Wer hilft eigentlich der Polizei?
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt September 2015
Sachsens Polizei kriecht buchstäblich auf dem Zahnfleisch. Das musste unlängst auch Innenminister Markus Ulbig zugeben. Während der gewaltsamen rassistischen Ausschreitungen vor Asylunterkünften gelingt es der Polizei zuallererst wegen Personalmangels und fehlender Ausrüstung kaum, den Schutz der Geflüchteten zu gewährleisten. Dieser Zustand der sächsischen Polizei ist nicht über Nacht oder zufällig oder gar wegen momentaner Extremsituationen, sondern im Ergebnis des jahrelangen, rein monetär motivierten Stellen- und Personalabbaus entstanden. Am Beginn stand in der CDUSPD-Koalition von 2004-2009 das Ziel, Personal einzusparen, ohne sich zuvor die Aufgaben der Polizei zu vergegenwärtigen. Dafür entstand im Jahr 2011 unter CDU und FDP das „Projekt Polizei.Sachsen.2020“. Die Hauptachsen sind Umbau und Reduzierung der Polizeidirektionen und -reviere (Reduzierung von 7 auf 5 Direktionen und von 72 auf 41 Reviere) sowie noch stärkerer Personalabbau. 2010 waren bei der Polizei noch 13.911 Personen beschäftigt. Bis 2025 sollte diese Zahl auf 11.280 reduziert werden. Mittlerweile wurde dieser Abbau durch die neue CDU-SPD-Landesregierung um 800 verringert, ohne dass ein Plan existiert, welche Stellen man konkret erhalten möchte. Der Stellenabbau geht vorerst weiter. Erst ab 2021 ist laut Innenministerium mit einer „Reduzierung der Stellenabbauverpflichtung“ zu rechnen, bis dahin werden jährlich gut 120 Stellen gestrichen. Das Resultat des Personalabbaus lässt sich sehr gut illustrieren: Die Überstunden bei der Polizei sind vom Jahreswechsel 2014/15 mit 71.435 in den nächsten Monat übernommenen Überstunden von Beamten bis Juni 2015 auf 133.756 angewachsen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der unbearbeiteten Fälle (offene Vorgänge) von 57.663 auf 63.227. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit und Einsatzbereitschaft der Beamten. Der durchschnittliche Krankenstand bei
der Polizei ist mit 8,3 % extrem hoch. Damit können also täglich rund 900 Polizeibeamte ihren Dienst wegen Krankheit nicht antreten. Die Polizei braucht mehr Personal und bessere Sachausstattung. Zunächst soll die seit Juni arbeitende Fachkommission, die Aufgaben und Personalbedarf evaluieren soll, die Polizei einer „umfassenden Aufgabenkritik“ unterziehen. Allen Fachleuten ist klar, dass eine Aufgabenverschiebung nicht möglich ist. Selbst wenn ein paar Zuständigkeiten an die notorisch klammen Kommunen übertragen würden, kämen die eigentlich abgegebenen Fälle spätestens nach Feierabend der kommunalen Ämter an die einzige rund um die Uhr erreichbare Behörde, die Polizei, im Zuge der Amtshilfe zurück. Bliebe noch die Reduzierung von Tarifbeschäftigten durch „Outsourcing“ (Privatisierung) von z. B. technischen Bereichen wie den polizeieigenen Kfz-Werkstätten. Neben zusätzlichen Transferfahrten wären vor allem Marktpreise für Handwerksleistungen das Ergebnis. Das wird gemeinhin teurer, und den Transferfahrt-Beamten fehlt die Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Sofern die Evaluierungs-Kommission einen deutlich höheren Bedarf an Polizisten in Sachsen attestiert, hängt alles von den richtigen politischen Entscheidungen ab. Für eine ausreichend große Bewerberzahl braucht es vor allem bessere Arbeits- und Einkommensverhältnisse. So konkurriert die Polizei z. B. mit der freien Wirtschaft um IT-Spezialisten, und das mit nicht konkurrenzfähigen Einstellungsvergütungen. Bei Einsteigern im Polizeivollzugsdienst zeigt sich das gleiche Bild. Und ob die Kampagne „Verdächtig gute Jobs“ mit herabgesetzten Einstellungsvoraussetzungen die Anwärter bis zum Ende ihrer Ausbildung bei der Stange halten kann, wird sich erst zeigen müssen. Eines steht schon jetzt fest: Auch wenn ab 2017 die jährliche Anwärterzahl von 400 auf die erforderlichen 550 erhöht würde, kämen die ersten zusätzlichen Polizisten frühestens 2020 in den Polizeivollzugsdienst. Zwischenzeitlich geht es darum, ein zusätzliches „Ausbluten“ der Polizei durch bessere Bezahlung, Stellenhebungen, Beförderungen, ein besseres Gesundheitsmanagement sowie die Wiedereinführung der Sonderzahlungen und durch bessere Sachausstattung zu verhindern.
Links! im Gespräch
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Freies Theater? Gern unterstützen! Lieber Norman Schaefer, Du hast eine freie Theatergruppe namens die lizenz gegründet. Kannst du uns mehr darüber erzählen? 2005 erarbeitete ich während meines Studiums der Theaterwissenschaft in Berlin „Menschliche Anker – Eine Performance zwischen Abschiedsbriefen und Poesiealben“ für das Theaterfestival 100° Berlin und hatte gleichzeitig eine Inszenierung von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ in Planung. Ich wollte meine Aktivitäten bündeln und gründete deshalb die lizenz. Im Zentrum unserer Projekte steht immer wieder das Thema Individuum und Gesellschaft: Wie abhängig oder beeinflusst wir von der Sicht anderer Menschen sind, Strategien der Selbstbehauptung, die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung – das sind Komplexe, die mich sehr interessieren. Wie ist die freie Theaterszene in Dresden? Soweit ich die Dresdner Szene inzwischen kennengelernt habe, ist sie natürlich überschaubarer als die in Berlin. In den letzten Jahren gab es hier viel Unterstützung für die Tanzszene, wozu sicherlich vor allem die Präsenz des TanzNetzDresden beigetragen hat. Bei den darstellenden Künsten fehlt es, trotz einiger öffentlicher Gelder, immer noch an finanzieller Unterstützung, also gemessen am immensen Potenzial der Kreativschaffenden. Da wäre noch einiges mehr möglich. Aber auch Proben- und Auf-
führungsmöglichkeiten sind rar. Es gibt ja fast nur das Projekttheater und das Theaterhaus Rudi, die eine tolle Arbeit für freie Gruppen leisten, aber natürlich auch an ihre Grenzen geraten.
er_innen leichter mit ihnen und ihren Figuren identifizieren. In meiner Arbeit suche ich gemeinsam mit den Spieler_innen in den Textvorlagen immer nach einem Zugang aus ihrer Erfah-
Idealfall kann man diese Art der Auseinandersetzung am Ende spüren. An welchen Projekten arbeitest du gerade?
Du arbeitest als freischaffender Theaterpädagoge auch am Staatsschauspiel Dresden und leitest seit 2011 jährlich mehrere Clubs der Bürgerbühne, ein Angebot für alle Dresdner_innen. Seit wann gibt es die Initiative und wie sieht sie aus? Die Bürgerbühne ist 2009 unter dem damals neuen Intendanten Wilfried Schulz ins Leben gerufen worden und war damit das erste Theater, das dieses Konzept der Bürgerbeteiligung als gesonderte Sparte eröffnet hat. Es gibt zum einen Inszenierungen, die erarbeitet werden und dann im regulären Spielbetrieb laufen, und zum anderen Spielclubs, die eine Spielzeit lang einmal wöchentlich proben und dann mit zwei bis drei Werkstattaufführungen enden. Das Konzept ist so erfolgreich, dass es inzwischen ähnliche Formate in anderen deutschen und europäischen Städten gibt. Was ist für dich das besondere an der Arbeit mit Laien? Ich glaube, die absolute Stärke von Laien ist, dass sie sich nicht durch erlernte schauspielerische Methoden komplett hinter einer Rolle verstecken können, sondern immer auch als sie selbst erkennbar bleiben. Dadurch können sich die Zuschau-
rungswelt. Einen großen Teil des Probenprozesses nehmen deshalb Gespräche ein. Wir möchten beantworten können, warum wir dieses Stück nicht den „richtigen“ Schauspielern überlassen, weshalb gerade wir uns dieses Themas annehmen. Im
Neben einer Arbeit für das Festival Schultheater der Länder und einer Folgeperformance von drop or fly – Der Kampf um die Wahrhaftigkeitsmillion, probe ich mit die lizenz aktuell an einem Zwei-Frauen-Stück der französischen Autorin Emmanuelle Ma-
rie. „Weiß“ heißt es und handelt von entfremdeten Schwestern, die gemeinsam ihre Mutter pflegen. Es geht um das Verhältnis der beiden, aber auch um Lebenslügen, denen sie sich in Anbetracht des baldigen Todes der Mutter stellen. Hier steht wieder im Raum, was andere Menschen von meinem Leben halten, ob ich ihre Erwartungen erfüllen kann und möchte. Sehr aktuell ist sicher auch die Pflegethematik, also wie stark das Leben pflegender Angehöriger durch die Pflegetätigkeit beeinflusst wird. Insgesamt ein schweres Thema, dem wir aber eine gewisse Leichtigkeit zu geben versuchen. Wir hoffen, dass wir im November Premiere feiern können. Das ist allerdings wegen der Finanzen nicht ganz sicher, wir stemmen bisher alles ohne Förderung oder Spenden aus privatem Budget. Wer eine kleine, aufstrebende Theatergruppe unterstützen mag, kann sich also sehr gern melden. (lacht) • Die Fragen stellte Anja Eichhorn. Norman Schaefer, 1980 in Berlin geboren, arbeitet seit 2011 als freischaffender Theaterpädagoge und Regisseur in Dresden. Am Staatsschauspiel ist er im Rahmen der Bürgerbühne als Regieassistent und Leiter von Spielclubs tätig. Daneben arbeitete er mit der Gruppe Theater La Lune am Projekttheater und gibt theaterpädagogische und schauspielmethodische Workshops. www.norman-schaefer.de www.lizenz-theater.de
„Denke global, handle lokal“ – Jörn Wunderlich, MdB, in Israel Herr Wunderlich, Sie waren kürzlich in Israel. Was war das Ziel dieser Reise? Die Delegation des Ausschusses für Tourismus wollte Möglichkeiten prüfen, wie der Tourismus zwischen Israel und Deutschland verbessert werden kann und wie die aktuelle Situation in Israel sich im Hinblick auf Tourismus gestaltet. Wir wollten schauen, was getan werden kann, um die Zahlen in der Tourismusbranche steigen zu lassen. Zu diesem Zweck haben wir Ziele mit unterschiedlichen touristischen Wünschen angesteuert – Tel Aviv, Tabgha am See Genezareth (Pilgertourismus), Jerusalem, Totes Meer und die Negev-Wüste. Begleitet wurden die Anlaufpunkte mit Gesprächen: in Tel Aviv mit dem deutschen Botschafter Clemens von Goetze, dem Präsidenten der Hotel Association Israel und der deutschen Zentrale für Tourismus sowie der deutschen Außen- und Handelskammer und dem Mitarbeiter der dortigen RSL-Stiftung. In Tabga mit den
Brüdern des dortigen Ordens und in Jerusalem mit dem Minister für Tourismus und dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses in der Knesset. In Ostjerusalem gab es ein Treffen mit dem Präsidenten des palästinensischen Tourismusverbandes Sami Abu-Dayyeh. Was haben Sie vom Konflikt mit Palästina mitbekommen? Unmittelbar nichts, bis auf eine Demonstration in der Altstadt von Jerusalem, bei der extrem orthodoxe Juden nach Auskunft der uns begleitenden Botschaftsmitarbeiterin die arabische Bevölkerung des angrenzenden Viertels provozieren wollte. Polizei und Militär hatten schon abgesperrt und wir mussten aus Sicherheitsgründen den Bezirk verlassen. Bei einem inoffiziellen Abstecher auf die Golanhöhen konnten wir mit UN-Beobachtungsposten Gespräche führen, bei denen wir erfuhren, dass tags zuvor Granaten eingeschlagen waren. Dies schien jedoch
nichts Besonderes. Alle Vorfälle im syrischen Grenzgebiet werden von den unbewaffneten Beobachtern an die UN-Hauptquartiere weitergemeldet. Was uns in allen Gegenden entgegen gebracht wurde, war die Wut darüber, dass Minister Gabriel eine lange angekündigte Israelreise abgesagt hatte, um gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern in den Iran zu reisen. Bei den Gesprächen in Ostjerusalem gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen CDU und Linken zur Überlebensfähigkeit eines eigenen palästinensischen Staates. Dort wurden auch die Probleme der palästinensischen Bevölkerung und deren Diskriminierung durch Israel erörtert. Nach Auskunft von Sami Abu-Dayyeh kommt es inzwischen etlichen Palästinensern nicht auf die künftige Staatsform an, sondern auf ihre eigenen Möglichkeiten, sich diskriminierungsfrei zu entwickeln. Und dafür bieten Israel und die palästinensischen Gebiete meines Erachtens echtes Potential.
Was hat Sie am meisten beeindruckt? Das ganze Land hat mich beeindruckt, aber am meisten bewegt hat mich Yad Vashem in Jerusalem. Die Gedenkstätte hat einen derart mitgenommen, dass man sich wieder sagt, diese Gräueltaten der Deutschen und ihrer Verbündeten dürfen nie in Vergessenheit geraten. Auch wenn unsere Generation keine Schuld trifft, haben wir und unsere Nachfahren die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich ein solches Abschlachten von Menschen nie wiederholt. Welchen Stellenwert haben diese Reisen für Ihre parlamentarische Arbeit? Denke global, handle lokal. Nach dieser Prämisse sollte man die Probleme der Welt auch aus der Perspektive vor Ort kennenlernen, Gutes nach Möglichkeit im eigenen Land umzusetzen versuchen und die Probleme der Menschen in anderen Ländern hier publik machen – ob es um die Betreuungsmöglichkeiten von
Kindern in Skandinavien geht oder die Situation der Sinti und Roma in Tschechien ... Gibt es konkrete Beispiele, wo eine solche Reise ein positives Ergebnis nach sich zog? Ja, die sogenannte „Rettungsaktion“ des parlamentarischen Patenschaftsprogramms (PPP) mit den USA. Nachdem die USA die Mittel dafür um 50 % gekürzt hatten, haben wir uns Anfang April 2015 mit einer Delegation der Inneren Kommission zur Rettung des PPP in die USA begeben. Dort haben wir sowohl bei den beteiligten Verbänden, die auf unserer Seite standen, als auch beim State Department und bei Senatoren und Kongressabgeordneten intensiv für den Erhalt des Programms in voller Höhe geworben. Nach einer aktuellen Mitteilung des amerikanischen Botschafters scheint die Reise von Erfolg gekrönt, das State Department beabsichtigt, die Mittel wieder in voller (alter) Höhe im Haushalt einzustellen. • Die Fragen stellte Simone Hock.
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Buntes Meißen – Bündnis für Demokratie und Zivilcourage Auch das ist Sachsen: An zahlreichen Orten engagieren sich zivilgesellschaftliche Initiativen in Bündnissen gegen flüchtlingsfeindliche Umtriebe und für ein gutes Miteinander von Einheimischen und Geflüchteten. In den nächsten Ausgaben wollen wir einige von ihnen näher vorstellen. Am 25.07.2013 sollte auf den Elbwiesen in Meißen eine nicht angemeldete Veranstaltung der Reichsbürgerbewegung stattfinden. Daraufhin trafen sich zum ersten Mal Bürger und Mitglieder der verschiedenen demokratischen Parteien aus Meißen im grünen Büro von Johannes Lichdi. Schnell reifte die Idee, am Tag der angekündigten Veranstaltung ein „Fest der Vielfalt“ stattfinden zu lassen. Seitdem Tag existiert das Bündnis Buntes Meißen. Der Aufmarsch der Reichsbürger konnte erfolgreich verhindert werden. Das Bunte Meißen versteht sich als eine Gemeinschaft von Bürgerinnen und Bürgern, die das Grundgesetz mit seinen freiheitlich demokratischen und rechtsstaatlichen Werten anerkennen, es aktiv verteidigen und die Vielfalt der hier lebenden Menschen achten, respektieren und sich für diese einsetzen. Die Ereignisse der letzten Monate rund um das Thema Asyl haben es nötig gemacht, dass sich das zuvor lose Bündnis in einen Verein gewandelt hat. Das Bündnis organisiert Gegendemonstrationen zu rechten Kundgebungen, koordi-
Es ist fast 25 Jahre her: Der „kollektive Wirtschaftsflüchtling DDR“ – „Armutsflüchtling“ wäre wohl etwas unangemessen – war durch die Währungsreform bereits seit einigen Wochen am Ziel seiner Wünsche angelangt. Jetzt sollte auch der „politische Flüchtling“ integriert werden. Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik war beschlossen. Die Neugründung der Länder auf ihrem Territorium war vorbereitet. Am 3. Oktober 1990 wurde alles unter Dach und Fach gebracht. Sachsen sollte zunächst eine Zukunft als Königreich bekommen. Am 3. Oktober wussten wir das noch nicht. Aber als dann am 14. Oktober gewählt und gewiss war, dass mit der absoluten Mehr-
niert Patenschaften zwischen Deutschen und Asylsuchenden, sammelt Spenden und betreut Flüchtlinge in Meißen. Des Weiteren finden regelmäßig Bündnistreffen statt, bei denen Mitglieder und weitere Bürgerinnen und Bürger über Möglichkeiten des Engagements diskutieren und Projekte umsetzen. So wurden bisher ehrenamtliche Sprachkurse koordiniert, Handarbeitszirkel ins Leben gerufen und die Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern sowie Asylsuchenden bei verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen si-
chergestellt. Derzeit laufen die Planungen für zwei Gartenprojekte. So sollen kurzfristig freie Gärten in Gartensparten angemietet werden, damit diese von Asylsuchenden bewirtschaftet werden können. Mittelfristig besteht der Plan, in Meißen einen Internationalen Garten analog zum Vorbild in Dresden einzurichten. Das Bunte Meißen versteht sich als Vermittler zwischen der Bürgerschaft Meißens und den asylsuchenden Menschen für eine gelingende Integration. Ein wesentliches Merkmal der Arbeit ist der Versuch, die Es-
kalationsspirale selbst nicht zu verstärken. Dies erscheint umso schwieriger vor dem Hintergrund, dass mit der Initiative Heimatschutz in Meißen der dunkelbraune Sumpf der Pegida-Bewegung so gut wie wöchentlich mobilisiert. So wie es bereits beim Initialfunken der Gründung des Bunten Meißens das Ziel war, ein positives Bild Meißen in die Welt zu senden, versucht das Bündnis, eben nicht ausschließlich mit Gegendemos auf Nazis zu reagieren. Es wird versucht, mit Kultur in unterschiedlichster Form die Einwohnerinnen und
Einwohner der Stadt zu einem bunten Protest gegen Unkultur zu mobilisieren – ob mit Familien- und Kunstfesten oder mit öffentlichen Chorproben und Musikveranstaltungen. Es ist gelungen, auch das andere Gesicht der Stadt zu zeigen. Die Unterstützungsbereitschaft in der Bevölkerung ist überwältigend. Gerade die Eskalation in vielen Städten hat, wie auch der Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Meißen, zum Aufwachen vieler Menschen geführt. Das Bunte Meißen hat vom Besitzer des Brandhauses in Meißen das Angebot bekommen, die Brandwohnung kostenfrei zu nutzen. Dort soll neben der Geschäftsstelle des Vereins ein Dokumentations- und Begegnungszentrum einziehen. Wir wollen es gemeinsam schaffen, dass dieses Haus als Mahnmal gegen Fremdenhass und als Zeichen des Zusammenhalts und der Solidarität etabliert werden kann. All diese Unterstützung täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das Bunte Meißen als eine Initiative von vielen in Sachsen nicht auf Dauer der Lückenbüßer für staatliche Versäumnisse sein kann. Es ist wichtig, dass es zu einem Umdenken in der Politik kommt und man sich nicht in allen Bereichen auf ehrenamtliche Arbeit verlässt. Nur so wird es möglich sein, die Hilfsbereitschaft der Menschen auf Dauer aufrechtzuerhalten. Tilo Hellmann
heit der CDU im Sächsischen Landtag Kurt Biedenkopf für das Amt des Ministerpräsidenten bestimmt ist, nahmen die Dinge ihren Lauf: „Wer mich König Kurt nennt, greift der Entwicklung etwas voraus“. Das war die Quintessenz seiner Regierungserklärung. König Kurt wollte ein Bürgerkönig sein. Mit den habgierigen Wettinern hatte er nichts im Sinn. Milde wollte er sein, auf das Wohl des Volkes bedacht, Hand in Hand mit der Gattin. So war sein Plan: Es sollten erst Inseln des Wohlstandes entstehen, die dann ihren Wohlstand weitergeben, um ihn so für alle zu mehren. Er sprach von Seerosen, die auf dem glatten See zu pflanzen wären. Erst hier und da. Sie würden sich aber, wie Seerosen eben so sind, dann ausbreiten, den See immer mehr bedecken, ihn schöner machen, wiederum für alle. Rund um den See aber sollten Leuchttürme stehen, die uns in die Zukunft leuchten und zeigen, wo es lang geht zum allgemeinen Wohlstand. Das brauchte sich vor Helmut Kohls „blühenden Landschaften“ wahrlich
nicht zu verstecken. Doch das „Sollen“ der Poesie ist das eine, das „Sein“ der Wirklichkeit immer noch das andere. Die Sache ließ sich zunächst gar nicht so schlecht an. Mit dem Solidaritätszuschlag auf die Einkommenssteuer wollte man jede und jeden nach ihren und
bekommen, wer zuvor investiert hatte. Und solche kamen nun mal meist aus dem Westen. Am Weitergeben ihres Wohlstandes waren sie wenig interessiert, an der Rendite des investierten Kapitals umso mehr. Arbeitsplätze mit gutem Einkommen waren so kaum entstanden. Der Billiglohn brachte mehr ein. Rentenpunkte mit geringerem Wert im Osten schonen immer noch bundesdeutsche Kassen. Das Prinzip bleibt interessant. Nur, es gilt nicht mehr, und auch König Kurt hat es bei IKEA verraten. Wer teilt denn heute noch oder gibt seinen Wohlstand weiter? Die Nettovermögen der privaten Haushalte erhöhten sich in Deutschland von 2003 bis 2013 gerade mal um 500 Euro. Das ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Berücksichtigt man allerdings die Inflation in dieser Zeit, so hat jeder Haushalt de facto 15 % seines Nettovermögens verloren, was im Durchschnitt 20.000 Euro entspricht. Im Durchschnitt! Nicht alle haben so viel verloren. Zum Beispiel die nicht, die nicht so viel
hatten. Beneidenswert, möchte man fast sagen. Über die Vermögen der Superreichen ist angeblich nichts Genaues bekannt. Was der Volksmund aber längst weiß, der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Die Reichen werden immer reicher. Das ist nicht nur in Deutschland so, es gilt für die ganze Welt. Die Reichen der Länder des Nordens holen sich auf Teufel komm raus von den Armen noch das Letzte, was aus diesen herauszupressen geht. Jedes Mittel, jeder Verbündete kommt dafür gelegen. Den Leuten zu Hause reden sie aber ein, dass sie mit ihnen teilen und deshalb ihren bescheidenen Wohlstand sichern. Die so „Beglückten“ spucken dann auf die betrogenen Armen, weil sie denken, diese wollten unberechtigte Teilhabe an ihrem kleinen Glück. Nein und nochmals nein! Alle Hilfe den Flüchtlingen vor Krieg und Armut! Mit ihnen könnten wir des Königs Seerosen weltweit zum Gedeihen bringen. Des Teufels Haufen aber holen wir uns als Dünger für blühende Landschaften!
