Gibt‘s was zu feiern?
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Oktober 2015
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Thema: 25 Jahre Deutsche Einhei
25 Jahre Einheit, 25 Jahre „Freiheit“. Wirklich? Für wen, wie viele und welche Freiheit? Gerade recht zum Jubiläum kommen zwei Nachrichten, die diese 25 Jahre charakterisieren: 1. Der Verkauf des Salzbergbaus in Bischofferode 1993 an die Kali und Salz AG durch die Treuhand war stets nur eine erwürgende Umarmung zur Beseitigung unliebsamer Ost-Konkurrenz. Die Verträge der Treuhand bis vor kurzem geheimgehalten, kriminelle Bereicherung und absichtsvoller Rechtsbruch müssen unterm Deckel bleiben. Man darf an TTIP, TISA und CETA denken! Die Rechnung damals haben die Kumpel gezahlt, mit Arbeitslosigkeit, Neuorientierung, sozialem Abstieg oder dem Verlassen ihrer Heimat. Sicher haben einige auch „Karriere“ gemacht. Das Ganze aber ist kein Einzelfall, sondern flächendeckend und staatlich legalisiert. Die Kumpel wachten auf, aber ein ganzes Volk schlief und ließ sich von seinem „Volkseigentum“ enteignen, hat nie Eigentümerbewusstsein entwickelt. Man lese die Bücher zur Treuhand und über die Wirtschaftsentwicklung im Osten seit der „Wende“. Noch heute ist das Bruttoinlandsprodukt der verschiedenen DDR nicht wieder erreicht! Drei bis vier Millionen Menschen haben den Osten wegen Perspektivlosigkeit verlassen. Gekürzt werden die Budgets für öffentliche Einrichtungen für Kultur, Kunst und Freizeit. Niemals bekommt man einen Vergleich zu den Einrichtungen, die die DDR auf diesem Sektor finanzierte. Ich denke an Kulturhäuser, Orchester, auch an Schwimmhallen und öffentliche Bibliotheken, an Betriebskulturhäuser, -bibliotheken und -urlaubsobjekte. 2. VW kommt in die Schlagzeilen mit dem Vorwurf vorsätzlichen Massenbetrugs. Der ist nur die Folge kapitalistischen Verwertungsdenkens. Da ist keine Ethik, nur das Interesse an Umsatz und Gewinn. Wo die in Gefahr geraten, wird betrogen – dazu wird sogar der technische Fortschritt missbraucht. Wo ein Problem im Konkurrenzdruck nicht gelöst werden kann, reichen Wissenschaft und Marketing allemal, um das „gute Produkt“ zu platzieren. Und schon ist VW nicht mehr allein. Aber die Vorgehensweise, Software vorsätzlich zum Betrug entwickelt zu haben,
könnte Alleinstellungsmerkmal bleiben. Konkurrenzdruck und Akkumulationszwang bedingen kriminelle Energie. Im Jubiläumsjahr hat Deutschland eine der größten Herausforderungen seiner neuen Geschichte zu bewältigen – das Flüchtlingsdrama. Da zeigt sich folgerichtig jenes in 1. und 2. skizzierte Denken als dominant. Die Reaktionen von Politik und öffentlicher Meinung entsprangen ganz diesem Geist. Dass es zuallererst um physische Existenzbedrohung, Lebensbedrohung geht, wird gar nicht primär thematisiert. Nicht Überlebenshilfe, nicht, dass genug Geld in der Welt ist, auch in Deutschland, diesen Menschen zu helfen, nein, ihre (Nicht-)Berechtigung, zu kommen, steht im Vordergrund. Alles, was Kosten verursachen könnte, vom Leibe halten! Was soll „die deutsche Wirtschaft“ mit Frauen und Kindern als Kostgängern, was mit jungen Leuten, die nur „besser leben“ wollen, aber nicht gut ausgebildet sind? Aber gut ausgebildete Arbeitskräfte, Ingenieure, Wissenschaftler nimmt „die deutsche Wirtschaft“ immer gern, spart Ausbildungskosten. Der Staat sekundiert mit Gesetzen, um diese Interessen abzusichern. Der „Nützlichkeitsrassismus“ (Katja Kipping) kommt aus „der Wirtschaft“, ist in „Politik“ und Gesetz zu Hause, wird von „den Medien“ bedient. Und dann wundern sie sich noch, wenn Asylheime brennen! Dem „Kapitalismus“ ist nur eine dünne Schicht von Humanität auferlegt – in nur wenigen Ländern, in Kämpfen errungen. Nicht der Mensch, sondern nur seine Fähigkeit zu wert-schöpfender Arbeit ist der Gesichtspunkt dieses Denkens. Die Kehrseite: Alles, was nicht Wert schöpfen kann, ist „Kostenfaktor“, der reduziert werden muss. Die Extreme: Selbstüberlassung mit Hungertod oder Auschwitz! Wo die Wertschöpfung nicht reicht, wird bestochen, betrogen, spekuliert, kriminelle Umverteilung eben – Flick, Schäuble, Esser, Ackermann, Hoeneß, Winterkorn, sogar ein Blatter. Ein solches Wirtschaftsdenken kann keinen Humanismus hervorbringen! Erinnerung an die Ausgangsfrage des Artikels! Nur Zivilgesellschaft und Staat können dem Einhalt gebieten. In einem Staatswesen, in dem solch primitiver Ökonomismus zur Staatsdoktrin wurde, hat eine sozialistische Partei für diese 25 Jahre nichts zu feiern. „Linke“ sollten wieder mehr auf geostrategische und historische Zusammenhänge achten und nicht bloß parlamentsorientierte Politpragmatik betreiben. Sollte Deutschland einen nachhaltigen Beitrag zu einer solidarischen, humanen Lösung des Flüchtlingsproblems leisten – dann gäbe es was zu feiern. • Ralf Becker
Links! im Gespräch
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„Diese Digitalisierungseuphorie finde ich richtig gefährlich“ 2010 erschien erstmalig der Wegweiser Solidarische Ökonomie. Soeben kam die neue Auflage heraus. Die Autorin Elisabeth Voß nahm auch Teil am Kongress Solidarische Ökonomie, dem Solikon, der vom 10. bis 13. September in Berlin stattfand. Ihm war eine „Wandelwoche“ vorgeschaltet, in der konkrete Projekte in Berlin und Brandenburg besucht und vorgestellt wurden. Ralf Richter sprach für „Links!“ mit der Autorin.
nomie hat Louis Razeto aus Chile geprägt, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Er hat untersucht, wie wirtschaftliche Selbsthilfe in Krisenzeiten funktioniert. Wir erleben das ja aktuell auch in Griechenland, wo Menschen aus der Not heraus zur Selbsthilfe greifen, die von sich aus keine Unternehmerinnen oder Unternehmer sind.
Im Marxismus wird die Grundfrage nach dem Besitz von Produktionsmitteln gestellt … Ja, das ist wichtig, und es geht auch um die Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz. Besitz ist das, was Menschen nutzen, während Eigentum das ist, was verkauft werden kann
Wer den Kongress besuchte, wurde mit einigen Publikationen beschenkt – unter anderem einer Sonderausgabe der taz mit einem offensichtlichen „Solök“-Roboter auf dem Titelbild. Wie findest Du das?
Weshalb?
Aber ist die Digitalisierung denn nicht gerade en vogue? Ja, es gibt einen regelrechten Digital-Hype, auch bei den Linken mit ihrem Sozialismus 2.0. Aber diese Digitalisierungseuphorie finde ich richtig gefährlich. In Solidarischen Ökonomien geht es ja um die Erfüllung der Bedürfnisse aller Menschen, nicht nur einiger weniger. Die Fixierung auf eine Technologie, die Jahr für Jahr Millionen Tote fordert, durch die Folgen von Extraktivismus, Vertreibung und durch die Kriege um Ressourcen, das halte ich für äußerst problematisch. Wie definiert sich denn Solidarische Ökonomie? Es gibt dafür keine feste Definition. Für mich drückt es der Slogan „people before profits“ aus, wobei auch darüber beim Solikon kritisch diskutiert wurde. Es geht um menschliche Bedürfnisbefriedigung durch das Herstellen nützlicher Dinge, nicht um Profite. Wo liegen die Wurzeln des Begriffs? Den Begriff Solidarische Öko-
Vielleicht fehlt manchmal der größere Blick, die gesellschaftliche Perspektive. Ich würde es zum Beispiel heute als Fehler der westdeutschen Alternativen bezeichnen, dass wir früher den Staat abgelehnt und uns auf Nischen konzentriert haben. Wir haben zentrale Strukturen abgelehnt und den Staat praktisch „den anderen“ überlassen. Heute stellt sich für mich die Frage: Wem gehört der Staat? Es gibt ja die großen Themen wie Energie und Wasser. Gerade bei alternativen Energien gibt es viele aktive Genossenschaften – sollte alles in genossenschaftliche Hand kommen?
Ehrlich? Naja … Wenn ich nicht involviert gewesen wäre und die Leute, die den Kongress vorbereitet haben, nicht persönlich kennen würde, wäre ich bei diesem doch eher abschreckend wirkenden Titelbild kaum zum Solikon gekommen.
Die Basis Solidarischer Ökonomie sind doch Menschen, die miteinander kommunizieren, diskutieren, streiten, Ideen austauschen. Ich habe immer noch einen Kopf und keinen Bildschirm auf meinem Hals. Dieser alberne Solibot-Roboter auf dem Titelbild drückt für mich das genaue Gegenteil aus von dem, was ich unter Solidarischer Ökonomie verstehe.
Warum ist die Solidarische Ökonomie ein Nischenthema?
Das ist das engere Verständnis von Solidarischer Ökonomie – wirtschaftliche Selbsthilfe und Kooperation statt Konkurrenz in genossenschaftlichen Unternehmungen. Wir hatten uns aber schon in der Vorbereitungsgruppe des Kongress „Wie wollen wir Wirtschaften? Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus“ 2006 in Berlin auf ein breiteres Verständnis geeinigt, das eine Wirtschaftsweise umfasst, die insgesamt der Erfüllung von Bedürfnissen dient und nicht dem Profit, und wo die globale Perspektive und soziale Kämpfe dazu gehören. Ich finde diese Sachverhalte eigentlich wichtiger als den Begriff – Worte sind ja heute beliebig verwendbar, sogar die NPD hat solidarisches Wirtschaften in ihrem Parteiprogramm. Ich denke es kommt eher darauf an, sich darüber zu verständigen, was wer ganz konkret meint, jenseits irgendwelcher Labels.
– darüber gibt es oft Unklarheiten und auch unterschiedliche Auffassungen. Manche sagen, Besitz ist entscheidend, Hauptsache die Nutzenden kooperieren und das Eigentum ist egal, während ich behaupte, dass Eigentum überhaupt nicht egal ist, sondern im Gegenteil das Zentrale, die Basis darstellt. Stichwort Sharing Economy … Hier gibt es ganz bedenkliche Entwicklungen. Unternehmen und Konzerne betreiben immer mehr Internetplattformen und generieren Profite oder verdienen am Datenhandel. Bei dem ganzen Sharing-Hype fehlt mir oft der kritische Blick auf die Frage nach dem Eigentum, und danach, wer eigentlich mit wem teilt oder was das ist, das da geteilt wird. Und dann geht es ja auch um Überwachung und Datensammeln durch Konzerne.
Nein, nicht alles. Für die Energiewende und die Energieproduktion spielen Genossenschaften sicher eine wichtige Rolle. Aber in einer Großstadt sollten die Stromnetze von öffentlichen Unternehmen betrieben werden, so wie wir vom Energietisch das fordern. In Berlin bewirbt sich zum Beispiel eine Genossenschaft um die Konzession für die Stromnetze. Ich halte das für eine Privatisierung. In einer Genossenschaft entscheiden diejenigen, die Genossenschaftsanteile haben. Wer sich das aber nicht leisten kann oder will, hätte dann kein Stimmrecht. So gut und wichtig wie Genossenschaften in anderen Bereichen sind, so gibt es auch Grenzen. Bei den öffentlichen Unternehmen kommt es aber darauf an, dass sie demokratisch gesteuert und kontrolliert werden. Beim Kongress hatte man das Gefühl, von der Themenbreite schier erschlagen zu werden. Es war einerseits schön, so viele Ansätze zu sehen, andererseits suchte man doch nach dem roten Faden, oder? Ja, ich hatte auch den Eindruck, dass zu viele Ziele gleichzeitig erreicht werden sollten. Vielleicht hat die Fokussierung gefehlt, bei vielen Themen wurde nur an der Oberfläche gekratzt. Was ich ganz hervorragend fand, war die Wandelwoche mit den vielen tollen Projektbesuchen, wo an ganz konkreten Beispielen gezeigt wurde, wie denn
zum Beispiel Solidarische Landwirtschaft funktioniert. Das stellte gleichzeitig aber wiederum nur ein kleines Tortenstück aus dem großen Bereich Solidarische Ökonomie dar. Was ist für Dich am Wichtigsten auf dem Kongress gewesen? Ganz schön fand ich die freundliche Stimmung, die ganz stark von den tollen jungen Leuten im Orga-Team geprägt war. Und ich freue mich immer, wenn sich Leute die Arbeit machen, einen Rahmen zu organisieren, wo viele verschiedene Menschen zusammen kommen, gemeinsam diskutieren, sich gegenseitig inspirieren und dann vielleicht auch gemeinsame Projekte machen. Welche Entwicklung hat sich über die Jahre vollzogen? In Sachsen sieht man in jüngster Zeit ein zaghaftes Aufblühen der Repaircafe-Bewegung zum Beispiel … In Berlin gibt es schon mehr als zehn Repaircafes, das ist eine Bewegung aus dem Do-it-yourself-Bereich, die aus den Niederlanden zu uns kommt, seit ein paar Jahren. Was mir auffällt, ist, dass es früher in den Kollektivbetrieben oder selbstverwalteten Projekten um verbindliche Zusammenarbeit für den Lebensunterhalt ging. Heute gibt es eher Teilzeitkollektive oder Freizeitprojekte, wo die Leute vielleicht ein paar Stunden pro Woche arbeiten, oft ehrenamtlich oder für ein kleines Entgelt. Wer sich hier bewegt, ist mobil, flexibel, jung, meist weiß und oft männlich, aber es gibt auch – erfreulicherweise – immer mehr Frauen zum Beispiel, die hier aktiv sind. Leserinnen oder Leser fühlen sich vielleicht durch unser Gespräch hier angesprochen, aus der kapitalistischen Ökonomie auszubrechen und vielleicht sich in der alternativen Ökonomie zu versuchen. Was empfiehlst Du ihnen? Das kommt darauf an, was wer gerne machen möchte. Auch wenn das jetzt nach doofer Eigenwerbung klingt: Ich empfehle meinen „Wegweiser Solidarische Ökonomie“. Dort habe ich nicht nur versucht, zahlreiche Beispiele vorzustellen, sondern auch gelegentlich den Finger in die Wunde gelegt, um vor Fallstricken zu warnen. Gegenüber der letzten Ausgabe ist der Wegweiser jetzt mehr als doppelt so dick geworden. Weitere Informationen: www.voss.solioeko.de
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Mords-Geräte, Mords-Gewinne Die Bundeswehr hatte wiedermal einen Beschaffungsskandal – das Sturmgewehr G 36 (Heckler & Koch). Nun soll es durch ein moderneres ersetzt werden. Da stürzte doch ein Airbus A400M ab, Ursache: Elektronik der Triebwerkssteuerung. Die Entwicklungskosten sind explodiert, laut Bundesverteidigungsministerium um 9,3 Mrd. Euro. Die vertragsgemäße Auslieferung verzögert sich, nur Frankreich besitzt schon zwei Maschinen. Wer erinnert sich noch an die Kostenentwicklung und Mängelüberarbeitungen des Euro-Fighter? Kostenentwicklung von anfänglich geplanten 33 Mio. auf real anfangs ca. 57 Mio. bis inzwischen etwa 138 Mio. Euro. Eine Flugstunde kostet 88.086 Euro, CO2Ausstoß ca. 11.000 kg pro Flugstunde. Folgekosten für Umweltschädigung nicht eingerechnet. Im Mai war unsere „Nationale Verteidigungs-Mutti“ in Indien, um den Verkauf von Eurofightern schmackhaft zu machen. Schon 2009, bei einer „Verkaufs-Show“ in Indien, blieben die Kosten der Vorführung zu über 97 % beim deutschen Steuerzahler hängen, da die Bundeswehr die tatsächlichen Kosten gar nicht in Rechnung stellte. Es gab weitere „Erprobungen“, für die die Bundeswehr die Flieger stellte. So geht Wirtschaftsförderung im Militärisch-Industriellen Kom-
Niemand wird abstreiten, dass die Zahl der in Europa Zuflucht und Sicherheit suchenden Menschen sehr groß ist. Das kann nicht ohne Probleme abgehen. Auf diese wird sehr unterschiedlich reagiert. Zwischen dem „wir schaffen das“ und dem „Grenzen dicht“ oder dem „refugees welcome“ und dem „das Boot ist voll“ ist vieles möglich – Mutiges und Ängstliches, Gutes und Böses. Unter der Überschrift „Auf dem Weg nach rechts“ lese ich: „Die Bundesrepublik Deutschland driftet nach rechts ab. Nein, es sind nicht die in jeweils beherrschbaren Trupps vor Asylbewerberheimen ihren Frust mit Mo-
plex. Gut Ding will eben Weile und Wirtschaftsförderung vom Steuerzahler haben ... Die Euro-Hawk-Drohne hat auch nicht funktioniert, vor gut zwei Jahren war das Desaster nicht mehr zu verheimlichen, Entwicklungskosten um 700 Mio. Euro dahin. Nun soll doch weiter erprobt werden – für knapp 200 Mio. Euro. Welche Branche bekommt noch solch üppige Förderung für die Entwicklung von SchundProdukten? Weiter: Kampfhubschrauber „Tiger“. Man könnte das Kapitel übergehen mit der Bemerkung „Hast du je einen Tiger fliegen sehen?“ Aber nein, so schlecht ist er auch wieder nicht: Entwicklung ab
1984, Erstflug 1991, Auslieferung ab 2003 – bisher an die 80 ausgeliefert. Davon kann man leben, wenn man den Auftrag erst einmal sicher hat (Airbus Helicopters, Eurocopter). Die Bundeswehr reduzierte ihre Order von 80 auf 57 Stück, wegen Kostensteigerung. Dann noch der Mehrzweck-Hubschrauber NH 90, der nicht annähernd gute Transportleistungen bringt. Alle Hubschrauber werden „im Paket“ für rund 8,5 Mrd. Euro angeschafft. Auch der neue Schützenpanzer Puma von Krauss-Maffei-Wegmann hat eine ähnliche „Karriere“: geplante Kosten 2009 für 405 Stück 3,1 Mrd. Euro, nun 4,3 Mrd. für nur 350 Stück.
Dann kam ganz passend zum Aufrüstungserfordernis der Bundeswehr die Meldung, die Ausrüstungsüberprüfung habe ergeben, dass viel Kriegsgerät nicht einsatzfähig sei, darunter auch viele Euro-Fighter, Tiger, Puma. Wen wundert‘s? Also Einsatzbereitschaft erhöhen, Kosten folglich auch. Die Beispiele sind nicht erschöpft. Mords-Geräte – Mords-Gewinne, selbst wenn sie (noch) nicht morden! Stellt sich die Frage: Was hat das mit Verteidigungs„Erfordernissen“ zu tun, wenn die Ausstattung sich verzögert, die Mengen willkürlich kostenbedingt reduziert und bleibende Mängel in Kauf genommen werden? Welche
Verteidigungsfähigkeit wäre da gemeint? Oder sind es nicht vielmehr die bloß teuren technischen Spielzeuge für dekadente Gewinne-Macher und traumwandelnde, halluzinierende, aber gerade deshalb gefährliche politische „GeoStrategen“? 70 % der BundesbürgerInnen lehnen laut Umfragen Bundeswehreinsätze im Ausland ab. Dennoch beschlossen die Bundesregierungen seit dem Bosnienkrieg immer wieder solche Einsätze, erst verschämt und verbrämt, dann zunehmend offener, zuletzt mit militaristischer Verbal-Unterstützung des „Bundespräsidenten“. In diesem Sommer nahm die deutsche Marine an NATO-Manövern im Mittelmeer und im Schwarzen Meer teil. Welche Gefahr droht Deutschland dort wohl? Ach nein, das ist ja der „BündnisFall“, das ist etwas ganz anderes ... Nun eben das G 36-Desaster. Es genügt aber nicht, im Bundesverteidigungsministerium „aufzuräumen“, wie MdB Michael Leutert im Klaren Blick Chemnitz, Mai 2015, S. 9, fordert. Denn was stünde dann als nächstes an? Bessere Ausrüstung, bessere Waffen, eben Qualitätsware? Qualitätssicherung für besseres, genaueres Töten? Nicht Aufräumen ist gefragt, sondern Abrüsten! Wie viel Frieden könnte mit diesen Summen gestiftet werden! Ralf Becker
lotowcocktails und Steinen abreagierenden Jugendlichen, die – für sich betrachtet – eine solche Aussage stützen. Es ist die dahinter verborgene klammheimliche Zustimmung der ,braven‘ Bürger für den ungebändigten Ausbruch von Haß und Gewalt“: Die Situation ist brandgefährlich. In Oberösterreich wurde unlängst zum Landtag gewählt. Für 85 % war die Problematik „Flüchtlinge und Asyl“ das beherrschende Thema für die Wahl und gut 30 % trauten ihre einschlägigen Ängste der rechtspopulistischen und offen nationalistischen FPÖ an. Bei uns sucht die AfD auf der gleichen Welle ihr unseliges Glück. „Wohnraum beschlagnahmt. Familie muß Asylanten aufnehmen“ oder „Asylanten jetzt auf Schulhöfe. Neue Welle! Und bis Weihnachten kommen noch 400 000“. Das waren Schlagzeilen von „BILD“. Der Verdacht, den Flüchtlingen ginge es zu gut, taucht immer wieder auf. „Warum bringt man diese Leute nicht gleich in einem 5-Sterne-Hotel
unter oder baut ihnen einen Bungalow“, fragt eine Leserbriefschreiberin. Ein anderer meint, „Mein Gewissen gebietet es mir, zu dieser Asylpolitik nicht zu schweigen. Was antworte ich später, wenn meine Enkelkinder fragen, wie konntet ihr diese Asylpolitik
nichts bewirkt, möchte man jetzt sagen. Die beiden BILDSchlagzeilen fanden sich in der zitierten Reihenfolge in den Ausgaben vom 8.9.1992 und vom 1.9.1992. Die Leserbriefe waren abgedruckt in „Neue Ruhr Zeitung“ vom 27.8.1992, und auch den Spiegel-Titel wird man bei Ausgaben dieser Tage vergebens suchen. Er ist vom 9.9.1991(!). Gefunden habe ich alles in: SchlagZeilen. DISS-Skripten Nr.5, Duisburg 1992. Mag sein, es kam bei dieser oder jenem eine Ahnung auf, schon wegen der alten Schreibung von „muß“ oder „Haß“ . Außerdem, BILD? Die promoten doch, „Wir helfen!“. Nun, die Zitate sind Reaktionen auf Pogrome gegen Migrantenheime in Hoyerswerda, Rostock und anderswo. Sie klingen dennoch ziemlich aktuell. Und „BILD“ hat auch nicht immer geholfen. Erstaunlich dabei, dass schon dazumal die vorgeblich große Zahl von Flüchtlingen Angst machte. Im „vollen Boot“, so drohte man, würde zwangsläufig eine Ver-
drängung der „Alteingesessenen“ stattfinden. Die Armen der Welt wollen sich in einem „Ansturm“ in unserem Wohlstand einnisten. Nationalistisch genährte Egoismen feierten fröhliche Urständ. So viele waren es aber doch damals gar nicht, bemerke ich jetzt irritiert; im Vergleich zu heute eine fast zu vernachlässigende Anzahl. Die prognostizierten 400.000 waren in dieser Zeit nie und nimmer zu erwarten. Was steckt also wirklich hinter der Panikmache? Es ist sehr viel weniger die Angst vor der Zahl als die Ablehnung der Fremden, die Ablehnung des Fremden. Eine zumindest unterschwellig, aber auch offen angenommene Überlegenheit, die uns vermeintlich Wohlstand gebracht hat, wird gewalttätig ausgespielt. Es kommen welche, die nicht hierher passen, denen das „Unsere“ nicht zusteht. Das ist Rassismus – sagen wir es doch einfach laut und deutlich! Rassisten reicht schon der eine „Mohr“, der spazieren geht vor dem Tor.
Ein Geschwätz von gestern? zulassen und was habt ihr dagegen getan?“ Der Spiegel titelt: „Flüchtlinge Aussiedler Asylanten. Der Ansturm der Armen“. Genug der Zitate. Sie sprechen eine deutliche Sprache. Diese ist nicht zu überhören. Und die Worte werden oft zu „materieller Gewalt“. Ach so, ich habe vergessen, die Herkunft der Zitate anzuzeigen. Das erste, mit der Warnung vor dem Abdriften der Bundesrepublik nach rechts, stammt von Roderich Reifenrath und war in der „Frankfurter Rundschau“ vom 7.9.1992 zu finden. Früh gewarnt und
Hintergrund
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Vier Stimmen zur Einheit Soziologen kennen die „Dritte Generation Ostdeutschland“ als die Gruppe von Menschen, die ihre Kindheit und Jugend teilweise in der DDR und teilweise in der BRD verbracht haben. Wie blickt sie auf die Deutsche Einheit? „Links!“ hat mit vier politisch aktiven ihrer Mitglieder gesprochen (von links oben nach rechts unten). Antje Feiks, geboren 1979, Betriebswirtin und Landesgeschäftsführerin Luise Neuhaus-Wartenberg, geboren 1980, Prokuristin und Wirtschaftspolitikerin Susanne Schaper, geboren 1978, Krankenschwester und Sozialpolitikerin Sören Pellmann, geboren 1977, Grundschullehrer und Kommunalpolitiker
germaßen klarzukommen. So haben meine Eltern ihr SEDParteibuch nicht hingeworfen. Ganz anders habe ich das in der Schule erlebt. Schon nach wenigen Wochen drehten sich manche Lehrer um 180 Grad und wollten uns nun die Segnungen des Kapitalismus vermitteln. Antje Feiks: Der größte für mich als Kind wahrnehmbare Unterschied beider Systeme
Eltern waren und sind überzeugte Sozialisten. Die Wende habe ich mit 11, 12 Jahren als tiefen biografischen Einschnitt empfunden. Beruflich mussten sich meine Eltern neu orientieren und in der Schule spürte man den politischen Anpassungsdruck, der von den neuen Verhältnissen auf die Lehrerschaft ausgeübt wurde. Doch es gab auch Lehrer, die sich nur allzu freiwillig der neuen Ordnung anpassten. Zum
Antje Feiks: Das Zusammenwachsen erfolgt nur sehr langsam. Selbst Jüngere denken in „Ost und West“. Gerechtfertigt, wenn man sieht, dass z. B. Renten und Löhne immer noch nicht angeglichen sind und noch immer behauptet wird, dass der Solidaritätszuschlag nur von Westdeutschen bezahlt werde. Es gibt die OstWest-Denke nach wie vor, weil der Osten für viele wichtiger Teil der Identität ist und die Menschen auf eine ganz bestimmte Art und Weise miteinander verbunden sind. Selbst Jüngere, die nichts mehr mit der DDR zu tun hatten, haben die Ellbogenmentalität des Westens nicht. Das heißt, dass die Eltern im Osten etwas anders machen.
1. Ihr seid in zwei völlig unterschiedlichen „Systemen“ aufgewachsen. Was waren die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Leben eines DDR-Kindes und einer/s BRD-Jugendlichen? Wie prägt die DDR-Lebenserfahrung euch bis heute? Luise Neuhaus-Wartenberg: Ein Vergleich ist schwierig. Ich bin mit Herrn Fuchs, Frau Elster und Alfons Zitterbacke aufgewachsen. Wir hatten den besseren Sandmann und sind grundsätzlich nackig in den See gehüpft. Mangel und Überfluss waren ziemlich gleich verteilt und in der DDR überall zu finden. Plötzlich hatten alle vermeintlich 1000 Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Der Begriff Freiheit wurde neu definiert. Doch im Praktischen hapert es oft am Leben dieses Freiheitsbegriffs. Denn es mangelt vielen am Geld. Geld regiert jetzt die Welt und ist für einige der einzige Antrieb, dem sich alles unterordnet. Nach ´89 wurde meine Familie der einzig verlässliche Rückzugsort, denn aufgrund von Staatsnähe wurden Freunde plötzlich zu Feinden. Es ist bis heute für mich unverzeihlich, dass die Biografie meiner Eltern in Frage gestellt wird und sie auch noch mit einer Spaßrente bestraft werden. Was bleibt, ist, dass das jetzt auch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Sören Pellmann: Die Unterschiede sind unverkennbar; und sie wirken bis heute nach. So haben mich meine Eltern im Sinne der DDR erzogen, zumal wir keinerlei Westverwandtschaft hatten. Allerdings herrschte bei uns stets ein offener Gedankenaustausch über politische Fragen, der es mir erleichtert hat, mit den Wendeereignissen eini-
rade junge Frauen massenhaft aus Ostdeutschland in Richtung Westen. Auch ich selbst empfinde den Unterschied noch immer als recht stark, wenn ich mit Gleichaltrigen aus den gebrauchten Bundesländern zusammentreffe. Es gibt bei einigen (wenn auch nicht allen) immer noch viel Unwissenheit und zum Teil sogar eine leicht arrogante Sicht auf den Osten. Gerade das motiviert mich aber auch dazu, mich als Vertreterin der Ostdeutschen zu sehen.
war, dass mit der Wende neue berufliche Perspektiven meiner Eltern aufgebaut werden mussten und dass wir nach der Wende Jahre damit zugebracht haben, als Familie Angriffe abzuwehren. Leute, die vorher freundlich waren, wurden zu Hassenden und schon immer Kritischen. Bis heute habe ich ein viel engeres Verhältnis zu meinen Eltern als andere, wir diskutieren bis aufs Messer und machen es uns nie leicht. Ich habe einen anderen Freundschaftsbegriff als andere und reagiere empfindlicher auf Verrat. Susanne Schaper: Ich komme aus einer doch recht „typischen“ DDR-Familie, meine
Glück hatte ich einige Lehrer, die keine Wendehälse waren und nicht sofort den Buckel krümmten. Findet ihr, dass Deutschland verglichen seit den 90ern, in denen ihr eure Jugend verbracht habt, stärker zusammengewachsen ist? Welche Rolle spielt Ossi-Wessi-Denken in eurer Generation noch? Susanne Schaper: Ich bin mir nicht so sicher, ob die beiden Landesteile seit der Jahrtausendwende wirklich enger zusammengerückt sind. Durch harte ökonomische Fakten lässt sich das ja nicht belegen, und nach wie vor wandern ge-
Luise Neuhaus-Wartenberg: Einerseits ja – durch persönliche Begegnungen konnten gegenseitige Vorurteile abgebaut werden. Andererseits sind gegenseitig auch Beurteilungen entstanden, die nur noch sehr schwer aufzulösen sind. Solange noch Unterschiede im Verhalten zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen bestehen, solange wird es auch noch Ossi-Wessi-Denken geben: Dieses Schema spielt meiner Erfahrung nach aber nur da wirklich eine Rolle, wo strukturell oder zwischenmenschlich gravierende Probleme auftauchen. In solchen Auseinandersetzungen werden gern diese Schemen bedient, das ist erstens sehr bequem, zuweilen aber eben auch zutreffend. Allerdings sind mir in letzten Jahren genügend Westdeutsche begegnet, die im Verhalten sehr an unselige ostdeutsche Vertreter erinnern und umgekehrt natürlich auch. Sören Pellmann: Natürlich gab es eine Annäherung zwischen Ost und West. Aber überwunden sind die Unterschiede keineswegs und reproduzieren sich teilweise sogar. Das dürfte zumindest noch für meine Generation gelten. Wenn man eine Kindheit hatte ohne Arbeitslosigkeit der Eltern, dann habe
ich alsbald das ganze Gegenteil erlebt. Daran sind wir nicht zerbrochen. Aber genau diese Erfahrungen werden wohl nie aus meinem Gedächtnis verschwinden. Und das ist gut so, motivieren sie nicht zuletzt mein politisches Engagement. 3. Wie seht ihr die Zukunft der deutschen Einheit? Susanne Schaper: Der Vergleich hinkt sicher, aber ich will ihn trotzdem ziehen: In den USA gibt es 150 Jahre nach dem Bürgerkrieg noch immer gravierende Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden. Ähnlich ist es in Italien, auch wenn es da andere Gründe gibt. Ich sehe ehrlich gesagt schwarz, was die Herstellung gleichartiger Lebensverhältnisse in meiner Lebenszeit betrifft. Der ökonomische Graben schließt sich einfach nicht. Gerade deshalb bleibt es weiterhin eine der größten Aufgaben unserer Partei, die ostdeutschen Interessen zu vertreten. Das macht niemand außer uns und deshalb ist es auch so wichtig. Antje Feiks: Ich wünsche mir, dass bestimmte Werte gerettet werden können bzw. gesellschaftlich wieder eine größere Rolle spielen. Unter anderem dieses ständige Vergleichen mit Menschen, die mehr haben, der Konsumterror, das Treten nach unten sind Verhaltensweisen, die systembedingt sind. Sie nerven. Und ich habe die Hoffnung, dass das, was wir jetzt haben, nicht das Ende der Fahnenstange ist. Das hat aber weniger mit der deutschen Einheit zu tun, sondern mit meinem Weltbild. Sören Pellmann: Ich neige wahrlich nicht dazu, mir etwa die DDR zurückzuwünschen. Und ich halte auch nichts davon, ewig Unterschiede von Menschen in Ost und West zu suchen. Ich habe inzwischen ganz tolle Menschen aus Westdeutschland kennen gelernt wie andererseits Ostdeutsche, mit denen ich am besten nichts zu tun haben möchte. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis wir gleichwertige Lebensverhältnisse haben, wenn das überhaupt je gelingt. Deshalb besteht genau der Auftrag von uns Linken, unseren Beitrag für ein solidarisches und sozial gerechtes Gesamtdeutschland zu leisten. Luise Neuhaus-Wartenberg: Wenn Einheit Einigkeit voraussetzt und die Abwesenheit von kulturvollem Streit um die besseren Ideen bedeutet, möchte ich keine Einheit und schon gar keine deutsche.
Geschichte
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„Burgkrieg, nicht Burgfrieden!“ Niemand schöpfte in Bern Verdacht, als am 5. September 1915 in der sonntäglichen Morgenruhe früh um zehn Uhr gut drei Dutzend internationale Vogelfreunde in vier Pferdefuhrwerken in das zwölf Kilometer entfernte Bauerndorf Zimmerwald aufbrachen. Nach zwei Stunden Fahrt durch eine idyllische Landschaft erreichte die bunte Truppe, in der sich nur wenige Frauen befanden, den malerisch gelegenen Ort und quartierte sich für die nächsten vier Tage im Hotel „Beau Séjour“ (Schöner Aufenthalt) und der benachbarten Pension Schenk ein. Weder der Landjäger Meier, der dem Wirt Anton Eberle lediglich wegen „Überwirtens und unerlaubtem Tolerieren von Tanz“ eine Strafe aufbrummte, noch ein anderer Dörfler ahnte, dass sich hinter den fröhlich zechenden Ornithologen eine Versammlung der bekanntesten sozialistischen Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner Europas verbarg. Das Verdienst der klandestinen Zimmerwalder Konferenz – wie sie kurz danach benannt wurde – kam dem Sozialdemokraten Robert Grimm zu, der als Redakteur der Berner Tagwacht und Nationalrat zu den profiliertesten Köpfen im politischen Leben der Schweiz zählte. An der Konferenz nahmen insgesamt 38 Marxistinnen und Marxisten teil, die offizielle Delegationen der sozialistischen Parteien aus Bulgarien, den Niederlanden, Lettland, Norwegen, Polen, Schweden, Rumänien und Russland repräsentierten. Ohne Mandat waren Vertreter oppositioneller Gruppen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz erschienen. Zu den namhaften Delegierten zählten aus Russland Pawel Axelrod, Lenin, Julius Martow, Grigori Sinowjew und Leo Trotzki. Aus dem Deutschen Reich kamen zehn Teilnehmer – darunter Julian Borchardt, Georg Ledebour, Ernst Meyer, Willi Münzenberg und Bertha Thalheimer – die stärkste Gruppe. Die polnischen Sozialisten hatten Karl Radek geschickt; Angelika Balabanowa und Giacinto Serrati waren für die italienischen Arbeiterpartei erschienen, und die französischen Sozialisten hatten Albert Bourderon und Alphonse Merrheim entsandt. Zu den wenigen Frauen zählte Henriette Roland Holst, die aus den Niederlanden angereist war. Die Konferenzteilnehmer standen vor einer schwierigen Situation. Seit über einem Jahr tobte in Europa der Erste Weltkrieg, der bis 1918 rund 17 Millionen Menschen das Leben kosten sollte. Das Schlachten war nur möglich geworden, weil nahezu alle in der II. Internationale organisierten Arbeiterparteien
nach dem 4. August 1914 die früheren Beschlüsse verrieten, zu ihren jeweiligen Regierungen übergelaufen waren und nun aktiv an der sogenannten Vaterlandsverteidigung bzw. am „Burgfrieden“ mitwirkten. Der Schock über diesen Verrat saß tief bei allen linken Kriegsgegnern, denn noch bis kurz vor Beginn der Kämpfe hatte es machtvolle Demonstrationen
versuchten die sozialpatriotischen Führer der II. Internationale, aktions- und mehrheitsfähig zu bleiben. Vor diesem Hintergrund wurde es für die linken Kriegsgegner in der internationalen Arbeiterbewegung immer wichtiger, sich zu vernetzen. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde aber ein Hauptproblem der künftigen Zimmerwalder Bewegung deutlich, an dem
Trümmern der alten; nur auf den Trümmern der alten kann sie erstehen, auf neuen, festeren Fundamenten. Ihr, Freunde, Sozialisten aus allen Ländern, habt den Grundstein heute für die Zukunft zu legen. Haltet unversöhnlich Gericht über die falschen Sozialisten!“ Lenin war über den Brief derart begeistert, dass er ihn zunächst an sich nahm und auszugsweise ab-
Postkarte aus dem Jahr 1904 mit Werbung für die Pension Beau Séjour, Schauplatz der Konferenz von Zimmerwald, 1904. in ganz Europa gegen das drohende Gemetzel gegeben. In den ersten Wochen nach der Entfesselung des Krieges herrschten Ratlosigkeit, Resignation und Wut in den oppositionellen Strömungen der einzelnen Arbeiterparteien. Derern schon vor Kriegsbeginn vorhandene Ausdifferenzierung in eine rechte und eine linke Strömung sowie ein „Zentrum“ vertiefte sich rasch und spürbar. Unter den Kriegsbedingungen rückte die Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Sozialchauvinismus und Sozialpatriotismus in der Arbeiterbewegung für Lenin und seine Kampfgefährten in den Mittelpunkt der Arbeit. Das schloss die konsequente Auseinandersetzung insbesondere mit den Wortführern der Vaterlandsverteidigung sowie den international renommiertesten marxistischen Theoretikern Karl Kautsky und Georgi Plechanow ein, die noch immer über großen Einfluss in der weltweiten Arbeiterbewegung verfügten und Illusionen darüber verbreiteten, wie die II. Internationale nach dem Krieg ihre Arbeit angeblich unverändert fortsetzen würde. Im ersten Halbjahr 1915 spitzten sich die Auseinandersetzungen zu, nicht zuletzt weil Karl Liebknechts „Nein“ zu den Kriegskrediten am 2. Dezember 1914 europaweit Resonanz erhielt. Einerseits entstanden immer mehr oppositionelle Gruppierungen in den einzelnen Arbeiterparteien. Andererseits
sich später die Geister scheiden sollten: Spaltung oder Wiederbelebung der II. Internationale. In mehreren Vorbesprechungen im Juli und August wurde angesichts dieser zentralen Fragestellung sowohl um die Einladungsliste als auch die Tagesordnung der Konferenz hart gerungen. Nach langen Vorbereitungen begann sie endlich am 5. September um 16 Uhr im Hotel „Beau Séjour“ , die Grimm mit einem Paukenschlag eröffnete. Unter großem Beifall verlas er eine am 2. September hastig im Zug geschriebene Grußadresse von Karl Liebknecht, der zu diesem Zeitpunkt als Soldat dienen musste und nicht anreisen konnte. In dem von dessen Ehefrau Sophie überbrachten Brief benannte er die beiden Hauptaufgaben der Konferenz aus seiner Sicht: „Abrechnung, unerbittliche Abrechnung mit den Fahnenflüchtigen und Überläufern der Internationale in Deutschland, England, Frankreich und anderwärts. Gegenseitige Verständigung, Ermutigung, Anfeuerung der Fahnentreuen, die entschlossen sind, keinen Fussbreit vor dem internationalen Imperialismus zu weichen, mögen sie auch als Opfer fallen.“ Dann folgte die berühmte Aufforderung: „Burgkrieg, nicht Burgfrieden!“ Zum Schluss seines Briefes benannte Liebknecht das Credo der künftigen Zimmerwalder Linken: „Die neue Internationale wird erstehen auf den
schrieb. Nach dieser Abschrift wurde Liebknechts Schreiben 1930 erstmals veröffentlicht, mit Lenins Unterstreichungen im Fettdruck. Laut Protokoll meldete Lenin sich nur fünfmal und jeweils nur erstaunlich kurz zu Wort. Zum Ende der Konferenz schälten sich entsprechend der drei Strömungen in der Teilnehmerschaft drei Manifestentwürfe heraus: einer von Ledebour, der zweite von Trotzki und Henriette Roland Holst und der dritte von Lenin und Radek, der mit dem programmatischen Satz „Der gegenwärtige Krieg ist durch den Imperialismus erzeugt“ begann und ein klares Bekenntnis zum Basler Manifest von 1912 enthielt. Die Debatte um die drei Vorschläge verlief sehr heftig. Grimm brachte die Auffassung der Konferenzmehrheit, die vor einem Bruch mit der II. Internationale zurückschreckte, verklausuliert auf den Punkt: „Wollen wir ein Manifest bloß an die Parteigenossen oder an die breiten Massen der Arbeiter?“ Ähnlich argumentierten dann auch Ledebour und andere Konferenzteilnehmer, worauf Lenin erwiderte: „Grimm irrt sich, wenn er sagt, unsere Resolution und unser Manifest richten sich nicht an die Massen.“ Mühevoll gelang es, sich auf eine Proklamation an die „Proletarier Europas“ zu einigen, deren Endredaktion bei Grimm und Trotzki lag. Vorbedingung war, dass eine von Lenin, Sino-
wjew, Radek und drei weiteren unterzeichnete Erklärung ins Protokoll aufgenommen wurde, die das Manifest als „nicht vollständig“ kritisierten, weil es „keine Charakteristik des offenen wie mit radikalen Phrasen zugedeckten Opportunismus (…) und keine klare Charakteristik der Hauptkampfesmittel gegen den Krieg“ enthielt. Ungeachtet dieser Kritik von Lenin, der ein halbes Dutzend Anhänger hinter sich wusste, war das „Zimmerwalder Manifest“ ein wegweisendes Friedenssignal der revolutionären Arbeiterbewegung und zugleich der erste und entscheidende Schritt auf dem noch langen Weg zu einer neuen Internationale. Die Abspaltung von den opportunistisch versumpften Parteien der II. Internationale verlief allerdings komplizierter und widersprüchlicher als gedacht. An der Entwicklung in Deutschland wurde das besonders deutlich. Eine organisatorische Selbständigkeit des deutschen Kommunismus setzte die Spaltung der SPD, die Abtrennung der kriegsgegnerischen USPD voraus, die aber erst im April 1917 erfolgen sollte. Es dauerte, bis durch die katalysierende Wirkung der Oktoberrevolution 1917 in Russland und den Zusammenbruch vieler Herrschaftsstrukturen im Herbst 1918 die Voraussetzungen für die Gründung der Kommunistischen Internationale im März 1919 in Moskau geschaffen wurden. Das Dörfchen Zimmerwald fremdelte lange mit seiner weltgeschichtlichen Rolle, auch wenn es auf jedem politischen Atlas zu finden war. Erst nach der Epochenwende veränderte sich auch hier die Welt. 1990 wurde von Freizeitkickern um den Lehrer Caspar Bieler der „FC Lenin“ gegründet. 1996 hob Bieler mit Freunden die Jazzband „Hot Lenin“ aus der Taufe. Im gleichen Jahr fand der Festumzug zum 700. Jahrestag der urkundlichen Ersterwähnung statt – mit dabei ein Glatzkopf, der dem berühmtesten Teilnehmer der Zimmerwalder Konferenz verblüffend ähnlich sah. Und der Dorfladen verkaufte Ansichtskarten, die Lenin samt der Pension „Beau Séjour“ zeigten. So brachte der Kommunist fürs Dorf sogar einen kleinen marktwirtschaftlichen Nutzen. Zum 100. Jahrestag gibt es im Regionalmuseum Schwarzwasser bis zum 22. November die Ausstellung „Grimm und Lenin in Zimmerwald“. Und vor einigen Wochen erschien ein von Bernard Degen und Julia Richers herausgegebenes Buch mit dem Titel „Zimmerwald und Kiental. Weltgeschichte auf dem Dorfe“, dem eine große Leserschaft zu wünschen ist. Dr. Volker Külow
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Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Wie denkt und lebt der Osten? Highlights im Oktober Sozialreport 2014 „Die deutsche Vereinigung – 1990-2014 – Positionen der Bürgerinnen und Bürger“ Am 3. Oktober 2015 jährt sich die deutsche Vereinigung zum 25. Mal. Viel ist seitdem passiert. Was bedeutete das für die Menschen, die im östlichen Teil der Bundesrepublik leben? Was hat sich für sie verändert und wie fühlen sie sich heute? Der Sozialreport stellt subjektive Einstellungen zu Bedingungen des sozialen Lebens, Bewertun-
sich in beiden Teilen Deutschlands die Gesellschaft immer weiter spaltet: in eine Mehrheit, deren Lebenszufriedenheit steigt und die insgesamt eine positive Bilanz der Entwicklung seit 1990 zieht, und einen Teil der Bevölkerung (20 - 25%), der von den Einheitsgewinnen ausgeschlossen bleibt. Vor diesem Hintergrund ist auch zu interpretieren, dass sich jeweils die „Gewinner“ und die „Verlierer“ der Einheit in ihren grundlegenden Einstellungen, Bewertungen und Erwartungen anglei-
nen-der-buergerinnen-und-buerger.html Pirna, 8. Oktober, Donnerstag, 17.00 Uhr Mit Dipl. Soz. Heidrun Schmidtke, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum BerlinBrandenburg und MdB Dr. André Hahn. Aktiv-Sportzentrum Pirna, Rottwerndorfer Str. 56 B, 01796 Pirna Stollberg, 21. Oktober, Mittwoch, 17.00 Uhr Mit Dr. Thomas Hanf, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg und MdB Jörn Wunderlich. Kulturbahnhof Stollberg, Bahnhofstraße 2, 09366 Stollberg Zittau, 22. Oktober, Donnerstag, 17.00 Uhr Mit Dr. Thomas Hanf, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg und MdB Caren Lay Veranstaltungsraum, Sportund Freizeitzentrum Zittau, Schrammstraße 63, 02753 Zittau Chemnitz, 23. Oktober, Freitag, 16.00 Uhr Mit Dr. Thomas Hanf, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg und MdB Michael Leutert Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz
gen der gesellschaftlichen Entwicklung seit 1989, Werte und Grundhaltungen sowie Erwartungen an gesellschaftliche Akteure in den Mittelpunkt. Er wird seit 1990 jährlich durch das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFZ) durchgeführt. Einen zentralen Gesichtspunkt der Analysen bildet der Vergleich der Ergebnisse zwischen den neuen und alten Bundesländern. Zu den wichtigen Ergebnissen des Berichts gehört, dass
chen. Von aktueller Bedeutung sind die Ergebnisse zur sinkenden Solidarität der Menschen in Ost und West. Eine Veranstaltungsreihe der Ros a - Lu xembur g - Stif tung Sachsen und der sächsischen Landesgruppe der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag – Mehr Informationen zum Sozialreport und die vollständige Studie finden Sie unter: h t t p :// w w w . r o s a l u x . d e/ news/40993/die-deutsche-vereinigung-1990-bis-2014-positio-
Impressum
Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
Dresden, 28. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr Mit Dr. Thomas Hanf, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg und MdB Katja Kipping WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 29. Oktober, Donnerstag, 18.00 Uhr Mit Dr. Thomas Hanf, Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg, MdB Susanna Karawanskij und MdB Dr. Axel Troost Pöge-Haus, Hedwigstraße 20, 04315 Leipzig
Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 28.09.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 05.11.2015.
Vortrag und Diskussion „Umweltschutz ist Heimatschutz“ Ökofaschismus – philosophische und geschichtliche Hintergründe. Mit Patrick Pritscha, Kulturwissenschaftler/ Historiker (Chemnitz). „Umweltschutz ist Heimatschutz“ – unter diesem Motto sind rechte Gruppierungen seit Jahren aktiv, wenn es um Ökologie geht. Auf den ersten Blick könnte mensch meinen, es handle sich dabei um einen Versuch, in der Ökologiebewegung auf Stimmenfang zu gehen, oder, wie schon bei der Kritik am Kapitalismus, ein scheinbar linkes Thema mit eigenen Inhalten von rechts zu „besetzen“. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Verbindung von rechtem Gedankengut und Ökologie keineswegs ein Phänomen der Gegenwart ist. Bereits im 19. Jahrhundert bildete der Bezug auf Umwelt und Natur eine wesentliche Grundlage für eine rassistische, antisemitische und nationalistische Gesellschaftskritik, die in verschiedenen Lebensreformprojekten praktisch umgesetzt wurde. Der Vortrag möchte einige geschichtliche und philosophische Hintergründe zu diesem Thema beleuchten und dazu anregen, auch heutige politische Praxis kritisch zu hinterfragen. Patrick Pritscha ist Kulturwissenschaftler und Historiker und lebt in Chemnitz. Hoyerswerda, 28. Oktober, Mittwoch, 17.00 Uhr Bürgerbüro Hoyerswerda, Dietrich-Bonhoeffer-Straße 4, 02977 Hoyerswerda Lesung und Diskussion Kapitalismus – gestern, heute und morgen. „Geschichten aus dem Lunapark“. Mit Prof. Dr. Thomas Kuczyn-
Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:
ski, Statistiker, Ökonom und Publizist (Berlin). In seinen „Geschichten aus dem Lunapark“ behandelt Thomas Kuczynski die Frage nach Altem und Neuem im Kapitalismus. Welche Rolle spielen der Wandel von sozialen Kräfteverhältnissen, die wissenschaftlichtechnische Entwicklung, die Veränderung von Naturverhältnissen und unterschiedliche Strategien des Kapitals? Was hat sich an den Krisen des Kapitalismus verändert? Existieren die berühmten „langen Wellen“ der Konjunktur? Gibt es alternative Ökonomien im oder nur zum Kapitalismus? Seine historisch-kritischen Analysen sind ursprünglich erschienen in „Lunapark21 – zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie“. „Lunapark“ assoziiert grenzenloses Vergnügen, aber es ist vor allem das Vergnügen der Einen auf Kosten der Anderen. Die Einen strampeln im Hamsterrad; die Anderen kreischen lustvoll beim Looping. Prof. Dr. Thomas Kuczynski (Berlin) ist Statistiker, Ökonom und Publizist. Er war der letzte Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und schreibt in der Zeitschrift „Lunapark21“ regelmäßig über den Kapitalismus in Gegenwart und Vergangenheit. Leipzig, 19. Oktober, Montag, 18.00 Uhr RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 20. Oktober, Dienstag, 19.00 Uhr Tietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Dresden, 21. Oktober, Mittwoch, 19.00 Uhr WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden
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Rezensionen
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10/2015 Links!
Buchtipp: Der Garten der Abendnebel attraktive Schwester diente den Japanern im Lager als „jugan ianfu“, also „Trostfrau“ – eine von Zehntausenden, die von den Japanern aus den besetzten Gebieten zur Prostitution gezwungen wurden. Beide Schwestern eint in dieser tiefsten Nacht im Lager der Kriegsgefangenschaft die Vorstellung vom Aufbau eines Gartens, ausgerechnet eines japanischen Gartens. Denn beide haben als jungen Mädchen mit ihren Eltern Japan
gesagt, nur eine Schwester. Als Richterin verfolgt sie unbarmherzig die japanischen Kriegsverbrecher – und nie vergisst sie einen der Offiziere zu fragen, wo das Kriegsgefangenenlager gewesen sein könnte. Denn dies gehörte nicht nur seit den Zeiten von CIA-Folterknästen weltweit zum Repertoire von Besatzern: Sie verschleppen ihre Opfer an geheime Orte, von denen die Opfer nicht wissen, wo sie sich befinden. Am Ende wird alles
Panorama asiatisch-afrikanischeuropäischer Beziehungen auf, aber es geht auch um Täter und Opfer und immer wieder Kolonialgeschichte, die auch heute noch für weite Teile der Welt prägend ist. Im speziellen Fall liegt der Garten des Japaners unweit der Teeplantage eines Südafrikaners, eines Buren, der seinerseits als burischer Kämpfer gegen die Engländer einen Freiheitskampf geführt hat und dafür als Kriegsgefangener nach
dem Erdboden gleichgemacht. Um die tote Schwester zu ehren, will die Überlebende nun den japanischen Garten anlegen. Sie findet Aritomo, den Gärtner des Kaisers, der nach dem Krieg in Malaysia zurückgeblieben ist. Das Buch faltet ein
Ceylon verschleppt wurde, wo er den Tee kennenlernte und nun anbaut. Auch die Chinesen in Malaysia wurden zum Teil von der britischen Kolonialmacht nach Malaysia gebracht und stehen den Einheimischen oft feindlich gegenüber, weshalb
Bild: 663highland / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Eines Tages ist das angenehme Leben vorbei. Die Japaner kommen, die „Japsen“, wie sie im Buch genannt werden. Das Land heißt noch Malaia und noch nicht Malaysia, gehört unter anderem mit Singapur zusammen und wird verwaltet von einem „High Commissoner“. Mancher wird sich an eine ähnliche Konstruktion in Südwestafrika erinnern: Namibia wurde bis 1989 auch von einem „Generaladministrator“ widerrechtlich von Südafrika verwaltet – die UNO hatte Südafrika das Mandat entzogen, aber in Pretoria scherte das keinen. Auch das Buch von Tan Twan Eng ist eine Kolonialgeschichte, aber eine doppelte. Denn Malaia wurde von Briten und den „Japsen“ kolonialisiert. Nach dem Abzug letztere kehren die Briten zurück. Es entwickelt sich eine Unabhängigkeitsbewegung unter den Einheimischen; gleichzeitig aber tobt ein blutiger Bürgerkrieg, „Emergency“ genannt, ein kommunistischmaoistischer Aufstand. Von 1948 bis 1960 werden tausende getötet und gefoltert – Chinesen, Malaysier und Briten. Die Lesenden tauchen ein in eine völlig fremde tropische Welt. Die Heldin des Buches Yun Ling ist eine in Malaia geborene und aufgewachsene Chinesin, Juristin mit einer verstümmelten Hand, weshalb sie stets Handschuhe trägt – eine Erinnerung an ihre Zeit als Kriegsgefangene der Japaner. Sie ist die einzige Überlebende des Lagers. Ihre
besucht und waren fasziniert von der großartigen Gartenkunst – es sich auszumalen, wie sie diesen Garten in Malaysia gemeinsam aufbauen und gestalten, ist ihr Rezept, um die Qualen im Gefangenenlager zu überleben. Doch überlebt, wie
die Malaisier manche der Chinesen „Bananen“ nennen: Außen gelb und innen weiß, waren sie die Verwalter der Interessen der britischen Kolonialmacht. Noch heute sind in Malaysia Englisch und Chinesisch gleichberechtigt. Viele Malaien wurden auch nach Südafrika verschleppt, weshalb die „weiße“ Sprache der Buren (Afrikaans) und die asiatische der Malaien einige Ähnlichkeiten aufweist. Auch der Autor des Buches, Tan Twan Eng, bewegt sich im Dreieck Kuala Lumpur – London – Kapstadt. Das Buch macht deutlich: Ohne ein Grundwissen von britisch-japanischer Kolonialgeschichte bleibt das Verständnis für asiatische Entwicklungen der Gegenwart defizitär. Ein unglaubliches Gemisch von vielen Völkern und Nationalitäten mit den verschiedensten Sprachen ringt in asiatischen Ländern um einen Weg in die Zukunft – die Interessen sind verschieden, und die Wunden und Folgen von britischer und japanischer Fremdherrschaft gehen tief und beeinflussen das Leben junger Einwohner in diesen Ländern immer noch sehr stark. Es geht in diesem Buch auch um Aussöhnung, um Respekt vor der Kultur des anderen, um Kunst in verschiedensten Ausprägungen. Ein Buch, das uns eine neue Welt erschließt. Der erste deutschsprachige Roman aus Malaysia ist etwa 450 Seiten stark und erschien im Verlag Droemer für 19,99 Euro. Ralf Richter
Griechenlandkrise: Kapitalismus und Krimi „Bei einem Treffen, das ich mit Herrn Schäuble hatte, sagte er mir, ich hätte das Vertrauen der deutschen Regierung verloren. Und ich sagte ihm: Ich hatte es nie, ich bin Mitglied einer Regierung der radikalen Linken“. Für ihn, Yanis Varoufakis, sei etwas anderes wichtiger: „Aber ich habe das Vertrauen des griechischen Volkes“. Die Tage von Varoufakis als Finanzminister sind Vergangenheit. Die Hoffnungen, die – erwartungsgemäß vergeblich – die deutsche und die europäische Linke in Syriza gesetzt hatten, diese möge die Geschichte von David und Goliath wiederholen und dem Neoliberalismus mit der Troika die Speerspitze abbrechen, sind zerstoben. Es bestätigte sich wieder einmal die alte Binsenweisheit, dass eine linke Regierung nur dann linke Politik macht, wenn es starken außerparlamentarischen Druck von links gibt. Was geblieben ist, ist die Erinnerung, dass eine marxistische Wirtschaftswissenschaft notwendig ist, die sich nicht auf ein keynesianisches Minimum beschränkt, und dass
zur Kritik des Neoliberalismus eine marxistische Staatskritik unverzichtbar ist. In seinem „Bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ wiederholt Varoufakis für die deutschen Leser, dass die angeblich beabsichtigte Rettung Griechenlands von Anfang an eine Bankenrettung durch die europäischen Steuerzahler war. Erst dadurch sei die Krise auf Portugal und Irland, dann auf Italien und Spanien übergeschwappt. „Der vielleicht deprimierendste Aspekt des unsinnigen Umgangs mit der unvermeidlichen Eurokrise war das Beharren, der eingeschlagene politische Weg sei ‚alternativlos‘“. Die Anklage fehlt bei Petros Markaris, dem wohl bekanntesten zeitgenössischen Autor Griechenlands. Die Diagnose dagegen ist identisch: „Griechenland kann weder eine gigantische Umweltkatastrophe verursachen noch die Eurozone in den Abgrund ziehen – es sei denn mit Hilfe von Irland, Portugal und vor allem Spanien“. Es handele sich bei Griechenland
um einen Fall von Selbstzerstörung, der bereits vor Jahrzehnten seinen Anfang genommen habe. So seine Diagnose in dem Aufsatzband „Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland“. Im einleitenden Beitrag schildert er das Erstaunen einer Journalistin über seine Absicht, drei Kriminalromane über die Krise und deren Folgen zu schreiben. Ob er denn tatsächlich glaube, dass die Krise so lange dauern werde? Das Projekt einer Trilogie ist längst überholt. Markaris im Jahr 2012: „Entweder füge ich der Trilogie noch einen Epilog hinzu, der das Ende der Krise illustriert, oder ich mache aus der Trilogie eine Tetralogie. Es könnte aber auch sein, dass ich die erste Trilogie abschließe und mit einer neuen beginne“. Noch ist das Ende nicht absehbar, aber vier Bände der KrisenKrimis liegen bereits vor. Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um vom Erscheinen eines weiteren Bandes auszugehen. Für alle, die den ermittelnden Kommissar Kostas Charitos
kennen, ist das eine gute Nachricht. Charitos, der seit Jahren vergeblich auf eine Beförderung wartet, seinen uralten Fiat endlich gegen einen neuen Wagen eingetauscht hat und trotzdem mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, da das Benzin unerschwinglich geworden ist, findet seine Täter zwar regelmäßig. Aber gerade in den Krisenkrimis wäre es ihm wohl lieber, er hätte seine Arbeit nicht so gut erledigt. Es sind dutzende von Geschichten, die am Rande der „eigentlichen“ Geschichte erzählt werden. Die vom Erstarken der faschistischen „Goldenen Morgenröte“ und ihren Sympathisanten in der Polizei. Die von der Obdachlosigkeit auch alter Menschen und den Versuchen zur Selbsthilfe. Die von der Perspektivlosigkeit gut ausgebildeter jungen Menschen. Die von der Angst und dem Elend der Geflüchteten. Die vom desillusionierten, aber ungebrochenen Kommunisten, dem nun auch noch seine Verfolgtenrente gestrichen wird. Die von den angeblichen „Sozialisten“, die genauso korrupt und
verkommen sind wie die Konservativen. Und natürlich immer wieder auch die Geschichte von den Deutschen und ihrer Rolle bei der Krise. Nein: nicht nur bei der Krise. Natürlich auch ihrer Rolle in der Besatzungszeit durch die Nazis und die bis heute nicht geleistete Wiedergutmachung. Und, so Varoufakis als Gegenpol, die Geschichte von Deutschland als „Land, das den griechischen Demokraten zuverlässig zur Seite stand“, das mit der „Deutschen Welle“ Beistand gegen die „erdrückende staatliche Propaganda“ lieferte. Die Geschichten von Markaris und Varoufakis, sie überschneiden sich. Volkmar Wölk Yanis Varoufakis: Time for change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre. München: Hanser, 2015, 179 S., 17,90 €. Yanis Varoufakis: Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise. München: Kunstmann, 2015, 63 S., 5,- €. Petros Markaris: Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland; Zürich. Diogenes, 2012, 175 S., 9,90 €.
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Bulat Okudshawa – politischer Sänger und Poet des Arbat jetischen Schriftstellerverbandes. Als freiberuflicher Dichter beschäftigte er sich zunächst mit Prosa und Film- bzw. Theaterszenarien, bevor er sich dem Romanschreiben widmete. Zur selben Zeit entstanden erste Gedichte, die er selbst vertonte und mit Gitarrenbegleitung, meist in privater Atmosphäre vor Freunden und Bekannten, vortrug. Offizielle Auftritte blieben ihm aufgrund seiner nicht angepassten, zum Teil pazifistischen Inhalte verwehrt. Verbreitet wurden seine Lieder durch live mitgeschnittene Tonbandaufnahmen, die als (oft unbeschriftete) Musikkassetten von einem Recorder zum anderen überspielt wurden. Die meist minderwertige Tonqualität bei der Wiedergabe bewirkte einen wahren Kultstatus der Aufnahmen, da diese durch ihre ungeschliffene Authentizität in der gesamten Sowjetunion geschätzt wurden. Der Begriff „Tonbandliteratur“ war geboren. In diesem Zusammenhang wird man an den russischen Liedermacher und Schauspieler Wladimir Wyssozki erinnert, der sich ebenso dieser Strategie bediente und mit seinen Songs, die sehr kraftvoll klangen und derb daherkamen, ein Millionenpublikum erreichte – das sich mit seinen Texten identifizieren konnte. Doch im Vergleich zu Wyssozki, der in seinen Liedern in die Rolle von Stahlarbeitern, Soldaten, Gangstern, Raufbolden
und Verlierern der Gesellschaft schlüpfte, blieb Okudshawa in poetischer Form und melancholischer Lyrik viel mehr bei sich selbst. Er war der stille, jedoch anarchistische Poet und Sän-
selbstverständlich spielte auch Volksmusik aus Georgien eine wichtige Rolle in der Umsetzung seiner Texte – zumal gerade dieser Region eine nicht zu unterschätzende Gesangstradition
zuzuschreiben ist, die auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken kann. Die „Grande Dame“ des georgischen Chansons, Manana Menabde, die übrigens ein Jahrzehnt lang in Deutschland lebte, seine persönliche Bekanntschaft machte, mit ihm eine Bühne teilte, deren Hand einst Jacques Brel küsste, bezeichnete ihren Meister einst als „Russischen Villon mit georgischer Seele“. Und selbst in Polen, das sich getrost als Wiege des europäischen Chansons loben kann, fand Okudschawa als russischsingender Interpret große Beachtung. In Deutschland wurde Wolf Biermann auf ihn aufmerksam und auch der junge, in Leipzig lebende Sänger Peter Wasiljewsky sang seine Lieder in deutscher Übersetzung: „Ach, die erste Liebe macht das Herz mächtig schwach …“ Ende der siebziger Jahre tauchten Okudschawas Lieder auch in Filmen auf. Er entwarf zahlreiche Manuskripte für Theaterstücke und Filmprojekte, schrieb mehrere Romane, etwas zweihundert Songs und fast tausend Gedichte. 1991 wurde ihm der Staatspreis der UdSSR überreicht, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion holte ihn Präsident Boris Jelzin in die sogenannte „Begnadigungskommission“, der er bis zu seinem Tod 1997 angehörte. Sein Herz versagte während einer Tour in Paris. Seine Lieder leben jedoch weiter! Jens-Paul Wollenberg
die der Autor in den Raum stellte. Solche mörderischen, gewaltvollen Zwischenfälle in der Ukraine mögen Ausdruck der in den letzten zwei Jahren erfolgten politischen Radikalisierung sein, die ihn so beunruhige, wie der Journalist zugab. In der Regierung sitzen zwar seit den letzten Wahlen keine vier Nazis mehr, aber der aktuelle Kiewer Polizeichef ist erklärter Rechtsradikaler. Doch die Politik der Ukraine nur anhand von Wahlergebnissen zu bewerten, greife zu kurz, wie der Soziologe V. Ishchenko meint, der in Heydens Buch ausführlicher zitiert wird. Dass der Ukraine-Konflikt sehr viel komplexer ist, macht auch eine linke Aktivistin deutlich, die in dem Band gleichfalls nachlesbar ist: „Wer den Maidan begreifen will, kommt nicht mit Schubladendenken weiter“. Offenbar Schubladen-Liebende deutsche Politiker machten es sich da einfacher: Außenminister Westerwelle schüttelte auf dem Maidan Hände, und sein Nachfolger Steinmeier war zu feige am Gewerkschaftshaus in Odessa der Opfer zu geden-
ken – daran erinnerte Ulrich Heyden. Das große Verdienst von „Ein Krieg der Oligarchen“ und damit seines Schreibers ist ohnehin, dass viele Zeugen befragt wurden, die vorher niemand hören wollte, und dass Details an die Öffentlichkeit gelangten, die niemand sehen wollte. Das eröffnet neue Denk-Perspektiven. Bei alldem stellte er vor allem weiter Fragen und wies auf Widersprüche hin. Vieles musste an diesem Abend mit diesem Buch dennoch offenbleiben, was auch die anschließende Diskussion zeigen sollte. Währenddessen herrscht im Land weiter ein Gefühl der Angst. Regierungskritische Journalisten und vor allem linke Aktivisten werden bedroht oder gar ermordet. So recht weiß derzeit wohl niemand, welchen Weg die Ukraine in den nächsten Jahren gehen wird, beziehungsweise in welche Richtung sie gedrängt wird. „Das Tauziehen um die Ukraine“ geht also weiter. René Lindenau PapyRossa Verlag, ISBN: 978-389438-576-7
Herman van Veen, um nur einige zu nennen. Musikalisch orientierte sich Okudshawa an alten russischen Romanzen, die einst von Dichtern vorgetragen wurden, und
Bild: Zbigniew Kresowaty / Wikimedia Commons
Unweit vom Zentrum Moskaus gelegen befindet sich der Stadtteil Arbat, benannt nach dessen Hauptstraße. Er galt als das Wahrzeichen der Moskauer Intelligenz und war Mittelpunkt der sowjetischen Kunstszene. Zahlreiche Dichter, Musiker und darstellende Künstler fanden in seiner Atmosphäre ihr Domizil. In diesem Milieu wurde Bulat Okudshawa am 9. Mai 1924 geboren und verbrachte dort auch seine Jugend. Sein Vater stammte aus Georgien, seine Mutter war Armenierin, und beide waren hoch motivierte Mitglieder der KPdSU, bis sie 1937 Stalins Repression zum Opfer fielen. Der Vater wurde als „deutscher Agent“ hingerichtet, die Mutter in ein Arbeitslager deportiert. Der junge Bulat wurde von seiner in Moskau lebenden Großmutter aufgenommen und hatte es als Kind sogenannter „Volksverräter“ nicht gerade leicht. 1942 ging er im Alter von siebzehn Jahren freiwillig zur Armee und an die Front. Nach einer Verwundung, Genesung und Entlassung zog er zu seiner Tante, die in Tbilissi wohnte. Dort besuchte er die Universität und studierte Philosophie. Nach dem Abschluss zog er nach Kaluga, wo er als Lehrer und später als Journalist Arbeit bekam. Nach Stalins Tod wurden seine Eltern rehabilitiert und er durfte nach Moskau zurückkehren. 1956 wurde er Redakteur beim Literaturjournal „Literaturnaja Gazeta“ und Mitglied des sow-
ger, der Chansonnier, der es verstand, Spannung durch Minimalismus zu erzeugen. Das erinnert an westeuropäische Kollegen wie George Brassens, Moustaki oder den Holländer
„Ein Krieg der Oligarchen“ Immer wieder geschieht es bei politischen Ereignissen, dass sie extrem in das Leben der Menschen eingreifen. So wie seit einigen Jahren in der Ukraine. Sie lassen nach Ursachen wie nach gewissen Abläufen fragen und machen neugierig auf Personen, die Träger und Ertragende jener Geschehnisse sind. Darum: Reden wir über die Ukraine, den gegenwärtigen Konflikt, sowie über Menschen, die ihn tragen aber auch ertragen. Vergegenwärtigen wir uns die Situation des zweitgrößten Landes in Europa mit etwa 44 Millionen Einwohnern, für das sich die Bundesregierung bis vor zwei Jahren nicht interessiert habe, so Ulrich Heyden, der dazu ein Buch vorgelegt hat. Dessen bezeichnender Titel lautet:„ Ein Krieg der Oligarchen“. Zum Anliegen seines Buches erklärte er, es solle Lücken schließen und Material für die Debatte liefern. Dass dafür auch ein Bedarf besteht, zeigte an diesem 4. Mai 2015 die große Zahl der Besucher in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, als
sein Buch präsentiert wurde. Die Moderation hatte die brandenburgische Landtagsabgeordnete Kerstin Kaiser (LINKE) übernommen. Eindrücklich war schon die Schilderung von Heyden: Er saß im Hotel, und aus der Nähe hörte er die Artillerieeinschläge. Schon im Vorwort schrieb er, dass die Recherche aufgrund der Kriegshandlungen schwierig gewesen sei. Aus Angst vor Artilleriebeschuss fuhr er zum Beispiel nicht in die „umkämpfte Stadt Slawjansk“. Man müsse schließlich von einem Krieg reden, von dem sich die Menschen hier keine Vorstellung machten, meinte Heyden. Stattdessen fuhr er nach Schachtjorsk, wo er gelegentlich auf Menschen traf, die ihn lautstark für die Politik Angela Merkels kritisierten, obwohl er noch gar nichts gesagt hatte. Eine schwierige und nicht einfache Situation für ihn, bekannte der „Kritisierte“ auf dem Podium. Unmittelbarer Anlass, das Buch zu schreiben, war der Brand des Gewerkschaftshauses in Odes-
sa am 2. Mai 2014, bei dem etwa 100 Menschen umkamen. Beklemmend, als gegen Ende der Veranstaltung ein Zeuge und Überlebender dieses Anschlags das Wort erhielt. Die Stadt stehe immer noch unter Schock – so Heyden, zumal die wahren Täter noch nicht ermittelt, geschweige denn bestraft wurden. Abgesehen von einer kurzzeitigen Verhaftung zweier Tatverdächtiger im Sommer, die schnell wieder freikamen, begannen im November vor dem Gericht von Primorsk in Odessa die Vorverhandlungen für einen Prozess gegen 24 regierungskritische Aktivisten. Ein weiterer Akt in der blutigen ukrainischen Tragöde ist ferner das von unbekannten Scharfschützen am 20/21. Februar 2014 angerichtete Massaker auf dem Kiewer Maidan, bei dem etwa 80 Menschen starben. Alles deute darauf hin, dass bei den Massakern in Kiew und in Odessa der Rechte Sektor sowie der Leiter des ukrainischen Sicherheitsrates Andrej Parubi ihre Hand im Spiel hatten. Trotzdem bleiben viele Fragen,
10/2015 Sachsens Linke!
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Oktober 2015
Sachsens Linke
Zum Wende-Jubiläum blickt Peter Porsch zurück in bewegte Zeiten und erklärt, warum es heute eines Chores bedarf. Sebastian Scheel beschreibt einen Vorschlag, den er jüngst machte, und der der Landtagsfraktion einen
digitalen Sturm der Entrüstung bescherte. Weitere Themen dieser Ausgabe sind der soziale Wohnungsbau,
die Forderung nach offenen Grenzen für Geflüchtete oder eine Bewertung des jüngsten Wahlerfolges von Syriza.
Aktuelle Infos stets auch
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Frage des Klimas
Nach Neukieritzsch ist nun vor Neukieritzsch Zu den Ergebnissen des 12. Landesparteitages Der Sonntag begann mit einer bösen Überraschung: Über Nacht hatten Unbekannte einen Großteil der Glasflächen der Park Arena Neukieritzsch zerstört. Die Spezialglasscheiben drohten zusammenzubrechen. Schnell war klar: An diesem Ort konnte der 12. Landesparteitag der LINKEN seine Tagung nicht fortsetzen. Ist es die allgemeine Radikalisierung der Rechten, die so einen Übergriff – den ersten überhaupt auf ein Parteitagsobjekt in den 25 Jahren seit der Wiedervereinigung – möglich machte? Waren es die deutlichen Worte zum Thema Asyl und gesellschaftlichem Rassismus? Das bleibt Vermutung, solange die Täter nicht ermittelt werden können. Dank der freundlichen Unterstützung der Gemeinde Neukieritzsch konnte die Tagung jedoch erfolgreich im örtlichen Gemeindeamt zu Ende gebracht werden. Bereits am Samstag hatte der Landesparteitag den Leitantrag „DIE LINKE 2015 – wo wir stehen und worauf wir aufbauen können“, die Anträge C1 „ZEIT FÜR VERÄNDERUNG – DEN AUFBRUCH ERMÖGLICHEN“ und C2 „Was jetzt zu tun ist!“
nach intensiver Debatte und zahlreichen bereits vorher übernommenen Änderungsanträgen mit jeweils großer Mehrheit angenommen. Es war ein Zeichen der Einigkeit und sachorientierten Debattenkultur, das von der Annahme der zuvor auch medial als diametral gegenüberstehenden Anträge ausging. Große inhaltliche Schnittmengen bei den Anträgen bestätigen dieses Bild. Auch wurden die Dringlichkeitsanträge D1 „Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden, ihren Selbstorganisationen und der HDP“ und D3 „Asyl – Die Herausforderungen annehmen“ einstimmig angenommen. Weitere Sach- und Dringlichkeitsanträge mussten wegen der erschwerten Situation durch den Wechsel des Tagungsortes an den Landesvorstand verwiesen werden. Vielfältige Satzungsänderungen wurden vollzogen. Dabei entschied sich der Landesparteitag gegen die Aufnahme einer Mandatszeitbegrenzung in die Landessatzung und vertagte den Vorschlag zur Einrichtung eines Landesausschusses. Noch am Samstag wurde mit den Wahlen zum Landesvorstand begonnen. Dabei wurde Rico Gebhardt als Landesvorsitzender bestätigt. Ihm zur Sei-
te stehen Jana Pinka und Stefan Hartmann als Stellvertreter. Landesgeschäftsführerin bleibt Antje Feiks. Bernd Spolwig wird neuer Landesschatzmeister. Als Sprecherin für Gleichstellung und feministische Politik wurde Anja Eichhorn gewählt, jugendpolitischer Sprecher ist Steffen Juhran. Zu Landesvorstand gehören außerdem Jayne-Ann Igel, Claudia Jobst, Marianne Küng-Vildebrandt, Simone Luedtke, Jenny Mittrach, Sabine Pester, Susann Schöniger und Dagmar Weidauer sowie Tilo Hellmann, Lars Kleba, Heiko Kosel, Silvio Lang, Tilman Loos, Sören Pellmann und Jörn Wunderlich. Der 22-köpfige Landesvorstand konnte, trotz der Widrigkeiten des Umzuges, vollständig gewählt werden und auf seiner Klausur vom 25. bis 27. September seine Arbeit aufnehmen. Delegierte für den Bundesausschuss sind zukünftig Cornelia Ernst, Susanna Karawanskij, Franziska Rieckewald und Luise Neuhaus-Wartenberg sowie Fabian Blunck, Lars Kleba, Andreas Naumann und René Strowick. Ersatzdelegierte für den Bundesausschuss sind in dieser Reihenfolge Antje Feiks, Heiderose Gläß und Simone Hock für die Liste zur Sicherung der Mindestquotierung, sowie
Tilman Loos und Torsten Steidten für die gemischte Liste. Der Landesschiedskommission gehören zukünftig Heiderose Gläß, Christine Pastor, Heinrich Ruynat, André Schollbach und Dirk Wagner an. Die Landesfinanzrevisionskommission wurde mit Rico Knorr, Rita Kunert, Gudrun Schumann, Eva Sehrt, Eberhardt Sehrt und Wolfgang Siegel neu besetzt. Als neuen Ombudsmann wählte der 12. Landesparteitag Andreas Salzwedel. Da er noch bis zum 7. November Kreisvorsitzender ist, ruht das Amt bis dahin. Den Abschluss des Parteitages bildete ein Beschluss per Akklamation. Letztlich hatte man mit dem feigen Anschlag auf unseren Parteitag gezielt, die Gemeinde Neukieritzsch, die Sportvereine und die vielen anderen NutzerInnen der Park Arena getroffen. Deshalb nahm der Parteitag unter großem Beifall die Einladung des Bürgermeisters Thomas Hellriegel an, den kommenden Landesparteitag wieder in Neukieritzsch durchzuführen. Gemeinsam wollen Gemeinde und Partei damit ein Zeichen setzen: Wir lassen uns von solchen undemokratischen Aktionen nicht einschüchtern. Wir kommen wieder! Thomas Dudzak
Die Studie der UniQma im Auftrag der drei großen sächsischen Tageszeitungen konstatiert eine bundesweite Image-Verschlechterung für Sachsen. Rund 54 % der Befragten (ohne Sachsen) meinen, der Freistaat sei fremdenfeindlicher als der Rest der Republik. Dem widerspricht eine Mehrheit der Sachsen – 54 %. Ich glaube, diese Mehrheit hat Recht. Das mag verwundern. Schließlich ist Sachsen Kernland von PEGIDA, Hotspot rassistischer Übergriffe. Aber: Schauen wir auf die Zahlen der Trendbefragungen des MDR in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wird deutlich, dass bei den Fragen zu Asyl und Rassismus in allen drei Ländern kaum Abweichungen festzustellen sind. Zumindest in diesen Ländern sind die Einstellungen keineswegs anders als in Sachsen. Es muss also eine Frage des politischen Klimas sein, wenn rechter Terror auf die Straße getragen wird oder NPD und AfD hohe Werte in der Sonntagsfrage haben. Demokratische Kräfte haben ihre Bindungswirkung verloren. Das liegt stark an Agieren und Habitus der CDU: De-Legitimierung der demokratischen Opposition, Verständnis für die Sorgen und Nöte für RassistInnen, gern garniert mit rechtspopulistischen Ressentiments, keine klaren Botschaften und Worte gegen Fremdenfeindlichkeit und vor allem immer wieder der Versuch, Links und Rechts gleichzusetzen, vor allem linke Alternativen zu bekämpfen. Allein: Wer rechtspopulistische Motive bedient, legitimiert sie nur. Wer sich davon angesprochen fühlt, wählt dann aber lieber das Original von AfD und NPD. Die CDU Sachsen ist verantwortlich für das Image des Freistaates.
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Meinungen
Zu „Wer hilft eigentlich der Polizei?“ (Links! 09/2015, S. 1) Nicht nur der Polizei wäre schon sehr geholfen, wenn sie nicht Proteste für Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Umweltschutz gegen die Interessen des Kapitals und gegen Rassismus bekämpfen oder rassistische Personenkontrollen/ Flüchtlingsbekämpfung durchführen müsste. Die Polizei dient ja zuerst der Durchsetzung der Interessen der Herrschenden, einschließlich des von ihnen aufgestellten Rechts. Dies sollten wir auch immer mit kritisieren. Aber glücklicherweise gibt es auch PolizistInnen, die sich für ein gutes Zusammenleben einsetzen. Sie sollten wir dabei unterstützen und in diesem Zusammenhang eine Demokratisierung der Polizei fördern. Genau dann ist auch eine Kritik am Personalabbau bei der Polizei sinnvoll. Uwe Schnabel, Coswig Zu Griechenland und EU (Links! 09/2015, S. 4, Sachsens Linke! 09/2015, S. 2, 4, 7) Cornelia Ernst und A. Willnow haben begründet, warum selbst viele, die früher an die EU geglaubt haben, jetzt davon ausgehen, dass Demokratisierung, soziale Gerechtigkeit, eine Wirt-
schaft im Dienste der Menschen, die Lösung der Flüchtlingsfrage und Frieden sich nur gegen die EU durchsetzen lassen. War dies nicht auch früher so? Bestand der Unterschied nicht nur darin, dass die Gegenkräfte, die sozialen Bewegungen im Inland und der Realsozialismus im Bündnis mit antikolonialen Bewegungen stärker waren und die EU deshalb mehr Zugeständnisse machen musste? Und müsste deshalb nicht unser erstes Ziel darin bestehen, diese Gegenkräfte gemeinsam zu stärken? Dabei gibt es diese internationalen Bewegungen schon längst, z. B. Blockupy, die Aktivitäten gegen Wasserprivatisierungen, gegen TTIP/CETA/ TISA, Anti-Nazi-Proteste, Aktivitäten in Zusammenarbeit mit den Zapatistas oder den ALBAStaaten, um nur einige zufällig herausgegriffene zu nennen. Somit ist nicht die nationalstaatliche Orientierung das Problem, sondern eher die Orientierung an den herrschenden Strukturen und die Nichtablehnung der aufgezwungenen Diktate. Und wieso will Schäuble eine Politik sozialer und Steuergerechtigkeit und eine nachhaltige Wirtschaftspolitik in Griechenland, wie René Lindenau erklärt? Will
Was ist links? Wenn jemand meint, dass Humor, Genussfähigkeit und die Eigenschaft, ein unverbesserlicher Optimist zu sein, genügen, damit jemand als Linker und Genosse bezeichnet werden kann, sagt das womöglich mehr über den Urteilenden als über den Beurteilten. Und wenn der urteilende Ex-Aspirant in Moskau die Kennzeichnung des „Wandels durch Annäherung“ als „Aggression auf Filzlatschen“ als „Pro-
paganda“ abtut, sei ihm das unbenommen. Erwartet hätte ich allerdings dann auch ein Nachdenken darüber, ob es sich mit dem Wissen von 25 Jahren wirklich ausschließlich um „Propaganda“ gehandelt hat. Und wenn man den verstorbenen Egon Bahr als „pragmatischen Visionär“ beurteilt, dann sollte man – will man Bahr gerecht werden – doch auch überlegen, ob dieser nicht zugleich einer der klügsten und am strategischsten denkenden Vertreter des Großkapitals gewesen ist. Wenn man Bahr treffend beurteilen will, sollte man zumindest kurz erwähnen, dass er bereits 2004 als Tabubrecher fungierte, indem er, heftig kritisiert von der SPD-Spitze, dem ultrarechten Wochenblatt „Junge Freiheit“ ein ganzseitiges Interview gab. Der bürgerliche „Tagesspiegel“ zitiert den dama-
ligen Egon Bahr: „Er unterschreibe den Satz, ,ich bin stolz, ein Deutscher zu sein‘, sagte Bahr ... Diese Haltung dürfe nicht den Rechtsextremisten überlassen werden. Ohne Stolz auf die eigene Nation ,kann ich gar nicht leben‘“. Und noch im Herbst des vergangenen Jahres wertete er die „Friedenskonferenz“ des notorischen Verschwörungstheoretikers Jürgen Elsässer als Referent auf. Ein Linker, wirklich? Links wohl nur für jemanden für Dietmar Bartsch, der jede Gelegenheit sucht, ein Bündnis mit der SPD zu begründen. Links wohl nur für jemanden, der Dossiers über andere LINKE in Auftrag gibt, um seine Vorstellung von links besser durchsetzen zu können. Links? Ich jedenfalls verstehe etwas anderes darunter. Volkmar Wölk, Grimma
Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
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Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 05.11.2015.
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er nicht das Gegenteil im Interesse weniger, hauptsächlich deutscher Kapitaleigner? Dazu würde sowohl seine Inlandspolitik als auch das Diktat gegenüber Griechenland und damals gegenüber der DDR und die Spende des Waffenlobbyisten Schreiber passen. Rita Kring, Dresden
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Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen
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Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,
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Nach 25 Jahren – Der Chor muss auf die Bühne! Es mag vielleicht merkwürdig klingen, aber ich behaupte, mit der Wende 1989/90 gerieten die Ostdeutschen gegenüber den Westdeutschen in einen Vorteil, der bis heute wirkt: Wir im Osten Gebliebenen waren allesamt gezwungen, nachzudenken – nachzudenken über unser bisheriges Leben, unser Verhalten, unsere Verantwortung, unsere Visionen und Utopien, unsere Kleinbürgerlichkeiten, Opportunismen, Kompromisse und Kompromisslosigkeiten ... Das mussten die Wessis nicht.
Die Universität versuchte, sich von niemandem als von den Universitätsangehörigen selbst gedrängt und kontrolliert eine Verfassung zu geben. Die Runden Tische waren eine völlig neue Errungenschaft demokratischer Kultur. Alles war Arbeit am praktischen Beweis produktiver Anarchie. Lange währte diese Zeit nicht. Die Volkskammerwahl am 18. März 1990 läutete ihr Ende ein. Aber immerhin, wir waren noch DDR – eine neue DDR, allerdings auch eine DDR ohne Zukunft.
Bundestagswahl im nun wieder großen und einzigen Deutschland statt - immerhin (auf Betreiben der PDS) mit zwei getrennten Wahlgebieten. Nun sollte wiederum Neues beginnen. Ich stellte mich für die PDS zur Wahl in den Sächsischen Landtag nicht ohne Skepsis, doch auch voller Hoffnung. Sehr schnell waren wir 16 Abgeordneten der Linke Liste/PDS jedoch auf dem Boden der neuen Realität gelandet. Dem selbstständigen und selbstkritischen Nachdenken über Vergangenheit und Zukunft
Jahre nach dem 2. Weltkrieg war freilich noch der Wunsch Vater des Gedankens und die Erinnerung an diesen Krieg bremste die Euphorie. Heute, 25 Jahre nach der deutschen Einheit, ist dieser Wunsch wieder zu bedrückender Wirklichkeit geworden und kaum wer kann dieses Deutschland noch bremsen. Die Systemkonfrontation nach dem 2. Weltkrieg hatte in gewisser Weise Geschichte zum Stillstand gebracht – jedenfalls in und zwischen der damals so genannten Ersten (kapitalistischen) und
Einigungsvertrag BRD-DDR vom 31. August 1990. Beide Exemplare werden im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin aufbewahrt. Bild: Hadi / Wikimedia Commons / CC BY 3.0
Im Gegenteil, sie konnten ja annehmen, als Sieger aus der Geschichte hervorgegangen zu sein. Ohne Schmerzen ging unser Nachdenken nicht ab. Es begann aber auch eine Zeit neuer Möglichkeiten: Sie waren verbunden mit der Erkenntnis, dass nicht die Vision von einer gerechten Gesellschaft falsch war, wohl aber der gewählte oder auch aufgezwungene oder unkritisch mitgegangene Weg. Plötzlich waren deshalb in der immer noch existierenden DDR Versuche an der Tagesordnung, die Vision in selbstbestimmte Praxis zu verwandeln. Die Utopie erhielt plötzlich die einmalige Chance, kein Ort nirgends mehr zu sein, sondern ein konkreter Aktionsraum zu werden. Es begann eine kurze, aber unglaublich spannende Phase der Selbstverständigung und Selbstorganisation. Neue Formen des Aushandelns des Gemeinwohls entstanden; in Leipzig die Litfaßsäule am damaligen Karl-Marx-Platz oder die Sonntagsgespräche im Gewandhaus.
Mit der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 war der „Wirtschaftsflüchtling DDR“ wohl endgültig in der Bundesrepublik angekommen. Die Auflösung war nicht zu verhindern. Die führenden Politiker setzten dem keinen nennenswerten Widerstand entgegen. Das ging nicht mehr. Dennoch, es waren noch andere Politiker am Werk, als wir sie von heute kennen. Lothar de Maiziere, Peter-Michael Diestel, Gregor Gysi waren Juristen, die die Lehre aus der Vergangenheit ziehen wollten, dass Recht vor Macht kommt. Sie versuchten, das Ende der DDR mit Respekt vor den Menschen, die in ihr gelebt hatten und die für sie Verantwortung an unterschiedlichsten Stellen und in unterschiedlichster Art getragen hatten, zu vollziehen. Dem Versuch war nicht viel Erfolg beschieden. Der 3. Oktober 1990 brachte die Einheit Deutschlands, am 14. Oktober wurden in den neu gegründeten ostdeutschen Ländern die Landtage gewählt, am 2. Dezember fand die erste
war kaum noch Raum gegeben. Notgedrungen begann eine Zeit des Sich-Behauptens. Wiederum waren Technokraten der Macht am Werk, immerhin mit einer Mehrheit bei Wahlen legitimiert und nicht nur durch die selbst erteilte historische Mission. Die Verhältnisse waren demokratische. Eine historische Mission verfolgten die neuen Mächtigen allerdings auch und gar nicht zimperlich. Von der Vergangenheit sollte nichts übrig bleiben; „Abwicklung“ war das Zauberwort. Anderes, Schlimmeres dräute jedoch am Horizont. Wir standen vor 25 Jahren mit der deutschen Einheit vor rigorosen Veränderungen in Europa und der Welt. Dazu will ich weiter ausholen. Es war 1969, als die D-Mark gegenüber anderen Währungen deutlich aufgewertet wurde. Die deutsche Wirtschaft war der Welt wieder zu stark geworden. Die Bild-Zeitung reflektierte dies aber schon damals anders. Sie jubelte in einer Schlagzeile, jetzt sei Deutschland Nummer 1 in Europa. 24
Zweiten (sozialistischen) Welt. Es war eine Chance für die Dritte Welt. Kolonial unterdrückte Völker konnten zumindest formal ihre politische Unabhängigkeit erreichen. Die Konflikte der Welt verlagerten sich aber auch in diese Regionen. Nach 45 Jahren und dem Ende des „real existierenden Sozialismus“ explodierte Geschichte. Kein Wunder! – Kein Wunder? Sicher waren die Pulverfässer ungelöster Konflikte übervoll. Die Lunten mussten aber erst gelegt werden. Das einige Deutschland war von Anfang an führend dabei. Der Beginn der Zerstörung Jugoslawiens – der Führungskraft einer blockfreien Welt – war durch die vorzeitige Anerkennung der Unabhängigkeit Sloweniens durch Deutschland ausgelöst. Es zeigte sich sehr bald: Kriege sind wieder möglich! Und sie wurden immer mehr. Reich beschießt von seinen Zitadellen Arm. Der gesamte Mittelmeerraum wurde Objekt westlicher Begierde. Der vorletzte Botschafter Sy-
riens in der Bundesrepublik Deutschland (er hatte in der DDR studiert und promoviert) wurde während seiner Amtszeit in allen bedeutsamen Gremien von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft herumgereicht und schließlich 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz nach Hause verabschiedet. Sein Nachfolger wurde bald danach aus dem Land gejagt. Man fürchtet heute den Konflikt mit Russland nicht. Handschlag-Versprechungen von 1990 gelten nicht mehr. „Jähe Wendungen“ in der Politik – einst von Erich Honecker als Warnung bemüht – sind wieder möglich. Deutsche Technokratinnen und Technokraten der Politik haben das Sagen. Sie heißen jetzt Thomas de Maiziere, Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen ... Wir haben jedoch eine Freiheit, die wir so in der DDR nicht kannten, die uns aber wenig nützt, obwohl wir sie weidlich nutzten und nutzen. Unter ihrem Schutz halten wir kecke Reden, protestieren und demonstrieren, versammeln uns, gründen Vereine und Initiativen, geben Zeitungen heraus. Gut so! – Gut so? In gewisser Weise erweist sich diese Freiheit politisch noch verhängnisvoller als die Abwicklungen. In der DDR wurde alles auch nur im Keim Kritische oder gar Oppositionelle ernst genommen, krankhaft und deshalb verhängnisvoll „ernst“ genommen, weshalb man auch idiotisch und für die Betroffenen oft in tragischer, unentschuldbarer Weise reagierte. Wer mehr darüber wissen will, lese zum Beispiel das jüngst erschienene Buch von Gunnar Decker, 1965 Der kurze Sommer der DDR (Carl Hanser Verlag München). Hoffnungsvoll Begonnenes wurde so ruiniert. An der Berliner Mauer verendete schließlich auch die deutsche Aufklärung, selbst wenn es noch den einen oder anderen vernünftigen Grund zu ihrer Errichtung gegeben haben sollte. Die neue Freiheit aber nimmt jeglicher linker Kritik an der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ob in den Parlamenten oder außerhalb, tendenziell ihre Wirkung. Frei heraus Gesprochenes zerfasert so meist in den Labyrinthen des eben auch noch Gesagten. Monolithisch zusammenwirkende Eliten des mainstreams in Wirtschaft, Politik und Medien wollen Widersprüche nicht austragen, wohl aber Widerspruch und Widerstand zerstören, indem sie ihn einem Pluralismus der Belanglosigkeiten aussetzen. Der „Chor“ kann die Tragödie nicht wirklich verhindern – es sei denn, er tritt aus der Versenkung und erobert sich mit seinem Text, unter seiner Regie die Bühne des Agierens! Peter Porsch
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ge „shitstorm“ bescherte uns hunderte solcher Kommentare – und unserem Beitrag eine Reichweite von fast 400.000 Personen. Damit erreichten wir etwa das 200fache des Personenkreises, den wir beim jetzigen Ausbaustand unseres Profils üblicherweise ansprechen können. Über all die Tumbheit, Ignoranz, Böswilligkeit, Verachtung, die uns entgegenschlugen, wollen wir nicht klagen. Sie sind
große Not, gegen bewusste und unbewusste Missdeutungen anzukämpfen. Wir hätten uns einigen Ärger erspart, wenn wir von vornherein stärker auf die folgenden Aspekte hingewiesen hätten: Es geht mitnichten um Enteignung, die etwa bei Bergbau und Straßenbau möglich wäre. Es geht um eine vorübergehende Sicherstellung von leer stehendem Wohnraum, eine Zwangsanmietung durch den Staat mit Gegenleistung. Eingesetzt werden soll sie nur, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Vorher ist es geboten, alle Al-
verdienen könnten. Außerdem wird damit vermieden, dass Unterbringungskapazitäten, die vorübergehend gebraucht werden, gekauft werden müssen. Freilich ist es immer besser, wenn Eigentümer Wohnraum freiwillig anbieten. In Thüringen können sie sich unbürokratisch über ein Formular auf der Website der Staatskanzlei melden. Es ist beschämend, dass Sachsen bisher nicht auf die Idee gekommen ist, eine so einfache Möglichkeit umzusetzen. Die Staatsregierung hat die Ultima Ratio Beschlagnahme herauf-
im Netz längst üblich, und nicht nur dort. Der andere Teil der Kritik aber bereitet uns Sorgen. Er stammt von Gutmeinenden, auch Genossinnen und Genossen, und besagt, wir hätten unseren Vorschlag missverständlich kommuniziert, zu reißerisch, hätten der politischen Rechten Zulauf beschert. Gewiss, das Format erfordert es, Inhalte möglichst plakativ und provokant zu präsentieren, damit die Netzgemeinde sie selbsttätig verbreitet und so viele Menschen wie möglich davon erreicht werden. In diesem Fall aber hatten wir, auch aus eigenem Verschulden,
ternativen zu prüfen. Es gibt im Freistaat noch viele geeignete öffentliche Liegenschaften, beispielsweise die alte Kinderklinik im Leipziger Osten. Auch wissen wir von vielen Gebäudeeigentümern, dass sie ihre Häuser zur Unterbringung anbieten; diese werden jedoch nicht abgerufen, weil sie nicht ins Verteilungskonzept des Freistaates passen. Eine Sicherstellung ist im Einzelfall besser, als von Eigentümern abhängig zu sein, die unverhältnismäßig hohen Gewinn machen wollen. Der Steuerzahlerbund hat gewarnt, dass sich Wohnraumeigentümer mit der Asylunterbringung „eine goldene Nase“
beschworen, da sie nicht in der Lage war, planvoll notwendigen Wohnraum zu akquirieren. Der SPD/GRÜNE-Senat von Hamburg hat jetzt einen Gesetzentwurf eingebracht, der unserem Vorschlag weitgehend entspricht. Darin heißt es: „Die zuständige Behörde kann zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden zur Abwehr von bevorstehenden Gefahren für Leib und Leben Grundstücke und Gebäude sowie Teile davon sicherstellen. Die Sicherstellung ist nur zulässig, wenn 1. das Grundstück, Gebäude oder ein Teil davon ungenutzt
ist; der Nichtnutzung steht eine Nutzung gleich, die ausschließlich oder weit überwiegend den Zweck verfolgt, eine Sicherstellung nach Satz 1 zu vereiteln und 2. die in den vorhandenen Erstaufnahme- oder Folgeeinrichtungen zur Verfügung stehenden Plätze zur angemessenen Unterbringung der Flüchtlinge oder Asylbegehrenden nicht ausreichen“. Die Sicherstellung darf nur solange und soweit erfolgen, wie dies zum genannten Zweck erforderlich ist. Für die Inanspruchnahme sowie für etwaige Nachteile, die aus den Maßnahmen entstehen, ist auf Antrag eine angemessene finanzielle Entschädigung zu leisten. Eigentümer können sich per Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Sicherstellung wehren. Bei all dem ist es übrigens gleichgültig, ob einheimische oder zugewanderte Wohnungslose untergebracht werden sollen; diese Notmaßnahme wird derzeit auch in Berlin diskutiert und wurde in den 90er Jahren auch schon angewendet. Wir können gerade im Netz nicht darauf vertrauen, dass Menschen sich die kleine Mühe machen, mehr zu lesen als Schlagzeilen. Viele sind nicht bereit, einen Gedanken intellektuell zu durchdringen. Politisch opportun scheinende Fehlinterpretationen können den Diskurs schnell dominieren. All das gilt es zu bedenken. Unser Vorschlag war und bleibt richtig, er sollte in Zukunft besser kommuniziert werden. Denn die Akteure und Claqueure von AfD, Pegida und Co. lauern nur auf Gelegenheiten, ihre spalterische Hetze ausspeien, Geschundene gegeneinander ausspielen, Unfrieden säen zu können. Unsere Antwort muss lauten: Soziale Sicherheit und Menschenrechte für alle, die hier leben! Der Staat kann sie garantieren, wenn Einkommen und Vermögen endlich gerechter erarbeitet und verteilt werden. Das ist ein einendes und aktuelles Ziel, auch ein Vierteljahrhundert nach 1990. Sebastian Scheel
Einwohnerschaft als auch die politischen Ebenen frühzeitig in Entscheidungen einbezogen wurden. In einigen Kommunen, vor allem in den Ballungsräumen, ist bezahlbarer Wohnraum schon Mangelware. Hier muss auch ein neues Programm für sozialen Wohnraum aufgelegt werden. Rückbauprogramme müssen beendet und wieder deutlich mehr in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Hier sind Bund und Länder gleichermaßen gefordert. Dem tief verankerten Rassismus bei erheblichen Teilen der Bevölkerung, verbunden mit Wohlstandschauvinismus und
anderen unappetitlichen Denkweisen, stehen auf der anderen Seite aber auch – und das ist ein Unterschied zu den 90er Jahren – sehr viele Menschen mit einem gewachsenen Verständnis für Flüchtlinge gegenüber. Der Weg zu einer übergreifenden Willkommenskultur ist noch ziemlich weit. Die Entscheidungsträger auf den verschiedenen politischen Ebenen stehen in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und nicht nur in „der Problembeschreibung“ zu verhaften. Wir LINKE müssen dafür weiterhin die treibende Kraft sein. Susanna Karawanskij
Partei der Enteigner? Deutschland ist seit 25 Jahren vereint – juristisch. Nicht nur in vielen Köpfen besteht die vielfache Spaltung unserer Gesellschaft fort. Weniges zeigt das so deutlich wie die Konflikte, die sich aus der Aufnahme von Geflüchteten ergeben. Klar bleibt: Personen, die unter Berufung auf politische Verfolgung Asyl beantragen, haben Anspruch auf eine einzelfallbezogene und rechtsstaatliche Prüfung ihres Antrages. Für die Dauer des Verfahrens haben sie Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das beinhaltet die staatliche Verpflichtung, sie unterzubringen und zu versorgen. Wir alle wissen um das Chaos, das die Staatsregierung dabei organisiert hat. Nun steht der Winter vor der Tür, und die Menschen müssen vernünftig untergebracht werden. Ich habe als Parlamentarischer Geschäftsführer und im Namen der Linksfraktion öffentlich einen Vorschlag gemacht, der für Furore gesorgt hat. Der Freistaat solle private Gebäude, die deren Besitzer aus spekulativen oder anderen Gründen leer stehen lassen, beschlagnahmen – vorübergehend und gegen eine Entschädigung, die ortsüblichen Vergleichsmieten entspricht. Der rechtliche Rahmen dafür ist vorhanden. An dem Slogan, mit dem wir diesen Vorschlag im sozialen Netzwerk facebook vermittelt haben – „Der Winter kommt: AsylUnterkünfte jetzt per Beschlagnahme-Strategie beschaffen!“, – gab es viel Kritik. Der Großteil bestand aus einer noch nie dagewesenen Welle hasserfüllter, böswilliger und zum Teil beleidigender Äußerungen. Einige Grundaussagen: Die SED hat ja Erfahrung mit Enteignungen! Deutsche Obdachlose gehen euch doch am Arsch vorbei! Ihr wollt Deutsche aus ihren Häusern werfen! Die Politiker haben es verbockt, und wir müssen es ausbaden! Dieser tagelan-
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Offene Grenzen für Menschen in Not! DIE LINKE steht für offene Grenzen für Menschen in Not und für eine menschenwürdige, dezentrale Unterbringung. Der Bund muss seine Verantwortung wahrnehmen und die Kommunen beziehungsweise die Landkreise finanziell entlasten. Dazu arbeitet die Bundestagsfraktion der LINKEN an Konzepten, welche die Leitsätze umsetzbar machen. Mit dem „Länderfinanzausgleich LINKS gedacht“ haben wir ein Konzept mit Gegenfinanzierung vorgelegt, wonach die Finanzierungsverantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen auf den Bund übergehen soll, denn es handelt sich
um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher sollten auch die Kosten hierfür gesamtstaatlich verantwortet werden. Die Koalitionsfraktionen wenden ein, dass eine solche Verschiebung der Finanzierung von den Kommunen auf den Bund schon rechtlich nicht funktionieren könne. Dies sind billige Ablenkungsmanöver. Bis zur letzten Wahlperiode galt, dass die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII ebenfalls eine bundesgesetzliche Aufgabe war, die von den Kommunen ausgeführt wurde. Die schwarzgelbe Bundesregierung hat dann beschlossen, die-
se Aufgabe schrittweise auf den Bund zu übertragen, was mittlerweile abgeschlossen ist. Das zeigt, dass bei entsprechendem politischem Willen immer auch eine Lösung möglich ist. Die Forderung, Flüchtlinge dezentral unterzubringen statt in zentralen Sammelunterkünften in Gewerbegebieten, erfordert vor Ort Akteure, die den politischen Willen auch teilen. Nur dann nützen flankierende bundesgesetzliche Regelungen etwas. Die Fortschritte, die LINKE Landrätinnen bei der dezentralen Unterbringung beispielsweise in Thüringen erzielen konnten, waren möglich, weil sowohl die
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Wohnungsmarkt differenziert betrachten, sozialen Wohnungsbau fördern! Mittlerweile dürfte akzeptiert sein, dass trotz oft hoher Leerstände an Wohnraum in Sachsen verstärkter Neubau und Sanierung von Wohnungen erforderlich sind. Die Leerstände sind ungleich verteilt. Neben weiter schrumpfenden Städten und Gemeinden wächst die Einwohnerzahl vor allem der Großstädte deutlich an. Im Ergebnis ist in Dresden der marktgängige Leerstand auf unter 3 % gesunken und unter Berücksichtigung der notwendigen Fluktuationsreserve de facto nicht mehr vorhanden. Das Wesen von Immobilien ist nun einmal, dass sie immobil sind. Ein leerstehendes Haus kann also nicht einfach an einen Ort mit Bedarf verschoben werden. Deshalb auch sind selbst in einer Situation starker Zuwanderung Rückbau und Neubau von Wohnungen nach wie vor zwei Seiten ein und derselben Medaille, zumal es eine Konzentration von Zuwanderern im Sinne guter Integration eher zu verhindern gilt. Unbenommen sollen für mögliche Erstaufnahmeeinrichtungen sanierungsfähige Leerstandswohnungen hergerichtet werden, vonnöten ist eine differenzierte und sensible Prüfung vorhandenen Wohnraums. Darauf sollte auch die staatliche Förderung für Neubau und Abriss flexibler reagieren. Der durch Binnenwanderung und natürliches Bevölkerungswachstum verursachte Woh-
nungsnotstand in den Ballungszentren verstärkt sich durch die Fluchtbewegungen aus den Krisen- und Kriegsgebieten. Das Pestel-Institut errechnete jüngst einen bisher durch Neubau nicht gedeckten Bedarf an Wohnungen von
Asylsuchenden in Deutschland muss für eine erfolgreiche Integration dezentral in Wohnungen erfolgen. Sowohl Neubau in allen Marktsegmenten, also insbesondere auch im sozialen Wohnungsbau, als auch eine Sanierung
miete von 8 bis 10 Euro pro m² und der durch die geringeren Einkommen in Sachsen verursachten leistbaren Miethöhe pro Haushalt von bis zu 6,50 Euro pro m². Diese Problemlage wird aufgrund der stärker steigenden Mietnebenkos-
Der Karl-Marx-Hof in Wien - Musterbeispiel für sozialen Wohnungsbau. Bild: Dreizung / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
bundesweit 770.000. Entsprechend der Bevölkerungszahl Sachsens, die anders als prognostiziert seit Jahren nahezu konstant bleibt, bedeutet das, dass ca. 38.000 zusätzliche Wohnungen benötigt werden, inklusive des Wohnraums für asylsuchende Menschen. Spätestens die Zweitunterbringung von Flüchtlingen und
leerstehender Wohnungen zu marktgängigen Angeboten sind hier erforderlich. Wie kann diese Neubau- und Sanierungsleistung staatlich unterstützt werden? Dabei stehen wir vor dem grundsätzlichen Problem der Differenz aus der für die Refinanzierung aufgrund der hohen Baukosten notwendigen Nettokalt-
ten verschärft. Vor allem die Energiekosten sind in den vergangenen 12 Jahren um 117 % gestiegen. Der geringe Einkommensanstieg und die zu niedrigen Transferleistungen wie z. B. das Wohngeld tun ihr Übriges. Die beschriebene Differenz kann kurzfristig nur durch staatliche Förderung des
Wohnungsbaus geschlossen werden. Hierzu können unterschiedliche Formen sinnvoll eingesetzt werden. Neben die Subjektförderung wie z. B. Wohngeld muss als Instrument die Objektförderung treten. Dabei müssen wegen der niedrigen Marktzinsen vermehrt echte Zuschüsse eingesetzt werden, an die eine Belegungsbindung für Asylsuchende und eine Mietpreisbindung für bedürftige Haushalte gebunden werden sollte. Seit Jahren fördert der Freistaat Sachsen keinen sozialen Wohnungsbau, weder durch eigene Mittel noch durch die Verwendung von Bundesmitteln der Wohnraumförderung zu diesem Zweck. Zur Vermeidung von Segregationsprozessen und zur Förderung der sozialen Durchmischung der Wohngebiete wäre diese Förderung jedoch dringend notwendig und dabei nicht, wie beispielsweise bei der Förderung der energetischer Sanierung durch zinsvergünstigte Darlehen, sondern nur durch echte Zuschüsse mit Mietpreisbindung. Die vom Bund im Rahmen des „Asylkompromisses“ kürzlich beschlossenen zusätzlichen 55 Millionen Euro für Sachsens sozialen Wohnungsbau müssen auch wirklich hierfür eingesetzt und um Landesmittel ergänzt werden. Damit lässt sich der zusätzliche Bedarf tatsächlich finanzieren. Enrico Stange
Flüchtlinge – Legale Zugangswege schaffen! Die Zuwanderung von Flüchtlingen vor allem in die westund nordeuropäischen Staaten der EU stellt eine der zentralen politischen Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Dies gilt auch hierzulande und für unsere Partei. Unsere solidarische Haltung gegenüber Menschen in Not alleine reicht nicht aus. Wir müssen als LINKE tragfähige Konzepte auf allen Ebenen der Flüchtlingspolitik entwickeln: für die Herkunfts- und Erstzufluchtsländer, für die EU und für Deutschland. Unter anderem ist es wichtig, dass wir dem Slogan „Refugees welcome“ eine konkrete Bedeutung geben, indem wir Vorschläge für die Schaffung legaler Zugangswege nach Deutschland machen. Die Bundesregierung hat keine, sondern hält an dem für die aktuelle Situation nicht geschaffenen Asylrecht und an willkürlichen Sonderkontingenten fest. Das ist gefährlich, denn in dieses Vakuum stoßen die Rechten, indem sie Ängste
und rassistische Vorurteile schüren. Doch braucht DIE LINKE die Debatte nicht zu scheuen. Für die Schaffung legaler, humanitärer Zugangsregeln für Flüchtlinge nach Deutschland wie in die EU bietet sich die Verzahnung dreier Maßnahmen an: 1. Das Resettlement-Programm des UNHCR: Es zielt auf eine legale und geregelte Aufnahme größerer Kontingente von Flüchtlingen. Wie das Beispiel Syrien zeigt, flüchten Menschen aus Kriegs- und Krisenstaaten vor allem in Nachbarstaaten. Häufig sind dies jedoch selbst arme Länder, die mit der Aufnahme von Hundertausenden Flüchtlingen überfordert sind. Die Neuansiedlung in aufnahmebereite Drittstaaten, das „Resettlement“, ist daher oft die einzige Lösung. Das Resettlement-Programm existiert bereits unter der Leitung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Bis jetzt beteiligen
sich aber erst wenige Staaten daran. Bei einem Bedarf von jährlich 800.000 Plätzen stehen nur 80.000 zur Verfügung. Die 27 Mitgliedsstaaten der EU stellen davon gerade einmal 5.500. Folgerichtig kritisierte das UNHCR erst kürzlich die Entscheidung der EU, zwar 120.000 Flüchtlinge in der EU zu verteilen, doch keine Maßnahmen vorzuschlagen, um geregelte, legale Wege nach Europa zu schaffen – genau das, was das Resettlement-Programm leisten kann. DIE LINKE sollte sich dafür einsetzen, dass Deutschland Resettlement als Chance begreift. Massenhaftes Elend und die Flucht über gefährliche Routen würden verhindert, zugleich eine Regelung, die bei der gegenwärtigen Entwicklung die Aufnahme hierzulande legalisiert und ordnet, geschaffen. Deutschland sollte sich entsprechend des Prozentsatzes seiner finanziellen Beteiligung an UN-Friedensmissionen mit mindestens 7,2 Prozent dyna-
misch am jährlichen Bedarf beteiligen. 2. Ein Einwanderungsgesetz: Flüchtlinge, die nicht vor Krieg oder Bürgerkrieg flüchten, bekommen schnell den Stempel „Wirtschaftsflüchtlinge“ aufgedrückt. Doch haben Menschen, die in Armut leben, nicht auch ein Recht auf ein besseres Leben? Für solche Flüchtlinge greift weder das Resettlement-Programm noch das Asylrecht. Für sie brauchen wir eine legale Zugangsmöglichkeit, die auch die letztlich nicht unbegrenzten Möglichkeiten unserer Gesellschaft berücksichtigt. Das kann ein Einwanderungsgesetz leisten, vor dem die Bundesregierung bis heute zurückschreckt. Da es nur ein Instrument der Flüchtlingsaufnahme neben dem Resettlement-Programm und dem Asylrecht sein soll, wäre auch die Sorge, dass Zuwanderung ausschließlich nach Nützlichkeitskriterien geregelt wird, hinfällig.
3. Das Recht auf Asyl: Das Recht auf Asyl ist ein im Grundgesetz verankertes individuelles Grundrecht auf Schutz für politisch Verfolgte. Es war nie für die Aufnahme größerer Flüchtlingskontingente gedacht. Das ResettlementProgramm und ein Einwanderungsgesetz zielen nicht nur genau in diese Leerstelle, sie würden zudem dazu führen, dass die Asylgesetzgebung wieder auf seine eigentliche Aufgabe zurückgeführt wird: ein Individualrecht für politisch Verfolgte. Die Gerichte und Behörden würden massiv entlastet, und dem Gerede vom „Asylmissbrauch“ wäre der Nährboden entzogen. In der Konsequenz könnten in weiteren Schritten die Einschränkungen des Asylrechts rückgängig gemacht werden: Dies beträfe unter anderem das ohnehin gescheiterte Dublin-Verfahren und die nur zur Aushebelung des Asylrechts geschaffene Regelung der „sicheren Herkunftsländer“. Michael Leutert
Sachsens Linke! 10/2015
Jugend
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Prekarität und Alltag che in den Erwerbsbiografien ihrer Eltern und auch die Zwänge, die ihnen leben erschweren. Sie werden zu erbitterten Konkurrenten in der Schule. Um die immer knapper wer-
folg in den eigenen Händen, ist man permanent dazu verpflichtet, jeden Bereich seines Alltags zu effektiveren. Die Auseinandersetzung mit dem, was ist und dem, was zu
© Bernd Kasper / Pixelio.de
Vom 13. bis 15. November wird in Leipzig ein Kongress der linksjugend [´solid] Sachsen zu prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen stattfinden. Inzwischen befindet sich das Vorbereitungsteam in den letzten Phasen der Vorbereitung. Wir leben in prekären Zeiten. Viele der Menschen, die heute in ihren Zwanzigern sind, kennen es nicht anders. Ihr Normalarbeitsverhältnis ist ein prekäres. Sie sind oft unfreiwillig in unsicheren Jobs oder nehmen die Unsicherheit in Kauf, um an „Projekten“ zu arbeiten, in denen sie sich selbst „verwirklichen“ können. Diese Situation hat sich jedoch nicht erst in den letzten Jahren zur Norm entwickelt. Während in Westdeutschland in den 2000ern der Wandel zu dem einsetzte, was heute ist, gab es im Osten nach der Wende nie etwas anderes. Der im Westen ausgehandelte Klassenkompromiss verzögerte, was in Ostdeutschland der Untergang der DDR abrupt mit sich brachte – Unsicherheit und Armut. Menschen müssen, um studieren zu können, ihren Lebensunterhalt in schlecht bezahlten Nebenjobs verdienen. Viele haben ihre eigenen Produktionsmittel, ihr Humankapital und den Laptop, zu Hause, mit denen sie versuchen, als Freelancer über die Runden zu kommen, indem sie beispielsweise layouten oder programmieren. Sie sind bedroht von Selbstausbeutung und haben keinerlei Garantie, dass nicht doch jemand flexibler und billiger ist als sie, vielleicht sogar ihr*e WG-Mitbewohner*in. Schüler*innen sehen die Brü-
denden Aufstiegschancen ist ein Kampf entbrannt, der jeden Funken Solidarität zum Erlöschen bringt. Der Druck, allein seines eigenen Glückes Schmied zu sein, macht die Leute krank. Liegt die Verantwortung für Scheitern oder Er-
tun ist, ist bei diesem Thema nicht leicht eingrenzbar. Hohe Mieten, zu viel Arbeit, Abstrampeln im Hamsterrad, keine Zeit für Muße. Wo und wie kommt die Traurigkeit der Welt zum Ausdruck? Ich-AG, Zeitarbeit, Befristung – was sind pre-
käre Arbeitsverhältnisse? Wie solidarisch ist solidarische Ökonomie? Wie könnten Wege der Organisierung in einer Zeit der Vereinzelung und Privatisierung von Problemen aussehen? Wie könnte ein soziales Sicherungssystem aussehen, das prekären Lebensverhältnissen beikäme? Können Gewerkschaften dazu beitragen? Auf welche Art und Weise schlägt sich der Neoliberalismus auf der individuellen Ebene nieder? Dynamisierung des Alltags und Selbstausbeutung als Dauerzustand? Burnout und Depression – Krankheiten politisieren? Was bedeuten Urbanität, wie verändert sich die Stadt momentan? Ort effizientester Konsumtion oder Aufeinandertreffen sozialer Konflikte? Prekär Leben/Arbeiten ist europäische Realität, wo bleibt die europäische Bewegung dagegen? Deshalb wurde sich bei der inhaltlichen Vorbereitung für einen Call entschieden, der unterschiedlichsten Akteuren, Netzwerken, Gruppen, Einzelkämpfer_innen die Möglichkeit schaffen sollte, ihre spezifischen Zugänge, Erfahrungen und Diskussionen in den Kongress einfließen zu lassen. Das weite Spektrum ist uns bewusst. Doch wir erarbeiten gerade ein Programm, das Raum und Zeit bietet, die vielfältigen Herangehensweisen, ob ästhetisch, theoretisch oder praktisch, ob reflexiv, programmatisch oder utopisch, ob fragend oder antwortend, zu entdecken und zu verknüpfen. Wir sind also mitten in den letzten Phase der inhaltlichen Vorbereitung – die eingetroffenen Beiträge zu einem stimmigen Kongresswochen-
Call for Landesjugendplenum/-tag Ende Oktober in Oschatz Auf, auf! Vom 30.10. bis zum 01.11.2015 heißt es für alle, die sich mit der Jugend assoziieren: Auf nach Oschatz zum nächsten Landesjugendplenum/-tag! Am Freitag wollen wir, nach der Konstituierung, gleich mit den ersten Entlastungen starten, damit wir im Anschluss die ersten Gremien wieder neu besetzen. Dieses Mal müssen wir die Landeskassenprüfung, die Landesschiedskommission, eine*n neue*n Schatzmeister*in und einen neuen Beauftragtenrat wählen. Wenn Du Interesse hast, Dich wählen zu lassen, dann schick Deine Bewerbung doch einfach per Mail an kontakt@ linksjugend-sachsen.de. Am ersten Abend gibt es dann noch eine Gameshow! Also lass Dich überraschen und ha-
be viel Spaß! Am Samstag haben wir dieses Mal zwei Workshop-Schienen geplant. Das eine Mal geht es um Linksjugend-interne Positionen, die diskutiert werden sollen. Zur Auflockerung, damit es
ganz bestimmt nicht langweilig wird oder einem Sitzungsmarathon ähnelt, werden wir noch Anträge diskutieren wie auch die Wahlgänge durchfüh-
ren. Die zweite Workshopphase wird sich darum drehen, dass wir alle ganz fleißig Informationen aufsaugen können, wenn wir wieder Mal draußen auf der Straße unsere Positionen vertreten wollen und
schlagfertig zu argumentieren suchen (bspw. Asyl, Schwangerschaftsabbruch, …). Am Abend, einen Trommelwirbel bitte, findet eine fette Danke-
schönparty unserer jungen MdLs statt. Anja und Marco tüfteln da schon eine Weile an der Abendgestaltung! Wir würden uns riesig freuen, wenn Du zum Landesjugendplenum/tag vorbeischauen würdest! Wir suchen auch noch Menschen, die bei den Kommissionen mitarbeiten. Also auf geht’s! Damit wir besser planen können, melde Dich bitte zum Landesjugendtag/-plenum an und gib Bescheid, ob Du einen Übernachtungsplatz brauchst und wie deine Ernährungswünsche aussehen (omnivor (alles), vegan, vegetarisch). Das geht ganz unkompliziert über das Anmeldetool unter https://anmeldung. linksjugend-sachsen.de/ Wir sehen uns! Mit den besten Grüßen, der Beauftragtenrat Sachsen
ende zusammenzustellen. Anspruch war und ist es, sich in der Weite des Themas nicht zu verlieren und den Kongress dennoch nicht zu verengen. Es sei schon jetzt verraten, dass Katja Kipping, Robert Misik, Thomas Ebermann und Kristof Schreuf Teil des Kongresses sein werden. Das Organisationsteam
Termine 01.10.2015 – 05.10.2015: Herbstakademie des SDS „Krieg, Frieden und Imperialismus“. Joachimsthal, Joachimsthaler Straße 20, EJB Werbellinsee. Infos: http://gleft. de/10h 09.10.2015 – 11.10.2015: Stadtjugendtag der Linksjugend Leipzig, Leipzig, Demmeringstr. 34, INTERIM! 09.10.2015 – 18:00 Uhr: Mietrebellen – Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt. Dresden, Rudolf-LeonhardStraße 39, AZ Conni! Infos: http://gleft.de/11x 17.10.2015 – 12:00 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates. Chemnitz, Rosenplatz 4, im Büro der Linksjugend 17.10.2015 – 13:00 Uhr: Bite Back! Wut in Aktion wandeln. Workshop, Kunst trifft auf Aktion. Realistische Notfalldarstellung als Demonstrationsmittel. Dresden, Rudolf-LeonhardStraße 39, AZ Conni. Infos: http://gleft.de/11y 19.10.2015 – 19:00 Uhr: Gewalt, Militanz und emanzipatorische Praxis – Machen die Richtigen alles falsch? Koburger Str. 3, Conne Island! Infos: http://gleft.de/11A 25.10.2015 – 14:00 Uhr: Stadtjugendplenum der Linksjugend Dresden. Dresden, Martin-Luther Str. 21, Wir-AG. 30.10.2015 – 01.11.2015: Landesjugendplenum, Oschatz, Berufsschulstraße 20, Europäisches Jugendcamp. 06.11.2015 – 20:00 Uhr: Der lange Schatten der Festung Europa. Fluchtursachen – Fluchtwege. Leipzig, Windscheidstraße 51, Frauenkultur. Infos: http:// gleft.de/11z 13.11.2015 – 15.11.2015: Kongress zu prekären Lebens/Arbeitswelten. Leipzig. Nähere Informationen folgen, aber halte Dir das Wochenende schon frei!
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
10/2015 Sachsens Linke!
SYRIZA nach der Wahl aufgelöst oder wenigstens in einen anderen Währungsmechanismus umgewandelt werden. Auch wenn der jetzige Frust vieler Linker verständlich ist, politisch ist eine solche Strategie fragwürdig. Die Folgen des Grexit wären für Griechenland fatal gewesen. Eine eigene Währung wäre abgestürzt und hätte die importabhängige Wirtschaft erdrosselt. Das hätte die humanitäre Krise verschlimmert. Keine Option für eine linke Regierung. Beim Referendum im Juni stimmten die Menschen gegen die gescheiterte Kürzungspolitik, nicht gegen den Euro. Daran ändert sich nichts, wenn man das Ergebnis des Referendums im Nachhinein als Nein zum Euro umdeutet. Die LAE ist mir einer Grexit-Kampagne gerade an der Drei-Prozent-Hürde gescheitert. Diejenigen, die wieder mehr Kompetenzen an die Mitgliedstaaten geben wollen, überschätzen die Macht des Nationalstaats. In einer Welt, in der Kapitalströme international fließen und transnationale Konzerne ihre Waren weltweit herstellen und verkaufen, kann ein Staat allein immer weniger ausrichten. Auch die Kosten einer Rückkehr zu nationalen Währungen werden unterschätzt. Dramatische wirtschaftliche und soziale Verwerfungen wären in der gesamten EU vorprogrammiert. Trotz aller Fehlentwicklungen in der EU sollten gerade Linke nicht vergessen, dass die Mitgliedstaaten seit 70 Jahren nicht mehr militärisch übereinander hergefallen sind. Nach den Ereignissen um Griechenland müssen die Linken in
der gesamten EU über ihre Strategie nachdenken. Warum konnten wir nicht mehr Menschen gegen die unsoziale Krisenpolitik mobilisieren? Welche Alternativen zum neoliberalen Kürzungsdiktat sind nötig und machbar? Wir müssen uns als Linke fra-
bringen? Eine Schlussfolgerung aus der Vereinbarung vom 12. Juli wäre jetzt fatal: die EU den marktradikalen Eliten zu überlassen. Statt den Euro abzuschaffen, brauchen wir Regeln und Ausgleichsmechanismen, die den Ungleichheiten zwi-
gen, wie wir mit objektiven Widersprüchen und bestehenden Kräfteverhältnissen umgehen. Nur Missstände zu benennen, reicht nicht. Linke Politik, die sich wie in Griechenland auf Mehrheiten in der Bevölkerung stützen kann, gleichzeitig allein gegen die Herrschenden in der EU anrennt, braucht mehr europäische Unterstützung. Haben wir genug getan, um das Bild von „faulen Griechen“ und von der „lästigen“ griechischen Regierung in der europäischen Öffentlichkeit ins Wanken zu
schen Euroländern entgegensteuern. Jetzt werden öffentliche Ausgaben gebraucht, um eine nachhaltige Entwicklung anzustoßen: ein öko-sozialer „EU-Marshall-Plan“. Durch gerechte Besteuerung hoher Einkommen und großer Vermögen können Einnahmen erhöht und wieder in Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und Infrastruktur investiert werden. Und die Linke muss für mehr Demokratie und direkte Beteiligung der Bürger in der EU streiten. Das ist nur zu schaffen, wenn
Foto: Blömke/Kosinsky/Tschöpe/Wikimedia Commons/ CC BY-SA 3.0 DE
Ein spannendes Kopf-an-KopfRennen sollte es werden. Bis zum Wahlabend sahen Wahlforscher das Linksbündnis SYRIZA von Alexis Tsipras und die konservative Nea Dimokratia (ND) gleichauf in der Wählergunst: Ausgang ungewiss. Die neoliberalen Regierenden in der EU freuten sich schon auf ein Ende der linken Ära in Griechenland. Doch daraus wurde nichts: SYRIZA gewann die Neuwahlen überraschend hoch mit 35,5 Prozent und wurde wieder stärkste Kraft im griechischen Parlament. Die eng mit der korrupten Elite verbundene ND erreichte nur 28,1 Prozent. Neuwahlen wurden ausgerufen, nachdem die SYRIZA-Regierung im August zurücktrat. Tsipras wurde im Juli als einziger linker Regierungschef in der EU von den Gläubigern aus EZB, IWF und der Eurozone erpresst und öffentlich gedemütigt: Sie zwangen ihn, ein weiteres unsoziales Kürzungsdiktat zu unterschreiben, um sein Land vor dem Staatsbankrott zu retten. 32 Abgeordnete verließen die SYRIZA-Fraktion, weil sie sich für einen Euroaustritt (Grexit) stark gemacht hatten. SYRIZA spaltete sich und die Gegner der Juli-Vereinbarung gründeten die Partei „Volkseinheit“ (LAE). In der deutschen und europäischen Linken entbrannte eine Debatte darüber, ob mit diesem Euro und in der heutigen neoliberalen EU linke Politik überhaupt machbar ist. Einige Linke fordern jetzt, gegen den Euro und die EU zu mobilisieren. Diese neoliberale EU könne nicht von links verändert werden. Der Euro solle
die Linken EU-weit stärker zusammenarbeiten, Kampagnen und Aktionen besser abstimmen und mehr Menschen mobilisieren. Auch vor SYRIZA liegen schwierige Aufgaben. Auf dem Parteitag im Dezember sind viele offenen Fragen zu klären. Die Aus- und Rücktritte führender Mitglieder zwingen SYRIZA geradewegs dazu, sich als Partei zu stabilisieren. Als Regierungspartei muss sie die humanitäre Krise bekämpfen, die Wirtschaft stabilisieren und mit Vetternwirtschaft und Korruption aufräumen. Dass Tsipras als Regierungspartner auf die schwache ANEL mit ihren fragwürdigen politischen Zielen setzt, ist seine Achillesferse. Und zum zweiten Mal sind die Ministerien fast ausschließlich in Männerhand. Auf EU-Ebene gibt es zwei drängende Herausforderungen: über die untragbare Schuldenlast weiter zu verhandeln und sich in der Flüchtlingskrise für eine solidarische und menschenwürdige Lösung der EU-Staaten einzusetzen. Dabei müssen ihn die Linken in der EU unterstützen. Tsipras‘ Wiederwahl ist nicht nur eine Chance für SYRIZA, sondern für alle europäischen Linken. Gemeinsam müssen wir für einen Politikwechsel streiten: für eine bessere, soziale EU! Gabi Zimmer, MdEP und André Seubert
Von „gleichgeschalteten Medien“, der AfD und dem „Verfassungsschutz“ Als im Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ ein Zeuge die Einstellungspraxis beim hiesigen Geheimdienst in dessen Anfangszeit schilderte, herrschte allgemein entweder ungläubiges Staunen oder verlegenes Lächeln. Konnte es damals tatsächlich so gewesen sein, dass man als Friseur oder Fliesenleger beim beschönigend als „Verfassungsschutz“ bezeichneten Dienst anheuern und nach wenigen Wochen Lehrgang den Dienst antreten konnte, wenn man eine unverzichtbare Grundvoraussetzung erfüllte, nämlich eine deutliche Ferne zum untergegangenen Staat DDR? Es war so. Und nicht nur in Sachsen, sondern in allen neuen Bundesländern. Die Qualität der Arbeit war entsprechend. Aber heute, heute ist doch alles anders!? Man hat doch aus dem NSU-Desaster gelernt, oder?
Man hat doch Köpfe rollen lassen und an der Spitze des Amtes inzwischen den Schwiegermutter-Typ Gordian Meyer-Plath, der versprochen hat, dem Amt eine neue Philosophie einzutrichtern? Nun ja, wir wissen: kaum versprochen, schon gebrochen. Inzwischen wissen wir, dass sich durch ihn tatsächlich etwas geändert hat. Die Situation ist noch schlimmer geworden. Bei bevorstehenden rassistischen Pogromen gibt sich das Amt ahnungslos, stattdessen verbreitet es Tipps für „asylkritische“, sprich: rassistische Bürgerinitiativen, damit diese sich vor „Unterwanderung“ vor Rechtsextremisten schützen können. Aber zumindest herrschen doch nicht mehr die Zustände wie zu Zeiten der Gründung des Amtes, oder? Oder! Wer damals so ungefähr mein Jahrgang war, also Mitte zwanzig, ist heute Ende vierzig. Die Chancen, dass die
damals frisch zu Beamten gekürten Personen noch immer bei den Schlapphüten arbeiten, sind also gut. Wenn also jemand von sich schreibt: „Aufgrund der religiösen Einstellung war ich auch nicht Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) während der Schulzeit und entschied mich aus Überzeugung den Wehrdienst zu verweigern, was zur Folge hatte, dass ich nicht zum Abitur zugelassen wurde“, dann hat er schon einmal das Kriterium der Systemferne erfüllt. Instandhaltungsmechaniker lernte die betreffende Person, nennen wir sie Hendrik S., nach der Wende. 1994 wechselte er „nach einem langwierigen Auswahlverfahren“ in das sächsische Innenministerium, wurde 1996 Verwaltungsbeamter. Wörtlich weiter: „Dort begleite ich seither mehrere Aufgaben in Bezug auf Innere Sicherheit mit Schwerpunkt Extremismus und
verfasse entsprechende Analysen“. Die Metadaten geben Auskunft darüber, dass die Biografie von Hendrik S. zumindest teilweise auf seinem Dienstcomputer entstanden ist: „lfv23011“. Es handelt sich um kein internes Schreiben; es ist für die Öffentlichkeit bestimmt. Für die Partei-Öffentlichkeit jedenfalls. Hendrik S. nämlich fühlt sich zu Höherem berufen, für einen Sitz im Landtag geeignet. S., der nebenberuflich mit „Faltgaragen“ handelt, beobachtet keineswegs die rechtslastige „Alternative für Deutschland“ (AfD), sondern er wollte für sie kandidieren wegen der „zahlreichen Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft, die unbedingt gestoppt werden müssen“ und die „eindeutig auf die Konzeptionslosigkeit und Unfähigkeit der Regierenden zurückzuführen“ seien. Und im Duktus der extremen Rechten heißt es
weiter: „Die Medien sind gleichgeschaltet und lassen keine objektive Betrachtung von Sachverhalten mehr zu, geschweige eine anderslautende Meinung. Dazu missachten die etablierten Parteien den Wählerwillen und schaden mit ihrem Politikstil Deutschland in seinem Bestand. Ein zunehmender Werte- und Normenverfall ist das Ergebnis“. Hendrik S. ist nicht irgendwer. Er ist stellvertretender Kreisvorsitzender der AfD in Mittelsachsen, er lobt auch schon mal eine rassistische Leipziger Initiative, deren NPD-Nähe bekannt ist, mit den Worten „sehr gut“ und „weiter so“. Eine öffentliche Stellungnahme von seinem Chef oder gar dem Minister? Fehlanzeige! Er ist weiterhin Beamter. An inzwischen bekannter Stelle. Übrigens: Verrat von Dienstgeheimnissen ist strafbar, sogar beim sächsischen „Verfassungsschutz“. Kerstin Köditz
Sachsens Linke! 10/2015
DIE LINKE im Bundestag
Warum Sachsen?
Ich wunderte mich nicht, als ein Journalist am Rande des Willkommensfestes für Flüchtlinge in Heidenau fragtr: „Frau Lay, warum gibt es gerade in Sachsen so viele Anschläge auf Flüchtlinge?“ In der Tat: Allein in diesem Jahr gab es über 60 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, davon ein Viertel in Sachsen. Insgesamt waren es über 100 rechte Angriffe aller Art seit Jahresbeginn. Freital und Heidenau sind hier nur die Spitze des Eisberges. In Sachsen gibt es doppelt so viele Anschläge wie in allen anderen Ländern. Hinzu kommen die Angriffe auf Andersdenkende, wie beispielsweise Ende Juli auf das Auto des Genossen Michael Richter, der im Freitaler Stadtrat sitzt. Auch mein Büro in Hoyerswerda war wiederholt Ziel. Den Anschlag auf unseren Parteitag haben noch viele Genossinnen und Genossen in lebhafter Erinnerung. Die Liste der Beispiele allein der letzten Wochen ließe sich beliebig fortsetzen. Und auch bei den Wahlumfragen sieht es nicht anders aus: Die „Alternative für Deutschland“ käme in einer aktuellen repräsentativen Umfrage auf 13 Prozent der Stimmen. Die NPD, noch weiter rechts und eigentlich schon abgeschrieben, würde mit fünf Prozent wieder den Sprung in den Landtag schaffen. Umfrageergebnisse sind das eine, das Handeln des brau-
nen Mobs auf der Straße das andere. Auch hier sieht es in Sachsen düster aus. Die fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen, auch ein sächsisches Original, sind leider
tauchen. Ein breites Bündnis von Kirchen, Gewerkschaften über SPD, LINKE und Grüne bis hin zu Antifa-Gruppen stellt sich ihnen dann in den Weg und zeigt, dass die nicht
noch die harmloseste Ausprägung. Aber ist Sachsen denn per se rechter als andere Bundesländer? Ich glaube das nicht. Denn auch in Sachsen gibt es Widerstand überall da, wo Nazis und Fremdenfeinde auf-
willkommen sind. Wer in der Regel fehlt, ist die sächsische CDU. Ausgerechnet die Partei, die Sachsen seit 25 Jahren regiert. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer!
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Meistens schweigt sie zu rechter Gewalt, und wenn sie etwas sagt, dann relativiert sie. Sie spricht lieber von „Extremismus“ und findet die Linken mindestens genauso schlimm. Damit legitimiert man den alltäglichen Rassismus. Wenn Frank Kupfer, der Fraktionsvorsitzende der CDU im Sächsischen Landtag, bei einer Debatte zu fremdenfeindlicher Gewalt lieber Angst vor der dem Islam schürt und davor warnt, den Vorwurf des Rechtsex tremis mus zu schnell zu erheben, verkennt er jede Realität in „seinem“ Land. Und wenn Sachsens Polizei tagelang zuschaut, wenn Flüchtlingsunterkünfte angegriffen werden, es kaum Festnahmen gibt und Innenminister Markus Ulbig immer noch im Amt ist, ist das ein deutliches Signal an alle Rassistinnen und Rassisten, so weiter zu machen. Da kam es viel zu spät, wenn der Ministerpräsident die Gewalt jetzt zaghaft verurteilt. Es ist ja auch nicht erst seit gestern so. Schon als sich alljährlich Tausende von Neonazis in Dresden versammelten,
um mit unsäglichen Begriffen wie „Bombenholocaust“ die Shoa zu relativieren, waren es die couragierten Aktivistinnen und Aktivisten von „Dresden Nazifrei“, die in den Augen der CDU das Problem waren – obwohl ihre Blockaden dem braunen Spuk letztendlich ein Ende bereitet haben. Laut CDU sind wir übrigens auch wieder schuld am oben genannten Erfolg der AfD. Zu den aktuellen Umfragewerten erklärte Frank Kupfer: „Wenn sich am rechten Rand etwas formiert, bleibt das am linken Rand nicht folgenlos“. So einfach und so brandgefährlich ist und bleibt das politische Weltbild der sächsischen CDU. Das sollte uns als LINKE nicht entmutigen, weiterhin ganz vorne zu stehen, wenn sich Fremdenfeinde wieder formieren. Auf die CDU waren wir noch nie angewiesen, um deutlich zu machen, dass wir Hetze und Gewalt gegen Flüchtlinge und alle anderen nicht dulden werden! Es gibt ein anderes Sachsen, in dem sich Tausende verantwortungsvoll für Flüchtlinge einsetzen. Ich bin froh, dass LINKE hier stets mit dabei sind! Caren Lay Mit diesem Logo, dass auch auf www.caren-lay.de heruntergeladen werden kann, kann man seine Haltung gut zum Ausdruck bringen.
Flüchtlinge beim Weg in Arbeit unterstützen, Sozialstaat sichern Viele der Flüchtlinge, die es nach Deutschland schaffen, werden hier dauerhaft oder für eine längere Zeit bleiben. Derzeit stehen die Fragen der Unterbringung und sicheren Fluchtwege im Vordergrund. Vergessen werden darf aber nicht, Flüchtlinge zeitnah und gleichberechtigt auf dem Weg in Arbeit zu unterstützen. Nur so können die Betroffenen eigenständig für ihren Lebensunterhalt sorgen und gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sein. Die alte Asyl- und Arbeitsmarktpolitik hat weitgehend auf Abschottung gesetzt. Sie muss grundlegend umgekrempelt werden. Die ankündigten Maßnahmen der Bundesregierung greifen zu kurz oder gehen in die falsche Richtung. Schranken zum Arbeitsmarkt müssen beseitigt, alle Flüchtlinge gefördert und unterstützt werden. Dazu gehören ausreichend Sprachkurse und die Vorsorge, dass sie nicht als
billige Arbeitskräfte und zum Lohndumping missbraucht werden. Um Flüchtlingen den Weg in Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, brauchen Flüchtlinge schnell aufenthaltsrechtliche Sicherheit und sollten vom ersten Tag arbeiten können. Sprachkurse muss es für alle geben, die Verfahren zur Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Qualifikation müssen vereinfacht werden. Gleichzeitig ist eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik nötig. Individuellere Vermittlung und Unterstützung in der Arbeitsförderung, mehr Weiterbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen, Initiativen gegen Langzeiterwerbslosigkeit – seit Jahren macht sich DIE LINKE dafür stark. Es ist im Interesse aller Erwerblosen überfällig, dass hier etwas passiert. Und es ist jetzt noch dringlicher, den Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen. Das heißt: die
Ausnahmen vom Mindestlohn abschaffen, Leiharbeit verbieten, den Missbrauch von Werkverträgen angehen und befristete und geringfügige Beschäftigung eindämmen. Das sind die Einfallstore für Lohndumping. Es muss verhindert werden, dass im Interesse von Arbeitgebern und neoliberaler Politik Löhne und Arbeitnehmerrechte weiter abgesenkt werden. Flüchtlinge dürfen nicht als billige Arbeitskräfte und Lohndrücker missbraucht werden. Es ist ein schmutziges Spiel, das Finanzminister Schäuble nun spielt, wenn er die Gelder zur Flüchtlingshilfe anderen sozialen Ausgaben gegenüber stellt. Er und seine Unionsparteien haben (mit Hilfe anderer wie der SPD oder FDP) die soziale Ungleichheit in unserem Land verschärft und sind nicht bereit den wachsenden Reichtum einiger weniger in Deutschland abzuschöpfen. Nun wird den Flüchtlingen der schwarze Peter zugeschoben.
Lassen wir uns nicht spalten, sondern streiten gemeinsam für eine bessere Zukunft für alle. Geld ist in Deutschland genug da. Die Regierung sollte endlich einmal die Reichen und Vermögenden zu Kasse bitten, anstatt einzelne Bevölkerungsteile gegeneinander auszuspielen. Um den Sozialstaat zu sichern und die Willkommenskultur zu stärken, fordert DIE LINKE deshalb eine Millionärssteuer für große Vermögen und Erbschaften, und gleichzeitig, Durchschnittsverdienerinnen und Durchschnittsverdiener zu entlasten. Wir wollen den Hartz IV-Regelsatz auf 500 Euro erhöhen und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung auf wirklich existenzsicherndem Niveau ersetzen. Der gesetzliche Mindestlohn muss auf mindestens 10 Euro ohne Ausnahmen steigen, ein soziales Wohnungsbauprogramm aufgelegt und der Bau von 500.000 kommunalen und genossenschaftlichen
Wohnungen kurzfristig gefördert werden. Das würde der großen Mehrheit der Bevölkerung helfen: Den Menschen, die in unserem Land bereits leben und den Geflüchteten, die eine neue Heimat suchen oder längere Zeit bei uns leben müssen. Sabine Zimmermann
Wie denkt und lebt der Osten? Hinweise auf eine Reihe von Veranstaltungen zum Sozialreport 2014 der RLS, an denen auch Bundestagsabgeordnete teilnehmen, finden sich auf der Seite der Stiftung im Mantelteil.
Kommunal-Info 8-2015 29. September 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Internet Möglichkeiten eines Internetzugangs für Asyluchende und Geflüchtete Seite 3
Seminare Herbstseminar für junge KommunalpolitikerInnen 23.-25. Oktober Seminar Aufsichtsräte in kommunalen Unternehmen 20./21. November
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Neuer Leitfaden Demnächst erscheint Leitfaden „Rechte und Pflichten von Aufsichtsräten“ Seite 4
Anschluss- und Benutzungszwang Im Interesse des öffentlichen Wohls können Gemeinden nach § 14 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO)1 „durch Satzung für die Grundstücke ihres Gebietes den Anschluss an Anlagen zur Wasserversorgung, Ableitung und Reinigung von Abwasser, Fernwärmeversorgung und ähnliche dem öffentlichen Wohl, insbesondere dem Umweltschutz dienende Einrichtungen (Anschlusszwang) und die Benutzung dieser Einrichtungen, der Bestattungseinrichtungen, der Abfallbeseitigungseinrichtungen und der Schlachthöfe (Benutzungszwang) vorschreiben.“ Durch die Satzung können bestimmte Ausnahmen vom Anschluss- und Benutzungszwang zulassen werden. Der Zwang kann auf bestimmte Teile des Gemeindegebietes oder auf bestimmte Gruppen von Grundstücken, Gewerbebetrieben oder Personen beschränkt werden.
Anschlusszwang
Anschlusszwang ist immer grundstückbezogen und kann nur für solche Einrichtungen angeordnet werden, die grundstücksbezogene Aufgaben erfüllen. Mit dem Anschlusszwang werden Grundstückseigentümer und andere dinglich Berechtigte an einem Grundstück (Erbbauberechtigte, Pächter) dazu veranlasst, Vorkehrungen zu treffen, um an eine öffentliche Einrichtung angeschlossen zu werden und diese Einrichtung auch benutzen zu können. Mit dem Anschlusszwang allein ist noch nicht vorgeschrieben, dass die öffentliche Einrichtung auch tatsächlich benutzt werden muss. Die Gemeinde wird jedoch in aller Regel dem Anschlusszwang für die betreffenden Anlagen auch den Benutzungszwang
folgen lassen, weil das allein sinnvoll ist.2 Ein Anschlusszwang besteht vor allem bei leitungsgebundenen Einrichtungen (Abwasserbeseitigung, Wasserversorgung, Fernwärme). Im weiteren Sinne fällt darunter auch die Reinigung der Straßen innerhalb der Gemeinde. Nach § 51 Abs. 5 des Sächsischen Straßengesetzes sind die Gemeinden berechtigt, durch Satzung die Verpflichtung zur Reinigung der Anliegerstraßen und Gehwege „ganz oder teilweise den Eigentümern oder Besitzern der durch öffentliche Straßen erschlossenen Grundstücke aufzuerlegen oder sie zu den entsprechenden Kosten heranzuziehen.“
Benutzungszwang
Der Benutzungszwang ist stets an Personen (natürliche wie juristische Personen) gerichtet, es besteht hier im Unterschied zum Anschlusszwang kein unmittelbarer Bezug zum Grundstück. Der Benutzungszwang beinhaltet die rechtliche Verpflichtung, für bestimmte Leistungen ausschließlich die betreffenden kommunalen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen. Damit ist die Benutzung eigener und fremder bisher demselben Zweck dienender Einrichtungen (z.B. eigene Brunnen) untersagt. Der Benutzungszwang ist aber nicht auf Einrichtungen begrenzt, für die auch ein Anschlusszwang besteht. Er kann darüber hinaus auch für Einrichtungen vorgeschrieben werden, für die ein Anschlusszwang der Sache nach nicht infrage kommt, so insbesondere für die in § 14 Abs. 1 SächsGemO ausdrücklich genannten Einrichtungen: Bestattungseinrichtungen, Abfallbeseitigungseinrichtungen und Schlachthöfe.
Dem Benutzungszwang unterliegen nicht nur Eigentümer oder sonstige dinglich Berechtigte von Grundstücken, sondern alle Personen, die in der Gemeinde wohnen oder sich dort aufhalten. Je nach Art der Benutzung kann sich der Benutzungszwang auf alle Einwohner (z.B. Wasserversorgung) oder nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe erstrecken, für die die angebotenen Leistungen von Interesse sind (z.B. Schlachter für den Schlachthofzwang).
Öffentliches Wohl
Der Anschluss- und Benutzungszwang kann nur angeordnet werden, wenn dafür Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen. Nach vorherrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur handelt sich hierbei um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der uneingeschränkten Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt.3 Das öffentliche Wohl muss für die Gemeinde im Ganzen vorliegen und bedarf nicht der Begründung des Nachweises bei jedem einzelnen Einwohner oder bei jedem einzelnen Grundstück. Ausreichende Gründe öffentlichen Wohls liegen allgemein dann vor, wenn Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor Gefahren geschützt werden müssen und der Anschluss- und Benutzungszwang aus hygienisch-gesundheitlichen und dem Umweltschutz geschuldeten Erwägungen geboten ist; wenn aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Rentabilität ein Anschluss- und Benutzungszwang erforderlich ist und ohne diesen ein Betrieb der im öffentlichen Interesse notwendigen Einrichtung wirtschaftlich nicht möglich wäre. Eine bessere Rentabilität einer öffent-
lichen Einrichtung zu sichern, reicht für sich allein zur Begründung des Anschluss- und Benutzungszwanges nicht aus, maßgebend als Grund muss bleiben, die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt schützen zu müssen.4 Aber nur wenn möglichst alle Einwohner in einer Solidargemeinschaft an die betreffenden Anlagen angeschlossen sind bzw. betreffende Einrichtungen benutzen, kann dadurch deren Finanzierung mit gesichert werden. Deshalb wird die Erfüllung wichtiger öffentlicher Gemeinschaftsaufgaben der Gemeinden im Rahmen der Daseinsvorsorge in vielen Fällen erst durch den Anschluss- und Benutzungszwang möglich.
Anlagen und Einrichtungen
Anlagen und Einrichtungen, für die der Anschluss- und Benutzungszwang vorgesehen ist, unterliegen teilweise auch speziellen gesetzlichen Regelungen: Wasserversorgung Nach § 43 des Sächsischen Wassergesetzes (SächsWG) haben die Gemeinden im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die Pflicht, in ihrem Gebiet die Bevölkerung und die gewerblichen und sonstigen Einrichtungen ausreichend mit Trinkwasser zu versorgen, soweit diese Verpflichtung nicht auf andere Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen wurde (z.B. Zweckverbände). Der Anschluss- und Benutzungszwang für eine öffentliche Wasserversorgungsanlage dient in erster Linie dem Schutz vor Krankheit durch schlechtes, verschmutztes oder mit Schadstoffen belastetes Wasser. Fortsetzung auf folgender Seite
Kommunal-Info 8/2015 Abwasserbeseitigung Nach § 50 SächsWG obliegt den Gemeinden oder der Körperschaft des öffentlichen Rechts, soweit die Aufgaben auf diese übertragen werden (Zweckverbände) die Pflicht der Abwasserbeseitigung. Dabei sind das Abwasser, der Schlamm aus Kleinkläranlagen und der Inhalt abflussloser Gruben dem Abwasserbeseitigungspflichtigen oder seinem Beauftragten von demjenigen, bei dem sie anfallen, zu überlassen. Da es der Gemeinde im Allgemeinen nur auf diese Weise möglich ist, als beseitigungspflichtige Körperschaft das Abwasser zu beseitigen, ist damit der Anschluss- und Benutzungszwang bereits vorgezeichnet. Fernwärmeversorgung Im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz wird in § 16 darauf verwiesen, dass
die Gemeinden und Gemeindeverbände über den Gemeinwohlgrund der Luftreinhaltung hinausgehend auch zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes den Anschluss- und Benutzungszwang bestimmen können,
wenn eine entsprechende landesrechtliche Bestimmung allgemein einen Anschluss an ein Netz der öffentlichen Nah- oder Fernwärmeversorgung zulässt (wie in § 14 SächsGemO). In der Praxis führen die Gemeinden heute immer seltener einen Anschlussund Benutzungszwang für Fernwärme ein. Denn die Einführung eines Anschluss- und Benutzungszwanges führt nicht nur zu einer Anschluss- und Versorgungspflicht, sondern auch zu einer Monopolstellung mit einer entsprechend kritischen Prüfung der Preise.5 Bestattungseinrichtungen Nach § 2 des Sächsischen Bestattungsgesetzes (SächsBestG) obliegt es den Gemeinden als Pflichtaufgabe, Friedhöfe anzulegen und zu erweitern sowie Leichenhallen zu errichten, soweit hierfür ein öffentliches Bedürfnis besteht, und diese Einrichtungen zu unterhalten. Diese Pflicht umfasst auch die Sorge dafür, dass die notwendigen Bestattungseinrichtungen zur Verfügung stehen. Davon unberührt bleibt, dass auch andere Friedhöfe (z.B. von Kirchen und Kirchgemeinden) und Bestattungsplätze (z.B. Friedwald) nach den Vorschriften des SächsBestG angelegt werden können.
Seite 2 Abfallbeseitigung Nach § 3 des Sächsischen Abfallwirtschafts- und Bodenschutzgesetzes (SächsABG) obliegt den Landkreisen und Kreisfreien Städten die Pflicht zur Entsorgung der in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. Sie regeln durch Satzung, was als anfallender Abfall zu gelten hat und legen fest, welche verwertbaren Abfälle den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern getrennt von anderen Abfällen zu überlassen sind. Durch Vereinbarung kann den Gemeinden auf deren Antrag die Einsammlung und Beförderung von Abfällen sowie die Kompostierung von Garten- und Parkabfällen übertragen werden. Mit Zustimmung der oberen Abfallbehörde können auch andere Aufgaben durch Vereinbarung übertragen werden.
Schlachthöfe Für Schlachthöfe als Einrichtung gibt es keine spezialgesetzlichen Regelungen. Sie werden in § 14 SächsGemO zwar noch als Einrichtung genannt, für die der Benutzungszwang festgelegt werden kann. Jedoch haben Schlachthöfe ihre einstige praktische Bedeutung in Deutschland fast verloren. Schlachtungen finden immer mehr in der Privatwirtschaft statt, wo die tierärztliche Aufsicht bei den kommunalen Veterinärämtern liegt.
Nur durch Satzung
Weil mit dem Anschluss- und Benutzungszwang in die Handlungsfreiheit der Einwohner und sonstigen Verpflichteten eingegriffen wird, kann er nur durch eine Satzung geregelt werden und nicht etwa nur durch eine ortspolizeiliche Vorschrift angeordnet werden. In dieser Satzung sind als Mindestinhalt insbesondere folgende Dinge zu regeln und zu bestimmen: die Bereitstellung der betreffenden Einrichtung zur öffentlichen Benutzung für den betroffenen Einwohnerkreis; die Art des Anschlusses und der Benutzung der Einrichtung; der Kreis der zum Anschluss oder zur Benutzung Verpflichteten; das Gebiet, für das der Anschlussund Benutzungszwang gilt; die Ausnahmen, die vom Anschlussund Benutzungszwang zugelassen werden können; Art und Umfang der Beschränkung des Anschluss- und Benutzungszwangs
(auf bestimmte Teile des Gemeindegebietes oder auf bestimmte Gruppen von Grundstücken, Gewerbebetrieben oder Personen). Das Betreiben der Einrichtungen für den Anschluss- und Benutzungszwang erfordert mitunter beträchtliche Investitionen. Zudem haben die Einwohner für Anschluss und Benutzung Beiträge und Gebühren zu entrichten. Bevor die Satzung im Gemeinderat beschlossen wird, gilt hier § 11 Abs. 2 SächsGemO: Über Planungen und Vorhaben der Gemeinde, die für ihre Entwicklung bedeutsam sind oder die die sozialen, kulturellen, ökologischen oder wirtschaftlichen Belange ihrer Einwohner berühren, sind die Einwohner frühzeitig und umfassend zu informieren. Die Verteilung der finanziellen Lasten sowie die Maßstäbe und Bemessungsgrundlagen für Anschlussbeiträge und Benutzungsgebühren müssen nicht selbst in der Satzung geregelt werden, hierzu wird in der Regel zeitgleich eine Abgabensatzung beschlossen. Das Entgelt muss nicht als öffentlich-rechtliche Beitrags- und Gebührenregelung festgelegt werden, es kann auch in Form eines privatrechtlichen Nutzungsentgelts geregelt werden. Die Entgeltregelung wird sich in erster Linie danach richten, ob es sich bei der öffentlichen Einrichtung um öffentlich-rechtliche (z.B. Eigenbetrieb) oder privatrechtliche (z.B. GmbH) Rechtsform handelt. Grundsätzlich sind die Gemeinden in der Entscheidung frei, ob sie das Benutzungsverhältnis privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich regeln wollen. Die Gemeinden sollten aber zumindest für diejenigen öffentlichen Einrichtungen, die sie ausschließlich aus eigenen Mitteln herstellen und unterhalten, soweit sie nicht als (formell) selbständige private Unternehmen geführt werden, die öffentlich-rechtliche Entgeltregelung anstreben.6
Ausnahmen
Da nach dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 des Grundgesetzes auch die Belastung der durch den Anschluss- und Benutzungszwang Betroffenen gleichmäßig sein soll, bedürfen die Ausnahmen einer Begründung, die sich auf sachliche Erwägungen stützt. Ausnahmen kommen speziell dann in Betracht, wenn der Anschluss- und Benutzungszwangs enteignend wirken würde oder sonst unbillig erscheinen würde.7 Besondere Umstände, die eine Ausnahme begründen, können in der örtlichen Lage oder in der sachlichen Besonderheit, in der Art der Grundstücksnutzung oder im Beruf der die Einrichtung benutzenden Personen liegen. Die eine Ausnahme rechtfertigenden Sachverhalte sind in der Satzung nach den jeweils besonderen Merkmalen hinreichend zu beschreiben. Da aber nicht alle Einzelfälle vorausgesehen werden können, in denen eine Ausnahmeregelung erforderlich wäre, ist es auch zulässig, eine allgemeine Ausnahme-Generalklausel für alle Fälle in der Satzung vorzusehen, in denen die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs unbillig erscheint, wenn und soweit der Anschluss aus schwerwiegenden Gründen auch unter Be-
rücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls nicht zugemutet werden kann. Ausnahmegründe können nicht nur zu Gunsten des Pflichtigen, sondern auch des Einrichtungsträgers in Betracht kommen, und zwar hauptsächlich dann, wenn die Durchführung des Anschluss- und Benutzungszwangs im Einzelfall in einem besonderen Maße unwirtschaftliche Aufwendungen verursachen würde, aber das öffentliche Wohl insgesamt durch die Ausnahme aber nicht gefährdet wird. Die Beschränkung auf bestimmte Teile des Gemeindegebiets kann gerechtfertigt sein wegen der Entfernung vom Siedlungschwerpunkt, der besonderen topographischen Lage oder der wirtschaftlichen Struktur (z.B. rein landwirtschaftlicher Ortsteil). Gruppen von Grundstücken oder Gewerbebetrieben sind in der Satzung durch ein festzulegendes objektives Merkmal gekennzeichnet (z.B. Wohngrundstücke, Kleingärten, Brauereien). Das Gruppenmerkmal von Personen kann etwa der ausgeübte Beruf sein (z.B. Landwirte). Die Ausnahme kann auch wegen eines besonders hohen Wasserverbrauchs (z.B. Gärtnereien) oder wegen eines Bedarfs nach besonderer Wassergüte (z.B. Brauereien) in Betracht kommen. 8 AG —— 1
§ 12 der Sächsischen Landkreisordnung enthält eine analoge Bestimmung für die Landkreise. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 14, Rn. 2 u. 3. 3 Vgl. ebenda, Rn. 16. 4 Vgl. ebenda, Rn. 19 und Vogelsang/ Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, E. Schmidt Verlag, 3. Aufl., S. 160. 5 Siehe unter www.agfw.de./: Die AGFW | Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. hat auch einen „Leitfaden Öffentlich-rechtlicher Anschluss- und Benutzungszwang für Fernwärme“ herausgegeben. 6 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, Kommentar zu § 14, Rn. 35. 7 Vgl. A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2. Aufl., Verlag C.H. Beck 2000, S. 271. 8 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar …, Kommentar zu § 14, Rn. 61.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Kommunal-Info 8/2015
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Internet für Asylsuchende Von Konrad Heinze, Chemnitz Ein Internetzugang leistet in einer digitalen Gesellschaft einen erheblichen Beitrag zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Er ermöglicht Information, Meinungsbildungsprozesse, Beteiligung, den Ausbau und die Nutzung von e-Governence und lässt die räumliche Distanz zwischen Menschen schrumpfen. Insbesondere letzteres gilt für die Bevölkerung eines ländlichen geprägten Flächenkreises ebenso wie für Asylsuchende und Geflüchtete. Die Fragen nach Breitbandausbau und freiem Internetzugang via WLAN berühren von daher Querschnittsthemen der Gesellschaft. Die allermeisten Asylsuchenden und Geflüchteten, nicht nur jene aus den Herkunftsstaaten des afrikanischen Kontinents und des Nahen Ostens, verfügen über ein Smartphone und damit über einen mobilen Internetzugang.1 Der Migrationsforscher Vassilis Tsianos: „Ich bin noch nie einem Migranten begegnet, der nicht zumindest ein einfaches Handy gehabt hätte.“2 Der Nutzen von Smartphones und mobilem Internet liegt auf der Hand: sie dienen der Navigation via GoogleMaps, der Kommunikation mit Freund_innen und Familie in der Heimat über WhatsApp und Skype, der Beschaffung von Informationen und sie sind ein Speicher für Dokumente. Dies gilt nicht nur während des Fluchtweges, sondern auch vor Ort, etwa um den Weg zu einem Amt zu finden oder um sich über YouTube-Videos und Online-Wörterbücher selbst Deutschkenntnisse zu vermitteln. Von besonderer Bedeutung ist es, sich mangels flächendeckender Angebote zur Asylverfahrensberatung Informationen und Hilfe zur Rechtsberatung per Internet zu organisieren. Jedoch ist es für Asylsuchende und Geflüchtete schwer in Deutschland einen entsprechenden Mobilfunkvertrag abzuschließen, besonders dann, wenn sie über kein Bankkonto verfügen. Demnach bleiben PrePaid-Guthaben, welche allerdings in Zeiten günstiger Flatrate-Verträge sehr ungünstige Konditionen aufweisen und angesichts der Leistungen nach AsylblG schnell zu teuer werden. Insofern sind Asylsuchende und Geflüchtete im besonderen Maße auf einen stetigen und kostenlosen Zugang zum Internet angewiesen. Eine Kleine Anfrage vom März 2015 zeigt ein differenziertes Bild: so gibt es in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen3 generell keinen WLAN-Zugang, in den Unterbringungseinrichtungen der Kommunen findet sich ein solcher vereinzelt, aber meist gegen die Entrichtung einer Gebühr. Allein eine Unterkunft im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge bietet einen kostenlosen Zugang an.4 Die Antwort des SMI verweist zwar auf die tatsächlich gegebene Möglichkeit, dass bspw. über den Dresden-Pass die Internetzugänge in den städtischen Bibliotheken zu nutzen sind. Ein Ausbau des Angebots von kommunalen Sozialpässen ist zwar prinzipiell zu begrüßen,
allerdings muss in diesem konkreten Fall klar sein, dass solche Internetplätze begrenzt sind und in der Frage nach der räumlichen Nähe nur in den großen Ballungsräumen praktikabel erscheinen.5 Eine Möglichkeit der Kommunen die in dieser speziellen Notlage helfen kann und darüber hinaus der Allgemeinheit zu Gute kommt6, ist die Einrichtung eines kommunalen WLAN. Allerdings stehen die Kommunen hierbei vor dem Problem der sogenannten Störerhaftung7: demnach ist der WLAN-Betreiber für etwaige Rechtsverletzungen Dritter, bspw. das unberechtigte downloaden von Filmen, Musik etc., haftbar zu machen. Letztlich wäre die Kommune der haftbar zu machende Betreiber. Dies kann aber umgangen werden, wenn die Einrichtung, der Betrieb und damit die Verantwortung des WLAN auf eine dritte Partei übertragen wird. Konkret ist die Freifunk-Initiative zu nennen, die sich bundesweit für den Ausbau frei zugänglicher WLAN-Netzwerke einsetzt. So wurde diese vom Göttinger Integrationsrat angesprochen, ob sie die Kommune bei der Einrichtung von WLAN an Unterkünften unterstützen kann, woraufhin diese die nötige Technik installierte.8 Ähnliches gilt für Stuttgart: hier brachte zwar die Verwaltung Bedenken vor, toleriert aber die von der örtlichen Freifunk-Initiative geschaffenen Tatsachen.9 In Dortmund arbeitet ebenfalls die Freifunk-Initiative an entsprechenden Lösungen, in München ist mit „Refugees Online“ eine eigenständige Initiative entstanden.10 Jüngst wurde in Chemnitz, wiederum von lokalen Freifunker_innen, eine Außenstelle der EAE mit WLAN ausgerüstet.
Einen weiteren Ausbau lehnte jedoch das für die Unterkunft verantwortliche SMI ab.11 Das ein solches Netzwerk auch stadtund gemeindeweit denkbar ist, darauf verweist ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion im Erlangener Stadtrat: hierin wird explizit formuliert, eine Zusammenarbeit mit der Freifunk-Initiative zu prüfen.12 Zu beachten ist allerdings eine vor kurzem verabschiedete Gesetzesänderung des Telemediengesetzes. Diese wurde von der Bundesregierung initiiert, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Störerhaftung zu schaffen, wird aber von IT-Verbänden, Vereinen und Initiativen harsch kritisiert. Im neu geschaffenen § 8 Abs. 4 Telemediengesetz soll demnach der WLAN-Betreiber aus der Haftung genommen werden, wenn er „zumutbare Maßnahmen“ ergreift. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung, welcher in der Fassung vom 15.06.2015 übernommen und am 16.09.2015 verabschiedet wurde heißt es, dass eine Verschlüsselung des Netzes und eine freiwillige Registrierung der Nutzer_innen hierfür in Frage kämen. Weiterhin sollen nur denjenigen Nutzer_innen Zugang zum Internet gewährt werden, welche erklären, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen.13 Die Kritik der IT-Verbände, darunter die Freifunk-Initiative, geht nun dahin, dass jede Verschlüsselung und Passwortabfrage, jede Registrierung der Nutzer_innen und das Einholen von deren Nutzungserklärungen den Sinn und Zweck eines offenen, frei zugänglichen WLAN ad absurdum führen. Insofern ist von kommunaler Seite in den kommenden Monaten zu beobachten, wie IT-Verbände und Initiativen,
welche mit der nötigen Expertise ausgestattet sind, auf diese neuerliche Situation reagieren. Es ist sehr zum empfehlen, diese bei den Überlegungen hinsichtlich eines kommunalen WLAN frühzeitig anzusprechen und um Mitarbeit zu bitten. Ebenso ist die Einrichtung eines kostenlosen WLAN über einen privaten Betreiber in der Leipziger Innenstadt von Interesse. Zurückgehend auf einen Antrag der Fraktion der LINKEN im Leipziger Stadtrat14 soll zum Jahresbeginn 2016 dessen Betrieb aufgenommen. Nähere Details sollen allerdings erst zum Start des Angebots bekanntgegeben werden. —— 1
Dies liegt mit darin begründet, dass in vielen Staaten des afrikanischen Kontinents und des Nahen Ostens Mobiltelefone in Ermangelung eines ausgebauten, stationären Telefon- und Datennetzes weit verbreitet sind. Die Netzanbieter und Mobiltelefonhersteller haben dementsprechend reagiert, den Netzausbau vorangetrieben und bieten für die regionalen Märkte in der Qualität der Ausstattung reduzierte, aber günstig zu erwerbende Smartphones an. In diesem Zusammenhang ist auch an die jüngste Vergangenheit zu denken: der „arabische Frühling“ ist ohne einen massiven Ausbau der digitalen Infrastruktur und die entsprechende Zahl von Nutzer_
Fortsetzung auf der folg. Seite
Kommunal-Info 8/2015
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Demnächst erscheint beim KFS:
Herbstseminar
Die Themen: „Regeln geben wir uns selber - Arbeiten mit der Geschäftsordnung in der Gemeinde“ Damit nicht jedeR macht was er und sie will und dann noch alle mitmachen, gibt sich der Gemeinderat eine eigene Geschäftsordnung. Hier werden Pflichten und vor allem auch Rechte der Kommunalen VertreterInnen geregelt. Wer regelmäßig reinschaut und damit arbeitet ist meist klar im Vorteil. Anfragerecht, Niederschriften oder die Zusammenarbeit in Fraktionen. Alles ist geregelt und Energie und Wasser, Bahnen und Busse, alles kann geändert werden. Straßen und Stadtreinigung „Ideen umsetzen - Anträge erfolgreich stellen“ ... gute Infrastruktur dieEin Pflicht jeder Kommune. Zunehmend Ideen sind immer schnellistda. neuer Bandproberaum, mehr Geld fürs Juarbeiten die Städte und GemeindenDoch dabeiwie auch gendhaus oder der umfassende Ausbau vom Radwegenetz. schreiben mit privaten Partnern Und zusammen oder kommunale wir dazu einen Antrag? Was ist zu beachten? wie erreichen wir damit die Betriebe werden »auf dem Papier« privatisiert. Mehrheit des Gemeinderates? Aufgabe der kommunalen Vertreter in den Stadträtin) Referentin: Sylke Zehrfeld (Dipl. Juristin, Dipl. Verwaltungswirtin, Aufsichträten ist es, hier genau hinzuschauen
„Bauen, wohnen und leben - Grundlagen der Stadtentwicklung - und und das öffentliche Interesse zu vertreten. Stadtplanung“ Ein zuverlässiger Helfer dabei ist dieser Leitfaden. Wir geben eine grundlegende Einführung in die Planungsbereiche Diplom-Verwaltungswirt Alexander Thomas hatdes Baugesetzbuches und der Sächsischen Bauordnung sowie weiterer städtebaulicher öffentlich-private-Kooperationen genau analysiert Planungsinstrumente mit und Überblick zum Verfahrensablauf und der Bürgerbeerklärt transparent alle rechtlichen Grundlagen. teiligung. Stuttgart 21 aber auch kleinere Bauprojekte sind alle irgendwann mal Der Autor ist seit dem 2000 parlamentain einem langen Prozess entstanden. Immer auchJahr durch Arbeit von Gemeinderärischer Berater Sächsischen ten. Doch warum stehen neue Bäume soder woLinksfraktion sie sind undim sind Bänke einfarbig Landtag – davor warder er Fachbediensteter für dasunserer oder kunterbunt? Die Bauleitplanung ist eine wichtigsten Aufgaben der Stadt Gemeinden. Ihnen obliegtFinanzwesen die Planungshoheit, dieMeißen. im Flächennutzungsplan und den daraus entwickelten Bebauungsplänen ihren Ausdruck findet. Hier gibt es verschiedene Interessen. Wie sieht das Aufstellungsverfahren aus? Wann gibt es Fördermittel? Referent: Patrick Pritscha (Kulturwissenschaftler/Geschäftsführer KFS) ISBN 978-3-945564-02-8
Alexander Thomas
Rechte und Pflichten
kommunaler Vertreter in
Aufsichtsräten Ein Leitfaden
Alexander Thomas
Freitag 23.10.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonntag 25.10.2015 13:30 Uhr „Alte Schule Cunnersdorf“, Schulweg 10, 01920 Schönteichen
Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Aufsichtsräten
für junge KommunalpolitikerInnen
€ 6,90
„Praktische Problemlösung und Erfahrungsaustausch zur Gemeinderatsarbeit“ Es gibt noch hunderte kleiner Dinge, die ihr schon immer mal ansprechen und geklärt haben wolltet? Meistens Fragen die während der Sitzungen auftauchen und nicht sofort besprochen werden können. Dafür ist hier genau die richtige Stelle und ausreichend Platz. Ebenso für konkrete Planungen, die ihr schon länger mal angehen wolltet. Dazwischen, danach und davor bieten wir Lagerfeuer, Sauna, Freizeit, Steinbruch, und ganz viel Natur; natürlich mit W-Lan Teilnahmegebühr: 10,00 EUR
Seminar
Kommunale Unternehmen und die Rechte und Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten. Grundlagen der kommunalen Wirtschaft Freitag 20.11.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonnabend 21.11.2015 15:30 Uhr Hotel „Schwarzes Roß“, Freiberger Straße 9, Großschirma OT Siebenlehn Themen sind u.a.: Welches sind die pflichtigen Mindestinhalte, die im Gesellschaftsvertrag einer GmbH enthalten sein müssen, welche „fakultativen“ Regelungen sind möglich? Welche Aufgaben hat ein Aufsichtsrat in einer GmbH, unter welche Voraussetzungen kann ein „fakultativer“ Aufsichtsrat gebildet werden, welche wesentlichen Unterschiede bestehen zum „pflichtigen“ Aufsichtsrat? Welches sind wesentliche Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Organen von Unternehmen des Privatrechts (Rechte und Pflichten nach AktG und GmbHG, Pflichten nach § 98 SächsGemO)? Der Interessenkonflikt – wessen Interessen haben die kommunalen Vertreter in Organen von Unternehmen des Privatrechts vorrangig zu vertreten? Referent: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt, Parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater Teilnahmegebühr: 20,00 (Studenten u. AlG II-/SoHi-Empfänger 5,00 EUR) inkl. Übernachtung und alkoholfreie Tagungsgetränke Anmeldungen für beide Seminare bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de
Hrsg.: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. ISBN 978-3-945564-02-8; 6,90 EUR Energie und Wasser, Bahnen und Busse, Straßen und Stadtreinigung ... gute Infrastruktur ist die Pflicht jeder Kommune. Zunehmend arbeiten die Städte und Gemeinden dabei auch mit privaten Partnern zusammen oder kommunale Betriebe werden »auf dem Papier« privatisiert. Aufgabe der kommunalen Vertreter in den Aufsichträten ist es, hier genau hinzuschauen und das öffentliche Interesse zu vertreten. Ein zuverlässiger Helfer dabei ist dieser Leitfaden. Diplom-Verwaltungswirt Alexander Thomas hat öffentlich-private-Kooperationen genau analysiert und erklärt transparent alle rechtlichen Grundlagen. Der Autor ist seit dem Jahr 2000 parlamentarischer Berater der Linksfraktion im Sächsischen Landtag – davor war er Fachbediensteter für das Finanzwesen der Stadt Meißen. Fortsetzung von Seite 3
Internet für Asylsuchende innen der gewachsenen, digitalen Vernetzung nicht zu denken. 2 Vgl. Tsianos, Vassilis/Köver, Chris: Smartphones sind für Flüchtlinge überlebenswichtig, Interview vom 23.08.2015. 3 Im September 2015 unterbreitete die Telekom den Vorschlag, die Einrichtung von WLAN in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu unterstützen, bittet aber angesichts der Vielzahl an Anfragen um Verständnis, sollten sich Verzögerungen ergeben. 4 Vgl. Nagel, Juliane: Kleine Anfrage „Möglichkeit zur Internetkommunikation für Asylsuchende“, Drs.-Nr. 6/981 vom 11.03.2015, Anlage zu Drs.-Nr. 6/981. 5 Vgl. ebenda, S. 2. 6 Gerade dieser Punkt ist angesichts einer öffentlichen „Neiddebatte“ nicht genug zu betonen. 7 Zurückzuführen auf § 8 Telemedienge-
setz (TmG). 8 Vgl. Brakemeier, Michael: Göttinger Freifunker bieten Flüchtlingen kostenlosen Internet-Zugang, vom 15.04.2015. 9 Vgl. Breithut, Jörg: Internet für Geflüchtete. Gar nicht so einfach, gutes zu tun, vom 21.07.2015. 10 Vgl. Weckwerth, Christopher: Freies WLAN hilft gegen die Isolation 11 Vgl. Peters, Jana: Verein stellt kostenloses Internet an Flüchtlingsunterkünften bereit, vom 11.09.2015. 12 Vgl. Fraktion FDP im Stadtrat Erlangen: Antragsnr. 092/2015 „WLAN in Erlangen“, vom 12.05.2015. 13 Vgl. Referententwurf für ein zweites Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes vom 15.06.2015, S. 13/14. 14 Vgl. Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Leipzig: Antrag V/A 306 „Kostenloses Internet in der Leipziger Innenstadt“, Neufassung vom 14.02.2013; Ratsbeschluss V-1522/13, beschlossen am 20.02.2013.
Oktober 2015
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport 10 Jahre Armutsbeschaffungsprogramm
jüngst rief uns ein Arzt an. Er bekannte höflich, mit uns zu sympathisieren, Asylsuchende freiwillig betreut zu haben. Wir sollten aber erkennen, , forderte er,dass „niemand so viele Flüchtlinge haben will“. Wenn wir „die eigenen Leute“ vergäßen, werde er uns nicht mehr wählen. Es gibt viele solcher Äußerungen. Offenbar sagen wir noch nicht klar genug, dass zwischen den Interessen von Einheimischen und Zuwanderern kein natürlicher Gegensatz besteht. Für uns spielt es keine Rolle, wer arm ist. Armut haben wir nie toleriert, bei niemandem. Wir sagen: Dieser Staat hilft nicht plötzlich den einen Armen, weil weniger andere Arme kommen. Er bekämpft Ungerechtigkeit nicht, weil nur noch die einen Armen übrig sind. Der Ausweg lautet: Reiche stärker belasten! Mein Traum ist: Die Prekarisierten aller Länder machen gemeinsame Sache. Denn der syrische Pizzabäcker, dem die Agentur für Arbeit mit europaweiter Vorrangprüfung die Chance auf selbstverdientes Geld raubt, und der hochqualifizierte deutsche Schweißer, der in unterbezahlte, unsichere Leiharbeitsverhältnisse gedrängt worden ist, haben ein gleiches Interesse: Ein selbstbestimmtes Leben in Menschenwürde! Grenzschließungen verhindern nicht, dass Menschen zu uns fliehen. Das Problem bleibt, dass Einkommen und Vermögen im Kapitalismus nie gerecht erarbeitet und verteilt werden können. Das Anklopfen des Elends bestärkt uns im Kampf für Gerechtigkeit! Natürlich bin ich Gutmensch. Wer will schon Bösmensch sein? Viele sind es, mit stolzgeschwellter Brust. Sie sind keine „Besorgten“ oder „Asylkritiker“, sondern stets auch Menschen, die verhindern, dass es soziale Sicherheit für alle gibt. Ihnen wollen wir in den Arm fallen.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
gefordert hat, lehnt sie ab. Dabei geht es aber um wichtige Informationen, so Schaper: „Wie wirken Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen? Wie viele sogenannte Zwangsumzüge wurden wegen zu teurer Wohnungen veranlasst? Wie viele Menschen wurden genötigt, nach Vollendung des 63. Lebensjahres mit dauerhaften Abschlägen in Rente zu gehen, damit sie aus dieser Statistik fallen? Außerdem ist es wichtig zu wissen, in welchem Familienstand sich Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft befinden und ob es sich
praxis aussprechen. Es sei anzuerkennen, dass die Hartz-Regelungen eine Hauptursache für Ausgrenzung und Armut seien. Die Staatsregierung solle sich dafür einsetzen, dass Langzeitarbeitslose, vor allem Jugendliche und Schwerbehinderte, umfassender durch ein sächsisches Beschäftigungsprogramm sowie die Aktivierung des zweiten Arbeitsmarktes gefördert werden. Der Regelsatz für langzeitarbeitslose Einzelpersonen und Partner in Bedarfsgemeinschaften müsse auf monatlich mindestens 500 Euro angehoben
um Menschen mit Behinderung handelt, ob Wohnungslosigkeit vorliegt oder welches Qualifikationsniveau erreicht wurde“.
werden. Die Arbeitsagenturen sollten endlich wieder angemessene Rentenbeiträge für die Betroffenen einzahlen, um Altersarmut zu verhindern. Es überrascht nicht, dass die Koalitionsfraktionen dem nicht folgten.
Die Linksfraktion hat deren Auswirkungen stets verfolgt und das Jubiläum zum Anlass genommen, die Staatsregierung per Großer Anfrage (Drucksache 6/1093) zur Bilanz aufzufordern. Wir richteten insgesamt 205 detaillierte Fragen an sie, um ihre Einschätzungen zur Hartz-Bilanz diskutieren zu können. Das ist das gute Recht der Opposition. Die Regierung missachtete dieses Recht jedoch in großem Umfang: Nur 68 Fragen wurden sachgerecht beantwortet, 91 Fragen überhaupt nicht, 46 immerhin teilweise. Die Sozialexpertin der Linksfraktion, Susanne Schaper, kritisierte das scharf: „Nicht mehr als ein Drittel unserer Fragen wurde beantwortet. Dies ist eine Unverschämtheit gegenüber der Opposition. Vielleicht handelte man auch nach dem biblischen Vorsatz aus dem Buch Sirach, Kap. 5, Satz 12: ,Antworte einem anderen nur, wenn Du weißt, wovon Du redest. Sonst halte lieber den Mund‘“. Die Antwortpraxis lasse genug Raum für derartige Spekulationen. Die wenigen verwertbaren Aussagen gaben Anlass zu harscher Kritik. So schätzt die Regierung ein, dass sich Hartz IV auch in Sachsen als tragfähig erwiesen habe und fortgesetzt werden sollte. Was sich bewährt hat und was nicht, sagt sie nicht. Schaper: „Wir sehen die Folgen von zehn Jahren Hartz IV in Sachsen völlig anders. Hartz IV führte zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft“. Im Freistaat sind noch immer fast 400.000 Menschen von Hartz IV betroffen. Die Tatsache, dass immer weniger Mittel für die Vermittlung Arbeitsuchender aufgewendet werden, während die Verwaltungskosten gleich bleiben, lasse den Schluss zu, dass die Staatsregierung das auch nicht ändern will – in der Annahme, der Arbeitsmarkt werde schon alles regeln. Folglich hat man auf Bundesebene auch nichts unternommen, um die Hartz-Regelungen wenigstens sozial verträglicher zu machen. Das Interesse der Staatsregierung an der Situation der Betroffenen ist offensichtlich gering. Einen Lebenslagenreport für Sachsen, den die Linksfraktion
Doch nicht nur das: Um nicht eingestehen zu müssen, dass Arbeitslosengeld II und andere Leistungen auf Sozialhilfeniveau zu Armut führen, definieren CDU und SPD den Armutsbegriff einfach neu. Wegen der unterschiedlichen Durchschnittseinkommen in den Bundesländern müssten sächsische, keine bundesweiten Vergleichswerte gelten, um zu ermitteln, welcher Teil der Bevölkerung armutsgefährdet ist. Abgesehen davon, dass die CDU Niedriglohnpolitik aktiv gefördert hat und Ostdeutschland beim Lohnniveau hinterher hinkt, ist für Schaper klar: „Alle, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beziehen, gelten nach EU-Kriterien nicht nur als arm, sie sind es tatsächlich!“ Der Regelsatz verhindere Armut nicht, was auch das Bundesverfassungsgericht so sieht. Wenn er dann noch per Sanktionen gekürzt wird, drückt das die Betroffenen oft vollends unter das Existenzminimum. Ihre Schlussfolgerungen zu den Antworten hat die Linksfraktion per Entschließungsantrag (Drucksache 6/2727) zur Debatte gestellt. Das Parlament sollte sich unter anderem gegen die fragwürdige Beantwortungs-
Richtig wären diese Schritte dennoch. Auch zehn Jahre nach dessen Einführung dürfen und können wir uns mit dem System Hartz IV nicht abfinden. Unsere Bewertungen zu den lückenhaften Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage haben wir als Broschüre veröffentlicht. Diese kann als Druckexemplar bestellt (Kontaktdaten siehe Impressum) oder im Internet eingesehen werden: http://bit.ly/1MDWjYp
© Kurt F. Domnik / pixelio.de
Liebe Leserinnen und Leser,
Geburtstage sind Anlässe zum Feiern. Dieser allerdings nicht: Hartz IV ist zehn Jahre alt! Zwar sind die Arbeitslosenzahlen im Langzeittrend gesunken, zumindest in der offiziellen Statistik, die Zahl der Hartz-IV-Betroffenen blieb aber relativ konstant. Der Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung hingegen haben sich weiter ausgebreitet. Die Kinderarmut hat sich bundesweit verdoppelt, laut dem Kinderhilfswerk sind 2,8 Millionen junge Menschen betroffen. Das sind auch Ergebnisse der Hartz-Gesetze.
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PARLAMENTSREPORT
Oktober 2015
Friedensstiftung am 1. September
Oppositionsführer Rico Gebhardt dankte dem Ministerpräsidenten und sah dessen Worte als „Grundlage, die gemeinsames Handeln ermöglicht“. Im Freistaat hätten organisierte Nazis
Bleibe- und Zukunftsperspektiven für Flüchtlinge in Sachsen“ (Drucksache 6/2500) von LINKEN und GRÜNEN zur Debatte. Der LINKE Innenpolitiker Enrico Stange schrieb dem CDUFraktionschef ins Stammbuch: „Wenn Sie von ganz normalen Menschen sprechen, dann sage ich, ohne die, die Sie meinen, stigmatisieren zu wollen:
bot der Regierung gemeinsame Maßnahmen an – darunter einen zivilgesellschaftlichen Asylgipfel, Runde Tische zum Thema Asyl, Hilfe bei der Beseitigung bürokratischer Hindernisse bei der Unterbringung. „Die Geflüchteten sind keine Belastung, sondern eine Herausforderung für unsere Gesellschaft. Sie sind in erster Linie eine Anfrage an unsere Menschlichkeit“. Seit 1990 sind 800.000 Menschen aus Sachsen abgewandert. An Platz für neue Mitbürgerinnen und Mitbürger mangelt es schon deshalb nicht. Wir alle müssten langfristig daran arbeiten, sie in die Gesellschaft einzubinden, so Gebhardt. Der Verantwortung, Geflüchtete aufzunehmen, könne sich die westliche Welt nicht entziehen. Schließlich habe sie in fast allen Kriegs- und Krisenherden, aus denen Menschen nach Europa fliehen, mitgemischt. „Die Ergebnisse sind zum Davonlaufen. Das kann man den Menschen nicht vorwerfen. Statt Unsummen in die Festung Europa zu investieren, müssen wir legale Fluchtwege schaffen“, forderte er.
In den Jahren von 1933 bis 1945 und auch danach ist man gemeinhin überrascht gewesen, was ganz normale liebevolle Familienväter und -mütter in den Lagern der Holocaustmaschinerie angestellt haben“.
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Auch mit einer Landtags-Sondersitzung, die wir gemeinsam mit den GRÜNEN angestoßen haben, stellten wir uns am Weltfriedenstag dieser Herausforderung. Auf der Tagesordnung standen Regierungserklärungen des Innenministers und der Integrationsministerin, die kaum neue Erkenntnisse brachten. Größere Aufmerksamkeit galt einer Erklärung des Ministerpräsidenten. Zum zweiten Mal fand Tillich nach Monaten des Schweigens klare Worte zum Rassismus-Problem. Wieder gab es Äußerungen aus der Sachsen-CDU, die ihn bloßstellten. Es ist bekannt, dass CDU-Abgeordnete wie Alexander Krauß (Asylbewerber ohne Ausweis in den Knast!) oder Sebastian Fischer mindestens in Asylfragen der AfD zuneigen. Schlimmer ist, dass selbst der CDU-Fraktionschef Frank Kupfer von „Asylmissbrauch“ schwadroniert, Stimmung macht gegen den Islam: „Die muslimische Religion ist keine Religion, die hier in Sachsen ihre Heimat hat. Dass sie kein Schweinefleisch essen und keinen Alkohol trinken, kann man ja noch tolerieren, das ist ja sogar gesund. Aber dass die Töchter oft nicht freiwillig ihren Lebenspartner suchen können, sondern zwangsverheiratet werden, das sind Fragen, und diese muss man beantworten. Es gibt also Fragen von ganz normalen Bürgern“. Dabei fliehen bekanntlich vor allem liberal eingestellte Muslime vor dem Terror des radikalislamischen IS, und manche scheinbar „normale Bürger“ entpuppen sich oft als Rassisten.
schon vor Jahren mit bürgerlichen Mitläufern kooperiert – Stichwort Schneeberg. „Im Moment erweckt Sachsen den Eindruck, es steuere auf einen Bürgerkrieg im Kampf der Kulturen zu. An dessen Ende werden alle Menschen in Sachsen Verlierer sein. Suchen wir stattdessen gemeinsam einen Weg, der alle zu Gewinnern macht“. Gebhardt
Außerdem stand der Antrag „Konzept der Staatsregierung zur Gewährleistung menschenwürdiger Aufnahme sowie verlässlicher Teilhabe-,
Bild: Bündnis Dresden Nazifrei
Der soziale Frieden in Sachsen ist in Gefahr. Er ist in Gefahr wegen der Hetze und der Verschwörungstheorien gegen Flüchtlinge. Er ist in Gefahr wegen der chaotischen Reaktion der Regierenden auf die vielen Flüchtlinge. Er ist in Gefahr, weil ein Teil der CDU lieber Hass schürt, anstatt mit dem Ministerpräsidenten für ein menschliches Miteinander einzutreten. Er ist in Gefahr, weil die politische Rechte die Veränderung unserer bisher ziemlich geschlossenen Gesellschaft durch Zuwanderung zum Anlass nimmt, Zwietracht zu säen. Friedensstiftung ist nicht nur ein Thema für Geschichtsbücher, sondern tägliche Aufgabe.
Eine handlungsfähige Polizei sei wichtiger denn je – die Krawalle in Heidenau zeigten allerdings deren Handlungsunfähigkeit. Ursächlich seien aber weder Demos noch Fußballspiele, sondern der Stellen- und Personalabbau, den die Regierung noch immer nicht gestoppt hat. Deshalb werde es in zehn Jahren gerade einmal 200 Beamte mehr geben als jetzt. Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik, beschrieb mit vielen Beispielen das Kommunikations- und Unterbrin-
gungsdesaster. Es entstand, weil die Staatsregierung wertvolle Zeit verstreichen ließ, anstatt Planungsvorlauf zu schaffen. Die Folgen: Unsicherheit und Skepsis in der Bevölkerung, Wut bei Bürgermeistern und Landräten, schlimme Zustände in der Erstaufnahme – monatelanges Hausen in Großräumen ohne Privatsphäre, fragwürdige hygienische Bedingungen, mangelhafte medizinische Versorgung und sozial-psychologische Betreuung, Unwissenheit über das eigene Schicksal. „In den letzten 15 Jahren ging die Bevölkerung um fast eine halbe Million Menschen zurück. Was sind dagegen 12.000 Asylsuchende im letzten Jahr oder 40.000 Asylsuchende in diesem Jahr und in den folgenden Jahren? Von denen kann und will sowieso nur ein Teil bleiben. Wir haben die Chance, sie in unserer Gesellschaft aufzunehmen. So oder so sind wir quasi ein Entwicklungsland, was die Öffnung in die Welt betrifft“, so Nagel. DIE LINKE forderte in ihrem Antrag ein Gesamtkonzept für Aufnahme und Unterbringung sowie für Asylverfahrens- und Kommunikationsabläufe. Ziele seien die Sicherung der Menschenwürde und die Teilhabe der Geflüchteten, ohne Sonderbehandlung für irgendjemanden. Die Koalition schlug die Hand der Opposition erneut aus. Die Integration unserer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger wird Anstrengungen kosten. Niemand von den „Einheimischen“ darf und wird aber Nachteile erleiden, weil wir ihnen helfen. Eines ist klar: Niemand würde mehr Lohn oder höhere Sozialleistungen bekommen, wenn Flüchtlinge nicht unterstützt würden. Das Grundproblem bleibt die Art und Weise, wie Einkommen und Vermögen in Deutschland erarbeitet und verteilt werden. Ziel aller Politik muss es sein, dauerhafte soziale Sicherheit für alle zu schaffen, die in Sachsen leben – egal, woher oder warum sie kommen. Frieden ist die wichtigste Voraussetzung.
45 Punkte für humane Flüchtlingspolitik Die gesellschaftlichen Veränderungen, die uns im Zuge von Zuwanderung, demografischem Wandel und Binnenmigration in den nächsten Jahren beschäftigen werden, verlangen langfristige Antworten. Sie bergen Sprengstoff. Während die einen mit Verunsicherung reagieren und sich an die neue Normalität gewöhnen mögen, werden andere verbissen das hochhalten, was sie als „ihre Kultur“ oder „ihre Identität“ bezeichnen. Mit der Verteidigung des Asylrechts wird es nicht getan sein. Staatliches Handeln darf Einheimische und Zuwandernde keinesfalls gegeneinander ausspielen. Kurzfristig geht es darum, Standards für die Unterbringung, Teilhabe und Integration von Asylsuchenden zu setzen. Das Ver-
waltungs-Chaos muss überwunden werden. Wir haben 45 Vorschläge für eine menschliche und geordnete Asylpolitik gemacht. Dieses „Handlungskonzept Asyl“, das auf der Fraktionsklausur in Meerane beschlossen wurde, umfasst praktische Forderungen zu Erstaufnahme, dezentraler Unterbringung, kommunikativer Begleitung von Unterkünften, Asylverfahrensberatung, sozial-psychologischer Betreuung, Sprachunterricht, Qualifizierung, Kostenerstattung für Kommunen und vielem mehr. Dieses Konzept haben wir, ebenso wie unsere Redebeiträge in der Sondersitzung und den dort behandelten Antrag, als Broschüre veröffentlicht. Diese kann als Druckexemplar bestellt (Kontaktdaten siehe Impressum) oder im Internet eingesehen werden: http://bit.ly/1KQZ6K7
PARLAMENTSREPORT
Oktober 2015
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Kleingärten sind keine Spekulationsobjekte! Der Chemnitzer Kaßberg ist eines der größten Gründerzeit- und Jugendstilviertel in Deutschland. An seinen Rändern waren einst namhafte sächsische Industriebetriebe sesshaft, darunter die Sächsische Maschinenfabrik, die Maschinenfabrik Germania oder die Textilfabrik der Brüder Goeritz. Heute zählt der Kaßberg zu den gefragtesten Wohnlagen. Inmitten seiner mondänen Straßenzüge, an der Kanzlerstraße, liegt die Kleingartenanlage „Einigkeit“. Seit 1923 bietet sie auf einem landeseigenen Flurstück Naherholung im Grünen.
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Seit August schweben dunkle Wolken über dem Gartenglück. Wie die BILD berichtete, will der Freistaat das etwa 3.300 m² umfassende Grundstück verkaufen – meistbietend. Heimlich hatte der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) auf seiner Internetseite Entsprechendes inseriert, zwei seiner Mitarbeiter hat-
ten das gefragte Bauland inkognito inspiziert. Die Kleingärtnerinnen und Kleingärtner rieben sich die Augen – sie hatten von all dem nichts gewusst. Hintergrund ist ein schon 2012 gestartetes Vorhaben des Finanzministeriums, landeseigene Bodenflächen mit kleingärtnerischer Nutzung zu veräußern – Millioneneinnahmen könnten winken. Die Durchführung dieser „Verkaufsaktion Kleingärten“ obliegt dem SIB. Schon früh hatte die Regierung versichert, die Flächen sollten möglichst an Kommunen und Kleingärtner übergehen, denen man attraktive Vorkaufsangebote versprach. Die „Einigkeit“ bot man ihren Nutzern jedoch gar nicht erst an, wohl in der Hoffnung auf einen höheren Erlös. Dabei verhandelt der SIB seit Februar mit dem Chemnitzer Stadtverband der Kleingärtner über den Verkauf von sieben weiteren Gartenvereinen. Die Linksfraktion forderte im Landtag: „Spekulative Veräußerung von kleingärtnerisch genutzten Bodenflächen auf landeseigenen Grundstücken im Freistaat Sachsen sofort stoppen!“ (Drucksache 6/2582). Die Staatsregierung sollte unverzüglich über den Stand der „Verkaufsaktion Kleingärten“ informieren: Welche Kleingärten sind schon verkauft worden? Wurde den Nutzerinnen und Nutzer angeboten, die Flächen zu
Sonderkonditionen zu erwerben? Bis zur Klärung dieser Fragen sollte die Staatsregierung alle Kleingartenverkäufe stoppen, auch den auf dem Kaßberg. Klaus Bartl, Sprecher für Rechtspolitik und Chemnitzer Abgeordneter der LINKEN, verwies auf den Koalitionsvertrag von CDU und SPD: „Die Koalitionspartner werden darauf hinwirken, dass die Kommunen den Bestand an Kleingärten pflegen und halten“. Für nichts anderes setze sich die LINKE ein. Der damalige Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, Frank Kupfer. hatte 2012 behauptet: „Dem Gartenglück steht seitens der Staatsregierung nichts im Wege. Daran ändert auch die geplante Veräußerung von Kleingartenflächen nichts“. DIE LINKE zweifelte. Drei Jahre später zeigt sich nun, dass die Bedenken berechtigt waren. Bartl: „Man muss nicht der Opposition angehören, um in Sorge zu sein, dass diese Verkaufsgebaren auch andernorts in Sachsen angewandt werden“. Die gemeinnützige, ökologische, soziale und kulturelle Bedeutung des Kleingartenwesens werde ignoriert. Der Antrag wurde in die Ausschüsse überwiesen. Wir bleiben dran! Der Freistaat darf keine krummen Geschäfte mit Kleingärten machen – weder auf dem Kaßberg noch anderswo.
Im Zweifel für die Freiheit Der Rechtsstaat in Sachsen hat sich blamiert. Auch Heidenau ist zum Synonym geworden – für Fremdenhass, für das Bündnis ansonsten unbescholtener Bürger mit Nazis. Zwei Krawallnächte lang musste sich die zahlenmäßig unterlegene Polizei vom rechten Mob verprügeln lassen, der den Einzug von Geflüchteten in einen Ex-Baumarkt verhindern wollte. Mehr als 30 Beamte wurden verletzt. Das Innenministerium behauptet, die etwa 150 eingesetzten Polizisten hätten ausgereicht – eine Einschätzung so realitätsfern wie die des SED-Politbüros 1989, so unser Dresdner Abgeordneter André Schollbach. In Reaktion auf diese Ausschreitungen hatte das Bündnis „Dresden Nazifrei“ für den 28. August ein Willkommensfest an der Unterkunft angemeldet. Das Landratsamt Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge verhängte daraufhin ein Versammlungsverbot für das Stadtgebiet, das von Freitag, 28. August 2015, 14 Uhr bis Montag, 31. August 2015, 6 Uhr reichen sollte. Man berief sich auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstandes. In Eilentscheidung hob das Verwaltungsgericht Dresden noch am Freitag das Verbot auf; das Landratsamt erhob Beschwerde beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, das es wieder in Kraft setzte. Ein eifriger JuraStudent in Baden-Württemberg, der am Willkommensfest teilnehmen wollte, verfasste einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den er beim Bundesverfassungsgericht einreichte. Das kippte das Versammlungsverbot dann endgültig. Karlsruhe verwies auf die besondere Rolle, die Heidenau in
der öffentlichen Debatte spiele, weshalb die Bevölkerung in der Lage sein müsse, mit Versammlungen zur Meinungsbildung beizutragen. Es könne auch nicht belegt werden, dass jede Durchführung von Versammlungen für das ganze Wochenende zu einem Notstand führen werde. Das war bereits das vierte Versammlungsverbot in diesem Jahr. Noch erinnerlich ist die Aussetzung des Versammlungsrechts in Dresden am 19. Januar 2015 im Zuge der „Pegida“-Aufzüge. Im Februar geschah Ähnliches in Leipzig. Hinzu kamen die ekelhaften Auseinandersetzungen am Hotel „Leonardo“ in Freital, deretwegen das Landratsamt Sächsische Schweiz/Osterzgebirge für den 30. Juli ein achtstündiges Demonstrationsverbot erließ. Das angestrebte 64-stündige Versammlungsgebot in Heidenau war nun ein weiterer Tiefpunkt. Die Linksfraktion brachte einen Antrag (Drucksache 6/2601) ein, mit dem sie Aufklärung über das Zustandekommen des Versammlungsverbotes in Heidenau forderte. Außerdem sollte die Staatsregierung darlegen, wie sie Eingriffe in die Versammlungsfreiheit künftig verhindern will. Klaus Bartl Rechtsexperte der LINKEN, verwies darauf, dass in der momentanen Krisensituation zu Recht nach pragmatischen Lösungen gerufen werde. „Das darf aber um Himmels Willen nicht darauf hinauslaufen, dass wir elementare Grundrechte aufgeben“. Versammlungsverbote seien zwar aus pragmatischer Sicht nachvollziehbar. „Aber nicht nur im Lichte des
Plenarspiegel September 2015 Die 19. und 20. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 16. und 17. September 2015 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte „Alle Jahre wieder: Das Märchen vom reibungslosen Start ins neue Schuljahr“ Große Anfrage „10 Jahre Hartz IV in Sachsen: Ergebnisse, Erfahrungen, Schlussfolgerungen“ (Drs 6/1093) Gesetzentwurf
25. Jahrestages der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, sondern auch aus Sicht der gesamten Demokratieentwicklung in der Bundesrepublik ist der eingeschlagene Weg gehäufter Totalsuspendierungen der Versammlungsfreiheit völlig unannehmbar“. Ohne das Recht, sich zu versammeln, könnten Bürgerinnen und Bürger kaum an der politischen Willensbildung teilnehmen. Das Bundesverfassungsgericht habe im Fall Heidenau eindeutig klargestellt, dass bei der Abwägung zwischen vermeintlichen Sicherheitsinteressen auf der einen und den Grundund Freiheitsrechten auf der anderen Seite im Zweifelsfall stets die Freiheitsrechte Vorrang haben. Bartl zitierte einen Kommentar zum Versammlungsrecht, der 1968 erschien – ebenfalls eine Zeit des Aufruhrs. Dort heißt es: „Versammlungen und Demonstrationen zum Zeichen einer demokratischen Gesellschaft sind ein dynamisches Element. Nicht Ruhe und Ordnung sind der Maßstab, an dem sie zu werten sind, sondern ihr Einfluss auf das Neudurchdenken von Problemen. Eine Gesellschaft, die Probleme offen diskutiert, bleibt imstande, sie zu lösen“. Nur das sei der richtige Weg, so Bartl. Die Koalition sah das anders. Probleme wegschieben, wenn man sich selbst überfordert sieht – das versucht nicht nur die Bundesregierung mit Verschärfungen des Asylrechts (denen das Bundesverfassungsgericht hoffentlich ebenfalls Einhalt gebietet). Das versuchen zunehmend auch sächsische Versammlungsbehörden. Wahrlich kein Ruhmesblatt.
„Gesetz über die Einführung einer kommunalen Privatisierungsbremse im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/2583) Anträge – „Keine weitere Aushöhlung des Versammlungsrechts durch zunehmende flächendeckende präventive Versammlungsverbote im Freistaat Sachsen per Allgemeinverfügung“ (Drs 6/2601) – „Situation und Perspektive der Lehramtsausbildung an sächsischen Hochschulen“ (Drs 6/2073) – „Spekulative Veräußerung von kleingärtnerisch genutzten Bodenflächen auf landeseigenen Grundstücken im Freistaat Sachsen sofort stoppen!“ (Drs 6/2582) Sammeldrucksache 6/2667 – darin enthalten sind die Anträge der Fraktion DIE LINKE – „Teilnahme Sachsens am Schulobstprogramm der Europäischen Union“ (Drs 6/252) – „Asylsuchende und Flüchtlinge im Freistaat Sachsen menschenwürdig unterbringen und ihre Sicherheit und die Sicherheit aller Unterstützer und Helfer schützen“ (Drs 6/2297) Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktionsachsen.de
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PARLAMENTSREPORT
Oktober 2015
Märchenstunde im Landtag Es war einmal, vor langer, langer Zeit in einem fernen Lande, als eine Kultusministerin alle Jahre wieder ihren Untertanen weismachen wollte, sie könnten problemlos ins neue Schuljahr starten … Halt: Es ist hier und heute, in Sachsen, und die Märchen erzählt Brunhild Kurth (CDU). Wischen wir das Märchenbuch vom Tisch: Einen reibungslosen Schuljahresstart gibt auch weiterhin nur im Märchen. Mit einer Aktuellen Debatte im Landtag, bestritten von der LINKEN Bildungsexpertin und Lehrerin Cornelia Falken, räumten wir mit den Legenden auf. Die Unterrichtsqualität, so Falken, nehme rapide ab. „Das größte Problem liegt darin, dass die Staatsregierung, das Kultusministerium und die Ministerin nicht bereit sind, die Situation, die wir an den Schulen haben, zu erkennen“. Die jahrzehntelange verfehlte Personalpolitik habe absehbar zu Lehrermangel geführt. Ein Personalentwicklungskonzept für den Schulbereich gibt es noch immer nicht. Es genüge nicht, dass vor jeder Klasse eine Lehrkraft stehe, so Falken. Entscheidend sei zum Beispiel, ob diese auch qualifikationsgemäß eingesetzt ist, wie viele Kinder und Jugendliche in der Klasse sitzen, welche Lernmittel sie einsetzen können. 20 Prozent der jüngst eingestellten Lehrerinnen und Lehrer, knapp
200 Pädagogen, sind an einer anderen Schulart eingesetzt, als ihre Studienqualifikation vorsieht. Weitere 20 Prozent, also ebenfalls 200, sind Seiteneinsteiger, die sofort eine Fortbildung besuchen müssten. Im Freistaat gibt es aber bisher nur einen einzigen Kurs dafür – mit ganzen 25 Teilnehmenden.
Kurth hat stolz verkündet, dass mit dem aktuellen Doppelhaushalt 964 Pädagogen unbefristet eingestellt worden sind. Das ist gut. Allerdings ist der Bedarf damit längst nicht befriedigt. Erstens gibt es im Haushaltsplan noch 176 unbefristete Lehrerstellen, die zügig besetzt werden müssten. Zwei-
tens gibt es in diesem Schuljahr etwa 6.000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler, für die allein schon 270 zusätzliche Pädagogen gebraucht würden. Das zugesagte vollständige Ersetzen aller ausscheidenden Lehrkräfte funktioniere nur rechnerisch und auf dem Papier, kritisierte Falken. „In der Rea-
lität leiden darunter die Qualität des Unterrichtes und die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern“. Es gebe zunehmend aus dem ganzen Land – von Eltern, Schülern, Lehrern, Schulleitern – Anfragen zur Unterrichtsversorgung. In manchen Klassen
habe noch nicht eine Stunde Biologie, noch nicht eine Stunde Chemie stattgefunden. Die Stundentafel sei vielerorts schon zu Beginn des Schuljahres extrem gekürzt worden. „Der Ministerpräsident hat schon zur Haushaltsdebatte gesagt: So viele Lehrer, wie gebraucht werden, so viele Stellen stehen auch zur Verfügung. Dies fordern wir ein“, so Falken. Hinzu kommt eine weitere personalintensive Herausforderung: Die Integration von Flüchtlingskindern, die alle schulpflichtig sind, auch während ihres Asylverfahrens. Im Haushalt gebe es dafür 150 zusätzliche Stellen, die nicht aus dem Kultusbereich kommen, so Falken. Jedoch: „Wo sind denn die? Integrationsstunden werden sofort verwendet, wenn Unterrichtsausfall stattfindet“. Man stopft Löcher, anstatt diese Kräfte im Fach Deutsch als Zweitsprache (DaZ) auszubilden und einzusetzen. Hinzu kommt, dass diese Stellen sämtlich befristet sind. Das sei falsch. „Denn in den Flüchtlingskindern liegt für uns im Bildungsbereich und für die Gesellschaft eine riesige Chance“. Wir bleiben dran – denn die Situation, in der sich die sächsischen Schulen befinden, ist alles andere als märchenhaft. Und wenn sie nicht geschlossen sind, dann kämpfen sie bis heute.
Oma, willst Du schaukeln? Bericht einer Teilnehmerin zur Konferenz „Altersbilder – so differenziert wie das Leben“ am 14.09.2015 im Landtag „Oma, willst Du schaukeln, dann gebe ich Dir Schwung. Ja komm und gib mir Schwung, mein Herz, dann bin ich wieder jung!“ In diesem Lied hat Gerhard Schöne hervorragend die Generationsbeziehungen und Rückblicke der Älteren beschrieben. Alles wäre so einfach, wenn das alles wäre! Heute bezeichnet Alter mindestens 20 bis 25 Jahre nach dem Erwerbsleben. Die wollen nicht nur gelebt sein. Alles zu genießen heißt: Aktiv sein, gebraucht werden, teilhaben am gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leben. Das fordert uns und die Gesellschaft, deren besonderer Teil wir sind. Im Erwerbsleben haben wir nicht nur für unsere Kinder gesorgt, sondern auch für die damals ältere Generation. Alles war selbstverständlich. Heute scheint ein Teil der anderen Generationen mit uns, unseren Ansprüchen und unserem Willen, auch für uns etwas zu erstreiten, Probleme zu haben. Wie jede Generation ist auch unsere differenziert: Klug, gebildet, kulturinteressiert, sportlich oder auch zurückgezogen, den Garten und häusliche Ruhe liebend usw. Eines aber eint uns: Wir wollen selbst entscheiden, wie wir leben wollen und nicht wie wir sollen. Wir wollen unsere Teilhabe am Leben so gesichert sehen, wie es allen Generationen ermöglicht wird. Wir wollen unseren Lebensmittelpunkt bestimmen und nicht finanziellen und anderen Zwän-
gen genügen. Einfach ist das nicht. Um unsere Forderungen der Gesellschaft zu präsentieren, um in Kreis, Land und Bund mitbestimmen und entscheiden zu können, brauchen wir mindestens ein Seniorenmitwirkungsgesetz. Um das zu erreichen, brauchen wir nicht nur die Zusammenarbeit mit der Fraktion DIE LINKE im Landtag, sondern auch mit Kreistagsfraktionen. Unsere selbstständigen Forderungen dürfen nicht nur von einer kleinen bewegten Menge erhoben werden. Wenn wir so ein Gesetz haben – wer füllt es aus? Eine doppelte Aufgabe. An der Konferenz nahmen Vertreter von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Seniorenbeauftragte der Kreise sowie die Landtagsabgeordneten Horst Wehner, Susanne Schaper, Marion Junge und der Bundestagsabgeordnete Jörn Wunderlich ebenso wie Genossinnen und Genossen aus den Kreisen und aus der LAG Senioren teil. Ein Erfolg! Aber es geht ja erst los, Oma will schaukeln. Claudia Bähr, Referentin der LINKEN Bundestagsfraktion, stellte die Altersbilder aus dem VI. Altenbericht der Bundesregierung vor. Differenziert und individuell, wandelbar und gestaltbar wurden sie dort genannt. Im Grunde zeigte sich, dass Altersbilder nur nötig sind, um die starken Ressourcen und damit die ökonomische Verwertbarkeit der Alten herauszuheben. Ja, wir wollen uns einbringen, jedoch nicht als Ressource! Große soziale Unterschiede bis zur Altersarmut wurden im Beitrag von Dr. Dietmar Pellmann hervorgehoben. Er zeigte die Differenziertheit
der Älteren, aber ebenso die zwischen Männern und Frauen auf Basis der Einkommenszwänge. Elke Pohl vom Paritätischen Wohlfahrtsverband schilderte die Zwänge der Altersbilder mit Blick auf Frauen und auf das Wohnen. Die Podiumsdiskussion, die drei Generationen (Susanne Schaper, Alexandra Wolf von der LAG und Nick Kloß, Student) bestritten, zeigte: Nur gemeinsam werden wir die Lebenslagen aller Generationen bewältigen. Ein Miteinander über das Private hinaus fördert jede Generation und die Gesellschaft. Es reicht nicht, aufeinander zuzugehen, Räume (etwa Mehrgenerationenhäuser) müssen Begegnungsstätten bieten. Nur im Gespräch können Lebenssituationen, Lebensvorstellungen und das gelebte wie bevorstehende Leben Platz haben. So können Hass, Neid und Unverständnis ausgeräumt werden, kann ein Miteinander entstehen. Um die Belange der älteren Generationen in den Fokus zu rücken, brauchen wir ein humanistisches solidarisches Altersbild, das alle Facetten erfasst und dennoch ein Dach aufbaut. Dafür müssen wir intensiver in das Thema einsteigen. Einerseits sind Aspekte bedeutsam, die für alle Generationen wichtig sind, wie barrierefreies/-armes Wohnen, Mobilität und Einkommen. Für die Fraktion wichtig sind auch Bereiche, die Seniorinnen und Senioren differenziert betreffen. Ausschlaggebend ist die Frage des Einkommens. Sie schließt einen wachsenden Teil der Älteren
von Teilhabe aus und zwingt ihnen ein Lebensniveau auf, das der Menschenwürde entgegensteht. In Stadt und Land muss Daseinsvorsorge für Seniorinnen und Senioren gesichert sein. Ebenso müssen sie frühzeitig überlegen, wo ihr Lebensmittelpunkt sein soll. Eine Diskussions-aufgabe vor allem für die Kommunen. Unter dem Dach eines humanistischen, solidarischen Altersbildes werden wir für die Lebensbereiche der Seniorinnen und Senioren Ziele und Forderungen formulieren - zu Daseinsvorsorge, Pflege, Gesundheit, Einkommen, Wohnen, Mobilität und dem ländlichen Raum. Daran und an konkreten Fakten muss sich die parlamentarische Arbeit ausrichten. Heidemarie Lüth
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig