / roletschek.de / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

Oppositionsführerin bei wiederholt sinkender Zustimmung SachsensLinke! dokumentiert Auszüge aus der Wahlnachtanalyse von Benjamin-Immanuel Hoff und Horst Kahrs. Die sächsische Linkspartei ist und bleibt trotz Verlusten die zweitstärkste politische Kraft und größte Oppositionskraft im Freistaat. Aus dieser Position heraus gelingt es ihr jedoch auch bei der sechsten Landtagswahl nach Wiedergründung des Landes nicht, Gestaltungsverantwortung in der Landesregierung wahrzunehmen. Sie bleibt damit zunächst der einzige ostdeutsche Landesverband der Partei ohne greifbare Regierungsoption. Das linke Wahlziel, durch eigene Stärke die CDU unter die 40% zu drücken, war somit nicht zu erreichen. Die Ablösung der CDU als »ewiger Regierungspartei« durch ein rot-rot-grünes Bündnis hatte sich durch die Schwäche der FDP bei der Bundestagswahl als obsolet erwiesen, da den potentiellen Rot-RotGrünen Partnern nun Optionen als kleinerer Partner der Union offen standen.Seitdem konnte es nur noch darum gehen, als »ewige Oppositionspartei« ein achtbares Ergebnis zu erzielen. Dieses Szenario lag bereits der Aufstellung der Wahlstrategie und der Vorbereitung des Wahlkampfes zugrunde. Deshalb verzichtete die Partei auch – anders als in vorigen Wahlkämpfen darauf –, einen Ministerpräsidentenkandidaten zu benennen. Gleichzeitig vermied die Partei

einen Wahlkampf, der darauf abzielte, die Situation des Freistaates in den schwärzesten Farben zu zeichnen. Bereits bei früheren Wahlen hatte sich gezeigt, dass eine solche Strategie und Kommunikation – angesichts der großen Zufriedenheit in der Bevölkerung und der eigenen Wähler/-innenschaft mit der Landesregierung – nicht verfängt. Stattdessen konzentrierte sich der Wahlkampf darauf, die politische Erstarrung im Land zu thematisieren, die aus einem Vierteljahrhundert CDU-Regierung zwangsläufig erwächst. DIE LINKE demonstrierte ihre Bereitschaft zum politischen Wechsel und lud SPD und Grüne dazu ein, sich an einem solchen Wechsel zu beteiligen respektive ihn langfristig zu ermöglichen. Gleichzeitig betonte die Partei, dass nur die Wahl der LINKEN eine Garantie dafür sei, dass die CDU nicht weiter regieren könne, da die anderen Parteien letztlich potenzielle Koalitionspartner der Union seien. In einerseits wie betoniert erscheinender politischer Asymmetrie zwischen der dominierenden CDU, zwei Mittelparteien, von denen eine groß (Linkspartei) und die andere klein ist (SPD) sowie mehreren Kleinparteien (von Grünen über FDP bis zu AfD und NPD) und bundespolitischen Rahmenbedingungen andererseits, in denen eine Proteststimmung wie 2004 oder ein politischer Hype der Linkspartei wie 2009 nicht bestand, war diese Strate-

gie alternativlos. Sie ist jedoch auch politisch sinnvoll. DIE LINKE kann langfristig nur auf einen Abnutzungseffekt der CDU hoffen und muss für diesen Fall als glaubwürdige Alternative im Bündnis mit anderen politischen Kräften bereit stehen. Bis dahin muss ihr Ziel darin bestehen, auf lokaler und regionaler Ebene die Union von der Macht abzulösen, also den Regierungswechsel von unten einzuleiten. Dass in der Landeshauptstadt kurz vor der Landtagswahl ein rot-grün-rotes Bündnis gemeinsam mit den Piraten im Stadtrat gebildet wurde, ist sinnfälliges Beispiel für ein solches Vorgehen. Die Stärkung der Partei auf der lokalen Ebene ist darüber hinaus die einzige Gewähr für eine Umkehrung des Trends stetig absinkender Wahlergebnisse auf Landesebene. Gemessen in absoluten Stimmen und ohne Berücksichtigung der geringen Wahlbeteiligung einerseits sowie der absolut gesunkenen Zahl der Wahlberechtigten andererseits, erreicht die Linkspartei ihr zweitschlechtestes Landtagswahlergebnis und das drittschlechteste Wahlergebnis im Freistaat überhaupt (ohne Kommunalwahlen). Sie erringt das Direktmandat im Wahlkreis Leipzig 2 erstmals, verliert jedoch die zuletzt 2004 und 2009 gewonnenen Wahlkreise Leipzig 3 und Chemnitz 4. Die 2004 errungenen Wahlkreise Leipzig 5 und Hoyerswerda (WK 55) konnten bereits 2009 nicht mehr verteidigt werden. DIE LIN-

KE hat gegenüber der Landtagswahl 2004 einen Anteil von 4,7% verloren. Sie bewegt sich prozentual auf einem Niveau unterhalb der Landtagswahl 1999. In absoluten Stimmen verlor die Partei seit 1999 insgesamt 170.749 Wähler/-innen, wobei hier die absolut gesunkene Zahl der Wahlberechtigten und die geringere Wahlbeteiligung nicht einbezogen sind. Dies entspricht rund 35,5% der Stimmen von 1999. Kurzum: Die sächsische Linkspartei hatte im Wahlkampf kein Strategie- oder Persönlichkeitsproblem, sondern ist konfrontiert mit generell absinkender Mobilisierungsfähigkeit der Partei in Ostdeutschland; landespolitischen Rahmenbedingungen, die mit dominierender CDU und ohne Wechselstimmung einerseits sowie konfrontiert mit erfolgreichen rechtspopulistischen Protestparteien (AfD und NPD) andererseits ein Wachstum bei Wahlen äußerst erschweren; im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern ungenügenden Möglichkeiten, ihre politische Gestaltungsfähigkeit in der Landesregierung oder auf kommunaler Ebene durch Landrätinnen und Landräte (vgl. Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen) oder Oberbürgermeister/-innen größerer Städte wie Schwerin oder Eisenach zu verdeutlichen. Unter diesen Bedingungen erreichte sie ein achtbares Ergebnis – die strukturellen Probleme bleiben bestehen.

Am 18. Juli haben wir unsere Kampagne präsentiert und damit den Startschuss gegeben für den Landtagswahlkampf. Sechs Wochen später haben wir 18,9 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht und ziehen mit 27 Abgeordneten in den 6. Sächsischen Landtag ein. Juliane Nagel hat den Direktwahlkreis im Leipziger Süden errungen, in vier weiteren Wahlkreisen waren wir dicht dran. In erster Reaktion habe ich gesagt, ich bin zufrieden mit dem Ergebnis. Vor einem Jahr standen wir in Umfragen bei 14 Prozent. Wir haben uns aus dem Umfragetief herausgearbeitet, sind aber noch nicht wieder da, wo wir waren. Zum zweiten Mal nach 2009 geben wir Stimmen ab. Deshalb ist es auch ein Ergebnis, mit dem ich nicht glücklich sein kann. Vor allen Dingen nicht vor dem Hintergrund der historisch niedrigen Wahlbeteiligung. Wir wissen alle, dass man Wahlen nicht erst mit Wahlkämpfen gewinnt. Deshalb ist die große Herausforderung nun, dass die neue Fraktion Opposition wieder ein Stück weit neu erfinden muss. Wir müssen Möglichkeiten finden, unsere Vorschläge für eine andere Politik konkreter an die Menschen zu bringen. Wir haben die jüngste Fraktion im Landtag, die mit dem höchsten Frauenanteil. Ich denke, wir haben eine gute Basis für die Arbeit, auch wenn wir uns von einigen Aktiven verabschieden mussten. Diesen gilt mein Dank für ihre Arbeit, ebenso den vielen Wahlkämpfenden, die unsere Politik sichtbar gemacht haben. Unser Wahlkampf war präsent, einladend, engagiert. Wir werden die Wahlergebnisse nun analysieren. Wir beginnen damit auch in dieser Ausgabe, auf Regionalkonferenzen und vor Ort wollen wir dies gemeinsam fortsetzen. Dazu möchte ich Euch herzlich einladen.


Sachsens Linke! 09/2014

Meinungen Zu Seite 8 in „Links!“ 07-08 2014 – Georgi Dimitroff und der 13. August Im ersten Artikel (Klaus Kinner) wird der Versuch unternommen, G. Dimitroffs Rolle in der Geschichte zu beschreiben – man kann meistens übereinstimmen. Die Beurteilung aber des Paktes zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland 1939 als „Verrat am Antifaschismus“ abzustempeln ist mehr als fraglich. Das Ziel der SU war es, einen Krieg mit Hitler zu verhindern; wenn das nicht gelänge, wenigstens eine längere Atempause zu gewinnen, um die z. T. marode Verteidigungsbereitschaft der Roten Armee zu verbessern. Dazu gehörte den höheren Kommandeurskadern mehr Sicherheit in der Führung ihrer Truppen zu verschaffen (die meisten waren erst seit 2-3 Jahren in ihren Dienststellungen), die begonnene Neubewaffnung – besonders der Panzerverbände und der Luftstreitkräfte – voranzutreiben, die ab dem 17.09.1939 neugewonnenen Territorien operativ auszubauen – um nur einiges zu nennen. Damit ist der o. g. Vertrag nicht allein zu begründen, aber eine „verkürzte“ Betrachtung wird den damaligen historischen Realitäten nicht gerecht. René Lindenau möchte ich gern folgende Frage stellen: Wo gab (gibt es) zwischen sich extrem feindlich gegenüberstehenden, bis an die Zähne bewaffneten Mächtegruppierungen noch eine offene Grenze – analog der

Glosse „Wahlkämpfe sind eine wahnsinnig schöne und spannende Zeit!“ So oder so ähnlich hört man es alle paar Jahre aus Vorstandsbüros und auf Parteitagen – und obwohl es glatt gelogen ist, wird fleißig genickt dazu. Das Gegenteil ist der Fall, und wer behauptet, es sei eine tolle Sache, mit Infoständen auf leeren Marktplätzen oder vor Einkaufszentren herumzulungern, bekommt einen mitleidigen Seitenblick von mir. Als Bürger mache ich um jeden Stand, an dem es nicht entweder Bier oder Bratwurst gibt, einen großen Bogen. Als Wahlkämpfer

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur

Berliner 1961?! Wie hätte es diese gesichert? Jeder Tote an einer Grenze war und ist zu bedauern. Aber immer sind die Interessen der Staaten (der Herrschaftsinteressen in ihnen) maßgebend für das Grenzregime – siehe die Grenzen USA-Mexiko, IsraelGazastreifen, Nikosia – um nur einige Beispiele zu nennen. Angesichts der großen Verantwortung, dem Mainstream in der Geschichtsschreibung über die Kommunistische Weltbewegung und die DDR entgegen zu wirken, müssen wir Linken sehr sorgfältig mit historischen Wahrheiten umgehen. Dazu gehört auch, lebende Zeugen zu hören. Noch können wir es! Heinz Bilan, Leipzig Zum „Ein Parteitag hinterlässt fragen“, Sachsens Linke! 0708/2014, S. 7 Mit Machiavelli und Gramsci über Führungserfordernisse einer Partei zu reden ist ein guter Ansatz, gibt er doch die Möglichkeit, Führung als echtes dialektisches Widerspruchsfeld zu betrachten. Nur muss man bei einer solchen Betrachtung dann auch auf jene Tatsachenbasis zurückgehen, die erst festen Grund für die anzustellenden Überlegungen bietet. Wer das Bundeswahlergebnis 2013 schönredet, hat diesen festen Grund nicht. Er ist blind für Entwicklungstatsachen der eigenen Partei. Eine LINKE (!) Partei stellt man nicht neu auf, indem man die Vorsitzenden wechselt! Ja, Schlimmeres ist verhindert

Seite 2 worden durch die Entscheidungen des Göttinger Parteitages. Aber grundlegende Entwicklungen in der Partei sind eben nicht außer Kraft gesetzt worden. Und das war, wie René Lindenau selbst beklagt, zu bemerken an den Personalauseinandersetzungen um Raju Sharma und Dominic Heilig. Leider hat René Lindenau völlig versäumt zu fragen, ob hier an exponierten Wahlfunktionen vielleicht nur die Spitze des Eisberges einer völlig falsch laufenden Personalrekrutierung in der gesamten Partei manifest wird. Nach dem Hype der Parteivereinigung und der Bundestagswahl 2009 ist DIE LINKE historisch gesehen im Rückwärtsgang. In einer wirklich stabilen Aufwärtsbewegung war sie seit der „Wende“ noch nie! Sie verliert an Mitgliedern, an Wählern, an politischem Rückhalt bei freien Trägern und Interessenorganisationen der in diesem Gesellschaftssystem Benachteiligten. Ihre personelle Verflechtung mit solchen Organisationen und Trägern nimmt ab infolge der innerparteilichen demographischen Entwicklung. Das Problem dabei ist, dass es nicht gelingt, auch nur ansatzweise diese Entwicklung aufzufangen. Dazu müsste dies als elementare Führungsaufgabe in allen Strukturen der Partei aufgenommen werden. Das ist nicht der Fall. Ähnlich sieht der Zustand bei den ehrenamtlichen innerparteilichen Funktionen aus. Immer stärker werden berufliche politische Anstellung bzw. bezahltes Mandat und Parteifunktion wieder in Personalunionen praktiziert, was zur Verengung des aktiven Kerns auf allen Strukturebenen

der Partei führt und auch den arbeitsmethodischen Gegensatz von Berufspolitik und Ehrenamt wieder verschärft. Das Aktionsund Reaktionspotential der Partei aber sinkt weiter. Eine schnelle Presseerklärung ist keine wirkliche Reaktion, wenn es um grundlegende Gesetzgebungsakte geht, die die Lebenssituationen von Millionen verschlechtern. Nicht einmal DIE LINKE schaffte es, diesen Gruppen eigenständige Parlamentsvertretung zu sichern, sie betreibt stattdessen vormundschaftliche Vertretung. Weiter: Schauen wir auf die Aufstellungsverfahren bei Wahlen. Wenngleich es hier und da immer mal Entspannung gibt, ist die Grundtendenz ungebrochen. Während bei BT- und LT-Listenaufstellungen keine Not an Bewerbern besteht, ist es schon allein nicht mehr so üppig, wenn es um die Besetzung aller Wahlkreise mit Direktkandidaten geht. Das wird noch geleistet, die Auswahl indes ist entschieden kleiner. Und da das ja meist, bis auf wenige Ausnahmen, ein aussichtsloses Unterfangen ist, wird hier auch keine „Personalstrategie mit Settings“ gemacht. Das wechselt von Wahl zu Wahl geradezu beliebig, und gegen den Wahlkreissieger werden keine linken Gesichter langfristig gesetzt. Und für Gemeindevertretungen, Stadt- und Ortschaftsräte sieht es so aus, dass nicht mal alle errungenen Mandate besetzt werden können – seit Jahren immer wieder. Schließlich – bei aller personellen Mobilität – gibt es wieder (oder immer noch) einen „harten Kern Berufspolitik“, der als Dominanz erzeugende Minderheit in der Partei die inner-

parteilichen Entwicklungsprozesse bestimmt, und damit die Richtung der praktisch werdenden Politik. Alles formelle demokratische Satzungsrecht konnte diesen informellen Einflüssen bisher keine deutlichen Zügel anlegen. Und dieser „Mechanismus“ verursacht gerade das o. g. Ergebnis des politischen Einflussverlustes insgesamt. Er hat zu dominanter Orientierung auf Parlamentsarbeit geführt und damit die Kompetenz der Partei in außerparlamentarischer Arbeit verkümmern lassen! Wenn René Lindenau dann am Ende seines Artikels meint, dass die Gefahr bestehe, exponierte Mitglieder könnten die Partei verlassen, weil sie nicht in exponierte Funktionen gewählt werden, dann hat er Recht auf eine Weise, wie er es noch nicht einmal träumte: Wer eine Partei dann verlässt, offenbart, dass er nicht ihrem Programm, sondern seiner eigenen politischen Karriere verpflichtet ist. Und wenn man von der LINKEN ohne Probleme in Führungsebenen oder hohen Mandaten einer anderen Partei wechseln kann, dann zeigt dies gerade, dass keine programmkonformen linken Positionen mehr von solchen Personen vertreten wurden. Denn DIE LINKE ist die einzige Partei, die sich als systemverändernd versteht. Wir haben sehr viel zu tun, dass Personalpolitik und -entwicklung, Programmziele und v. a. die gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte, die wir als Verbündete brauchen, wieder näher zueinander rücken. Fangen wir endlich an. Ralf Becker

Schlimmes eventuell verhindern! Von Uwe Schaarschmidt weiß ich, wer an meinen Stand kommt: Leute, die mich sowieso wählen und Typen, die einen fragen, wann der Herr Gysi endlich begreifen wird, dass das Schuldgeldsystem abgeschafft werden müsse, und so lange das nicht der Fall ist, könne er auch mich nicht wählen. Okay – die KuliSammler kommen auch. Im Idealfall erscheint noch jemand, der einen mit einem Spezialthema (Gesetzesnovellen im Wasserstraßenrecht o.ä.) behelligt, von dem man zwar keine Ahnung hat, den man jedoch durch geduldiges Nicken und gespielte Empörung zumindest nicht verprellt.

Aber Spaß macht das alles nicht und es ist auch nicht spannend. Noch öder sind nur zentral geplante Plakat-Kampagnen, die es vor allen Dingen schaffen, jedes Jahr durch noch größeres Bemühen noch öder zu geraten. Dabei ist der Ansatz, es möglichst vielen Leuten recht zu machen, zwar ein verlogener, aber im Prinzip gar kein falscher. Man sollte ihn nur konsequent verfolgen. „Ein Wetter ist das heute!“ könnte man zum Beispiel problemlos auf ein Plakat schreiben. Völlig unabhängig von den meteorologischen Verhältnissen könnten 100 %

der Menschen sagen: „Genau. Nur DIE LINKE spricht es wieder mal offen aus!“ Oder man sucht sich einen Spruch aus, der ohnehin schon weit verbreitet ist, also einen hohen Wiedererkennungswert hat: „Bitte alle Waren auf das Kassenband legen! Danke – DIE LINKE!“ könnte auf unseren Großflächen prangen und den tausenden geschundenen und unterbezahlten Kassiererinnen im Lande vermitteln: „Wenigstens DIE LINKE kennt unsere Sorgen und Nöte!“ Oder man setzt sich auf vorhandene Events und okkupiert sie einfach. Im Umfeld von Volksfesten

per Plakat zu behaupten: „DIE LINKE präsentiert ihnen einen Rummel!“ wäre geschickt und vermutlich auch juristisch wasserdicht. Ebenso vermutlich werden meine wertvollen Anregungen wohl allerdings in den Schubladen der Verantwortlichen verschwinden. Eine habe ich aber trotzdem noch. Vielleicht sollte man in Zukunft den örtlichen Strukturen überlassen, was sie – auf Basis des Wahlprogrammes – auf ihre Plakate drucken. Das kann zwar schief gehen – aber schlimmer wird es auch nicht mehr.

und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:

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Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 06.10.2014.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

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Redaktionsschluss 25.08.2014


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Der „halbe König“ Kurt Biedenkopf, im Volksmund König Kurt genannt, musste nach einer langen Regentschaft Anfang des Jahres 2002 als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen zurücktreten. Er war das Opfer einer Intrige seiner eigenen Partei geworden. Die Freude über den gelungenen Coup währte in der CDU jedoch nicht lange, Ernüchterung machte sich alsbald in der Partei breit. Denn der Nachfolger im Amt des sächsischen Ministerpräsidenten, Georg Milbradt, erwies sich als genau der, vor dem sein einstiger Vorgesetzter gewarnt hatte: als ein zwar „hervorragender Finanzfachmann“, jedoch „miserabler Politiker“. Milbradt, ein nüchtern agierender Technokrat, wirkte spröde in seinem Auftreten und ließ den royalen Glanz vermissen, den sein Vorgänger ausstrahlte. Darunter litten seine Popularität und die seiner Partei. Schließlich verlor die CDU unter seinem Regiment bei den Landtagswahlen 2004 die absolute Mehrheit. Sie stürzte von 56,9 Prozent auf 41,1 Prozent ab, verlor also rund 16 Prozent der Wählerstimmen. Seither muss die Union die Regierungsmacht im Lande mit einem Koalitionspartner teilen. Zunächst war es die SPD, die das Land mitregierte, dann, ab 2009, tat das die FDP. Für die sächsische Union bedeutete der Verlust der Alleinherrschaft eine erhebliche Kränkung ihres narzisstischen Größenselbst.

Nichts wünscht sie sich sehnlicher als das Wiedererlangen der ungeteilten Regierungsmacht in Sachsen. Mit anderen Worten: die Restauration des Bürgerkönigtums in Sachsen. Und so trug Kurt Biedenkopfs Warnung vor seinem Nachfolger späte Früchte. Sechs Jahre nach dem Sturz des Sonnenkönigs ereilte das Haupt der „Königsmörder“ dasselbe Schicksal. Im Mai 2008, rechtzeitig vor den Landtagswahlen im darauffolgenden Jahr, wählte der Sächsische Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD einen neuen Ministerpräsidenten. Mit diesem Wechsel im höchsten Amt des Freistaates nahm die sächsische CDU, assistiert von den Sozialdemokraten, nach 2002 zum zweiten Mal eine Regierungsumbildung innerhalb einer Legislaturperiode vor. Dem Eindruck mangelnder politischer Stabilität suchten die Unionsstrategen dadurch zu begegnen, dass sie den erzwungenen Rücktritt Georg Milbradts als einen ganz normalen Vorgang hinstellten, mit dem lediglich ein Generationswechsel in der Landespolitik vollzogen worden sei. In Wirklichkeit handelte es sich um einen Akt der Prävention. Mit Georg Milbradt als Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden schien ein erneuter Misserfolg bei den Landtagswahlen 2009 vorprogrammiert zu sein. Ein neuer Mann musste also her. Von Stanislaw Tillich, einem

katholischen Sorben, erhofften sich die Unionsstrategen, die Monarchie in Sachsen wiederherstellen zu können. Worin sich Stanislaw Tillich in den Augen der Union vorteilhaft von Georg Milbradt unterschied, ist seine ausgesprochen wertkonservative Einstellung. Die Reaktivierung der wertkonservativen Trias von Heimat, Familie und Glauben zählt zu seinen erklär-

ten politischen Vorhaben. Eine eigens arrangierte Audienz beim Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., im April 2012 unterstrich die wertkonservative Ausrichtung der Union unter Tillichs Führung. Das Regieren überlässt er – bis auf ein gelegentliches Machtwort – den Fachministern in seinem Kabinett; als Ministerpräsident kon-

zentriert er sich ganz auf die repräsentative Rolle. Tillich mimt den jovialen Landesvater, der ein offenes Ohr für seine Untertanen hat und darum bemüht ist, das Gemeinschaftsgefühl unter den Sachsen zu festigen. Doch die ihn gesetzten Erwartungen vermochte Stanislaw Tillich nicht zu erfüllen. Auch er musste nach den Wahlen 2009 eine Koalitionsregierung bilden. Mit 40,2 Prozent unterbot er noch das schlechte Abschneiden Georg Milbradts bei den Landtagswahlen fünf Jahre zuvor. Es war das schlechteste Wahlergebnis der CDU seit ihrer Gründung 1990. Das Trauma der Union über den Verlust der Alleinherrschaft im Freistaat dauerte folglich an. Und es war frühzeitig klar, dass die Ende August dieses Jahres anstehenden Landtagswahlen keine Traumatherapie zulassen würden. Vorhersagen bescheinigten der CDU zwar ein hohes Wahlergebnis, jedoch keines, das zur Alleinregierung berechtigte. Die Union werde wieder auf einen Koalitionspartner angewiesen sein, um das Land regieren zu können. Und weil der FDP sämtliche Auguren ein Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag vorhersagten, war der CDU ebenso frühzeitig klar, dass der Koalitionspartner erneut wechseln werde. Die Sozialdemokraten boten sich schon einmal als „soziales Korrektiv“ an. Trotz der Verluste in der Wählergunst, die ihnen die erste Re-

gierungsbeteiligung eingebracht hatte, würden sie gar zu gern ein zweites Mal mit der CDU eine Koalition eingehen. Ambitionen aufs Mitregieren hegen auch die Grünen. Wer von beiden als Koalitionspartner infrage kommt, das will die CDU in diesen Tagen in Sondierungsgesprächen ausloten. Denn die Landtagswahlen haben die Prognose der Umfrageinstitute bestätigt: Die CDU verfehlt die nötige Mehrheit der Stimmen, um allein im Freistaat regieren zu können. Sie kommt auf 39,4 Prozent, verliert also weiter an Wählerstimmen. Für Stanislaw Tillich bedeutet das: Er geht in die Geschichte Sachsens als ein „halber König“ ein. So hatte ihn die Freie Presse im Vorfeld der Wahlen tituliert und darüber spekuliert, ob er es dem Sonnenkönig gleich tun werde (16.4.2014). Eine Restauration des Bürgerkönigtums in Sachsen will Tillich aber, trotz ähnlich hoher Zustimmungswerte in der Bevölkerung wie Kurt Biedenkopf, nicht gelingen. Für die Demokratie im Freistaat ist das eine gute Nachricht. Für den einstigen Hoffnungsträger der Union, Stanislaw Tillich, könnte es das baldige Ende als sächsischer Ministerpräsident bedeuten. Schließlich will die Union ihr schweres Trauma auch einmal wieder loswerden. Das kann, wenn überhaupt, nur mit einem neuen Mann an der Spitze von Partei und Staat gelingen. Jochen Mattern

Lehrermangel hat langfristige Ursachen Lehrer erscheinen nicht einfach, fallen nicht vom Himmel oder wachsen aus der Erde. Sie kommen nicht einfach, wenn man ob vieler Ausfallstunden, voller Klassen, baldigen Pensionierungen und, was bei der sächsischen Landesregierung am schwersten ins Gewicht fallen dürfte, anstehender Wahlen nach ihnen ruft. Eine Reihe von Ereignissen muss zusammenkommen, damit ein Lehrer in unserem Schulwesen seine Tätigkeit aufnimmt. Zunächst ist es notwendig, dass der spätere Lehrer einmal geboren wird. Handwerklich ist das Ganze kein Problem, da es sich nicht um seltenes Spezialwesen handelt und die entsprechenden Produktionsmittel im Allgemeinen durchaus vorhanden sind. Tatsächlich stellt man mit einem kurzen Blick auf die einschlägigen Statistiken aber fest, dass schon hier ein erster Knackpunkt vorliegt. Scheinbar mangelt es in einem Land, in dem ein Kind faktisch ein soziales Risiko darstellt, am Willen, Kinder in die Welt zu setzen. Der einfache Beobachter könnte

hier auf den Gedanken kommen, dass mangelnde soziale Sicherheit durch massenweise Befristungen, Leiharbeit und niedrige Sozialleistungen die Lust am Kinderkriegen dämpfen. Nehmen wir aber einmal an, eine junge Familie hat sich davon nicht abschrecken lassen und ein Kind in die Welt gesetzt, das einmal Lehrer werden könnte. Nehmen wir einmal an, dass das Kind trotz des Mangels an Kita-Plätzen, trotz Schichtarbeit und stagnierendem Einkommen der Eltern bis zur Einschulung eine gute Entwicklung genommen hat. Es ist jetzt in der Schule. Nun geschieht es, dass der Hauptverdiener der Familie arbeitslos wird und eine neue Stelle in einem anderen Bundesland annehmen muss. Das Kind wird nun mit dem Schulund Lehrplan eines der anderen 15 Bundesländer konfrontiert und muss sich nun entweder den Stoff noch einmal anhören oder den Anschluss verpassen. Trotzdem ergattert es eine Bildungsempfehlung für eine höhere Schule. Vielleicht wird in dem entsprechenden Bundes-

land etwas weniger sozial ausgesiebt als in anderen Ländern. Fortan verlängert sich aber der Schulweg um bis zu zwei Stunden täglich, weil der Schulnetzplan des jeweiligen Landes das für zumutbar hält. Schließlich kostet ein dichteres Schulnetz mehr Geld. Da sitzt also der Lehrer in spe zwei Stunden täglich in einem Bus, eine für Kinder sicher verlockende Vorstellung. In diesen zwei Stunden kann er weder Hausaufgaben machen noch Vereinsaktivitäten nachgehen. Wozu das führt, kann man an den vielen dörflichen Sportvereinen sehen, die keine Jugendabteilung mehr haben. Das Kind macht nun seinem Abschluss und ist mit der Frage konfrontiert, welche Laufbahn es einschlagen soll. Natürlich könnte es eine Lehre antreten, aber es entscheidet sich trotz der Aussicht auf unbezahlte Praktika und einer eher schleppenden Bearbeitung von BAföG-Anträgen für das Lehramtsstudium. Es trifft auf ein Ausbildungssystem, in dem es an Betreuern fehlt, weil zu we-

nige davon eingestellt werden können, diese immer wieder wechseln, weil sie nur durch befristete Verträge gebunden sind. Praktische Aspekte der angestrebten Tätigkeit tauchen erst sehr spät im Studium auf. Nun sucht der angehende Lehrer nach einer Stelle für sein Referendariat. Im schönen Sachsen müsste er dafür einen Notendurchschnitt besser als 2,0 haben, hat er aber nicht. Also findet das Referendariat in einem anderen Bundesland statt. Er lernt dort das Schulwesen kennen und knüpft erste Kontakte mit Kollegen. Im besagten Bundesland werden Lehrer besser bezahlt als in Sachsen. Das trifft übrigens auf alle anderen Bundesländer zu. Lehrer bekommen dort unbefristete Arbeitsverträge und werden teilweise sogar verbeamtet. Es ergeben sich also nicht wenige Gründe für den Lehrer, Sachsen den Rücken zu kehren, und es bedarf gewaltiger Anreize, ihn wieder zurückzuholen. Der Lehrermangel ist in Sachsen hausgemacht. An keiner der genannten Stationen hat sich

der Freistaat konsequent um eine konkrete Lösung bemüht oder gar verdient gemacht. Nach wie vor haben wir durch selbst im öffentlichen Dienst eine Vielzahl von Befristungen, nach wie vor unternehmen die Regierungsparteien nichts, um prekären Beschäftigungsverhältnissen Einhalt zu gebieten. Nach wie vor bestehen Lücken im Schulnetz, die lange Anfahrtswege verursachen. Nach wie vor unternimmt man keine Initiative, um den deutschen Flickenteppich im Bildungswesen zu beseitigen. Nach wie vor wird an den Universitäten das Personal zusammengestrichen, weil die Mittel fehlen. Nach wie vor sind die Lehrer in Sachen die schlechtbezahltesten in ganz Deutschland. Und nach wie vor feiert sich eine sächsische Regierung dafür, notwendige Ausgaben für all das nicht getätigt zu haben, notwenige Initiativen nicht ergriffen zu haben. Sie verspielt damit wichtiges Potenzial für unser Sachsen und die Perspektiven für viele Menschen. Jens Dietzmann


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Nach-Wahl-Debatte

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Dämmerschlaf im Sachsenland? In einer Vorwahlbetrachtung für das Augustheft von DISPUT habe ich geschrieben: „Dem Land aber droht endgültig der Dornröschenschlaf. Es wird deshalb immer dringlicher, die von den Hecken der Selbstgefälligkeit umrandete verschlafene Burg zu neuem Leben zu erwecken. ... Die CDU taugt höchstens noch als Küchenjunge. Und der sollte am 31. August mit einer mächtigen Ohrfeige aus seinen Träu-

men geweckt werden“. Nun, die Ohrfeige wurde nicht verabreicht. Die Degradierung des Kochs zum Küchenjungen blieb aus. Ein kleiner Klaps war alles. Rot-Rot-Grün geht sich nicht aus. Das „linke Lager“ (wenn es denn ein solches überhaupt gibt) hat bestätigt, dass es seit 1990 nicht wirklich wächst und in Summe seiner rot-rot-grünen Bestandteile zwischen 30 % und 35 % pendelt. Die inneren Ver-

schiebungen sind von geringer Bedeutung. DIE LINKE bleibt Oppositionsführerin; immerhin, aber auch nicht mehr. SPD und Grüne sind unabhängig von ihrem realen Ergebnis potentielle Regierungspartner, weshalb sie einem „linken Lager“ gar nicht ernsthaft zugeordnet werden wollen. Ihr Credo: Lieber die schon wieder aufgekochte Suppe etwas nachwürzen, als das Risiko eines neuen Menüs einzugehen. Der bequemste Beikoch des CDU-Küchenpersonals, die FDP, hat sich selbst erledigt. Die Gefahr von rechts besteht zwar immer noch, sie kommt aber nach dem durchaus erfreulichen Ausscheiden der NPD aus dem Landtag in Gestalt der AfD für viele gefälliger daher. Das macht sie umso gefährlicher. Wer Abgeordnete gegen Polizisten tauschen will – so ein Wahlplakat der AfD –, offenbart, welche Art von Staat er möchte. Mehr als die Hälfte der dazu Berechtigten hat aber gar nicht gewählt. Warum? Das ist die eigentlich interessante Frage. Das Wetter und das Ferienende allein erklären es nicht. Mag manche und mancher selig schlummern. Es ist aber wohl auch ein erklecklicher Teil der Nichtwäh-

lerinnen und -wähler mit der gegenwärtigen sächsischen Landespolitik unzufrieden, sieht jedoch keine Alternative, deren Wahl Abhilfe schaffen könnte. Das sollte DIE LINKE aufschrecken. Wir müssen uns fragen, wie viel tendenziell linkes Potential in der Nichtwählerschaft schlummert und warum wir es nicht zu wecken imstande waren. Es gibt offensichtlich eine Wahlverweigerung, die in einer Mischung aus politischem Wechselwunsch und der Resignation bezüglich Wahlen als wirksames Instrument seiner Umsetzung besteht. Wechselstimmung fehlte bei SPD und Grünen. Bei einem großen Teil der Bevölkerung kann man sie hingegen vermuten. Ich habe häufig gehört, „jetzt habe ich Euch schon so oft gewählt, und was habt Ihr gekonnt?“ Wir sollten jedoch nicht bei solchen Augenblicksimpressionen stehen bleiben. Was wir brauchen ist endlich eine differenzierende Analyse der Motive für Wahlverweigerung. Daraus können Strategien entstehen, latent vorhandene Wechselstimmung in Zuwendung für uns bei Wahlen zu verwandeln. Unsere Stärke bei diesen Wahlen waren Persönlichkeiten. Ju-

liane Nagel hat den CDU-Kandidaten aus dem Feld geschlagen. Andere unserer Direktkandidatinnen und -kandidaten waren in Sichtweite des Erfolgs. Susi Schaper hat in Chemnitz 30 % der Erststimmen geholt, mehr noch als Juliane Nagel. Es reichte trotzdem nicht ganz zum Direktmandat. So unterschiedlich diese Kandidatinnen und Kandidaten auch sind, sie hatten eines gemeinsam: Sie vereinigten mehr Erststimmen auf sich, als es dann noch Zweitstimmen für DIE LINKE gab. Bei ihren CDUKontrahentinnen und -kontrahenten war das üblicherweise umgekehrt. Ich schließe daraus, dass Menschen mit klarem linken Profil, das zugleich unverwechselbar persönlich ist und sich in deutlich wahrnehmbare Aktivitäten umsetzt, von außerordentlicher Wichtigkeit für Erfolge unserer Politik sind. Linke Pluralität realisiert sich in der Dialektik von Programm und Persönlichkeiten. Das erzeugt Bewegung, macht uns interessant, schafft Vertrauen und Zuwendung. Mit der Dynamik und mit den Widersprüchen solcher Dialektik sollten wir uns auf den Weg in die nächsten Jahre machen. Nach der Wahl ist vor der Wahl! Peter Porsch

Persönliches Wahl-Fazit: Zufrieden und erschüttert Auf Erden ist alles relativ. Bei der Landtagswahl 2009 haben wir als LINKE in Sachsen fast 85 Prozent des Stimmenanteils erreicht wie bei der Bundestagswahl, diesmal sind es ca. 95 Prozent. Also haben wir uns relativ verbessert. Dass die LandesZahlen in Bezug zu Bundestrends stehen, behauptet ja nicht nur die FDP. Und wer den früheren bundespolitischen Gegenwind der sächsischen SPD mit dem derzeitigen Rückenwind durch die Berichterstattung über die GroKo (Mindestlohn/Rente mit 63) vergleicht, merkt, dass der Küchentisch-Wahlkampf null gebracht hat, denn sonst hätten mehr als zwei Prozente plus rauskommen müssen. Ehrlicherweise will ich nicht verschweigen, dass ich mir eine „20“ gewünscht habe, so wie die CDU ihre „40+x“ wollte – und auch nicht bekommen hat. Wie schon vor fünf Jahren haben beide „Volksparteien“ durch die zurückgehende Wahlbeteiligung prozentual Federn gelassen. Bedenkt man, dass wir im Verhältnis zu unserer bisherigen Stimmenzahl so viele Wähler/innen an die AfD verloren haben wie die CDU, können wir auch angesichts von Zuwächsen bei den erstmals Wählenden mit dem Resultat mehr als zufrieden sein. Ich will hier keiner detaillierten

Wahlauswertung vorgreifen, die innerparteilich wahrscheinlich diesmal nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen wird wie letztes Mal. Sondern aus persönlicher Perspektive eine höchst subjektive Sicht beisteuern. In der Lausitzer Gemeinde, in der ich lebe, hat Rot-Rot-Grün 20 Prozent erreicht, AFD/NPD 26. Das ist erschütternd, geht aber noch schlimmer: Dort, wo wir immer zum Eis essen hinfahren, liegt die Rechte bei 31,5 Prozent. Und wenn in einer nicht ganz kleinen Stadt wie Bautzen die NPD exakt

das gleiche Ergebnis einfährt wie die SPD – elf Prozent –, dann tun sich gesellschaftliche Abgründe auf. Erklärbar ist immer alles: Das unsägliche Tauziehen zwischen Stadt und Kreis um die Asylbewerber-Unterbringung, die unsensiblen Pläne eines weiteren Quartiers, nunmehr mit Containern in einem ohnehin schon benachteiligten Stadtviertel (und das, obwohl im Kreis viele tausend Wohnungen leer stehen!), die Stimmungsmache der Nazis. Beinahe hätte die Instrumenta-

lisierung des Themas „Asyl“ die NPD im Landtag gehalten, wenn sie nicht die Wählerschaft der ganz großen sächsischen Städte noch in letzter Sekunde knapp unter die Fünf-Prozent-Marke gedrückt hätte. Es gibt aber auch den Zeitungsbericht aus der heißesten Wahlkampfzeit, dass der Gemeinderat eines Ortes im Heide- und Teichland den Verkauf eines gemeindeeigenen Hauses über Marktpreis an einen renommierten Bäcker der Region vereitelt habe, weil der Mann darin polnische Mitarbeiter wohnen lassen wollte. Am Tag nach der Wahl wiederum wurde eine tunesische Asylbewerberin in Bautzen mit ihrem Sohn auf offener Straße tätlich und verbal attackiert, weil sie das Kind zur nächstgelegenen Grundschule bringen wollte. Rico Gebhardt hat anlässlich der ersten Sitzung der neu gewählten Fraktion mit Blick auf die Konstituierung des Landtags gesagt: Wir befinden uns in Sachsen mitten in einer Auseinandersetzung zwischen offener und geschlossener Gesellschaft. Für letztere stehen CDU und AfD, die Unterschiede sind nur graduell. Einer aus der CDU, der immer auf der Seite von Humanität, Weltoffenheit und Vernunft stand, der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo, hat sich aus

dem Landtag in den Abgeordneten-Ruhestand verabschiedet. Er hinterlässt bisher eine gefährliche Lücke. Wir hatten ein „Wahl-Duell“ der großen Regionalzeitungen mit unserem Spitzenkandidaten und dem Ministerpräsidenten – das gab’s noch nie. Nach dem Urteil der Redakteure der „Sächsischen Zeitung“ war Rico Gebhardt Sieger nach Punkten, andere schrieben über „Schlagabtausch auf Augenhöhe“. Die Dynamik einer Wechselstimmung wurde gleichwohl von SPD und GRÜNEN durch verfrühte Annäherung an die CDU schon vor der Wahl vereitelt – die GRÜNEN bezahlten dafür am Wahltag bitter, und der SPD hat’s auch nichts gebracht. Marcel Braumann

Termine für Regionalkonferenzen zur Wahlauswertung: 7. Oktober, Chemnitz 8. Oktober, Dresden, jeweils ab 17 Uhr. Weitere Informationen zu den Regionalkonferenzen sowie ergänzende Termine findet ihr unter www.dielinke-sachsen.de/termin/woche


Nach-Wahl-Debatte

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09/2014  Sachsens Linke!

Weit entfernt vom Lagerwahlkampf War es das Wetter? Es hat geregnet am 31. August. Die Sommerferien? Nein, diese Erklärungsmuster für die historisch niedrige Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl greifen einfach zu kurz. Wir blicken nach dem Wahltag auf einen erbärmlichen Zustand sächsischer Demokratie: 25 Jahre nach der friedlichen Revolution hat sich die Mehrheit der sächsischen Bevölkerung vom Wahlakt abgewendet. Wie schon 2009 hat die CDU eine massive Demobilisierungskampagne gefahren. Das meistplakatierte Motiv auch in diesem Wahlkampf war Stanislaw Tillich, mal mit Namenszug, mal mit der Aufschrift „Unser Ministerpräsident“. Themen, Inhalte wurden weitestgehend gemieden bzw. im Vorfeld bereinigt: Systematisch wurden vor den Wahlen Punkte abgeräumt, die die Opposition schon seit Jahren angemahnt hatte. Die politische Auseinandersetzung wurde gemieden. SPD und Grüne hatten derweil nichts Besseres zu tun, als sich – obschon sie eine Koalition mit der LINKEN nicht ausschlossen – für den Katzentisch der Union zu putzen. Von einem Lagerwahlkampf, von einer tatsächlichen Veränderungsmehrheit, waren wir so

wie schon 2009 weit entfernt. Wir haben eingedenk der Erfahrungen von 2009 in der Wahlstrategie vorsichtiger formuliert: Wir sprachen von einem Angebot an Gesellschaft und an mögliche Koalitionspartner, das wir unterbreitet hätten. Nicht mehr vom Anspruch. Wir haben versucht,

Alleinstellungsmerkmale hervorzustellen, und gleichzeitig in der Kommunikation – ob in Presse, öffentlichen Auftritten oder Wahlkampfmaterialen – das Glaubwürdigkeitsproblem von SPD und Grünen in Bezug auf ihren Willen zu einem wirklichen Politikwechsel thematisiert. Die WählerInnen-

wanderung spricht für sich: Obwohl sich die SPD bemühte, uns WählerInnen abspenstig zu machen, konnten sie von uns nicht gewinnen. Die Grünen mussten an uns abgeben. Ebenso – interessanterweise – wie die FDP. Und dennoch: In der Relation blieben die Lager rechts und links der Mitte weitestgehend stabil. Die Kräfteverhältnisse zwischen Rot-Rot-Grün und dem rechten Lager haben sich nicht verändert. Beim Wahlkampf 2004 konnten wir von sozialem Protest profitieren. Nunmehr artikulierte sich der Protest rechts der Union in Form der AfD, die mit knapp 10 Prozent in den Landtag einziehen konnte. Getragen von diffusen Ängsten konnte diese Partei Potentiale binden, die wir mit unseren Antworten, auf Basis unseres Programmes, nicht ansprechen können. Eine Antwort auf diese neue Situation haben wir als Gesamtpartei – nicht nur in Sachsen – noch nicht gefunden. Alles in allem: Es ist der Union nicht gelungen – obwohl dies von einigen Kommentatoren schon vorausgesagt wurde – die absolute Mehrheit zu erringen. Wir selbst haben uns als größte Oppositionspartei behaupten können. Wir hätten

im Wahlkampf durchaus noch andere Positionen unterstreichen können – sei es Gesundheitspolitik oder das Thema der sächsischen Demokratie. Das ist uns nicht gelungen. Wir haben einen Wahlkampf geführt, in dem uns jede Gestaltungsoption von Anfang an abgesprochen wurde. Wir haben unter den Umständen einer Demobilisierung Wahlkampf führen müssen. Es ist uns dabei dennoch gelungen – das zeigen die Zahlen – neue WählerInnenschichten anzusprechen. Ja, dabei kam die Wahlstrategie sicherlich zu spät. Der Zeitpunkt wurde in Absprache mit den Kreisverbänden gewählt, weil ein Beschluss der Strategie erst nach dem Europa- und Kommunalwahlkampf erfolgen sollte. Hier ist es sinnvoll, in Zukunft eine Strategie für den gesamten Wahlzyklus aus Kommunal-, Europa- und Landtagswahl zu entwickeln. Auch erscheint es notwendig, das Thema strategischer Wahlkreise deutlich früher auf die Agenda zu nehmen und diese über die Wahlperiode hinweg zu entwickeln. Wir haben in den kommenden fünf Jahren einige Aufgaben auf dem Zettel. Packen wir sie gemeinsam an. Thomas Dudzak

Mit blauem Auge davongekommen – Kritische Analyse nötig Über die Wahlbeteiligung und den Termin der Landtagswahlen ist genügend gesprochen worden. Sämtliche Akteure haben sich im Wahlkampf, soweit ich das beobachten konnte, enorm ins Zeug gelegt. Am Engagement lag es also nicht, dass wir bei den Landtagswahlen nicht nur prozentual mit 1,7 % im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen verloren haben, sondern bei den absoluten Listenstimmen sogar 60.791. Das muss uns zu denken geben. Von den verlorenen Stimmen sind allein 17.000 Stimmen zur AfD gewandert, die man getrost zurzeit als reine Protestpartei verstehen kann. Hier stellt sich die Frage, warum es uns zunehmend weniger gelingt, Protestwähler anzusprechen. Hier sehe ich eine der Ursachen, dass wir mit unseren Themenplakaten und mit dem Wahlprogramm, die gewiss in intelligenter und dialektischer Weise Widersprüchliches zum Ausdruck brachten, bei den Unzufriedenen nicht verstanden wurden. Mit den Plakatthemen ist es uns offensichtlich nicht gelungen, die regionale Spezifik von Problemlagen z. B. im Dreiländereck zu Polen und Tschechien mit der dort auftretenden Grenzkriminalität, Ab-

wanderung und strukturellen Schwäche der Wirtschaft sowie Arbeitslosenzahlen anzusprechen. Denn in dieser Region hat die AfD besonders hohe Prozentanteile an Wählerstimmen gewonnen. Überhaupt sollten in künftigen Wahlkämpfen die regionalen und lokalen Besonderheiten mit Plakaten differenziert ins Visier genommen werden. Denn die Problemlagen in den Großstädten Sachsens und in ländlichen Räumen sind verschieden. Menschen muss man vor Ort mit ihren Sorgen und Nöten konkret ansprechen. Drittens schließlich war es sicherlich nicht hilfreich, die Personen als Wahlkandidatinnen und Kandidaten fast hinter einem reinen Listenwahlkampf zu verstecken. Wählerinnen und Wähler vergeben ihre Stimmen auch aufgrund von Sympathiewerten. Und personenbezogene Wählerstimmen ziehen auch stets Listenstimmen für die Partei nach sich. Das kann man gut an den Listen- und Personenstimmen für die Direktkandidaten in Leipzig analysieren. Schließlich war die Wahlstrategie des Landesverbandes nicht auf den Gewinn von Direktmandaten ausgerichtet. Das aber ist der erfolgversprechendere

Weg, um dem dauerhaften Hegemon CDU in Sachsen wirklich gefährlich werden zu können. Die Ergebnisse in Leipzig zeigen, dass der prozentuale Anteil der Wählerstimmen mit geringem Verlust im Promillebereich im Vergleich zu 2009 gehalten, ein Direktmandat gewonnen werden konnte und dass wir in zwei weiteren Wahlkreisen am Gewinn des Direktmandates knapp vorbei geschrammt sind. Insofern teile ich die die Einschätzung von Horst Kahrs von der RLS Berlin in seiner Wahlanalyse, dass die Linke ihr Wahlziel verfehlt hat, nämlich durch ihre eigene Stärke die CDU unter die 40%-Marke zu drücken. Denn das hat fast allein die AfD geschafft. Nachdem im Vorfeld der Wahlen deutlich er kennbar keine Regierungsalter native links von der CDU mit SPD und Grünen zustande kommen kann, wurde vonseiten der

Linken zu lange an der Regierungsoption festgehalten und zu spät auf Oppositionswahlkampf umgestellt. Andererseits sind eben auch Spitzenkandidatinnen und -kandidaten mit ihren Sympathiewerten, die das Gesicht einer Partei repräsentieren, nicht unerheblich am Wahlerfolg oder Misserfolg beteiligt. Den Spitzenkandidaten Rico Gebhardt als personelle Alternative zum Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich aufzubauen, ist nicht

gelungen, schätzt Horst Kahrs ein. Denn nur 6 % der Wählerinnen und Wähler sahen Rico Gebhardt als Alternative zum Ministerpräsidenten. Aus der Analyse von Kahrs geht weiter hervor, dass uns mehr Männer als Frauen wählen. Dieser Gesichtspunkt sollte uns für kommende Wahlkämpfe sensibilisieren. Ich schlage vor, nicht nur den Landesvorsitz, sondern auch künftige Spitzenkandidaturen für die Landtagswahlen weiblich/männlich zu besetzen. Frauen müssen in Spitzenpositionen öffentlich wahrgenommen werden, um der Wahlbevölkerung zu signalisieren, dass Frauen in unserer Partei gleiche Aufstiegschancen haben. Offensichtlich ist es neben hausgemachten Fehlern der eigenen Partei aber stets so, dass Parteien in Regierungsverantwortung aufgrund von Skandalen, Affären und Missmanagement abgewählt werden. Und diesbezüglich unterscheidet sich die sächsische CDU von der Thüringer CDU. Daher ist auch die Einschätzung von Kahrs zutreffend, wenn er vom sanften und allmählichen Verschleiß der sächsischen CDU spricht. Monika Runge


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Die „AfD“ – Herausforderung für unsere politische Praxis Start und Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ müssen als rasant bezeichnet werden. Im Februar 2013 gegründet, konnte die junge Partei bei der Bundestagswahl im September 2013 aus dem Stand und mit Unterstützung konservativer Leitmedien 4,8 % erringen. Bei den Europawahlen waren es 7,1 %. Die besten Stimmanteile generierte die Partei in Sachsen: 6,8 % bei der Bundestagswahl und sogar 10,1 % bei den Europawahlen. Mit sieben Abgeordneten ist die Partei nun im Europaparlament und mit 81 von bundesweit 485 Mandaten nun auch Sachsens Kommunalparlamenten vertreten. Auch der Einzug in den Sächsischen Landtag im August 2014 gelang mit einem Rekordergebnis von 9,7 %. Aber: Wofür steht die AfD und

als Mitglied in die gemäßigt europaskeptische Fraktion der Konservativen und Reformisten unter dem britischen Premierminister David Cameron aufgenommen. Mit der Verbreiterung ihres Themenspektrums werden auch die politischen Spektren, aus denen sich die Partei speist, sichtbar: eine Melange aus marktradikalen Ökonomen und wert- bzw. christlich-konservativen Fundis, geeint von der Gegnerschaft zum Euro und dem Willen zur Stärkung des Nationalstaates gegen die Einflüsse der EU. Dabei radikalisiert die AfD konservative und neoliberale Ansätze, die die CDU vorsichtiger formuliert, abgeschwächt oder ganz verworfen hat. Blickt man auf die AfD-Positionierung zum Thema Zuwande-

setzlichkeit, das seit 1993 faktisch nicht mehr existierende Grundrecht auf Asyl. Fast. Die auf diesem „Asylkompromiss“ basierenden minimalen Anerkennungsquoten für geflüchtete Menschen und die Führungsrolle Sachsens bei Abschiebungen überzeugen die Nationalkonservativen aber nicht: Es müsse Schluss sein mit der laxen Auslegung des Asylrechts, so steht es im Landtagswahlprogramm geschrieben. Erinnert sei daran, dass auch die CDU-SPD-Regierung derzeit an einer weiteren Schwächung des Asylrechts arbeitet. Sozialpolitisch spielt die AfD mit Rekurs auf Thilo Sarrazin mit dem Feuer. Die Schuld an Armutslagen wird individualisiert, die Reichen sollen durch Senkung der Einkommenssteuer

gen von der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ (Bernd Lucke). Durch diverse Anreize will die AfD die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau stärken und das Kinderkriegen befördern. Selbstverständlich geht es auch hier um Kinder von „leistungsfähigen“ Schichten. Unter Bezugnahme auf den sogenannten Schreiber-Plan fordert die AfD in ihrem Landtagswahlprogramm für Sachsen die Einführung einer Kinder- und Jugendrente. Der Wirtschaftstheoretiker Wilfried Schreiber hatte dieses Modell 1957 unter Konrad Adenauer als Element der „Bevölkerungspolitik“ vorgeschlagen. Die Höhe dieser Rente bemisst sich nach dem Einkommen der Eltern. Gutverdienende werden begünstigt. Ähnlich Gruseliges verbirgt sich

Frauke Petry beim Landgang vom AfD-Schiff gegenüber der Staatskanzlei, einen Tag vor der Wahl (Foto: Ralf Richter)

was folgt daraus für unsere politische Praxis? „Familienpolitik, Zuwanderungspolitik und Europapolitik sind große und wichtige Themenfelder für die Zukunft unseres Landes“, so Bernd Lucke, VWL-Professor und einer der drei Parteisprecher. Längst ist es vorbei mit dem „Ein-PunktProfil“ als euroskeptische Partei. Fundamentale Positionen gegen die EU-Währungsunion oder Euro-Rettungs-Maßnahmen wurden zudem mit den Programmatischen Leitlinien (vorgelegt auf dem Bundesparteitag im März 2014 und bereits Ende April 2014 per Mitgliederentscheid angenommen) abgeschwächt. Im Europaparlament wurde die Partei mittlerweile

rung, die sich unter dem Slogan „Keine Einwanderung in die Sozialsysteme“ subsumieren lässt, erinnert man sich stark an die von der CSU zum Jahreswechsel 2013/14 angestoßene Debatte um die Freizügigkeit für Menschen aus Rumänien und Bulgarien und den damit vermeintlich verknüpften Sozialleistungsbetrug. Die AfD holt weiter aus: EU-Bürger*innen, die hierzulande keine Steuern gezahlt haben, sollen kein Recht auf Sozialleistungen haben. Wer den eigenen Lebensunterhalt nicht sichern kann, solle zurück in sein Herkunftsland. Diese Linie stellt die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union infrage. In Sachen Asyl bezieht sich die AfD zwar auf die herrschende Ge-

entlastet werden. Jenseits der offiziellen Programmatik sinnieren führende Protagonisten der Partei wie Sprecher Konrad Adam über den Entzug des Wahlrechtes für Angehörige der „Unterschicht“. Auch in der Bildungs- und Familienpolitik folgt die AfD dem Ansatz, Starke und Leistungsfähige zu fördern und Benachteiligte sich selbst zu überlassen. Das dreigliedrige Schulsystem soll erhalten bleiben und der Zugang zu Hochschulen erschwert werden. Der Rechtsanspruch auf eine flächendeckende KitaBetreuung soll zugunsten der familiären und privaten Kinderbetreuung unterminiert werden. Solche Vorschläge folgen aus den reaktionären Vorstellun-

hinter den Forderungen nach Volksentscheiden über Moschee-Bauten oder nach der DirektwahlvonBundespräsident*in, Bundeskanzler*in oder Ministerpräsident*innen. Hierbei geht es nicht um die Maximierung demokratischer Spielräume für alle. In Wirklichkeit geht es der AfD um die Schwächung der parlamentarischen Strukturen und von Minderheitenrechten. Niemand anderes als der jüngst auf dem AfD-Ticket ins Europaparlament eingezogene Hans-Olaf Henkel, ehemals Chef des Bundes der Industrie, schlägt schon seit vielen Jahren die Einführung des Mehrheitswahlrechtes und die Direktwahl von Führungspositionen vor. Sein erklärtes Ziel ist es, Links-

bündnisse zu verhindern und den neoliberalen Umbau von Verwaltungen durch gestärkte Führungsfiguren zu erleichtern. Dieser kurze Exkurs in die Programmatik der Alternative für Deutschland dürfte verdeutlichen, dass die Partei sich nicht nur klar gegen die Prinzipien einer solidarischen, gerechten und offenen Gesellschaft richtet. Sie öffnet darüber hinaus den Raum für Vorschläge, die zum Teil bis dato gesellschaftlich geächtet sind. Kritik an Formulierungen wie „Entartung der Demokratie“ (Bernd Lucke), „Bevölkerungspolitik“ (Frauke Petry) oder Slogans wie „Selbstjustiz ist die neue Polizei“ (Junge Alternative) goutiert die Partei als „Gesinnungswächterei“ oder „Einschüchterung Andersdenkender“. Der Tabubruch ist bei der AfD Programm und verfolgt eine klare Strategie: das gesellschaftliche Klima für den Abbau des Sozialstaates und der Demokratie zu bereiten. In den Stadt- und Gemeinderäten sowie in den Kreistagen und wohlmöglich im Sächsischen Landtag werden in Zukunft auch wir als LINKE mit den Protagonist*innen der AfD umgehen müssen. Aufgrund mangelnder Praxiserfahrungen ist es schwer möglich, vorgefertigte Strategien für den Umgang mit diesem neuen politischen Akteur vorzuschlagen. Fakt ist: Die Alternative für Deutschland ist mit der NPD nicht auf eine Stufe zu stellen. Darum scheint eine Strategie der Ausgrenzung, wie sie bei der NPD praktiziert wurde, ungeeignet. Klar ist, dass wir Widerspruch formulieren und inhaltliche Abgrenzung demonstrieren müssen. Auch Achtungszeichen wie das Verlassen von Podiumsveranstaltungen sind angebracht, wenn Aussagen der AfD humanistische und demokratische Grundwerte verletzen. Langfristig ist es angebracht, sich mit ihrer Programmatik auseinanderzusetzen, ihre Entwicklung und das Agieren ihrer lokalen Protagonist*innen aufmerksam zu beobachten und zentral zu dokumentieren. Wird es der AfD gelingen, ihre großen Themenlinien auch auf die kommunale Ebene zu „übersetzen“? Wird es der Partei- und Führungselite gelingen, die heterogene Basis aus gut situierten Unternehmer*Innen, Stammtischklientel, Wirtschaftsliberalen, Ultrakonservativen bis hin zu extrem rechten Akteuren unter einem Hut und vor allem im Zaum zu halten? Wird die Strategie die CDU, weiter nach rechts zu rücken, aufgehen? Diese Fragen dürften in der Praxis und auch für die langfristige Etablierung der AfD entscheidend sein. Jule Nagel


Kommunal-Info 7-2014 29. August 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Flüchtlinge Unterbringung von Flüchtlingen Das Beispiel Norderstedt Seite 3

Seminare zum Kommunalhaushalt Im September zwei Seminare zur kommunalen Doppik Seite 4

MitgliederVersammlung Jahreshauptversammlung des Kommunalpolitischen Forums am 19. September

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Zum Kommunalen Haushalt Der Haushalt einer Kommune stellt in konzentrierter Form die „in Zahlen gefasste Politik“ dar. In ihm spiegeln sich alle Tätigkeiten der Kommune, die mit dem Ausgeben und dem Einnehmen von Geld verbunden sind. Er ist eines der wichtigsten Planungsinstrumente der Kommune, in ihm werden Schwerpunkte bei der Verteilung der Haushaltsmittel gesetzt. Daher kommt der Haushaltsdebatte, die ja in den vor uns liegenden Monaten in den Gemeinden, Städten und Landkreisen laufen wird, ein zentraler Stellenwert in der Kommunalpolitik zu. Das Beschließen des Haushalts zählt zu den wichtigsten Rechten des Gemeinde- oder Stadtrats bzw. Kreistags als kommunalen Hauptorganen. Mit der Entscheidung über die Gestaltung der Ausgaben unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Einnahmen werden politische Prioritäten gesetzt. Für die Verwaltung wird ein finanzieller Handlungsrahmen vorgegeben:  Aufgaben und Maßnahmen, soweit sie finanzielle Auswirkungen haben, können nur nach den im Haushalt getroffenen Festsetzungen durchgeführt werden;  Aufträge dürfen nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel erteilt werden;  nach außen setzt der Haushalt eine Bindungswirkung, indem für die Steuerpflichtigen die Steuersätze (Grundsteuer, Gewerbesteuer) für das Haushaltsjahr festgesetzt werden.

Kommunale Doppik

Das neue kommunale Haushalts- und Rechnungswesen – auch kommunale Doppik genannt, ist der kaufmännischen Buchführung dem Handelsrecht entlehnt und für die kommunalen Haushalte modifiziert worden. Das

Kunstwort „Doppik“ steht hierbei für „Doppelte Buchführung in Konten“. Mit der kommunalen Doppik soll eine vollständige Abbildung des Ressourcenaufkommens und Ressourcenverbrauchs durch Erfassung von Erträgen und Aufwendungen anstelle von Einnahmen und Ausgaben erreicht werden. Die kommunale Doppik soll eine größere Transparenz und Klarheit über die tatsächliche finanzielle Lage der Kommune bieten als das bisherige kamerale System. Damit kann die Doppik auch als finanzielles Frühwarnsystem für Rat und Verwaltung fungieren. Das neue doppische Rechnungswesen basiert auf einem 3-Komponentensystem. Das Vermögen wird analog einer handelsrechtlichen Bilanz in der Vermögensrechnung dargestellt. Hier werden auf der Aktivseite das Anlage- und Umlaufvermögen und die Liquidität dargestellt. Auf der Passivseite vorhandene Kapitalpositionen, Verbindlichkeiten, Sonderposten sowie Rückstellungen. Der Vermögensrechnung fällt hierbei die Aufgabe zu, ein vollständiges Bild der Vermögensund Schuldensituation der Kommune zu liefern. In der Ergebnisrechnung sind die die realisierten Aufwendungen und Erträge enthalten. Sie entspricht damit weitestgehend der kaufmännischen Gewinn- und Verlustrechnung. Der Saldo aus Erträgen und Aufwendungen ist das Ergebnis. Sind die Erträge höher als die Aufwendungen, so wurde ein Überschuss erwirtschaftet. Dieser erhöht das Eigenkapital in der Bilanz/ Vermögensrechnung. Übersteigen hingegen die Aufwendungen die Erträge, so liegt ein Fehlbetrag vor, welcher das Eigenkapital mindert. In einer Finanzrechnung erfolgt die Darstellung des Liquiditätsstandes. Diese dritte Komponente ist spezifisch

für die kommunale Doppik entwickelt worden. Insbesondere bei der öffentlichen Hand muss gesichert bleiben, dass die anfallenden Auszahlungen stets abgesichert werden können. Mit der Finanzrechnung werden die realisierten Zahlungsströme erfasst, d.h. die tatsächlich eingegangenen bzw. geleisteten Einzahlungen und Auszahlungen. Das kaufmännische Gegenstück zur Finanzrechnung wäre die Kapitalflussrechnung.

Funktionen des Haushalts

Wie jeder öffentliche Haushalt hat auch der Kommunalhaushalt wesentliche Grundfunktionen zu erfüllen1:  Durch die finanzwirtschaftliche Ordnungsfunktion soll eine möglichst zuverlässige Übersicht über die im Haushaltsjahr voraussichtlich anfallenden Erträge und die voraussichtlich entstehenden Aufwendungen gegeben werden, um einen Ausgleich von Bedarf und Ressourcen zu gewährleisten.  Mit der politischen Programm- und Lenkungsfunktion wirkt der Haushalt als ein Instrument wirtschafts-, sozial- und kulturpolitischer Zielsetzungen. Dadurch wird festgelegt, wohin schwerpunktmäßig die kommunalen Gelder gelenkt werden und welche Prioritäten dabei gesetzt werden.  Die Kontrollfunktion des Haushalts besteht darin, der Verwaltung einen Handlungsrahmen vorzugeben und gleichzeitig eine Grundlage für die Rechnungsprüfung zu liefern. Die kommunale Vertretung, aber auch die Öffentlichkeit haben die Möglichkeit, aus dem Vergleich zwischen der tatsächlichen Haushaltsführung und den Vorgaben des Haushalts zu prüfen, ob die Verwaltung innerhalb des gesetzten Rahmens tätig geworden ist.  Durch eine einheitliche Systematik bei der Aufstellung des Haushalts wird

eine gesamtwirtschaftlichen Funktion erfüllt, indem die Transparenz und Vergleichbarkeit verschiedener Kommunalhaushalte zumindest auf Landesebene gegeben ist. Deshalb existieren für den inhaltlichen Aufbau des Haushalts verbindliche Formvorschriften (Verwaltungsvorschrift Kommunale Haushaltssystematik – VwV KomHSys).

Die Haushaltssatzung

Der Haushalt der Städte, Gemeinden und Landkreise wird gemäß § 74 der Sächsischen Gemeindeordnung durch die Haushaltssatzung beschlossen. Sie ist Basis für die Bewirtschaftung sämtlicher öffentlicher Mittel und damit das wichtigste „Gesetz“ auf kommunaler Ebene. Die Haushaltssatzung kann auch für zwei Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, erlassen werden. Die beschlossene Haushaltssatzung ist der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen; sie soll ihr spätestens einen Monat vor Beginn des Haushaltsjahres vorliegen. Den Rechtsaufsichtsbehörden stehen Mitwirkungsrechte zu. Diese reichen von einfacher Kenntnisnahme bis hin zur Erteilung Genehmigung – ggf. mit Auflagen – sofern die Satzung genehmigungspflichtige Teile enthält (insbesondere die Aufnahme von Krediten). Die Geltungsdauer der Satzung ist auf ein Kalenderjahr begrenzt und sie tritt immer zum 1. Januar – ggf. rückwirkend – in Kraft. Die Haushaltssatzung kann auch über den 31. Dezember hinaus nachwirken (Mittel für Investitionen sowie übertragbare Budgets). Zum Mindestinhalt einer Haushaltssatzung gehören:  die Festsetzungen des Haushaltsplans im Ergebnishaushalt und im Finanzhaushalt;  die vorgesehenen Kreditaufnahmen


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für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen (Kreditermächtigung);  die vorgesehenen Ermächtigungen zum Eingehen von Verpflichtungen, die künftige Haushaltsjahre mit Auszahlungen für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen belasten (Verpflichtungsermächtigungen);  die Festlegung der Höchstbetrages

nen schriftlich abgegeben werden oder „zur Niederschrift erhoben“ werden, indem die Betreffenden die Gemeindeoder Stadt bzw. des Landkreisverwaltung aufsuchen und dort die Einwendung mündlich vortragen schriftlich aufnehmen lassen. Über die fristgemäß erhobenen Einwendungen ist in öffentlicher Sitzung zu beschließen. Die Haushaltssatzung

chen im Vermögenshaushalt abgebildet wurde. Neben dem Ergebnis- und Finanzhaushalt gibt es sogenannte Teilergebnis- und Teilfinanzhaushalte. In diesen Haushalten werden sog. „Produkte“ definiert: das sind Leistungen oder eine Gruppe von Leistungen, für die innerhalb und außerhalb der Verwaltung eine Nachfrage besteht.

der Kassenkredite;  der Steuersätze, die für jedes Haushaltsjahr neu festzusetzen sind (Hebesätze für Grundsteuer und Gewerbesteuer).  In der Haushaltssatzung des Landkreises ist der Umlagesatz für die Kreisumlage festzulegen. Über den Mindestinhalt der Satzung hinaus können zusätzliche Festlegungen getroffen werden, die sich auf u.a. auf Sperrvermerke von Haushaltsstellen, auf Deckungsvermerke oder Ermächtigungen sowie den Stellenplan für das Haushaltsjahr beziehen.

ist vom Gemeinde- oder Stadtrat bzw. Kreistag in öffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen.

Je nach Fragestellung der Politik und Verwaltung werden die Produkte nach Steuerungsrelevanz zu Produktgruppen oder -bereichen zusammengefasst. Die Produktbereiche und einzelne Produktgruppen werden jedoch verbindlich durch den kommunalen Produktrahmen vorgegeben. Durch die Kommune frei gestaltbar sind die Bildung der Produktgruppen und die der jeweiligen Produkte. Die Tiefe der Produktgliederung im Haushaltsplan hängt u.a. von der Größe und Struktur der Kommune ab. Als Schlüsselprodukte sollen durch die Kommunen solche Produkte bestimmt werden, die örtlich von besonderer finanzieller oder kommunalpolitischer Bedeutung sind.2

Einwendungen und Beschluss

Für das Zustandekommen der Haushaltssatzung ist ein besonderes Verfahren vorgeschrieben. Zunächst ist der Entwurf, der als Beschlussvorlage in die Gemeinde- oder Stadtrats bzw. Kreistagssitzung geht, an 7 Arbeitstagen öffentlich auszulegen. Zur Einsichtnahme steht der Entwurf für jedermann und –frau zur Verfügung. Das Recht auf Einwendungen steht hingegen nur Einwohnern und Abgabepflichtigen der Gemeinde oder Stadt bzw. des Landkreises zu. Sie können bis zum Ablauf des 7. Arbeitstages nach dem letzten Tag der Auslegung Einwendungen gegen den Entwurf erheben; in der ortsüblichen Bekanntgabe der Auslegung ist auf diese Frist hinzuweisen. Die Einwendungen kön-

Der Haushaltsplan

Der Haushaltsplan enthält alle im Haushaltsjahr für die Erfüllung der Aufgaben der Kommune voraussichtlich anfallenden Erträge und entstehenden Aufwendungen, eingehenden ergebnis- und vermögenswirksamen Einzahlungen und zu leistenden ergebnis- und vermögenswirksamen Auszahlungen und notwendigen Verpflichtungsermächtigungen. Der Haushaltsplan ist in einen Ergebnishaushalt und einen Finanzhaushalt zu gliedern, die sich ihrerseits aus Teilhaushalten zusammensetzen. Der Ergebnishaushalt erfüllt im Wesentlichen die Funktion des bisherigen kameralen Verwaltungshaushalts. In ihm werden der voraussichtliche Ressourcenverbrauch und das mögliche Ressourcenaufkommen dargestellt. Der Ergebnishaushalt gibt entsprechend Auskunft über die beabsichtigte Bewirtschaftung der Ressourcen im Planjahr. Im Finanzhaushalt werden alle Vorgänge Investitions- und Finanzierungstätigkeit dargestellt (z.B. Baumaßnahmen, Investitionszuschüsse und -beiträge, Erwerb oder Veräußerung von Liegenschaften), was in der bisherigen Kameralistik im Wesentli-

Bestandteile und Anlagen

Als gesetzlich verbindliche Bestandteile des Haushaltsplanes – und damit als Vorgaben für die Verwaltung –sind festgeschrieben:3  der Gesamthaushalt (bestehend aus dem Ergebnishaushalt, dem Finanzhaushalt und dem Haushaltsquerschnitt mit Übersichten über die Erträge und Aufwendungen sowie Einzahlungen und Auszahlungen),  die Teilhaushalte (in produktorientiertem Aufbau mit den festgelegten Budgets),  der Stellenplan (in dem die erforderlichen Stellen für Beamte und sonsti-

ge Beschäftigte mit der Angabe der Besoldungs- und Entgeltgruppe nachgewiesen werden). Als Anlagen sind dem Plan weiterhin beizufügen:  der Vorbericht,  eine Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen,  eine Übersicht über den Stand der Verbindlichkeiten, der Bürgschaften und kreditähnlichen Rechtsgeschäfte,  eine Übersicht über den voraussichtlichen Stand der Rückstellung und Rücklagen,  eine Übersicht über die im Ergebnishaushalt zu veranschlagenden Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen,  die Wirtschaftspläne und neuesten Jahresabschlüsse der Sondervermögen,  die Wirtschaftspläne und neuesten Jahresabschlüsse der gemeindlichen Unternehmen mit einer Beteiligung über 20%,  eine Übersicht über Zuordnung der Produktbereiche und Produktgruppen zu den Teilhaushalten,  eine Übersicht über festgestellte Fehlbeträge der Vorjahre sowie  gegebenenfalls ein Haushaltsstrukturkonzept. Die Anlagen tragen informativen Charakter und sind für die Bewertung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kommune unerlässlich. Das trifft insbesondere auf die Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse der Beteiligungen zu. In den sächsischen Kommunen wurden in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Aufgaben ausgegliedert und deren Erfüllung in die Hände privatrechtlicher Organisationsformen gelegt. Es bestehen zwischen Kommune und den Unternehmen vielfältige Beziehungsgeflechte finanzieller Art, die man nur noch mit Hilfe des Beteiligungsberichtes erkennen und die Lage des „Gesamtkonzerns“ Stadt bewerten kann.

Der Vorbericht

Für das Verstehen des Haushaltsplans hat gerade für den ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträger der Vorbericht eine besondere Bedeutung. In ihm wird in verbaler Form ein Gesamtüberblick über den Stand und die künftige Entwicklung der Haushaltswirtschaft der Kommune gegeben. Er soll eine übersichtliche und verständliche Information zur finanziellen Gesamtsituation der Kommune vermitteln, insbesondere „eine durch Kennzahlen gestützFortsetzung auf Seite 4

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


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Unterbringung von Flüchtlingen Den Fremden Quartier geben

Die Stadt Norderstedt rechnet in diesem Jahr mit der Aufnahme von 200 Asylsuchenden. Sie hat ein Konzept für die kurz- und mittelfristige Bereitstellung von Quartieren entwickelt. Außerdem will sie Flüchtlingen das Ankommen erleichtern. In der Stadt Norderstedt leben rund 76.000 Bürger, davon haben rund 17 Prozent einen Migrationshintergrund. Derzeit erhalten 191 Personen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Für das Jahr 2014 wird mit der Aufnahme von insgesamt 200 Asylsuchenden gerechnet. Die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten reichen bei Weitem nicht aus, um für alle avisierten Flüchtlinge zeitnah entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Stadt strebt an, die Wohnsituation von Flüchtlingen nachhaltig zu verbessern. Kurzfristig muss sichergestellt werden, dass alle zugewiesenen Flüchtlinge einen angemessenen Wohnraum erhalten. Zunächst wird deshalb der kommunale Wohnungsbestand „durchforstet“. Mit geringem finanziellem Aufwand werden so ehemalige Rentnerwohnungen, Hausmeisterhäuser sowie weitere Wohnungen im kommunalen Besitz für Flüchtlinge hergerichtet. Diese Wohnungen werden vorrangig Familien und Einzelpersonen angeboten, die bereits schon längere Zeit in einer Unterkunft wohnen. Als weiterer Schritt wird geprüft, eine ehemalige Schule und eine Industriehalle zu nutzen sowie Mobilbauten aufzustellen. Bei allen kurzfristigen Lösungen soll sichergestellt werden, dass sie nicht zu Dauerlösungen werden. Sie können deshalb nicht alleine stehen, sondern müssen in einem engen Kontext zu einem mittel- und langfristigen Konzept gesehen werden.

Neubau geplant

Die bereits vorhandenen Unterkünfte müssen in den nächsten Jahren aufgrund der schlechten Bausubstanz ersetzt werden. Die Stadt plant deshalb den Bau von neuen Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Bei den Neubauten sollen sowohl Erfahrungen aus den bisherigen Unterkünften als auch sozialpolitische Aspekte berücksichtigt werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Eckpunkte:  Höchstens 50 bis 60 Personen je Einrichtung;  Ein- bis Zwei-Zimmer-Apartments mit Küche und Nasszelle;  Flexible Raumaufteilung (Möglichkeit der Zusammenlegen von kleineren Apartments zu größeren für Familien);  Gemeinschaftsraum, Beratungsraum;  Ansprechende Architektur, ins Umfeld eingepasst;  Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, ÖPNV, Schulen, Kitas. Vor allem vor dem Hintergrund der jetzigen Unterkünfte, die nach rund 25 Jahren größtenteils abgängig sind, wird Wert auf eine nachhaltige Bauweise gelegt. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass der Wohnraum auch bei

nachlassenden Flüchtlingsströmen an andere Personenkreise vermietet werden kann. Es wird in diesem Zusammenhang auch geprüft werden, inwieweit eine Förderung im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus erfolgen kann. Insbesondere für die Erstellung von Neubauten werden die Investitionskosten von rund 1,4 Millionen Euro pro Einrichtung anfallen. Eine Refinanzierung erfolgt im Belegungsfall durch die Übernahme der Unterkunftskosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Das Ankommen erleichtern

Parallel zur Entwicklung eines Konzeptes für die Unterbringung von Flüchtlingen ist die Entwicklung einer Willkommenskultur sinnvoll, um den Flüchtlingen das Ankommen in einem fremden Land zu erleichtern. Da oft viele Institutionen und Organisationen mit der Betreuung und Unterstützung befasst sind, bietet es sich an, die unterschiedlichen Aktivitäten in einem „Runden Tisch“ zu bündeln. Ziel des „Runden Tisches“ ist es, die Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu intensivieren, Schwachstellen und Probleme zu erkennen und zu beseitigen sowie eine Betreuung der Flüchtlinge mit den vorhandenen Ressourcen sicherzustellen. Hauptprojekte des „Runden Tisches“ in den letzten Monaten waren ein Willkommenspaket und ein Ehrenamtsprojekt für die Begleitung von Flüchtlingen. Ausgangspunkt für beide Projekte war die als optimierungsbedürftig wahrgenommene Ankunftssi-

tuation von Flüchtlingen. Beide Projekte kennzeichnet die hohe Kreativität bei den Akteuren, die bislang die fehlenden finanziellen Ressourcen kompensieren konnte. Perspektivisch muss bei zunehmenden Flüchtlingszahlen allerdings die professionelle Begleitung des Ehrenamtes sichergestellt werden. Allen Neuankömmlingen wird bei ihrer Ankunft ein Stoffbeutel mit einer kleinen „Erstausstattung“ sowie mit Informationsmaterial ausgehändigt. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Flüchtlinge auch ohne Barmittel für einen Tag ernähren können, denn in der Regel erfolgen die notwendigen Antragstellungen auf dem Sozialamt erst am folgenden Tag. Das Informationsmaterial enthält einen Stadtplan und wichtige Adressen, die mit Piktogrammen bebildert sind, damit die Bedeutung auch ohne Schriftkenntnisse erkannt werden kann. An der Bereitstellung der Willkommenspakete sind viele Einrichtungen beteiligt: die Norderstedter Tafel, ein Gebrauchtwarenhaus, die Kleiderkammer des DRK sowie ein Lions Club, der sich bereit erklärt hat, die Beutel zu packen und zu transportieren. Für die Lagerung der einzelnen Bestandteile hat die Stadt einen Raum zur Verfügung gestellt.

Breite Basis an Beteiligten

Um den Flüchtlingen das Ankommen und Einleben zu erleichtern, ist ein weiteres Projekt auf den Weg gebracht worden. Dabei finden sich Willkommen-Tandems zusammen, die aus Norderstedtern mit und ohne Migrati-

onshintergrund bestehen. Bei der Zusammensetzung der Teams wird darauf geachtet, dass die Migranten nach Möglichkeit aus dem gleichen Kulturund Sprachkreis der jeweiligen Flüchtlinge kommen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge Menschen an ihrer Seite haben, die sich gut in der Stadt auskennen und die sprachliche Barrieren überwinden helfen können. Dies ist nicht nur für Behördengänge hilfreich und sinnvoll, sondern auch im täglichen Leben – sei es am Fahrkartenautomaten, bei der Bedienung der Waschmaschine oder bei der Begleitung zum Arzt. Eine fachliche Beratung, zum Beispiel im Asylbewerberleistungsgesetz oder im Asylantragverfahren ist mit dieser Begleitung nicht verbunden, hier sind nach wie vor die zuständigen Beratungsstellen aufzusuchen. Die Ehrenamtlichen wurden zum Teil über eine Informationsveranstaltung und die Presse, zum Teil über persönliche Kontakte gewonnen. Quelle: Onlinemagazin www.gemeinderat-online.de/, Nr. 6/2014. Von Anette Reinders, Zweite Stadträtin der Stadt Norderstedt.


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Die Jahreshauptversammlung 2014

des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. findet statt

am Freitag, 19. September 2014, 18:00 Uhr in Dresden Gewerkschaftshaus, Schützenplatz 14

auf der Tagesordnung stehen:    

der Bericht der Vorsitzenden über die Tätigkeit des Vereins im Jahr 2013 der Bericht der Finanzprüfer zum Haushaltsjahr/Jahresabschluss 2013 die Wahl des Vorstands des Kommunalpoltischen Forums Sachsen e.V. die Wahl der Finanzprüfer

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Zum Kommunalen Haushalt te, wertende Analyse der Haushaltslage und ihrer voraussichtlichen Entwicklung enthalten. Unter Einhaltung der folgenden Gliederung sollen insbesondere dargestellt werden“4:  welche wesentlichen Ziele und Strategien die Kommune verfolgt und welche Änderungen gegenüber dem Vorjahr eintreten werden;  wie sich die wichtigsten Erträge, Aufwendungen, Einzahlungen und Auszahlungen, das Vermögen, die Verbindlichkeiten ohne Kassenkredite und die Zinsbelastung sowie die Verpflichtungen aus Bürgschaften, Gewährverträgen und ihnen wirtschaftlich gleichkommenden Rechtsgeschäften in den beiden dem Haushaltsjahr vorangehenden Haushaltsjahren entwickelt haben und voraussichtlich im Finanzplanungszeitraum entwickeln werden; zusätzlich ist die durchschnittliche rechnerische Tilgungsdauer sowie die durchschnittliche Nutzungsdauer des gesamten abnutzbaren Anlagevermögens anzugeben;  wie sich unter Berücksichtigung einer Fehlbetragsabdeckung aus Vorjahren das Gesamtergebnis und die Rücklagen in den dem Haushaltsjahr folgenden drei Jahren entwickeln werden und in welchem Verhältnis sie zum Deckungsbedarf des Finanzplans stehen;  welche erheblichen Investitionen

und Investitionsförderungsmaßnahmen im Haushaltsjahr geplant sind und welche Auswirkungen sich hieraus für die Haushalte der folgenden Jahre ergeben werden;  wie sich der Zahlungsmittelüberschuss oder Zahlungsmittelbedarf aus laufender Verwaltungstätigkeit, der Finanzierungsmittelüberschuss oder der Finanzierungsmittelfehlbetrag entwickeln werden; in welchem Umfang Kassenkredite in Anspruch genommen worden sind und in welchem Umfang liquide Mittel, welche für die Inanspruchnahme von langfristigen Rückstellungen notwendig sind, eingesetzt werden; wie sich die Höhe der Liquiditätsreserve im Finanzplanungszeitraum entwickeln wird;  welcher Finanzierungsbedarf für die Inanspruchnahme von Rückstellungen entsteht und welche Auswirkungen auf die Haushalte sich daraus im Finanzplanungszeitraum ergeben werden;  wie sich die Höhe des Basiskapitals entwickelt;  wenn ein Haushaltsstrukturkonzept aufzustellen war, wie die für das Haushaltsjahr vorgesehenen Haushaltsstrukturmaßnahmen im Haushaltsplan verwirklicht werden;  welche Auswirkungen sich nach der Bevölkerungsstatistik auf die zu erwartende zukünftige Entwicklung der Kommune und ihrer Einrichtungen ergeben werden;  welche haushaltswirtschaftlichen Belastungen sich insbesondere aus der

Einladung zu den Seminaren

Den „doppischen“ Haushaltsplan lesen und verstehen  am Freitag, 12.09.2014, 18:00 Uhr bis Sonnabend, 13.09.2014, ca. 15:30 Uhr in Chemnitz, „pentahotel“, Salzstrasse 56 oder  am Freitag, 26.09.2014, 18:00 Uhr bis Sonnabend, 27.09.2014, ca. 15:30 Uhr in Dresden, „art‘otel dresden“, Ostra-Allee 33

Zum Inhalt:

 Haushaltssatzung und Haushaltsplan - was beinhalten beide?  Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen?  Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was wird durch den Ergebnishaushalt und was durch den Finanzhaushalt abgebildet?  Was geschieht, wenn die Haushaltssatzung nicht beschlossen wurde und nur eine vorläufige Haushaltsführung möglich ist?  Welche Abweichungen vom Haushaltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen?  Unter welchen Voraussetzungen wird im „doppischen“ Haushalt der Haushaltsausgleich erreicht?  Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen?  Wann muss ein Haushaltsstrukturkonzept aufgestellt werden, was muss darin enthalten sein?  Nach welchen Grundsätzen hat die Kommune den Jahresabschluss zu erstellen?

Referent: Alexander Thomas

(Dipl.-Verwaltungswirt, parl.- -wissenschaftlicher Berater)

Weitere Informationen - Anmeldung:

 Einchecken im jeweiligen Hotel: Freitag, ab 17:00 Uhr  Abendessen, Mittagessen und Getränke zu den Mahlzeiten sind von den Teilnehmern selbst zu zahlen  Übernachtung sowie alkoholfreie Getränke im Seminar übernimmt der Veranstalter  Teilnehmerbeitrag: 20 Euro, 2 Euro für ALG II- und SoHi-Empfänger  Bei der Anmeldung bitte angeben, ob Übernachtung benötigt wird.

Anmeldung bitte an:

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Tel. 0351 - 4 82 79 -44/ -45 Fax 0351 - 7 95 24 53 E-Mail: info@kommunalforum-sachsen.de Eigenkapitalausstattung und der Verlustabdeckung für andere Organisationseinheiten und Vermögensmassen, aus Umlagen, Straßenentwässerungskostenanteilen, der Übernahme von Bürgschaften und anderen Sicherheiten sowie Gewährverträgen ergeben werden

Ein Seminar des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. in Siebenlehn (Mittelsachsen)

oder zu erwarten sind aus a) den Sondervermögen der Gemeinde, für die aufgrund gesetzlicher Vorschriften Sonderrechnungen geführt werden, b) den Formen kommunaler Zusammenarbeit, an denen die Gemeinde beteiligt ist, und c) den unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen der Kommune an Unternehmen in einer Rechtsform des öffentlichen und privaten Rechts. Bevor sich jemand als Gemeinde-, Stadt- oder Kreisrat in das umfangreiche Zahlenwerk des Haushalts stürzen möchte, sollte er oder sie sich zunächst gründlich mit dem Vorbericht befassen. AG Verwiesen sei hier auf den vom Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V. herausgegebenen Leitfaden „Kommunales Haushaltsrecht in Sachsen. Doppik hat Kameralistik abgelöst“ von Alexander Thomas, der für die Abfassung dieses Beitrags mit genutzt wurde. 1 Vgl. G. Schwarting: Den kommunalen Haushaltsplan – kameral und doppisch richtig lesen und verstehen, 3. überarb. Aufl., S. 17f. 2 Vgl. Doppik für Mandatsträger. Doppelte Buchführung in den sächsischen Kommunen, Hrsg.: Sächsisches Staatsministerium des Innern, S. 14 3 § 1 Sächsische Kommunalhaushaltsverordnung-Doppik. 4 § 6 Sächsische Kommunalhaushaltsverordnung-Doppik.


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Ursachen und Konsequenzen des AfD-Erfolges Vor den Landtagswahlen sah man es auf den Straßen in Sachsen: AfD-Plakate wurden generalstabsmäßig organisiert verteilt, Piratenplakate hingegen konnte man mit der Lupe suchen – und noch eines fiel auf: Es schienen weniger AfD-Plakate vor den Wahlen zum Landtag zerstört worden zu sein als vor den Kommunalwahlen im Mai. Alle Umfragen im Vorfeld deuteten auf einen AfD-Einzug in den Landtag hin – sechs, sieben Prozent wurden vorausgesagt. Es ist absehbar, dass die Partei auch in Thüringen und Brandenburg demnächst in die Landtage einziehen wird. Wie kann es einer Partei, die es erst seit dem 6. Februar 2013 gibt, in so kurzer Zeit gelingen, eine derartige Bedeutung zu erlangen – und zwar flächendeckend? Gerade zwei Monate nach ihrer Gründung trat sie zur Landtagswahl in Hessen an und scheiterte knapp an der fünf Prozenthürde, bei der Bundestagswahl war es noch knapper. Umgekehrt war es bei der bereits 2006 gegründeten Piratenpartei, die erst 2011 in Berlin punkten konnte und damit erstmals bundesweit zur Kenntnis genommen wurde. Weder bei den folgenden Bundestagswahlen noch bei den Europawahlen spielte sie eine nennenswerte Rolle. Die AfD ist anders als die Piratenpartei keine Partei der Nerds – wenngleich sie sich ebenfalls und doch ganz anders dem Thema „Transparenz in der Politik“ verschrieben hat. Die Piraten

haben keine „Galionsfigur“, weder mit bundesweiter noch mit regionaler Bekanntheit. Die Piratenpartei setzt auf „Schwarmintelligenz“ und erscheint dadurch kopflos, auch die Schwimmrichtung des Schwarms ist innerhalb der Partei umstritten und außerhalb der Partei nicht erkennbar. Mit ihrer Virtualisierung ist die Partei derartig erfolgreich, dass man sie real gar nicht wahrnimmt. Vermutlich existiert sie fast nur noch im Netz – ganz anders ist das bei der AfD. Schon seit Jahrzehnten war klar, dass die „Neue Konservative“ – auch als „Neue Rechte“ bezeichnet – eine intellektuelle Strömung zwischen CDU und NPD verkörpert. Die anspruchsvolle Publikation „Junge Freiheit“ stand für eine intellektuelle konservative Bewegung. Mit Lucke und Petry wird nun auch deutlich, wohin die Reise parteipolitisch geht: Es geht beiden um die Wiederbelebung national-konservativ christlicher Werte. Beiden ist die CDU zu links und die NPD zu rechts – außerdem fehlt der NPD der intellektuelle Unterbau, der sie für konservative Wähler wählbar machen würde. Das ist bei der Partei von Professor Peter Lucke, der 30 Jahre lang der CDU angehörte und mit seinem von ihm gegründeten volkswirtschaftlichen Think-Tank in dieser Partei kein Gehör fand, etwas ganz anderes. Aus einer konservativen Bewegung Intellektueller heraus entstand eine Partei, die nun auch von LinkenWählern bis zu NPD-Wählern

Stimmen abfischt. Zum Reiz des Neuen kommt – das vermisst man bei den Linken seit Jahrzehnten – die wirtschaftliche Kompetenz. Unterschwellig schwant der Bevölkerung, die schon mit dem „Teuro“ über den Tisch gezogen wurde, dass es mit dem Euro kein gutes Ende nehmen wird. Zwar versteht man die AfD in ihrer Euro-Kritik nicht ganz, aber man kann es sich gut vorstellen, dass der Euro scheitert und dann die DM – mit der man doch nicht schlecht gefahren ist – wieder kommt. Die Themen Währungspolitik oder Euro scheinen für Parteien erledigt zu sein – nur die AfD greift sie noch auf. In Sachsen hat die AfD mit Frauke Petry mehr als eine Galionsfigur mit hohem Bekanntheitsgrad . Die Kontakte und Netze der Neuen Konservativen, die sich darüber streiten, ob sie sich nun auch Neue Rechte nennen sollen oder nicht, sind weit gespannt. Es existiert nicht nur ein Institut für Staatspolitik, sondern man hat auch einiges von den Linken gelernt und „KonservativSubversive Aktionen“ über eine KSA-Gruppe durchgeführt. Es gelingt der Bewegung, eine gute Jugendarbeit zu machen, Schüler und Studenten an sich zu binden und selbstverständlich gibt es auch Einfluss bei der Bundeswehr, wo man auch selbst Erfahrung gesammelt hat – zum Beispiel in Sarajewo beim Bataillon für Operative Information 950. Dieses kümmert sich um psychologische Kriegsführung, be-

stückt aber auch Radio Andernach, das Bundeswehrradio. Seit dem von Bush propagierten „War on terror“ wurde der Anti-Islamismus in der westlichen Welt hoffähig. Inzwischen etablieren sich nun überall in Europa rechts von den ehemaligen bürgerlichen Parteien neu-rechte konservative Parteien, die „die Nation retten“ wollen. Die „Retterin der Nation“ für Sachsen von der AfD, Frauke Petry, meint: „Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicher zu stellen“. Wer Jobs für Deutsche zuerst fordert und den Stopp des Baus von Asylbewerberheimen, fährt auch bei LinkenWählern vielleicht mehr Zweitstimmen ein, als es sich eine Parteiführung in Dresden oder Berlin vorstellen kann. Die CDU hat keine andere Wahl, als unter dem Einfluss der AfD selbst nach rechts zu rücken. Tut sie das aber, werden viele gleich lieber die „rechte CDU“, also die AfD wählen. Tillich und Merkel ist eine Konkurrenz entstanden: Die AfD ist Fleisch vom eigenen Fleische und wird in dem Maße, wie die westlichen Staaten und damit die Bundesrepublik weltweit an Boden verlieren, die Besitzstandswahrer und Nationalstaatsretter um sich scharen. Mit der Forderung nach mehr Volksabstimmungen kann man bald die Todesstrafe wieder einführen, die Abtreibung verbieten und den Euro abschaffen – das bedeutet dann das Ende von

EU und jeglichem europäischen Gedanken, den weder christdemokratische noch sozialdemokratische Parteien jemals zu Ende denken wollten – denn der Grundfehler bei der Einführung des Euro war es, nicht die politische Einheit vor der wirtschaftlichen Einheit vollzogen zu haben. Man hätte dabei aus der eigenen Geschichte lernen können: Erst nach der deutschen Einheit 1871 wurde die Reichsmark eingeführt – zu diesem Zeitpunkt gab acht verschiedene Landeswährungen mit 119 verschiedenen Münzsorten im Deutschen Reich. Doch erst eine politische und wirtschaftliche Einheit führt – da hat die Partei des konservativen Volkswirtschaftlers vollkommen Recht – zu einer stabilen Währung. Der Geburtsfehler des Euro zerreißt langsam aber sicher die EU. Nur eine pro-europäische internationalistische Gegenbewegung kann den herrschenden Trend zurück zum Primat des Nationalstaates stoppen, der von Neu-Rechten Kräften vorangetrieben wird. Wie gefährlich die neue Entwicklung ist, kann man an einem Vorbild der Neu- Rechten erkennen. Der Schweizer Armin Mohler, der u.a. als Redenschreiber für Josef Strauß arbeitete, sagte einmal: „Faschismus ist für mich, wenn enttäuschte Liberale und enttäusche Sozialisten sich zu etwas Neuem zusammen finden. Daraus entsteht, was man konservative Revolution nennt.“ Pieter Potgieter

„Verbrannte Erde – Stalins Herrschaft der Gewalt“ Die Geschichte ist, wie Georg Büchner schrieb, „vom lieben Herrgott nicht zu einer Lectüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden“. Doch Geschichte kennt kein Pardon. Sie nimmt keine Rücksicht: Weder auf junge Frauenzimmer noch auf alte Mannsbilder. Wie rücksichtslos Geschichte mitunter sein kann, das erfährt in dem Buch „Verbrannte Erde – Stalins Herrschaft der Gewalt“ von Prof. Jörg Baberowski, eine eindrucksvolle Beschreibung. Dieses Werk, das auf der Leipziger Buchmesse (2012) den Sachbuchpreis bekam, hat es in der Tat in sich. Enthält es doch schwere Kost, gut lesbar geschrieben zwar, dennoch schwer zu verdauen, was ursächlich mit der alles andere als blutleeren Materie zu tun haben dürfte, mit der man hier konfrontiert wird. Auf welchen ca. 600 Seiten langen Weg der Autor einen mitnehmen will, illustrieren die Kapitel-Überschriften: Was war der Stalinismus?, Pyrrhussiege, Unterwerfung, Diktatur des Schreckens, Massenterror, Kriege und

Stalins Erben. Ein wahrhaft weites Feld, das der Professor für die Geschichte Osteuropa an der Berliner Humboldt-Universität da beackert hat. Die so verhängnisvolle Saat, die von Stalin und seinen Gesellen in den Boden ihrer (gewünschten) gesellschaftlichen Realität eingebracht wurde, und die zu der bekannten selbstzerstörerischen Missernte eines ganzen Gesellschaftsmodells führte, werden hier unter den Pflug gelegt. Was hierbei, trotz der schon zahlreich vorhandenen Publikationen über den „roten Diktator“ und sein Regime, zum Vorschein kommt, darunter ist auch manches Neuland. Denn wiederum sind einige, vorher nicht zugängliche Archive geöffnet oder verschollen geglaubte Quellen wieder gefunden worden. Da hat Prof. Baberowski immerhin die Größe, sich selbst einzugestehen, dass er sich bei seinem Buch „Der roter Terror“ (2003) korrigieren müsse: „Je mehr ich über die Gewalt der Stalin-Zeit las, desto klarer wurde mir, dass meine früheren Interpretationen revi-

diert werden müssten. Stalin war, daran ließen die Dokumente, die ich inzwischen gelesen hatte, keinen Zweifel, Urheber und Regisseur des millionenfachen Massenmordes (...)“ .Was bisher weniger im Mittelpunkt stand, wird in diesem Buch thematisiert: Auch schon zu Lenins Zeiten waren Terror und Gewalt Mittel der Politik. Es gab sogar eine Zeitschrift „Krasnyi terror“ (Der rote Terror). Der damalige Petrograder Parteichef Grigori Sinowjew schrieb z. B. (1918) in der Zeitung „Die nördliche Kommune“: „Von der einhundert Millionen zählenden Bevölkerung Sowjetrusslands müssen wir 90 Millionen mit uns nehmen. Was den Rest angeht, so haben wir ihm nichts zu sagen. Er muss vernichtet werden“. 1936 wurde er selbst vernichtet – nachdem er wunschgemäß gestanden hatte, ein Faschist zu sein. Von Nikolai Bucharin ist aus dieser Zeit überliefert: „Wir müssen jetzt alle Agenten der Tscheka sein“. 1938 wurde auch er ein Opfer der stalinschen Gewalt. Niemand konnte es dem „unge-

hobelten Asiaten“, wie Lenin Stalin nannte, rechtmachen. Selbst treueste Gefährten in Partei, Armee und Geheimdienst waren vor ihm nicht sicher. So geriet Ende 1948 auch Außenminister Molotow ins Visier des „Gewaltmenschen“ Stalin. Erst zwang er den „Eisenarsch“, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, dann steckte er sie als „zionistische Agentin“ ins Lager. Im März 1949 verlor das Scheidungsopfer schließlich sein Ministerium an Andrej Wyschinski. Für Baberowski war Stalin ein Mörder, dem es Freude bereitete, zu zerstören und zu verletzen. „Stalin war ein Gewalttäter aus Leidenschaft“. Allein am 12. Dezember 1938 entschied Stalin, dass 3167 Menschen sterben sollten. Zahlreiche solcher Belege und Einzelschicksale, die diese These stützen, haben Eingang in das Buch gefunden. Mutet man es sich zu, dort hindurch zu gehen, bleibt man oft fassungslos stehen. Man braucht Pausen, um zu fassen, was nicht zu fassen ist. Man braucht Zeit, um zu verstehen, was nicht zu verstehen

ist. So auch, wenn ein NKWDMann (S. 340ff.) in erschreckender Offenheit über seine Arbeit als Henker berichtet. Wenn man jenes Klima aus Angst, Denunziation, Erniedrigung sowie den „pathologischen Gewalttrieb“ der Stalin-Ära lesend nacherlebt, lässt das einen nicht unberührt. Man möchte angesichts vieler grausiger Details dieser Geschichte vor Entsetzen fliehen. Aber Geschichte kennt keine Fluchtwege! In einem Gespräch (15. März 2012) für mdr-figaro äußerte der Autor, dass er an manchen Abenden mit den schrecklichen Geschichten ins Bett gegangen und mit ihnen wieder aufgestanden sei. Und manchmal habe es Überwindung gekostet, wieder an den Schreibtisch zu gehen. Jetzt wolle er sich nur noch mit Erhabenen und Schönen beschäftigen. Wer sein Buch gelesen hat, wird Jörg Baberowski verstehen. René Lindenau Jörg Baberowski, „Verbrannte Erde: Stalins Herrschaft der Gewalt“. Verlag C.H Beck 2012, 2. Auflage, 606 Seiten, gebunden.


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Da sind wir wieder: der Sprecherrat der LAG Seniorinnen und Senioren Der Sprecherrat der LAG Seniorinnen und Senioren wurde am 16.6.2014 in Chemnitz anlässlich der Hauptversammlung der LAG neu gewählt. 17 Genossinnen und Genossen vertreten die Seniorinnen und Senioren der AG aus den Kreisen. In den Diskussionen wurde klar: Wir wollen mehr als nur eine „Spaß-AG“ sein. In der Landespolitik des Freistaates werden wir meist über Rente und Pflege definiert. Sonst finden wir nicht statt. So geht es auch, aber nicht mit uns! Wir fordern eine neue Kultur des Alters ein. Das setzt die Anerkennung der Lebensleistung der Seniorinnen und Senioren ebenso voraus wie ein anderes Altersbild bei den Regierenden, den Medien und den Parteien. Viele Menschen sind heute nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben länger gesund, autonom und vor allem aktiv. Die Potentiale der Älteren zu nutzen ist eine der Herausforderungen, der wir uns stellen wollen – im Landesverband der Linken in Sachsen. Um würdevoll und selbstbestimmt im Alter leben zu können, brauchen wir neben einem ausreichenden Einkommen Wohnbedingungen, die der Lebenslage entsprechen; einen ÖPNV, der auf die Bedürfnisse der Älteren eingestellt ist und nicht auf Profit; eine medizinische Versorgung, die zu den Menschen

geht und nicht umgekehrt. Selbstbestimmt bedeutet auch die Güter des täglichen Bedarfs selbstbestimmt vorzufinden. In Sachsen ist die Daseinsvorsorge in der Fläche nicht mehr garantiert. Die Mitglieder der LAG wollen da nicht länger zuschauen. Wir haben in ihren Kreisen wichtige Erfahrungen als Kreisoder Gemeinderäte gesammelt. Unser Wissen wollen wir in den kommenden Monaten erweitern und bündeln. So haben alle Mitglieder der LAG ein Themenfeld in der Bearbeitung übernommen. Lebenslanges Lernen und damit die stetige Erweiterung unseres Wissens ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. So wollen wir uns in den kommenden Monaten intensiv und vor Ort insbesondere mit den Themen Wohnen, Altersbilder und der Generationenfrage auseinandersetzen. Das ehrgeizige Ziel erreichen wir, weil die Mitglieder der LAG inhaltliche Arbeitsgruppen gebildet haben, die ihre Arbeit aufgenommen haben. Wir wollen unser Wissen und Können in den Fachgebieten einbringen, um besonders die Arbeit der Linken in den Kommunen zu unterstützen. Denn hier tobt das Leben oder auch nicht. Die Daseinsvorsorge wird hier positiv garantiert oder eben nicht. Durch umfangreiche Datenerfassungen, Entwicklungsanalysen, Handlungsop-

tionen und Gesprächen mit den Seniorinnen und Senioren vor Ort wollen wir für uns Ältere Änderungen in den Lebensbedingungen herbeiführen. Unser Arbeitspensum wird nur in Zusammenarbeit mit unserer Landtagsfraktion, der Bundestagsfraktion und dem Kommunalpolitischen Forum Sachsen umsetzbar sein. Wir werden in den Fraktionen unsere Zielstellungen formulieren und gemeinsame Schritte zur Erreichung festlegen. Wir sind sicher, dass wie auch

schon in den vergangenen Jahren eine enge Verflechtung möglich ist. Neu ist, dass wir konkreter unsere Positionen entwickeln und vertreten werden. In den vergangenen Jahren haben wir zielgerichtet unsere Forderungen für die Seniorenpolitik in der Linken formuliert. Nicht immer haben wir Erfolg gehabt. Wir haben uns vorgenommen, nicht nur inhaltliche Positionen darzustellen. Wir wollen auch in unserer Partei selbst das, was wir in der Gesellschaft fordern

– die Achtung vor der Lebensleistung der älteren Generation und ihre Leistung –, für die Linke und für linke Politik an den richtigen Platz rücken. In besserer Zusammenarbeit mit dem Landesvorstand sehen wir gute Chancen. Eine wichtige Forderung ist, das Thema Seniorinnen und Senioren in ganzer Breite auf einem Landesparteitag zu diskutieren. In unserer Zeitung werden wir über unsere Arbeit informieren. Heidemarie Lüth

zeitig zu stellen: „Für den Intellektuellen schwer zu begreifen ist die gegenwärtige Leitung der Partei, eine geistig ziemlich niedrige, aber kräftige und schlaue Kleinbürokratie, die keine sehr großen Gesichtspunkte hat, aber die Massen gut zusammenhält. ... Diese Bürokratie mag NICHT FÄHIG sein, eine Revolution zu führen, aber der Stoß, der sie im Falle einer Revolution hinwegfegen wird (...), wird nicht von einer Seite geführt werden, die ihre geistige und sittliche Mittelmäßigkeit auf die Nerven geht. Diese Bürokratie wird an den Folgen krepieren, die ihre materielle Position bei ihr haben wird. Mit anderen Worten: Sie wird am Tage der Revolution andere (materielle) Interessen haben als das Proletariat. Lehre daraus: Sie kann nur an den Punkten bekämpft werden, wo sich die Differenzen ihrer Interessen mit denen

der Arbeiter deutlich auswirken. Schimpfende Intellektuelle würden sie gerade aber an dem Punkt angreifen, wo sich ihre Interessen – oder ihre Interessenlosigkeit – mit denen des Proletariats decken.“ Im Zusammenhang mit der sächsischen Landtagswahl und dem von der LINKEN erzielten Ergebnis erlangen andere Äußerungen Brechts aus der Exil-Zeit traurige Aktualität: „Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen und schrien sich zu ihre Erfahrungen, wie man schneller sägen könnte, und fuhren mit Krachen in die Tiefe, und die ihnen zusahen, schüttelten die Köpfe beim Sägen und Sägten weiter.“ „Das Schlimmste ist nicht, Fehler zu haben ..., nicht einmal sie nicht bekämpfen, ist schlimm. Schlimm ist es, sie zu verstecken.“ Weitere ca. 60.000 Wähler haben der LINKEN Sachsen den

Rücken gekehrt, nachdem es 2009 bereits 120.000 waren. Und ein Tiefpunkt der Wahlbeteiligung wurde erreicht. Ein Hauptthema für DIE LINKE Sachsen wäre also, zu klären, wie sie sich gegen diesen allgemeinen Trend (un)politischen Verhaltens der (Volks) Massen behaupten kann, wie die Mitwirkung, Beteiligung derjenigen Massen aktivierbar ist, denen sie nahestehen will, die ihr (objektiv) nahestehen. Die gegenwärtige, real historisch existierende Partei „DIE LINKE“ hat noch viel von Bertolt Brecht zu lernen. Mit Brecht wird man nicht fertig, nicht mit seinen Dramen, nicht mit seinen Gedichten und v. a. nicht mit seinen politischen Schriften und Studien. Man kann ihn jedoch, wie alles Unliebsame, einfach ignorieren, beiseite schieben. Eine LINKE sollte das nicht tun! Ralf Becker

Brecht forever Am 14. August vor 58 Jahren starb Bertolt Brecht, einer der größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Niemand, der auch nur wenige Stücke oder Gedichte von Brecht kennt, wird bezweifeln, dass er ein ausgesprochen politischer Dramatiker und Dichter war. Der „Literatur-Papst“ Marcel Reich-Ranicki hielt nur sein Lyrisches Werk für historisch bleibend. Und weil sich Brecht so sehr mit dem „Marxismus“ und auch mit dem „Leninismus“ beschäftigte, wird er ja von nicht wenigen für tot oder überholt erklärt. Brecht verstand das Theater immer massenpädagogisch. So schrieb er seine Dramen. Er wollte erzieherisch und bildend auf das Publikum Einfluss nehmen. Brecht verstand sich als Anhänger von Marx und Lenin. In der DDR wurde er viel geehrt und gespielt. Aber er war nie Mitglied einer kommunistischen Partei, auch

nicht später der SED. In seinem Buch Me-Ti kann man z. B. Brechts Verständnis zu Lenin nachlesen. Immer wieder hole ich Brecht zu Rate, wenn ich über den Zustand meiner Partei nachdenke. Schon in den 20er Jahren als junger Mann beschäftigte er sich bei seinen „Marxismus-Studien“ intensiv mit der Rolle der Partei und ihrer inneren Beschaffenheit. Und man darf ihm eine der Objektivität der Betrachtung gut zu Gesicht stehende Distanz bescheinigen. Natürlich muss man seine Aussagen in den geschichtlichen Raum von damals stellen. Doch frappierend ist, wie sich Analogien aufdrängen aus der Zeit relativer Zufriedenheit der Massen in den zwanziger Jahren und heute in Bezug auf die Fähigkeit der (kommunistischen damals, SED, heute linken) Partei sich den wesentlichen tatsächlichen Entwicklungsprozessen recht-


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Reportage: Zum Fackelschwimmen in der Elbe Es gibt Dinge, die man sich vornimmt, dann aber lange vor sich her schiebt. Elbeschwimmen ist so eine Sache für mich gewesen. Wenn man zur älteren Generation gehört, dann weiß man, dass es durchaus einmal üblich war, in der Elbe zu baden. Ich erinnere mich dunkel daran, dass meine Mutter einmal mit einer Kollegin in die Meißner Gegend fuhr. Dort ging ich das erste Mal in die Elbe. Es muss um 1970 gewesen sein, ich war fünf oder sechs. Ein Schiff fuhr vorbei, meine Mutter hielt mich an der Hand und ich erlebte Wellengang im Fluss: Elb-Wellen, hervorgerufen von einem Elbdampfer, auf dem winkende Fahrgäste saßen. Danach gab es jahrzehntelang keine direkte Berührung mehr zwischen der Elbe und mir. Zwar bin ich mit dem Rad die Elbe entlang in südlicher Richtung bis Decin und in nördliche schon bis Torgau geradelt und auch ein Stück mit dem Kajak von Königstein bis Pirna gepaddelt, doch Schwimmen? Seit Jahren las ich dann die Berichte vom Neujahrsschwimmen, sah es mir selbst an, dachte gelegentlich daran, im Sommer zum Elbeschwimmen zu gehen. Aber irgendetwas hielt mich immer davon ab. Dieses Jahr konnte man sich bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) zum „Fackelschwimmen“ online anmelden – das gefiel mir. Schwimmen mit Online-Anmeldung. Wer es nutzte, zahlte zwei Euro, wer sich erst am Elbufer anmeldete, musste fünf bezahlen. Es war ja offensichtlich, dass es weniger um ein sportliches „Event“ als um ein Gaudi ging – dafür stand auch der diesjährige Schirmherr Uwe

Steimle. Einen Tag vorm Elbeschwimmen las ich einen wirklich interessanten Beitrag in einer Tageszeitung. Darin erfuhr man, dass der Italiener August Anderoli 1786 in Dresden das Baden in der Elbe eingeführt hatte – jedenfalls bekam er die Erlaubnis vom Kurfürsten, die erste Badeanstalt zu eröffnen. Freilich gehörten Stadt und Land dem König, und das Volk durfte sich nicht frei bewegen, insbesondere nicht die arbeitende Bevölkerung – die befreite sich erst 1918 vom König, nachdem schon dank russischer Verwaltung nach dem napoleonischen Krieg 1815 der Große Garten für das Volk geöffnet wurde, in dem sich zuvor nur der Adel verlustieren durfte. Die Elbe wurde dann vier Jahre nach der Revolution von 1918 offiziell zum Baden freigegeben – und die Massen strömten auf die Elbwiesen.

Tausende kamen an den warmen Sonnentagen. 1919 hatte sich der Arbeiterturnerbund in Arbeiter-Turn- und Sportbund umbenannt und war zum Vorläufer des DTSB geworden. Teil davon wurde der AWRD, der Arbeiter-Wasser-Rettungsdienst. 1930 gab es 100 Mitglieder, alle sorgten ehrenamtlich dafür, dass das Elbeschwimmen „in geordneten Bahnen“ ablief. Schon um 1924 – zwei Jahre, nachdem Elbe zum Baden für das Volk freigegeben wurde – gab es in Dresden zehn städtische und drei private Badeanstalten. Man stelle sich das heute einmal vor: Tausende badeten in der Elbe – neben all den Freibädernn die in den 20er Jahren geschaffen und in den letzten Jahren geschlossen wurden! Kurz: Baden in der Elbe ist offenbar eine Volks-Veranstaltung mit ur-linken Traditionen. 21 Uhr sollte es losgehen am 15.

August. Eine reichliche Viertelstunde vorher entrichtete ich am DLRG-Stand unterhalb des Narrenhäusels in der Nähe der Augustusbrücke meinen Obolus und bekam dafür eine Fackel in die Hand gedrückt. An der Elbe standen zwei weiße Umkleidezelte, eines für Frauen und eines für Männer – allerdings nahm man es mit der Geschlechtertrennung dabei nicht päpstlicher als der Papst. Draußen war es leider etwas regnerisch und nicht wirklich warm. Mit leichter Verspätung setze sich unser kleiner Zug in Marsch, 99 Frauen, Männer und Kinder bzw. Jugendliche. Es ging mit Gummischuhen über Stock und Stein von der Augustus- bis zur Carolabrücke – dort begrüßte uns ein DLRG-Mann (auch Uwe Steimle stand mit Badehose und Fackel da) mit dem Megaphon, warnte uns vor spitzen Steinen und Scherben im Fluss-

Bild: Ralf U. Heinrich

bett: „Wer ein Problem hat, hebt den Arm! Wir kommen dann sofort.“ Dann wurden alle Fackeln angezündet und wir durften endlich die kühle Abendluft (14 Grad) mit dem warmen Elbwasser (20 Grad) vertauschen. Herrlich! Alle waren gut drauf, es wurde geschwommen, gelaufen, geplauscht – wenn man dabei noch das Lied der Dresdner Fackelschwimmer gesungen hätte (das gibt es möglicherweise aber noch nicht), wäre es perfekt gewesen. Ich habe jedenfalls beschlossen, dass ich von nun an jedes Jahr in die Elbe steigen werde. Außer dem Fackelschwimmen gibt es auch noch Elbeschwimmen am Tag über längere Distanzen als die kurzen 400 Meter – die Strömung lässt einen ja sehr schnell vorwärts kommen. Im Zelt erzählte mir ein Radebeuler, dass er manchmal im Sommer fünf Euro in die Badehose steckt und dann auf die andere Seite schwimmt, um dort in der als Restaurant hergerichteten Gohliser Mühle einen Kaffee zu trinken und einen Kuchen zu essen – der Weg durch die Elbe ist einfach viel kürzer, als erst über die Brücke zu fahren. Elbeschwimmer sind Wiederholungstäter, und ihr Kreis wächst ständig. Ich gehöre nach dem letzten Erlebnis ab sofort dazu. Ein Erinnerungsfoto, auf dem ich neben Uwe Steimle im Schein unserer Fackeln zu sehen bin, wird mich an das neunte Fackelschwimmen erinnern, es ziert als Hintergrundbild meinen PC-Bildschirm. Vielleicht steigen zum JubiläumsFackel-Schwimmen 2015 auch ein paar StadträtInnen mit den in den Fluss … Ralf Richter

Unterschätzte regionale Kunst 2013 wurde das Werk des Malers Fritz von Uhde auf dem 1. Internationalen Wolkenburger Symposium bekannter gemacht und gewürdigt. Beim 2. Internationalen Wolkenburger Symposium am 27. und 28. Juni 2014 stand Joseph Mattersberger, ein klassizistischer Bildhauer im Dienste Detlev Carl Graf von Einsiedels, im Mittelpunkt. Er entwickelte in den Jahren der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in den Metallgusswerkstätten der von Einsiedels die künstlerische Eisengießerei. Auf Schloss Wolkenburg kann man einige Originale (und Nachbildungen) sehen. Vor der Schlosskirche St. Mauritius steht eine Büste des Detlev Carl Graf von Einsiedel, die Mattersberger schuf; diese Kirche besitzt auch zwei spä-

ter geschaffene gusseiserne Giebel-Reliefs. Das Symposium beschäftigte sich mit der Biographie Mattersbergers, mit der technologischen Seite, v. a. aber mit dem künstlerischen Wert und der kunstgeschichtlichen Einordnung der Gusskunstwerke seines Schaffens und dieser Zeit sowie deren Einfluss auf die weitere Entwicklung der Gießereikunst. Das industrielle Zeitalter eröffnete der Gießerei neue Möglichkeiten, die auch für die Herstellung von Kunst erschlossen wurden. Im Besitz der von Einsiedel war auch die Eisengießerei in Lauchhammer, die zu der Zeit beste sächsische Eisengießerei. Mattersberger ist als Pionier der Eisengießkunst zu betrachten. Er schloss an die antike Proportionslehre und

an Leonardo da Vinci, Raphael und Michelangelo an und brachte ein entsprechendes Lehrbuch der Proportionslehre für die Ausbildung von Bildhauern heraus. Aber auch an Albrecht Dürers Proportionslehre dürfte er angeknüpft haben, so waren sich die Experten einig. Mattersberger wirkte in Breslau als Professor für Modellierkunst. Zuvor war er in Petersburg tätig, wo er in nur vier Jahren als Bildhauer um die 70 Skulpturen für das Zarenhaus schuf. Diese Reise wie auch ein Besuch bei dem Philosophen Immanuel Kant in Königsberg dürften aufgrund der Bekanntschaft mit und der Vermittlung des zaristischen Diplomaten in Sachsen, Fürst Alexander Beloselsky, zustandegekommen sein. Wenngleich Mattersberger

als klassizistischer Bildhauer betrachtet wird, so gehört er, wie auch Johann Gottfried Schadow, zu den Vertretern des Realismus. Hier treten idealisierende Momente der Gestaltung zugunsten einer authentischen Darstellung deutlich in den Hintergrund. Damit befand er sich im Gegensatz zur romantischen Weimarer Klassik, die zu dieser Zeit deutlich dominierte. Das trug sicher zu dem geringeren Bekanntheitsgrad und späterem „Vergessen“ seines Werkes bei. Der realistische Stil stellte auch erheblich höhere Anforderung an die Gießkunst, man denke etwa an Gesichtsfalten. Joseph Mattersberger war der erste, der eine Büste eines Menschen nur anhand von Bildern schuf. Es

war der Philosoph Immanuel Kant im fortgeschrittenen Alter. Die Bildhauerin Franziska Schwarzbach brachte eine von ihr in Auftrag gegebene Abformung dieser Kant-Büste nach der von J. Mattersberger geschaffenen Gipsform mit (siehe Foto). Am zweiten Tag unternahmen die Teilnehmer des Symposiums eine Exkursion zu den Besitzungen der von Einsiedel in der Region und in Sachsen. Dazu gehörte auch das Kunstguss-Museum in Lauchhammer, wo Mattersberger tätig war. Auch sein Werk ist ein Kunst- und Kulturschatz, der sowohl regional als auch im Rahmen der sächsischen Kultur- und Kunstlandschaft mehr Beachtung und Bekanntheit verdient. Ralf Becker


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Jugend

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Sommer, (manchmal) Sonne, Regierung stürzen! Als wir Anfang April anfingen, unsere Kampagne zur Landtagswahl zu planen, war noch nicht absehbar, wohin uns das alles noch führen würde. In etlichen Plena, Gesprächen und Telefonkonferenzen haben wir getüftelt, beraten, verworfen und neu geplant, was wir diesem Sommer alles so treiben würden. Haben einige von uns auch 2009 schon aktiv am Wahlkampf teilgenommen, so

Unsere beiden erfolgreichsten Beiträge im virtuellen Wahlkampf im Web 2.0 sind dann auch genau solcher Spontanität geschuldet: Es war eine Sache von wenigen Tagen vom Diskussionsstand „das ist nicht schaffbar“ bis zum fertigen Clip, mit dem wir unsere „Regierung stürzen“ Kampagne eröffneten. Bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels, fünf Tage vor der Wahl, sahen

manchmal auch kontrovers diskutiert. Aber natürlich findet Wahlkampf nicht nur im Internet, vor Laptops und in Telefonkonferenzräumen statt. So sind wir mehr als 1.500 km durch Sachsen getourt, haben von Görlitz bis Leipzig, von Torgau bis Auerbach jeden Landkreis besucht und in mehr als 20 Städten für linke Inhalte gestritten. Gemeinsam mit un-

das Verhältnis von „Stürzen“ zu „Abwählen“ zu „Ersetzen“ wurde nicht wenig diskutiert diesen Sommer – womit wir eines der Ziele unserer Kampagne schon mal erreicht haben. Wahlkampfzeiten sind auch lehrreiche Zeiten, und so kam es dann auch, dass fast jede_r von uns im Verlauf der Kampagne ganz neue Herausforderungen bestehen musste. Da fand sich mal jemand zum ers-

Heidenspaß gemacht! Vielleicht konnten wir ja sogar im Wahlkampf die eine oder den anderen von Euch von unseren Positionen überzeugen, oder euch zumindest plausibler machen, wieso wir etwa für ein Wahlalter Null, für eine Schule ohne Noten und eine grundsätzlich andere Drogenpolitik sind. So oder so: Wir machen weiter!

Termine 02. bis 06. September 2014: Vierte Internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Hörsaalgebäude der Universität Leipzig, Universitätsstraße 3 in Leipzig. Mehr unter http:// leipzig.degrowth.org/de/

war es doch für alle Beteiligten das erste Mal, dass sie selbst aktiv eine eigene Kampagne zu einer Landtagswahl konzipieren und anschließend umsetzen konnten. Doch so sehr wir uns auch Mühe gegeben haben mit all dem Planen: Am Ende waren es doch die spontanen Einfälle und mitunter Entscheidungen in letzter Minute, die den größten Einfluss nahmen. Wer hätte etwa das insgesamt grässliche Augustwetter vorhersehen können?

knapp 4.000 Menschen unseren Spot, 200 Menschen teilten ihn auf facebook. Unser zweit-erfolgreichster Beitrag, die Foto Lovestory, entstand spontan auf dem Pfingstcamp, in anderthalb Tagen Arbeit und unter engagierter Mitwirkung dutzender begeisterter Darsteller_innen. Wir haben uns mehr als einen Monat lang mit mehr als 40 Gesichtern und konkreten Forderungen aus unserem Landesjugendwahlprogramm präsentiert – und

seren diversen Ortsgruppen und ihren engagierten Wahlkampfaktionen haben wir bis zum Redaktionsschluss einen Großteil unserer 75.000 Sticker, 5.000 Kandidat_innenflyer, 5.500 Glückskekse und 10.000 Postkarten unter die Sächs_innen gebracht. In den Gesprächen kam es so manches Mal vor, dass unser zentrales Anliegen, eben das Stürzen der Regierung, zu Lachen und Gesprächen über Politik als solcher geführt hat. Über

ten Mal als Illustratorin für einen Zeichentrickfilm wieder, ein anderer Genosse verbrachte Stunden mit dem Konzipieren, Drehen und Schneiden unserer Clips, während wieder andere in echten Rekordzeiten unsere (nicht gerade leichte) Slushy-Eis-Maschine aus- und einpacken und die Tonne Gepäck in die Ladefläche des Jugendbusses zu puzzeln gelernt haben. Wie auch immer es am 31.08 am Ende ausging: Es hat einen

Heraus zur Herbstakademie! Herbstakademie? Ja, auch dieses Jahr veranstaltet die linksjugend [‚solid] Sachsen wieder eine Veranstaltung mit diesem Namen. Doch anders als in den letzten Jahren wird sie nicht eine Woche umfassen. Diesen Herbst haben wir uns dafür entschieden, drei Wochenenden mit diversen Seminaren anzubieten. Anders als bisher werden sich die Workshops nicht auf ein paar

Stunden beschränken. Stattdessen wird die Möglichkeit bestehen, sich in Form eines sich über das ganze Wochenende erstreckenden Seminars intensiv in die angebotenen Themenbereiche zu vertiefen. In der Ruhe der Provinz werdet ihr ein Wochenende lang mit neuem Wissen konfrontiert werden, neue Leute kennenlernen und diskutieren. Ob du dich theoretisch oder prak-

tisch bilden möchtest, spielt dabei keine Rolle, denn an den Wochenenden wird es sowohl Seminare zu theoretischen Themen wie Staatskritik und linker Ideengeschichte geben als auch ein Angebote an Seminaren mit praktischem Hintergrund. Dieses wird unter anderem einen Female-DJing-Workshop beinhalten. Wenn ihr also Lust habt, euch darauf einzulassen, solltet

ihr schon einmal die Wochenenden vom 17. bis 19. und 24. bis 26. Oktober im Hinterkopf behalten. Das letzte Wochenende der Reihe der diesjährigen Herbstakademie wird vom 5. bis 7. Dezember stattfinden. Bis dahin dauert es noch ein paar Wochen und wir werden alle Hände voll zu tun haben. Am Ende wird sicher etwas Großartiges dabei herauskommen!

12. bis 14. September 2014: Verbandswochenende und Treffen der Bundesarbeitskreise in Leipzig, Anmeldung und Infos unter http://www. linksjugend - solid.de/verbandswochenende/ 13. September 2014: Stains In The Sun Festival auf der Naturbühne Schwarzenberg, mehr Infos und Tickets unter http://www.agenda-alternativ.de/events/stains-in-thesun-festival/ 28. September 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig 03. bis 05. Oktober 2014: Awareness-Seminar, Infos unter http://gleft.de/Ei 12. Oktober 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung in der WahlFabrik, Kleiststraße 10 a, Dresden 17. bis 19. Oktober 2014: Herbstakademie – Seminarwochenende I, Infos folgen auf www.linksjugend-sachsen.de 24. bis 26. Oktober 2014: Herbstakademie – Seminarwochenende II 07. bis 09. November 2014: Landesjugendtag und Landesjugendplenum, Termin schon mal blocken, Infos folgen 05. bis 07. Dezember 2014: Herbstakademie – Seminarwochenende III Mehr Infos wie immer unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

09/2014  Sachsens Linke!

Mit Krieg Kriege beenden? Als ich im Europawahlkampf nach Oschatz kam, führten mich unsere Genossen in eine Sonderausstellung anlässlich des Ersten Weltkrieges. Spannender als in jeder seitenlangen Lektüre ließ sich anhand von Postkarten und Feldbriefen der Zeitgeist des 1. Weltkrieges nachvollziehen. In der Bildsprache widerspiegelte sich Kriegsbegeisterung, verbunden mit Heimattümelei und preußischem Ehrenkodex. Krieg als Lebenselixier. Gerade der Erste Weltkrieg hatte Kräfte entfesselt, die letztlich bis zum Zweiten Weltkrieg reichten. 17 Millionen Tote, 20 Millionen verwundete Soldaten. Serbien und Montenegro verloren zwischen 11 und 16 % ihrer gesamten Bevölkerung. Ganze Orte, wie Ypern in Belgien, wurden dem Erdboden gleich gemacht. Der Giftgaskrieg forderte ungezählte Opfer. Allein 1914 wurden in Deutschland täglich 60-70 Millionen Goldmark verschleudert. Im Jahr des kritischen Gedenkens an dieses Ereignis scheint auch für die deutsche Regierung der Krieg als Mittel zur Konfliktlösung etwas Normales geworden zu sein. Ein Tabu, wenigstens in Krisenregionen keine Waffen zu exportieren, gibt es nicht. Waffenexporte in extreme Regime, wie Saudi-Arabien, sind ohnehin Normalität. Ein Viertel aller Rüstungsexporte weltweit kommt aus fünf EU-Staaten: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien. Die deutschen Rüstungsunternehmen beschäftigen 98.000 Menschen. Diese arbeiten aber nicht nur in der Waffenproduktion. Rüstungskritiker schätzen, dass im Kernbereich der Branche nur etwa

20.000 Menschen beschäftigt sind. Laut Branchenverband BDSV dagegen hängen mehr als 300.000 Stellen von der Rüstung ab. Zum Vergleich: Die deutsche Autoindustrie hat etwa 800.000 Beschäftigte. Angesichts von insgesamt 42 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland kommt die Rüstungsindustrie auf einen Anteil zwischen 0,2 und 0,8 Prozent. Der Umsatz der Rüstungsbranche beläuft

zes entfällt. Der größere Teil der Ausfuhren besteht aus Überwachungs- und Aufklärungssystemen, Computerlösungen, Dienstleistungen etc. Jährlich werden Gewinne bis zu 6 Mrd. Euro „erwirtschaftet“. Bester Waffenkunde war in den letzten Jahren das überschuldete Griechenland mit einem Anteil von 15 Prozent, dahinter folgten Südafrika (11 Prozent) und die Türkei mit 10 Prozent.

systeme und Panzer, wie den Spürpanzer „Fuchs“. ThyssenKrupp baut Unter- und Überwasserschiffe wie Fregatten und Minenräumer für den Kriegseinsatz. Exportschlager sind die U-Boote. Krauss-Maffei Wegmann baut Haubitzen, Truppentransporter und Panzer. Der bekannte „Leopard 2“ ist eine Kooperation mit Rheinmetall. Airbus Group (ehemals EADS) ist ein europäischer Luftfahrt- und

Heckler & Koch stellt Handfeuerwaffen her, die auch in vielen Krisenregionen eingesetzt werden. MTU Aero Engines baut Triebwerke für Kampfflugzeuge, wie für den Eurofighter. Diehl Defence produziert Panzerketten, Munition und Raketen. Die Produkte von Rheinmetall Defence sind Flugabwehr-

Rüstungskonzern mit Sitz in München und Toulouse. Jeweils zwölf Prozent an ihm halten der deutsche und der französische Staat, vier Prozent gehören Spanien. Der Rest ist Streubesitz. EADS ist der zweitgrößte europäische Rüstungskonzern und steht weltweit auf Platz Sieben. Der Konzern erzielte mit Kampf-

bild: flickr.com/Dr.Case

sich auf rund 23 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa 0,4 Prozent des Gesamtumsatzes der deutschen Unternehmen. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt hinter den USA und Russland. Geliefert werden Panzer, Raketen, Gewehre, UBoote und Flugzeuge, auf die etwa ein Drittel des Umsat-

jets (Eurofighter), Truppentransportern (Airbus 400M), Tankflugzeugen (Airbus 330) und Kampfhubschraubern (Tiger) 2013 einen Umsatz von fast 16 Milliarden. All das will abgesetzt sein. So kann der Irak auch ein sehr einträgliches Geschäft für die deutsche Rüstungsindustrie werden, wenn sich dafür Regierung und Bundestag entschließen. Auch wenn 67 % der deutschen Bevölkerung Waffenexporte ablehnen, wie es ein jüngste Umfrage zeigt. Und diese Ablehnung kommt nicht von ungefähr. Die Gefahr ist groß, dass Rüstungsgüter, wie schon in anderen Kriegen, in die Hände der Gotteskrieger geraten. Krieg wird auf diese Weise wieder legitimes Mittel, um Konflikten zu begegnen, obwohl jeder einzelne Krieg das Gegenteil beweist. Eine Ursachen-Wirkungsanalyse der jeweiligen Konflikte gibt es kaum. Friedliche Konfliktlösungsmittel treten in den Hintergrund. Schon jetzt stehen sich in den Kriegen der Gegenwart amerikanische, russische und deutsche Waffen gegenüber, auch im Irak, in Syrien und in Israel/Palästina, in Afrika und der Ukraine. Statt Waffen brauchen die Leute im Irak, in Syrien, aber auch in Palästina Wasser, Essen, Wohnungen und Perspektiven, um Fanatikern nicht auf den Leim zu gehen. Mehr Rüstung schafft eben nicht Frieden, gerüstet wird für den Krieg. Ob vor 100 Jahren oder heute. Cornelia Ernst (Zahlen zur Rüstung aus der Frankfurter Rundschau vom 20.08.14, dem Focus 04.08.14 und dem Tagesspiegel vom 11.08.14)

Ein neuer Rechtsruck … Als am Wahlsonntag die ersten Hochrechnungen auf den Bildschirmen erschienen und der AfD 10 % prognostiziert wurden, wurde es einem schon richtig schlecht. Dass das Ergebnis so hoch blieb und jetzt mit 10 % insgesamt 14 Abgeordnete einer rechtspopulistischen, europafeindlichen und erzkonservativen Partei im Landtag sitzen, ist alarmierend. Zumindest hat es die NPD (knapp) nicht geschafft. Was gut und wichtig ist. Die Wahl und der damit verbundene Aufstieg der AfD bedeutet ein gefährliches Rollback und das in jedweder Hinsicht. So stellt sich die Frau an der

sächsischen AfD-Spitze, Frauke Petry, zum Beispiel gern vor die Kameras und erklärt, warum Abtreibungen verboten werden müssten, und forderte darüber erst kürzlich einen Volksentscheid. Was wie purer Wahnsinn klingt, ist Teil eines gefährlichen und ernsthaft betriebenen Trends, der in ganz Europa spürbar ist. So wurde beispielsweise der so genannte Estrella-Bericht, der wichtige und moderne Rechte zur Reproduktiven und Sexuellen Gesundheit enthielt, im Europaparlament von einer konservativen Mehrheit gekippt. Sogar eine Bürgerinitiative wurde ins Leben

gerufen, um gegen den Bericht Stimmung zu machen. Die EU-Abgeordneten wurden zu tausenden mit kruden Mails überschwemmt, die alle BefürworterInnen des Berichts zum Teil wüst beschimpften. Dabei enthielt er wichtigste Forderungen: Das Recht der Menschen, selbst über ihren Körper zu bestimmen, diskriminierungsfreien Zugang für Alle, die Förderung von Diensten zur Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Und er forderte staatliche Unterstützung zur Gewährleistung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Gleiches gilt im Übri-

gen für den Zuber-Bericht zur Gleichstellung der Geschlechter, den Lunacek-Bericht über Diskriminierung von LGBT und den Honeyball-Bericht über Prostitution. Alle diese Berichte wurden im Europaparlament von den Konservativen verhindert. Das ist ein absoluter Skandal! Und unter den HassrednerInnen und InitiatorInnen der Hetzkampagnen gegen die Berichte finden sich zahlreiche VertreterInnen von CDU und AfD. Dagegen müssen wir ankämpfen, in Europa und auch in Sachsen. Mit einer AfD im Landtag, die für rückständiges Gedankengut steht, müs-

sen wir umgehen. Das heißt in erster Linie, sie mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Wir dürfen schwer erkämpfte Freiheitsrechte nicht dem rechten Rand überlassen. Sachsen ist bunt und soll es bleiben! Anja Eichhorn, Europabüro Dr. Cornelia Ernst (MdEP)


Sachsens Linke! 09/2014

DIE LINKE im Bundestag

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Die Lage im Nordirak und die friedenspolitische Debatte Im August hat Bernd Riexinger in einem Interview DIE LINKE zu einer Debatte aufgefordert, „wie wir heute mit den Konflikten in der Welt umgehen sollen“. Er begründete dies mit dem „Zusammenbruch der alten Weltordnung“ und der Zunahme von Konflikten, die wir mit unseren gewohnten Kategorien nicht mehr erfassen könnten. Die Dringlichkeit, eine solche Debatte zu führen, hat Anfang September die Entscheidung der Bundesregierung, deutsche Waffen an die kurdischen Peschmerga-Milizen im Nordirak für ihren Kampf gegen die Terrorarmee des sogenannten Islamischen Staats (IS) zu liefern, verdeutlicht. Im Norden des Irak droht ein Genozid an Jesiden, Kurden und Moslems durch den IS. Bereits jetzt gab es Massenexekutionen, Zehntausende sind auf der Flucht, Hundertausende bedroht. Angesichts des sich auflösenden Staatsgebildes Irak sind kurdische Milizen zurzeit die einzigen, die dort dem IS Widerstand entgegenbringen und die flüchtenden Menschen schützen. Wie stehen wir als LINKE angesichts des grausamen Terrors durch die ISMilizen einerseits und unserer friedenspolitischen Ausrichtung andererseits zu deutschen Waffenlieferungen an die Kurden, um einen Genozid zu vermeiden? Das ist keine bequeme Frage.

Wir wissen, dass westliche Staaten durch den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak 2003 und durch politische und militärische Intervention während des sogenannten Arabischen Frühlings die heutige Situation mit zu verantworten haben. Wir wissen, dass auch Deutschland durch Waffenexporte in Länder wie Saudi-Arabien, die wir LINKE immer abgelehnt haben, den Nahen Osten mit aufgerüstet

wort auf die Entscheidung der Bundesregierung beschlossen hat, geht in die richtige Richtung und kann den Auftakt zu einer breiteren Debatte in der LINKEN bilden. Einigkeit herrschte in der Fraktion, dass DIE LINKE deutsche Waffenlieferungen in den Nordirak ablehnt. Niemand kann garantieren, dass die Waffen nicht im Fortgang der Kämpfe in andere Hände gelangen. Völlig

zedenzfall für eine indirekte, gleichsam an Parlament und Völkerrecht vorbei realisierte Intervention Deutschlands in einen militärischen Konflikt zu schaffen. DIE LINKE übt zu Recht Kritik an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Sie darf nicht dort damit aufhören, wo sich die Tendenz entwickeln kann, mittels staatlicher Lieferung von Bundeswehrwaffen in Konfliktregionen vermeintliche

Demonstration von Jesiden, Kurden, Aleviten und anderen in Hannover gegen den Terror der Gruppe Islamischer Staat, 17. August 2014. Bild: Bernd Schwabe / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

hat. Aber was hilft uns dieses Wissen angesichts der Gefahr durch den IS? Der Entschließungsantrag, den die Bundestagsfraktion als Ant-

ungeklärt ist zudem, wofür sie nach dem Kampf gegen den IS in der Region Verwendung finden werden. Vor allem aber ist die Gefahr zu groß, einen Prä-

deutsche Interessen von Stellvertretern ausfechten zu lassen. Nach einer kontroversen Diskussion wurde neben dem Stopp jeglicher Rüstungsex-

porte in Kriegs- oder Krisenregionen und anderer Maßnahmen die Aufforderung an die Bundesregierung in den Antrag aufgenommen, sich für die Einberufung des UN-Sicherheitsrats einzusetzen. Schließlich steht mit der UN-Charta ein Instrument der internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung, um das mörderische Regime der IS-Milizen zu stoppen. In Kapitel VII ist festgehalten, dass der UN-Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen bei „Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ beschließen und ihre Umsetzung anordnen kann. Neben der Sperrung von Geldströmen und Sanktionen gegenüber Staaten, welche die IS unterstützen, kann dies ein ‚robustes Mandat’, also den „Einsatz von Streitkräften zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bedeuten. Mit der Forderung nach Anrufung des UN-Sicherheitsrats hat sich die Linksfraktion in ihrer Mehrheit nicht nur derE Realität des drohenden Genozids im Nordirak gestellt. Sie hat sich auch als Völkerrechtspartei gezeigt, die im Gegensatz zu CDU/ CSU und SPD die Rolle der UNO stärken will. An einer grundsätzlichen Klärung der Frage, „wie wir heute mit den Konflikten in der Welt umgehen sollen“, kommen wir nicht vorbei. Michael Leutert

Das Kinderprivileg: Ein Beitrag zum Zukunfts- & Strategiekongress Auf dem anstehenden Zukunfts& Strategiekongress der LINKEN soll beraten werden, wie ein notwendiger Pfadwechsel im Verständnis von Gesellschaft konkret gedacht und in Angriff genommen werden kann. Zur Einstimmung darauf sei im folgendem der Versuch unternommen, einen solchen gesellschaftlichen Pfadwechsel konkret an einem Beispiel zu denken: dem Kinderprivileg. Die Grundidee: Wir gewöhnen die Gesellschaft Schritt für Schritt daran, dass Gleichheit in einem sozial elementaren Sinn neu gelebt werden kann. Dies setzt bei einer konkreten Bevölkerungsgruppe an: Den Kindern. Wir stellen Kinder gleich. Wir führen die Gleichheit schrittweise ein. Neue Generationen wachsen so auf. Der Nachteil – die alleinige Fokussierung auf Kinder – liegt auf der Hand. Der Vorteil dieser Herangehensweise ist jedoch, dass man damit an bereits bestehendem Alltagsempfinden beziehungsweise an einzelnen, bereits akzeptierten Regelungen anknüpfen kann. So gibt es zum Beispiel schon die kostenfreie Bahnfahrt für Kinder

in Begleitung ihrer Eltern. Schritt für Schritt ist im öffentlichen Bewusstsein durchzusetzen, dass Kinder gleich geboren werden und von der Gesellschaft gleich behandelt werden, jenseits der Marktlogik. Natürlich ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für deren Finanzierung wir bundesweit mehr Steuergerechtigkeit brauchen. Kommunen und Länder müssen dabei finanziell unterstützt werden. Das Kinderprivileg sollte aus zwei Säulen bestehen: zum einen aus frei zugänglichen öffentlichen Gütern und Angeboten und zum anderen aus einer Kindergrundsicherung, die alle Kinder und Jugendlichen sicher vor Armut schützt. Vorschläge, wie schrittweise fast alle öffentlichen Leistungen für Kinder bis zum18. Lebensjahr frei von Zahlungen der Eltern werden können, sind: Mobilität: Kinder können alle öffentlichen Verkehrsmittel des ÖPNV frei nutzen. Die Schülerbeförderung wird kostenfrei. ÖPNV-Unternehmen bekommen keine Lizenzen, wenn sie nicht Freifahrten für Kinder anbieten. Natürlich muss es dafür einen

finanziellen Ausgleich geben, vor allem im ländlichen Raum, wo sich der Busverkehr vor allem durch den Schülerverkehr trägt. Sport: Kinder haben freien Zugang zum Vereinssport und zu Freizeitsportstätten. Kommunen sind finanziell in die Lage zu versetzen, jedem Kind wohnortnah Sportangebote zu machen. Kultur: Analog zum Sport sind alle öffentlichen Kultureinrichtungen frei zugänglich zu machen. Wohnortnahe Angebote sollen die Regel werden. Musikinstrument: Gemäß dem Motto „Jedem Kind seine Gitarre“ sollte jedes Kind die Möglichkeit haben, so es will, ein Musikinstrument zu erlernen. Und das unabhängig davon, ob seine Eltern deren Anschaffung finanzieren können. Der schulische Musikunterricht ist dementsprechend zu ergänzen. Die Schulen müssen finanziell so ausgestattet sein, dass ausreichend Instrumente für alle Kinder und Proberäume zur Verfügung stehen. Gesunde Ernährung: In Kitas und Schulen sollte es für alle täglich eine warme, gesunde, kostenfreie Mahlzeit geben.

Feriencamps: Recht aller Kinder auf kostenfreie Feriencamps für mindestens zwei Wochen pro Jahr. Medizin: In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es bereits eine kostenfreie Mitversicherung der Kinder. Sicher zu stellen ist aber, dass auch Kinder von Flüchtlingen, die hier leben, sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung und den Vorsorgeuntersuchungen haben. Die Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr basiert auf zwei Ideen: Erstens auf der Idee, dass alle Kinder und Jugendliche der Gesellschaft gleich viel wert sind. Zweitens wird mit der Kindergrundsicherung anerkannt, dass den Kindern und Jugendlichen die für ihre individuelle Entwicklung nötigen Bedarfe abgesichert werden müssen und Armut, auch verdeckte Armut, von Kindern verhindert werden muss. Es gibt ein breites Bündnis für die Kindergrundsicherung in Deutschland, in dem Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Familienvereinigungen und Kinderorganisationen, kirchliche In-

itiativen und viele Wissenschaftler/innen engagiert sind. Die Kindergrundsicherung fasst die vielen unterschiedlichen kindbezogenen Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld zusammen. Es finanziert sich aus diesen bisherigen Beträgen und einer steuerlichen Umverteilung von oben nach unten und durch die Abschaffung des Ehegattensplittings. Mit der Kindergrundsicherung wird eine klare einheitliche Regelung getroffen, die Schluss macht mit der Intransparenz und Kompliziertheit derzeitiger kindbezogener, monetärer Einzelleistungen, die letztlich auch dafür verantwortlich sind, dass viele Kinder nicht in den Genuss der ihnen zustehenden Leistungen kommen – meistens gerade die Kinder aus den ärmsten Familien. Katja Kipping


Geschichte

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„‚The right man in the right place‘ will undoubtedly be Dr. Marx“ Vor 150 Jahren schlug die Geburtsstunde der Ersten Internationale Als die Wogen der jüngsten Marx-Renaissance vor einem reichlichen Jahrzehnt den alten Kontinent trafen, verblüffte der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger die zu ihrem Jahrestreffen in Davos angereiste Wirtschaftselite der Welt mit einer berühmten, wenn auch sehr freizügig zitierten Metapher des bärtigen Welterklärers aus Trier, nämlich „Alle Ökonomie ist eine Ökonomie der Zeit“. Und da dies vor dem erlauchten Gremium alles andere als selbstverständlich war, beeilte er sich hinzuzufügen, Karl Marx dürfe man „heute – 1989 sei Dank – sicher auch hier ungestraft zitieren, zumal er ja der Vater der Ersten Internationale war, ein früher Vertreter der Globalisierung also und somit auch ein Urahne des Weltwirtschaftsforums“. Das Ereignis, auf das der in der Wolle gefärbte Schweizer Sozialdemokrat anspielt, liegt 150 Jahre zurück. In den Abendstunden des 28. September 1864 hatten britische Gewerkschafter, französische, deutsche, italienische, polnische und irische Arbeitervertreter und politische Emigranten aus verschiedenen Ländern des Kontinents – Chronisten beziffern die bunte europäische Melange auf 2000 Teilnehmer – in der Londoner St. Martin’s Music Hall, unweit des Trafalgar Square, ein geradezu verwegenes Projekt aus der Taufe gehoben: die Internationale Arbeiterassoziation. Mit ihr, sie figuriert in den Annalen der Geschichte seither als Erste Internationale, gewann die kühne Vision Flora Tristans von einer Körperschaft, die die Interessen der arbeitenden Klasse über Ländergrenzen hinweg zu schützen und befördern vermag, erste Konturen. Es war ein Glücksumstand, dass ein politischer Emigrant aus Deutschland, der während der Kundgebung nur als stummer Zuhörer auf der Tribüne verharrt hatte, dem Lauf der Dinge die Richtung in die Zukunft weisen sollte. Als Mitglied des noch am 28. September gewählten Provisorischen Komitees, und von diesem außerdem in das Subkomitee für die Programmdokumente delegiert, steht Karl Marx vor der größten Herausforderung seiner politischen Karriere. Sie hat ihm nicht nur außerordentlichen politischen Realismus, sondern auch taktische Elastizität und enormes psychologisches Einfühlungsvermögen abverlangt. Es galt, ein gemeinsames Ziel für die länderübergreifende Emanzipationsbewegung zu entfalten, ohne Erfahrungshorizont und Selbstverständnis der heterogenen ersten Arbeiterorganisationen zu überfordern.

Von den 32 Mitgliedern des künftigen Generalrats konnte Marx dabei zunächst nur auf Johann Georg Eccarius, seinen Mitstreiter aus dem legendären Bund der Kommunisten, einen Schneider aus dem thüringischen Friedrichroda, zählen. Hinzu kommt, dass Freund Engels gerade den alten Kontinent bereiste, also ausnahmsweise nicht mit Rat und Tat vor Ort sein konnte. Diesem Umstand verdanken wir andererseits eine eindringliche Schilderung des Geschehens aus der Feder des Hauptakteurs (siehe das Faksimile der Handschrift und die Auszüge aus Marx’ Brief an Engels in Manchester, 4. November 1864): Man habe abende- und nächtelang, zuletzt sogar in Marx’ Wohnung getagt und drei verschiedene Entwürfe debattiert, bevor Cremer und Odger, zwei einflussreiche TradeUnion-Führer, in der Nacht zum 21. Oktober die Ausarbeitung Marx übertrugen: „‚The right man in the right place‘ will undoubtedly be Dr. Marx“, hatten sie ihm durch Eccarius übermittelt. Während der folgenden sechs Tage entstehen zwei Schriftstücke, die, binnen weniger Tage nicht nur in die großen europäischen Sprachen übertragen, zu den wirkungsmächtigsten Texten des Meisters zählen – die Provisorischen Statuten und die Inauguraladresse der Internationalen Arbeiterassoziation. Marx kann auf dem Erkenntnisstand des bereits in verschiedenen Entwurfsstadien vorliegenden ökonomischen Opus magnum argumentieren. Er will beweisen, dass „auf der gegenwärtigen falschen Grundlage jede frische Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit dahin streben muß, die sozialen Kontraste zu vertiefen und den sozialen Gegensatz zuzuspitzen“. Dabei bedient er sich geschickt der Äußerungen des späteren britischen Premierministers Gladstone, dem im Eifer einer Unterhausdebatte das Eingeständnis entschlüpft war, der „berauschende Zuwachs von Reichtum und Macht“ sei „ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränk“ – hört hört, möchte man rufen. Marx würdigt dann eingehend solche Errungenschaften der englischen Arbeiterbewegung wie die gesetzliche Beschränkung des Arbeitstags (Zehnstundenbill) und die Genossenschaftsbewegung (Robert Owen). „Um die arbeitenden Massen zu befreien“, so lautet sein Credo, „bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel“. Aber die Herren von Grund, Boden und Kapital, diesen Einwand muss Marx diskutieren, „werden ihre politischen Privilegien stets gebrauchen zur Verteidigung und zur Verewigung ihrer ökonomischen Mo-

nopole. Statt die Emanzipation der Arbeiter zu fördern, werden sie fortfahren, ihr jedes mögliche Hindernis in den Weg zu legen. [...] Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen. [...] Ein Element des Erfolges besitzt sie, die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.“ Die Inauguraladresse schließt mit dem leidenschaftlichen Appell an die Arbeiter aller Länder „in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen“, den außenpolitischen Ränkespielen der Herrschenden Widerstand zu leisten und „die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen“ – ein kühner, bis dato der Einlösung harrender Anspruch, über den sich der britischste aller britischen Politiker, Marx’ Zeitgenosse Lord Palmerston, als „romantische Idee“ mokiert hatte. Es mag erstaunen, dass Marx formal nie an der Spitze der Ersten Internationale gestanden hat. Wenn er nicht bei Engels in Manchester weilte oder ans Krankenbett gefesselt war, nahm er dienstags an den Beratungen des Generalrats teil, korrespondierte mit Arbeiterorganisationen der alten und neuen Welt und pflegte auch persönlichen Kontakt mit Arbeitern. Darüber berichtet als Zeitgenosse einer der ältesten Freunde, der Schneider Friedrich Leßner aus Blankenhain, langjähriges Generalratsmitglied, in seinen Lebenserinnerungen: „Marx legte stets ungemeinen Wert drauf, mit Arbeitern zusammenzukommen und sich mit ihnen zu unterhalten: Er suchte dabei die Gesellschaft derjenigen, die sich ihm gegenüber offen aussprachen und ihn mit Schmeicheleien verschonten. […] In der Zeit der Internationale fehlte er in keiner Sitzung des Generalrats, und nach den Sitzungen gingen wir, Marx und die meisten Mitglieder des Rats, in der Regel noch in ein anständiges Gasthaus, um uns dort bei einem Glase Bier ungezwungen zu unterhalten“. In seiner nach wie vor unübertroffenen Studie „Karl Marx als Politiker“ gelangt Wolfgang Schieder – aller hagiographischen Rituale unverdächtig – zu folgendem Fazit: Auf Grund seiner überragenden intellektuellen Fähigkeiten zu politischer Vermittlung war Marx „der einzige in dem anfangs äußerst heterogen zusammengesetzten Führungsgremium der Internationale, der propagandistisch wirksame Erklärungen zu den verschiedensten Tagesfragen so zu formulieren vermochte, daß sie von allen Mitgliedern unterschrieben werden konnten.“ Manfred Neuhaus

Lieber Frederick, Es war mir sehr lieb wieder v. Dir zu hören. Hier alles wohl. So war ich seit der Zeit, wo Du hier abgereist – bis Vorgestern, wo wieder neuer Carbunkel unter der rechten Brust erschien. Ich will dießmal wenn die Sache nicht rasch vorübergeht u. nicht isolirt bleibt, Gumperts Arsenikkur brauchen. [...] 2) Workingmen’s International Association. Vor einiger Zeit hatten Londoner Arbeiter an Pariser Arbeiter Adresse wegen Polen geschickt u. sie zum gemeinschaftlichen Handeln in dieser Sache aufgefordert. Die Pariser schickten ihrerseits Deputation her an der Spitze ein Arbeiter Namens Tolain, der eigentliche Arbeiterkandidat bei der letzten Wahl in Paris, ein sehr netter Kerl. [...] Für 28 Sept. ’64 wurde Public Meeting in St. Martins Hall ausgeschrieben von Odgers (Schuster) (Präsident des hiesigen Council of all London Trades’ Unions u. speziell auch der Trades Unions’ Suffrage Agitation Society, die mit Bright in Verbindung ist) u. Cremer, Mason u. Secretär der Mason’s Union. [...] Ein gewisser Le Lubez wurde zu mir geschickt, ob ich pour les ouvriers allemands Antheil nehme, speziell einen deutschen Arbeiter als Sprecher für das Meeting etc. liefern wollte. Ich lieferte den Eccarius, der sich famos herausbiß u. ich assistirte ditto als stumme Figur auf der Platform. Ich wußte, daß sowohl v. der Londoner als Pariser Seite dießmal wirkliche „Mächte“ figurirten u. beschloß deßwegen von meiner sonst stehenden Regel to decline any such invitations, abzustehn. [...] Es wurde beschlossen die Stiftung einer „Workingmen’s International Association“, deren General Council in London sitzen u. die Arbeiter societies

in Deutschland, Italien, Frankreich u. England „vermitteln“ solle. [...] am 20 Oct., versammelten sich Cremer f. Engländer, Fontana (Italien) u. Le Lubez in meinem Hause. [...] Ich hatte die Papiere (Wolff’s u. des Le Lubez) bisher nicht in der Hand gehabt, konnte also nichts vorbereiten; war aber fest entschlossen, daß wo möglich not one single line v. dem Zeug stehn bleiben sollte. Um Zeit zu gewinnen schlug ich vor: bevor wir das Préamble „redigiren“, sollten wir die rules „discutiren“. Das geschah. Es war 1 Uhr Mitternachts bis die erste v. 40 rules angenommen war. Cremer sagte (u. das bezweckte ich): wir haben dem Comite, das am 25 Oct. tagen soll, nichts vorzulegen. Wir müssen es vertagen bis 1 November. Dagegen kann das Subcomite zusammenkommen am 27 Oct. u. suchen ein definitives Resultat zu erreichen. Dieß wurde angenommen u. die „Papiere“ mir zur Ansicht „hinterlassen“. Ich sah, daß es unmöglich war etwas aus dem Zeug zu machen. Um die höchst sonderbare Art, worin ich die bereits „votirten Sentiments“ zu redigiren bezweckte, zu rechtfertigen, schrieb ich An Address to the Working Classes [...]; unter dem Vorwand, daß alles Faktische in dieser Adresse enthalten, u. daß wir dieselben Sachen nicht dreimal sagen dürften, veränderte ich das ganze Préamble, schmiß die déclaration des principes heraus u. endlich setzte an die Stelle der 40 rules 10. So weit in der Adresse International Politics vorkommt, spreche ich v. Countries, nicht v. nationalities u. denuncire Rußland, nicht die minores gentium [kleineren Völker]. Meine Vorschläge alle angenommen [...] (Marx an Engels in Manchester, 4. November 1864. In: MEGA III/13. Berlin 2002. S. 38 –43).


Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Dresden, 9. September, Dienstag, 19.00 Uhr REIHE: JUNGE ROSA: Prostitution - Was bringt ein Verbot? Mit Dr. Cornelia Ernst, MdEP, Dresden. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Dresden, 10. September, Mittwoch 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Wie gelingt gesellschaftlicher Wandel? Die große Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Mit Prof. Dr. Felix Ekardt, Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik Leipzig, Universität Rostock. Moderation: Dr. Dietmar Lohmann, HdK Dresden e.V. Eine Kooperationsveranstaltung des HdK Dresden e.V., Sachsen im Klimawandel, dem Europabüro der MdEP Dr. Cornelia Ernst und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Altes Wettbüro, Antonstraße 8, 01097 Dresden Nachhaltigkeit als Alternative zum Wachstumsdenken sichert neben Glück und Zufriedenheit eine friedliche Welt. Professor Felix Ekardt, Jurist, Soziologe und Philosoph, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Professor an der Uni Rostock forscht und berät seit langem auch zu der Frage, wie Wandel individuell und kollektiv möglich wird.

UT Connewitz, Wolfgang-HeinzeStraße 12a, 04277 Leipzig Leipzig, 15. September, Montag, 19.00 Uhr Lesung: Grenzüberschreitungen. Deutsche Pazifistinnen im Gespräch mit Romain Rolland während des ersten Weltkrieges***. Mit Franz Sodann, Schauspieler, und Prof. Dr. Klaus Schuhmann, Literaturwissenschaftler. Schaubühne Lindenfels, Grüner Salon, Karl-Heine-Straße 50, 04229 Leipzig Dresden, 17. September, Mittwoch, 19.00 Uhr Kurzimpulse und Podiumsdiskussion: Unterstützen oder Bestrafen? Welche Drogenpolitik ist zeitgemäß und erfolgreich? Mit Frank Tempel (MdB), Drogenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Jens Hoffsommer, Sprecher für Jugend und Soziales der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat Dresden, Thorsten Deigweiher, Dipl. Sozialpädagoge, Angebotskoordinator für die Mobile Jugendarbeit und Streetworker bei der Treberhilfe Dresden e.V. Moderation: René Jalaß, Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE. Sachsen und Sozialarbeiter WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 11. September, Donnerstag, 18.30 Uhr Buchvorstellung und Diskussion Der Auschwitz-Prozeß - Ein Lehrstück deutscher Geschichte***. Mit Dipl. jur. Ralph Dobrawa, Rechtsanwalt, Gotha Veranstaltungssaal, Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Chemnitz, 18. September., Donnerstag, 19.00 Uhr Gespräch: Freigabe oder Verbot - Drogenpolitik im Disput. Mit Frank Tempel (MdB), Drogenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Eine Veranstaltung der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen in Kooperation mit dem Abgeordnetenbüro Michael Leutert (MdB), Chemnitz Veranstaltungssaal, Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Leipzig, 11. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Gespräch: 10. globaLE: »Capitaine Thomas Sankara«*** Dokumentarfilm, Regie: Christophe Cupelin. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen.

Leipzig, 18. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Gespräch: 10. globaLE: »The Lab«*** Dokumentarfilm, Regie: Yotam Feldman, Israel/ Belgien/Frankreich 2013, Hebräisch mit Deutschem UT. Mit Shir Hever, Wirtschaftswissen-

Impressum

Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-

schaftler (Jerusalem). Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen Cinematheque in der naTo, KarlLiebknecht-Str. 46, 04275 Leipzig Dresden, 24. September, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Interkulturelle Tage Dresden 2014. Buen Vivir/ Das Gute Leben – reale Alternative oder ferne Utopie? Mit Dr. Peter Gärtner, Leipzig. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Wir leben in einer Gesellschaft, in der Wachstum als oberste Maxime gilt. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine andere Weltsicht an Popularität, die ihre Wurzeln in den Anden Südamerikas hat: “Buen Vivir” (Gutes Leben). Gemeint ist ein gutes und harmonisches Miteinander-Leben der Menschen im Einklang mit der Natur. Dr. Peter Gärtner stellt das Konzept des “Buen Vivir” vor und geht Fragen nach, welchen Chancen das Konzept bietet. Hoyerswerda, 24. September, Mittwoch, 17.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Politik braucht Sprache! Braucht Sprache Politik?*** Mit Prof. Dr. Peter Porsch, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen BürgerInnenbüro MdB Caren Lay, Dietrich-Bonhoeffer-Str. 4, 02977 Hoyerswerda Ohne Sprache geht in der Politik nichts: Programme, Losungen, Reden, Presseerklärungen, Podiumsdiskussionen, Gesetze … Fast immer tritt uns Politik gesprochen oder geschrieben gegenüber. Die Überzeugungskraft politischer Angebote ist nicht nur eine Frage von Inhalten: Es geht der Weg vom „treffenden Wort“ über das „wirkende Wort“ zur „Macht des Wortes“. Gibt es eine Sprache der Politik und welchen Einfluss nimmt Politik auf Sprache? Leipzig, 25. September, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU: ,Schreib nur nicht zu gallicht

mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

und gereizt‘- zum 200. Geburtstag von Jenny Marx. Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus, RLS Sachsen und Susann Scholz-Karas, RLS Sachsen Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig „Hätte ich eine Geheimrätin und Sekretärin wie Freund Marx an Herz und Hand, dann würde ich es wohl auch aushalten können bis an’s Ende der Welt“. Prof. Dr. Manfred Neuhaus präsentiert das Jubiläumsbuchpaket zum 200. Geburtstag von Jenny Marx, Susann Scholz-Karas rezitiert aus ihren Briefen und Theaterrezensionen, die von der Trierer Ballkönigin zu einer der herausragenden weiblichen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts wurde. Leipzig, 25. September, Donnerstag, 20.00 Uhr Film und Gespräch: 10. globaLE: »Master of the Universe«*** Dokumentarfilm, Regie: Marc Bauder, BRD 2013, 88 min., Deutsch, anschließend Gespräch mit dem Filmemacher Marc Bauder. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung der RLS Sachsen. UT Connewitz, Wolfgang-HeinzeStraße 12a, 04277 Leipzig Zum ersten Mal packt ein echter Insider des internationalen Finanzgewerbes aus, einer der ehemals führenden Investmentbanker Deutschlands. Rainer Voss, der in seiner aktiven Zeit locker mit Millionen hantierte, erzählt aus eigener Anschauung, wie es in der glitzernden Finanzwelt wirklich zugeht, von all ihren Abgründen, Skrupellosigkeiten und quasi-religiösen Gesetzmäßigkeiten. Chemnitz, 26. September, Freitag, 16.00 Uhr Buchvorstellung: „Realität Einwanderung - Kommunale Möglichkeiten der Teilhabe gegen Diskriminierung”*** Mit FreyaMaria Klinger (MdL Sachsen), Chemnitz. Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 25.08.2014 Die nächste Ausgabe erscheint vrsl. am 06.10.2014.

Leipzig, 26. September, Freitag, 18.00 Uhr Lesungen: „Hier bin ich Mensch, hier greif ich ein“. Literaturtee bei Rosa L. - Lesungen aus der Textwerkstatt des Vereins Dialog e.V. Eine Veranstaltung des Dialog e.v. in Kooperation mit der RLS Sachsen e.V. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Cunnersdorf, 26. September, Freitag, 20.00 Uhr Philosophinnen in Cunnersdorf*** Mit Wolfgang Giese, Philosoph. Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit der Alten Schule Cunnersdorf e.V. Alte Schule e.V. / Schulweg 10 / 01920 Schönteichen OT Cunnersdorf Leipzig, 30. September, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Über das „langsame Bohren von harten Brettern“: „Klassiker“-Lektüre einmal anders und nicht nur für linke Politiker. Zum 150. Geburtstag von Max Weber. Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen und Prof. Dr. Peter Porsch, Vorsitzender der RLS Sachsen RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 30. September, Dienstag, 19.00 Uhr Ausstellungseröffnung: Umoja Die Stadt der Frauen*** Mit Rebecca Lolosoli, Umoja (Kenia). Eine Veranstaltung der IZ Weltladen e.V.in Kooperation mit Evangelisches Forum Chemnitz, Verein akCente e.V. Chemnitz, AG In- und Ausländer Chemnitz, Seniorenakademie der TU Chemnitz, Frauenkultur Leipzig, Frauenzentrum Dresden sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Frauenzentrum Lila Villa, Kaßbergstraße 22, 09112 Chemnitz *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.

Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank


Rezensionen

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09/2014 Links!

Sachsens Glanz und Preußens Gloria in Doberlug-Kirchhain Die Ausstellung „Szenen einer Nachbarschaft“ beschwört die preußisch-sächsische Partnerschaft Es ist auch heute noch unter Staatsfeinden Brauch: Kurz bevor man sich gegenseitig die Gurgel durchschneidet, strahlt

ne Leihgabe aus der Dresdner Rüstkammer. Allerdings fragt man sich dabei sofort: Hätten solche Bilder nicht parallel von zwei Malern gemalt werden müssen? Und wenn ja, was passierte mit dem Zweitbild in Preußen, wurde es vielleicht irgendwo versteckt, als die Beziehung

Der Aufstieg Preußens in Beziehung zu Sachsen beginnt mit der Eroberung Magdeburgs, die bald die wichtigste Festungsstadt Preußens wird. Von dort aus wird dann Halle aufgebaut. Die Professoren werden aus Leipzig abgeworben – eine frühe Form der brain-drain. Sachsen

Bilder: Ralf Richter

man noch einmal fröhlich beim Handschlag in die Kamera. Man denke nur an die herzliche Begrüßung zwischen Donald Rumsfeld und Saddam Hussein, oder an Muammar al Gaddafi zu Besuch bei Nicolas Sarkozy, dessen Wahlkampf der Libyer offenbar zu Teilen finanzierte ... Wenn ein Staatschef einen anderen als seinen engen Freund bezeichnet, dann ist das fast schon so fatal, als wenn die Bundeskanzlerin einem Minister oder einer Ministerin ihrer eigenen Regierung ihr vollstes Vertrauen ausspricht. Viel Zeit hat sie oder er dann nicht mehr. Wenn man das weiß, wundert man sich nicht, wenn man nun in einer historischen Ausstellung erfährt, dass Freundschaftsbilder sehr populär waren, bevor es die Fotografie gab – da stehen doch tatsächlich ein preußischer und ein sächsischer Kurfürst Hand in Hand auf den Plakaten und Flyern zur Ersten Brandenburgischen Landesausstellung auf Schloss Doberlug. Das sollte Freundschaft symbolisieren. Immerhin war man früher doch noch etwas ehrlicher als heute: Die Herren bemühten sich nicht einmal darum, Herzlichkeit oder Freude zu heucheln (dabei hätte der Maler das ohne weiteres so darstellen können). Stattdessen schaute man ernst bis pikiert drein. Einen Beweis dafür liefert das Freundschaftsbild mit Johann Georg II. von Sachsen und Friedrich Wilhelm von Brandenburg auf einem Gemälde um 1660 – das Bild ist ei-

schwieriger wurde, oder mit einem Schwerthieb just an der Stelle geteilt, wo die Hände sich berührten? Solche wichtigen Fragen beantwortet die Ausstellung nicht. Jedenfalls beginnt die Exposition mit so einem „Freundschaftsbild“ – und damit ist man schon in Szene 1. Die gesamte Ausstellung ist in insgesamt sieben Szenen gegliedert. Man kann eine Führung buchen (Kostenpunkt 4 Euro) oder einen Audio-Führer (2 Euro) – ich entscheide mich für den Audio-Führer und werde nicht enttäuscht. Schneller durch die Ausstellung kommt man freilich mit dem menschlichen Führer. Aber wer sich lieber mit individueller anstatt mit „Kollektiv-Geschwindigkeit“ durch Ausstellungen begeben möchte, fährt mit dem „Mann im Ohr“ am besten. Die Überraschung kommt gleich am Anfang: Das „reiche und mächtige Sachsen“ sah lange Zeit auf das arme Brandenburg-Preußen herab, was sich erst Ende des 17. Jahrhunderts änderte, als beide Partner sich schließlich auf Augenhöhe begegneten (Diese Darstellung – mächtiges-reiches Sachsen – macht ein grundsätzliches Manko der ansonsten ausgezeichnet arrangierten Ausstellung deutlich: Die Geschichte wird wieder traditionell als die der Herrschenden vermittelt. Das Volk – überwiegend Leibeigene auf beiden Seiten – dürfte sich auch in Sachsen kaum als „reich und mächtig“ vorgekommen sein.).

besitzt mit Leipzig längst ein urbanes Zentrum, das durch seine Lage am Schnittpunkt von wichtigen Handelsrouten sogar eine große mitteleuropäische Bedeutung hat – Preußen dagegen verfügt über nichts Vergleichbares. Berlin ist ein Dorf, in Potsdam stehen nur Kasernen. Die weiteren Szenen tragen die Überschriften „Königskunst“, „Glaubenssache“, „Von Glanz und Gloria“, „Um die Vormacht“, „Im Dialog“ und „Heute Sachse, Morgen Preusse“. Verblüfft erfährt man in Szene 1, dass es ganz am Anfang gar keine Nachbarschaft gab – erst mit dem Erwerb der Lausitz entsteht eine lange Grenze. Zur Ausstellung gibt es eine äußerst informative kostenlose Beilage der Märkischen Allgemeinen – von der man sich wünschte, man bekäme sie auch in Leipzig, Dresden oder Chemnitz. Hier erfährt man nicht nur Interessantes zu sächsischen Dörfern bei Berlin, sondern auch etwas über die Hintergründe der bekanntesten und teuersten DEFA-Serie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“. In der Ausstellung sieht man einerseits, wie unterschiedlich, andererseits wie ähnlich die Geschichte der beiden Rivalen verlief – und wie abgründig schmutzig Politik schon immer war. Allein das Streben nach der Krone war für beide Herrschergeschlechter alles andere als ein Ruhmesblatt. Die erste Krone erwarb sich Sachsen durch Bestechung, die

zweite durch Landesverrat. Der Preuße wartete auf keinen Kaiser, sondern krönte sich sicherheitshalber gleich selbst zum König – im fernen Königsberg. War man in Sachsen bereit, für die erste Krone seinen Nimbus als zuverlässiges lutheranisches Herrschergeschlecht zu verkaufen (die polnische Krone verlangte den Katholizismus des Kronenanwärters), so wurde die zweite, die sächsische Krone durch völlige Vasallentreue gegenüber dem Kaiser der Franzosen erkauft – und kostete zehntausende sächsische Soldaten sinnlos das Leben. Während die früheren Sachsenherrscher immerhin großartige Kunstsammlungen anlegten, investierte Preußen drei Viertel seines Haushaltes ins Militär, förderte aber auch die Ansiedlung der Hugenotten und wurde zu einer Hochburg der Aufklärung beginnend mit dem Friedrich II. Die Ausstellung zeigt den Austausch von Literaten, Wissenschaftlern, Künstlern und Gelehrten – zum Beispiel am Dialog zwischen Lessing und dem Preußen Johann Ludwig Wilhelm Gleim. Als Lessing seinen preußischen Freund bei einem gar zu patriotischen Schreibprodukt zurechtwies – „Mir scheinet, der Patriot überschreiet hier den Dichter!“ –, strich dieser vernünftigerweise die Passage.

So etwas aber liest man nicht in der Ausstellung, man hört es im Audio-Führer. Alles ist äußerst liebevoll arrangiert, die Durchblicke, die Kunstschätze, Gemälde, Geschichten – man durchschreitet die Räume, staunt und genießt und ist am Ende mehr als begeistert. Wir brauchen mehr solcher Ausstellungen – wie wäre es mit einer Böhmen-Sachsen-Ausstellung? Doch was man hier in der Lausitz an Sehens- und Erlebenswertem offeriert – in einem Schloss, das bis 1988 Kaserne war und erst seit 1994 der Stadt Doberlug gehört –, verdient Beachtung und regt zum Weiterdenken an. Der Fokus auf Mitteldeutschland ist ganz gut, aber die Beziehung zu Brandenburg sollte darüber ebenso wenig wie die zu Böhmen und Polen vernachlässigt werden. Wer mit der Bahn anreist, wird doppelt belohnt: Erstens muss er oder sie keine Parkgebühren bezahlen, und zweitens bekommt man den ermäßigten „Kooperationspreis“, da die Bahn Partner der Ausstellung ist. Ein Bus-Shuttle bringt die Bahnfahrer vom Bahnhof zum Schloss und zurück. Alles also wirklich gut durchkomponiert, so dass man nur sagen kann: Danke Brandenburg, danke Doberlug-Kirchhain! Ralf Richter


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Joan Baez – Symbolfigur der Friedensbewegung Niemand sang die Songs von Bob Dylan schöner als sie. Die nordamerikanische Folksängerin und Kriegsgegnerin, die sich stets politisch engagierte, wenn es um Bürgerrechte ging oder Rassenhass angesagt war, wurde am 9. Januar 1941 als Tochter des mexikanischen Wissenschaftlers Albert und der aus dem schottischen Edinburgh stammenden Joan Bridge Baez im US-Staat New York geboren. Sehr früh schon wurde das heranwachsende Mädchen mit rassistischen Tendenzen konfrontiert. 1956 hörte sie eine Rede von Dr. Martin Luther King, die sie nachhaltig prägen sollte. Die Familie Baez war berufsbedingt ständig unterwegs, und als Joan elf Jahre alt war, fand sie in Kalifornien ein neues Zuhause. Im selben Jahr schenkten die Eltern ihr eine Gitarre. Schallplattenaufnahmen von Pete Seeger, Woodie Guthrie und anderen Folkgrößen jener Zeit ließen das junge Mädchen aufhorchen, und sie begann bald, selbst zu singen. 1958 zog die Familie nach Belmont in Massachusetts, 1959 trat Baez erstmals in Folk-Clubs auf. Im selben Jahr kam es zum künstlerischen Durchbruch. Ein bekannter Folksänger überredete sie, beim legendären Newport Jazz Festival aufzutreten. Sie überraschte das Publikum mit ihrem unverwechselbar glasklaren, vibrierenden Gesangsstil. Der Erfolg blieb nicht aus, sie bekam einen Plattenvertrag mit Vanguard Records. Ein Jahr später erschien ihr Debütalbum „Joan Baez“. 1961 folgte die Langspielplatte „Joan Baez II“. Die junge Sänge-

rin begann ihre erste Konzerttournee durch mehrere Staaten der USA. Während der Tour lernte sie Bob Dylan persönlich kennen. Sie hatte bereits einige seiner Lieder im Repertoire, das damals noch hauptsächlich aus altenglischen Balladen, afroamerikanischen Gospelsongs und portugiesischen Volksliedern bestand. Mit ihm singt sie beim Newport Festival 1963 seinen Song „With God on our Side“ (Mit Gott an unserer Seite). Dieses neunstro-

Zeiten, in denen bis dahin unbekannte Vernichtungsmaschinerien eingesetzt wurden, solle mitnichten daran gezweifelt werden, dass der liebe Gott seinen Segen gebe. Am 28. August 1963, acht Wochen später, begann der legendäre Marsch nach Washington, wo Martin Luther King vor dem Lincoln-Denkmal die berühmte Rede „Ich habe einen Traum“ hielt. Zu diesem Anlass fand ein großes Konzert mit Odetta Holmes, Maria Anderson, Peter, Paul & Mary, Joan Baez und

minierung und Militarismus, der Anti-Vietnamkriegs-Aktionen wurde Joan Baez zur Symbolfigur der Friedensbewegung. Sie weigerte sich weiterhin, Steuern an einen Staat zu zahlen, der mit diesem Geld Waffen produzierte und kaufte, um Krieg in Vietnam führen zu können. Wegen ihrer „subversiven Aktionen“ wurde die CIA auf sie aufmerksam. Als sie an einer Blockade vor einer US-Army-Kaserne teilnahm, wurde sie zu einer dreimonatigen Haftstrafte verurteilt. Während

Joan Baez bei einem Konzert in Dresden, 4. Juli 2008 Bild: Ralf Schulze / Wikimedia Commons / CC BY 2.0

phige Lied beschreibt satirisch, was den Kindern in den Schulen gelehrt wurde, nämlich dass die Soldaten immer Gott auf ihrer Seite hätten, ganz gleich, ob sie gegen eingeborene Indianer, im Spanisch-Amerikanischen Krieg, im Ersten oder Zweiten Weltkrieg kämpften. Selbst zu

Bob Dylan statt. 1963 boykottierte Baez einen Fernsehauftritt von ABC, weil diese Fernsehanstalt den Protestsänger Pete Seeger maßgeblich ignorierte und seine Performance nicht ausstrahlte. Während der Zeit der rebellierenden Jugend gegen Rassendiskri-

der Flower-Power-Bewegung galt sie auch als Symbolfigur der Hippie-Generation, rief zur Kriegsdienstverweigerung auf. Die „Tet-Offensive“ im Februar 1968 bewies, dass die USA den Vietnamkrieg verlieren mussten, und die Kampfmoral tausender junger US-Soldaten begann

zu zerbröckeln. Das WoodstockFestival von 1969, bei dem auch Joan Baez euphorisch gefeiert wurde, trug wesentlich dazu bei. Nach dem Ende des unmenschlichen Vietnam-Krieges kehrte Baez für kurze Zeit den politischen Geschehnissen den Rücken und bewegte sich mehr oder weniger im Pop- bzw. Folkrock-Bereich. So landete ihre Coverversion „The Night They Drove Old Dixie Down“ von „The Band“, einer ehemaligen Begleitband Dylans, in den Top-10-HitCharts der USA. Ihr Song „Diamonds and Rust“ blieb fast ein Jahr lang ein Superhit. Doch schon Anfang der 70er begab sie sich wieder auf sozialkritische Pfade. Mit B. B. King gab sie ein „Kunstkonzert“ im New Yorker „Sing Sing“, später kam es erneut zu gemeinsamen Auftritten mit ihrem alten Gefährten Bob Dylan (1975 und 1976 die „Rolling Thunder Revue“ mit zahlreichen Mitstreitern). Ab den 80er Jahren mischte sie sich nochmals in die Friedensbewegung ein und war in Krisenregionen als Botschafterin unterwegs. So musizierte sie beispielsweise 1993 im zerstörten Sarajevo zusammen mit Straßenmusikanten oder gab Konzerte gegen den Einsatz von Landminen. Bis heute ist sie im „Zentralkomitee für Kriegsdienstverweigerer“ in den USA aktiv. Seit März 2011 vergibt die die Organisation Amnesty International einen Preis, der Künstler und Publizisten ehrt, die sich herausragend für den Kampf im Menschenrechte einsetzen. Dieser Preis trägt den Namen „Joan Baez Aaward“. Jens-Paul Wollenberg

Achtung, Satire! Nicht nur für PKW-Maut-Gegner: Auszüge aus dem „Grundgesetz für die Bundesautorepublik Deutschland“ Vorbemerkung Die Erhaltung des Autostandortes Deutschland erfordert eine verfahrene Verkehrspolitik. Diese Situation verlangt die Neufassung einiger Artikel des Grundgesetzes, damit der zu erwartende Verkehrsinfarkt auch verfassungsrechtlich auf die Straße gestellt wird.

Ordnung oder das Sittengesetz bzw. die Straßenverkehrsordnung verstößt. Die Freiheit des Autofahrers ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Irrtums eingegriffen werden.

I. Die Grundrechte Artikel 1: Autowürde, Grundrechtsbindung der autoritären Gewalt Die Würde des Autos ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller autoritären Gewalt.

Artikel 3 Gleichheit vor dem Auto Alle Autofahrer sind vor dem Auto gleich. Porsche-Fahrer sind gleicher. Niemand darf wegen seines Autos, seiner Marke, seiner PS-Leistung, seines Benzinverbrauchs, seiner Farbe, seines Auto-Glaubens, seiner auto-motorisierten Anschauungen übersehen oder überfahren werden.

Artikel 2 Handlungsfreiheit, Freiheit des Autos Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seines Autos, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und in seinem Auto nicht gegen die verfassungsmäßige

Artikel 5 Meinungsfreiheit Jeder Autofahrer hat das Recht, seine Meinung in Ölfilmen, Bremsspuren und in Reifenabdrücken frei abzulassen und zu verbreiten. Eine Zensur ist überflüssig.

Artikel 6 Auto-Ehe und AutoFamilie Autofahrer mit Familie stehen unter dem besonderen Schutz der Straßenverkehrsordnung. Pflege und Erziehung der Autofahrer-Kinder sind das natürliche Recht der Autofahrer-Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. […] Auto-Eltern sind verpflichtet, ihre Auto-Kinder zur Auto-Liebe zu erziehen, sonst wird ihnen das Auto entzogen. Artikel 8 Stauversammlungsfreiheit Alle Autofahrer haben das Recht, sich ohne Anmeldung in einem Stau zu versammeln. Artikel 11 Freies und Zügiges Fahren Alle Autofahrer genießen das Recht, auf allen Straßen frei und zügig zu fahren. Dieses Recht darf nicht einmal eingeschränkt

werden, wenn Angriffe von Fußgängern, Radfahrern und Umweltschützern auf den Bestand der fahrfreiheitlichen-autodemokratischen Grundordnung abzuwehren gilt. Artikel 12 Pflicht zum wehrhaften Fahren Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Autofahren verpflichtet werden. Wer aus Gewissensgründen den Dienst am Lenkrad verweigert, kann zu einem Ersatzdienst als Radfahrer verpflichtet werden. Artikel 16 Autozugehörigkeit, Auslieferung Der Autofahrer darf nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Kein Autofahrer darf an Fußgänger und Radfahrer ausgeliefert werden. Artikel 16a Asylrecht

Von Umweltgruppen verfolgte Autofahrer genießen Asylrecht. Anträge sind an den Bundesautominister zu stellen und von ihm wohlwollend zu bearbeiten. II. Der Bund und die Länder Artikel 20 Grundlagen für gute Fahreigenschaften Die Bundesautorepublik Deutschland ist ein auto-demokratischer, für Autofahrer sozialer Bundesautostaat. Alle Staatsgewalt geht von Volkswagen aus. Gegen jeden, der es unternimmt, das Verkehrschaos zu beseitigen, haben alle Autofahrer das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Unser Ziel ist nicht mehr fern. Denn der Abgrund ist schon so nah. Aber bis dahin: Gute Fahrt! René Lindenau


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