Des Königs Seerosen oder wohin der Teufel scheißt seinen Kräften am Pflanzen der Seerosen auf dem gesamtdeutschen See beteiligen. Die Mittel für den „Aufbau-Ost“, die daraus resultierten, kamen freilich nur mehr Ausgewählten zugute. Den Kapitalismus im Osten ohne Kapital aus dem Osten aufzubauen, war eine schwierige Sache. Fördermittel konnte nur
Hintergrund
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Können Sie? Podemos vor den Wahlen Es ähnelt eher einer begehbaren Abstellkammer mit Schaufenster denn einem Büro, was sich in der Calle (Straße) Zurita 21 im Madrider Stadtteil Lavapies befindet. Es ist ein kleines Ladenlokal der spanischen Partei Podemos („Wir können“). Zwar ist die rasant gewachsene Organisation mittlerweile umgezogen, aber es ist dennoch diejenige Adresse, die man nach wie vor auf den meisten Printprodukten und der Website der Partei findet. Doch in dem Raum findet auch noch lebendige Politik statt: Die lokale „Basisgruppe“ trifft sich nach wie vor hier. Derzeit sind bei Podemos, die sich 2014 formal gegründet haben, über 370.000 Menschen eingeschrieben. Von der Euphorie der Anfangstage ist derzeit jedoch nicht mehr viel zu spüren. Denn nach einer kurzen Aufbauphase musste Podemos recht schnell die erste Wahl bestehen – bekanntermaßen keine Sternstunden für Basisdemokratie und Selbstverständnisdebatten. Beim großen Zwischentest, den Wahlen für die Parlamente in 13 der 17 autonomen Gemeinschaften Spaniens am 25. Mai dieses Jahres, schnitt Podemos zwar ziemlich gut, aber eben nicht besser als erwartet und für viele wohl auch schlechter als erhofft ab. Immerhin zog Podemos mit Ergebnissen zwischen 8 % (Kantabrien) und 18 % (Region Madrid) in alle 13 Regionalparlamente ein. Im Nachgang der Wahlen wur-
den in fünf autonomen Gemeinschaften Kandidat*innen der postsozialdemokratischen PSOE mit Podemos-Stimmen als Regierungschefs gewählt (Aragón, Balearen, Kastilien – La Mancha, Valencia, Extrema-
vative Volkspartei) auf Hellrot (PSOE) umgefärbt, aber könnte gleichzeitig auch der Beginn der Entzauberung von Podemos sein. Bei den ebenfalls am 25. Mai stattfindenden Kommunalwah-
derem in den beiden Metropolen Madrid und Barcelona. Ende des Jahres stehen die Wahlen zum gesamtspanischen Kongress an. Der demoskopische Höhenflug hat sich mittlerweile jedoch nach unten korri-
dura), in drei Gemeinschaften hat Podemos durch Enthaltung die Wahl linker und/oder regionalistischer Regierungschefs ermöglicht (Asturien, Kantabrien, Navarra). Das hat zwar einerseits die politische Landkarte Spaniens deutlich von Blau (Partido Popular, rechtskonser-
len ist Podemos nicht als eigene Formation angetreten, sondern nur im Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie der Organisation der von Hypotheken und Zwangsräumungen Betroffenen. In vielen größeren Städten ist es hier gelungen, die Rathäuser zu erobern, unter an-
giert und die junge Partei liegt in allen Umfragen mit 15 bis 20 % hinter PP und PSOE deutlich auf Platz 3. Erschwerend kommt hinzu, dass mit den Ende September stattfindenden Wahlen in Katalonien ein Thema auf der Tagesordnung steht, das Podemos zu zerreiben droht: die De-
batte um die Unabhängigkeitsbestrebungen von Katalonien. Wohl auch deshalb ist Podemos dort vom Grundprinzip abgewichen, keine Bündniskandidaturen einzugehen, und kandidiert nun gemeinsam mit dem regionalen Ableger der Izquierda Unida (Vereinigte Linke) und weiteren Parteien für das Bündnis „Catalunya si es pot“ (etwa: „Katalonien, ja es ist möglich“). Jeden weiteren Wunsch der Izquierda Unida auf eine Bündniskandidatur für die Kongresswahlen hat Podemos bisher kategorisch ausgeschlossen. Das liegt auch daran, dass die Parteistrateg*innen um Pablo Iglesias eher die klare Verortung von Podemos im linken Lager als Problem sehen und sich in Vorbereitung der Wahlen von dieser Etikettierung lösen möchten. Im Vordergrund soll wieder stärker der Ansatz der „Transversalidad“ stehen, der darauf hinaus will, dass Podemos sich auf der klassischen links-rechts-Achse nicht verorten lässt, sondern vertikal zu dieser Einteilung steht. Ob das Podemos noch mal den nötigen Schub für die Wahlen geben kann, ist jedoch zweifelhaft. Schließlich hat sich mit Ciudadanos eine weitere neue Partei eher im Zentrum der politischen Achse gebildet. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht am Ende das eintritt, was derzeit bei den Spanier*innen die deutlich ungeliebteste Option ist: eine große Koalition.
denfinanzierten Sparpolitik geschlossen“. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wurde SYRIZA gewählt. Und was machen Sie, Herr Schäuble? Sie errichten eine Mauer, so dass niemand aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann. Doch lassen wir erneut Varoufakis zu Wort kommen (8. Juni): Seit zwei Jahren fehle seinem Land jedes Arbeitsrecht und Tarifsystem, alles wurde abgeschafft. 500.000 Griechen hätten in den letzten sechs Monaten keinen Lohn erhalten. Man wollte ein modernes Arbeitsrecht und Tarifsystem erarbeiten. Dazu kommt es wohl nun nicht. Zum derzeit nicht tragfähigen Rentensystem fiel der TROIKA-Nachfolgeeinrichtung, den Institutionen nur die Forderung ein, die Renten um 40 % zu senken. Wie weit denn noch? Vielmehr schlug Varoufakis ein „chirurgisches Vorgehen“ vor; Vermeidung von Vorruhestand, Zusammenlegung von Rentenkassen und damit die Vermeidung ihrer Betriebskosten. Schließlich bat der damalige
Minister: Lassen Sie uns unsere Hausaufgaben machen, bitte ermöglichen Sie es uns, Reformen durchzuführen. Wenn Sie unsere Bevölkerung weiter ins Elend treiben, wird das Land niemals reformierbar sein. Aber nein, da kamen Sie und machten einen auf Oberlehrer. Anderen wollen Sie Lektionen beibringen, die Sie selbst nicht gelernt hatten; eine Politik sozialer Gerechtigkeit und Steuergerechtigkeit wie auch eine nachhaltige Wirtschaftspolitik. Durch Ihr Juli-Diktat wird SYRIZA nun gezwungen, zu tun, was ihrem Wahlprogramm total widerspricht. Statt eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, beginnt nun der Ausverkauf Griechenlands a lá TreuhandAnstalt. Nicht zuletzt sind Sie spätestens seit dem ErpresserGipfel am 12. Juli, den Varoufakis ein „fiskalisches Waterboarding“ nannte, europa- und demokratiepolitisch auf der falschen Spur. Auf der falschen Spur, da waren Sie auch schon, als Sie die 100.000 DM von Waffenhändler Schreiber annahmen. René Lindenau
Auf ein Wort, Herr Schäuble Vor Jahren waren es 100.000 DM von einem Waffenhändler Schreiber, von deren Herkunft und Verbleib Sie nichts wissen wollten. Ihr Amtsvorgänger im Adenauer-Haus, Helmut Kohl, wird dieses Geheimnis wohl mit ins Grab nehmen. Das vorab – nicht ohne Grund. Was Sie angeht, so wurde immer offensichtlicher, dass Ihnen eine europäische Regierung, die am 25. Januar 2015 in Athen gewählt wurde, nicht passt. Die griechische SYRIZA darf einfach keinen Erfolg haben! Ist doch egal, ob in den vergangenen Jahrzehnten Regierungen eine so immense Schuldenlast aufgebaut, eine so verfehlte Steuerpolitik zugelassen oder sich mit frisierten Bilanzen den Zugang zum Euro erschlichen haben. Ferner wurden Steuervorteile z. B. für die Reeder noch in den Verfassungsrang erhoben. Jeglichen dieser Missstände sollte nun SYRIZA innerhalb eines halben Jahres angehen, wenn nicht sogar ganz aus der Welt schaffen. Nennen Sie das fair und angemessen, Herr Schäuble? Zeigte man sich in
den vergangenen fünf Jahren auch so unnachgiebig und fordernd, als sich Sozialdemokraten und Konservative am Regierungsruder abwechselten? In dieser Zeit wurde den Griechen eine illegitime bankengesteuerte wie lebensfremde TROIKA aufgedrückt, die diverse Sparpakete zusammenschnürte, ob sie der breiten Masse der Bevölkerung nun gut taten, oder nicht. In der Regel taten sie dem griechischen Volk nicht gut: Die Arbeitslosenrate lag 2009 bei 9,5 %, 2014 waren es 26 %. Der Anteil der Jugendarbeitslosigkeit erreichte 2008 21 % und 2013 schon 59 %. Die Kinderarmut nahm auch erschreckend zu. Waren 2008 noch 23 % davon betroffen, so waren es 2012 40,5 %. Ohne jede Sozialversicherung müssen in Griechenland 3.068.000 Menschen (Stand 2013) auskommen. Allein im 5. Sparpaket (2012) wurden die Renten ab 1.000 Euro um weitere 5-15% gesenkt, das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahren erhöht und die Gehälter im öffentlichen Dienst wur-
den um 6 bis 20 % gekürzt. Auch die Staatsverschuldung konnte mittels neoliberaler, marktradikaler Methoden der vorherigen griechischen Regierungen und der ominösen TROIKA nicht abgebaut werden. Im Gegenteil, 2008 betrug sie 263 Milliarden Euro, 2013 waren es 313 Milliarden. Irgendwann macht das kein Volk mehr mit, abgesehen von den Deutschen vielleicht. Die Griechen wählten jedenfalls die SYRIZA, damit sie den Kurs hin zu einem wirklichen Politikwechsel ändert. Das wäre mit echten Alternativen verbunden, oder hat Ihnen ihre Chefin dieses Wort schon ausgeredet, Herr Schäuble? Schauen wir auf Aussagen des 250-Tage-Finanzministers Yanis Varoufakis, die er in einer „Debatte zur Zukunft Griechenlands in der EU“ am 8. Juni 2015 vor der Hans-Böckler-Stiftung (DGB) vortrug. Er sprach aus, dass 91 % allen Geldes, das Europa und der IWF seinem Land liehen, an die Banken gingen. „Vom schuldenfinanzierten Wachstum kommend hat sich der Kreis zu einer schul-
Geschichte
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Das erste Mal traf ich Egon Bahr in der „Wendezeit“ 1989/90. Am Rande eines Moskau-Aufenthaltes besuchte er Aspiranten aus der DDR an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Wir begegneten dem SPD-Politiker freundlich und zurückhaltend. Einerseits imponierte uns seine Aufgeschlossenheit gegenüber Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika, in die auch wir große Hoffnungen setzten. Andererseits steckte immer noch ein Stück jener Propaganda in uns, die den Kurs des „Wandels durch Annäherung“ als „Aggression auf Filzlatschen“ brandmarkte. Unsere Zukunft war wie die der meisten DDR-Bürger völlig offen, und in Berlin hatte keiner den Nerv, sich um ein paar Versprengte in der Sowjetunion zu kümmern. Egon Bahr jedoch kam und versprach sich dafür einzusetzen, dass wir unsere Aspiranturen bei der FriedrichEbert-Stiftung erfolgreich abschließen könnten. Für mich war das damals ein ziemlich absurdes Angebot.
und zugleich Brückenbauer, der Verbesserungen für die Menschen hier und heute auf den Weg brachte. Die „Passierscheinabkommen“, die es Westberlinern nach dem Mauerbau ermöglichten, Verwandte im Ostteil der Stadt zu besuchen, waren Bahrs Idee. Egon Bahr war der Mann im Hintergrund, der sich nicht zurückgehalten hat. Gelegentlich übte er hohe Ämter aus. Vor allem aber war er Vordenker und Verhandler, Berater und Bevollmächtigter, Dulder und Drängler – natürlich an der Seite Willy Brandts, aber auch in den Jahren danach, bis hinein in unsere Tage. Bahr suchte nicht das Scheinwerferlicht, er strahlte durch seinen wachen Geist. Mit seinen scharfen Analysen und weitsichtigen Konzeptionen forderte der Freund und Feind heraus und scheute die Polarisierung nicht. Der Politiker und Diplomat Egon Bahr konnte, wenn es erforderlich erschien, durchaus den Mund halten. Anderen zum Munde reden konnte er nicht. Auch deshalb war er manchen der Mächtigen im Osten suspekt, im Westen „tricky Egon“ für die eher Gutwilligen und „Vaterlandsverräter“ für die Hardli-
Egon Bahr war ein Mann des klaren Wortes. Dafür war seine journalistische Arbeit beim RIAS eine gute Schule. Markante Formulierungen blieben zeitlebens sein Markenzeichen, vom Kalten Krieger, als den er sich selbst charakterisierte, hat er sich später verabschiedet. Die eigene Fähigkeit zur Veränderung mag ihn darin bestärkt haben, verändertes Denken und neue Einsichten bei anderen befördern zu können. Jederzeit verband er gesellschaftspolitische Strategien mit dem Alltag. So war er Architekt der auf Jahrzehnte angelegten neuen Ostpolitik
ner. Seine eigene Meinung ließ er sich nicht nehmen. Das KPDVerbot etwa hielt Bahr für einen kapitalen Fehler und er scheute sich nie, sich mit Leuten von der PDS oder der LINKEN an einen Tisch zu setzen. Auf unsere Einladung hin haben wir in den neunziger Jahren über „Linke und Nation“ debattiert, und wiederholt saßen wir bei öffentlichen Diskussionen zusammen – oder gegenüber. Egon Bahr war Friedensforscher und Sicherheitspolitiker. Er war es mit Leidenschaft und mit kühlem Verstand. Zehn Jahre lang stand er in Hamburg einem Institut vor, das
1972: Nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Verkehrsverhandlungen über einen Vertrag zwischen der DDR und der BRD gaben die Leiter der Delegationen, die Staatssekretärs Dr. Michael Kohl und Egon Bahr (links) vor 200 in- und ausländischen Journalisten im Hause des Ministerrates der DDR Erklärungen ab.
sich diesen Themen widmete. Abrüstung und Entspannung waren für Egon Bahr das Nonplusultra verantwortungsvoller und zukunftsfähiger Politik. In vernünftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik ©: Frank Schwarz, DIE LINKE
Dietmar Bartsch erinnert an den kürzlich verstorbenen Egon Bahr
Bundesarchiv, Bild 183-L0426-0044 / Link, Hubert / CC-BY-SA
Vom Kalten Krieger zum pragmatischen Visionär
Deutschland, der Sowjetunion und Polen sowie zwischen beiden deutschen Staaten sah er ebenso Schlüssel dafür wie in einem stabilen europäischen Sicherheitssystem. Für Gewaltfreiheit hat er buchstäblich bis zur letzten Minute gekämpft. Im Juli dieses Jahres beriet er mit Michail Gorbatschow in Moskau darüber, wie der Konflikt um die Ukraine ohne rhetorische und militärische Drohungen beigelegt, vor allem der Krieg beendet und eine Wiederannäherung zwischen Deutschland und Russland erreicht werden können. Das letzte Mal bin ich Egon
Bahr im Oktober vergangenen Jahres begegnet. Wir waren zusammen mit Daniela Dahn, Ingo Schulze und Wolfgang Bittner Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, deren Thema und Ort typisch wie symbolträchtig für den großen Politiker Egon Bahr waren: Unter dem Motto „Der Ukraine-Konflikt – ein Krieg der öffentlichen Meinung?“ diskutierten wir in der Peter-Sodann-Bibliothek in Staucha. Sodann steht für ein Herangehen, das aus dem Gestern und Heute den Bogen in die Zukunft schlägt.
„Ich lasse mir meine Vergangenheit nicht nehmen“, sagt er, der die zwischen 1945 und 1989 in der DDR erschienenen Bücher sammelt. Und der sich heute um der Zukunft willen einmischt. Egon Bahr, der 93 Jahre alt wurde, hat sich zeitlebens eingemischt. Gehört wurde er wohl auch deshalb, weil ihn nie Humor und Genussfähigkeit verließen und er stets ein unverbesserlicher Optimist blieb. Ein Linker eben. Respekt, Genosse Egon Bahr! Ruhe in Frieden.
Links! 09/2015
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Termine Leipzig, 8.9., 17 Uhr Ständiges Seminar zur politischen Kommunikation: Politische Kommunikation rechter und rechtspopulistischer Parteien. Mit Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Ruth Geier. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 9.9., 20 Uhr Vortrag und Diskussion: Der Genozid an den Armeniern. Geschichte – Überlieferung – Forschung***. Mit Elke Hartmann, Historikerin und Islamwisssenschaftlerin. In Kooperation mit der Buchhandlung drift. Cineding, Karl-Heine-Straße 83, 04229 Leipzig Leipzig, 10.9., 20 Uhr Film: globaLE „Mumia Abu Jamal: Long Distance Revolutionary“***. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen Schaubühne Lindenfels, KarlHeine-Straße 50, 04229 Leipzig Dresden, 15.9., 18 Uhr Junge Rosa: Bullenwagen klauen und Adorno zitieren – Die Linke zwischen Theorie und Praxis. Mit Boris Krumnow, politischer Bildner (Leipzig) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Chemnitz, 15.9., 19 Uhr Vortrag und Diskussion: Gegen das Vergessen? Über den Unfrieden in Europa und die deutsche Vergangenheit***. Mit Hans-Rüdiger Minow, Autor (Berlin). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem Rothaus e. V. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Dresden, 16.9., 19 Uhr Vortrag und Diskussion: TTIP stoppen! Mit MdB Caren Lay, Verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Eine Veranstaltung der sächsischen Landesgruppe der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,
Leipzig, 17.9., 18 Uhr Jour fixe: Andrej Platonov - Lazarus und genialer Außenseiter der modernen russischen Literatur***. Mit Willi Beitz, Literaturwissenschaftler. Moderation: Manfred Neuhaus und Klaus Kinner. GedankenWorte von Christel Hartinger zur anschließenden Ausstellungseröffnung mit Bildern von Willi Beitz. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 17.9., 20 Uhr Film: globaLE „Verdrängung hat viele Gesichter“*** Eine Veranstaltung von globaLE e. V. mit Unterstützung u. a. der RLS Sachsen. UT Connewitz, Wolfgang-Heinze-Straße 12A, 04277 Leipzig Chemnitz, 18.9.,18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Arbeitsschutz und Chlorhühnchen - Risiken und Gefahren durch TTIP. Mit Helmut Scholz, MdEP. Eine Veranstaltung des Europabüros Dr. Cornelia Ernst (MdEP) und der RosaLuxemburg-Stiftung Sachsen. Veranstaltungssaal, das Tietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Leipzig, 19.9., 20 Uhr Film: globaLE „10 Milliarden“***. Eine Veranstaltung von globaLE e. V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen. Probsteikirche, Nonnenmühlgasse 2, 04107 Leipzig Leipzig, 21.9., 18 Uhr Vortrag: Slowenien für Linksabbieger. Mit Ernst Kaltenegger. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 21.9., 19 Uhr Interkulturelle Woche: Deutsche Antifaschist_innen in Barcelona (1933–1939). Die Gruppe „Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland“ (DAS). m54, Alternatives Jugendzentrum AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz Leipzig, 22.9., 18 Uhr Vortrag und Diskussion, REIKleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
HE: Deutsche und Russen Russen und Deutsche. Wahrnehmungen vom 18. bis 20. Jahrhundert. Das deutsche Russlandbild im 18. Jahrhundert. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 22.9., 19 Uhr Interkulturelle Woche Israel 2015 - Innergesellschaftliche Spannungslinien und Zukunftsdebatten. Mit Dr. Angelika Timm, ehem. Leiterin des Büros der RLS in Tel Aviv. Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Dresden, 23.9., 19 Uhr Interkulturelle Woche Israel 2015 - Innergesellschaftliche Spannungslinien und Zukunftsdebatten. Mit Dr. Angelika Timm, ehem. Leiterin des Büros der RLS in Tel Aviv. Eine gemeinsame Veranstaltung des WIR e. V. und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 24.9., 18 Uhr ROSA - LUXEMBURG - SEMI NAR: Luxemburg oder Stalin. Mit Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 24.9., 18.30 Uhr ROSA L. IN GRÜNAU: Georg Lukacs und die Demokratisierung heute und morgen***. Mit PD Dr. Volker Caysa (Leipzig) Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Leipzig, 24.9., 20 Uhr Film: globaLE „Verboten, Verfolgt, Vergessen – Kalter Krieg in Deutschland“. Eine Veranstaltung von globaLE e.V. mit Unterstützung u.a. der RLS Sachsen naTo, Karl-Liebknecht-Straße 46, 04275 Leipzig Leipzig, 29.9., 18 Uhr PHILOSOPHISCHE DIENSTAGSGESELLSCHAFT: Judenfeindschaft - heute und hier. Mit Prof. Dr. Wolfgang Geier, Leipzig Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 27.08.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 01.10.2015.
RLS, Harkortstr. 10, 04107 Leipzig Leipzig, 29.-30.9., Dienstag ab 13 Uhr, Mittwoch ab 9 Uhr Konferenz: 150 Jahre Organisation der Arbeit. Historischpolitische Konferenz***. Mit Michaela Rosenberger (Vorsitzende der Gewerkschaft NGG); Susanne Schötz (TU Dresden); Sven Werner/Werner Wittig (Dresden); Robert Pfützner (Jena); Philipp Kufferath (Berlin); Manfred Bobke (Bonn); Stefan Müller (Bonn); Renate Hürtgen (Berlin); Ad Knotter (Limburg); Reiner Tosstorff (Mainz); Rainer Fattmann (Bonn); Stefan Berger (Bochum); Iris Kloppich (Vorsitzende des DGB-Bezirks Sachsen); Willy Buschak (Dresden) und dem Theater Eumeniden (Leipzig). Veranstaltetet vom DGB Sachsen, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Hans-Böckler-Stiftung, der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt Leipzig (KOWA), der NGG und der RLS Sachsen. Anmeldung unter info@kowa-leipzig.de. Felix-Klein-Hörsaal, Paulinum (5. Etage), Universität Leipzig, Augustusplatz 10-11, 04109 Leipzig Dresden, 30.9., 19 Uhr Interkulturelle Woche: Die islamische Welt und Europa – so nah und doch so fremd? Mit Dr. Mazin Mosa, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Orientalischen Institut der Uni Leipzig. Eine gemeinsame Veranstaltung des WIR e. V. und der RLS Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden
Ausschreibung für den Wissenschaftspreis 2016 1996 konnte erstmals der Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen vergeben werden. Er gründet sich auf eine Stiftung des d e u t s c h - a m e r i ka n i s c h e n Wirtschaftswissenschaftlers und Publizisten Günter Reimann aus New York.
Den Wissenschaftspreis können vornehmlich junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erhalten, die in ihrer Forschungsarbeit originelle Überlegungen zu gravierenden gesellschaftlichen Problemen entwickeln. Er wird an Personen verliehen, die sich selbst bewerben, von Dritten oder vom wissenschaftlichen Beirat vorgeschlagen werden. Bewerbungsende für den Wissenschaftspreis 2016 ist der 15. Oktober 2015.
Chemnitz, 30.9., 19 Uhr Buchvorstellung und Diskussion: Nikolai Bucharin. Stalins tragischer Begleiter. Mit Wladislaw Hedeler, Historiker (Berlin). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit dem Rothaus e. V. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz
Für eine Bewerbung senden Sie bitte ein gedrucktes und digitalisiertes Exemplar der Bewerbungsarbeit und eine Kurzbiografie der vorgeschlagenen Person an die Geschäftsstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Es können Studierende, Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler aller Fachrichtungen vorgeschlagen werden oder sich selbst bewerben.
*** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V.
Bewerbungen an info@rosalux-sachsen.de und RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
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Rezensionen
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09/2015 Links!
„Aus den Ruinen des Empires“ von Pankaj Mishra Manche mögen ihn vorletztes Jahr in Leipzig oder dieses Jahr in Dresden gehört haben, Pankaj Mishra, den Inder, der uns die asiatische Sicht auf den Westen erklärt. Wobei man vorsichtig sein muss, schon weil man als Europäer beim Wort „Asien“ nicht zwingend an Indien denkt, sondern eher an China, Japan, die beiden Koreas. Ist es also eine eher indische Sicht – und selbst die ist bei einem Milliardenvolk wohl kaum zu entdecken –, oder doch eher eine persönliche Sicht des Autors? Wie dem auch sei: Wir sind hier daran gewöhnt uns die Welt von Menschen wie SchollLatour, Jürgen Todenhöfer oder unseren Auslandskorrespondenten erklären zu lassen – die oft sehr wenig von der Welt wissen, über die sie berichten. Wenn man weiß, dass in Nairobi lange Zeit eine dpaKorrespondentin saß und über 25 Länder Afrikas berichtete, von denen sie wenigstens zehn noch nie gesehen hatte und allenfalls sieben wirklich gut kannte, dann ahnt man, dass unsere mediale Abfütterung mit „Informationen“ in den seltensten Fällen zu echtem Wissen führen. Das ist bei Pankaj Mishra anders. Er nimmt sich die Geschichte von drei zwischen Indonesien und Tunesien bekannten Männern vor (der Asienbegriff ist bei ihm durchaus großzügig ausgelegt), von denen wir „Euros“ bestenfalls einen einigermaßen kennen: den
großen Rabindranath Tagore, doch die anderen zwei, al-Din al-Afghani und Liang Quichao sagen den Nicht-Orientalisten bzw. -Sinologen eher gar nichts. Wir lernen also Unbekannte kennen, die ihrerseits großen Einfluss auf die Gedankenwelt von Mao oder Ho-ChiMinh hatten, die uns als junge engagierte Männer begegnen. Schließlich kommt auch noch Lenin ins Spiel. Was wir heute in Notlagern oder Flüchtlingsheimen erleben, hat viel mit den fatalen Folgen des Kolonialismus zu tun – und Mishra erzählt uns, wie geschickt schon die Briten waren, wenn es darum ging, in ihrem Empire die Völker auszubeuten, indem man sie gegeneinander ausspielte. Das treibt auch Mishra um, wenn er davon berichtet, wie indische Sikhs in China gegen Aufständische eingesetzt wurden. Auch, wie Familien in Indien am Opiumhandel verdienten, den die Briten aufzogen, um die Chinesen gefügig zu machen – diese Geschichten ziehen sich hinein bis in die Familie des Rabindranath Tagore. Panasianismus, Panislamismus, Panarabismus bis hin zum Panturkismus und Japans Traum vom Großasien mit Tokyo als Zentrum – beim Lesen wird der Europäer, der in diesem Buch nur einen kleinen Einblick in die ihm fremden Gedankenwelten erhält, immer stärker entsetzt sein über seine eigene Unwissenheit. Die Sicht des Anderen einzuneh-
men, des Japaners, des Afghanen, des Chinesen, des Inders – das alles muss zwangsläufig scheitern, wenn wir überhaupt nichts über das wissen, was die Menschen dort umtreibt. Wenn wir nicht wissen, was für ein Hoffnungsträger der US-Präsident Woodrow Wilson
Ägypter und Inder tief diskreditiert. Die Kolonialpolitik hat die Gesellschaften gespalten, und wenn heute Afghanen oder Iraker zum Beispiel nach Europa flüchten – sind das dann nicht zu einem guten Teil Personen, die „als Kollaborateure des Westens“ um ihr Leben fürchten
Dankesrede zur Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung 2014. Bild: Amrei-Marie / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
war, den einmal in China selbst einfache Leute zitieren konnten, als er bei der Friedenskonferenz von Paris nach dem Ersten Weltkrieg den Völkern das Selbstbestimmungsrecht zusprach. Die westlichen Versprechungen und die vollkommen andere Außenpolitik haben „uns Westler“ in den Augen der Afghanen, Japaner, Chinesen,
müssen, weil sie möglicherweise ihre eigenen Leute bei unseren amerikanischen Freunden via Bundeswehr vielleicht ans Messer geliefert haben? Pankaj Mishra ist kein Linker, eher ein liberaler Intellektueller, der das Scheitern des Westens im Raum von Indonesien bis Tunesien beobachtet und uns historische Hintergründe liefert, die die Menschen heu-
te noch beeinflussen. Mishras Lektüre trägt sehr zur Ernüchterung bei, die uns westliche Propaganda klarer erkennen lässt, als das, was sie ist. Die USA werfen immer noch weltweit Bomben und starten Todesdrohnen, während wir in der EU anscheinend nichts Besseres zu tun haben als ihnen bei ihren Verbrechen zu helfen. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen aus dem Westen in anderen Kulturkreisen Probleme bekommen – und es spielt keine Rolle, ob sie als Urlauber, Soldat oder Mitarbeiter eines Konzerns oder einer NGO unterwegs sind. Das Gesicht von Ausbeutung und Unterdrückung hat sich lediglich gewandelt, das Problem aber ist bis heute geblieben – wir leben auf Kosten der Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner. Afrikaner und Asiaten wissen wesentlich mehr über uns als wir über sie, und politische Bildung muss das endlich ändern. Einen optimistischen Ausblick hat man am Ende der Lektüre auf jeden Fall – scheitert der Euro, mag der Westen scheitern – für die Welt in toto muss das noch lange nicht schlecht sein. Ralf Richter „Aus den Ruinen des Empires – Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ ist für 4,50 Euro bei der Bundeszentrale für Politische Bildung zu beziehen – zuzüglich Versandkosten.
Über einen „unverstümmelten, lebendigen Marxismus“ Gemäß eines alten Bonmots gibt es den Zustand, dass eine Person zwar berühmt, aber keineswegs bekannt ist. Gelegentlich erstrahlt ein Name, doch nur für einen ausgewählten Kreis, eine Minderheit, das Fachpublikum. Der breiten Masse sagt der Name nichts, er ist ihr unbekannt. Der 1995 verstorbene Gesellschaftstheoretiker und Sozialphilosoph Leo Kofler gehört zweifellos zu dieser Kategorie. Keine seiner Schriften findet sich gegenwärtig im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“. Und mit der Sekundärliteratur ist es kaum besser gestellt. Gelegentlich erscheint ein durchaus lesenswerter Band, aber selbst Christoph Jünkes ebenso grundlegende wie monumentale Biografie über das „sozialistische Strandgut“ Leo Kofler ist gegenwärtig nicht greifbar. Christoph Jünke, Motor der LeoKofler-Gesellschaft, ist es, der unermüdlich versucht, diesen Klassiker linkssozialistischer Theoriebildung vor dem Verges-
sen zu bewahren. Zwar hat er dafür den Wissenschaftspreis der sächsischen Rosa Luxemburg-Stiftung erhalten, doch bewahrt es ihn selbstverständlich nicht vor Anfeindungen. Die bisher dreistete und – auch juristisch – langwierigste entstammte einem Kreis linker Renegaten um Stefan Dornuf, der mit dem Sammelband „Nation – Klasse – Kultur“ versuchte, Kofler von rechts zu vereinnahmen. Das im Wiener Karolinger-Verlag, einem Publikationsort der „Neuen“ Rechten, veröffentlichte Buch war nicht autorisiert und strotzte nur so von haltlosen Vorwürfen gegen die Leo-Kofler-Gesellschaft und Jünke persönlich. An entlegenem Ort, den von ihm herausgegebenen „Dialektischen Untersuchungen“, schildert Dornuf die Phalanx all jener, die angeblich Kofler missbrauchen und fälschen. Die Reihe reicht von der „Jungen Welt“ über die Georg-Lukács-Gesellschaft bis zur Volkshochschule Köln. Dass Dornuf es dabei mit der Wahr-
heit nicht sonderlich genau nimmt, wird am Beispiel meiner eigenen Person deutlich. In der Reihe seiner Gegner tauche ich auf als „Dr. Volkmar Wölk (Partei ‚Die Linke‘) vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung“. Bis auf die Schreibweise des Namens und die Parteimitgliedschaft stimmt nichts davon. Weder besitze ich einen Doktortitel, noch kann ich für das renommierte DISS sprechen. So ist es nachvollziehbar, wenn diese hochpolitische und keineswegs nur akademische Auseinandersetzung in Jünkes jüngsten Band über Kofler eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. Das in der „Theorie“Reihe des Laika-Verlages erschienene Buch „Leo Koflers Philosophie der Praxis“ trägt den Untertitel „Eine Einführung“, geht aber eben nicht nur auf den „Marxismus als Theorie in praktischer Absicht“ des untersuchten Autors ein, sondern eben auch auf die Rezeption seines Werkes. Ein weiteres Ka-
pitel ist deshalb der Rezeption Koflers durch das eher orthodoxe Marxismus-Verständnis von Hans Heinz Holz und Werner Seppmann gewidmet. Jünke bezeichnet Kofler als „Grenzgänger des 20. Jahrhunderts“ und macht dabei mehrere Grenzgänge aus: Zunächst den vom Judentum zur Arbeiterbewegung, dann den vom Sozialdemokraten zum Linkssozialisten, drittens den von der Theorie zur Praxis, den doppelten von West nach Ost und danach in umgekehrter Richtung, nicht zuletzt den von der ersten zur zweiten Generation der Neuen Linken. Manchmal muss man sich eben ständig verändern, wenn man sich selbst treu bleiben will. Massenkompatibel machte ihn all dies nicht. Das war auch nicht die Absicht. Wenn er ausgerechnet zur Zeit der Studierendenrevolte 1968 und danach als Kritiker der Frankfurter Schule auftrat, sich den aufkommenden linken theoretischen Modeströmungen verweigerte, musste
dies notgedrungen zu dem von Jünke vorgetragenen Fazit führen: „Kofler blieb also ein Einzelgänger, ein Sonderling und wirkte nicht schulenbildend“. Es ist das Verdienst der vorliegenden Einführung, dass Jünke mit ihr trotzdem Lust auf die Lektüre Koflers im Original und die Auseinandersetzung mit seinen Schriften weckt. An dieser Stelle sei nur auf die fundierte Stalinismus-Kritik hingewiesen. Bekanntermaßen werden die großen theoretischen Leistungen in der Regel nicht von und durch die Großorganisationen erarbeitet; sie kommen eher von deren Rändern, in Auseinandersetzung mit der gerade gültigen „Massenlinie“. Kein Zweifel: diese ist auch heute unverzichtbar. Helfen kann dabei ein gründlicher Blick in Koflers Werk. Volkmar Wölk Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung. Hamburg: Laika, 2015, 225 S., 18.90€
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Musikalischer Rebell und Anarchist
Geprägt vom Folk-Revival der frühen Sechziger begann Walter Mossmann schon sehr früh, eigene Songs zu schreiben. Und weil der damals zweiundzwanzigjährige Barde sich oft im benachbarten Frankreich herumtrieb, lag es nahe, sich mit den Liedern dieser Region zu befassen. Besonders die Chansons von Boris Vian, Yves Montand und ganz besonders George Brassens hatten ihn buchstäblich infiziert. Seine ersten Auftritte absolvierte er spontan in Kneipen und kleineren Clubs, bis es ihn 1965 auf die „Liedermacherhochburg“ Waldeck im Hunsrück verschlug. Dort stieß er auf eine hoch motivierte, diskussionsfreudige Interessengemeinschaft, die ihn ermutigte, sich alsbald gänzlich der Liedermacherei zu widmen. Bereits ein Jahr später, beim 3. Festival „Chanson, Folklore International“, wurde er als „Geheimtipp“ angekündigt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreib ein Journalist: „Die Entdeckung dieses Festivals ist Walter Mossmann“. Auch folgten Lobeshymnen in anderen Medien, die ihn neben Dieter Süverkrüp, Wolf Biermann und Franz-Josef Degenhardt als einen der wichtigsten
Vertreter der deutschen Liedermacherszene bezeichneten. Ein erster Plattenvertrag kam ebenso zustande wie das Angebot für einen Auftritt zum 2. Folkfestival im italienischen Turin, wo er das linksorientierte Ensemble „Nuovo Canzioniere Italiano“ sowie den schottischen Folksänger Ewan MacColl kennenlernte. Letzterer bewies anhand seiner bearbeiteten Volkslieder, dass man den Staub von „Es war einmal“ wegblasen kann, indem man sie in schlichter Vortragsart interpretiert und, falls nötig, mit aktuellen politischen Themen verbindet. 1967 erschien Mossmanns erstes Album, „Achterbahnfahrt“, das sich noch in klassischer Liedermachertradition präsentierte. Es beinhaltet kleine Alltagsepisoden der Nachkriegs-BRD, vielschichtig, transparent, gesellschaftskritisch und überzeugend vorgetragen. Das „Schlaflied für Susanna“ sollte sich später als „Lagerfeuerhymne“ etablieren. Seit Anfang der siebziger Jahre befasste er sich stärker mit politisch brisanten Themen, nicht nur als Sänger, sondern auch als provozierender Akteur bei wichtigen Aktivitäten, z. B. 1973 in der französischen Provence, wo sich Bauern, Tierzüchter, Pazi-
fisten und Umweltaktivisten zusammentaten, um den Bau eines militärischen Testgeländes zu verhindern. 1974 war er Mitbegründer der Freiburger Initiativgruppe „KKW Nein!“ und bei der Protestaktion gegen das Atomkraftwerk Whyl am Kaiserstuhl dabei. In dieser Zeit verfasste er eines der ersten seiner später so legendären „Flugblattlieder“, den „KKW-Nein-Rag“. Im selben Jahr, nach einer Platzbesetzung in Marckolsheim, entstand der vierzehnstrophige Protestsong „Die andre Wacht am Rhein“ („Auf welcher Seite stehst Du, he, hier wird ein Platz besetzt, hier schützen wir uns vor dem Dreck, nicht morgen, sondern jetzt!“). 1975 erschienen die LP „Flugblattlieder“ und 1977 „Neue Flugblattlieder“ bei „Trikont“. Bis weit in die Achtziger hinein engagierte er bereits bundesweit unter dem Motto „Widerstand auf allen Ebenen“. Im Oktober 1979 hielt er in Bonn vor 150.000 Demonstranten eine Rede: „Entweder wir bringend das ganze Atomprogramm zu Fall, oder wir laufen dem Atomtod in die Falle“. Es war aber nicht nur die Atommafia, gegen die er sang und agierte. Auch Themen wie die Frauenbewegung, die Auseinan-
dersetzung um Abtreibungsgesetze, Gedankenfreiheit, Berufsverbote in den Achtzigern und andere politische Ungereimtheiten hat er in seinen Texten meisterhaft verarbeitet. Am 18. Februar 1982 verlieh man ihm im Mainzer Unterhaus den Deutschen Kleinkunstpreis. Zur Begründung hieß es von der Jury: Er erhalte die Auszeichnung, „weil er sich kompromisslos und überzeugend mit politischen Liedern in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einmischt“. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet, doch das „Lied für meine radikalen Freunde“, das von mutigen Menschen erzählt, die aufgrund ihrer humanitären Handlungsweisen von der Justiz radikalisiert wurden, kam nicht durch die Zensur. So wurden auch folgende Verse nicht ausgestrahlt: „Ich hab euch dieses Lied erzählt / weil sowas leicht auf’n Abfall fällt / was da so klein scheint und normal / das ist radikal“. Der Titel erschien auf Mossmanns LP „Frühlingsanfang“, die 1979 ebenfalls bei Trikont herauskam und als sein Meisterwerk bezeichnet wird. Nach einem Solidaritätskonzert 1980 für Rudi Dutschkes Familie, an dem auch Hanns-Die-
ter Hüsch, Wolf Biermann und Dieter Hildebrandt mitwirkten, schrieb Joe Bauer in den Stuttgarter Nachrichten: „Mossmann – für mich der beste Handwerker seines Genres. Man hört ihn selten, Rundfunk und Fernsehen lassen ihn einfach weg. […] Und Mossmann wurde als Schlusssänger von Tausenden gefeiert. […] Er macht in seinen Liedern das, was man im Journalismus Reportagen nennt“. In den Achtzigern begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Avantgardekomponisten Heiner Goebbels. Sie kreierten die Toncollage „Unruhiges Requiem“, das die Ermordnung eines Freundes durch US-amerikanische Söldner 1983 in Nicaragua thematisiert. Seit Mitte der 1990er blieb ihm das Singen allerdings versagt, weil der Kehlkopfkrebs ihn seiner Stimme beraubte. 2004 erhielt Walter Mossmann den Weltmusikpreis „Ehren-RUTH“, der ihm im Rahmen des TFF in Rudolstadt überreicht wurde. Bis zu seinem Tod am 29. Mai 2015 blieb er ein musikalischer sowie politischer Rebell, der nicht nur als Liedermacher von sich reden machte, sondern auch Filme produzierte und Bücher schrieb. Jens-Paul Wollenberg
Sommeruni der europäischen Linken in Böhmen Litomerice ist eine kleine Stadt mit vielen Türmen an der Elbe zwischen Prag und Dresden. Ca. 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren in diesem Jahr aus 14 Ländern zur diesjährigen Europäischen Linken Sommeruni in der böhmischen Kleinstadt angereist. Als Hauptorganisatoren der fünftägigen Veranstaltung vom 8. bis 12. Juli fungierte neben der EL (Europäische Linke) das europäische Netzwerk für alternatives Denken und politischen Dialog transform! in Wien. Letzteres hatte ein Papier ausgelegt „Transformation of the Czech Repbulic“. Während die tschechische Transformationsgeschichte in Europa als Erfolg gesehen wird – das Land hat eine hohe Produktivität, eine niedrige Arbeitslosenquote, kaum Inflation und Auslandsschulden – gibt es doch starke regionale Unterschiede, wie Ilona Svihlikova, Autorin des Transformationspapiers und Ökonomieprofessorin, in einem Vortrag gemeinsam mit Politikern der Region Usti darlegte. Die Region Usti, zu der Litomerice gehört, war bis zum Beginn der 90er Jahre geprägt von starker Kohleförderung. Inzwischen sind viele Betriebe geschlossen, und die Arbeitslosigkeit ist mit zehn Prozent für tschechische Verhältnisse hoch. Das führte da-
zu, dass im Kreis Usti mit seinen 800.000 Einwohnern seit 2012 die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens stärkste politische Kraft wurde. Damit ist der Kreis Usti die einzige der 15 Regionen Tschechiens, die eine Rot-Rote-Regierung hat – doch die Probleme sind groß. Fast alle Unternehmensneugründungen (Startups) in der Region befinden sich in ausländischer Hand und schaffen zu wenige Jobs. Internationale Themen, die auf der Sommeruni besprochen wurden, waren die Erfolge der Rechten (insbesondere in Ungarn), die Situation in Griechenland und Venezuela bis hin zu Militarisierung, Klimawandel und Migration, wobei das Niveau der Veranstaltungen als durchwachsen bezeichnet werden kann. „Ich habe wenig Neues gehört“, war eines der oft gehörten Fazits. So spiegelt auch der zum Abschluss verabschiedete wachsweiche „Appell aus Litomerice“ die Uneinigkeit der zersplitterten europäischen Linken wieder – weder zum Grexit, dem Euro noch zur Migration gibt es einheitliche Positionen. So blieb letztlich nur die Pauschalkritik am Neoliberalismus, der verantwortlich sei für die aktuellen Krisen von der Ukraine bis Griechenland. Wichtiger als die Sommeruniveranstaltungen mit dem recht
geringen Niveau (nur zwei Professoren hielten Vorträge – beim Thema Migration gab es überhaupt keinen sachlich-wissenschaftlichen Input) waren für die meisten dann am Ende die persönlichen Kontakte. Wie weit der Weg ist zu echten internationalen Kooperationen bei so viel linker nationaler Zersplit-
terung, machte gegen Ende der Sommeruni ausgerechnet ein Brandenburger deutlich: Peter Schömmel berichtete von den Bemühungen seit 20 Jahren, ein regionales linkes Netzwerk von unten aufzubauen, dass sich von Brandenburg über Sachsen nach Böhmen und Polen erstreckt. Doch selbst die partei-
nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung hat bislang das aus den Kreisverbänden der PDS in Brandenburg hervorgegangene Netzwerk nicht anerkannt: „Wir werden als Einzelvertreter, aber niemals als Netzwerk zu Veranstaltungen eingeladen“. Warum das so ist, ahnt man, wenn man die Aussage es tschechischen Partners und Sprechers des regionalen Netzwerkes Jaromir Kohlicek hörte: Er erklärte, dass er zur Veranstaltung fast zu spät gekommen sei, weil er zuvor noch ein Ehemaligentreffen der tschechischen Grenzsoldaten besucht habe … Auch wenn die rls das internationale Netzwerk weiterhin nicht anerkennen wird: Bei der Vorstellung erhob sich ein Vertreter der Ungarischen Arbeiterpartei, erzählte von den Verbindungen zwischen ungarischen und slowakischen Linken und bekundete sein Interesse, künftig mit dem deutsch-tschechisch-polnischen Netzwerk zu kooperieren. Im Herbst soll es ein Treffen linker Bürgermeister in Prag geben. Leider, so Peter Schömmel vom Ständigen Forum der Europäischen Linken, ist die Mehrzahl der linken Bürgermeister in Deutschland an einem internationalen Austausch bis jetzt nicht interessiert. Ralf Richter
09/2015 Sachsens Linke!
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September 2015
Wir begleiten weiter die Strategiedebatte – doch längst nicht nur das: Der soziale Wohnungsbau und Missstände beim Versandgroßhändler Amazon sind nur zwei der weiteren wichtigen Themen.
Sachsens Linke
Cornelia Ernst zeichnet ein zu Recht düsteres
Bild vom Zustand der europäischen Integration, während Katja Kipping Beeindruckendes zum Bildungs- und Teilhabepaket der Bundes-
regierung präsentiert. Auch das Linksjugendleben spielt eine Rolle, und leider auch das Thema Parteifinanzen.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d
Gemeinsame Antwort finden
Ein W für „Willkommen“ Gerd Eiltzer ist ein umtriebiger Chronist des Zeitgeschehens. Wo auch immer etwas in Leipzig geschieht, er ist dabei. Mit seiner Kamera dokumentiert der 59-Jährige Demonstrationen, Veranstaltungen, Feste, aber auch Kurioses, Absurdes, Schönes. Leipzig kennt Gerd inzwischen vor allem durch den Sucher seiner Kamera. Und in Leipzig kennt man ihn. Im August – die Negativschlagzeilen über Anschläge auf und Demonstrationen gegen Asylunterkünfte näherten sich ihrem traurigen Höhepunkt – packte es Gerd wieder einmal. Es treibt ihn um. Auf Facebook schrieb er: „Es gibt gegenwärtig 194 Länder auf der Erde. In 193 Ländern bin ich Ausländer“. Und weiter: „Bin ich nun auch Ausländer? Ich bin einfach ein Mensch, wie viele andere Menschen, egal woher sie kommen“. Auf Facebook hatte er auch von einer Aktion im Bistum Essen gelesen: Menschen sollten Bilder von sich schicken, die Finger vor sich zum W geformt. Ein symbolisches Willkommen für die Geflüchteten, die zu uns kommen. Ein kleines Zeichen des anderen Teils dieser Ge-
sellschaft, der fassungslos und wütend auf die Übergriffe auf Asylsuchende schaut. Gerd fackelte nicht lange. Die Kamera ist sein Instrument, mit ihr wollte er seinen kleinen Beitrag leisten für anderes Bild von Leipzig, von Sachsen. Er ging los und fragte die Menschen, ob sie sich vorstellen könnten, für ihn zu posieren. Einhundert wollte er im August fotografieren, das war sein Ziel. Und die Menschen? Sie wollten posieren. Er fotografierte auf der Straße, vor der Spendensammelstelle der Johanniter, auch in den Stadtratsfraktionen in Leipzig. Ganz normale BürgerInnen, bekannte Persönlichkeiten, PolitikerInnen: Fast jeder, den er traf, machte spontan mit. Ein symbolisches W, ein Zeichen des Willkommens. Auch in den sozialen Netzwerken warb er für seine Idee, und so erhielt er bald aus allen Ecken der Republik Fotos zugeschickt, auf denen Menschen den immer gleichen Buchstaben mit ihren Fingern formten. Auf der Straße grüßt man ihn inzwischen mit dem W, das Zeichen verbreitet sich. „Das W spricht sich rum!“, meint Gerd.
„Selbst in einer Sitzblockade bei No-Legida-Protesten wurde mir das W gezeigt“. Über 400 Bilder hat er inzwischen beisammen. Und es werden immer mehr. Gerd Eiltzers Aktion ist eine symbolische, eine, die dokumentiert, dass es auch ein anderes Sachsen gibt. Über viele Monate ist nun in der Medienlandschaft – auch in dieser Zeitung – von der hässlichen Seite der sächsischen Gesellschaft zu lesen gewesen. Doch gerade auch unsere GenossInnen sind es – mit vielen anderen Menschen im Freistaat –, die das andere Gesicht Sachsens zeigen: Das Freundliche. Das, das willkommen heißt. Das selbstlos hilft, wenn die Not groß ist. Unsere GenossInnen engagieren sich vielfach vor Ort. In Willkommensinitiativen sind sie fester Bestandteil. Sie organisieren Feste für Geflüchtete, sammeln Spenden. Sie stehen mit Rat und Tat beiseite. Und sie sind es auch, die Gesicht und Widerstand zeigen, wenn die hässliche Fratze wieder auf den Straßen aufblitzt. Ganz ohne Anleitung, von selbst, aus der sozialistischen Tradi-
tion und aus tiefster Überzeugung heraus gehen sie dahin, wo es brennt. Manchmal leider im wahrsten Sinne des Wortes. Und sie gehen dabei an die Grenzen des Menschenmöglichen. Es ist – nach der Berichterstattung über die negativen Seiten des Freistaates – auch an der Zeit, genau diesen GenossInnen „Danke“ zu sagen. Ihr macht den Unterschied. Und das ist es, wofür DIE LINKE stehen sollte. Wir dürfen nicht nachlassen: Wir müssen weiter präsent sein. Auch ohne Anweisungen „von oben“. Die letzten Monate haben eindrucksvoll gezeigt, dass das in der LINKEN in Sachsen möglich ist. Aufrichtigsten Dank dafür. Gerd Eiltzers W-Aktion geht übrigens weiter. Als nächstes hat er sich zum Ziel gesetzt, ein Plakat aus den Fotos zu gestalten. Dafür sammelt er weitere Bilder aus allen Teilen Sachsens. Wenn ihr mitmachen wollt, schickt ihm doch einfach ein Foto von euch – am Besten im Querformat an unsere Mailadresse presse@dielinkesachsen.de. Wir geben es an Gerd weiter. Thomas Dudzak
Ein Jahr ist seit der letzten Landtagswahl vergangen. Ein Jahr? Nur ein Jahr? Ja, tatsächlich. Es mutet anders an: Die Zeiten haben sich geändert. Die Wirklichkeit, die wir im August 2014 vorfanden, erscheint als entfernte Vergangenheit. Seit einem Jahr beschäftigen uns ganz andere Fragen: Flucht, Asyl, Rassismus, erstarkender Rechtspopulismus, Menschenhass. Bald wird der 12. Landesparteitag zusammentreten und über unsere Strategie für die kommenden Jahre beraten. Das ist gut. Der Freistaat, wie wir ihn bis vor kurzem noch kannten, existiert nicht mehr. Die schöne heile Welt der CDU ist kollabiert. Nicht nur rassistische Übergriffe und Fremdenhass sind Grund dafür. Auch die offenkundige Kapitulation des Rechtsstaates vor der Gewalt und dem Hass auf der Straße zeugen davon. Drei Versammlungsverbote hat der Freistaat in den letzten Monaten erlebt. Drei Mal hat man die Ultima Ratio genutzt, weil man strukturell nicht mehr fähig war, der Lage Herr zu werden. Es beruhigt wenig, dass das Bundesverfassungsgericht das letzte Versammlungsverbot für Heidenau kassiert hat. Kann es wieder passieren? Ja. Natürlich. Die drängenden Probleme des Freistaates werden in dieser Zeit offenkundig. Staatliches Versagen ist unbestreitbar. Unsere schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Der Freistaat in seiner Infrastruktur erodiert. Sachsens Demokratie ist schwer krank. Darauf müssen wir nun eine schlagkräftige, gemeinsame Antwort finden. Packen wir es an!
Sachsens Linke! 09/2015
Meinungen
Zu „Revolutionen im Zeugenstand“ (Links! 07-08/2015) Revolutionen können entstehen, wenn politische Systeme instabil werden, nach der klassischen Revolutionstheorie: „Die Beherrschten wollen nicht mehr so weitermachen wie bisher, die Herrschenden können nicht mehr.“ So können schnell Veränderungen erreicht werden, die jahrzehntelang unmöglich schienen. Insofern sind Revolutionen tatsächlich Lokomotiven der Geschichte. Das gegenwärtige System ist relativ stabil, aber zerstörerisch für die menschliche Gesellschaft und die Natur. Es ist also mit einem auf einen Abgrund zurasenden Zug vergleichbar. Insofern können Revolutionen gleichzeitig eine Notbremse sein. Aber die Veränderungen in einem instabilen System sind nicht vorherbestimmt. Sie können auch konterrevolutionär sein oder die Gesellschaft insgesamt zerstören (z. B. Bürgerkriege). Deshalb ist Vorbereitung notwendig, damit im Falle von Instabilitäten die Entwicklungen in eine für die Bevölkerung günstige Richtung gehen und nicht nur neue Herrschende ihre Ziele durchsetzen. Dazu ist es wichtig, einerseits schon gegenwärtig Keimzellen einer nachkapitalistischen Gesellschaft aufzubauen, andererseits uns klar zu werden, in welche Richtung wir gehen wollen, und genügend Personen dafür zu begeistern. Die vom Westen unterstützen Umstürze in den Ländern, die sich dem Westen nicht unterwerfen wollen, zeigen: 1. Die im Westen Herrschenden wissen dies und handeln entsprechend. 2. Wir müssen entsprechend vorbereitet sein, um dem etwas entgegensetzen zu können. 3. Sie können sehr gut oppositionelle Systeme zerstören, ohne demokratische oder wenigstens stabile Systeme aufzubauen. 4. Das Wort Revolution hat in der dortigen Bevölkerung einen so guten Klang, dass sie ihre Umstürze Revolutionen nennt. Uwe Schnabel, Coswig
Aber selbst in den Mainstreammedien wurde betont, dass Herr Steinmeier nur der erste bundesdeutsche Außenminister in Kuba ist, während die DDR sehr gute Beziehungen zu Kuba pflegte. Bei den Menschenrechten könnten auch die massiven Menschenrechtsverletzungen in der und durch die BRD angesprochen werden, nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch im juristischen Bereich (z. B. Gleichbehandlungsgrundsatz, Rückwirkungsverbot), bei der realen Gleichstellung von Frau und Mann, beim Recht auf Leben (z. B. Wirtschaftspolitik, Bundeswehreinsätze, Flüchtlingsbekämpfung) oder bei der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit (z. B. Proteste gegen Nazis und die EZB). Das Beispiel DDR zeigt auch, dass die Öffnung zum Kapitalismus tatsächlich selbst bei besten Absichten mit Gefahren verbunden ist. Deshalb ist sicher ein Erfahrungsaustausch darüber sinnvoll, wie diese Bedrohungen bekämpft werden können und stattdessen ein nichtkapitalistisches Wirtschafts- und politisches System gemeinsam errichtet werden kann (z. B. Kombination aus ALBA und entsprechenden Initiativen bei uns). Rita Kring, Dresden
Zu „Links wirkt: Steinmeier in Kuba“ (Links! 07-08/2015) Ich kann verstehen, dass Michael Leutert sehr zufrieden ist, wenn seine Aktivitäten die von ihm gewünschten Folgen haben.
Wie weiter? (Dietmar Bartsch: „Wir sind regierungsfähig ...“) Schon wieder eine substanzlose Spitzenmeldung im Sommerloch. Hat die LINKE nichts weiter zu tun, als sich der SPD und den Grünen an den Hals zu werfen? Auf die wiederholte Anbiederung kam bisher, wenn überhaupt, nur ein schwach verständliches Echo. Nur wenn es sein muss und dann mit dem Diktat, die DDR war ein Unrechtsstaat. Dass es für RotRosa-Grün bundesweit keine Mehrheit gibt, wird selbst von Dietmar Bartsch im Beitrag eingeräumt. Aber ganz ernsthaft, was will eine LINKE als Juniorpartner im einem Regierungsbündnis? Ein bisschen die Verhältnisse verbessern, ohne substanziell die soziale Lage für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ändern zu können. Dies will der politische Gegner auch und der, das glaubt die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler, kann
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Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.
Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,
Seite 2 das ganz gut. Denn er besitzt die dafür notwendigen politischen, ökonomischen und auch personellen Ressourcen. Wir erleben doch gerade Lehrstunden in Sachen einer linken Regierung, in Griechenland. Das internationale Finanzkapital diktiert SYRITZA die Bedingungen, was nach und nach zur Aufgabe linker Wahlversprechen führt. Am Ende stehen eine unglaubwürdige linke Regierung und Partei. Dies ist leider beredter Ausdruck dafür, dass die Linke weder einen theoretischen noch praktischen Vorlauf für eine ehrliche und glaubhafte Politik in Regierungsverantwortung hat. Die bisherigen Beteiligungen auf Landesebene beweisen dies, von Thüringen abgesehen, doch überdeutlich. Die Stimmen- und Mitgliederverluste sind unübersehbar. Es reduziert sich bisher auf: Man will. Und dann? Die LINKE-Fraktion im Bundestag war sich hinsichtlich der Sparpakete für Griechenland uneins und hat sich damit öffentlich vorgeführt. So entsteht kein Vertrauen, auch nicht in den eigenen Reihen. Die Ablehnung der Sparmaßnahmen durch die Griechen mit über 60 Prozent haben einen Freudentaumel ausgelöst, ansonsten die Gläubiger nur darin bestärkt, die Daumenschrauben richtig fest anzuziehen. Die Euphorie ist verflogen, eigene Leute hat man geschasst und den erpressten Spar- sowie Privatisierungsmaßnahmen mit Hilfe der Opposition zugestimmt. Ist das linke Politik? Es ist Ausdruck der Plan- und Hilflosigkeit, auch wenn Tsipras und seine Mitstreiter das Beste gewollt haben. Was nun, und welche Lehren zieht DIE LINKE in der Bundesrepublik daraus? Wir sind regierungsfähig ... Raimon Brete, Chemnitz
men kann oder ob er nicht barrierefrei ist. Wirkliche Auskunft darüber, was wie funktioniert, erhalte ich erst, wenn ich „betroffen“ bin – was nicht heißen soll, dass man beispielsweise blind sein muss oder Ausländer, um sagen zu können, was notwendig ist. Mensch kann die Betroffenen ins Boot holen, ernstnehmen und fragen, was wie geht. Dazu muss ich sie sehen und wahrnehmen, ihnen zuhören und darauf eingehen, indem es beispielsweise barrierefreie Wahlkreisbüros und Veranstaltungsräume, Papiere in leichter Sprache etc. gibt, die auch ausländische Mitmenschen eher verstehen. Oder auch Gebärdensprachdolmetscher bei Veranstaltungen und Infos in Brailleschrift und Audiomitschnitte von Ideen, Konzepten und Veranstaltungen. Auf diese Weise könnten sich alle mit unseren linken Ideen auseinandersetzen. Die „Symptomträger“ zeigen uns, welche Richtung in der Gesellschaft gerade eingeschlagen wird. Sie halten uns den Spiegel vor. Hier kann ich Antje Feiks und Thomas Dudzak in ihren Ausführungen zur Strategiedebatte zustimmen, nämlich immer öfter dorthin zu gehen, wo es wehtut. Ja, dies ist nicht selten unbequem. Häufig hört man dann das berühmte „Ja, aber ...“. Doch vielleicht hilft die Frage: Was bringt uns weiter – der lieb gewordene Pfad, der schon immer begangen wurde und schon deshalb gut ist, oder ...? Wir als LAG sagen: Nein, es braucht neue Pfade, und wir wünschen uns eine Partei, die den Mut hat, diese mit uns gemeinsam zu beschreiten. Susann Schöniger, LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik
„Alles Bedeutende ist unbequem“ (Goethe) An den Randgruppen der Gesellschaft merke ich erst, wie eine Gesellschaft tickt. Sie sind die „Symptomträger“ eines Systems. Ich weiß nicht, welches pädagogische Konzept eine Kita oder Schule wirklich realisiert. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, Bittsteller bei ARGE oder jobcenter zu sein. Ich weiß nicht, wie es ist, als Ausländer in Pegidazeiten in Sachsen, insbesondere Dresden, zu leben. Ich weiß nicht, wie es ist, ständig überlegen zu müssen, ob ich als Rollstuhlfahrer den Zug neh-
Schwarze Nacht für Europa Es ist gerade ein halbes Jahr her, dass die neue griechische Regierung zwei ehrgeizigen Versprechen gestartet ist. Das in schwere Fahrwasser geratene Land sollte in der Eurozone gehalten werden und, in der Durchsetzung noch ungleich schwerer, das Diktat der „Troika“, ihre Austeritätspolitik und die daraus resultierende Verelendung der Bevölkerung sowie der Niedergang der Wirtschaft, sollten endlich ein Ende finden. Für diese Herkulesaufgabe brauchte sie Unterstützung aus anderen europäischen Regierungen und durch eine breite europäische Solidaritätsbewegung. Beides ist nicht aus-
reichend zustande gekommen. Die griechische Regierung ist gegenwärtig der einzige machtpolitische Aktivposten der Europäischen Linken. Ich begrüße sehr, dass es ihr zumindest gelungen ist, die deutschen Pläne für ein Grexit zu durchkreuzen und sich begrenzte Chancen für politische Korrekturen zu erhalten. Dazu zähle ich den vom IWF geforderten Schuldenerlass, die zwischen IWF, der deutschen und der griechischen Regierung strittige Ausgestaltung eines Treuhandfonds zur Privatisierung griechischen Staatsvermögens sowie die von der EU-Kommission unterstützte Möglichkeit, reale Mittel für Investitionen in die Wirtschaft zu erhalten. Gemeinsam mit sechs weiteren Mitgliedern meiner Fraktion habe ich bei der Sondersitzung im Bundestag am 19. Juli zum sogenannten dritten „Hilfspaket“ für Griechenland nicht gemeinsam mit meiner Fraktion mit Nein gestimmt, sondern mit Enthaltung. Dem Antrag der Bundesregierung konnte ich nicht zustimmen, weil er das Ergebnis einer Erpressung der griechischen Regierung ist, der man mit einem Grexit gedroht hat, der für das griechische Volk ein Desaster gewesen wäre. Diese Nacht im Juli in Brüssel war eine schwarze Nacht für Europa, an die wir noch lange denken werden. Die Argumente meiner Fraktion und anderer für ein Nein verstehe ich sehr gut, konnte ihnen aber an diesem Tag nicht folgen, weil die Regierung Tsipras und eine klare Mehrheit im griechischen Parlament den entsprechenden Antrag dafür gestellt haben, eben weil dem Land sonst eine humanitäre Katastrophe droht. Dass sie dazu faktisch gezwungen waren, gibt Zeugnis von der Schwäche der Linken in Europa und auch in Deutschland. Zudem möchte ich nicht mit jenen aus der CDU/CSU zusammen abstimmen, die einen Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone in Kauf nehmen oder ihn sogar anstreben. Ich wünsche mir, anders als so manche Nein-Sager in der Union und in der Bundesregierung, dass die Regierung Tsipras nicht scheitert, sondern eine Chance erhält, mit der Politik ihrer Vorgänger radikal zu brechen. Dieser Weg wird schwer und steinig. Aber ich möchte, dass sie ihn gehen kann. Stefan Liebich, MdB
Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
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Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 01.10.2015.
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Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.
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Sachsen schafft den sozialen Wohnungsbau ab Es sind alarmierende Zahlen: Binnen nur eines Jahres ist der Bestand der Sozialwohnungen in Sachsen fast auf ein Sechstel geschrumpft. Von über 42.000 Wohnungen im Jahr 2012 sind ein Jahr später gerade einmal 7.000 übrig geblieben. Ein Kahlschlag auf dem sozialen Wohnungsmarkt! Damit liegt Sachsen im Bundestrend. Fast überall gehen die Zahlen zurück oder stagnieren. Zwischen 2002 und 2013 sind eine Million Sozialwohnungen verschwunden, zuletzt binnen eines Jahres über 60.000 Wohnungen im Bundesgebiet. Aber in Sachsen trägt man die Rote Laterne im Sozialen Wohnungsbau. Nur in einem Bundesland gibt es einen kräftigen Anstieg: In rot-rot regierten Brandenburg nahm im gleichen Zeitraum die Zahl der Sozialwohnungen von gut 39.000 auf 65.000 Sozialwohnungen zu. Lange Zeit war Wohnen in Sachsen kein Thema. Viele Städte hatten eher mit Leerstand und Wegzug zu kämpfen, in einigen Landstrichen findet sich immer noch mehr Angebot als Nachfrage. Aber die Situation ändert sich, vor allem in den Großstädten und im Speckgürtel um Dresden und Leipzig. Gerade in den großen Städten, die immer attraktiver werden, wird es schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. In Dresden stiegen die Mieten zwischen 2009 und 2014 um 34 Prozent, in Leipzig um 15 Prozent.
Doch auch jenseits der Städte findet man immer schwerer eine bezahlbare Wohnung. In meinem Wahlkreis Bautzen gab es
Vorstellung der Bundesregierung sollen damit Neuvermietungen auf 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete
LINKE hat die zahlreichen Ausnahmen stets kritisiert. Und nicht nur wir. Der Deutsche Mieterbund rechnet damit, dass
in einigen Lagen Mietsteigerungen um die 20 Prozent. Dafür, könnte man meinen, gibt es jetzt ja die Mietpreisbremse der Bundesregierung. Seit dem ersten Juni können die Bundesländer sie einführen. Nach der
deckelt werden. Aber nur wenn eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllt sind. Eine davon ist, dass die Länder die Gebiete ausweisen müssen. So richtig glaubt niemand an die Effektivität des Gesetzes. DIE
maximal zwei bis drei Prozent der Mieterinnen von dem Gesetz betroffen sind. Viele Bundesländer werden das Gesetz wahrscheinlich gar nicht einführen. Im Gegenteil: Bund und Land schieben sich gegen-
seitig die Schuld für die Situation in die Schuhe. So auch Sachsen, das keine Anstalten zur Umsetzung macht. Obwohl, wie auf Bundesebene, hier die CDU mit der SPD regiert, wird die Mietpreisbremse nicht umgesetzt. Trotz der Mietenentwicklung wird wohl kein Bedarf gesehen. Da ist es ein Lichtblick, dass es inzwischen ein Umdenken gibt: In Dresden sammelt eine Initiative Unterschriften für eine städtische Wohnungsgesellschaft, für neue Sozialwohnungen, nachdem die WobaWohnungen vor vielen Jahren komplett verkauft worden waren. Doch am Drücker sind andere: Weder von der CDU-geführten Landes- noch von der Bunderegierung ist etwas im sozialen Wohnungsbau zu erwarten. Dabei weiß man schon lange, dass Bedarf besteht. Das Institut Pestel errechnete vor einiger Zeit, dass im Jahr 2010 allein in Sachsen 342.000 Sozialwohnungen fehlten. Ob die Zahl korrekt ist oder nicht, sei dahingestellt. Der Bedarf jedoch wird enorm sein. Für uns LINKE ist klar, dass Wohnen wieder bezahlbar werden muss. Wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau. Bundesweit müssen mindestens 150.000 Wohnungen jährlich entstehen. Und es bedarf einer echten und flächendeckenden Mietpreisbremse, damit Wohnen bezahlbar bleibt. Caren Lay
muss jeder Beschäftigte viermal am Tag einen Scanner passieren. Dabei werden entwürdigende Vollkontrollen durchgeführt. Auf dem Weg in die Pausenräume muss entlang am Boden gezeichneter Linien gelaufen werden. Für den Weg allein werden 10 Minuten der 20minütigen Pause gebraucht. Während der ganzen Arbeitszeit gibt es kein Tageslicht. Die Klimaanlage funktioniert nur bis zu einer Temperatur von 28 Grad, dann wird die Hitze in den Hallen unerträglich. In Bad Hersfeld erhalten Beschäftigte zum Firmenparkplatz nur Zufahrt, wenn mindestens drei Beschäftigte, durch Fahrgemeinschaften organisiert, im Fahrzeug sitzen. Ansonsten sind sie gezwungen, einen langen Fußmarsch vor und nach der Arbeit zurückzulegen. Seit 2009 gibt es bei Amazon Leipzig einen Betriebsrat. Gegen deren Arbeitsaufnahme ging Amazon gerichtlich vor und hat die Klage verloren. Das Unternehmen wollte stattdessen Arbeitsgruppen, in denen sich die Beschäftigten einzeln aktiv einbringen sollten, und argumentierte, dass sie nicht nur
mit ver.di-Funktionären sprechen wollen. Neuerdings bewertet Amazon nach außen die Betriebsräte positiv. Das Unternehmen ist jetzt der Meinung, dass eine dritte Kraft nicht gebraucht wird. Die erste Kraft ist Amazon, zweite Kraft die Betriebsräte und dritte sind die Gewerkschaften, die ermächtigt sind, Tarifverhandlungen zu führen. Amazon will gezielt die Belegschaft spalten. Mit Aussagen wie „Wenn ihr weiter streikt, schließen wir den Standort“ wird Angst geschürt. Beschäftigte berichten, dass sie auf grässliche Weise gemobbt werden. In Bad Hersfeld wurde ein Betriebsrat mit dem Auto angefahren. Eine Verrohung der Arbeitswelt und Endsolidarisierung unter den Beschäftigten greift immer mehr um sich und nimmt beängstigende Züge an. Dabei geht es um Grundsätzliches: Sollen prekäre Arbeit oder gute Arbeit, hemmungslose Ausbeutung oder Tarifverträge die Normalität in unserem Land bestimmen? Diese Auseinandersetzung geht uns alle an! Marianne Küng-Vildebrand
Amazon – Wahrheit oder Dichtung? Kurz vor Weihnachten 2014 bekam Ralf Kleber, Geschäftsführer von Amazon Deutschland, viel Post von unzufriedenen Kundinnen und Kunden. Per Solidaritätspostkarte wurde er aufgefordert, mit ver.di einen Tarifvertrag des Einzelhandels abzuschließen und für ordentliche Arbeitsverhältnisse seiner Beschäftigten zu sorgen. Bernd Riexinger, Vorsitzender der LINKEN, organisierte die Aktion parteiübergreifend, sodass über 80 prominente Politikerinnen und Politiker der LINKEN, der SPD und der GRÜNEN, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler den Aufruf unterstützten. 20.000 Protestpostkarten und unzählige E-Mails gingen daraufhin bei Kleber ein. Der Zeitpunkt war gut gewählt. Das Weihnachtsgeschäft war in vollem Gange und die Kampagne erreichte viele Kunden. Die Beschäftigten der deutschen Amazon-Standorte kämpfen bereits seit 2013 für eine Anbindung an den Tarifvertrag des Einzelhandels. Amazon aber verweigert die Verhandlungen mit ver.di über einen regulä-
ren Tarifvertrag. Die Beschäftigten kämpfen für geregelte Löhne und gegen befristete Arbeitsverträge, ständige Kontrollen und Überwachung am Arbeitsplatz. Es geht um ihre Würde! Ralf Kleber antwortete auf die eingegangenen Solidaritätspostkarten mit einem Brief, in dem er das Unternehmen als sehr arbeitnehmerfreundlich darstellte: „Bei Amazon kümmern wir uns fortlaufend darum, gute Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter in den Logistikzentren sicherzustellen. […] Die überwältigende Mehrheit unserer Mitarbeiter sieht in Amazon einen fairen und verantwortungsvollen Arbeitgeber. Wir sind stolz auf unsere Kultur des gegenseitigen Respekts und der offenen Diskussion auf Augenhöhe. […] Seit 2014 haben wir in Deutschland insgesamt 1.200 unbefristete Stellen geschaffen. […] Allein im Dezember 2014 wurden dort 200 neue unbefristete Stellen geschaffen“. Das klingt nach einem „Vorzeigebetrieb“. Spricht man mit den Beschäftigten, Vertrauensleuten und Betriebsräten, zeigt sich ein ganz
anderes Bild des Unternehmens. Systematisch werden die neuen Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen abgespeist. Bis eine Woche vor Ablauf des Vertrages werden sie für ihre Arbeit und ihren Einsatz gelobt, dann werden sie von einem Augenblick auf den anderen ausgesondert. In der Niederlassung Brieselang sind 70 % der Beschäftigten befristet eingestellt! Via Handscanner, die während der Arbeit eingesetzt werden, übt Amazon die totale Kontrolle und Überwachung aus. In Feedbackgesprächen mit Vorgesetzten werden Beschäftigte z. B. gefragt, warum sie von 7:28 bis 7:29 Uhr inaktiv waren, dies sei von bestimmten Kollegen beobachtet wurde. Soziale Kontakte sind nicht erlaubt. In der Niederlassung in Leipzig sind 148 Überwachungskameras für die Personalkontrolle installiert. Wer die Handlaufgeräte nicht benutzt, bekommt eine „gelbe Karte“ und muss sie für alle sichtbar tragen. Alle sehen: Der Kollege hat „nicht richtig“ gearbeitet. Beim Betreten und Verlassen des Arbeitsortes
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Wege zu einer flexiblen Strategie „wertvolle griechische Vermögenswerte“ (Unternehmen und Häfen?) in einen Fonds über-
brachten ernüchternde Ergebnisse. Statt eines Schuldenschnitts und eines Wachstumsprogramms wurden Athen weitere erhebliche Einschnitte bei Renten und Mehrwertsteuer verordnet. Besonders beschämend ist die Treuhandlösung, nach der der griechische Staat
tragen soll, die dann per Massenverkauf zu Ramschpreisen zu jenen Erlösen führen soll, mit denen Athen seine Raten aus dem geplanten Rettungsprogramm bedienen kann. Tsipras konnte noch bewirken, dass ein Viertel der Erlöse in Investitionen statt in die Schul-
Bild: Xavier Häpe / Wikimedia Commons / CC BY 2.0
Die Brüsseler Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs im Falle Griechenlands
denrückzahlung fließt und die Ausplünderung des Landes unter nationaler Regie (nicht unter jener der EU) stattfinden soll. Athen hat sich damit – vor die Alternative gestellt zwischen ungeordnetem Grexit mit Massenverelendung, den wohl Bundesfinanzminister Schäuble zur Schaffung eines Kerneuropas der „Hartwährungen“ favorisiert, und weiterer Hilfe bei Fortsetzung der Austeritätspolitik und fortgesetzter Ausplünderung – für den zweitschlechtesten Weg entschieden, ja entscheiden müssen. Eine andere Alternative, ein Schuldenschnitt bei einer gerechten Lastenteilung, ließ die Front der 18 anderen Euro-Staaten nicht zu. Dazu waren die alternativen Bewegungen in Europa zu schwach, um Druck zu machen. Auch eine Art geordneter Grexit im Sinne der Griechen – Ausgabe von Schuldscheinen, Verstaatlichung der griechischen Notenbank und Anwerfen der Notenpresse – war nicht möglich, da er nicht vorbereitet war und zudem Überbrückungszahlungen der EU-Länder benötigt hätte. Spätestens beim eigenmächtigen griechischen Anwerfen der Notenpresse hätte die EZB den Hahn endgültig zugedreht, die Folge wäre eine Massenverelendung der Bevölkerung gewesen. Von einer Ausgleichs- und Haftungsunion, die die Ungleichgewichte in der Eurozone ausgleichen könnte, ist die EU weiter denn je entfernt.
Zudem waren Russland und China nicht zu Geldzahlungen an Athen bereit. Das Diktat von Brüssel sollte zugleich ein Exempel statuieren gegenüber jeglichen Hoffnungen in den südeuropäischen Staaten (z. B. gegenüber Podemos in Spanien), dass eben keine andere Politik möglich sein soll. Zudem interessiert die neoliberalen Erpresser der EU keineswegs die Schuldenrückzahlung, sondern eher die lukrativen Bodenschätze in Athen. Insofern mag man zu Recht Athen Vorwürfe machen, Immobilienbesitz der griechisch-orthodoxen Kirche und der großen Steuerhinterzieher nicht schnell genug konfisziert zu haben – zu dem bestehenden Kompromiss hatte Tsipras wohl eingedenk der bestehenden Kräfteverhältnisse wohl kaum Alternativen. DIE LINKE muss sich wohl von einigen Illusionen verabschieden. Viele, auch ich, sind davon ausgegangen, ein Umbau im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit sei innerhalb Europas und der EU-Institutionen möglich. Wenn dies Einstimmigkeit erfordert, ist davon auszugehen, dass es immer ein Gegenvotum eines großen neoliberalen „Players“ geben wird. Hinzu kommen die eifrigen Schüler des Lehrmeisters Deutschland in Osteuropa, zu denen auch die Mitte-Links-Regierungen der Slowakei und Sloweniens gehören. Bratislavas Regierungschef Fico, als Sozialdemokrat und
Ex-Kommunist einst eine linke Hoffnung, sprach stolz davon, dass Tsipras gekniffen habe und Athen nun zum „Protektorat“ werde. Wenn innerhalb der EU und des Eurosystems keine Möglichkeiten auf Änderung mehr bestehen, muss die linke Bewegung umdenken. Schließlich bestehen immer noch Optionen im Hinblick auf Destruktion, Bruch von Verträgen und Nichteinhaltung (Verschleppung) der Vertragsumsetzung, die man Tsipras im Hinblick auf die „Umsetzung“ der Treuhandlösung anraten möchte. Auch ein Ausscheren fortschrittlicher Staaten aus dem Eurosystem und der EU – etwa in Richtung einer BRICS-Gruppe, Indien, China oder Russland – sollte kein Tabu mehr sein. Nach innen wäre zu prüfen, ob eine Art „selektive Desintegration“, eine Flexibilisierung nach innen möglich wäre. Bestimmte Kriterien (die einseitige Ausrichtung auf Haushaltskriterien) müssen weg wie das Einstimmigkeitsprinzip auf europäischer Ebene. Ein Umbau im Rahmen der EU und seiner Institutionen weg von der Austeritätspolitik wäre wünschenswert. Nur, wenn kein Umbau mehr möglich ist, muss man auch andere Optionen prüfen, die bis hin zum Verlassen der Eurozone und ihrer Auflösung reichen können, sollten sich jemals für einen anderen Weg keine andere Partner finden lassen. A. Willnow
Auf der Suche nach dem besten Weg für unsere Partei Seit Monaten führen wir die Debatte um die strategische Ausrichtung unseres Landesverbandes. Dazu gab es viele Wortmeldungen. Der Landesparteitag soll nun aus dieser Vielfalt Schlussfolgerungen ziehen. Mitte Juli meldete sich auch der Liebknecht-Kreis Sachsen unter der Überschrift „ZEIT FÜR VERÄNDERUNG – DEN AUFBRUCH ERMÖGLICHEN“ zu Wort, um mit strategischen Eckpunkten ein alternatives Diskussionsund Beschlussangebot für den Parteitag zu unterbreiten. Das Papier wurde noch vor dem Leitantrag des Landesvorstandes fertiggestellt und entsprechend der Landessatzung als „Antrag von grundsätzlicher Bedeutung“ Mitte Juli fristgerecht eingereicht. Das Papier versteht sich weniger als Ersetzungsantrag zum Papier des Landesvorstandes, sondern vielmehr als gleichberechtigt zu diskutierendes, alternatives Angebot. Gemeinsam sollte der Landesverband nun Folgerungen aus der Strategiedebatte zusammenfassen und dann, davon ausgehend, nach vorn schauen.
Das Papier ist deutlich kürzer als der später entstandene Leitantrag des Landesvorstandes, enthält aber wesentliche Grundgedanken, die sich auch im Vorstandsentwurf finden. Er ist klar strukturiert und in Thesenform gehalten. Dem Text wurden das Credo von Ferdinand Lassalle aus dem Jahr 1863 „Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit“ und der Bezug die strategische Kernaufgabe der LINKEN, formuliert im Erfurter Programm von 2011, vorangestellt. Folgerichtig wird zunächst unter der Überschrift „Der erstarrte Freistaat“ die Situation in Sachsen analysiert. Die Ereignisse der letzten Wochen im Zusammenhang mit dem Versagen der Staatsregierung bei der Flüchtlingspolitik haben unsere Beschreibung bestätigt, dass im Falle einer Zuspitzung der gesellschaftlichen Krise die Gefahr einer weiteren Rechtsverschiebung im politischen Koordinatensystem und der Herausbildung eines handlungsfähigen Rechtsblocks von konservativen Eliten, Rechtspo-
pulisten und Rechtsextremisten besteht. Dieser könnte den Boden für ein Regierungsbündnis aus CDU und AfD bereiten. Insbesondere das Strategiekonzept der AfD, das allseits geschätzte plebiszitäre Elemente für eigene Interessen missbrauchen will, darf nicht unterschätzt werden, zumal der bundespolitische Einfluss der sächsischen AfD gewachsen ist. Sollte diese Entwicklung nicht eintreten und das schwarzrote Regierungsbündnis seine Arbeit planmäßig beenden, tritt bei Abwägung aller bekannten Umstände schon jetzt in Grundzügen die wahrscheinliche Ausgangssituation der Landtagswahlen 2019 hervor. Sofern die CDU nicht die absolute Mehrheit erringt, was im Falle des Gewinns (nahezu) aller Direktmandate keine abwegige Option ist, wird die SPD aus der Position des Juniorpartners heraus antreten. Um gegebenenfalls wieder in die schwarz-rote Koalition zurückkehren zu können, dürfte sich SPD erneut einem offensiven
Lagerwahlkampf verweigern. Auch die Grünen buhlen weiter um die Rolle des etwaigen Juniorpartners der CDU. Mithin würden einem rot-rot-grünen Bündnis im Jahr 2019 schon medial erneut keine Chance eingeräumt, da dafür neben der rechnerischen Mehrheit auch die erklärte Bereitschaft aller notwendigen Partner fehlen würde. In jedem Fall, auch in diesem, wäre es an uns, der Bevölkerung eine glaubwürdige, positive und konkrete Veränderungsperspektive aufzuzeigen. Angesichts dieser strategischen „Sandwich“-Situation und unseren erheblichen Einbußen bei den Wahlen in den vergangenen zehn Jahren drängt sich aus unserer Sicht eine zentrale Schlussfolgerung auf: Die Funktion der sächsischen LINKEN besteht in den nächsten Jahren in der weiteren Ausprägung ihrer Rolle als stärkste Oppositionspartei, nicht als Regierungspartei im Wartestand. Das heißt nicht, dass wir eine Regierungsbeteiligung generell ablehnen. Sie bedarf allerdings objektiver Voraussetzungen, für deren
Schaffung wir aktiv eintreten. Die sächsische LINKE prägt ihre inhaltlichen und personellen Alleinstellungsmerkmale als Partei des demokratischen Sozialismus, insbesondere gegenüber der SPD und den Grünen, glaubwürdiger aus. Nur so kann es gelingen, den regierungskritischen Teilen der Bevölkerung Alternativen jenseits der CDUHerrschaft aufzuzeigen. Ein klares Profil, das Wählerinnen und Wählern Hoffnung geben kann, lässt sich nur durch praktische Politik, die von programmatischen Grundsätzen geleitet ist, gewinnen. Unsere Alleinstellungsmerkmale sind die Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit als Kraft der Veränderung. In diesem Sinne unterbreitet der LiebknechtKreis in seinem Papier (www. liebknecht-kreis-sachsen.de/ download) auch Vorschläge für diese Alleinstellungsmerkmale. Wir wünschen uns eine sachbezogene und nach vorn gerichtete Debatte um den besten Weg für unsere Partei, den wir gemeinsam gehen wollen. Franziska Riekewald
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Neoliberale Verblendung Altkanzler Schmidt hat Operation gut überstanden. Die You Tube-Generation streitet zwischen Jungfräulichkeits-Aktivisten und Stellungs-Empfehlern um ihre Sexualität. Johnny Depps Alkoholproblem. Erst hilft G. Jauch einer Kandidatin nicht, dann sagt er einer andern vor. Royale Bäuche oder Babys füllen Titelseiten. „Was passiert bei GZSZ ...?“Auch German-Wings-Flug 4U 9525 kam mit „neuen Fragen und Fakten“, dann mit den Zinksärgen, schließlich mit dem Geldwert von Leben wieder vor. Da wird gewühlt und scheinobjektiv „informiert“ zur Erfüllung eines mehr und mehr imaginierten „Informationsauftrages“. Alles wirklich „wichtige“ Fragen und Informationen, immer schön skandalträchtig aufbereitet. Am Ende geht es nur um Quote und Verkaufszahlen. Griechenland ist zur Zeit vorzüglich geeignet, und den „Schwarzen Peter“ hat natürlich die griechische Regierung – auch nach dem Rücktritt von Tsipras. Erst wurde immer nur über deren Unwilligkeit, die Knute des Finanzkapitals zu ertragen, berichtet. Nun wartet man auf Neuwahlen und spekuliert. Doch die Verträge müssen auch von einer neuen Regierung erfüllt werden. Aber welches Spiel spielt Tsipras? Kaum bekommt man aktuelle Informationen zur sich ständig verschlechternden Lebenssituation der Menschen und zum durch die Finanzpolitik der „Troika“ verursachten Absturz der Wirtschaft. In Griechenland erhängen sich die Leute ob ihrer Existenznot. Darüber erfährt man nichts in den großen Medien. Im Mittelmeer ertranken den ganzen Sommer weiter Flüchtlinge. Das Hilfsprogramm „Mare Nostrum“ der Italiener, als sie allein waren mit dem Problem, war wirksamer als das EU„Hilfsprogramm“. Und wenn
die deutschen Marine-Schiffe „Hessen“ und „Berlin“ Flüchtlinge retten, wird das einseitig herausgestellt. Wiedereinführung von „Mare Nostrum“ durch die Hintertür. Aber kaum wird das Problem umfassend vorgestellt. Hier wird nicht skandalisiert, obwohl die EU von Beginn an in der Lage gewesen wäre, diese humanitäre Katastrophe zu verhindern. Nun kommen Geflüchtete doch in Deutschland in Größenordnungen an, die nie politisch kalkuliert waren, es gibt Zeltlager mit zum Himmel stinkenden Bedingungen. Mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes um drei bis vier Prozent wäre das Geld beschafft, um da Betreuungs-, Bearbeitungspersonal und die existenziell wesentlichen Bedingungen schnell sicher zu stellen. Aber man feilscht lieber um den Einsatz der erwarteten Steuerüberschüsse von 5 Milliarden. Schuldentilgung sei wichtiger ... – als Menschenleben und -würde? Der NSA-Skandal zieht sich schon Monate hin. Da wird kaum „Handlungsbedarf“ ge-
sehen. Nur das Abhören der Kanzlerin sollte nicht mehr geschehen. Es stellte sich heraus, dass der Verfassungsschutz in trauter Eintracht sekundierte und auch Unternehmen ausforschte – Wirtschaftsspionage-Verdacht. Aber die Kanzlerin sieht immer noch nicht uneingeschränkten Aufklärungsbedarf. Und Edward Snowden bekommt aus Deutschland keine Unterstützung. Finnland übte Mobilmachung, bis zu 900.000 Leute wurden angeschrieben. Und nicht versäumt wird, darauf aufmerksam zu machen, dass Finnland eine 1.300 km lange Grenze zu Russland hat und kein Mitglied der NATO ist. Es entsteht der Eindruck, als stünden die schon an den Waffen. Der neue Panzer T-14 als neue konventionelle „Wunderwaffe“ wurde auf dem Roten Platz zur Siegesparade erstmals gezeigt. Zwischen Russland und NATO ist das „Rote Telefon“ wieder aktiviert worden. Nicht mehr so plump wie bei G. W. Bush jun. mit seinem „Reich des Bösen“, aber wer richtig lesen kann,
sieht die Tendenz! Wer aber führte den verbrecherischen Vietnamkrieg – mit Chemikalien? Wer setzte und setzt seinen Geheimdienst immer wieder zum Umsturz demokratisch gewählter Regierungen ein? Wer gaukelte der UNO etwas von Massenvernichtungswaffen im Irak vor? Wer führte den Irakkrieg? Die Verhandlungen zur Aufrechterhaltung des Vertrages von 1968 über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen sind wegen der Haltung des Iran schwieriger geworden. Zuletzt aber zeigte sich Licht am Horizont. Niemand fragt jedoch (in den Medien), weshalb 47 Jahre lang die einen ihre AWaffen behalten und andere keine haben sollen. Und dabei sieht dieser Vertrag von Anfang an vor, dass die Enthaltsamkeit der vielen Staaten der Welt Bestand haben soll durch das im Vertrag abgegebene Versprechen zur Abrüstung der A-Waffen bei den besitzenden Ländern. Das aber ist bis heute nicht eingelöst worden. Dazu gab und gibt es keine Schlag-
zeilen! Wundert man sich noch, wenn die Front bröckelt und in dieser wieder unsicherer werdenden Welt andere Staaten auch auf dumme Gedanken kommen? Dumm, ja, saudumm, denn die sog. Overkill-Kapazität ist immer noch da. Da braucht es wirklich keine neuen Atomwaffen-Länder. Aber in den Wiener Verhandlungen um die Kernkraftnutzung des Iran ging es gar nicht wirklich darum, sondern um einen Vorwand, ggf. doch noch, wie im Beispiel Irak, einen Vorwand zu finden, die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über Ressourcen militärisch zu verändern. Doch Obama hat nun wirkliches Interesse an einer vertraglichen Lösung. Mitte Juli gab es in Wien Möglichkeiten der Einigung, da verschwindet das Thema aus den Schlagzeilen. Und das Problem der außerhalb des Vertrags stehenden bzw. illegalen A-Länder (Israel, Pakistan, Indien, Nordkorea) ist nach wie vor ungelöst. Immer schön zweckorientierter (Welt-)Herrschafts-Mainstream! Ralf Becker
Einnahmen erhöhen – mehr als eine Anpassung der Beiträge Sicherlich haben viele von Euch in den letzten Wochen einen Brief eurer Schatzmeister erhalten – mit der Bitte, die Beiträge an die Beitragstabelle anzupassen bzw. das zu zahlen, was Euch möglich ist. Grund dafür ist, dass wir so langsam und allmählich von unseren Reserven zehren, was auf Dauer die finanzielle Stabilität des Landesverbandes gefährden wird. Seit Januar tobt eine Debatte um die Einnahmen und Ausgaben in unserem Landesverband. Das ist richtig, denn es ist unser aller Geld und die Zu-
kunft unserer Partei, über die wir reden. Allerdings haben wir nicht nur Mitglieder angeschrieben, sondern auch im Landesverband alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt. So haben wir schweren Herzens auf den Weg gebracht, dass wir unsere Archivunterlagen an das Archiv Demokratischer Sozialismus nach Berlin überführen werden. Das spart der Landespartei Mietkosten und die Zugänglichkeit der Unterlagen bleibt gesichert. Wir haben die Landtagsabgeordneten der LINKEN darum gebeten, ihren Mandats-
trägerInnenbeitrag mit der regelmäßigen Erhöhung am 1. August solidarisch anzuheben, um den Wahlkampftopf mit den Mehreinnahmen zu füllen. Weiterhin haben wir bereits im Januar stärkere Finanzkontrolle und stärkere Anmeldepflichten für Ausgaben beschlossen. Die Rückspendebereitschaft von Fahrtkosten wird in allen Gremien thematisiert. Und auch eine Strukturdebatte wird geführt, wie wir die Gremienarbeit effektiver für die Mitglieder organisieren können, aber eben auch kostengünstiger im Lan-
desverband – ohne dabei innerparteiliche Mitwirkung und Demokratie zurückzudrehen. Die Vorschläge für entsprechende Satzungsänderungen könnt ihr unter www. dielinke-sachsen.de/partei/ parteitag/12-landesparteitag/antraege sowie in den Tagungsunterlagen für den Landesparteitag nachlesen. Schlussendlich brauchen wir aber kreative Ideen, um die Einnahmen dauerhaft zu erhöhen. Eine erste Idee dafür ist das Plakat von Gregor Gysi, das ihr in der letzten Ausgabe der Zeitung gesehen habt und
das für Fans käuflich zu erwerben ist. Aber wir brauchen auch eine neue Kultur. Die Partei ist im Grunde genommen für uns Genossinnen und Genossen das, was der Kleingarten für andere ist – beides ist nicht zum Nulltarif zu haben. Wenn Ihr Vorschläge zur Frage habt, wie wir unsere Einnahmen erhöhen können, aber auch zur Frage, was wir zukünftig nicht mehr brauchen, dann freue ich mich auf Eure Hinweise. Antje Feiks, Landesgeschäftsführerin
Sachsens Linke! 09/2015
Jugend
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Nach dem Pfingstcamp ist vor dem Pfingstcamp Nach dem Pfingstcamp ist vor dem Pfingstcamp. So heißt es immer wieder. Das Pfingstcamp 2015 unter dem Motto „Wo Leben wir denn?“ mit 621 Personen liegt jetzt etwas mehr als drei Monate hinter uns. Zeit genug, um zurückzuschauen und zu realisieren, was wir alles geschafft haben. Es gab 30 Vorbereitungstreffen und sieben Telefonkonferenzen, 90 ehrenamtliche Helfer_innen auf dem Pfingstcamp (PC) und sieben Personen, die für bestimmte Arbeiten bezahlt wurden, wie beispielsweise eine qualifizierte Kinderbetreuung. 2.270 Stunden Arbeitsschichten wurden ehrenamtlich besetzt, mindestens 35 Urlaubstage wurden von Pfingstcamphelfer_innen eingereicht und mindestens 36 weitere Vorlesungen, Übungen oder Schulstunden für die Auf- und Abbauzeit geopfert. Der Technikbedarf wurde mit Leihgaben von mindestens 17 befreundeten Strukturen und 22 Privatpersonen gedeckt. Es gab 58 Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden mit 66 Referent_innen. Das Kulturprogramm füllte 58 Stunden mit 54 Künstler_innen. Das Pfingstcamp-eigene Radio hat 4.229 Minuten am Stück gesendet und über das vom PfingstcampHackerspace eingerichtete Netzwerk wurden 123 GB Daten in die weiten Welt und aus ihr transferiert. Über 1.610 m selbst verlegtes Stromkabel und 69 Strom-
verteiler haben wir im Laufe des PCs 4.789 kWh Strom verbraucht, also so viel wie ein 4-Personen-Haushalt im Jahr. Mindestens 770 m eigenes Gaffa blieben auf der Strecke, um alle Installationen zusammen-
sen sind, mussten viele dieses Jahr schmerzlich in Erfahrung bringen. Das Pfingstcamp ist alleine durch Teilnahmebeiträgen und dem Anteil der linksjugend nicht zu realisieren. So sind wir auf externe finanzielle
dass es so etwas beim Pfingstcamp nicht noch einmal geben muss, um nicht Teil der Prekarisierungsspirale vor allem junger Bildner_innen und Künstler_innen zu sein. Dieser Text mag sich vielleicht
zuhalten und zu verändern. Dies hat mensch sicherlich nicht nur in unseren 31 gestalteten Locations gesehen. Auch die Finanzen sehen dieses Jahr gut aus. Wir konnten unseren eingenommen Teilnehmer_ innenbeiträge auf durchschnittlich 54,70 € pro Person steigern und unsere Kosten pro Kopf auf 101,73 € reduzieren. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist und wir auf Geld angewie-
Unterstützung in Höhe von um die 10.000 € angewiesen. Dieses Jahr haben wir keine Fördermittel bekommen und mussten massiv sparen. Leider an keinem schönen Punkt. Hier geht der Dank an all die wunderbaren Referent_innen und Künstler_innen, die sich bereit erklärt haben, zu Gunsten des Pfingstcamps auf ihr Honorar und teilweise auch auf Fahrtkosten zu verzichten. Wir hoffen stark,
wie eine trockene Faktenliste lesen, ist aber der Versuch, an praktischen Fakten aufzuzeigen, was für ein gigantisches Projekt hier zu riesigen Teilen ehrenamtlich auf die Beine gestellt wurde. Wenn man sich die Zahlen auf der Zunge zergehen lässt und an die 70 wunderbaren Stunden Pfingstcamp denkt, stellen wir uns die Frage: Was wäre das Pfingstcamp nur ohne all die tollen Menschen,
Internationales Sommercamp der linksjugend [´solid] Vom 01.08 – 09.08 2015 fand auf dem Gelände des Kulturkosmos im mecklenburgischen Lärz das erste internationale Sommercamp der linksjugend [‚solid] statt. Unter dem Motto „Facism never again“ konnten Genoss*innen aus Finnland, Polen, Dänemark und aus Österreich sowie aus dem gesamten Bundesgebiet begrüßt werden. Der sächsische Landesverband war schon vor Beginn des Camps am Aufbau beteiligt und dekorierte einen der Hangars zu einem netten Ort zum Feiern und Entspannen. Dazu wurde Technik aus der WIR-AG in Dresden sowie aus dem linXXnet in Leipzig auf das Gelände gefahren, wo fleißige Helfer*innen das Equipment und die Zelte aufbauten, die für zahlreiche Workshops vorgesehen waren. Die Workshops wurden in verschiedenen Sprachen abgehalten und hatten Themen wie NSU, Flucht und Rassismus, Europapolitik, Feminismus, Erinnerungspolitik und Kapitalismuskritik. Zudem fand ein Ausflug der internationalen De-
legation zur Gedenkstätte Ravensbrück statt. Es konnten Fahrräder ausgeliehen werden, um an den nahe gelegenen Badeteich oder auch an die Müritz zu fahren, sich bei tropischen Temperaturen abzukühlen. Die internationale Delegation veranstaltete einen musikalischen Abend mit Arbeiterliedern aus verschiedenen Ländern. Es wurden nicht nur Workshops und Lieder-
abende veranstaltet, sondern beispielsweise auch ein queerfeministisches Selbstverteidigungstraining, Lesungen und Diskussionen sowie ein KanuAusflug auf der Mecklenburger Seenplatte. Aber auch das schönste Camp geht einmal zu Ende. Wir danken allen beteiligten Genoss*innen, die beim Auf- und Abbau geholfen haben, sowie der Kochcrew, die uns sehr gut versorgte. Ein großes
Dankeschön geht auch an die DJs, die für die nötige Stimmung sorgten. Bis zum nächsten Jahr! Christoph Schinke Bild: Einer der sächsischen Workshops: Diskussionsrunde zur Arbeit des Jugendverbandes in Landesparlamenten und zur Regierungsbeteiligung. Mit Kati Engel (MdL Thüringen), Isabelle Vandré (MdL Brandenburg) und Josi Michalke (Beauftragtenrat Sachsen, Moderation).
die es zu dem machen, was es ist? Ein riesiger Dank geht an alle, die mitgeholfen, unterstützt, geplant, referiert, gelebt, musiziert, gefeiert und das Pfingstcamp zu dem gemacht haben, was es ist. Was nächstes Jahr kommt, ist noch ungewiss. Sicher ist, dass wir eine gute Vorbereitungsgruppe und viele helfende Hände brauchen, um es wieder zu einem unvergesslichen Pfingstcamp zu machen. Aktuell suchen wir einen Termin für ein erstes Vorbereitungswochenende im November, bei dem unter anderem diskutiert werden soll, was unsere Ansprüche an das Pfingstcamp sind, was wir machen wollen, wie und wann und ob es beispielsweise ein Schwerpunktthema geben soll. Wenn du Interesse hast, das Pfingstcamp mitzuentwickeln, dann schau doch mal unter http://gleft.de/Zi, welches November-Wochenende Dir am besten passt und/oder melde dich bei pfingstcamp@linksjugend-sachsen.de Mit allerliebsten Grüßen Rico und Marie für den Vorbereitungskreis des Pfingstcamp 2015
Termine 06.09.2015, 15 Uhr: Sommerfest „Dresden Nazifrei & Dresden für Alle“. Dresden, Hasenberg, an der Synagoge 19.09.2015, 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates, Leipzig, Bornaische Straße 3D, Linxxnet 25.09.2015 – 27.09.2015: Bildungswochenende der Linksjugend Sachsen, Schönteichen, Schulweg 10, Alte Schule 01.10.2015 – 05.10.2015: Herbstakademie des SDS „Krieg, Frieden und Imperialismus“, Joachimsthal, Joachimsthaler Straße 20, EJB Werbellinsee: Infos: http://gleft.de/10h 9.10.2015 – 11.10.2015: Stadtjugendtag der Linksjugend Leipzig, Leipzig, Demmeringstr. 34, INTERIM 17.10.2015, 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates, Chemnitz, Rosenplatz 4, im Büro der Linksjugend 30.10.2015 – 01.11.2015: Landesjugendplenum, Oschatz, Berufsschulstraße 20, Europäisches Jugendcamp 13.11.2015 – 15.11.2015: Bildungskongress der Linksjugend Sachsen. Nähere Informationen folgen, aber halt Dir das Wochenende schon frei!
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
09/2015 Sachsens Linke!
Die europäische Integration am Abgrund Als ich Anfang der 90er Jahre als Mitarbeiterin der LL-PDSFraktion begann, habe ich aus vielen progressiven Richtlinien und Verordnungen der EU Anregungen „kopiert“, waren davon Anträge und Anfragen inspiriert. Die EU, die trotz Altiero Spinelli nicht als ein linkes Projekt auf die Welt kam, sondern unter dem Aspekt eines gemeinsamen Binnenmarktes konzipiert wurde, war dennoch
am lautesten schreit. Und immer mehr wird „deutsch“ gesprochen, die Zeit der Bilder von Kohl und Mitterand sind wirklich vorbei, da steht nur noch Merkel. Drumherum ist nichts, oder sagen wir: nichts „Kriegsentscheidendes“. Andere Mitgliedsstaaten werden aus den unterschiedlichsten Interessenlagen heraus zu Merkels Jüngern, überall dort, wo es ihnen nützen könnte.
in vielen politischen Fragen ein progressiver Motor. Die Augenhöhe kleiner neben großen Mitgliedsstaaten war anfangs durch das Konsensprinzip wenigstens halbwegs realisierbar. Mit dem Lissabonvertrag, der das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen festlegte, wurde das anders. Das Parlament erhielt zwar deutlich stärkere Rechte, aber der Rat eben auch. Die zahlreichen Öffnungsklauseln des Vertrages, der eben keine Verfassung ist, sondern nur ein halbfertiges Ergebnis der Machtkämpfe zwischen Mitgliedsstaaten und Kommission, haben dazu geführt, dass nahezu alle relevanten Lebensentscheidungen woanders fallen. Sie fallen nicht nur nicht im Europaparlament, sondern auch in keinem anderen Parlament der Welt. Das grandiose Demokratiedefizit der Union führte schließlich dazu, dass Verträge wie der Fiskalpakt faktisch nur als Deal zwischen einer Handvoll Staatschefs ausgehandelt werden. Zweifellos hat die Kraft des Parlamentes auch zu Punktsiegen geführt, wie bei der Ablehnung von ACTA, aber das sind seltene Fälle. Diese glaubten die Staatschefs durch die Lissabonregelungen verhindern zu können. Aus eigener Kraft kann das Europaparlament den Vertrag weder aufheben noch ändern, selbst wenn alle Parlamentarier es wollten (und schon das ist illusorisch). Der Lissabonvertrag hat aber auch zur Folge, dass der Europäische Rat sich neu sortiert hat. Er ist seit längerem zu einem Nationalistenstadel verkommen, wo der gewinnt, der
Momentan scheint es, als sei von der Europäischen Union nur eine wacklige Währungsunion übriggeblieben. Die Fähigkeit der EU zur Förderung gesellschaftlicher Fortschritte, und sei es auch nur des Binnenmarktes wegen, verkümmert. Der europäische Integrationsprozess unter dem Motto „Geeint in Vielfalt“ ist verloren gegangen. Und die Unzufriedenheit wächst, zieht Kreise,
rechtspopulistischer und antieuropäischer Kräfte. Um sich greift eine tief sitzende antieuropäische Grundhaltung, die von ganz rechts bis in die linken Parteien hinein reicht, der Unglaube, dass mit der EU, wie sie jetzt beschaffen ist, ganz allgemein Fortschritt überhaupt noch erzielt werden kann. Dass es sich dabei nicht nur um ein bloßes Grundgefühl handelt, belegen folgende Indizien: Zum ersten die Unfähigkeit, eine Lösung für Griechenland anzustreben, die dem Land die Möglichkeit gibt, wieder zu gesunden. Das geht ohne Konjunkturförderung und Stärkung des Binnenmarktes in Griechenland eben nicht. Alles, was von Schäuble und Merkel in der Eurozone durchgeboxt wurde, steht gewissermaßen ökonomischen Grundregeln entgegen. Ihre Angst, der von ihnen erzwungene Weg der Austerität könnte nicht nur von Griechenland, sondern auch anderen Ländern verlassen werden, war mehr wert als das Elend griechischer Rentner. Es ist die Angst vor Machtverlust. So ist das griechische Exempel ein Pyrrhussieg mit historischer Reichweite. Mit ihm wird in das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürgern eingegraben, dass sie, wenn es hart auf hart kommt, im Regen stehen gelassen werden. Zum zweiten versagen EU und Mitgliedsstaaten vor der größ-
ziehen, noch besonders betroffenen Ländern unter die Arme greifen, dann muss man doch dem italienischen Staatschef Recht geben, der sagt: Wenn das so ist, wozu braucht man dann noch Europa (gemeint die EU)? Sowohl nach innen (Griechenland) als auch nach außen (Flüchtlinge) gibt es keinerlei zukunftsfähige und menschenwürdige Lösungen seitens der Union. Ein dritter Aspekt muss genannt werden. Zu den Gründungsideen der EU gehört Friedenschaffen. Als Mittlerin zwischen den Großmächten könnte sie dabei eine eigene Rolle spielen. Aber auch das wird vergeigt. Statt in der Ukrainekrise als neutraler Partner zu agieren, beförderten EU und Mitgliedstaaten einen nicht endenden Konflikt mit großer Sprengkraft. Wenn im vorletzten Plenum in Straßburg per Resolution mehrheitlich, nur gegen die Stimmen unserer Fraktion, beschlossen wurde, Russland ab sofort nicht mehr als strategischen Partner der EU zu betrachten, dann ist das nicht nur dumm, sondern auch kreuzgefährlich. Die außenpolitische Potenz der EU wird übrigens auch vergeben, wenn ein eigenständiges Agieren gegenüber den USA aufgegeben wird. Das zeigt etwa die Massenausspähung von Millionen Europäern durch Geheimdienste, die vor der NSA
Saal in den Kapitolinischen Museen in Rom. Hier wurde 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründet. Bild: hadi/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
die längst die Mitte der Gesellschaft in den europäischen Regionen erreicht hat. So sehr ich den Egoismus Camerons ablehne, so sehr muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur in Großbritannien die tiefgreifende Skepsis an der EU wächst. Das Resultat solcher Entwicklungen ist die Stärkung
ten Herausforderung des begonnenen Jahrtausends, der Flüchtlingsfrage. Wie auch immer die oder der Einzelne zu Flüchtlingen persönlich steht, alle begreifen, dass die bisherige Politik gescheitert ist. Wenn die Mitgliedsstaaten weder bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen und Konsequenzen zu
zu Kreuze kriechen. Es gibt momentan nicht ein einziges außenpolitisches Feld, auf dem die EU eigenständig als konfliktlösende Kraft agiert. Sogar die Atomkrise mit dem Iran mussten Amerikaner und Russen de facto allein lösen. All das hat die Diskussion befeuert, das Verhältnis zur EU als
solches zu überprüfen. In der Linken wird darüber gesprochen, ob man sich dieser Ebene nicht verweigern sollte. Ich finde, dass wir es uns in zweierlei Hinsicht nicht zu leicht machen dürfen: Weder „Raus aus der EU“ noch „Man darf die EU nicht in Frage stellen“ hilft uns weiter. Ich finde, wir müssen das jetzige Konstrukt der EU zutiefst in Frage stellen und seinen radikalen Umbau einfordern. Dieser Umbau muss zwingend das Demokratiedefizit auf der europäischen Ebene beheben. Ohne Vertragsänderungen kann das nicht zustande kommen. Wir dürfen nicht erzittern, wenn von Vertragsänderungen geredet wird, Schäuble macht das bereits ganz offen, allerdings mit einer anderen Zielrichtung, Kerneuropa und Peripherie. Das wäre der Schlusspunkt jedweder Integration. Anders ausgedrückt: Wir müssen endlich alle Kräfte sammeln gegen diesen besonders von Schäuble und Merkel verantworteten Politikkurs, anstelle in nationalen Wunschträumen zu verharren. Europäische Politik ist unter Linken ein nebensächliches Zusatzthema, obwohl die Entwicklung dieses Kontinents davon abhängt. Es ist prioritär, eine gemeinsame Vision als Linke in Europa zu entwickeln. Die haben wir nicht und es gibt kein ausreichendes Engagement dafür. Es gibt kein gemeinsames Konzept, im Gegenteil: Unsere größten Unterschiede innerhalb der Linken in Europa bestehen in der Sicht auf Europa und die EU. Dadurch sind wir europäisch gesehen gelähmt, auch die Europäische Linkspartei dümpelt dahin, ohne bislang ein ernsthafter Faktor geworden zu sein. Die größte Schwäche auf dem Weg zu einer wirklichen Alternative ist die linke Bewegung in Europa selbst. Sie träumt sich in eine andere Welt und ist unfähig, sich für konkrete konstruktive Ziele zu bündeln. Ihre Antworten sind fast immer nur national und damit untauglich, welches Problem auch immer in Europa zu lösen. Deshalb müssen wir unsere Politik als Linke in den Mitgliedsstaaten dringend überprüfen, ja regelrecht europäisieren, wenn wir den gravierenden Problemen der Gegenwart überhaupt noch nachkommen wollen. Cornelia Ernst
Sachsens Linke! 09/2015
DIE LINKE im Bundestag
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Des Monsters technische Daten
Zum Zwischenbericht über das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung Vor mehr als vier Jahren, im April 2011, fragte ich die damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, wie hoch denn die Ausgaben für die Werbekampagne zum sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket gewesen seien, mit der das Ministerium – zielsicher an der Zielgruppe vorbei – für ein Programm warb, dass schon damals erahnen ließ, dass es floppen würde.
„Für 2,6 Millionen Euro wurden Plakate gedruckt , Werbeflächen gemietet und herzige Filmchen produziert, welche als Werbung vor die Nachrichten-Videos auf den Websites von Zeitungen und Fernsehsender platziert wurden. Das nenne ich nicht zielgenaue und umfassende Information, sondern eine parteipolitische Imagekampagne aus Steuermitteln!“ Dies schrieb ich damals als Reaktion auf die Antwort der Ministerin. Inzwischen sind vier Jahre ins Land gegangen. All meine Befürchtungen – ich hatte das Programm als bürokrati-
sches Monster bezeichnet – haben sich leider erfüllt. Im Jahre 2013 hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Forschungsvorhaben zur Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Auftrag gegeben. Dazu liegt nun ein erster Zwischenbericht vor. Auf insgesamt 440 Seiten haben verschiedene Institute, Hochschulen, Politikberater und das Statistische Bundesamt alles zusammengetragen, was es zu einem Förderprogramm zu sagen gibt, das lediglich entwickelt wurde, um die Erhöhung des Hartz IVRegelsatzes für Kinder zu verhindern – und stattdessen fast ausschließlich auf die Gewährung von Sachleistungen über Gutscheine, selbstverständlich auf Antrag, zu setzen. Begeisterte Forscher bei der Arbeit Es ist ein großes Werk entstanden. Hunderte Interviews in verschiedenen Kommunen, geführt persönlich und telefonisch nach Fragebögen auf den Leistungsstellen, bei Leistungsberechtigten und Leistungsanbietern geben bis ins Detail Auskunft,
wie Bildung und Teilhabe unter die Anspruchsberechtigten gebracht werden. So erfährt man, dass der Zeitaufwand für die Beantragung der Leistungen durch die Antragsteller zwischen minimal 0,7 Minuten (Antrag auf Schulbedarf) und maximal 4,1 Minuten (Antrag auf Lernförderung) beträgt. Naturgemäß wesentlich länger dauert die Bearbeitung. Auch hier wurde forsch geforscht und herausgefunden, dass 11,7 bzw. 33,5 Minuten lang bearbeitet wurde. Aber was sagen schon solch pauschale Zeitangaben? Die Teilhabeforscher sind deshalb noch tiefer in die Materie eingedrungen und haben genau analysiert, welcher Zeitanteil für welche Bearbeitungstätigkeit aufgewendet wurde. Für die Bearbeitung eines Antrages auf Unterstützung für Lernförderung erfährt man beispielsweise, dass die Sache an sich nur 22,9 Minuten lang bearbeitet wurde. Anschließend erfolgte eine Prüfung der Bearbeitung der Sache, die sich über 5,2 Minuten erstreckte. Anschließend wurde 0,6 Minuten lang intern über das Prüfungsergebnis kommuniziert, bevor die externe Kommunikation anlaufen und nach 2,1 Minuten abge-
schlossen sein könnte – wenn, ja wenn, nicht noch 1,7 Minuten für die Datenübertragung benötigt würden. Nun noch schnell den Vorgang archivieren, was nur 1,0 Minuten dauert, ein Hinweis darauf, dass die Bearbeiter wohl gleich im Keller neben dem Archiv sitzen dürften – und schon fertig. Jedenfalls kommt man so auf die erwähnten 33,5 Minuten. Das alles – und noch viel mehr – haben die Institute und Experten für uns herausgefunden! Denn selbstverständlich gibt es die entsprechen Forschungsergebnisse auch noch für die Antragsabrechnung. Minute für Minute. Und wem das immer noch zu ungenau ist, der findet es auch noch unterschieden in Erst- und Folgeanträge aufgeschlüsselt. Auch finden sich Tabellen über die Erfüllungsaufwände – aufgeschlüsselt in Zeit und Geld – und dies noch einmal unterschieden in Erfüllungsaufwand der Leistungsstellen, der Leistungsträger und der Leistungsarten. Beeindruckend. Ein beschämendes Fazit Aber kommen wir zu den Zahlen, die eigentlich interessieren
und deshalb gut versteckt, aber immerhin vorhanden sind: 450 Millionen Euro wurden im Jahr 2013 an Leistungen bewilligt. Das klingt gewaltig – bis man genauer liest und feststellt, dass nur 45 % der Berechtigten die Leistungen überhaupt beantragt haben. Genau das war beabsichtigt, schien und scheint es mir. Möglichst hohe bürokratische Hürden in der Beantragung aufbauen, damit wenig Geld ausgegeben werden muss. Jedenfalls an die Bedürftigen – denn die bürokratischen Hürden hat man sich ordentlich etwas kosten lassen: 136 Millionen Euro Verwaltungskosten hat das Bildungs- und Teilhabepaket 2013 verschlungen – also fast ein Drittel der Höhe der bewilligten Zuschüsse! Wovor hatte ich gewarnt? Vor einem bürokratischen Monster. Das ist es wirklich geworden – wenn auch monströser, als ich es befürchtet hatte. Und zugegeben: Da verblassen die eingangs erwähnten 2,6 Millionen Euro für die Werbefilmchen und Plakate ein E wenig. Wieviel jedoch die 440 Seiten Studie gekostet haben, interessiert mich dann doch. Ich werde es in Erfahrung bringen. Katja Kipping
Aus Überzeugung – Gymnasium Einsiedel wird „Schule ohne Rassismus“ Die Jugend ist die Entwicklungsphase, in der sich ein politisches Bewusstsein und eine eigene politische Meinung ausbilden. Die kognitiven Fähigkeiten entwickeln sich und man beginnt, sich verstärkt mit gesellschaftspolitischen Themen auseinanderzusetzen, Dinge zu hinterfragen. Schule ist dabei ein zentraler Ort, in dem nicht nur Informationen vermittelt werden, sondern in dem man sich auch mit Freund_innen austauscht. Als mir nun vor einiger Zeit Schüler_innen des Gymnasiums Einsiedel berichtet haben, dass ihre Schule „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ werden will, und mich fragten, ob ich als Pate für das Projekt zur Verfügung stehe, musste ich nicht lange überlegen. Natürlich unterstütze ich dieses tolle Engagement in Chemnitz gerne, gerade weil es von den Schüler_innen ausgeht. „Schule ohne Rassismus“ ist ein Netzwerk von über 1.700 Schulen in ganz Deutschland. Der Titel ist keine Auszeichnung, jedenfalls keine für bereits Geleistetes. Er ist eine freiwillige Verpflichtung. Er bedeutet, dass sich eine große Mehrheit – mindestens 70 Prozent der Schü-
ler_innen und Lehrer_innen – bewusst entschieden hat, aktiv gegen Diskriminierung einzutreten. Am Gymnasium Einsiedel ging die Initiative vom Schüler_innenrat aus, der die Direktorin und der Lehrerkörper zugestimmt haben. Zu Schüler_innenrat gehört auch Mari-
us, der Mitglied der linksjugend ist und erst letztes Jahr mit dem Programm ‚Jugend und Parlament’ bei mir im Bundestag war. Dass das Engagement nicht von außen, sondern aus der Schule kommt; dass nicht versucht wird, den Schüler_innen eine Überzeugung zu vermitteln, son-
dern dass sie aus einer Grundüberzeugung über Richtig und Falsch heraus zu handeln beginnen, ist für mich ein wichtiges Kennzeichen des Projekts. Was aber heißt „Schule ohne Rassismus“ konkret? Die Schüler_innen verpflichten sich, künftig gegen rassistische Vor-
kommnisse an ihrer Schule vorzugehen. Ein weiterer Baustein sind regelmäßige Projekttage, an denen sich die Schulen mit Rassismus, Antisemitismus, aber auch anderen Formen der Diskriminierung auseinandersetzen. Dazu gehört am Gymnasium Einsiedel die Integration von Menschen mit Behinderung in den normalen Schulbetrieb. Und jede „Schule ohne Rassismus“ hat einen Patin oder einen Paten, die oder den sich die Schüler_innen selbst suchen. Auch deshalb bin ich ein wenig stolz, dass ich in Frage gekommen bin. Ich werde öffentlich für dieses Projekt werben und natürlich den Kontakt zu „meiner“ Schule halten. Noch vor der Sommerpause habe ich sie besucht und mich mit dem Schüler_innenrat und der Direktorin getroffen. Am 7. Juli wurde der Titel „Schule ohne Rassismus“ dem Gymanium Einsiedel schließlich offiziell überreicht. Michael Leutert
Kommunal-Info 7-2015 2. September 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Thema Asyl Aktuelle Förderrichtlinien im Überblick Seite 2/3
Seminar DOPPIK für Mandatsträger am 18./19. September Seite 4
Fachforum Barrierefreiheit in sächsischen Kommunen am 28. September Seite 4
Neuer Leitfaden „Kommunales Haushaltsrecht in Sachsen“ Seite 4
Kommunale Einnahmen beschaffen Zur Erfüllung ihrer Aufgaben haben die Kommunen das Recht, Abgaben zu erheben, um die erforderlichen finanziellen Einnahmen für die Kostendeckung zu erzielen. Die rechtliche Ermächtigung dafür wurde durch das Sächsische Kommunalabgabengesetz (SächsKAG) geschaffen, wo es in § 1 heißt: „Die Gemeinden und Landkreise sind berechtigt, nach diesem Gesetz Abgaben zu erheben, soweit nicht Bundesrecht oder Landesrecht etwas anderes bestimmen.“ Zu den Abgaben im Sinne des SächsKAG gehören: Steuern, Benutzungsgebühren, Beiträge, Aufwandsersatz, die Kurtaxe, die Fremdenverkehrsabgabe und abgabenrechtliche Nebenleistungen (Verspätungszuschläge, Zinsen und Säumniszuschläge).1
gende Grundsätze für die Beschaffung finanzieller Einnahmen festgehalten: Die Gemeinde hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten, aus selbst zu bestimmenden Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen, im Übrigen aus Steuern zu beschaffen. Die Gemeinde hat bei der Einnahmenbeschaffung auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu nehmen. Die Gemeinde darf Kredite nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Die Gemeinde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben Spenden, Schenkungen und ähnliche Zuwendungen einwerben und annehmen oder an Dritte vermitteln, die sich an der Erfüllung von kommunalen Aufgaben beteiligen.
Grundsätze der Einnahmebeschaffung
Entgelte für Leistungen
Mit dem Recht zur Erhebung von Abgaben können die Kommunen zwar grundsätzlich über die Art, Zusammensetzung und Höhe ihrer Einnahmen frei zu entscheiden. Jedoch sind mit den „Grundsätzen der Einnahmebeschaffung“ in § 73 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) gesetzliche Einschränkungen vorgegeben zum Schutz der Abgabepflichtigen (Einwohner, Unternehmen), zur Erreichung eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Abgabepflichtigen (Verhältnis zwischen Steuern und speziellen Entgelten), um die Gefährdung einer dauernden Leistungsfähigkeit der Kommunen (durch Kreditaufnahmen) zu verhindern. Deshalb sind in § 73 SächGemO fol-
Nach den Grundsätzen der Einnahmebeschaffung gilt darum eine verbindliche Reihenfolge für die kommunalen Einnahmen: Dabei stehen an erster Stelle die Einnahmen aus Entgelten (Gebühren, privatrechtliche Benutzungsentgelte, Beiträge) und an zweiter Stelle die Einnahmen aus Steuern, an letzter Stelle steht die Aufnahme von Krediten. Der Vorrang der Entgelte vor Steuern wird aus dem Verursacherprinzip abgeleitet und dient dem sog. Vorteilsausgleich. Wer also aus speziellen Leistungen der Kommune und ihren Einrichtungen individuell zurechenbare wirtschaftliche Vorteile erfährt, der soll auch zuerst für die anfallenden Kosten herangezogen werden und nicht der anonyme Steuerzahler. Die Entgelte sollen grundsätzlich kostendeckend sein, jedoch sind Abwei-
chungen aus verschiedenen Gründen zulässig. Deshalb heißt es auch im Gesetz, dass Entgelte „soweit vertretbar und geboten“ zu erheben sind: „Soweit geboten“ meint hierbei eine möglichst volle Kostendeckung, während mit „soweit vertretbar“ die Möglichkeit eingeräumt wird, eine Leistung auch ohne volle Kostendeckung anzubieten. Der Umfang der Kostendeckung bei leistungsbezogenen Entgelten ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Für die Benutzungsgebühren legen die §§ 10 bis 14 SächsKAG nur die Obergrenzen fest. Diese bestimmen, welche Kosten angesetzt werden können und dass die Gebühren diese Kosten nicht überschreiten dürfen (Kostenüberschreitungsverbot). Diese Grundsätze gelten auch für die privatrechtlichen Entgelte sinngemäß. Kostendeckende Entgelte werden in der Regel nur bei sog. kostenrechnenden Einrichtungen erreicht (Wasserversorgung, Energieversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallbeseitigung). Nicht kostendeckende Entgelte wären u.a. aus folgenden Gründen gerechtfertigt aus sozialen Gründen: z.B. Kindertagesstätten, Hallen- und Freibäder; aus kulturpolitischen Gründen: z.B. Volkshochschulen, Musikschulen, Theater, Museen, Büchereien; aus umweltpolitischen Gründen: z.B. ÖPNV. Ein kostendeckendes Entgelt würde in o.g. Fällen auch zu einem drastischen Rückgang der Nachfrage und damit zu noch geringeren Einnahmen führen, mit der möglichen Konsequenz, dass diese Leistungen den Einwohner/innen gar nicht mehr angeboten werden.
Gemeindesteuern
Nach den leistungsbezogenen Entgelten stehen in der Rangfolge der Ein-
nahmen die Steuern an zweiter Stelle. Im Hinblick auf die Fülle der Aufgaben sind die Gemeinden auf die Erhebung der Steuern angewiesen, die Gewerbesteuer und die Grundsteuer spielen dabei eine wichtige Rolle im Gemeindefinanzsystem. Ihre Erhebung ist auch deshalb konsequent, weil sie zu einer gerechten Lastenverteilung beitragen. Die übrigen örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern (z.B. Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer) haben als Bagatellsteuern eine geringe Bedeutung. Die Gewerbesteuerhebesätze liegen bei den sächsischen Kommunen im Durchschnitt höher als der Bundesdurchschnitt. Deshalb gebe es hier wenig Reserven für die Zukunft, die Hebesätze noch weiter heraufzusetzen. Auch bei der Grundsteuer haben die Kommunen in Sachsen in den letzten Jahren die Hebesätze stark angehoben. Wie bei der Gewerbesteuer bleiben die Einnahmen aus der Grundsteuer in Sachsen ebenfalls deutlich hinter den Ergebnissen der Westländer zurück. Ursache dafür sind die unterschiedlichen Einheitswerte, die in auf völlig veralteten Werten basieren. Basis für die neuen Länder sind noch immer wegen fehlender Neubewertung die Wertverhältnisse von 1935, während im Westen wenigstens die Wertbasis 1964 zugrunde liegt. Außerdem ist der Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Flächen im Osten relativ größer als im Westen, für die nur die niedrigere Grundsteuer A angesetzt wird (im Unterschied zu bebauten Flächen die höhere Grundsteuer B).2
Rücksichtnahmegebot
Zu den Grundsätzen der Einnahmebeschaffung gehört, dass die Gemeinde „auf die wirtschaftlichen Kräfte ihrer Abgabepflichtigen Rücksicht zu Fortsetzung auf folgender Seite
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Aktuelle Förderrichtlinien Asyl RL Nachhaltige Soziale Stadtentwicklung ESF 2014-2020 vom 09.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 13/2015, S. 402 und Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 09.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 13/2015, S. 406. Ziel der Richtlinie ist es, die Städte und Gemeinden bei der Umsetzung von niedrigschwelligen Vorhaben zur Förderung und gesellschaftlichen Teilhabe sozial benachteiligter Einwohner_innen zu unterstützen. In der Förderfassung vom 09.03.2015 erstreckt sich dies auch ausdrücklich auf Migrant_innen und Asylsuchende. Antragsberechtigt sind Städte und
Gemeinden mit mindestens 5.000 Einwohner_innen, so sie die Voraussetzung erfüllen, über ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept (INSEK) zu verfügen. Die Zuwendungen selbst können an Dritte, den Projektträger, weitergereicht werden Die umzusetzenden, integrativen Vorhaben müssen Bestandteil eines gebietsbezogenen, integrierten Handlungskonzeptes sein1, die zuwendungsfähigen Kosten sollen 10.000 EUR nicht unterschreiten, die Gemeinden müssen den erforderlichen Eigenanteil tragen können. Es kann aber auch der Projektträger den Eigenanteil erbringen. Über die Bewilligung der Förder-
mittel wird in einem zweistufigen Antragsverfahren entschieden. Im ersten Schritt muss das gebietsbezogene, integrierte Handlungskonzept bestätigt werden. Hierzu ist bis zum 15.07.2016 der Antrag auf Bestätigung in zweifacher Ausfertigung unter Verwendung des SAB-Vordruckes 60888 bei der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank einzureichen. Im zweiten Schritt wird über die Förderung der einzelnen Vorhaben im Rahmen des gebietsbezogenen Handlungskonzeptes entschieden. Gefördert werden bis 95% der zuwendungsfähigen Ausgaben und Kosten. Insgesamt stehen für die Förderperiode 2014-2020 30 Mio. EUR zur
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Ersatz für soziale Leistungen, Buß- und Verwarngelder, Entnahmen aus der Rücklage. Besonders die Zuweisungen aus dem FAG haben für Sachsen und die anderen ostdeutschen Bundesländer ein erhebliches Gewicht. Liegt doch der Anteil der gemeindlichen Einnahmen aus Steuern im Vergleich zu den westdeutschen Ländern sichtlich niedriger. Nach dem Gemeindefinanzbericht für 2014 des Deutschen Städtetags hatten die Steuern bei den Einnahmen im Westen einen Anteil von 41,3 % während ihr Anteil im Osten nur 26,7 % ausmachte. Umgekehrt sah es bei den Zuweisungen aus: im Osten betrug ihr Anteil an den gemeindlichen Einnahmen 47,8 % und im Westen 31,9 %. Ein beträchtlicher Teil der „sonstigen Einnahmen“ (Schlüsselzuweisungen, Anteil an der Einkommenssteuer, Ersatz sozialer Leistungen) sind von den Gemeinden selbst nicht maßgebend beeinflussbar. Die Gemeinde muss diese Einnahmemöglichkeiten vollständig ausschöpfen, um die Gemeindeeinwohner und örtlichen Steuerzahlern zu entlasten.
die nachfolgende Generation in unzumutbarer Weise vorbelastet wird. Die Aufnahme von Krediten durch Kommunen darf deshalb nur unter strengen Voraussetzungen geschehen. Insbesondere gelten hier die Bestimmungen in § 82 SächsGemO: Kredite dürfen nur im Finanzhaushalt und nur für Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen und zur Umschuldung aufgenommen werden. Der Gesamtbetrag der vorgesehenen Kreditaufnahmen für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen bedarf im Rahmen der Haushaltssatzung der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde.
... Einnahmen beschaffen nehmen“ habe. Die Abgabepflichtigen sollen nicht unzumutbar belastet werden. Die Steuerbelastung darf nicht so hoch angesetzt werden, dass sie für den durchschnittlichen Steuerpflichtigen eine Existenzgefährdung mit sich bringt oder dass sie stark leistungshemmend wirkt. Dies liegt auch im Eigeninteresse der Gemeinde, denn andernfalls würden Abwanderungen, Insolvenzen und Konkurse, Steuerhinterziehung u. a. längerfristig das Aufkommen an Steuern reduzieren. Der einzelne Abgabepflichtige kann jedoch aus dem Rücksichtnahmegebot in § 73 Abs. 2 SächsGemO kein subjektives Recht auf eine geringere Steuerbelastung ableiten. Deshalb kann es auch keine Festsetzung einer sog. „sozial verträglichen“ Abgabe im Einzelfall geben. Vielmehr ist von der Belastung der Gesamtheit der Abgabepflichtigen durch die Gesamtheit der Abgaben (vornehmlich der wiederkehrenden) auszugehen. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben entschieden, dass die Steuern keine erdrosselnde oder konfiskatorische Wirkung haben dürfen.3 Sollen in Anwendung des Rücksichtnahmegebotes kommunalpolitische Entscheidungen getroffen werden, wird empfohlen, einen sog. „Abgabenkorb“ mit jenen wichtigsten Abgaben zu bestimmen, die von der Mehrzahl der Bürger erhoben werden, und in Relation zur Finanzkraft der Gemeinde und ihrer Bürger zu setzen. Wenn die von der Mehrzahl der Bürger zu leistenden Abgaben insgesamt ein zumutbares Maß überschreiten und die Finanzkraft der Gemeinde es zulässt, können Abgabensenkungen in Betracht kommen.4
Sonstige Einnahmen
Die „sonstigen Einnahmen“ unterliegen nicht den Einnahmebeschaffungsgrundsätzen, wenngleich sie einen erheblichen Teil des kommunalen Finanzaufkommens ausmachen. Dazu gehören u.a. die allgemeinen Schlüsselzuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz (FAG), der Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer,
Kredite
An dritter und letzter Stelle der kommunalen Einnahmebeschaffung nach § 73 Abs. 4 SächsGemO steht die Aufnahme von Krediten durch die Gemeinde. Kredite dürfen erst dann aufgenommen werden, „wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre“. Deshalb hat die Gemeinde davor alle anderen Einnahmequellen und Deckungsmöglichkeiten ausschöpfen. Vor einer Kreditaufnahme ist deshalb zu prüfen, ob durch eine stärkere Heranziehung der sonstigen Einnahmen und der leistungsbezogenen Entgelte sowie durch Erhöhung der Steuersätze die Eigenmittel aufstockt werden können. Weiterhin soll geprüft werden, ob Erlöse aus Vermögensveräußerungen zu erzielen sind. Aufgrund der relativ langen Laufzeit der kommunalen Kredite übersteigt die Zinssumme häufig den Darlehensbetrag, so dass die Kreditfinanzierung eine sehr teure Art der Finanzierung darstellt. Eine hohe Verschuldung kann damit zu einer erheblichen Gefährdung der dauernden Leistungsfähigkeit der gemeindlichen Finanzwirtschaft führen. Das könnte auch bedeuten, dass
Spenden
Der Absatz 5 in § 73 SächsGemO (Einwerbung von Spenden) kam auf Anregung des Sächsischen Städteund Gemeindetags in die neugefasste Gemeindeordnung. Mit dieser Regelung soll Transparenz und Sicherheit geschaffen werden. Sie soll den Verantwortlichen der Gemeinde ermöglichen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Zuwendungen von Privaten einzuwerben, ohne dass die Betreffenden in Gefahr geraten, Vorwürfen wegen Vorteilsannahme oder Vorteilsgewährung ausgesetzt zu sein und dann ggf. strafrechtlich belangt zu werden. Mit der Einwerbung von Spenden kann die Gemeinde Mittel beschaffen, um mit deren Hilfe die Durchführung einer bestimmten Aufgabe zu ermöglichen. Handelt es sich um Spenden für laufende Aufgaben (z.B. Finanzierung einer Veranstaltung), wird die Spende im Ergebnishaushalt vereinnahmt. Geht es jedoch um eine Spende zur Finanzierung einer Investition (z. B. für den Bau eines Bades), dann wird sie als Einzahlung im Finanzhaushalt festgehalten. Das Wesen der Spende besteht darin, dass sie direkt zu einer konkreten Aufgabenerfüllung eingesetzt wird. Die Gemeinde darf auch Spenden und Schenkungen einwerben, wenn sie diese dann an einen Dritten weiterleitet, der eine Aufgabe erfüllt, die zum gemeindlichen Wirkungskreis zählt. Denkbar ist z. B. die Bitte um Spenden zur Errichtung eines vereinseigenen Sportplatzes, den der Sportverein vormittags für den Schulsport bereitstellt. In diesem Falle handelt es sich um eine „Durchlaufspende“, die eine Gemeinde
Verfügung, zusätzlich dazu die Beteiligung des Freistaates Sachsen in Höhe von 5,6 Mio. EUR. RL Flüchtlingswohnungen vom 30.03.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 16/2015, S. 502, mit Änderung vom 30.07.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 30/2015, S. 1010. Ziel der Richtlinie ist es, die Städte und Gemeinden bei der Schaffung von Wohnraum für Asylsuchende und Geflüchtete zu unterstützen. Hierzu soll die Sanierung und Modernisierung von leerstehendem Wohnungsbestand in vorrangig innerstädtischen Quartieren Fortsetzung auf Seite 3 annimmt, in ihrem Haushalt einnimmt und dort auch weiterleitet. Die Einwerbung und die Entgegennahme der Angebote für Spenden und Schenkungen obliegen ausschließlich dem Bürgermeister, den Beigeordneten oder den vom Bürgermeister damit beauftragten leitenden Bediensteten. Die Entscheidung über die Annahme oder Vermittlung der Spenden und Schenkungen entscheidet entweder der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss. Dabei ist ausschließliche Zuständigkeit des Gemeinderats für Zuwendungen und Spenden in bedeutender Höhe durchaus sinnvoll. In der kommunalen Praxis werden jedoch häufig kleinere und kleinste Beträge eingeworben. Deshalb sollte die Gemeinde in ihrer Hauptsatzung für diese Beträge einen beschließenden Ausschuss für zuständig erklären.5 AG — 1 Auf weitergehende Ausführungen zum Thema „Kommunale Einnahmen“ sei hier auf den Beitrag in Kommunal-Info Nr. 9/2012 verwiesen. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 73, Rn. 40. 3 Vgl. ebenda, Rn. 43. 4 Vgl. Menke/Arens, Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Kommentar, 4. Aufl., 2004, S. 181. 5 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 73, Rn. 432.
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... Förderrichtlinien Asyl gefördert werden. Antragsberechtigt sind Städte und Gemeinden, die (1) in ein laufendes Programm der Städtebaulichen Erneuerung oder des Stadtumbau aufgenommen wurden und (2) für die Aufnahme von Asylsuchenden vorgesehen sind. Die Gemeinde leitet die Zuwendung an Dritte weiter, welche die Maßnahme durchführen. Hierzu muss die Sanierung und Modernisierung der betreffenden Gebäude im Rahmen der Städtebaulichen Erneuerung gemäß der VwV StBauE vom 20.08.2009 gefördert werden. Weiterhin braucht es eine Bestätigung der zuständigen Unterbringungsbehörde, dass der betreffende Wohnraum grundsätzlich geeignet und nach der Sanierung als Wohnraum für Asylsuchende und Geflüchtete vorgesehen ist. Selbiger soll nach Abschluss der Maßnahme mindestens 10 Jahre vorrangig als Wohnraum für Asylsuchende und Geflüchtete dienen, so aber kein Bedarf besteht, als Wohnraum für Leistungsempfänger_innen nach SGB II und SGB XII genutzt werden. Dem Beachtung zollend, sollen die Sanierungsund Modernisierungsmaßnahmen angemessen erfolgen. Nicht gefördert werden der Neubau von Gebäuden, die Modernisierung von für eine dauerhafte Unterbringung ungeeigneten Gebäuden, Personalkosten der Gemeinde, Kosten für Ausstattung und Betrieb des Wohnraums. Jedoch wird der kommunale Eigenanteil für Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Rahmen der Programme der städtebaulichen Erneuerung zu 100% durch Landesmittel ersetzt. Die Förderung kann für die Haushaltsjahre 2015, 2016, 2017 bis zum 31.12.2015 unter Verwendung des SAB-Vordruckes 61379 bei der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank beantragt werden. Private Träger wenden sich an die jeweilige Gemeindeoder Stadtverwaltung. Im Doppelhaushalt 2015/2016 sind für 2015 1 Mio. EUR und für 2016 4 Mio. EUR eingestellt. RL Soziale Betreuung Flüchtlinge vom 08.07.2015, Sächsisches Amtsblatt Nr. 29/2015, S. 992 Ziel der Richtlinie ist es, die Städte und Gemeinden bei der Gewährleistung der sozialen Beratung und Betreuung von Asylsuchenden und Geflüchteten zu unterstützen. Mittels der Förderung durch die Richtlinie soll der Betreuungsschlüssel von gegenwärtig ein_er Sozialarbeiter_in pro 200 Asylsuchende und Geflüchtete auf 1:150 verbessert werden.2 Antragsberechtigt sind die Landkreise und kreisfreien Städte als untere Unterbringungsbehörde nach § 2 SächsFlüAG. Die Zuwendungen können an Träger der freien Wohlfahrtspflege und andere gemeinnützige, öffentlich-rechtliche Einrichtungen weitergeleitet werden. Voraussetzung ist die Teilnahme an einer Evaluierung der Maßnahmen und die Deckung des Eigenanteils von mindestens 10%. Förderfähig sind vorhabenbezogene Personal- und Sachkosten – erstere bis zur Höhe einer vergleich-
baren Vergütung nach TvöD, letztere bis 10% der zuwendungsfähigen Ausgaben. Die Vorhaben selbst sind mit Dipl.-Sozialpädagog_innen, vergleichbaren Studienabschlüssen oder von Personen mit besonderen Kenntnissen und praktischen Erfahrungen zu besetzen. Nicht gefördert werden Verfahrens- und Rechtsberatung als auch Ausgaben für Maßnahmen, die bereits mit der Kostenpauschale nach § 10 AsylblG abgedeckt sind. Die Höhe der Förderung wird nach dem gleichen Schlüssel ermittelt wie die Erstattung der Kostenpauschale. Maßgeblich ist die durchschnittliche
Sach- und Verwaltungskosten, der Förderanteil liegt bei bis zu 90%. Anträge sind einzureichen bei der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank unter Verwendung des SAB-Vordruckes 60691, bis zum jeweils 1.10. des Vorjahres. Für das Haushaltsjahr 2015 gilt ebenfalls der 1.10. Teil 2 richtet sich an die Kommunen. Förderfähig sind folgende Vorhaben: (1) eine „Koordinationskraft Integration“ je Landkreis/kreisfreier Stadt; (2) niedrigschwellige, ehrenamtliche Initiativen, insbesondere zum Spracherwerb in Kooperation mit kommunalen und gemeinnützigen Trägern, Trägern
Anzahl der zu den Monatsenden des vorausgehenden Vierteljahres Untergebrachten.3 Die Höhe der Förderung beträgt bis 90% der zuwendungsfähigen Ausgaben. Einzureichen sind die Anträge bei der Landesdirektion Sachsen unter Verwendung des Vordruckes Antrag auf Gewährung einer Zuwendung Förderung der sozialen Betreuung von Flüchtlingen in kommunalen Unterbringungseinrichtungen, gilt für 2015 der 15.10. als Frist. Vorgesehen sind für 2015 und 2016 jeweils 3 Mio. EUR
der freien Wohlfahrtspflege und anerkannten Religionsgemeinschaften; (3) Unterstützung bei der Bereitstellung von Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylblG. Zuwendungsempfänger sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Diese können die Maßnahmen selbst durchführen oder die Zuwendungen weiterleiten. Endempfänger können natürliche und juristische Personen des öffentlich und privaten Rechts und anerkannte Religionsgemeinschaften sein. Die Förderung entfällt für Vorhaben, die bereits nach der Kostenpauschale des SächsFlüAG abgegolten sind bzw. der RL „Wir für Sachsen“ oder der RL Soziale Betreuung Flüchtlinge gefördert werden. Das jeweilige Höchstbudget richtet sich nach der Bevölkerungszahl der Landkreise und kreisfreien Städte. Zuwendungsfähig sind: (1) bis zu 90% der notwendigen Personal- und Sachkosten, jedoch keine Ausgaben für kommunale Integrations-/Ausländerbeauftragte; (2) für ehrenamtliche Initiativen Sachausgaben bis zu 1000 EUR/Jahr, für ehrenamtlich Sprachkurse können je Sprachkurs Sachausgaben bis zu 300 EUR weitergereicht werden; (3) Sachausgaben bis 500 EUR/bereitgestellter Arbeitsgelegenheit. Anträge sind einzureichen bei der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank unter Verwendung des SAB-Vordruckes 60692 und der Maßnahmenübersicht SAB-Vordruck 60693, bis zum jeweils 1.10. des Vorjahres. Für das Haushaltsjahr 2015 gilt ebenfalls der 1.10. Für 2015 stehen 3,5 Mio. EUR, für 2016 4,5 Mio. EUR zur Verfügung. Die Richtlinien werden ergänzt um jeweils 3 Mio. EUR Bedarfszuweisungen in 2015 und 2016, welche für die Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten zu verwenden sind.5 Weiterhin sind in 2015 20,5 Mio. EUR und in 2016 17,5 Mio. EUR als zweckgebundene Investitionspauschale zur Er-
RL Integrative Maßnahmen, voraussichtliches Inkrafttreten: Anfang September 2015, Stand: 26.08.2015 Ziel der Richtlinie ist es, die Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund zu unterstützen, in dem Wissen, dass dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Richtlinie ist zweigeteilt. Teil 1 richtet sich an gemeinnützige Träger, Vereine, Verbände, Träger der freien Wohlfahrtspflege, kommunale Gebietskörperschaften, Träger der freien Wohlfahrtspflege, anerkannte Religionsgemeinschaften und wissenschaftliche Einrichtungen in Kooperation mit gemeinnützigen Trägern/ kommunalen Gebietskörperschaften. Förderfähig sind Vorhaben, die die selbstbestimmte Teilhabe von Migrant_innen zum Ziel haben. Explizit umfasst das die Information, Beratung und Unterstützung von Asylsuchenden und Geflüchteten.4 Eine Förderung entfällt, insofern bereits Fördermittel von EU, Bund und Land in Anspruch genommen werden. Jedoch kann die Richtlinie zur Kofinanzierung von Förderprogrammen von EU und Bund herangezogen werden. Besonderer Wert wird auf die Qualifizierung des Personals als auch deren regionaler Vernetzung gelegt. Zuwendungsfähig sind Personal-,
stellung und Instandsetzung von Einrichtungen zur Unterbringung von Asylsuchenden vorgesehen.6 Selbige wird aus der „pauschalen Hilfe“ Bundes finanziert, welche zusammengenommen für 2015 eine Höhe von 1 Mrd. EUR hat7 – über den „Königsteiner Schlüssel“ stehen Sachsen 50 Mio. EUR zu. Zusätzlich wurde mit der Änderung des SächsFlüAG die Pauschale zur Kostenerstattung durch den Freistaat an die Kommunen auf 7.600 EUR/Person/Jahr erhöht.8 Der angehobene Erstattungsbetrag gilt bereits zum jetzigen Zeitpunkt als unzureichend, so beziffert das Unterbringungs- und Kommunikationskonzept des LK Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine auskömmliche Pauschale auf eher 9.000 EUR/Person/Jahr.9 Angesichts der korrigierten Prognosen des BMI, wonach 2015 bundesweit mit bis zu 800.000 Asylerstanträgen zu rechnen ist, von denen 41.000 auf den Freistaat Sachsen entfielen, kündigte die Staatsregierung an, die tatsächliche Kostendeckung der Erstattungspauschale zu überprüfen. Darüber hinaus wurden weitere Finanzmittel in Aussicht gestellt: 2015 - 20 Mio. EUR pauschal zuzüglich 10 Mio. EUR Bedarfszuweisung, 2016 - 10 Mio. EUR pauschal zuzüglich 20 Mio. EUR Bedarfszuweisung. Hierfür sollen Mehreinnahmen und nicht verbrauchte Mittel verwendet werden.10 Zusammengestellt von Konrad Heinze, Chemnitz — 1 Die Richtlinie sieht die Förderung der Erstellung von gebietsbezogenen, integrierten Handlungskonzepten bis zu einer Förderhöhe von 50.000 EUR vor, jedoch ist die Antragsfrist am 07.05.2015 verstrichen. 2 Hier sei angemerkt, dass die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen dazu rät, einen Schlüssel von 1:80 anzustreben. 3 Vgl. § 10 Abs. 1 SächsFlüAG. 4 Vgl. Teil I, Ziffer II, Nr. 3 RL Integrative Maßnahmen. 5 Vgl. § 22 Abs. 8 SächsFAG. 6 Vgl. Art 15 Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016. 7 Waren eigentlich für 2015 und 2015 jeweils 500 Mio. EUR vorgesehen, wird der Betrag für 2016 vorgezogen. Die Entscheidung, die Zahlung für 2016 vorzuziehen, fiel jedoch im Juni 2015, als der sächsische Doppelhaushalt 2015/2016 bereits in Kraft getreten war. 8 Vgl. Art. 8 Haushaltsbegleitgesetz 2015/2016. 9 Vgl. LK Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (Hrsg.): Unterbringungs- und Kommunikationskonzept des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, beschlossen am 18.05.2015, S. 24. 10 Vgl. Sächsische Staatskanzlei (Hrsg.): Medieninformation 148/2015. Sachsen stellt sich Herausforderung bei Asyl, vom 20.08.2015.
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Seminar Den kommunalen Haushalt lesen und verstehen. Doppik für Mandatsträger Freitag 18.09.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonnabend 19.09.2015 ca.15:30 Schwerpunkte: Haushaltssatzung und Haushaltsplan – was beinhalten beide? Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen? Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was wird durch den Ergebnishaushalt und was durch den Finanzhaushalt abgebildet? Wie wird im „doppischen“ Haushalt gebucht? Was geschieht, wenn die Haushaltssatzung nicht beschlossen wurde und nur eine vorläufige Haushaltsführung möglich ist? Welche Abweichungen vom Haushaltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen? Wie wird im „doppischen“ Haushaltsplan der Haushaltsausgleich erreicht? Wie ist die Eröffnungsbilanz aufzustellen, was ist dabei zu beachten? Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen? Wann muss ein Haushaltsstrukturkonzept aufgestellt werden, was muss darin enthalten sein? Was steht im Jahresabschluss und in der Eröffnungsbilanz und nach welchen Grundsätzen sind sie zu erstellen? Wie können Mandatsträger Einfluss auf den kommunalen Haushaltsplan nehmen? Referent: Alexander Thomas (Dipl.-Verwaltungswirt) Veranstaltungsort: Hotel „Schwarzes Roß, Freiberger Straße 9, Großschirma ST Siebenlehn Teilnahmegebühr: 20,00 (Studenten u. AlG II-/SoHi-Empfänger 5,00 EUR) inkl. Übernachtung und alkoholfreie Tagungsgetränke
Fachforum Die UN-Behindertenrechtskonvention und die Barrierefreiheit in sächsischen Kommunen Montag, 28.09.2015, 17:00 Uhr Schwerpunkte: 6 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland Was fordert die UN-Behindertenrechtskonvention? Wie ist der Stand der Umsetzung im Freistaat Sachsen? Was ist ein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und wann kommt dieser in Sachsen? Sicherung der Teilhabe und eines selbstbestimmten Leben ist mehr als nur die Schaffung von Barrierefreiheit! Was bedeutet umfassende Barrierefreiheit? Welchen eigenen Beitrag können Landkreise und Kommunen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention leisten? Welche Maßnahmen können Kommunen zur Schaffung von Barrierefreiheit leisten? Wie sinnvoll sind eigene Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Kommunen und was können sie bewirken? Referent/innen: Helga Dittrich (Senioren- und Behindertenbeauftragte des Landkreises Erzgebirge) Horst Wehner (MdL, Sprecher für Inklusion u. für SeniorInnenpolitik) Veranstaltungsort: „Kulturbahnhof“, Bahnhofstr. 2, Stollberg Teilnahmegebühr: 3,00 EUR
ISBN 978-3-945564-01-1; 6,90 EUR Wo kommt das Geld her, das einer Kommune zur Verfügung steht? Für was soll bzw. darf es ausgegeben werden? Und wie wird das ganze Jahr der Überblick bewahrt? Alexander Thomas sorgt für Klarheit. Der Diplom-Verwaltungswirt erklärt alle wichtigen Begriffe, Zusammenhänge und rechtlichen Hintergründe. Dabei veranschaulichen konkrete Zahlen und praxisnahe Beispiele die Abläufe. Dieses Know-How ist wichtig, um öffentliche Mittel verantwortungsvoll zu verwenden! Der Autor ist seit dem Jahr 2000 parlamenta¬rischer Berater der Linksfraktion im Sächsischen Landtag — davor war er Fachbediensteter für das Finanzwesen der Stadt Meißen.
Informationsveranstaltungen zum Thema Kommunale Asylpolitik im Kontext am Mittwoch, 10.09.2015, 18:00 Uhr „Café mit Herz - Begegnungsstätte für Jung und Alt“, Kosmonautenstraße 9, Zwickau am Dienstag, 15.09.2015, 17:00 Uhr „Ein Haus für Viele(s)“, Dresdner Straße 13, Meißen
Anmeldungen bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de
am Dienstag, 29.09.2015, 14:30 Uhr Volkssolidarität - „Begegnungszentrum Casino“, Reißiger Straße 50, Plauen Referent: Konrad Heinze (Politikwissenschaftler, Teamer beim Netzwerk Demokratie und Courage)
Juli/August 2015
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
PARLAMENTSREPORT „Sachsen – was in Zukunft wichtig ist“
Liebe Leserinnen und Leser, der Ruf des Freistaates ist „fundamental im Arsch“ – so der Dresdner Schriftsteller Peter Richter, der in New York lebt und wie der Rest der Welt fassungslos auf Sachsen schaut. Sommerpause? Keine Spur, stattdessen beinahe täglich neues Unterbringungschaos, neue rassistische Übergriffe, überforderte Behörden. Innenminister Ulbig, der lieber in Dresden einen aussichtslosen Wahlkampf führte als seiner Verantwortung nachzukommen, steht massiv unter Druck. Auch sonst herrscht Krisenstimmung in der Landesregierung. Lang vermisste, klare Worte des Ministerpräsidenten zum Rassismus-Problem werden regelmäßig entwertet, weil CDUHardliner weiter auf Ressentiments statt auf Vernunft setzen, etwa fordern, die Grenzen dichtzumachen. Wer aber legale und sichere Fluchtwege verhindert, ist nicht nur mitschuldig am tausendfachen Sterben – auf Booten im Mittelmeer oder in LKWs auf österreichischen Autobahnen –, sondern sichert auch das Geschäftsmodell von Schlepperbanden. Wir haben der Regierung angeboten, bei der Bewältigung der „größten gesellschaftlichen Umwälzung seit dem Ende der DDR“ (Freie Presse) parteiübergreifend zu agieren, und 45 Vorschläge für eine menschliche und geordnete Asylpolitik gemacht. Wir haben eine Sondersitzung des Landtages angestoßen. Auch davon werden wir in der nächsten Ausgabe berichten. Einstweilen werfen wir einen Blick zurück in den Juli. Denn neben dem Asyl-Chaos gibt es andere Themen, die wir bearbeiten müssen. Ziel aller Politik muss es sein, dauerhafte soziale Sicherheit für alle zu schaffen, die in Sachsen leben – egal, woher oder warum sie kommen. Das ist dringend nötig, damit die Gesellschaft nicht zerfällt. Imageprobleme sind dabei nur Randnotizen.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Der Titel der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten im Juli ließ wie üblich das alte Tremolo von Selbstlob und Worthülsen erwarten. Allerdings hatte die Staatskanzlei zuvor per Umfrage herausgefunden, welches Thema der Bevölkerung derzeit am wichtigsten ist: die Asylpolitik. Deshalb erwarteten viele, dass Tillich nach Monaten des Schweigens endlich klare Worte finden würde. Diesen Anspruch erfüllte er und erhielt auch Beifall von der Opposition: „Mich machen die Bilder von Menschen in überfüllten Booten und in Flüchtlingslagern im Nahen Osten und Afrika traurig. Es geht um Menschen, die vor Krieg und Katastrophen auf der Flucht sind. Diese Menschen müssen bei uns gut aufgenommen werden. Sie haben Anspruch auf ein faires Asylverfahren und eine gute Unterbringung. Hass und Gewalt gegen diese Menschen und gegen alle anderen verurteile ich auf das Schärfste! Rassismus ist eine Schande. Wenn eine Minderheit in unserem Land gegen alle Werte von Moral und Anstand verstößt, dann ist es die Pflicht der großen Mehrheit, sich dagegen zu stellen“. Leider ist nicht sicher, dass diese Aussagen die Position der sächsischen CDU widerspiegeln. Vor allem die Namen zweier CDU-Abgeordneter illustrieren das: Krauß und Kupfer. Alexander Krauß aus Schneeberg, sozialpolitischer Sprecher, forderte allen rechtsstaatlichen Grundsätzen zum Trotz, man möge Asylsuchende, deren Identität nicht feststeht, einfach einsperren. „Ein Aufenthalt hinter Gittern fördert die Gedächtnisleistung enorm“. Nein, wir reden nicht von einem amerikanischen Gangsterfilm. Wer „Wirtschaftsflüchtlinge wolle“, so Krauß weiter, solle sie doch „privat aufnehmen“. Solche Plattheiten wurden gerade noch rechtzeitig aus der Rede von CDU-Fraktionschef Frank Kupfer getilgt, waren allerdings im zuvor verteilten Manuskript noch enthalten. Offenbar hatte man in der CDU-Fraktion nicht mit den klaren Worten Tillichs gerechnet. So ließ sich nachvollziehen, dass Kupfer viel Populistisches etwa zu Abschiebehaft und „Wirtschaftsflüchtlingen“ wegließ. Dennoch schimpfte er vor allem gegen „Asylmissbrauch“. Damit stellte er sich gegen Tillich, der formuliert hatte: „Wir fragen nicht zuerst, woher kommt der Mensch, was bringt er mit. Zuerst bieten wir Hilfe an“.
Der Rest der Regierungserklärung war dann vor allem eines: Standard. Sie bot nur Bekanntes – etwa Seitenhiebe auf die „Braunkohleabgabe“, deren Verhinderung die Dominanz der Braunkohleverstromung stützen hilft. Neben Dankesformeln und Selbstlob traten Formeln wie diese: „Ich bin überzeugt, dass wir nur gemeinsam unseren Freistaat Sachsen weiter gut gestalten können“.
Oppositionsführer Rico Gebhardt sparte nicht mit Lob: „Ich danke Ihnen, Herr Ministerpräsident, für Ihr unmissverständliches Bekenntnis: Jeder Mensch, der zu uns kommt, hat unabhängig von seinem Aufenthalts- oder Asylstatus ein uneingeschränktes Recht auf Schutz seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit“. Es sei aber falsch, Begriffe wie „Missbrauch des Asylrechts“ zu gebrauchen – denn das Recht, Asyl zu beantragen, stehe auch allen zu, deren Antrag abgelehnt wird. Es dürfe niemandem rückwirkend abgesprochen oder aufgrund pauschaler Vorurteile („Wirtschaftsflüchtlinge“) von vornherein verwehrt werden. Deshalb müsse Tillich auch allen in seiner Partei widersprechen, die Ressentiments schüren. Dass der Ministerpräsident sich nicht früher geäußert hat, erklärte sich Gebhardt mit dessen Taktik, stets erst zu handeln, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Offenbar hätten ihm Vertreter der Wirtschaft oder von Forschungseinrichtungen gesagt, dass Fremdenfeindlichkeit ausländische Fachkräfte
abschrecke. „Da plötzlich werden Sie aktiv. Sie merken, es droht wirtschaftlicher Schaden. Für Sie ist Dynamik nur in der Wirtschaft wünschenswert – beim Sozialen, der Kultur und Bildung setzen Sie dagegen auf Bewegungslosigkeit“. Auch deshalb könne von gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Sachsen keine Rede sein. Dieses Ziel steht noch nicht einmal in der Landesverfassung, über deren Reformierung erneut verhandelt werden müsse. „Nicht mit ihnen!“, rief CDU-Fraktionschef Kupfer eilig dazwischen. Dabei sei Sachsen ein Land der Parallelgesellschaften, „das ,Wir‘ liegt in Stücken“, so Gebhardt. Wohnungsnot und Leerstand, Abwanderung und Bevölkerungswachstum, Wirtschaftszentren und leere Gewerbegebiete lägen beieinander. Neben guten Wirtschaftskennzahlen gebe es noch immer eine sechsstellige Arbeitslosenzahl; ein Landesarbeitsmarktprogramm wie in Thüringen sei nicht in Sicht. Dabei könne Arbeit auch ein Schlüssel zur Integration von Flüchtlingen sein. Stattdessen gebe es vielerorts keinerlei Zusammenhalt mehr. „Wer etwa in den ländlichen Räumen in Sachsen lebt, seine Kinder in einen anderen Ort zur Kita fährt, weit weg arbeitet und abends schnell in einem Einkaufsmarkt am Stadtrand einkauft – wer so leben muss und seine Nachbarn kaum noch sieht, der tut sich schwer, in Neuankömmlingen eine Bereicherung der Gesellschaft zu erleben. Einfach weil es für ihn gar keine funktionierende Gesellschaft mehr gibt“. Dem könne entgegengewirkt werden: Mit einer Bildungsreform, die längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder erreicht. Mit einer Verwaltungsreform, die Bürgernähe herstellt. Mit einer Wirtschaftsreform, die kleine und mittelständische Unternehmen stärkt. Mit soliden Kommunalfinanzen und mehr Austausch zwischen Metropolen und ländlichem Raum. Nicht zuletzt mit einer Sozialpolitik, durch die alle Menschen gleichwertig am Leben teilhaben können. Sachsen brauche neue Modelle für gesellschaftlichen Zusammenhalt, so Gebhardt. „Das kann der staatlich geförderte Dorf-Konsum, der flächendeckende fahrscheinlose Nahverkehr und eine Renaissance von Genossenschaften sein“. Was in Zukunft wichtig ist? Klar: „eine neue Kultur der Geselligkeit statt der Verwaltung der Einsamkeit“.
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Autoreparaturen besser vergütet als Altenpflege Es ist eine Antwort, die man bei Familienfeiern häufig hört: „Etwas mit Medien“ wolle man machen, oder „etwas mit Menschen“, antwortet mancher auf die Frage nach Wünschen für die berufliche Zukunft. Beide Aussagen umschreiben spannende Felder. Doch während man es im Medienbereich mit einer guten Ausbildung und etwas Glück zu einigem Wohlstand bringen kann, ringen viele im zweiten Bereich – dem der „sozialen Arbeit“ – trotz größten Einsatzes um das Existenzminimum. Wir alle haben schon einmal ein Krankenhaus, ein Seniorenheim oder eine Kindertagesstätte von innen gesehen und wissen, wie engagiert die Beschäftigten teils enorme körperliche und seelische Belastungen auf sich nehmen. Viele dürften sich denken: „Ich könnte hier nicht arbeiten“. Umso mehr Hochachtung sollten wir vor denen haben, die es tun, als Krankenschwester, Altenpfleger oder Erzieherin, trotz mieser Bezahlung. Hochachtung aber reicht nicht: Die Beschäftigten verdienen gute Arbeitsbedingungen und einen fairen Lohn. Deshalb debattierte der Landtag auf Anregung der Linksfraktion das Thema „Gute Löhne für soziale Arbeit – Das muss drin sein!“ Susanne Schaper, Krankenschwester und Sprecherin für Sozialpolitik,
rungstendenzen. Bessere Arbeitsbedingungen in sozialen Berufen seien schon deshalb notwendig, damit sich die Beschäftigten wirklich um andere kümmern können, „ohne sie einfach abzufertigen“. Wer im Sozialund Erziehungsdienst arbeite, werde besonders belastet. In Chemnitz liege die Krankenstands-Quote bei KitaErzieherinnen bei zehn Prozent, was durchschnittlich 39 Ausfalltage pro Kopf bedeute.
verwies auf den Pflegenotstand in Krankenhäusern oder Heimen, auf Personalmangel in Kitas und in der Jugendhilfe. Dies seien Folgen der Ökonomisierung unseres Lebens: „Immer öfter werden humanistische Werte unter das Diktat ökonomischer Kategorien wie Wertschöpfung, Preis oder Rentabilität gestellt. Für ein Krankenhaus, ein Altenheim oder eine Kindertagesstätte ist das völlig untauglich“. Es könne nicht sein, dass Menschen, die sich um andere kümmern, mit dem Mindestlohn abgespeist werden. „Eine kranke Gesell-
schaft erkennt man daran, dass sie eine Stunde Autoreparatur viermal so hoch vergütet wie eine Stunde Kranken- oder Altenpflege“. Soziale Arbeit werde durch Steuergelder und Sozialversicherungsbeiträge finanziert und stelle einen volkswirtschaftlichen Wert dar. Gehälter und Fachkräfteanteil müssten erhöht und die Privatisierung der Pflegeausbildung rückgängig gemacht werden. Nico Brünler, Sprecher für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, unterstrich die Kritik an Ökonomisie-
Annekatrin Klepsch, Expertin für Kinder- und Jugendpolitik, verwies auf den ersten unbefristeten Streik von Kita-Beschäftigten im vereinten Deutschland. Sie lobte den Durchhaltewillen der Streikenden, zumal der öffentliche Dienst eine Leit- und Vorbildfunktion habe. Er zeichnet die Gehaltsentwicklung für freie Kita-Träger vor. Die Gehälter müssten auch steigen, weil ein Großteil des Personals eine Fachhochschul- oder Hochschulausbildung besitzt. Deutschland ist reich. Durch eine Steuerpolitik auf Bundesebene, die breite Schultern stärker belastet, ließen sich auch gute Gehälter in der Sozialen Arbeit finanzieren. Dafür sollte sich die Staatsregierung einsetzen – damit es auch künftig genug Menschen gibt, die bereit sind, Arbeit „mit Menschen“ zu leisten.
Erbschaftsteuer schafft Ausgleich – Schluss mit Schonung!
Wer arbeitet, soll mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet! Solche Sprüche hört man noch oft, obwohl die FDP politisch bedeutungslos ist. An mindestens einer Stelle aber müssen sich „Leistungsträger“-Freunde Inkonsequenz vorwerfen lassen – wenn sie für eine schwache Erbschaftsteuer plädieren. Schließlich wird Besitz bei Vererbung oder Schenkung auch übertragen, ohne dass die neuen Eigentümer dafür „etwas leisten“ müssen. Deshalb darf die öffentliche Hand einen Teil beanspruchen, um das Gemeinwesen zu finanzieren. Dennoch gibt es eine schiefe Entwicklung: Zwischen 2009 und 2013 wuchs das geerbte Betriebsvermögen um 41,9 Prozent, das Erbschaftsteueraufkommen aber nur um elf Prozent. Indes hat sich der Wert des verschenkten Betriebsvermögens beinahe verdreifacht, während die Summe der gezahlten Schenkungsteuer um 21,4 Prozent sank!
Die Regelungen zur Erbschaft- und Schenkungsteuer werden derzeit auf Bundesebene überarbeitet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die weitgehenden Ausnahmen für verfassungswidrig erklärt. Auch die Landesregierungen können diesen Prozess beeinflussen. Wir haben die Staatsregierung per Antrag (Drucksache 6/1730) aufgefordert, sich gegen Steuerbefreiungen bei vererbtem oder verschenktem Betriebsvermögen einzusetzen. Der Staat soll stärker zugreifen, und Unternehmenseigentümer, die eine angemessene Erbschaftsteuer zahlen könnten, nicht länger schonen. Dennoch sollen Liquidität und Arbeitsplätze sicher bleiben – etwa durch Stundung bei nachgewiesener Bedürftigkeit. Der Aufschrei war groß und folgte einem alten Muster: Diese Linken wollen unsere Unternehmer enteignen, Arbeitsplätze sind ihnen wurscht!
Alles falsch, wie Sebastian Scheel, Finanzexperte der Fraktion DIE LINKE, klarstellte. „2,6 Billionen Euro werden bis 2020 in Deutschland vererbt. Wenn wir zusammenfassen wollen, was das bedeutet, dann heißt das: Viele erben wenig und einige wenige im Westen erben viel“. Seit Jahren seien Regelungen zur Vererbung von Betriebsvermögen gelockert worden. Immer großzügigere Stundungen, die Abschaffung von Zinszahlungen und das Ausklammern weiter Teile des Betriebsvermögens bei der Steuerberechnung führten 2008 zum großen Coup der Unternehmerlobby: „Müller und Co. durften sich freuen. Endlich ist es gelungen, ohne Steuern ihr Vermögen auf die nächste Generation übertragen zu können“. Seitdem konnten Unternehmen steuerfrei vererbt werden, unabhängig davon, wie groß sie sind, oder ob es sich der Erbe leisten könnte, Erbschaftsteuer zu zahlen – solange die Mitarbeiterzahl einige Jahre lang stabil blieb. „In den Jahren 2009 bis 2012 sind nach Angaben des Bundesfinanzministeriums aufgrund dieser neu geschaffenen Paragrafen über 70 Milliarden Euro nicht zur Steuer herangezogen worden“, so Scheel. Dabei habe der Wirtschaftslobby insbesondere das Argument geholfen, eine zu harte Erbschaftsteuer gefährde Arbeitsplätze. Bis heute gibt es, so Scheel, aber nicht ein einziges Unternehmen, das durch die Erbschaftsteuer in Schieflage gera-
ten wäre. Ein Gutachten des Bundesfinanzministeriums argumentiert, es existierten „wenig Hinweise darauf, dass eine Verschonung von Betriebsvermögen geboten ist, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden“. Sofern die CSU die Kompromisse mitträgt und Lobbyisten keine erneute Abschwächung durchsetzen, sollen künftig alle Unternehmen mit mehr als drei Mitarbeitern nachweisen müssen, dass sie Erbschaftsteuerrabatte zu Recht erhalten. Die werden gewährt, wenn die Beschäftigtenzahl einige Jahre konstant bleibt. Auch die Höhe möglicher Steuerrabatte wird abgesenkt. Wenn das vererbte Betriebsvermögen mehr als 26 Millionen Euro wert ist, wird künftig geprüft, ob der Nutznießer die übliche Steuer nicht aus seinem Privatvermögen zahlen kann. Bisher lag diese Grenze deutlich höher. Dennoch lädt der Gesetzentwurf zur Steuervermeidung ein. Auch künftig werden nur wenige Unternehmen Erbschaftsteuer zahlen müssen. „Lassen Sie uns – bei einem individuellen Freibetrag von 500.000 Euro – alle Sondertatbestände abschaffen, denn sie schaffen nur Unklarheit und Umgehungstatbestände“, so Scheel. Die Erbschaftsteuer ist schließlich, wie auch das Verfassungsgericht feststellt, sehr wichtig. Sie hilft im Kampf gegen die zunehmende Ungleichverteilung von Vermögen – auch dann, wenn Menschen es erhalten, ohne dafür etwas leisten zu müssen.
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Nicht so zurückhaltend, Staatsregierung! Lange hielt sich die Koalition beim Thema TTIP bedeckt. Erstmals seit dem Verhandlungsstart 2013 haben sich CDU und SPD nun damit befasst und einen Antrag beschlossen, der anerkennt: Die Freihandelsabkommen könnten soziale, medizinische und ökologische Standards sowie die kulturelle Vielfalt bedrohen. Zu dieser Einsicht darf man gratulieren! Für die Linksfraktion sind TTIP und Co. ein Dauerthema. Schon im März wollten wir von der Staatsregierung per Großer Anfrage (Drucksache 6/1092) ihre Positionen zu den Folgen von TTIP, CETA, TiSA und ACTA für den Freistaat wissen. Die Antworten belegen die Zurückhaltung der Regierung gegenüber den Verhandlungen, ihr Nicht-Wissen-Wollen und ihr blindes Vertrauen in die Europäische Kommission. Folglich hat sie die Hälfte unserer 64 Fragen nur pauschal beantwortet, viele weitere mit Floskeln, 13 überhaupt nicht. Per Entschließungsantrag schlugen wir Schlussfolgerungen vor. Das Parlament sollte die Regierung unter anderem zu ständiger Transparenz auffordern. Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umweltpolitik und Ressourcenwirt-
schaft: „Die Menschen wollen sich einbringen. Dazu brauchen sie Informationen, und zwar nicht die, über welchen Link sie bei der EU irgendwelche Dokumente herunterladen können, sondern zu den möglichen konkreten Risiken der Freihandelsabkommen“. Die Europapolitikerin der Linksfraktion, Anja Klotzbücher, entlarvte die Fiktion von den goldenen Zeiten, die mit TTIP und Co. angeblich bevorstünden. Diesem Trugbild hängen nicht nur viele EU-Parlamentarier an, sondern auch CDU und SPD in Sachsen. Das Abkommen werde, so ihr Koalitionsantrag, „wesentliche Impulse für neue Investitionen geben“ und „die Wirtschaft [...] in Sachsen beleben“. Klotzbücher überzeugt das nicht. So sei insbesondere belegt, dass TTIP kein „Wachstums- und Beschäftigungsmotor“ ist. Die Friedrich-EbertStiftung hatte die wichtigsten Studien zu Freihandelsabkommen analysiert und festgestellt, dass die zu erwartenden Effekte für Wachstum und Beschäftigung „winzig“ seien. Dafür droht unter anderem, dass Standards für Ökologie und Verbraucherschutz dem US-„Nachsorgeprinzip“ unterfal-
len könnten. Dort gelten Produkte so lange als zugelassen, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist – in Europa werden sie erst zugelassen, wenn sie als unschädlich gelten. Nico Brünler, Wirtschaftspolitiker der Linksfraktion, sieht insbesondere die drohende Sondergerichtsbarkeit durch private Schiedsgerichte als problematisch an. Sie sei trotz einer Resolution des EU-Parlaments weiter auf dem Tisch – und werde „Kapitalinteressen vor den Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente“ schützen. TTIP sei kein Freihandelsabkommen, „sondern ein Investorenund Profitschutzabkommen“. Zudem belege eine Studie der Tufts-University in Boston anhand eines makroökonomischen Modells der Vereinten Nationen, dass kapitalstarke Unternehmen und eben nicht die für Sachsen typischen kleinen und mittleren Betriebe vom Abkommen profitieren. Die geheimen Verhandlungen müssen öffentlich werden, damit Parlamente nicht zu Abnickmaschinen für fertige Texte verkommen. Europäische Standards müssen verteidigt werden. Die Staatsregierung darf nicht länger passiv bleiben!
Flüchtlingskinder in Sachsen: Gut betreut? Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) geraten zunehmend ins Blickfeld. Die meisten Flüchtlingskinder sind zwischen 15 und 17 Jahre alt, kommen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien, Eritrea oder Somalia. Sie haben eine harte Flucht hinter sich, müssen die Trennung von ihren Familien verkraften. Viele sind traumatisiert, waren Kindersoldaten, erlitten Genitalverstümmelungen oder Zwangsprostitution. Sie brauchen gute Unterkünfte und eine intensive Betreuung. Wir hatten schon im April (Drucksache 6/1409) argumentiert, ein Kompetenzzentrum beim Landesjugendamt könne ihre Rechte schützen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Rotes Kreuz, Diakonie, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) hatte das empfohlen. In der Debatte betonte Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik, dass Flüchtlingskinder kein „spezielles Nischenthema in der Kinder- und Jugendhilfefachwelt“ mehr darstellen. 2010 waren bundesweit 2.800 in Obhut genommen worden, 2013 hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Aktuell leben etwa 20.000 UMF in Deutschland. Für ihre Obhut sind die kommunalen Jugendämter zuständig. Untergebracht werden sie in denjenigen Kommunen, in denen sie ankommen; in Sachsen momentan vor allem in Leipzig, Dresden und Ostsachsen. Wegen dieser Konzentration von UMF fühlen sich manche Bundesländer überfordert. Bayern forderte im September 2014 im Bundesrat, auch Flüchtlingskinder nach dem Königsteiner Schlüssel innerhalb Deutschlands
zu verteilen. Noch im Mai 2015 stellte die Staatsregierung fest, dass Sachsen „nicht zu den Haupteinreiseländern von unbegleiteten minderjährigen Ausländern“ gehöre; inzwischen erkennt sie aber an, dass ab 2016 mehr als 1.000 UMF hier untergebracht werden müssen. Nach monatelanger Debatte gibt es nun immerhin eine koordinierende Stabsstelle im Sozialministerium. Weitere Schritte sind nicht bekannt. Vielmehr tat sich die Sozialministerin mit dem Vorschlag hervor, Flüchtlingskinder in Pflegefamilien unterzubringen, wohl wissend, dass das unrealistisch ist. Klepsch: „Sachsen benötigt dringend eine Strategie für die Unterbringung in den Kommunen, aber auch für die fachliche Steuerung durch das Landesjugendamt“. Dem pflichtet Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik, bei. Die quotenbasierte
Verteilung der UMF, wie sie die Bundesregierung mit ihrem im Juli beschlossenen Gesetzesentwurf vorsieht, gefährde das Kindeswohl. Flüchtlingskinder dürften nicht nach statistischen Kriterien verschickt, sondern müssten dort untergebracht werden, wo sie wirklich betreut werden können. „Das Kindeswohl hat bei allen behördlichen Entscheidungen Vorrang“. Sachsen solle ein Handlungskonzept zu ihrer Unterbringung erarbeiten und ein Verfahren der Alterseinschätzung ohne entwürdigende medizinische Untersuchung entwickeln. Sozialpsychiatrische Dienste müssten mit mehrsprachigen Fachkräften aufgestockt und das Landesjugendamt einbezogen werden. Die Regierungskoalition lehnte ab. Sollten Flüchtlingskinder in Sachsen zukünftig nicht angemessen betreut werden, ist klar, wer darunter leidet: die Schwächsten.
Plenarspiegel Juli 2015 Die 16. und 17. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 8. und 9. Juli 2015 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Gute Löhne für soziale Arbeit – Das muss drin sein!“ Große Anfrage – „Positionen der Staatsregierung zu Bedeutung und Auswirkungen von TTIP, CETA, TiSA und ACTA im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1092) Anträge – „Bei der Neuregelung der Erbschaftssteuer Gestaltungsmissbrauch stoppen und Steuergerechtigkeit herstellen!“ (Drs 6/1730) – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen! Vorkehrungen für die Aufnahme einer zunehmenden Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Sachsen treffen“ (Drs 6/1409) Änderungsantrag – zum Gesetzentwurf der Staatsregierung in Drs 6/1246 „Sächsisches Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG)“ (Drs 6/2102) und der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Sport, Drs 6/1989 Sammeldrucksache 6/1992 – darin enthalten sind die Anträge der Fraktion DIE LINKE in – „,Masterplan Erwachsenenbildung‘ für den Freistaat Sachsen auflegen“ (Drs 6/253) – „Gasthörerschaft von Asylsuchenden an den Hochschulen im Freistaat Sachsen ermöglichen“ (Drs 6/1406) Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
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TTIP und die Kultur Viele von uns gehen gern ins Theater, in die Oper oder andere subventionierte Kulturstätten. Danach reden wir darüber, wie großartig das Gesehene war, sind uns einig, wie wichtig Kultur für unser Leben, für die Stadt und das Land ist. Wir verstehen ihren Nutzen für die Ansiedelung von Unternehmen und die Attraktivität für den Tourismus. Nun stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Regisseur aus den USA plant, zum Beispiel in Dresden eine Musikaufführung zu inszenieren. Lächerlich! Wir alle wissen, wie teuer eine Operninszenierung ist, mit wie viel Geld eine Eintrittskarte subventioniert wird. Er mietet einen Veranstaltungssaal, stellt sein Orchester und sein Ensemble zusammen, sieht die Semperoper und möchte ebenfalls eine Förderung in gleicher Höhe vom Freistaat, weil er sich wettbewerbsrechtlich benachteiligt sieht. Das Land verwehrt sie ihm. Er beginnt zu klagen: Entweder erhält er auch diese Förderung, oder das Land soll seine Subventionierung der Semperoper einstellen! So oder so ähnlich könnte es in Zukunft oft vonstattengehen, sollte der Kultursektor bei den Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) nicht ausgeschlossen werden. Richtig: Beteuerungen, dass Kultur bei diesen Verhandlungen keine Rolle spiele, gibt es von vielen Seiten. Vizekanzler Sigmar Gabriel: „Wenn TTIP die Kul-
tur nicht genug schützt, dürfen wir dem Abkommen nicht zustimmen“. Der gleiche Minister sagte auf einem Wirtschaftsgipfel: „Vielleicht sind die Verhältnisse in Deutschland schwieriger, weil wir reich und hysterisch sind“ (gemeint ist die Durchsetzung von TTIP und den Schiedsgerichten). TTIP soll Standards und Normen angleichen und gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen in Europa und in den USA schaffen. Jedoch sind die Voraussetzungen im Kulturbereich grundsätzlich unterschiedlich. Europa und im speziellen Deutschland hat eine reichhaltige Kulturlandschaft, die durch staatliche Subventionen gefördert wird. Derlei gibt es in den USA nicht. Dort ist auch dieser Bereich den Prinzipien des freien Marktes unterworfen. Kann so eine Angleichung überhaupt möglich sein? Kultur
ist keine Handelsware, sondern ein öffentliches Gut! Cecilia Malmström (EU-Handelskommissarin) meint: „Es kommt nicht in Frage, dass TTIP Deutschlands reichhaltige kulturelle Vielfalt oder entsprechende Politikbereiche beeinflussen wird“. Allein: Mir fehlt der Glaube. Ich kann mich bisher auch nicht vom Gegenteil überzeugen. Inzwischen dürfen zwar Vertreter der Bundesregierung nach Voranmeldung in einem Leseraum die Dokumente einsehen. Vertreter der Landesregierungen hatten dieses Recht zu keinem Zeitpunkt. Nun soll Schluss sein mit der Geheimniskrämerei. Künftig will die Brüsseler Behörde detaillierte Berichte über die Verhandlungen auf ihre Website stellen. Warten wir es ab. An den Verhandlungen ist ohnehin problematisch, dass dabei nicht auf
Basis von Positivlisten, sondern von Negativlisten beraten wird. Während in Positivlisten nur diejenigen Bereiche eingetragen werden, über die verhandelt werden soll, wird in Verhandlungen mit Negativlisten zunächst alles einbezogen, ob es nun gemeinwohlorientiert oder erwerbswirtschaftlich ist. Danach muss begründet werden, weshalb ein Sektor außen vor bleiben soll, also auf die Negativliste zu schreiben ist. Für den Kulturbereich ist dies eine riesige Aufgabe, da dieser viele Bereiche umfasst: Verlagswesen, Musikschulen, Filmwirtschaft, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Theater, Orchester, Museen, kleine kulturwirtschaftliche Betriebe etc. Für alle müssen nun Begründungen für einen Ausschluss aus den Verhandlungen formuliert werden. Außerdem ist die Entwicklung im Zuge der Digitalisierung einzelner Kulturbereiche noch gar nicht abzusehen. Wie kann man eine Ausnahme formulieren für etwas, das noch nicht stattfindet? Es geht darum, zu sensibilisieren und die politischen Sinne zu schärfen. Wir müssen fragen, ob wir unsere kulturelle Vielfalt, die über Jahrhunderte gewachsen ist, der Gefahr aussetzen möchten, zu einer wirtschaftlich auszubeutenden Mainstreamkultur im Sinne eines Einheitsbreis zu werden. Wenn wir also weiter wie bisher Theater oder Opern besuchen wollen, heißt es: Augen, Ohren und Mund auf! Franz Sodann, MdL
Staatsversagen bei Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen Am 24. Juli wurden Helfende des DRK bei der Errichtung einer Zelt-Notunterkunft für Flüchtlinge in Dresden verbal attackiert und tätlich angegriffen. Das offenbart drei grundlegende Probleme: Erstens ist die Staatsverwaltung des Freistaates den steigenden Asylsuchenden- und Flüchtlingszahlen nicht gewachsen und hat kein auf absehbare Zeit belastbares Aufnahme- und Unterbringungskonzept. Zweitens brechen sich die in breiten Teilen der Bevölkerung vorherrschenden fremdenfeindlichen und rassistischen Ressentiments nicht nur in
Beneidenswerte Zustände?
Pegida- und Legida-Demos sowie in sozialen Netzwerken Bahn. Sie werden jetzt durch tätliche Angriffe auf Helfende und auf Flüchtlinge zur Gefahr für Leib und Leben. Drittens scheint die Polizei durch den Personalabbau so geschwächt, dass sie dauerhaft am Rand der Leistungsfähigkeit arbeitet und nicht mehr allen Situationen angemessen begegnen kann. Dieser Ad-hoc-Befund hat die Fraktion DIE LINKE bewogen, eine Sondersitzung des Innenausschusses des Landtages für den 3. August zu beantragen und ihre Beweggründe in einem Antrag
auf umfangreiche Berichte der Staatsregierung (Drucksache 6/2297) darzulegen. Zugleich wurde beantragt, den Helfenden des DRK, des THW sowie der Polizei und allen Ehrenamtlichen Dank auszusprechen. Darüber hinaus sollte die Staatsregierung umgehend einen Asylgipfel unter Einbeziehung der staatlichen Stellen, der Kommunen und Landkreise sowie aller zivilgesellschaftlichen Akteure, die in der Asyl- und Flüchtlingsarbeit tätig sind, einberufen und ein tragfähiges Unterbringungskonzept mit festen und sicheren Unterkünften vorlegen. Unser Antrag wurde durch CDU und SPD abgelehnt. Unsere Mitglieder des Innenausschusses hatten sich zuvor vor Ort über die Unterbringungs- und Versorgungsumstände im Zeltcamp in der Bremer Straße in Dresden ins Bild gesetzt. Den Helfenden des DRK und THW ist dabei zu bescheinigen, dass sie über viele Tage teils Übermenschliches geleistet haben. Schier über Nacht hatten sie aus einer Brache den Boden für das Camp bereitet und es errichtet. Rund um die Uhr waren und sind sie bemüht, die Unterkünfte zu verbessern und die Versorgung den ethnischen und religiösen Bedürfnissen anzupassen.
Die Staatsregierung läuft seit zwei Jahren auf der Grundlage falscher Prognosen der Situation hinterher und hat kein tragfähiges Unterbringungskonzept. Bei der Sicherheit der Asylsuchenden, Flüchtlinge und Helfenden stützt sie sich auf private Firmen und will den Stellen- und Personalabbau bei der Polizei nicht stoppen. Wir werden weiter Druck machen, damit sich die Lage der Flüchtlinge schnell und dauerhaft bessert. Enrico Stange, MdL
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig