Links! Ausgabe 11/2014

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In Stein gemeißelt

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2014

Am Freitag vor der Landtagswahl wollte Martin Dulig noch einmal ordentlich auf den Schlamm hauen: Bildgewaltig ließ er sich ablichten, wie er die für die SPD wichtigsten Themen in Stein meißelte. Bessere Kitas, mehr Lehrer, faire Löhne, mehr Sicherheit, solide Finanzen. Das Bild sollte zeigen: Diese Themen sind für die SPD unverrückbar. Für die Handvoll angereister JournalistInnen – solcherlei Inszenierungen aus dem Wahlkampf mittlerweile gewohnt und leicht überdrüssig – bot dieses Bild allerdings Platz für ungewöhnlich beißenden Spott. Ob der SPD-Chef da den Grabstein seiner Partei aufstellen würde, witzelten sie, auch, weil genau dieser Stein unverkennbare Ähnlichkeit mit einem solchen hatte. Für die Bilddatenbanken des Boulevards ein gefundenes Fressen. Allein: Die Verwendung dieses Bonmots nach den Koalitionsverhandlungen musste auf sich warten lassen. Denn tatsächlich ist es der SPD gelungen, jeden Punkt der steinernen Liste im Koalitionsvertrag zum Tragen zu bringen. Hatte die SPD tatsächlich einen kräftigen Klecks Rot aus dem programmatischen Tuschkasten ausgeteilt? Nur scheinbar. Denn dass das, was da medienwirksam in Stein gemeißelt wurde, kein Bumerang wurde, liegt nicht am Koalitionsvertrag, sondern eher an den vagen Formulierungen: Werden mehr PolizistInnen eingestellt? Ja. Der Einstellungskorridor wird von 300 auf 400 im Jahr erhöht. Allein: Das ist exakt die Zahl, zu der sich auch die CDU im Wahlkampf durchgerungen hatte. Und da perspektivisch 500 PolizistInnen im Jahr ausscheiden, werden wir nach Ende der Legislatur sogar weniger BeamtInnen haben als bisher. Mehr LehrerInnen? Mindestens 6.100 soll der Freistaat einstellen, jedes Ausscheiden aus dem Schuldienst ersetzt werden. Darüber blieben 1.000 weitere Stellen für die Qualität des Unterrichts. Aber: Bei zu erwartenden steigenden Schülerzahlen und Mangelbesetzung in den Schulen bleibt von diesem Mehr an Lehrern effektiv nichts übrig. Genau deshalb wird auch der Vertretungslehrerpool weitergeführt, die Befristung von

Abordnungen an andere Schulen verlängert. Und woher die LehrerInnen kommen sollen, weiß derzeit auch keiner. Weit entfernt bleiben wir von dem Zustand, dass vor jeder Klasse tatsächlich eine Lehrkraft steht, die für das jeweilige Fach ausgebildet wurde. Und dann die besseren Kitas: Ja, der Betreuungsschlüssel wird gesenkt. Na endlich. Schrittweise um halbe Stellen bis 2017, erst in der Kita, dann in der Krippe. Dann werden ErzieherInnen also jeweils ein Kind weniger zu betreuen haben. Und damit weiterhin deutlich mehr, als von ErzieherInnen, Gewerkschaften, Eltern und Trägern gefordert. Eine wirkliche Entlastung? Eher Placebo, wenn in den Einrichtungen schon längst der heutige Betreuungsschlüssel reine Makulatur ist. Heilsam ist das SPD-Versprechen nach fairen Löhnen. Vereinbart wurde so im Koalitionsvertrag vor allem Vages: Ein Bekenntnis zur Tarifautonomie, ein Wunsch nach höherer Tarifbindung in der sächsischen Wirtschaft und die Überarbeitung des Vergabegesetzes. Doch hier gilt: Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung sowie soziale und ökologische Kriterien im neuen Vergabegesetz sind lediglich Prüfauftrag. Konkrete Vereinbarungen finden sich nicht. Und auch bei den stabilen Finanzen melden die Verhandler Vollzug: Keine neuen Schulden – Kunststück – und ein Finanzierungsvorbehalt für alle Vereinbarungen bis auf die priorisierten Maßnahmen. Und Kommunalfinanzen? Erklärte doch Martin Dulig schon im Juni 2010: „Die sächsischen Kommunen sind deutlich unterfinanziert. Viele von ihnen können noch nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben wahrnehmen. […] Nötig ist ein Schutzschirm für die Kommunen.“ Auch dafür wurde eine Lösung gefunden, denn, so heißt es im Koalitionsvertrag: „Die derzeitige Finanzausstattung der sächsischen Kommunen ist solide.“ Die krankenden Kommunen dürfen sich freuen. Sie sind gesundgeschrieben. Na dann. Frisch ans Werk. Was bleibt? Martin Dulig muss sich dem Spott des Boulevards erst einmal nicht aussetzen. Kleinen Reparaturen, vielen schwammigen Willensbekundungen und noch mehr Gestus sei Dank. Doch Innovation, eine andere Politik dank SPD in diesem Freistaat? Davon bleibt der Koalitionsvertrag weit entfernt. Der Opposition geht so – versprochen – zumindest nicht die Arbeit aus.


Aktuelles

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Von sinkenden Schiffen und verglühten Sternen Die sächsische NPD nach ihrer Niederlage bei der Landtagswahl

lich hat er einen schlechten Ruf als Karrierist, der immer dann zu finden ist, wenn es um bezahlte Posten geht. Und schließlich trat, kurzfristig entschlossen erst auf dem Parteitag, noch Sigrid Schüssler aus Bayern an. Und hielt eine Bewerbungsrede, die vor allem demonstrierte, wie es in Wirklichkeit mit der viel beschworenen „Kameradschaft“ bei den Neonazis aussieht. Die Aussage, die NPD habe ein Image, „das nichts anderes ist als Scheiße“, war fast noch harmlos. Sie fragte, „warum Frauen wie ich seitens der parteieigenen, feigen und hinterfotzigen Seilschaftklüngelei und Mobbingprofis wie die Sau durch‘s Ort getrieben werden“? Und charakterisierte die NPDFührung als „Bande von Lügnern, Betrügern und Tagedieben“. Frank Franz, in Schüsslers Worten ein „schöngeistiger Jüngling“, machte schließlich klar das Rennen. Holger Szymanski, der schnell verglühte Stern am Firmament der sächsischen NPD, mischte sich in den Führungsstreit nicht offen ein. Die wichtigen Entscheidungen waren in Kungelrunden bereits im Vorfeld gefallen. Eine Reihe

Ungemach Nr. 2 für Frank Franz: Umgehend trat Konkurrenz auf, in Person von Peter Marx, ehedem Fraktionsgeschäftsführer der NPD im Sächsischen Landtag. Zwei Kandidaten aus dem gleichen Kreisverband. Doch die Chancen von Marx waren von Anfang an schlecht. Innerpartei-

sächsischer Funktionäre würde auch dem nächsten Bundesvorstand angehören. Und vor allem aber: Das Einkommen von Szymanski selbst, eines ehemaligen Spitzels des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, war auch zukünftig gesichert. Als nunmehriger Bundesgeschäfts-

Bild: Elke Fahr

800 Stimmen. 800 Stimmen sind nicht viel. 800 Stimmen können sehr viel sein, wenn sie fehlen. Rund 800 Stimmen fehlten der NPD zu ihrem erbeuten Einzug in den Sächsischen Landtag. 800 Stimmen bedeuten in diesem Fall den Unterschied zwischen Fraktionsgeldern in Millionenhöhe, zusätzlichen Einnahmen für die stets klamme Parteikasse durch Abgeordnetenspenden, rund 30 hauptamtlichen Kadern in einem Bundesland, der Miete für Anlaufpunkte in den Regionen – oder aber eben dem finanziellen Nichts. Die NPD wäre nicht die NPD, wenn sie nicht ob des knappen Ergebnisses sofort Wahlbetrug gewittert hätte. Überzeugt von dieser Verschwörungstheorie schien sie selbst jedoch nicht. Rechtliche Maßnahmen leitete sie nicht ein. Sie hat gegenwärtig andere Sorgen. Zwar hat Holger Szymanski, Nachfolger des unter schmählichen Umständen in die Wüste (bzw. nach Mallorca) geschickten früheren Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel, vollmundig angekündigt, seine Partei werde 2019 erneut an die Tür des Sächsischen Landtages klopfen. Doch es erscheint recht unsicher, ob ihr dann aufgetan werden wird. Gegenwärtig

aufkommen. Das sächsische Desaster der Neonazi-Formation hat seine Entsprechung auf der Bundesebene. Der ehemalige Vorsitzende Holger Apfel, Opfer unbewiesener Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe auf Kameraden, hat erst die Partei zu einiger Bedeutung gebracht und sie inzwischen verlassen. Sein Nachfolger Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, agierte bereits in den vergangenen Monaten ausgesprochen lustlos und kündigte an, sich nunmehr ganz auf sein Bundesland – die letzte Bastion – konzentrieren zu wollen. Zur ständigen Fragen „Was tun?“ also auch noch die Frage „Wer nun?“. Frank Franz, Bundespressesprecher der Partei aus dem Saarland, war seinen Hut in den Ring. Und wurde umgehend von Thomas Wulff, Kopf der offenen NS-Fraktion, als gegelter „Firle-Franz“ veralbert. Er gilt als „Modernisierer“. Seine Gegner sehen darin nichts anderes als eine inhaltliche Aufweichung. Sein erkorener Stellvertreter, Sascha Rossmüller aus Bayern, wollte dies zwar gern werden, war aber unabkömmlich, da gerade inhaftiert. Als Mitglied der Rockergang „Bandidos“ soll der ehemalige Mitarbeiter der sächsischen Landtagsfraktion in die organisierte Kriminalität verwickelt gewesen sein.

erscheint es sogar unsicher, ob die Partei dann überhaupt noch existieren wird. Und das völlig ohne das Verbotsverfahren. Ihren 50. Geburtstag hat die NPD beim Parteitag am 2. November in Weinheim gefeiert, doch Feierlaune wollte bei den wenigen Delegierten nicht

führer der Partei hat er für die nächsten zwei Jahre einen der wenigen bezahlten Jobs, die die Partei noch bieten kann. So sicher damit seine eigene Zukunft ist, so unsicher ist diese für den NPD-Landesverband, dessen Vorsitzender er ist. Denn nicht nur die Landtags -

wah l e n wurden vergeigt, sondern auch bei den Kommunalwahlen im Mai gab es – bis auf wenige Ausnahmen – vor allem Rückschläge. Die Mitgliederzahlen sinken deutlich. Rund ein Drittel der Anhänger hat die NPD in Sachsen in den letzten Jahren verlassen. Aktuell dürfte der Bestand bei weniger als 700 Neonazis liegen. Das Objekt des Parteiorgans „Deutsche Stimme“ in Riesa, mit dem der Aufstieg der hiesigen NPD im Jahr 2000 eigentlich erst richtig begonnen hatte, dürfte aus finanziellen Gründen kaum zu halten sein. Kaum ein Kreisverband ist noch funktionsfähig. Kurz: Der Zustand ist der gleiche wie bei allen sinkenden Schiffen. Während Holger Apfel noch schmählich über die Planken gejagt worden war, sind andere bereits freiwillig von Bord gegangen. Von der Bundesführung der NPD-Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten, die fast vollständig bei der Landtagsfraktion beschäftigt worden war, ist nichts mehr zu hören und zu sehen. Andy Knape, bisher Bundesvorsitzender der JN, ist spurlos verschwunden, die Homepage des Verbandes nicht mehr zu erreichen. Auch einige bisherige Landtagsabgeordnete, die mit der „Deutschen Stimme“ als Importe nach Sachsen gekommen waren, sollen ihren Abgang aus dem Freistaat vorbereiten. Und da ein Unglück selten allein kommt, versucht auch die ungeliebte Konkurrenz im eigenen Lager neuerdings,

Sachsen für sich zu gewinnen. Nein, ausnahmsweise ist nicht die AfD gemeint. Auf die kann die NPD inzwischen nur neidisch schauen. Die Rede ist von Kleinparteien, die als Folgeprodukte von Vereinsverboten entstanden sind. In Bayern wurde das dortige Freie Netz Süd verboten. Ein Schlag ins Wasser, da man zu lange gezögert hatte und ein großer Teil der Aktivisten sich inzwischen der Neugründung „Der III. Weg“ angeschlossen hatte. Inzwischen verfügt diese Formation auch über einen Ableger im Vogtland, personell weitgehend gespeist von Mitgliedern der dortigen „Revolutionären Nationalen Jugend“. Auch in NRW waren mehrere Kameradschaften verboten worden. Die Kader hatten sich umgehend in der neuen Partei „Die Rechte“ gesammelt. Auch diese hat sich das Vogtland, eine traditionelle Schwachstelle der NPD, ausgesucht, um in Sachsen Fuß zu fassen. Für den 8. November war in Zobes eine Großveranstaltung angekündigt. Offenbar unter Beteiligung von Meuterern der sächsischen NPD. Der Leipziger Nils Larisch, ehemaliger Mitarbeiter der Landtagsfraktion, trat als Redner auf. Und wer eine Karte für das Event haben wollte, landete auf dem Handy von Mirko Beier, Kreisvorsitzender Meißen der NPD. Die Meuterei gegen Kapitän Szymanski, der im Januar erneut Landesvorsitzender werden will, geht weiter. Landesorganisationsleiter Maik Scheffler hat ihm die Gefolgschaft mit drastischen Worten aufgekündigt und ist aus dem Vorstand zurückgetreten. Mit ihm gingen der Landesvorsitzende der JN sowie Thorsten Hiekisch, starker Mann des Kreisverbandes Görlitz. Der Schritt darf als Kampfansage gewertet werden. „Einer kleinen Clique von zum Teil Ex-Republikanern und Ex-CDU‘lern war“ die Zusammenarbeit zwischen Kameradschaftskadern und NPD „von Anfang an immer ein Dorn im Auge aber sie verhielten sich in der zweiten und dritten Reihe ruhig um ihre finanziell gut unterfütterten Platzdeckchen nicht zu gefährden“, so Scheffler. Seine Gegner stünden für einen „System-Anbiederungskurs eines liberalkapitialistischen Reaktionär-Nationalismus“. Schefflers Chancen beim Kampf um den Landesvorsitz stehen so schlecht nicht. Schlecht steht es nur um die NPD: ein sinkendes Schiff, auf dem sich zwei Offiziere streiten, wer denn nun Kapitän ist ... Kerstin Köditz


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Bomben und die Unwirklichkeit von Normalität Mit den Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) kamen die Schrecken des Krieges in die autonom verwalteten Kurdengebiete im Westen Syriens. Dort wird gekämpft, vertrieben, gefoltert und getötet. Mitte Oktober war Dominic Heilig direkt an der türkisch-syrischen Grenze zu Kobane und erlebte so hautnah die Luftangriffe der US-Streitkräfte und die Feuergefechte zwischen den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) und den IS-Terrormilizen. Er sprach mit Ärzten und Flüchtlingen nahe der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien. Für SachsensLinke! berichtet er über das Erlebte. Das türkisch-kurdische Dorf Mehser liegt nur wenige hundert Meter vom Grenzzaun zu Syrien entfernt und damit in Sichtweite der umkämpften Stadt Kobane. In dem sonst ein paar dutzend Seelen zählenden Ort halten sich dieser Tage hunderte Kurdinnen und Kurden aus vielen Teilen der Türkei auf. Sie sind freiwillig gekommen, um die Grenze zu bewachen. „Die türkische Armee macht das ja nicht“, sagt Ahmed aus Diyarbakir. Junge und Alte haben sich an die Grenze zu Kobane auf den Weg gemacht, um den ungehinderten Grenzwechsel von IS-Kämpfern allein mit ihrer Anwesenheit zu verhindern. So wie in Mehser sieht es in vielen Ortschaften entlang der Grenze aus. Als in der Nacht die Bombenabwürfe der um die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) gebildeten „Koalition“ gegen den IS intensiver werden, reißen die De-

Manchmal dümpelt Geschichte vor sich hin, über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende oder wenigstens 40 Jahre, und manchmal legt sie ein Tempo vor, dass Du mit dem Moped nicht hinterher kommst. Da verlässt man z. B. am Montagabend der Herbstmessewoche 1989 das Uni-Hochhaus in Leipzig gegen sechs und bis nach Hause ist schon alles anders. Es war noch ein lauer Frühherbsttag. Dennoch war es geraten, für die Fahrt abends mit dem Moped bereits eine Jacke über dem Jackett zu tragen. Fahrtwind ist selbst bei nur 50 km/h etwas Kaltes und Unangenehmes, wenn die Luft sich in die Gegend der 10-Grad-

tonationen wenige hundert Meter entfernt die dicht gedrängt im Erdgeschoss eines Hauses im Dorf auf Matten in einem Raum schlafenden Männer plötzlich aus dem Schlaf. Tagsüber kann man sehen, woher die Bomben und Geschosse stammen. In der Dunkelheit nicht. Und so ist auch immer die Angst da, dass es sich um Angriffe der IS-Milizen auf das Grenzgebiet handelt und nicht um Bomben der Amerikaner. In den vergangenen Tagen ist es schon mal vorgekommen, dass die Geschütze des IS das Dorf Mehser ins Visier nahmen. Die IS-Milizen verfügen über schweres Gerät, Panzer und Artilleriegeschütze. Die kurdischen Verteidiger hingegen nur über leichte, kaum panzerbrechende Waffen. Daran haben auch die Waffenlieferungen der USA kaum etwas geändert. Während im Hintergrund stän-

diges schweres Maschinengewehrfeuer zu hören ist, welches immer direkt nach einer USBombe folgt und daher vermutlich aus den Reihen der KämpferInnen der kurdischen YPG stammt, erklärt Leyla aus Cizre, dass hier niemand für Krieg sei und sich dennoch jeder über die Hilfe aus der Luft freut. „Erdogan will uns nicht helfen. Er hat die IS bislang ja nicht einmal als ,Terrormiliz‘ bezeichnet, sondern lediglich als Islamisten. Seine Medien verdrehen die Lage an der Grenze und haben über die Proteste im Land nur sehr selektiv berichtet“, so die junge Frau. Leyla ist 26 Jahre alt, hat einige Jahre in Bremen gelebt und ist seit den Kommunalwahlen vom Frühjahr Bürgermeisterin der Stadt Cizre. „Vor allem in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass sich die türkische Regierung für uns hier nicht in-

teressiert. Sie lassen IS ungehindert die Grenze überwinden, während sie nicht bereit sind, einen Korridor für Flüchtlinge und Nachschub an die kurdischen Einheiten in Kobane offenzuhalten.“ Es ist eine unwirkliche Situation in diesem Landstrich. Unwirklich ist die Lage in der Türkei überhaupt. Während im Osten des Landes die Kurdinnen und Kurden in Aufruhr sind, dutzende Demonstranten von Sicherheitskräften verletzt und erschossen werden, geht im Westen des Landes das Leben in gewohnten Bahnen weiter. Hier gelten Kurden der Mehrheit als Terroristen, die syrischen Selbstverwaltungsgebiete als Rückzugsort für die PKK. Unwirklich ist auch die Tatsache, so sagen die Menschen entlang der Grenze, dass es auf Seiten der IS-Terrormiliz auch hunderte Tote in den letzten Tagen gegeben habe, den-

noch deren Anzahl an Kämpfern stetig steigt. „Die holen nicht mal ihre Leichen ab, lassen sie einfach liegen und warten auf neue Kämpfer“ erzählt einer der Alten aus dem Ort. Zwischen den Grenzdörfern an der Grenze und der nächstgrößeren Stadt auf türkischer Seite, Suruc, kampieren zwischen Panzerstellungen der türkischen Armee teils auf offenem Feld tausende Flüchtlinge aus und um Kobane. Kurdische Studierende aus Istanbul und Europa sind gekommen und haben eigenständig ein kleines Straßentheater erstellt, mit dem sie von Ort zu Ort ziehen, um die Geflüchteten für einen kurzen Moment mit Gesang und Tanz aus dem Schrecken zu ziehen. Das gelingt, wenn auch nur für wenige Minuten. Viele haben Verwandte, die in Kobane kämpfen und sterben. Beinahe täglich finden in Suruc Beerdigungen statt, während die offizielle Türkei die Überlebenden und Eingeschlossenen alleine lässt. Nicht einmal für den Bau von winterfesten Flüchtlingslagern engagiert sie sich finanziell. Auch diese Last tragen die Kurdinnen und Kurden und deren Gemeinden in der Grenzregion so – unfreiwillig – autonom. Vorträge zum Thema RLS Sachsen: 20.11., Dresden, 19 Uhr, Altes Wettbüro MdB Michael Leutert: 21.11., Chemnitz, 16 Uhr, Rosenplatz 4 MdL Mirko Schultze: 22.11., Görlitz, RLS Sachsen: 03.12., LinXXnet, Leipzig, info@rosalux-sachsen.de

Marke abkühlt. Auf dem Jackett unter der Jacke, links am Revers steckte das Parteiabzeichen. Das wärmte nicht, auch wenn es gleich bis auf die Haut brennen sollte. „Genossen! Für dieses Abzeichen sind Menschen in den Tod gegangen“ tönte vor nicht allzu langer Zeit der Kreissekretär jenen entgegen, die auch in der Parteiversammlung kein solches Abzeichen sehen ließen. Da waren schon zu viele in der Partei, weil halt eine Hand die andere wäscht. Das musste man nicht auch noch vor sich hertragen mit den verschlungenen Händen auf dem kleinen ovalen Ansteckmedaillon. Ich trug es jedoch und war der Meinung, meine Hände wären sauber ohne anderer Hände Zutun. Nur, was einer meint, was wirklich der Fall ist und was andere so denken, das sind dreierlei Dinge. Da ist es manchmal gut, wenn die drei Dinge schon aufeinander treffen sollten, dass man nicht gleich erkennt, dass da einer ist, den man es ausbaden lassen könnte. Denn kaum rechts

abgebogen aus der Goethestraße war ich plötzlich eingekeilt und zum Anhalten gezwungen. Eine bewegte Menschenmenge kam von mehreren Seiten auf mich zu, rannte an mir vorbei, wollte hin zum Bahnhof. Der Motor lief. Das war wahrnehm-

Die Geschichte von der Geschichte bar. Das Abzeichen nicht. Es steckte nicht mehr nur so, sondern jetzt muss man sagen zum Glück oder gar Gott sei Dank, unsichtbar unter der Jacke. Wer weiß, was es in diesem Moment anzurichten imstande gewesen wäre. Die Montagsbeter waren ausgerissen. Nicht gleich bis zum Ziel ihrer Träume, dem Westen, aber doch aus der Absperrung um die Kirche, hinaus in die Stadt, hin zum Bahnhof eben. Das waren keine Freunde derer, die das Abzeichen trugen. Und je

weiter sie rannten, desto mehr rannten mit ihnen. Es ging eben los, worauf schon viele gewartet hatten. Das Signal dafür war nicht vereinbart und funktionierte doch wie die Muttersprache, die für jeden Menschen plötzlich da ist und zuvor keiner Absprache bedarf. Der Motor lief und die Menschen liefen. Das vertrug sich irgendwie nicht: „Komm, mach aus. Das dauert jetzt etwas länger“, meinte jovial ein Vorbeieilender zufrieden schmunzelnd und drückte dabei jenen Hebel an meinem Moped, der den Motor zum Verstummen brachte. Und zu Ende war mit dem abgewürgten Motor, was zuvor für dauerhaft gehalten war. Es war mir plötzlich im ganzen Körper spürbar, dass ab jetzt nichts mehr so bleiben konnte, wie es war und lange genug gedauert hatte. Die Fahrt konnte ich ziemlich bald fortsetzen. Es waren alle im Bahnhof untergekommen. Da drinnen brodelte es. Die Straße war wieder frei – jedenfalls für ein Moped. Im

Rosenthal wurde es ein holprig-ängstlicher Ritt durch das Dunkel des Parks und der kommenden Geschichte. Mein Scheinwerfer und die Straßenlichter ließen nicht viel nach vorne erkennen. Meine Gedanken auch nicht. Ich sah den Erlkönig, und trug mich selbst durch die Nacht und den Fahrtwind. Die Hoffnung, mit mir selbst im Arm lebendig anzukommen, war dem Ritt mit dem Moped und der eben begonnenen Reise in eine in einer kurzen halben Stunde mit Gewissheit schon ungewiss gewordenen Zukunft gemeinsam. Es ist alles vorbei und es wird alles anders und wir wissen nicht, was aus uns wird. Das war die Nachricht, die ich am Ende dieses Tages einer noch ahnungslosen Frau und einem nichts ahnenden Kind nach Hause brachte. Dass sich die Ereignisse in den nächsten beiden Monaten überstürzen würden, war noch nicht vorstellbar, auch nicht der neue Anfang, schon gar nicht der lange Weg bis heute.


Hintergrund

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Udo Reiter und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben In meinem Urlaub besuchte ich in einem Ort in der Nähe des Chiemsee den Friedhof. Ein frisches Grab war von Blumen überschüttet. Auf dem Stein konnte man den Namen einer jungen Frau lesen. Sie war Anfang 20 gewesen, und zwischen den Blumenkränzen stand ein Klassenfoto von einer Mädchenklasse aus einer sehr angesehen Schule aus der Region, wie ich später erfuhr. Tragischer Unfalltod – dachte ich. „Nein, Selbstmord!“, sagte unsere Gastgeberin. Worauf sofort die Frage kam: „Die Selbstmörder dürfen jetzt hier sogar in der bayrischen Provinz auf dem Friedhof beigesetzt werden?“ Seit einigen Jahren dürfen sie – also in diesem Ort. Ob das für alle katholischen Friedhöfe Bayerns gilt, dafür möchte ich nicht meine Hand ins Feuer legen. Immerhin: In Bayern gibt es zumindest eine partielle „Emanzipation der Toten“ – wer selbstbestimmt aus dem Leben scheidet, dem wird von der Kirche offenbar nicht mehr grundsätzlich ein Bestattungsplatz verweigert. Udo Reiter kannte sein Bayern – er kam vom BR, bevor er die Intendanz beim MDR übernahm. Nach seinem Freitod strahlte DeutschlandradioKultur das letzte Interview aus, das er dem Sender im August gegeben hatte. Vehement sprach er sich für das Recht auf selbstbestimmtes Sterben aus. Mit Anfang 20 hatte er einen schweren Ver-

kehrsunfall und war fortan querschnittsgelähmt. „Damals dachte ich an Selbstmord!“ gestand er freimütig ein. Später habe er dann gesehen, wie viele „Fußgänger“ es gab, mit denen er sein Leben nicht hätte tauschen wollen. Die Moderatorin hakte nach: „Und wenn Sie da mit Anfang 20 Schluss gemacht hätten?“ „Dann wäre es eben so gewesen“, gab Reiter zurück. „Wir können doch nicht den Menschen das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verweigern, nur weil theoretisch eine Missbrauchsmöglichkeit besteht – wie verhält es sich denn bei der Abtreibung? Untersagen wir da

treibung vorzunehmen?“ Erinnert werden darf in diesem Zusammenhang daran, dass sich fast auf den Tag genau vor einem Jahr Erich Loest in Leipzig das Leben nahm. Der Über-80-Jährige sprang aus dem Fenster eines Krankenhauses. Ich möchte ehrlich gesagt nicht in einem Land leben, in dem sich renommierte Intendanten erschießen oder große Schriftsteller aus dem Fenster stürzen, weil es eine Lobby-Gruppe aus Kirchenleuten, Ärztevertretern und vor allen Dingen der Pharma- und Gesundheitsindustrie gibt, die sich erfolgreich gegen den Wunsch der breiten Mehrheit der Bevöl-

ein Milliardenumsatz gemacht werden – angeblich im Interesse der Betroffenen, in Wahrheit im Profitinteresse einer Pharmaund Gesundheitsindustrie, die längst eine breite Ärzteschaft an sich gebunden hat. Hinzu kommen unzählige Betreiber privater oder kirchlicher Pflegeeinrichtungen. Volkes Stimme für ein selbstbestimmtes Sterben hat es schwer bei so viel Sperrfeuer – aber wenn selbst in Bayern Personen, die den Freitod gewählt haben, auf Kirchenfriedhöfen beigesetzt werden, sollte es dann nicht in von progressiven Parteien regierten oder mitregierten

Johannisfriedhof Dresden, Trauerhalle von Paul Wallot (1894). Bild: Lysippos / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

den Frauen das Recht auf Abtreibung, nur weil theoretisch die Missbrauchsmöglichkeit besteht, dass vielleicht ein Partner oder andere Umstände eine Frau zwingen könnten, eine Ab-

kerung auf ein selbstbestimmtes Sterben stellen. Diese Lobby-Gruppe hat quer durch alle Parteien Fürsprecher „gewonnen“. Die Industrie wittert einen Riesenmarkt. Mit Halbtoten soll

Bundesländern möglich sein, den Menschen zumindest dort Chancen für selbstbestimmtes Sterben einzuräumen? Bisher gibt es die Wahl zwischen „Sterbetourismus“ in die Schweiz

Alles Zufall – oder (militär-)politisches Kalkül?! In den Nachrichten hintereinander gereiht fanden sich der Bericht zu den Verfolgungen der kurdischen Minderheit der Jesiden im Nordirak durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), darüber, wie die USA Lebensmittel in den Fluchtgebieten der Jesiden abwerfen und beginnen, die IS-Melizen zu bekämpfen. Dann war da noch das Verbot der Muslim-Bruderschaft in Ägypten, die als Terrororganisation eingestuft worden ist. So viel Unrecht und Gewalt in der Welt. Nun ist es hundert Jahre her, dass der Erste Weltkrieg ausbrach. Jahrzehntelang kam er im Geschichtsunterricht, in den Medien und in der Politik wie die sprichwörtliche biblische Plage über Deutschland und Europa. Nun sucht man wenigstens nach Ursachen, aber leider vergeblich dort, wo sie zu finden sind. Man sucht sie in Politik und Diplomatie und klammert, wie immer, wenn es um die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft geht, den systemischen Aspekt aus. Denn dann müsste man den Zusammenhang zwischen kapitalistischen Wirtschaftsinteressen, Politik und Krieg ausleuchten. Bei Marx indes kann man sehr übersichtlich sehen,

wohin das kapitalistische Monopol sich zwangsläufig entwickeln muss, wenn es leben will. Und Lenin hat seine Entwicklung in der imperialistischen Phase des Kapitalismus weiter verfolgt und wesentliche Merkmale dieser neuen Wirtschaftsform und seiner Verflechtung mit dem politischen System gefunden, die heute höchst offenkundig jeder darin gebildete Bürger erkennen könnte – an den Entwicklungen in der EU, in der Weltwirtschaft und auch am Ukraine-Konflikt. Wer Marx und Lenin nicht mag, kann sich auch an Jean Jaurés erinnern: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ 2014 war auch der 70. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler. Die Fülle der Beiträge in den Medien stand in krassem Gegensatz zur inhaltlichen Tiefe: Anderer Widerstand kommt kaum oder nicht vor in der Berichterstattung, nicht der kommunistische, der die meisten Hingerichteten und Ermordeten hinnehmen musste, nicht standhafte Pfarrer wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer, und nicht der von Sozialdemokraten oder Juden. Und auch hier keine Einsicht in die systemischen Ur-

sachen bis heute. Es gab in einem kurzen historischen Aufbruch-Fenster die Debatte um die Auflösung der NATO, da ihr Existenzgrund, die Blockkonfrontation und die Warschauer Vertragsgemeinschaft, nicht mehr existieren. Die USA unterhalten fast 300 Auslandsstützpunkte, die „Russen“ nur knapp 30 Militärvereinbarungen. Weder gibt es heute in Deutschland oder anderswo Abrüstung, noch ist die NATO aufgelöst. Stattdessen hat sich Deutschland auf Platz drei der Waffenexporteure vorgearbeitet. Nie ist mehr Geld für Waffen in der Welt ausgegeben worden als gegenwärtig. Battlegroups und „humanitäre“ Kampf-Auslandseinsätze, europäische Verteidigungsgemeinschaft und „Terrorbekämpfung“ sind dann die manipulativen Vokabeln dafür, dass sich amerikanische, deutsche, französische und andere Soldaten mit amerikanischen, deutschen, französischen und anderen Waffen erschießen lassen dürfen. Das gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts und im 1. Weltkrieg. „Im Westen nichts Neues“, der Romantitel von E. M. Remarque, passt leider wieder als Programm für Militär- und

Außenpolitik Deutschlands im 21. Jahrhundert. Der einleitende Satz von E. M. Remarque, „Dieses Buch soll ... den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.“, weist bis heute gültig auf ein Kernproblem von Krieg hin. PTBS, Posttraumatisches Belastungs-Syndrom, ist nur einer der modernen Namen. In einem Interview 1963 sagte Remarque: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“ Und nun will die neue Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Bundeswehr auch noch fitter machen, indem sie „familienfreundlicher“ wird. Die Bundeswehr, Söldnerarmee ist sie ja schon (!), wirbt in Schulen mit gutem Einkommen, beruflicher Perspektive und mit Technikbegeisterung. Pervers! Was zivil durch falsche Politik nicht zu haben ist, soll den jungen (unreifen) Menschen als „Soldatenberuf“ schmackhaft gemacht werden. Dass sie als (körperlicher oder seelischer) Krüppel oder tot nach Hause kommen könn-

oder in die Niederlande – oder dem Fenstersprung in Leipzig bzw. dem Pistolenschuss auf der Terrasse. Wenn Brandenburg oder Thüringen vorangehen würden, wäre der Weg für uns Sachsen kürzer, im Falle des Falles. Udo Reiter hat sinngemäß gesagt: Allein wenn man weiß, dass man die Möglichkeit hat, selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, führt das in den Ländern, wo diese Gesetze bestehen, eher zu einer Gelassenheit im Umgang mit dem Thema und keinesfalls zu einer Freitod-Welle. Ob man seinem Leben noch einen Sinn geben kann oder der Meinung ist, dass die Lebensqualität auf unerträgliche Weise eingeschränkt ist, dies sollten allein die Betroffenen und nicht Politiker, Pfarrer und Ärzte entscheiden. Übrigens spiegelt sich bei dem Thema Freitod oder Selbstmord der alte Klassenunterschied wieder. Adlige, hohe Politiker oder Unternehmer „wählen den Freitod“ – Leiharbeiter, Arbeits- und Obdachlose „begehen Selbstmord“. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Dem einen zollt man versteckt Anerkennung, den anderen stellt man als verantwortungslosen Straftäter hin. Der Totensonntag wäre ein guter Anlass, von den Parteien demonstrativ Antworten zu verlangen, wie ernst sie den Wunsch zum Recht auf selbst bestimmtes Leben und Sterben nehmen. Ralf Richter

ten, wird tunlichst verschwiegen. Und just in dieser Konstellation wird festgestellt, dass die Technik der Bundeswehr alt und zu großem Teil nicht einsatzfähig ist. Der neue Marine-Chef A. Krause spricht schon in der Antrittsrede davon, dass nun deutsche Soldaten zu kämpfen haben werden. Während sie doch seinerzeit in der Blockkonfrontation das „Kämpfen“ lernten, um nicht kämpfen zu müssen! Wie auf Bestellung kommt noch eine Nachricht, dass russische Jagdflieger mit Tanker-Unterstützung im Raum der Nord- und Ostsee sowie über dem Schwarzen Meer so aktiv waren wie lange nicht. Eingeleitet wird sie reißerisch: NATO-Kampfjets hätten russische Jagdflieger „abgefangen“, um dann zu berichten, dass sie sich im internationalen Luftraum befanden – wo im übrigen NATO-Kampfjets immerzu aktiv sind, was keine Nachricht wert ist. Was wird hier wohl vorbereitet? Alles Zufall? Oder doch notwendige Entwicklung, gar Strategie, schleichende Mobilmachung für neue imperiale Gelüste? Da läuft mediale ideologische Konditionierung auf Auslandseinsätze und Krieg. Ralf Becker


11/2014  Sachsens Linke!

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November 2014

Sachsens Linke

Jens Matthis hinterfragt indes, ob der Begriff „Unrechtsstaat“ für eine differenzierte Geschichtsdebatte taugt.

Mit Anja Klotzbücher und Marco Böhme berichten die beiden jüngsten Abgeordneten der Linksfraktion, wie ihr Start im Parlament bisher verlief.

Caren Lay erklärt, warum die angekündigte „Mietpreisbremse“ ein untaugliches und unzureichendes Instrument ist.

Michael Leutert schaut auf Hintergründe des EntwicklungshilfeHaushaltes.

Aktuelle Infos stets auch

unter

e www.dielinke -sachsen.d

Kein Kurswechsel

Bild: www.dietmar-bartsch.de

Wut im Bauch Am 2. Dezember 1994 gegen 4.30 Uhr in der Frühe zog ein kleiner Trupp vom Berliner KarlLiebknecht-Haus, der PDS-Parteizentrale, zur gegenüberliegenden Volksbühne. Intendant Frank Castorf selbst schloss den Gästen sein Haus auf. Die Besucher schlugen Feldbetten auf, campierten fortan im Musentempel, gaben Pressekonferenzen und sahen sich gelegentlich von der letzten Reihe des Balkons aus Inszenierungen des Hauses an. Die merkwürdigen Theatergänger waren Lothar Bisky, André Brie, Gregor Gysi, Hanno Harnisch, Michael Schumann, Heinz Vietze und ich. Wir befanden uns seit knapp zwei Tagen im Hungerstreik, den wir in den Gebäuden der „Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ und der „Treuhandanstalt“ sowie im Berliner Abgeordnetenhaus begonnen hatten, wo wir jeweils durch die Polizei geräumt wurden. Anlass für unsere Aktion war eine Steuerforderung von über 67 Millionen D-Mark, die das Finanzamt Berlin für das erste Halbjahr 1990 (!) gegenüber der Partei erhob. Als Schatzmeister der PDS erklärte ich damals: „Mit diesem Bescheid sowie den Vollstreckungs-

schritten des Berliner Finanzsenators Pieroth wird nicht nur die politische Existenz der PDS gefährdet, sondern zugleich der demokratische Rechtsstaat lächerlich gemacht.“ Der abstruse Steuerbescheid war Teil eines mit aller Härte geführten Kampfes gegen die sozialistische Partei. Nicht zufällig wurde das Pamphlet erst unmittelbar nach der Wahl 1994, bei der die PDS den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte, erstellt und zugestellt. Offenbar sahen Bundesregierung und Berliner Senat darin eine letzte Chance, die Partei zu strangulieren, auf deren langsames Ende setzten sie nicht mehr. Für die PDS ging es um Sein oder Nichtsein, die Partei musste öffentlich Druck machen. Nach acht Tagen konnten wir den Hungerstreik am Mittwoch, dem 7. Dezember 1994, beenden. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte Anträgen der Partei stattgegeben, das widersinnige Verlangen war zunächst vom Tisch und die PDS bekam eine Atempause, bis die strittigen Vermögensfragen 1995 in einem Vergleich zwischen PDS und Treuhandanstalt abschließend geklärt wurden. Unser Hungerstreik und dessen Erfolg ermutigten nicht wenige Menschen im Osten

Deutschlands, beherzt und selbstbewusst ihre Interessen zu verfechten. Über 50.000 Bürgerinnen und Bürger gingen in der ersten Dezembertagen ‘94 auf die Straße, erklärten sich solidarisch mit den Sozialistinnen und Sozialisten und dokumentierten trotzig: Wir lassen uns nicht alles gefallen! Namhafte Intellektuelle und Künstler stärkten uns den Rücken, darunter Stefan Heym, Stephan Hermlin, Steffi Spira, Käthe Reichel und Erwin Geschonneck. Ihren Unmut über das rechtsstaatswidrige Gebaren der Behörden äußerten auch Menschen, die nichts mit der PDS am Hut hatten, zum Beispiel Thomas Schoppe von der Gruppe Renft, Joschka Fischer und Lothar de Maiziére. In Potsdam war Rolf Wettstädt, Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, in den Hungerstreik getreten. Ganz besonders berührte uns die Solidarität der Kalikumpel aus Bischofferode, die selbst mittels Hungerstreik für die Zukunft ihrer Betriebe gefochten hatten. Die Solidarität war vielfältig und riesig. Uns erreichten Briefe und Blumen, Obstsäfte und Decken, Bücher und Medikamente. Die Führungen europäischer Linksparteien grüßten ebenso wie zahlreiche Verbände und Vereine.

Der Hungerstreik war eine „Partisanenaktion“, mit keinem Vorstand abgestimmt. Doch unzählige Parteimitglieder stellten sich vorbehaltlos an unsere Seite, einige traten selbst in Hungerstreik. Wir genossen die Sympathie vieler Genossinnen und Genossen, die später auch unterschiedliche Wege gingen. Manche haben die Partei verlassen, andere waren lange oder sind bis heute in der LINKEN in Verantwortung. Exemplarisch nenne ich Petra Pau, Dagmar Enkelmann, Helmuth Markov, Christine Ostrowski, Barbara Höll, Angela Marquardt, Rolf Kutzmutz, Elke Herer und Brigitte Zschoche. Der Hungerstreik der PDS-Politiker warf natürlich die Frage auf, ob es gerechtfertigt ist, für eine Partei seine Gesundheit, gar das Leben auf’s Spiel zu setzen. Lothar Bisky hat sie damals so beantwortet: Die PDS sei für ihn „nicht nur Partei, sondern ein Stück linker Kultur, ein Stück vorweggenommener sozialer Gerechtigkeit, ein Stück solidarischer Umgang miteinander; wenn man so will, ein Stück antizipierter demokratischer Sozialismus“, für den er streite. Nachzulesen ist das in einem Büchlein, das Lothar Bisky über den Hungerstreik schrieb. Sein Titel: Wut im Bauch. Dietmar Bartsch

Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen kann aus linker Perspektive nicht befriedigend sein. Viel mehr als tatsächlich notwendige Reparaturen falscher Entscheidungen der CDU-Dauerregierung hat der Entwurf nicht zu bieten. So verwundert es nicht, dass er nach dem ersten Lesen so recht keinen Verhandlungssieger erkennen lassen will, dafür aber eindeutige Verlierer. Die heißen Tillich und Unland. Denn was sich schon in der letzten Legislaturperiode und im Wahlkampf andeutete, wird nun manifest: Der rigide Sparkurs und die einzige Festlegung des Ministerpräsidenten, den öffentlichen Dienst bis 2020 auf 70.000 Beschäftigte zu schrumpfen, haben sich als realitätsfremd erwiesen. Als Opposition haben wir seit Jahren auf zahlreiche Änderungen, die nun im Koalitionsvertrag festgehalten sind, gedrängt. Allein, das sind naheliegende Korrekturen. Innovation, Aufbruch für Sachsen sieht anders aus: Längeres gemeinsames Lernen, eine moderne Verwaltung, ein Lösen der Bremse bei der Energiewende und endlich ein Ausstieg aus der Braunkohle sind nur einige Punkte, die den Weg in den Koalitionsvertrag nicht gefunden haben. So scheint es, dass der SPDSlogan „Unser Sachsen für morgen“ ziemlich stark nach gestern riecht. Mit der CDU an der Regierung wird es keine grundlegend andere Politik, keinen Kurswechsel geben. Es ist zu befürchten, dass das Land weitere fünf Jahre verwaltet wird und nicht gestaltet. Wir werden die Koalition deshalb ebenso kritisch wie konstruktiv begleiten.


Sachsens Linke! 11/2014

Meinungen Zur Unrechtsstaatsdebatte (Sachsens Linke! 10/2014, S. 1, 3) Jeder Staat gibt sich ein Rechtssystem, das die gesellschaftlichen Machtverhältnisse widerspiegelt, also hauptsächlich den Interessen der Herrschenden entspricht. Auch in der BRD ist es so, dass sich die „kleinen oder großen Mächtigen“ hin und wieder nicht einmal an ihre eigenen Gesetze halten. Und: „Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei“, z. B. im Sozialbereich oder bei Auseinandersetzungen zwischen Bevölkerung und Konzernen. Somit ist nach Definition des Thüringer Papiers die BRD ein Unrechtsstaat. Und die polizeilichen Übergriffe z.B. bei Castortransporten, bei Blockupy in Frankfurt am Main usw. zeigen, dass dies auch bei der von Peter Porsch zitierten Definition so ist. Warum steht das dort nicht so? Dabei hätte ich auch nichts dagegen, den Kampfbegriff „Unrechtsstaat“ ganz zu vermeiden und stattdessen ganz im Sinne von Peter Porsch zu schreiben: „Auch die Erfahrungen in der DDR motivieren uns im Kampf gegen heutiges Unrecht.“ Und wenn SPD und Bündnis 90/Die Grünen das nicht unterschreiben können, würden sie damit nur zeigen, dass es ihnen nicht um die Bekämpfung von Unrecht, sondern um die Rechtfertigung des gegenwärtigen Unrechts geht. Uwe Schnabel, Coswig

Glosse Der Witzeerzähler Dieter Nuhr hat einen Witz über den Islam gemacht. Vermutlich mehrere – aber das ist egal. Für einen davon ist er nun angezeigt worden, von einem, der den Witz nicht lustig fand, weil er Moslem ist. Schlimm. Vor allen Dingen deswegen, weil der Witzeerzähler Dieter Nuhr nun überall als mutiger Kabarettist herumgereicht wird, der er nun wirklich nicht ist. Vor allen Dingen kein Kabarettist, denn: Nuhr ist ein Witzeerzähler, so etwas Ähnliches wie ein Mario Barth oder Fips Asmussen, nur für die Creme der qualifizierten Hauptschulabgänger. Nuhr betreibt weder Satire, noch macht er Kabarett, sondern er ulkt vor Kameras zu

Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung

Offener Brief an den Landesvorsitzenden der Partei DIE LINKE Sachsen Genosse Rico Gebhardt, auf der Regionalkonferenz am 9. Oktober 2014 in Leipzig zur Auswertung der Landtagswahl hast Du als Reaktion auf meinen Diskussionsbeitrag zum Ausdruck gebracht: Wer behauptet, dass es eine Konterrevolution gab (gemeint sind die historischen Ereignisse der Jahre 1989/90 in der DDR), der hat mit mir in einer Partei nichts zu tun. Ein solches Urteil eines Landesvorsitzenden gegenüber einem Mitglied ist ernst zu nehmen, weshalb ich Dich bitte, Deinen Worten Taten folgen zu lassen und die Schiedskommission anzurufen. Es ist für mich parteipolitisch von existentieller Bedeutung, zu wissen, ob in der Partei DIE LINKE wissenschaftliches marxistisches Denken noch geduldet ist. Vorab zum inhaltlichen Verständnis. Jeder historische Vorgang hat bestimmte Etappen und ein Resultat. Die Losung der ersten Etappe, „Wir sind das Volk“, zielte auf eine Reformierung der DDR und nicht auf die Einführung der Herrschaft des Kapitals. Die Losung der folgenden Etappe, „Wir sind ein Volk“, beinhaltete die Forderung nach einer Vereinigung mit der kapitalistischen BRD. Entsprechend des realen Kräfteverhältnisses wurde die Losung „Wir

Seite 2 sind ein Volk“ zum Ausgangspunkt der Restauration kapitalistischer Eigentumsverhältnisse für die neuen Bundesländer; was nichts anderes war als die Beseitigung der nichtkapitalistischen Eigentumsverhältnisse in der DDR bzw. der neuen Bundesländer, also Konterrevolution. Dieser Begriff ist demnach keiner, der die Menschen diskreditiert, „die die Schnauze voll hatten“, wie Du es auszudrücken beliebtest. Er bezeichnet demnach die Wiederherstellung überwundener Eigentumsverhältnisse. Solltest Du die gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse der BRD, die die Reichen reicher macht, die Menschen zweiter Klasse produzieren (Hartz IV), die Kinderarmut, Obdachlosigkeit und Kriege einschließen, all das, was in der DDR überwunden war, als Fortschritt betrachten, dann haben wir natürlich unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten, die nicht in einer Partei zusammen gehören. Hiermit ist aber noch nicht gesagt, wer von uns beiden nicht in DIE LINKE gehört. Denn im Parteiprogramm steht: „Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschaftsund Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus“.

Sollte Deine Reaktion auf der Regionalkonferenz auf theoretischer Unkenntnis gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse beruhen, so mach Dich bitte sachkundig. Ich erwarte dann mindestens eine öffentliche Entschuldigung, da Deine Position im Sachsenspiegel am 13.10.2014 öffentlich wurde. Siegfried Kretzschmar Antwort von Rico Gebhardt Lieber Siegfried Kretzschmar, da Du Deinem Schreiben an mich die Form eines Offenen Briefes gegeben hast, entspricht es sicherlich Deinem Anliegen, dass auch ich im Interesse maximaler Transparenz den Weg der Einbeziehung interessierter Öffentlichkeit wähle. Wer bei der Regionalkonferenz am 9. Oktober in Leipzig dabei war, weiß, dass sich Deine Ausführungen zur „Konterrevolution“ ausdrücklich auf das an diesem Tag stattfindende Gedenken in der Stadt an die große Demonstration am 9. 10.1989 bezogen hat. Die Bewertung dieser Großdemonstration des Herbstes 1989 in Leipzig als „Konterrevolution“ habe ich entschieden zurückgewiesen, und dem habe ich nichts hinzuzufügen. Ich bitte deshalb, bei allem Streit in der Sache die realen Gegebenheiten nicht aus dem Auge zu verlieren. Zum Realitätssinn gehört auch die Einsicht, dass wir den Kampf um eine demokratisch sozialistische Gesellschaft nicht vor Partei-Schiedskommissionen, sondern in der Mitte der Ge-

sellschaft führen sollten. Davon werde ich mich nicht abbringen lassen. Rico Gebhardt Zukunftskongress, Kampagne, Strategiekonferenz Nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl. Das gilt für die Bundes- wie auch für die Landesebene gleichermaßen. Doch die Zwischenwahlzeit will sinnvoll genutzt sein. Genau das will DIE LINKE versuchen. Deshalb wird sie sich im April 2015 in Berlin treffen, um dort auf einem Zukunftskongress die gesellschaftlichen Bedingungen und die Wünsche für eine sozial gerechte und ökologische Zukunft zu diskutieren. Dies soll der Anfang sein für eine Kampagne, die sich bis zur nächsten Bundestagswahl 2017 zieht und versucht, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken und LINKE Alternativen zu formulieren. Unter dem Titel „Das muss drin sein. Leben ohne Zumutungen“ soll so die notwendige thematische Zuspitzung bis 2017 erfolgen. Eingebettet in diesen Prozess wird auch DIE LINKE. Sachsen eine Strategiekonferenz durchführen. Diese ist für den 9. Mai 2015 terminiert. Die Bundes- wie auch die Landespartei haben sich also einiges vorgenommen. Auch „Sachsens Linke!“ wird diesen Prozess begleiten: Den Aufschlag werden wir in der nächsten Ausgabe machen und Zukunftskongress und Kampagne näher beleuchten.

Blödmann vom Dienst von Uwe Schaarschmidt guter Sendezeit herum, was in Kantinen und auf Bowlingbahnen so als Ulk durchgeht, jedoch nicht mehr ist als blödes Gelaber über eine Welt, die man nicht versteht, weil man sie nicht verstehen kann oder will. Nun hat er sich den Islam rausgesucht, der Nuhr – eine Religion, die in Ursprung und Praxis das ist, was Religionen eben so sind: Dummes Geschwätz und das Befolgen noch dümmerer Regeln, welche aus gewieft verfassten Schriftstücken über angeblich geschehene Wunder und geschwindelte Reiseerlebnisse heiliggesprochener Angeber interpretiert werden – und die kein Mensch, der heute halbwegs bei Verstand ist, ir-

gendwie ernst nehmen kann. Das gepriesene Gelumpe mag Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus – oder sonstwie heißen: In seiner sprachlichen Albernheit (gern als große Literatur, bezaubernde Lyrik gar gepriesen) und seiner manifesten Brutalität bei korrekter Ausführung nimmt es sich nichts. Man könnte allen Religiösen getrost einen Vogel zeigen und sagen: Klärt das für Euch am Küchentisch oder unter der Bettdecke – aber lasst mich mit dem Unfug in Ruh! Nicht so Nuhr. Der weiß als Witzeerzähler, was die Leute gern mögen – und zwar, dass beim Witz immer einer der Blöde sein muss. Ohne Depp gibt’s

kein Gelächter. Und da Nuhr als Mietmaul der christlich-abendländischen Bourgeoisie ganz genau weiß, wer der Blöde zu sein hat, nimmt er sich den Muselmann und seine Suren vor – völlig ausblendend, dass seit Christian Wulffs Heimsuchung durch Diekmann und die Restmedien des Landes die Islamhetze in Deutschland inzwischen ein hochgefährliches Ausmaß angenommen hat, vorläufig kulminierend im Kölner Hooligan-Aufmarsch des 26. September, als tausende Drecksäcke ihren Fremdenhass in die von Diekmann & Co. vorbereiteten Förmchen gießen durften. Der Beifall, den Nuhr nun in den Kommentar-

spalten der Zeitungen, in Mails, Briefen und auf Facebook von den ekelhaftesten Vollpfosten der Republik dafür bekommt, dass er sich jammernd als vorauseilendes Opfer der Scharia verkauft, wird ihm nicht zu denken geben. Dafür ist Nuhr einfach zu dämlich. Und auch die Fotos brennender Moscheen und erschlagener Ausländer, jene, die es schon gibt und jene, die vielleicht noch entstehen werden, dürften an seiner Dämlichkeit nichts ändern. Dafür ist Nuhr einfach zu deutsch. Er wird es nicht gewusst haben wollen, was er da selbst mit auf den Weg gebracht hat, eines Tages, wenn man ihn darauf anspricht.

und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­ lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 29.10.2014

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.12.2014.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-


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Unrechts ist nicht Links Vorab: Ich bin kein Gegner einer rot-rot-grünen Regierung in Thüringen. Und wie viele andere halte ich die ganze Diskussion für eine falsche Diskussion zur falschen Zeit. Anders als manche/r in der Parteiführung bin ich allerdings der Meinung, dass für die lästige Diskussion nicht die Kritiker des Begriffes verantwortlich sind, sondern diejenigen im Verhandlungsteam, die absichtsvoll oder fahrlässig der Formulierung vom „Unrechtsstaat DDR“ zustimmten. Um ein Junktim zwischen einem politischen Vertrag für die Zukunft und einer bestimmten historischen Bewertung herzustellen, bedarf es einer besonderen Begründung. Entweder ist beabsichtigt, aus der Bewertung Konsequenzen zu ziehen. Über diese gewollten und ungewollten Konsequenzen dieser Formulierung müsste dann intensiv nachgedacht, sie müssten benannt werden. Oder aber es handelt sich schlicht um eine politische Erpressung, die dazu da ist, die Verhandlungsposition des Gegenübers zu schwächen. Letzteres sollte man sich nicht gefallen lassen. Das Problem ist gar nicht, dass man sich durch den Begriff „Unrechtsstaat“ persönlich beleidigt oder herabgesetzt fühlen müsste. Insofern sind mir Erklärungen etwas suspekt, die darauf hinauslaufen, man dürfe den Begriff mit „Rücksicht auf die Lebensleistung ehemaliger DDR-BürgerInnen“ nicht verwenden. Das ist ein so schwaches Defensivargument, dass es eher noch zur Bestätigung des Begriffes beiträgt. Es folgt dem Muster: „Opa war zwar ein krummer Hund, aber das kann man der Oma so natürlich nicht sagen“. Das eigentliche Problem ist vielmehr, dass sich eine Geschichtssimplifizierung aus po-

litischer Opportunität und vermeintlichem Pragmatismus an nicht vorhersehbarer Stelle bitter rächen kann. Es ist unstrittig, die Repressionen gegen unangepasste, kritische oder oppositionelle DDRBürgerInnen klar als Unrecht zu bezeichnen, und zwar unabhängig davon, ob sie im Einzelfall durch DDR-Recht gedeckt waren oder nicht. Der Begriff „Repression“ schließt für mich dabei alles ein, von der willkürlichen kleinen Zurücksetzung im Alltag bis zur jahrelangen Haft in Bautzen II. Unstrittig ist auch, dass die DDR kein bürgerlicher Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und Rechtswegegarantie war. Sie wollte es in ihrem eigenen Selbstverständnis bis zum Herbst 1989 auch gar nicht sein. Der Begriff „Unrechtsstaat“ hat jedoch andere, weitreichendere Implikationen. Ein Staat wird nicht allein dadurch zum Unrechtsstaat, dass es in ihm auch vom Staat geduldetes oder veranlasstes Unrecht gibt, so etwas kommt auch in vielen Rechtsstaaten vor. Zum Unrechtsstaat wird ein Staat dadurch, dass seine gesamte Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsprechung im Wesentlichen gegen übergeordnete rechtliche und moralische Normen verstößt und damit von vornherein als Unrecht betrachtet werden kann. Davon kann man z. B. mit Blick auf das „Dritte Reich“ durchaus ausgehen. Aber bei der DDR? 1. In der DDR wurde die bürgerliche Eigentumsordnung negiert und eine andere Eigentumsordnung geschaffen. Großes Privateigentum wurde entschädigungslos enteignet, anschließend verteilt (Bodenreform) oder aber vergesellschaftet (Großindustrie, Banken usw.). Das passierte zwar in wesent-

lichen Teilen bereits unter Besatzungsrecht vor 1949, wurde später aber durch DDR-Recht legitimiert und fortgesetzt. Diese Veränderungen wurden von denjenigen, die davon negativ betroffen waren, als furchtbares Unrecht wahrgenommen. Für einen großen Teil der bundesdeutschen Gesellschaft verstößt dieser Eingriff in das bürgerliche Eigentum gegen eine übergeordnete Norm und ist damit ein Indikator für den „Unrechtsstaat DDR“. 2. Noch bevor er Bundespräsident wurde, trug Joachim Gauck den „Kommunisten“ nach, dass die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in großen Teilen der DDR-Bevölkerung als „Zementierung des Unrechtes der Vertreibung“ angesehen wurde. Zwar wurde dieses „Unrecht“ vierzig Jahre später durch die Bundesrepublik nachvollzogen. Das hinderte Gauck aber nicht daran, es als Argument gegen den „Unrechtsstaat DDR“ zu verwenden. 3. In der DDR wurden weitreichende Pläne zur gesellschaftlichen Umgestaltung verfolgt. Dazu gehörte auch die Brechung des Bildungsprivilegs der Reichen und Besitzenden. Das war aber harmonische Veranstaltung unter der Überschrift „Studium für alle“. Angesichts der beschränkten ökonomischen Ressourcen bedeutete zunächst jeder Studienplatz für ein Arbeiterkind auch, dass ein Kind aus einer Unternehmer-, Arzt- oder Pfarrersfamilie nicht studieren

konnte, obwohl es in dessen Familientradition selbstverständlich war. Dies wurde von den Betroffenen, menschlich gut nachvollziehbar, als großes Unrecht im „Unrechtsstaat“ empfunden. 4. Auch in anderen Bereichen brach das DDR-Recht radikal mit der bürgerlichen Ordnung, etwa im Zivil- und Familienrecht. Hier vollzog die DDR weitreichende Reformen, die in der Bundesrepublik mitunter erst Jahrzehnte später, zum Teil bis heute nicht nachvollzogen wurden. Von konservativer Seite wurden diese Reformen in der Bundesrepublik auf das Schärfste bekämpft, unter anderem auch mit dem Argument, dass man nicht bereit sei, das Unrecht

des „ U n rechtsstaates DDR“ zu übernehmen. 5. Erwähnt sei noch das DDRArbeitsrecht, hergeleitet aus einem verfassungsmäßigen „Recht auf Arbeit“. Man kann es nach heutigen Maßstäben als ausgesprochen „arbeitnehmerfreundlich“ bezeichnen. Diese „Arbeitnehmerfreundlichkeit“ bereitete nicht nur privaten Unternehmern, sondern auch sozialistischen LeiterInnen in VEBs und Verwaltungen mitunter er-

hebliche Probleme. Zugleich sicherte es Millionen Menschen eine soziale Sicherheit, die durch Umbrüche im Wirtschaftsleben nicht gefährdet wurde. Dass wirtschaftliche Risiken nicht auf Arbeitnehmer abgewälzt werden können und Arbeitsplätze nicht betriebswirtschaftlicher Rationalität geopfert werden dürfen, wäre unter heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zweifellos ein untragbares „Unrecht“. Aus konservativer oder (neo-) liberaler Sicht ist es geradezu zwingend, die DDR aus den fünf vorgenannten Gründen als „Unrechtsstaat“, als Angriff auf die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft und des bürgerlichen Rechtes zu klassifizieren. Die Einschränkung von politischen Bürgerrechten und die Repressionen gegen die Opposition spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle, daran hätte und hat man sich bei anderen Staaten nicht weiter gestoßen. Aber waren die (teilweise) Aufhebung bürgerlichen Eigentums, die sofortige Anerkennung der neuen Grenzen in Europa, die Brechung des Bildungsprivilegs sowie die Reformen im Zivil-, Familien- und Arbeitsrecht nach linken Maßstäben Unrecht? Aus linker Sicht sollte man genauer differenzieren, was an diesem „Staat der kleinen Leute“ (Günter Gaus) historisch gerecht und gelungen, was legitim, aber missraten und schließlich was unentschuldbares Unrecht war. Nicht nur um der Befindlichkeit oder eventueller juristischer Nachwirkungen willen, sondern auch wegen des eigenen programmatischen Selbstverständnisses. Jens Matthis Der ungekürzte Beitrag findet sich unter www.dielinke-dresden. de.

„Drum braucht er was zu essen“ … – ADELEN diskutieren Landwirtschaft Auf der Welt hungern trotz hehrer politischer Postulate immer noch 840 Millionen Menschen. Sie hungern hauptsächlich in Afrika, Teilen Lateinamerikas und Südostasiens. Die wohlgenährte Seite der Welt dagegen verramscht, vernichtet und verteilt, nachdem man heimische Bauern mit dem Export eigener billiger Ware zuvor ruiniert hat, zur Beruhigung des Gewissens in regelmäßigen karitativen Hilfsaktionen Brosamen ihrer landwirtschaftlichen Überproduktion. Diese Ungerechtigkeit wurde ererbt aus kolonialen Vorzeiten, aber sie wird politisch in die Zukunft fortgeschrieben – u. a. durch die Exportorientierung der führenden Landwirtschaften. Dabei hat die Erde genug Kraft, auch 10 Milliarden Menschen zu ernähren – wenn ihre vielseiti-

gen Ressourcen in jeder Region von und für die Menschen der Region maßvoll entwickelt und genutzt werden. Maßvoll schließt ein, dass verfestigte ungesunde Ernährungs- und gedankenlose Verbrauchsgewohnheiten in den reichen Industrienationen, also der inzwischen stagnierende, dennoch viel zu hohe Fleischkonsum und die dramatische Lebensmittelverschwendung, reduziert werden. Das ist notwendig, um weltweit Flächenkonkurrenzen abzubauen, aber auch, um das verheerende Modellvorbild eines zukunftsfeindlichen kapitalistischen Lebensstils zu korrigieren. Eine solche „Entwicklungshilfepolitik“ eröffnet neue spannende Perspektiven – für die Landwirtschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch für Europa und in Deutschland.

Agrarpolitik ist mehr als Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen in ausreichender Qualität und Quantität. Die heutige Gesellschaft verlangt darüber hinaus die Einhaltung von steigenden Sozial-, Umwelt- und Tierschutzstandards in der Produktion selbst, sie fordert eigenständige Beiträge zum Klimaschutz, zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zur Pflege von Kulturlandschaften, sie mahnt faire globale Handelsbeziehungen an. Multifunktional sowie sozial, ökologisch, tiergerecht und entwicklungspolitisch nachhaltig – eine solche Landwirtschaft muss sich stärker an der Region und ihren Wirtschaftskreisläufen sowie an der Qualität ihrer Produkte orientieren. Die allgemeinen kapitalistischen Markt- und Fördermechanismen torpedieren

eine solche Entwicklung mit dem Verweis auf eine steigende Nachfrage einer wachsenden Weltbevölkerung. Die Lösung dieses gesellschaftlichen Konflikts ist von ebenso existentieller Bedeutung wie die Frage nach dem Energiesystem der Zukunft. Den Kurs in Europa bestimmen dabei die Mitgliedsstaaten, den Kurs in Deutschland die Bundesländer. Verantwortung darf deshalb nicht delegiert werden. Es kommt auf den politischen Willen zur Kursänderung in der Landwirtschaft an – auch in Sachsen. Diese Kursänderung möchte die ökologische Landesarbeitsgemeinschaft ADELE in agrarpolitischen Leitlinien anmahnen und konkrete Handlungserfordernisse für Partei und Fraktion ableiten. Einen ersten Entwurf dazu aus der Tastatur der Fachspre-

cherin der Landtagsfraktion, Kathrin Kagelmann, diskutierten die „Eulen“ anlässlich ihres diesjährigen Landestreffens Anfang Oktober in Bad Lausick. Das bewusst im Umfang begrenzte Papier droht nach einer sehr angeregten und anregenden Debatte mit zahlreichen Hinweisen und Ergänzungsvorschlägen „aus der Form“ zu gehen. Im kommenden Jahr wird ADELE die Diskussion fortsetzen. Ziel ist es, die Leitlinien im Jahr 2015 durch die Partei beschließen zu lassen. Die Mitglieder der LINKEN sind herzlich eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen. Außerdem bestätigten die „Eulen“ mit Sabine Kunze, KV Görlitz, und Alexander Lauter, SV Leipzig, ihre bisherigen SprecherInnen für weitere zwei Jahre in ihren Ämtern. Kathrin Kagelmann


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Humanitäre Außenpolitik im Zeichen der „Schwarzen Null“ „Flüchtlinge in Nahost müssen hungern“. Mit dieser erschreckenden Schlagzeile machte vor kurzem die Online-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ auf. Der Grund dafür ist, dass die UNO angesichts der riesigen Flüchtlingsströme im Nahen Osten nicht mehr über ausreichende Mittel verfügt, um die Flüchtlinge wie bisher zu versorgen. Allein in Syrien sind 4,2 Millionen Menschen auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg oder haben ihre Lebensgrundlage in der zerstörten Heimat verloren. In der Konsequenz bekommen die Menschen in den Flüchtlingslagern erheblich gekürzte Rationen an Essen und Trinken, je nach Land um zwischen 20 und 40 Prozent. Die hunderttausenden Kurdinnen und Kurden, die vor den Terrormilizen des IS in die Türkei entkommen konnten, erhalten von der UNO gar nichts mehr. Auf der türkischen Seite steht die kurdische Verwaltung daher allein vor der Aufgabe, ihnen zu helfen. Dabei kann sie kaum auf Unterstützung von der türkischen Zentralregierung in Ankara zählen. Organisiert und finanziert werden Zeltstädte wie auch Nahrungsmittel und Decken ausschließlich von der Kommune, von Privatpersonen vor Ort und durch Spenden, wie auch Do-

minic Heilig, Mitglied des Parteivorstands der LINKEN, nach seinem Besuch vor Ort bestätigte. Für die Bundesregierung ist weder der rasante Anstieg der Flüchtlingszahlen in den Bürgerkriegsstaaten Syrien, Irak und Libyen noch die finanzielle Not der UN eine Überraschung. Beides ist nicht über Nacht entstanden. Dennoch will die

samt um 128 Millionen Euro auf nur noch 187 Millionen im Auswärtigen Amt und 60 Millionen im Entwicklungsministerium kürzen. So sieht es der Entwurf zum neuen Bundeshaushalt vor. Wie sehr diese Planung am Bedarf vorbeigeht, hat die Große Koalition selbst bestätigt: Weil schon der jetzige Ansatz bei weitem nicht ausreicht, wurden im Haushaltsausschuss

nahmen bewilligt. Wenn man sich nun fragt, warum die Bundesregierung wider besseres Wissen die Gelder für die Humanitäre und Flüchtlingshilfe kürzt, gibt es darauf eine klare Antwort: wegen Schäubles „Schwarzer Null“. Das übergeordnete Ziel, das die Bundesregierung mit dem Bundeshaushalt 2015 erreichen will, ist es, ohne Foto-credits: Mohamed Ali Mhenni, GFDL-license

Bundesregierung im Haushaltsjahr 2015 ihre – ohnehin nicht üppig ausgestattete – humanitäre und Flüchtlingshilfe insge-

aufgrund des akuten Mehrbedarfs für das laufende Jahr erst vor kurzem 85 Millionen Euro zusätzlich für Humanitäre Maß-

Nettoneuverschuldung auszukommen. Diesem Fetisch wird ministeriumsübergreifend politische Gestaltungsmacht geop-

fert. In dem Fall heißt das: Ob es mehr oder weniger Flüchtlinge im Nahen Osten gibt, ob die UNO mit ihren Mitteln am Ende ist oder nicht, ist von nachgeordneter Bedeutung, solange die „Schwarze Null“ steht. Eine solche Politik ist nicht nur inhuman, sie ist auch ein haushaltspolitisches Täuschungsmanöver. Es ist absehbar, dass angesichts der aktuellen Konflikte und humanitären Katastrophen auch im nächsten Jahr nachträglich mehr Geld in den Haushalt eingestellt werden muss. Dieses wird dann aber langsamer fließen und möglicherweise anderswo im Bundeshaushalt fehlen. Aus beiden Gründen, dem humanitären wie dem haushaltspolitischen, habe ich für DIE LINKE bei den Etatberatungen im Haushaltsausschuss beantragt, die Mittel 2015 nicht zu kürzen, sondern aufzustocken. Langfristig brauchen wir einen Krisenreaktionsfonds für humanitäre Katastrophen. Damit stünden permanent Mittel zur Krisenreaktion bereit, aus denen betroffene Ministerien unvorhergesehene Ausgaben sofort decken können. Die Finanzierung eines solchen Fonds kann zum großen Teil durch die freiwerdenden Mittel nach dem Ende des ISAF-Mandats in Afghanistan erfolgen. Michael Leutert

Bezahlbares Wohnen für alle – in Sachsen und überall wohl gerade sie es waren, die diesen Teil der Stadt lange geprägt haben. Hohe Mieten sind aber kein alleiniges Problem der Großstadt. In meinem Wahlkreis Bautzen sind in einigen Lagen die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gestiegen, und ebenso steigen die Grundstückspreise an; auch in Meißen wird das Leben teurer. Und selbst da, wo es nach wie vor viel Leerstand gibt, leiden Mieterinnen und Mieter unter steigenden Nebenkosten. Nun soll bald ein Gesetz der Großen Koalition mit dem vielversprechenden Namen „Mietpreisbremse“ Linderung verschaffen. Die Enttäuschung wird groß sein. Denn was hier als Mietpreisbremse angekündigt wird, verdient diesen Namen nicht. Erstens liegt die Einführung der Mietpreisbremse in der Hand der Länder – das CDU-geführte Sachsen könnte die Einführung verweigern. Mieten sollen gebremst werden und das auf 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Das kann aber in der Praxis immer noch locker eine Verdopplung der Miete im Vergleich zum Vormieter bedeuten, wenn man einen alten Mietvertrag hat. Zu-

sätzlich hat sich die CDU auf der Zielgrade noch durchgesetzt und der Immobilienlobby ein Geschenk gemacht, indem sie Neubauten komplett von der Mietpreisbremse befreit hat. In puncto Sozialer Wohnungsbau schiebt der Bund die Verantwortung an die Länder und stellt – gemessen am Bedarf – viel zu wenig Geld zur Verfügung. Und mit diesen viel zu geringen Mitteln investie-

Bild: Kay Körner / Wikimedia Commons / CC BY 2.5

Wer an explodierende Mietkosten denkt, dem kommen Städte wie Hamburg, München, Frankfurt am Main und auch Berlin in den Sinn. In Sachsen war die Miete lange kein Thema. Das ändert sich seit einigen Jahren – vor allem in Dresden, Leipzig und dem sogenannten „Speckgürtel“. Schenkt man dem Immobilienportal immonet Glauben, dann steigt allein in Groß- und Universitätsstädten die Kaltmiete seit 2009 um durchschnittlich 34 Prozent. Dagegen wirken die knapp 15 Prozent Anstieg im gleichen Zeitraum in Leipzig fast moderat. Experten befürchten jedoch, dass sich das Problem in Leipzig verschärfen wird – Leipzig ist eine wachsende Stadt. Allein in diesem Jahr gab es eine Netto-Zuwanderung von 10.000 Neu-Leipzigerinnen und -Leipzigern. Grundsätzlich eine schöne Entwicklung, die aber leider einhergeht mit Effekten, wie sie z. B. in Berlin seit etwa zehn Jahren zu beobachten sind: Wohnraum wird logischerweise knapp und eine Verdrängung der Ärmeren setzt ein. Auch in Dresden werden attraktive Stadtteile wie die Neustadt etwa für Studierende langsam unerschwinglich – ob-

ren die Länder häufig nicht in den eigentlichen Zweck, nämlich Sozialwohnungen. Bundesweit kommt auf fünf Sozialwohnungsberechtigte gerade einmal eine Sozialwohnung. Und Sachsen hat die rote Laterne: In keinem anderen Bundesland sind in den vergangenen Jahren mehr Sozialwohnungen weggefallen als hier. Zwischen 2010 und 2012 hat sich die Zahl preisgebundener Woh-

nungen von 80.000 auf 40.000 halbiert. Deshalb ist es gut, dass sich vor Ort etwas tut und DIE LINKE zusammen mit Bündnissen von MieterInnen Druck macht, damit Wohnen bezahlbar bleibt. In Dresden z. B. setzt sich DIE LINKE für die Schaffung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft ein. Ein Bündnis für bezahlbares Wohnen soll dort mit der Ratsmehrheit von LINKEN, SPD und Grünen noch in diesem Jahr umgesetzt werden. Für LINKE ist klar: Gutes, innenstadtnahes Wohnen darf kein Privileg der Reichen sein. Wir setzen uns für eine echte und flächendeckende Mietpreisbremse ein Und wir brauchen eine Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus. Mindestens 150.000 neue Sozialwohnungen müssen jährlich entstehen. Caren Lay Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag veranstaltet am 15.11. eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Was bringt die Mietpreisbremse?“ in Berlin. Interessierte sind herzlich eingeladen. Weitere Informationen gibt es unter anderem auf www. caren-lay.de unter „Termine“.


Kommunal-Info 9-2014 5. November 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Flüchtlinge Rechtliche Grundlagen für die Unterbringung

Seite 2

Sicherheitsdienste Anforderungen bei Vergabe für Flüchtlingsunterkünfte Seite 3

Klimaschutzprojekte Kommunale Förderrichtlinie für 2015/2016 Seite 4

Seminare des KFS Zu den Themen „Aufsichtsräte“ und „Kommunale Sozialpolitik“ Seite 4

Sozialpolitik in der Kommune Entsprechend dem im Grundgesetz postulierten Sozialstaatsgebot ist es Aufgabe der Sozialpolitik auf kommunaler Ebene, insbesondere die Lebenslage benachteiligter Gruppen zu verbessern, durch eine Angleichung der Lebenschancen und Existenzbedingungen. Da die Bereitstellung sozialer Dienste und Leistungen primär durch soziale Einrichtungen auf örtlicher Ebene erfolgt, kommt der kommunalen Sozialpolitik ein besonderer Stellenwert zu.

Ein Rückblick

Am Anfang war es die Armenpflege oder Armenfürsorge, die ganz in der Zuständigkeit der Kommunen und privater Wohltätigkeitsorganisationen stand. Mit der preußischen Städteordnung von 1808 und sinngleicher Gesetze in den anderen deutschen Ländern wurde die Verpflichtung, für die „Ernährung der verarmten Mitglieder und Einwohner sorgen“, ganz in die kommunale Selbstverwaltung abgeschoben. Wie die gemeindliche Pflicht zur Armenfürsorge zu erfüllen sei, wurde jedoch kaum durch weitere staatliche Vorgaben untersetzt. Obligatorisch war lediglich die Einrichtung von „Armendeputationen“, einer Art Beiräte, die sich speziell damit befassten. Eine weitere gesetzliche Grundlage gab es für die Kommunen mit dem preußischen Armenpflegegesetz vom 31. Dez. 1842, das am selben Tag mit der allgemeinen Niederlassungsfreiheit eingeführt wurde und zum Ausgleich der Armenlasten diente. Bis dahin hatte das „Heimatprinzip“ geherrscht, wonach zur Unterstützung eines Verarmten diejenige Gemeinde verpflichtet war, in der ein Verarmter geboren worden war. Im Verarmungsfall war der Betreffende dorthin „zu-

rückzuschaffen“. In den 1860er Jahren kam es zu einer weiteren Ausweitung und Differenzierung kommunaler Sozialpolitik: „Die Städte verstanden die althergebrachte Armenpflege nunmehr als Universalfürsorge, neben der sie – je nach örtlichen Problemen und Reformpotenzialen – ergänzende Gesundheits-, Jugend-, Wohnungs-, Erwerbslosenfürsorge und Arbeitsvermittlung etablierten. Die nun aufgebauten Einrichtungen und Dienste bildeten eine neuartige soziale Infrastruktur, die Angebote und Dienstleistungen offerierten, die sich erheblich von der tradierten repressiven Armenfürsorge unterschieden, und eine ungeheure Breitenwirkung entfalteten.“1 Staatliche Sozialpolitik und kommunales Handeln wurden in dem Maße erforderlich, wie mit der Industrialisierung die soziale Sicherung und Integration nicht mehr durch traditionelle Gemeinschaftsformen funktionierte. Die Abwanderung großer Teile der ländlichen Bevölkerung von der dörflichen Gemeinschaft in die Städte als abhängige Lohnarbeiter bargen bei Wirtschaftskrisen die Gefahr massenhafter Verelendung, die von der traditionellen Armenfürsorge der rasch wachsenden Städte (Urbanisierung) nicht aufgefangen werden konnte. Mit der Einführung der Bismarckschen Sozialreformen in den 1880er Jahren erfuhr die kommunale Fürsorge erhebliche finanzielle Entlastungen.

Weimarer Republik

In der Weimarer Republik ab 1918 vollzogen sich gravierende Veränderungen für die kommunale Selbstverwaltung und für die Sozialpolitik. Als sich der Reichstag angesichts gravierender Versorgungsengpässe

infolge der Hyperinflation Ende 1922 erstmals entschied, finanzielle Mittel zugunsten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege auszuschütten, nutzte das Reichsarbeitsministerium 2 diese Möglichkeit, um in erster Linie die bestehenden christlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Innere Mission zu fördern. Deren Spitzenverbände entwickelten sich zu Verteilungsinstanzen öffentlicher Mittel und mit dauerhaft ausgestatteten Subventionen zu schlagkräftigen Lobbyorganisationen. „Ziel dieser Politik des Reichsarbeitsministeriums, zu der dann wenig später auch die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Fürsorgerecht gehörte, war es, die sozial-konservativen Milieus zu stabilisieren und die Wohlfahrtsverbände als Gegenwicht zur kommunalen Wohlfahrtspflege zu installieren, die nunmehr ja sozialdemokratischen Einflüssen zu unterliegen schien.“3 Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wurde 1922 die Verantwortung für das gedeihliche Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen geregelt und 1924 kam es zu einer reichseinheitlichen Regelung der gemeindlichen Armenpflege. Bis zur Einführung einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung 1927 war die Hilfe für Arbeitslose eine kommunale Aufgabe. Zu den Ergebnissen der Weimarer Republik gehört, dass durch den prägenden Einfluss der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik, gelegentlich als „Munizipalsozialismus“ bezeichnet, innerhalb der Fürsorgebereiche sich weitere Entwicklungen vollzogen und die Kommunen auch weit über den engeren Bereich der Fürsorge hinaus Maßnahmen der Sozialpolitik und Daseinsvorsorge auf den Weg brachten und z.B. Badeanstalten, Schwimmbä-

der, Spielplätze, Volksbibliotheken und Volkshochschulen einrichteten.

Bundesrepublik

Der gesetzliche Rahmen für sozialpolitisches Handeln wird heute in der Bundesrepublik durch das Sozialgesetzbuch (SGB) vorgegeben. Für die kommunale Ebene sind hierbei insbesondere folgende Teile von Bedeutung:  SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende (HARTZ IV),  SGB III Arbeitsförderung,  SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe,  SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen,  SGB XII Sozialhilfe. Für die Anwendung dieser Bundesgesetze gilt weiterhin das Sächsische Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB). Danach werden als kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und als örtliche Träger der Sozialhilfe die Landkreise und Kreisfreien Städte bestimmt.

Das Kommunale

Lange Zeit wurde bestritten, dass es eine eigenständige kommunale Sozialpolitik gäbe, da eigenständige sozialpolitische Konzepte auf kommunaler Ebene kaum existierten und die kommunale sozialpolitische Praxis sich bloß darauf beschränkte, die vorgegebenen Gesetze zu vollziehen. In den letzten Jahren sei jedoch den Trägern der kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen der sozialstaatlichen Neuordnung die strategische Aufgabe zugewachsen, nicht länger nur Vollzugsorgan staatlicher Sozialpolitik zu sein. Sondern zunehmend wird von den Kommunen auch die Erfüllung Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 9/2014

Seite 2

Thema: Flüchtlinge unterbringen Rechtliche Grundlagen zur kommunalen Unterbringung geflüchteter Menschen in Sachsen

Die rechtlichen Grundlagen zur Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden liegen im Asylverfahrensgesetz des Bundes. Die Länder sind verpflichtet, Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu betreiben.1 Die Verteilung auf die Länder wird über den „Königssteiner Schlüssel“ geregelt.2 Weiterhin müssen die Länder die Anschlussunterbringung gewährleisten.3 nachdem die maximale Verweildauer in den Aufnahmeeinrichtungen von 3 Monaten verstrichen ist.4 Im Ge-

gensatz zu anderen Bundesländern, leitet der Freistaat Sachsen aus §53 Abs. 1 S. 1 eine „Vorhaltepflicht“ für Gemeinschaftsunterkünfte ab. Per „Schlüssel“ entfallen auf Sachsen aktuell 5,17% der bundesweiten Asylantragssteller_innen. Deren Aufnahme und Unterbringung ist präzisiert im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz. Das Staatsministerium des Innern ist demnach die oberste Unterbringungsbehörde.5 Die Landesdirektion Sachsen verteilt die Asylsuchenden

nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung auf die Landkreise und kreisfreien Städte.6 Diese sind für die Schaffung und den Betrieb der Unterbringungseinrichtungen zuständig.7 Hierbei haben die Gemeinden mitzuwirken8 sowie die Verpflichtung, die unterzubringenden Menschen aufzunehmen.9 Über das Wirken von Bundes- und Landesgesetzen, obliegt den Kommunen die tatsächliche Unterbringung als Pflichtaufgabe nach Weisung. Die Kostenerstattung erfolgt gemäß

Fortsetzung

weisen sie als ein eigenständiges kommunales Politikgebiet aus.

Quartieren zum selbstbestimmten Leben und sehen sich auch in dieser Rolle und Verantwortung. Die freien Träger seien eben nicht nur Anbieter sozialer Dienstleistungen, denn sie erbringen auch einen qualitativen Mehrwert für das Gemeinwesen, für die Kommune.5

Sozialpolitik ... gestalterischer Aufgaben erwartet, sie sollen den lokalen Sozialstaat eigenverantwortlicher als bislang gestalten. Die Aufwertung der kommunalen Ebene wird allerdings unterschiedlich und als zweischneidig bewertet. Indem damit das Ziel verfolgt werde, zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Kräfte stärker für das sozialpolitische Engagement heranzuziehen, bestehe die Gefahr, dass der Staat sich in dem Maße aus seiner sozialpolitischen Verantwortung zurückziehe.4 Kommunale Sozialpolitik bestand nie nur daraus, bestimmte  Auftragsangelegenheiten (z.B. im Bereich der Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern) oder  Weisungsaufgaben (z.B. die Organisation von HARTZ IV) zu erfüllen. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung wurden stets  Pflichtaufgaben erledigt (z.B. die Bereitstellung von sozialen Diensten im Rahmen des Sozialhilferechts sowie der Kinder- und Jugendhilfe) als auch  freiwillige Aufgaben übernommen (z.B. in der offenen Jugendarbeit wie in Teilen der offenen Altenhilfe oder die Einrichtung von Beratungsstellen, Sozialpassregelungen). Insofern ließ sich kommunale Sozialpolitik nie auf einen bloßen Vollzug staatlicher Sozialpolitik reduzieren. Die im Rahmen kommunalen Selbstverwaltung zugeordneten Aufgaben

Freie Träger

Eine Vielzahl sowohl pflichtiger als auch freiwilliger sozialer Leistungen wird von freien Trägern der Wohlfahrtsverbände erbracht (wie z.B. AWO, Volkssolidarität, Caritas, Diakonie). Wohlfahrtsverbände, Kirchen und sonstige Leistungserbringer treten als Träger eigener sozialer Dienste auf, da die Sozialverwaltungen die Durchführung dieser Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip delegieren. Die Kommunen haben dabei eine gesetzlich festgeschriebene Infrastrukturverantwortung, die in der Regel durch Planungs- und Fördermaßnahmen wahrgenommen wird. Im Bereich der Jugendhilfe obliegt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. In letzter Zeit haben sich verschiedene Stimmen zu Wort gemeldet, die die Strukturen des Sozialstaats in Frage stellen. Die einen wollen, dass die Sozialverwaltungen soziale Angebote vollständig selbst machen, was unter dem Stichwort Re-Kommunalisierung häufig auf Kosten oder zu Lasten der Freien Träger erfolge. Andere wollen unter dem Postulat einer höheren Effizienz weitere Privatisierungsprozesse im sozialen Bereich vorantreiben. Beide Optionen seien falsch. Die Freien Verbände seien mit ihren Angeboten ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Netzes. Sie sind natürliche Partner der Kommunen zur Schaffung von

Herausforderungen

Sozialpolitisches Agieren auf kommunaler Ebene besteht vielfach daraus, auf entstandene soziale Notlagen zu reagieren. Eine nicht nur reagierende, vorausschauende und vorbeugende Sozialpolitik wäre erforderlich, um nicht von künftigen Entwicklungen überrollt zu werden. Da dies aber hauptsächlich eine freiwillige Angelegenheit der Kommunen ist, bestehen angesichts einer unzureichenden Finanzausstattung nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Die weitere Bevölkerungsentwicklung wird zu erheblichen Auswirkungen in den Kommunen auf sozialem Gebiet führen. Erforderlich ist deshalb eine detaillierte Sozialraumanalyse unter besonderer Beachtung des demografischen Wandels sowie zur Realisierung der Charta der Rechte hilfs- und pflegebedürftiger Menschen. Mit Blick auf die Zukunft ist die den Bedarf deckende Anzahl von Kinder-, Jugend-, Gesundheits-, Sozial- und Pflegeeinrichtungen zu ermitteln. Die Kommunale Sozialpolitik gehört zum Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie muss sich neuen Herausforderungen stellen, die sich aus den konkreten Lebenslagen der Bevölkerung ergeben: der anhaltenden Langzeitarbeitslosigkeit, der Kinderarmut,

Konnexitätsprinzip als Mix von Pauschale und Spitzabrechnung. Derzeit erstattet das Land 6000/Person und Jahr,10 nach Medienberichten sollen es künftig 7600/Person und Jahr sein. Kosten für Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft, Geburt über 7669,38 werden auf Nachweis abgerechnet. Verbindliche Regelungen hinsichtlich der Form der Unterbringung gibt es nicht. Die VwV Unterbringung und soziale Betreuung wie auch das im Februar 2014 vom SMI vorgestellte Unterbringungs- und Kommunikationskonzept formulieren lediglich Empfehlungen für Mindestanforderungen ohne Gesetzescharakter. Hierüber ergibt sich für die kommunalen Mandatsträger_innen Spielraum, die Art und Weise der Unterbringung menschenwürdig zu gestalten. KONRAD HEINZE, CHEMNITZ 1

§44 AsylVfG §45 AsylVfG 3 §53 AsylVfG 4 §47. Abs. 1 AsylVfG 5 §2 Abs. 1 Nr. 1 SächsFlüAG 6 §6 Abs. 3 S. 1 SächsFlüAG 7 §3 Abs. 2 SächsFlüAG 8 §3 Abs. 3 SächsFlüAG 9 §6 Abs. 4 SächsFlüAG 10 §10 Abs. 1 SächsFlüAg 2

der zunehmenden Altersarmut und den Defiziten in der Migrations- und Integrationspolitik.6 AG 1

Handbuch Kommunale Sozialpolitik, Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 28. 2 Das Reichsarbeitsministerium leitete von 1920-28 der Zentrumpolitiker Heinrich Brauns mit einem Mitarbeiterstab, der ebenfalls dem Verbandskatholizismus verbunden war. 3 Handbuch Kommunale Sozialpolitik, Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 33. 4 Vgl. ebenda, S. 12ff. 5 Vgl. Kommunale Sozialpolitik. Handlungsfelder für local governance (Konfernzbericht), AWO-Bundesverband 2013, S. 7. 6 Vgl. Kommunalpolitische Leitlinien der LINKEN Sachsen, November 2013.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 9-2014 5. November 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Flüchtlinge Rechtliche Grundlagen für die Unterbringung

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Sicherheitsdienste Anforderungen bei Vergabe für Flüchtlingsunterkünfte Seite 3

Klimaschutzprojekte Kommunale Förderrichtlinie für 2015/2016 Seite 4

Seminare des KFS Zu den Themen „Aufsichtsräte“ und „Kommunale Sozialpolitik“ Seite 4

Sozialpolitik in der Kommune Entsprechend dem im Grundgesetz postulierten Sozialstaatsgebot ist es Aufgabe der Sozialpolitik auf kommunaler Ebene, insbesondere die Lebenslage benachteiligter Gruppen zu verbessern, durch eine Angleichung der Lebenschancen und Existenzbedingungen. Da die Bereitstellung sozialer Dienste und Leistungen primär durch soziale Einrichtungen auf örtlicher Ebene erfolgt, kommt der kommunalen Sozialpolitik ein besonderer Stellenwert zu.

Ein Rückblick

Am Anfang war es die Armenpflege oder Armenfürsorge, die ganz in der Zuständigkeit der Kommunen und privater Wohltätigkeitsorganisationen stand. Mit der preußischen Städteordnung von 1808 und sinngleicher Gesetze in den anderen deutschen Ländern wurde die Verpflichtung, für die „Ernährung der verarmten Mitglieder und Einwohner sorgen“, ganz in die kommunale Selbstverwaltung abgeschoben. Wie die gemeindliche Pflicht zur Armenfürsorge zu erfüllen sei, wurde jedoch kaum durch weitere staatliche Vorgaben untersetzt. Obligatorisch war lediglich die Einrichtung von „Armendeputationen“, einer Art Beiräte, die sich speziell damit befassten. Eine weitere gesetzliche Grundlage gab es für die Kommunen mit dem preußischen Armenpflegegesetz vom 31. Dez. 1842, das am selben Tag mit der allgemeinen Niederlassungsfreiheit eingeführt wurde und zum Ausgleich der Armenlasten diente. Bis dahin hatte das „Heimatprinzip“ geherrscht, wonach zur Unterstützung eines Verarmten diejenige Gemeinde verpflichtet war, in der ein Verarmter geboren worden war. Im Verarmungsfall war der Betreffende dorthin „zu-

rückzuschaffen“. In den 1860er Jahren kam es zu einer weiteren Ausweitung und Differenzierung kommunaler Sozialpolitik: „Die Städte verstanden die althergebrachte Armenpflege nunmehr als Universalfürsorge, neben der sie – je nach örtlichen Problemen und Reformpotenzialen – ergänzende Gesundheits-, Jugend-, Wohnungs-, Erwerbslosenfürsorge und Arbeitsvermittlung etablierten. Die nun aufgebauten Einrichtungen und Dienste bildeten eine neuartige soziale Infrastruktur, die Angebote und Dienstleistungen offerierten, die sich erheblich von der tradierten repressiven Armenfürsorge unterschieden, und eine ungeheure Breitenwirkung entfalteten.“1 Staatliche Sozialpolitik und kommunales Handeln wurden in dem Maße erforderlich, wie mit der Industrialisierung die soziale Sicherung und Integration nicht mehr durch traditionelle Gemeinschaftsformen funktionierte. Die Abwanderung großer Teile der ländlichen Bevölkerung von der dörflichen Gemeinschaft in die Städte als abhängige Lohnarbeiter bargen bei Wirtschaftskrisen die Gefahr massenhafter Verelendung, die von der traditionellen Armenfürsorge der rasch wachsenden Städte (Urbanisierung) nicht aufgefangen werden konnte. Mit der Einführung der Bismarckschen Sozialreformen in den 1880er Jahren erfuhr die kommunale Fürsorge erhebliche finanzielle Entlastungen.

Weimarer Republik

In der Weimarer Republik ab 1918 vollzogen sich gravierende Veränderungen für die kommunale Selbstverwaltung und für die Sozialpolitik. Als sich der Reichstag angesichts gravierender Versorgungsengpässe

infolge der Hyperinflation Ende 1922 erstmals entschied, finanzielle Mittel zugunsten der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege auszuschütten, nutzte das Reichsarbeitsministerium 2 diese Möglichkeit, um in erster Linie die bestehenden christlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Innere Mission zu fördern. Deren Spitzenverbände entwickelten sich zu Verteilungsinstanzen öffentlicher Mittel und mit dauerhaft ausgestatteten Subventionen zu schlagkräftigen Lobbyorganisationen. „Ziel dieser Politik des Reichsarbeitsministeriums, zu der dann wenig später auch die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Fürsorgerecht gehörte, war es, die sozial-konservativen Milieus zu stabilisieren und die Wohlfahrtsverbände als Gegenwicht zur kommunalen Wohlfahrtspflege zu installieren, die nunmehr ja sozialdemokratischen Einflüssen zu unterliegen schien.“3 Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wurde 1922 die Verantwortung für das gedeihliche Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen geregelt und 1924 kam es zu einer reichseinheitlichen Regelung der gemeindlichen Armenpflege. Bis zur Einführung einer gesetzlichen Arbeitslosenversicherung 1927 war die Hilfe für Arbeitslose eine kommunale Aufgabe. Zu den Ergebnissen der Weimarer Republik gehört, dass durch den prägenden Einfluss der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik, gelegentlich als „Munizipalsozialismus“ bezeichnet, innerhalb der Fürsorgebereiche sich weitere Entwicklungen vollzogen und die Kommunen auch weit über den engeren Bereich der Fürsorge hinaus Maßnahmen der Sozialpolitik und Daseinsvorsorge auf den Weg brachten und z.B. Badeanstalten, Schwimmbä-

der, Spielplätze, Volksbibliotheken und Volkshochschulen einrichteten.

Bundesrepublik

Der gesetzliche Rahmen für sozialpolitisches Handeln wird heute in der Bundesrepublik durch das Sozialgesetzbuch (SGB) vorgegeben. Für die kommunale Ebene sind hierbei insbesondere folgende Teile von Bedeutung:  SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende (HARTZ IV),  SGB III Arbeitsförderung,  SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe,  SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen,  SGB XII Sozialhilfe. Für die Anwendung dieser Bundesgesetze gilt weiterhin das Sächsische Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB). Danach werden als kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und als örtliche Träger der Sozialhilfe die Landkreise und Kreisfreien Städte bestimmt.

Das Kommunale

Lange Zeit wurde bestritten, dass es eine eigenständige kommunale Sozialpolitik gäbe, da eigenständige sozialpolitische Konzepte auf kommunaler Ebene kaum existierten und die kommunale sozialpolitische Praxis sich bloß darauf beschränkte, die vorgegebenen Gesetze zu vollziehen. In den letzten Jahren sei jedoch den Trägern der kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen der sozialstaatlichen Neuordnung die strategische Aufgabe zugewachsen, nicht länger nur Vollzugsorgan staatlicher Sozialpolitik zu sein. Sondern zunehmend wird von den Kommunen auch die Erfüllung Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 9/2014

Seite 2

Thema: Flüchtlinge unterbringen Rechtliche Grundlagen zur kommunalen Unterbringung geflüchteter Menschen in Sachsen

Die rechtlichen Grundlagen zur Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden liegen im Asylverfahrensgesetz des Bundes. Die Länder sind verpflichtet, Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende zu betreiben.1 Die Verteilung auf die Länder wird über den „Königssteiner Schlüssel“ geregelt.2 Weiterhin müssen die Länder die Anschlussunterbringung gewährleisten.3 nachdem die maximale Verweildauer in den Aufnahmeeinrichtungen von 3 Monaten verstrichen ist.4 Im Ge-

gensatz zu anderen Bundesländern, leitet der Freistaat Sachsen aus §53 Abs. 1 S. 1 eine „Vorhaltepflicht“ für Gemeinschaftsunterkünfte ab. Per „Schlüssel“ entfallen auf Sachsen aktuell 5,17% der bundesweiten Asylantragssteller_innen. Deren Aufnahme und Unterbringung ist präzisiert im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz. Das Staatsministerium des Innern ist demnach die oberste Unterbringungsbehörde.5 Die Landesdirektion Sachsen verteilt die Asylsuchenden

nach dem Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung auf die Landkreise und kreisfreien Städte.6 Diese sind für die Schaffung und den Betrieb der Unterbringungseinrichtungen zuständig.7 Hierbei haben die Gemeinden mitzuwirken8 sowie die Verpflichtung, die unterzubringenden Menschen aufzunehmen.9 Über das Wirken von Bundes- und Landesgesetzen, obliegt den Kommunen die tatsächliche Unterbringung als Pflichtaufgabe nach Weisung. Die Kostenerstattung erfolgt gemäß

Fortsetzung

weisen sie als ein eigenständiges kommunales Politikgebiet aus.

Quartieren zum selbstbestimmten Leben und sehen sich auch in dieser Rolle und Verantwortung. Die freien Träger seien eben nicht nur Anbieter sozialer Dienstleistungen, denn sie erbringen auch einen qualitativen Mehrwert für das Gemeinwesen, für die Kommune.5

Sozialpolitik ... gestalterischer Aufgaben erwartet, sie sollen den lokalen Sozialstaat eigenverantwortlicher als bislang gestalten. Die Aufwertung der kommunalen Ebene wird allerdings unterschiedlich und als zweischneidig bewertet. Indem damit das Ziel verfolgt werde, zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Kräfte stärker für das sozialpolitische Engagement heranzuziehen, bestehe die Gefahr, dass der Staat sich in dem Maße aus seiner sozialpolitischen Verantwortung zurückziehe.4 Kommunale Sozialpolitik bestand nie nur daraus, bestimmte  Auftragsangelegenheiten (z.B. im Bereich der Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern) oder  Weisungsaufgaben (z.B. die Organisation von HARTZ IV) zu erfüllen. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung wurden stets  Pflichtaufgaben erledigt (z.B. die Bereitstellung von sozialen Diensten im Rahmen des Sozialhilferechts sowie der Kinder- und Jugendhilfe) als auch  freiwillige Aufgaben übernommen (z.B. in der offenen Jugendarbeit wie in Teilen der offenen Altenhilfe oder die Einrichtung von Beratungsstellen, Sozialpassregelungen). Insofern ließ sich kommunale Sozialpolitik nie auf einen bloßen Vollzug staatlicher Sozialpolitik reduzieren. Die im Rahmen kommunalen Selbstverwaltung zugeordneten Aufgaben

Freie Träger

Eine Vielzahl sowohl pflichtiger als auch freiwilliger sozialer Leistungen wird von freien Trägern der Wohlfahrtsverbände erbracht (wie z.B. AWO, Volkssolidarität, Caritas, Diakonie). Wohlfahrtsverbände, Kirchen und sonstige Leistungserbringer treten als Träger eigener sozialer Dienste auf, da die Sozialverwaltungen die Durchführung dieser Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip delegieren. Die Kommunen haben dabei eine gesetzlich festgeschriebene Infrastrukturverantwortung, die in der Regel durch Planungs- und Fördermaßnahmen wahrgenommen wird. Im Bereich der Jugendhilfe obliegt den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. In letzter Zeit haben sich verschiedene Stimmen zu Wort gemeldet, die die Strukturen des Sozialstaats in Frage stellen. Die einen wollen, dass die Sozialverwaltungen soziale Angebote vollständig selbst machen, was unter dem Stichwort Re-Kommunalisierung häufig auf Kosten oder zu Lasten der Freien Träger erfolge. Andere wollen unter dem Postulat einer höheren Effizienz weitere Privatisierungsprozesse im sozialen Bereich vorantreiben. Beide Optionen seien falsch. Die Freien Verbände seien mit ihren Angeboten ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Netzes. Sie sind natürliche Partner der Kommunen zur Schaffung von

Herausforderungen

Sozialpolitisches Agieren auf kommunaler Ebene besteht vielfach daraus, auf entstandene soziale Notlagen zu reagieren. Eine nicht nur reagierende, vorausschauende und vorbeugende Sozialpolitik wäre erforderlich, um nicht von künftigen Entwicklungen überrollt zu werden. Da dies aber hauptsächlich eine freiwillige Angelegenheit der Kommunen ist, bestehen angesichts einer unzureichenden Finanzausstattung nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Die weitere Bevölkerungsentwicklung wird zu erheblichen Auswirkungen in den Kommunen auf sozialem Gebiet führen. Erforderlich ist deshalb eine detaillierte Sozialraumanalyse unter besonderer Beachtung des demografischen Wandels sowie zur Realisierung der Charta der Rechte hilfs- und pflegebedürftiger Menschen. Mit Blick auf die Zukunft ist die den Bedarf deckende Anzahl von Kinder-, Jugend-, Gesundheits-, Sozial- und Pflegeeinrichtungen zu ermitteln. Die Kommunale Sozialpolitik gehört zum Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie muss sich neuen Herausforderungen stellen, die sich aus den konkreten Lebenslagen der Bevölkerung ergeben: der anhaltenden Langzeitarbeitslosigkeit, der Kinderarmut,

Konnexitätsprinzip als Mix von Pauschale und Spitzabrechnung. Derzeit erstattet das Land 6000/Person und Jahr,10 nach Medienberichten sollen es künftig 7600/Person und Jahr sein. Kosten für Leistungen im Falle von Krankheit, Schwangerschaft, Geburt über 7669,38 werden auf Nachweis abgerechnet. Verbindliche Regelungen hinsichtlich der Form der Unterbringung gibt es nicht. Die VwV Unterbringung und soziale Betreuung wie auch das im Februar 2014 vom SMI vorgestellte Unterbringungs- und Kommunikationskonzept formulieren lediglich Empfehlungen für Mindestanforderungen ohne Gesetzescharakter. Hierüber ergibt sich für die kommunalen Mandatsträger_innen Spielraum, die Art und Weise der Unterbringung menschenwürdig zu gestalten. KONRAD HEINZE, CHEMNITZ 1

§44 AsylVfG §45 AsylVfG 3 §53 AsylVfG 4 §47. Abs. 1 AsylVfG 5 §2 Abs. 1 Nr. 1 SächsFlüAG 6 §6 Abs. 3 S. 1 SächsFlüAG 7 §3 Abs. 2 SächsFlüAG 8 §3 Abs. 3 SächsFlüAG 9 §6 Abs. 4 SächsFlüAG 10 §10 Abs. 1 SächsFlüAg 2

der zunehmenden Altersarmut und den Defiziten in der Migrations- und Integrationspolitik.6 AG 1

Handbuch Kommunale Sozialpolitik, Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 28. 2 Das Reichsarbeitsministerium leitete von 1920-28 der Zentrumpolitiker Heinrich Brauns mit einem Mitarbeiterstab, der ebenfalls dem Verbandskatholizismus verbunden war. 3 Handbuch Kommunale Sozialpolitik, Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 33. 4 Vgl. ebenda, S. 12ff. 5 Vgl. Kommunale Sozialpolitik. Handlungsfelder für local governance (Konfernzbericht), AWO-Bundesverband 2013, S. 7. 6 Vgl. Kommunalpolitische Leitlinien der LINKEN Sachsen, November 2013.

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Oktober 2014

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Reparatur, nicht Innovation: „Kleiner Wurf“ Koalitionsvertrag Liebe Leserinnen und Leser, im November bekommt der Freistaat aller Voraussicht nach eine neue Regierung. Wer in den Entwurf des Koalitionsvertrages blickt, wird manches Neues entdecken. Naturgemäß dominiert allerdings die Handschrift der CDU, die sich anschickt, das 30. Jahr ihrer Herrschaft zu erreichen. Insofern steckt auch viel Altes im Fahrplan für die kommenden fünf Jahre. Gründe für die Opposition, Alternativen vorzuschlagen, wird es viele geben – zumal sich erst zeigen muss, was von mancher Absichtsbekundung übrig bleibt. Die Haushaltsverhandlungen, die wahrscheinlich im Januar beginnen, werden erstes Licht ins Dunkel bringen. Die LINKE hat indes als erste Fraktion des 6. Sächsischen Landtages bereits Anträge vorgelegt. Während diese Zeilen entstehen, ist sie auch noch die einzige. Bestimmte Probleme gehören schon jetzt auf die Agenda. Drängend ist etwa die grassierende EbolaEpidemie – wir wollen einen sofortigen Abschiebestopp in betroffene Regionen erreichen, wie es ihn in anderen Bundesländern bereits gibt. Zudem haben wir die Staatsregierung aufgefordert, den Landtag umfassend über die Personalsituation an den Schulen zum Beginn des Schuljahres 2014/2015 zu unterrichten. Und nicht nur die Geschehnisse um den „Sachsensumpf“ zeigen, dass Sachsen auch ein Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität braucht. Zu zwei weiteren Anträgen erfahren Sie in dieser Ausgabe Näheres. Unserem Auftrag als linke Oppositionsfraktion gemäß legen wir schon jetzt den Finger in die Wunde und schlagen konstruktive Lösungen vor. Das wird auch mit einer neuen alten Regierung so bleiben. Versprochen!

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Es gibt durchaus angenehmere Lektüre als politische Positionspapiere. Bei einem jedoch kamen interessierte Beobachter in den letzten Wochen nicht umhin, mindestens einen Blick hineinzuwerfen: Dem Koalitionsvertrag. Für dessen Beurteilung sind sicherlich nicht literarische Ansprüche entscheidend, sondern die praktischen Folgen, die er für das Leben im Freistaat haben könnte. Dabei kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass seine zahlreichen Ankündigungen vollständig umgesetzt werden. Bei den sogenannten „prioritären Maßnahmen“, die nicht unter dem Vorbehalt stehen, dass sie finanziert werden können, ist dies aber relativ wahrscheinlich: Dazu gehören die geringfügige Verbesserung der Betreuungsverhältnisse in der Kinderbetreuung, die Einstellung tausender Lehrer bis 2019 oder eine Vergrößerung des Polizei-Nachwuchses. Mithin ignorieren die Koalitionäre einige Fehler der Vorgängerregierungen nicht länger, was als Fortschritt gelten muss. Schwarz-Gelb hatte trotz laufender Kritik der Opposition in der Regel Hohelieder auf vermeintliche Spitzenplätze gesungen, die der Freistaat angeblich einnimmt, und Verbesserungsvorschläge ignoriert. So blieb etwa die Zukunft wichtiger Gruppen der Landesbediensteten, die hohe Altersabgänge verzeichnen – allen voran Lehrer, Polizisten, Richter – ungeklärt. Dass die Festlegungen von Schwarz-Rot ausreichen werden, um Sachsen zukunftsfest zu machen, darf aber bezweifelt werden. „Die 110 Seiten Koalitionsvertrag sind Resultat einer Verhandlungs-Fleißarbeit mit vielen schönen Ankündigungen und Prüfaufträgen. Innovation sieht anders aus. Der große Wurf für Sachsen ist dieser Koalitionsvertrag nicht“, stellte LINKE-Fraktionschef Rico Gebhardt in seiner ersten Reaktion fest. Klar ist jedenfalls: Was nicht vereinbart ist, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht umgesetzt. Deshalb ist es bemerkenswert, dass der Vertrag kein Wort zu notwendigen Modernisierungen der Verfassung enthält. Im Rahmen der Verhandlungen zur Verfassungsänderung 2013, land-

läufig unter dem Stichwort „Schuldenbremse“ diskutiert, waren sich die demokratischen Fraktionen einig gewesen, dass die Verfassung keinesfalls „fertig bearbeitet“ sei. Das Neuverschuldungsverbot, der „soziale Ausgleich“ als Haushaltsstrukturgrundsatz und weitere Regelungen galten den Beteiligten nur als „erste Runde“. Die demokratische Opposition legte damals weitere Forderungen vor, wurde von der Regierung allerdings mit dem Hinweis vertröstet, dass man darüber in der neuen Wahlperiode sprechen werde. Davon ist nun keine Rede mehr. „Die neuen Koalitionäre müssen dem Landtag und der Öffentlichkeit erklären, ob und wie sie in der 6. Wahlperiode mit dem Änderungsbedarf an der Verfassung umgehen wollen. Wenn sie sich einer weiteren Verfassungsdebatte verweigerte, würde insbesondere die CDU wortbrüchig“, kommentiert der LINKE Rechtsexperte Klaus Bartl dieses Verhalten. DIE LINKE sieht weiteren Reformbedarf. Hauptpunkt ist die Forderung, die Volksgesetzgebung zu erleichtern. Dazu müssen unter anderem die Erfolgschancen von Volksanträgen, Volksbegehren und Volksentscheiden erhöht werden, indem die geforderte Zahl an Unterstützungsunterschriften an die Bevölkerungsentwicklung angepasst,

also reduziert wird. Weitere Punkte sind unter anderem das Wahlalter 16 bei Landtagswahlen, eine „Privatisierungsbremse“ und die Einführung eines Grundrechts auf Informationsfreiheit. An manchen Stellen zeichnet sich indes sogar ab, dass Fehler der Vorgängerregierung verschärft werden könnten. Ein beredtes Beispiel ist die Hochschulpolitik. Der drohende Abbau von 1.042 Hochschulstellen bis 2020 hat in den vergangenen Jahren heftige Proteste von Studierenden und Lehrenden ausgelöst – schließlich fährt eine unterfinanzierte Wissenschaftslandschaft auf Verschleiß. Nun, so meldeten auch verschiedene Medien, könnte zumindest der Großteil dieses Abbaus abgewendet werden. Grund zum Jubeln ist das aber nicht. Erstens entfallen die bis 2016 zum Abschuss frei­ gegebenen 288 Stellen in jedem Fall. Zweitens können die Hochschulen die übrigen 754 Stellen nur behalten, wenn sie einen dreisten Handel eingehen: Sie müssen sich mit der Staatsregierung auf eine Hochschulentwicklungsplanung bis 2025 einigen und umfangreiche Vorgaben akzeptieren, wodurch die Freiheit von Wissenschaft und Forschung arg beschnitten werden könnte. Bei den Verhandlungen sitzt die Regierung am längeren Hebel, kann die Hochschulen faktisch erpressen. Denn Häuser, die sich nicht an der Vereinbarung beteiligen, müssen weiter Stellen abbauen, möglicherweise zusätzlich den Stellenabbau jener Hochschulen schultern, die sich per Zustimmung „freigekauft“ haben. Nach der Lektüre bleibt der Betrachter mindestens mit gemischten Gefühlen zurück. Ein angenehmes Lese-Erlebnis beschert ihm der Vertrag nicht. Ob dessen Folgen für den Freistaat von Vorteil sind, wird ab sofort debattiert werden.


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PARLAMENTSREPORT

Oktober 2014

Staats-Etat ohne sozialen Ausgleich wäre Verfassungsbruch Der Staatshaushalt ist für die meisten ein unbekanntes, komplexes „Wesen“. Er bildet eine eigene kleine Welt, in der sich gemeinhin nur Experten zurechtfinden. Dennoch hat er weitreichende Folgen für uns alle, denn er ist die Grundlage des Regierungshandelns. Bei stark vereinfachter Betrachtung funktioniert er zudem ebenso wie die kleinen Haushaltskassen, die wir alle kennen: unsere eigenen. Sollen Schieflagen vermieden werden, ist es wichtig, bestimmte Prinzipien zu beachten. Sparsamkeit ist eines dieser Gebote, Wirtschaftlichkeit ein anderes. Investiert werden sollte nur in sinnvolle Projekte, und in solche, die keine unverhältnismäßig hohen Folgekosten nach sich ziehen. Das ist beim Staatshaushalt nicht anders. Als der Sächsische Landtag am 10. Juli 2013 die Verfassung änderte, ist ein weiterer Grundsatz hinzugetreten. Artikel 94 legt, wie in den Verhandlungen von der LINKEN durchgesetzt, fest, dass der „soziale Ausgleich“ bei Aufstellung und Vollzug des Staatsetats gewährleistet werden muss, gleichrangig mit den Erfordernissen von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Allerdings droht nun Verfassungsbruch. Denn es ist keineswegs sicher, dass die – ebenfalls CDU-geführte – neue Staatsregierung diese Forderung umsetzt. Die Vorgaben der Verfassung müssen in den Gesetzen und Verordnungen „ausgeführt“ werden; das aber

ist bis heute nicht geschehen. So weigerten sich die damaligen Koalitionsfraktionen von CDU und FDP im Frühjahr 2014 beharrlich, den sozialen Ausgleich in die eigens zur Verfassungsanpassung geänderte Sächsische Haushaltsordnung aufzunehmen. Diese ist ein grundlegendes Regelwerk für den Etat. Der Entwurf des Doppelhaushaltes für 2015/2016 muss dem sozialen Ausgleich Rechnung tragen. Damit dies geschieht, hat die Linksfraktion vorsorglich einen Antrag ins Parlament eingebracht (Drucksache 6/61), der die Staatsregierung dazu anhält. Außerdem soll sie dem Landtag darstellen, wie sie diesen Grundsatz im Haushalt konkret berück-

sichtigt haben wird. Schließlich wirken die drastischen Kürzungen im Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich seit dem Doppelhaushalt 2009/2010 bis heute nach, und die „Schuldenbremse“ könnte für weitere Einschnitte missbraucht werden. Der Umstand, dass der Freistaat seit 2006 keine neuen Schulden mehr aufgenommen und zudem ausufernde Rücklagen gebildet hat, ist seit jeher teuer erkauft worden. Wenn der neue Etat den sozialen Ausgleich gegenüber den Grundsätzen der Sparsam- und der Wirtschaftlichkeit vernachlässigte, wäre er womöglich verfassungswidrig. Die Leipziger Verfassungsrichterinnen und -richter müssten dann

korrigierend eingreifen. Wenn es die Staatsregierung darauf ankommen lassen sollte, wäre das für den Rechtsexperten der Linksfraktion, Klaus Bartl, eine „verfassungsrechtliche Lumperei“. Die CDU-SPD-Koalition habe die Chance, „sich in dieser Frage nicht ebenso ignorant und wortbrüchig zu zeigen wie die Vorgängerregierung“. Auch Finanzpolitiker Sebastian Scheel, der die Linksfraktion gemeinsam mit Bartl in der interfraktionellen Arbeitsgruppe zur Verfassungsänderung vertreten hatte, hält die Frage des sozialen Ausgleichs für zentral: „Es bleibt weiter unser Kernanliegen, dafür zu sorgen, dass Soziales, Bildung und Kultur angesichts der ,Schuldenbremse‘ nicht noch weiter unter die Räder geraten.“ Wer Kinder hat, wird übrigens gut nachvollziehen können, dass der soziale Ausgleich auch im Kleinen, bei unseren privaten Haushaltskassen, unverzichtbar ist. Wer zum Beispiel gleichaltrige Geschwister mit unterschiedlich hohen Taschengeldern beglücken will, handelt sich womöglich Ärger ein. Letzteres gilt wiederum auch im Großen, beim Staatshaushalt: Wer die Spaltung der Gesellschaft riskiert, gerät unter Druck. Deshalb sollte die neue Regierung den Forderungen des LINKEN Antrages nachkommen. Das sollte trotz aller Komplexität jeder und jedem einleuchten, ob im Landtag, im Finanzministerium oder an jedem anderen Ort in Sachsen.

LINKE will Schutzschirm für Sanktionen-geschädigte Betriebe Seit Monaten bestimmt der Konflikt zwischen Russland und der EU, der durch die Ukraine-Krise ausgelöst wurde, die Medienlandschaft. Seit dem 1. August gilt ein Handelsembargo der EU: Bestimmte Güter – darunter etwa Öl-Fördertechnik – dürfen nur noch nach vorheriger Genehmigung nach Russland ausgeführt werden. Diese Sanktionsmaßnahmen wirken sich auch negativ auf die sächsische Wirtschaft aus. Insbesondere der Mittelstand ist betroffen. Weil russische Kunden keineswegs

nur auf sächsische Produkte zurückgreifen können, drohen selbst langfristige Wirtschaftsbeziehungen wegzubrechen. Erste Firmen mussten ihre Mitarbeiter bereits in Kurzarbeit schicken. Der Maschinenbauverband VDMA-Ost hat einen Schutzschirm für Unternehmen gefordert, die aufgrund der Sanktionen Umsatzeinbußen beklagen müssen. Die Exporte aus Sachsen nach Russland gingen laut der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft (VSW) im August im Vergleich zum Vorjahres-

monat um 48 Prozent zurück, in der Metall- und Elektroindustrie sogar um 53 Prozent. Für den Fraktionschef der LINKEN, Rico Gebhardt, sind das „dramatische Daten“, die gleichzeitig die sächsische Staatsregierung zum Handeln nötigen. „Da die Bundesregierung diese Sanktionen abgenickt hat, ist die Bundespolitik auch in der Verantwortung gegenüber sächsischen Unternehmen“. Die bisher bereitgestellten Hilfsinstrumente wie Kurzarbeitergeld oder HERMESBürgschaften, mit denen die Bundesregierung deutsche Unternehmen gegen Exportrisiken versichert, seien untauglich. Deshalb müsse Ministerpräsident Tillich unverzüglich den Druck auf die Bundesregierung erhöhen und aushandeln, dass staatliche Hilfen für sanktionsbetroffene Unternehmen ausgereicht werden. Diesen „Schutzschirm für von Wirtschaftssanktionen gegen Russland betroffene Unternehmen“ verlangt die LINKE auch im zweiten Antrag (Drucksache 6/62), den sie in den Landtag einbrachte.

Darin fordert sie von der Staatsregierung ein Maßnahmenkonzept mit drei Schwerpunkten. Erstens sollen die absehbaren mittelfristigen Folgen des EU-Embargos gegenüber Russland für sächsische Unternehmen analysiert werden. Zweitens soll der Ministerpräsident erklären, welche Maßnahmen er gegenüber der Bundesregierung eingeleitet hat, die auf eine Kompensationsleistung des Bundes gegenüber betroffenen Unternehmen abzielen. Drittens schließlich soll der Landtag fortlaufend darüber informiert werden, wie sich die Sanktionspolitik entwickelt und welche Folgen für die sächsische Wirtschaft sich ergeben. Wenn der Antrag im Landtag zur Abstimmung steht, können CDU und SPD beweisen, ob sie es mit ihrer angekündigten Stärkung der sächsischen Wirtschaft, insbesondere der mittelständischen, ernst meinen. Inzwischen geht es bei der Sanktions­ politik zwischen der EU und Russland allerdings längst nicht mehr um Schadensvermeidung, sondern um Schadensbegrenzung.


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„Landtags-Küken“ und „alter Hase“ blicken nach vorn Die Landtagswahl von 2014 bescherte nicht nur der CDU einen neuen Koalitionspartner, sondern dem Landtag auch viele neue Abgeordnete. Die Zahl derer, die seit 1990 dabei sind, nimmt stetig ab. 12 von 27 Mandatsträgern der Linksfraktion zogen zum ersten Mal in den Landtag ein. Junge und ältere Abgeordnete bringen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven ins Hohe Haus ein. „Parlamentsreport“ sprach mit der jüngsten Abgeordneten des Landtages, Anja Klotzbücher (19), und dem Dienstältesten der Fraktion DIE LINKE, Klaus Bartl (64), über ihren Ausblick auf die vor uns liegende Wahlperiode.

Frau Klotzbücher, Sie sind eine der „Neuen“ im Parlament und gleichzeitig die Jüngste. Wie verlief der Start bisher? Wie auch (fast) alle anderen neuen Abgeordneten lerne ich strukturelle und parlamentarische Abläufe ebenso wie die wichtigsten Ansprechpersonen erst noch kennen. Dennoch kann ich sagen, dass ich gut angekommen bin. Ich erfahre ja auch jede Menge Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen, genauso wie durch die Beschäftigten in der Fraktion. Meinen Sie, dass Sie es als „Landtags-Küken“ – wie die Morgenpost Sie jüngst nannte – schwerer haben als andere „Neulinge“, sich in die Arbeit hineinzufinden? Mit Sicherheit ist es einfacher, mit 35 oder 40 Jahren die erste Legislatur im Landtag zu bestreiten. Man hat mehr Lebenserfahrung, ein souveräneres Auftreten und vielleicht schon einige Jahre in ähnlichen strukturellen Zusammenhängen gearbeitet. Man muss sich selbst und anderen gegenüber weniger beweisen. Wenn man so jung, wie ich es bin – und dann auch noch als Frau –, in der institutionellen Politik ankommt, passiert es ab und an, dass man übersehen oder schlichtweg nicht ernst genommen wird. Und trotzdem: Jung zu sein ist auch ein Privileg. Was gibt es Besseres, als sich als Jugendliche und Fastnoch-Schülerin in Jugend- und Bildungspolitik einmischen zu können? Sie werden sich vor allem mit Europapolitik beschäftigen. Nicht zuletzt aufgrund Ihrer langjähri-

gen Tätigkeit als Schülersprecherin sind Sie aber auch nah dran an Bildungs-, Kultur- und Jugendpolitik. Wie lässt sich das alles verbinden? So wie es aussieht, wird mein thematischer Schwerpunkt bei den europapolitischen Themen liegen. Aber das lässt sich auch mit Jugend- und Bildungspolitik prima verknüpfen. Ich hoffe, europaweite jugendpolitische Vernetzungsinitiativen unterstützen und auch dahingehende Projekte ins Leben rufen zu können. Außerdem belese ich mich gerade über Einflussmöglichkeiten, die Länder und Kommunen bei der EU-Gesetzgebung haben, und über die Subsidaritätskontrolle, die in den nächsten Jahren bezüglich aller Themenfelder einen wesentlichen Bestandteil meines Wirkens ausmachen werden. Momentan beschäftigen mich die Verhandlungen um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, deren Auswirkungen auch Sachsen stark betreffen würden. Vor einem Jahr haben Sie ein Studium aufgenommen und sich an der TU Dresden für die Fächer Geschichte und Soziologie eingeschrieben. Wie können sich beide Arbeitsfelder – Plenar- und Hörsaal – ergänzen? Das muss sich zeigen. Momentan mache ich ein Urlaubssemester, um mich mit voller Kraft in die Landtagsarbeit zu stürzen. Wenn dahingehend ein wenig Alltag eingekehrt ist, werde ich auf jeden Fall wieder das Studium aufnehmen. Ich möchte während der nächsten fünf Jahre mindestens meinen Bachelor abschließen. Wie verstehen Sie grundsätzlich Ihre Aufgabe als Oppositionspolitikerin, auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Fraktionen? Ich sehe die Opposition und speziell die Fraktion DIE LINKE als parlamentarische Kontrolle der Regierung und der Koalitionsfraktionen. Außerdem als Impulsgeber für neue und weitreichendere politische Ansätze als jene, die vor allem die CDU bisher verfolgte. Das hat Sachsen ja auch sehr nötig. Auch in den Fraktionen gibt es neue Abgeordnete, die etwa in Ihrem Alter sind. Halten Sie es für wünschenswert und möglich, dass man sich ungeachtet der politischen Differenzen gemeinsam in das „Abenteuer Parlamentsarbeit“ stürzt? Klar, das wäre wünschenswert. Vor allem die Interessenvertretung, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kinder- und Jugendpolitik stehen für mich über parteipolitischen Differenzen. Und doch gibt es im Sächsischen Landtag Fraktionen, mit denen ich mir ein gemeinsames politisches Vorgehen nicht vorstellen kann.

Gelten heute andere Anforderungen an Oppositionspolitik als in den ersten Wahlperioden?

Herr Bartl, Sie erleben nunmehr den sechsten Start in eine neue Wahlperiode. Was ist anders als früher? Ich hätte mir 1990 nicht träumen lassen, dass es für mich jemals einen sechsten Start geben würde. Zwar kam ich nicht ganz unbedarft daher, weil ich von April bis September 1990 als Rechtsberater der PDS-Fraktion in der „Nachwende“-Volkskammer einen ersten Eindruck vom bürgerlich verfassten Parlamentarismus bekam. In diese 6. Wahlperiode gehe ich nun als „alter Hase“. Wie der Landtag funktioniert, weiß ich wirklich. Nichtsdestotrotz bin ich nicht weniger (an) gespannt als am Anfang, entschlossen, mir alle Mühe zu geben, auf meinem Fachgebiet gegen politische Konkurrenz zu bestehen. Wo sehen Sie Schwerpunkte auf Ihrem Gebiet? Zuerst in der Einforderung notwendiger Änderungen der Landesverfassung. Unser Wahlprogramm, für dessen partielle Umsetzung wir nun – für mich nicht überraschend – erneut aus der Oppositionsrolle heraus ringen müssen, beinhaltet 14 Forderungen, darunter beispielsweise, dass die Hürden für die Volksgesetzgebung gesenkt werden. Was die Rechtspolitik angeht, so müssen in punkto Ausstattung der Justiz speziell angesichts der teils überlangen Verfahrensdauer im Straf-, Verwaltungs- und Sozialrecht Nägel mit Köpfen gemacht werden. Als besonderen Schwerpunkt sehe ich auch, den Zugang aller zu effektivem Rechtsschutz zu garantieren. Sein Recht zu bekommen, darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Besonders beunruhigt mich, dass der Teil „Innere Sicherheit und Polizei“ des Koalitionsvertrages das „Null-Toleranz-Prinzip“ voranstellt. Kriminalität lässt sich aber nicht mit viel Repression und wenig Prävention bekämpfen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Auch ist die Rede von „Maßnahmen der stationären Videoüberwachung an besonderen Brennpunkten“ und von einer „rechtssicheren Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten automatischer Kennzeichenerfassungssysteme“. Die sächsische Bevölkerung soll weder brennpunktorientiert noch „rechtssicher“ überwacht werden. Sicherheit gewinnt man nicht durch die Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten.

Es hat seinen guten Grund, dass Sachsen als eines von wenigen Ländern in der Verfassung eine Art Legaldefinition der Opposition aufgenommen hat: „Das Recht auf Bildung und Ausübung parlamentarischer Opposition ist wesentlich für die freiheitliche Demokratie“. Das reflektiert zum einen die Erfahrung, dass es einer der größten Fehler des Sozialismusmodells der DDR war, dass eine demokratische Opposition nicht gewollt und zugelassen war. Zum anderen führt dies die auch in meiner Partei anzutreffende Position ad absurdum, dass man nur aus der Regierungsverantwortung heraus gestaltend tätig werden kann. Ich halte nach wie vor sehr viel von der PDS-Losung „Veränderung beginnt mit Opposition“. Natürlich ist in der Politik nichts statisch. Ich kann heute Opposition nicht so betreiben wie 1990. Die LINKE von heute kann es schon deshalb nicht tun, weil sie Oppositionsführerin ist. Ein Anspruch, der ausgefüllt sein will. Wie hat sich die Debattenkultur im Landtag seit 1990 verändert? 1990 bis 1994 wurde die damalige Linke Liste-PDS im Parlament scharf bekämpft. Es gab Zeiten, in denen die meisten Abgeordneten den Saal verließen, wenn jemand von unserer Fraktion ans Rednerpult trat. Aber in den Gründungsjahren war der Plenarsaal grundsätzlich gut besetzt. Die Debatten verfolgt haben auch Abgeordnete, die nicht unbedingt für den jeweiligen Bereich zuständig waren, der gerade debattiert wurde. Hier ist uns viel verlorengegangen. Ansonsten nenne ich nur ein Faktum: Nach allem, was mir bekannt ist, haben die Fraktionen der LINKEN bzw. der PDS in 25 Jahren ganze zwei Anträge durchbekommen. Ansonsten wurde alles, was von ihr und oft auch von anderen Oppositionsfraktionen kam, von der Mehrheit abgelehnt. Wie verstehen Sie grundsätzlich Ihre Aufgabe als Oppositionspolitiker, auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Fraktionen? Als Oppositionspolitiker habe ich zuerst die Regierung zu kontrollieren, Lumpereien anzuprangern und zugleich die sie tragenden Fraktionen durch gescheite eigene Gesetze und Anträge zum Schwur zu zwingen. Dazu muss ich mitnichten in demonstrativer Distanz oder Feindseligkeit gegenüber Politikern anderer Fraktionen stehen. Ich habe überhaupt keine Scheu, bei bestimmten Themen auf meinem Gebiet auf den Obmann der CDU-Fraktion zuzugehen und mit ihm zu bereden, ob es einen Weg gibt, wie man ein im Bürgerinteresse wichtiges Anliegen im Konsens durchbringen kann. Wenn es dann nur realisiert werden kann, indem der Antrag mit geändertem Komma auf dem CDU-Kopfbogen eingebracht wird, stört mich das überhaupt nicht. Entscheidend ist der bewirkte Effekt.


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Rügen vom Rechnungshof für Schwarz-Gelb – bald auch für Schwarz-Rot? Wer Steuergeld verwaltet, muss sich über die Schulter schauen lassen. Diese Aufgabe übernimmt alljährlich der Sächsische Rechnungshof. Frei von Weisungen – und oppositioneller Umtriebe gänzlich unverdächtig – hat er auch 2014 das Finanzgebaren der Staatsregierung mit dem nüchternen Blick der Kassenprüfer unter die Lupe genommen. Nun übt er stellenweise harsche Kritik. Diese bezieht sich freilich auf die Arbeit der scheidenden CDU-FDP-Koalition, weist aber dennoch in die Zukunft: Fehler ausbügeln muss schließlich die neue Staatsregierung. Dabei sollte sie zunächst mit der verfehlten FDP-Lobbypolitik aufräumen. Ein anschauliches Beispiel von deren Folgen liefert, so die Rechnungsprüfer, die Förderung von Schmalspurbahnen im Freistaat. Die Staatsregierung habe keinen „detaillierten Überblick über die Kostenentwicklung der Bahnen, etwaige Risiken der Betriebsführung und deren Finanzierung“. Dabei geht es um nennenswerte Summen: Zwischen 1996 und 2012 wurden die fünf sächsischen

Schmalspurbahnen aus Bundesund Landesmitteln mit insgesamt mehr als 80 Mio. € Betriebskostenzuschüssen und fast 45 Mio. € Investitionszuschüssen unterstützt, die über die kommunalen ÖPNV-Zweckverbände ausgereicht wurden. Für den laufenden Betrieb erhalten sie jährlich 8,65 Millionen Euro aus Steuermitteln. Obwohl diese Unterstützung der Schmalspurbahnen klar zulasten des Öffentlichen Nahverkehrs geht, haben es die Koalitionäre dabei offenbar an Sorgfalt mangeln lassen. So beteiligte sich der Bund am Wiederaufbau der im 2002 durch das Hochwasser geschädigten Weißeritztalbahn, stellte dafür allerdings Bedingungen an den Freistaat. Diese sind laut Rechnungshof nicht vollständig erfüllt, weshalb Rückforderungen drohen. Zudem hat der Freistaat den Zweckverbänden schon im Januar 2013 zugesagt, welche Mittel sie ab 2015 bekommen sollen, ohne dass klar gewesen wäre, ob das dafür benötigte Bundes-Geld auch zur Verfügung stehen wird. Das Risiko müssen nun die Verkehrszweckverbände tragen. Auch die Investitionspolitik im Bereich der Krankenhäuser wird von

den Prüfern kritisch bewertet. Sie sei unzureichend: „Im Jahr 2012 standen einem Bedarf von 68,2 Mio. € Ausgaben von 40,3 Mio. € gegenüber“. Außerdem hätten weder das Sozialministerium noch die Sächsische Aufbaubank einen Überblick darüber, wie viele unverbrauchte Mittel die Krankenhäuser angespart haben. Für Susanne Schaper, die lange in einem Krankenhaus arbeitete und jetzt für DIE LINKE im Landtag sitzt, belegt dies einmal mehr: „Wer kein Konzept hat, kennt den Bedarf nicht und kann ihn nicht befriedigen. Ähnliches erleben wir zum Beispiel im Lehrerbereich seit Jahren. Das Ergebnis ist Substanzverzehr“. Bei den Krankenhausinvestitionen ist Sachsen bundesweit Schlusslicht. Im nächsten Doppelhaushalt müssen sie deshalb angehoben werden, was auch die Sächsische Krankenhausgesellschaft fordert. Große Erwartungen weckte Schwarz-Gelb einst mit einer Restrukturierung von Behörden­ standorten. Erhebliche Einsparungen seien möglich. Zumindest für die Finanzämter, deren Zahl seit Jahren reduziert wird, trifft das aber nicht zu. Der Rechnungshof merkt hierzu an, dass die Regierung „gegenüber dem Parlament die erwarteten Einsparungen zu hoch und die anfallenden Kosten zu niedrig eingeschätzt“ habe. Nur 22 % der Kostensenkungen, mit der die Standortveränderungen gerechtfertigt wurden, entstehen durch die Zusammenlegung von Ämtern. Auch bei der wohl größten landespolitischen „Baustelle“ pocht der

„Politik zum Anfassen“ im Landtag wieder mit Linksfraktion Fragen stellen, die Meinung geigen oder einfach nett plaudern – das geht am besten von Angesicht zu Angesicht. Traditionell veranstaltet der Sächsische Landtag am 3. Oktober seinen Tag der Offenen Tür – auch in diesem Jahr eine gute Gelegenheit für Bürgerinnen, Bürger und Abgeordnete, sich zu begegnen. Klar, dass die Fraktion DIE LINKE dabei nicht fehlte. Im Neubau des Landtagsgebäudes präsentierte sie sich mit einem „PolitikerSpeed-Dating“ und dem bewährten Polit-Talk mit Abgeordneten auf der Bühne. Auf Seiten der Abgeordneten waren neue und bekannte Gesichter zu entdecken: So stellten sich zum Beispiel Fraktionschef Rico Gebhardt, Horst Wehner, Sebastian Scheel, Klaus Tischendorf und Annekatrin Klepsch den Fragen der Besucher, aber auch neue Mandatsträger wie Susanne

Schaper und Lutz Richter. Die Debattenthemen reichten von der Mittelstandspolitik über die Krankenhausfinanzierung bis hin zur Bewertung des Begriffes „Unrechtsstaat“. Die musikalische Umrahmung oblag erneut dem Chemnitzer Duo „Father & Son“, das etwa mit Lie-

dern von Gerhard Gundermann und Hannes Wader für Stimmung sorgte. Dazu gab es frische BioÄpfel aus der Region, Glücksrad für Jung und Alt sowie Zuckerwatte. Die nächste Gelegenheit zum Austausch kommt, spätestens am 3. Oktober 2015!

Rechnungshof auf Korrekturen: Bis 2031 gehen zwei Drittel der heutigen Landesbediensteten – Lehrer, Polizisten, Professoren und viele andere – in den Ruhestand. Ihre Nachfolge müsste schon lange organisiert sein, ein Konzept vorliegen. Wie der Rechnungshof kritisiert, ist die Vorgängerregierung an dieser Aufgabe klar gescheitert. Die neue verspricht nun im Koalitionsvertrag eine Kommission, die „bis 2016 eine aufgabenorientierte Personalbedarfsplanung für den öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen“ erstellen soll. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein. Zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeld gehört übrigens auch, dass die Regierung das Parlament umfassend über alle Haushaltsvorgänge informiert. 13,7 % des Etats liegen schließlich in sogenannten „Extra-Haushalten“ wie Staatsbetrieben, öffentlichen Körperschaften oder Stiftungen. Deshalb muss es wieder Beteiligungsberichte zu allen Sondervermögen und Beteiligungen des Freistaates geben. „Nur in Kenntnis dieser Berichte kann das Parlament seine Funktion als Haushaltsgesetzgeber wahrnehmen“, mahnt der Finanzexperte der LINKEN, Sebastian Scheel. Es bleibt abzuwarten, ob die Koalitionäre ihre Ankündigung wahr machen und nach 2009 endlich wieder derartige Papiere vorlegen. Die neue Staatsregierung sollte die Empfehlungen des Rechnungshofes umsetzen. Sein kritischer Blick wird sich schließlich auch auf ihr Handeln richten.

Fachgespräch mit Multiplikator_innen im Bereich Gleichstellungspolitik mit Sarah Buddeberg (MdL) 28.11.2014, 17 Uhr Sächsischer Landtag Anmeldung bis 20. November unter bb-buddeberg@ linksfraktion-sachsen.de

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


Kommunal-Info 9/2014

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Thema: Flüchtlinge unterbringen Integration statt Ausgrenzung und Notunterbringung Bund und Länder müssen überforderte Kommunen unterstützen Angesichts der steigenden Anzahl an Flüchtlingen und der Unterbringungsdebatte fordert PRO ASYL einen Paradigmenwechsel bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Politik muss anerkennen, dass Flüchtlinge auch langfristig in großer Zahl kommen und auf Dauer bleiben werden. Bund und Länder müssen die Kommunen in viel stärkerem Maße unterstützen. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Containersiedlungen, Kasernen und Zelten dürfen keine Dauerlösung werden. Die Politik muss stattdessen Konzepte entwickeln, die den zügigen Auszug aus den Notund Sammelunterkünften ermöglichen und Flüchtlingen erlauben, sich selbst zu versorgen, die Sprache zu erlernen und zu arbeiten. „Statt immer wieder zu improvisieren, muss die Politik ein Aufnahme- und Integrationskonzept entwickeln und die rechtliche Ausgrenzung von Flüchtlingen beenden“, erklärt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Zu einem nachhaltigen Programm zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gehört:  Unterbringung in Wohnungen: PRO ASYL fordert, dass die Unterbringung in Wohnungen zum Ziel der Aufnahmepolitik wird. Die Lagerpflicht gehört in allen Bundesländern abgeschafft. Programme zur Unterstützung bei der Wohnungssuche müssen aufgelegt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Die Konzepte der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen mit Wohnungsquoten zwischen 85 und 92 Prozent (Stand 2012) können hier als Beispiel dienen. Länder wie Bayern und Sachsen müssen umdenken.  Ausreichende Kostenerstattungen für die Kommunen: Für viele Kom-

munen sind die Erstattungspauschalen der Bundesländer bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht kostendeckend. Dies führt zu Defiziten bei Unterbringung und Integration.  Integration vom ersten Tag an: Sprachkursanspruch und Arbeitserlaubnis. Flüchtlingen muss es ermöglicht werden, auf eigenen Füßen zu stehen, sie müssen die Sprache lernen können und dabei unterstützt werden, Arbeit zu finden. Die Integrationskurse müssen für Asylsuchende geöffnet werden. Der Bund muss die Arbeitsverbote und das Nachrangigkeitsprinzip ersatz-

Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen Im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder ist es in verschiedenen Fällen offenbar zu schweren Fehlverhalten des dort eingesetzten privaten Sicherheitspersonals gekommen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch für Städte und Gemeinden die Frage, welche Anforderungen sie im Falle der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen, etwa bei eigenen kommunalen Einrichtungen, an die jeweiligen Dienstleister sowie deren eingesetztes Personal zu stellen haben. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen zur Bewachung von Flüchtlingsunterkünften sind mit Blick auf die Eignung des jeweils eingesetzten Personals besonders hohe Anforderungen zu stellen. Ein öffentlicher Auftraggeber hat insbesondere zu prüfen, ob das für den Auftrag vorgesehene Personal des Bieters über die erforderlichen Fertigkeiten und Fachkenntnisse verfügt. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen sind

dies Nachweise des Bieters, seines Leitungspersonals und der Beschäftigten über die Befähigung und Sachkunde. Aus kommunaler Sicht ist insbesondere sicherzustellen, dass auch etwaig eingesetzte Nachunternehmen zur Ausführung der jeweiligen Bewachungsleistungen die seitens des Auftraggebers gestellten Eignungsanforderungen vollumfänglich erfüllen. Vor diesem Hintergrund hat jüngst ein Austausch zwischen dem DStGB sowie dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW) zu den Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen stattgefunden. Nach Auffassung des BDSW empfiehlt sich bei der Vergabe von Sicherheitsbeziehungsweise Bewachungsleistungen die entsprechende Anwendung der Leistungsstufe 2 gemäß Anhang Ader DIN 77200:2008-05 „Sicherheitsdienstleistungen – Anforderungen“. Im Bereich der Auftragsvergabe von Objektschutzdienstleistungen, etwa von Flüchtlingsunterkünften sowie Asylbewerberwohnheimen, können

los streichen. Das XENOS-Sonderprogramm zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollte über 2014 hinaus verlängert und deutlich ausgebaut statt zurückgefahren werden.  Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus: In Ballungszentren fehlt es generell für Menschen mit geringem Einkommen an bezahlbarem Wohnraum. Jährlich verlieren mindestens 100.000 Wohnungen ihren früheren Status als Sozialwohnungen. Die Altbestände des sozialen Wohnungsbaus wurden weitgehend privatisiert. PRO ASYL fordert ein Wohnungsbaupro-

gramm, das es Flüchtlingen und anderen Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Weiterführende Informationen sind zu finden in der Studie „Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Regelungen und Praxis der Bundesländer im Vergleich“ von Kay Wendel mit Stand vom August 2014 kann heruntergeladen werden unter: www.proasyl.de

nach Aussage des BDSW im Übrigen folgende unternehmensbezogene Eignungskriterien vom Auftraggeber verlangt werden: 1) Einsatz qualifizierten Personals; sinnvoll erscheint für das eingesetzte Personal der Nachweis der erforderlichen Sachkundeprüfung bei einer IHK. Beim Führungspersonal bzw. beim Objekt- und Wachleiterpersonal sollten qualifizierte Ausbildungen in Form der IHK-Geprüften Werkschutzfachkraft bzw. der IHK-Geprüften Schutz- und Sicherheitskraft vorliegen. 2) Im Hinblick auf das eingesetzte Personal ist ferner zu erwägen, eine verfassungsschutzmäßige Überprüfung gem. § 9 Absatz 2 BewachV vorzunehmen. 3) Spezielle Fortbildungen in Deeskalationstechniken. 4) Vorhandensein eines qualifizierten Qualitätsmanagement-Systems, tägliche, 24-Stunden dauernde ununterbrochene Besetzung der Einsatzleitung mit Führungspersonal. 5) Vorhandensein englischer Sprachkenntnisse, die eine sichere Kommunikation mit Asylbewerbern ermöglicht. 6) kurze Reaktionszeit der Einsatz-

leitung mit Führungspersonal sowie der Reserven zur Verstärkung vor Ort bzw. zur Ersatzstellung von maximal 2 Stunden. Zu Punkt 2) (§ 9 Abs. 2 BewachV) sollte es indes ausreichen, wenn der jeweilige Bieter eine entsprechende Eigenerklärung vorlegt. Der Prüfaufwand für den Auftraggeber/Kommune sollte so gering wie möglich gehalten werden. Einzelfallbezogen mag es zudem noch weitere Kriterien, wie zum Beispiel die Vorlage von Referenzen, geben, die ein Auftraggeber verlangen kann. Insoweit ist die vorstehende Aufzählung nicht abschließend.

PRO ASYL zu steigenden Flüchtlingszahlen und Unterbringungsdebatte Presseerklärung, 01.09.2014

Deutscher Städte- und Gemeindebund, 1. Oktober 2014 Quelle: www.dstgb-vis.de


Kommunal-Info 9/2014

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Förderung von Klimaschutzprojekten Was bietet die Kommunalrichtlinie 2015/2016? Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (kurz: Kommunalrichtlinie) des Bundesumweltministeriums (BMUB) bietet auch im Antragsjahr 2015 umfangreiche Fördermöglichkeiten für den kommunalen Klimaschutz. Die novellierte Richtlinie ist für zwei Jahre gültig und bietet somit mehr Planungssicherheit und Vorbereitungszeit. Das beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) angesiedelten Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz (SK:KK) informiert über Änderungen und Förderschwerpunkte der nächsten Antragsperiode. Jetzt schon Anträge für 2015 vorbereiten! Förderanträge können vom 1. Januar bis zum 31. März 2015 eingereicht werden. Die Förderschwerpunkte Klimaschutzmanagement, das Anschluss-

zung erstellen zu lassen. Um die Umsetzung der Konzepte zu unterstützen, bezuschusst die Kommunalrichtlinie die Einrichtung einer Personalstelle für das Klimaschutzmanagement. Klimaschutzmanager können auch 2015 eine ausgewählte Maßnahme – mit einem Zuschuss von bis zu 200 000 Euro – beantragen. Die für die Zuwendung vorausgesetzte Reduktion von Treibhausgasemissionen wurde auf 70 Prozent herabgesetzt. Förderfähig sind hierbei beispielsweise eine Umrüstung von Lichtsignalanlagen auf LED-Beleuchtung, Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung in Verbindung mit einer Gebäudeleittechnik oder die Umstellung des kommunalen Fuhrparks auf Elektromobilität. Ab 2015 sind im Rahmen von Energiesparmodellen in Schulen und Kindertagesstätten zusätzlich bis zu 1 000 Euro für die begleitende Öffentlichkeitsarbeit von Aktionstagen in den jeweiligen Einrichtungen förderfähig. Neben Zuschüssen für Konzeption und Umsetzung bietet die Kommunalrichtlinie auch finanzielle Unterstüt-

Seminare im Herbst 2014 Eure Rechte & Pflichten als Aufsichtsräte am 14. & 15. 11. 2014 im Hotel »Schwarzes Roß« Freiberger Straße 9 09603 Siebenlehn Freitag: 18 – 20 Uhr Sonnabend: 9 – 12 & 13 – 15 Uhr Referent: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt & parlamentarischwissenschaftlicher Berater Anmeldung bitte bis zum 10.11.2014

Grundlagen kommunaler Sozialpolitik am 29. 11. 2014 im »City Tagung«, Brühl 54 / Nikolaistraße 40 04109 Leipzig 10 – 12 Uhr: Seminar 13 – 15 Uhr: Seminar 15.30 – 16.30 Uhr: Diskussion & Abschlussrunde Referentin: Christine Pastor, ehemalige Stadträtin & sozialpolitische Sprecherin Anmeldung bitte bis zum 24.11.2014 Der Teilnahmebeitrag beträgt 10 Euro für eintätige Seminare und 20 Euro für zweitägige Seminare. Auszubildende sowie Hartz-IV- und Sozialhilfe-Empfänger zahlen einen ermäßigten Teilnahmebeitrag in Höhe von 2 Euro. Anmeldung & Nachfragen: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99, 01127 Dresden Fon: 0351 - 4 82 79 -44 / -45, Fax: 0351 - 7 95 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de

Keine Überlegenheit der Privaten

vorhaben zum Klimaschutzmanagement, die ausgewählte Maßnahme sowie ab 2015 auch Energiesparmodelle in Schulen und Kitas können ganzjährig beantragt werden. Die Kommunalrichtlinie richtet sich in erster Linie an Kommunen. Aber auch andere Institutionen wie Bildungseinrichtungen, kommunale Unternehmen oder Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sind unter bestimmten Voraussetzungen antragsberechtigt. Die Förderschwerpunkte 2015/2016 im Überblick Kommunen, die beim Klimaschutz noch am Anfang stehen, können eine Einstiegsberatung beantragen. Um möglichst vielen Kommunen einen strukturierten Einstieg in den langfristigen Klimaschutzprozess zu ermöglichen, sind auch Kommunen, die bereits ein Teilkonzept zum Thema Klimaschutz erarbeitet oder beantragt haben, für Beratungsleistungen durch fachkundige Dritte antragsberechtigt. Zudem sind die Ausgaben für begleitende Öffentlichkeitsarbeit förderfähig. Die Erstellung von umfassenden Klimaschutzkonzepten und thematisch fokussierten Teilkonzepten bildet auch im Jahr 2015 das Kernstück der Kommunalrichtlinie. Kommunale Unternehmen haben 2015 erstmalig die Möglichkeit, Klimaschutzteilkonzepte für die Bereiche Green-IT, Erneuerbare Energien und integrierte Wärmenut-

zung für investive Maßnahmen. Die Sanierung und Nachrüstung von Lüftungsanlagen, der Einbau hocheffizienter LED-Beleuchtungs-, Steuer- und Regelungstechnik bei der Sanierung von Innen- und Hallenbeleuchtungen sowie die Förderung von Klimaschutzmaßnahmen bei stillgelegten Siedlungsabfalldeponien sind weiterhin förderfähig. Im Bereich der nachhaltigen Mobilität stehen die Verbesserung des Radverkehrs sowie die Verknüpfung umweltfreundlicher Mobilitätsformen im Fokus der Förderung. Hierzu zählen die Einrichtung von Beschilderungssystemen für Fahrradwege, das Errichten verkehrsmittelübergreifender Mobilitätsstationen und Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur. Beratung und weiterführende Informationen Fragen rund um die Kommunalrichtlinie beantwortet das SK:KK. Um möglichst viele Interessierte über die Kommunalrichtlinie zu informieren und für den Klimaschutz zu aktivieren, führt das SK:KK eine bundesweite „Infotour“ durch. Informationen hierzu sowie Veranstaltungstipps und Projektbeispiele befinden sich auf der Internetseite des SK:KK: www.klimaschutz.de/kommunen Quelle: Difu-Berichte 3/2014

Mythen statt Fakten? Öffentliche Dienstleister kritisieren Gutachten der Monopolkommission Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen (BVÖD) hat sich ablehnend zu den ökonomisch-theoretischen und empirischen Grundlagen geäußert, die die Monopolkommission der Bundesregierung in ihrem insgesamt 284 Seiten umfassenden 20. Hauptgutachten für kommunale Wirtschaftstätigkeiten heranzieht. Deren ökonomische Auswirkungen sieht die Kommission kritisch und will daher der Frage nachgehen, inwieweit vor dem Hintergrund des Bestrebens von Kommunen, die eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten auszuweiten, ordnungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Anlass für die Stellungnahme des BVÖD war die Verbändeanhörung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im September in Berlin. BVÖD-Beiratsvorsitzender Professor Dr. Holger Mühlenkamp von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer sieht in dem Gutachten wichtige Theoriebausteine der Ökonomik außer Acht gelassen. Er moniert zudem, dass insgesamt verengend argumentiert werde. „Die von der Monopolkommission gefolgerte Beschränkung der Tätigkeit öffentlicher Unternehmen auf natürliche Monopole bei Marktversagen greift zu kurz, da die Monopolkommission große Teile der modernen ökonomischen Theorie zu Privatisierungsfragen außer Acht lässt“, führt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler aus. Auch hält aus Sicht von Mühlenkamp der von der Monopolkommission behauptete grundsätzliche Effizienzvorteil

privater Unternehmen gegenüber öffentlichen Unternehmen einer empirischen Prüfung nicht stand. „Es finden sich in neueren Studien keine Hinweise auf systematische Effizienzunterschiede zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft“, betont der Beiratsvorsitzende. „Von einer grundsätzlichen Überlegenheit privater Unternehmen auszugehen, basiert auf einem Mythos, nicht auf einem Fakt.“ Das Gutachten der Monopolkommission erwecke so einen durch empirische Ergebnisse nicht gedeckten Eindruck. Auch zu den sektorbezogenen Vorschlägen der Monopolkommission zur Wasserwirtschaft und zur Telekommunikationswirtschaft bezieht der Beirat in seiner Stellungnahme Position und weist insbesondere die Forderung nach einer Anreizregulierung der Wasserwirtschaft zurück. Der BVÖD bündelt in Deutschland die politischen Interessen der Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse. Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates kann im Wortlaut heruntergeladen werden: www.weka.de/ kommunalverwaltung. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) weist den erhobenen Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung durch kommunale Unternehmen als nicht nachvollziehbar zurück. Aus Gründen des Gemeinwohls nehmen kommunale Querverbundunternehmen vielmehr Wettbewerbsnachteile gegenüber der Privatwirtschaft in Kauf, die durch die Möglichkeit der steuerlichen Verrechnung nur in geringem Umfang anteilig kompensiert werden. Die Stellungnahme des VKU ist zu finden unter: www.vku.de/service-navigation/recht


Kommunal-Info 9/2014

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Thema: Flüchtlinge unterbringen Integration statt Ausgrenzung und Notunterbringung Bund und Länder müssen überforderte Kommunen unterstützen Angesichts der steigenden Anzahl an Flüchtlingen und der Unterbringungsdebatte fordert PRO ASYL einen Paradigmenwechsel bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Politik muss anerkennen, dass Flüchtlinge auch langfristig in großer Zahl kommen und auf Dauer bleiben werden. Bund und Länder müssen die Kommunen in viel stärkerem Maße unterstützen. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Containersiedlungen, Kasernen und Zelten dürfen keine Dauerlösung werden. Die Politik muss stattdessen Konzepte entwickeln, die den zügigen Auszug aus den Notund Sammelunterkünften ermöglichen und Flüchtlingen erlauben, sich selbst zu versorgen, die Sprache zu erlernen und zu arbeiten. „Statt immer wieder zu improvisieren, muss die Politik ein Aufnahme- und Integrationskonzept entwickeln und die rechtliche Ausgrenzung von Flüchtlingen beenden“, erklärt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Zu einem nachhaltigen Programm zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen gehört:  Unterbringung in Wohnungen: PRO ASYL fordert, dass die Unterbringung in Wohnungen zum Ziel der Aufnahmepolitik wird. Die Lagerpflicht gehört in allen Bundesländern abgeschafft. Programme zur Unterstützung bei der Wohnungssuche müssen aufgelegt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Die Konzepte der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen mit Wohnungsquoten zwischen 85 und 92 Prozent (Stand 2012) können hier als Beispiel dienen. Länder wie Bayern und Sachsen müssen umdenken.  Ausreichende Kostenerstattungen für die Kommunen: Für viele Kom-

munen sind die Erstattungspauschalen der Bundesländer bei der Aufnahme von Flüchtlingen nicht kostendeckend. Dies führt zu Defiziten bei Unterbringung und Integration.  Integration vom ersten Tag an: Sprachkursanspruch und Arbeitserlaubnis. Flüchtlingen muss es ermöglicht werden, auf eigenen Füßen zu stehen, sie müssen die Sprache lernen können und dabei unterstützt werden, Arbeit zu finden. Die Integrationskurse müssen für Asylsuchende geöffnet werden. Der Bund muss die Arbeitsverbote und das Nachrangigkeitsprinzip ersatz-

Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen Im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder ist es in verschiedenen Fällen offenbar zu schweren Fehlverhalten des dort eingesetzten privaten Sicherheitspersonals gekommen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch für Städte und Gemeinden die Frage, welche Anforderungen sie im Falle der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen, etwa bei eigenen kommunalen Einrichtungen, an die jeweiligen Dienstleister sowie deren eingesetztes Personal zu stellen haben. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen zur Bewachung von Flüchtlingsunterkünften sind mit Blick auf die Eignung des jeweils eingesetzten Personals besonders hohe Anforderungen zu stellen. Ein öffentlicher Auftraggeber hat insbesondere zu prüfen, ob das für den Auftrag vorgesehene Personal des Bieters über die erforderlichen Fertigkeiten und Fachkenntnisse verfügt. Bei der Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen sind

dies Nachweise des Bieters, seines Leitungspersonals und der Beschäftigten über die Befähigung und Sachkunde. Aus kommunaler Sicht ist insbesondere sicherzustellen, dass auch etwaig eingesetzte Nachunternehmen zur Ausführung der jeweiligen Bewachungsleistungen die seitens des Auftraggebers gestellten Eignungsanforderungen vollumfänglich erfüllen. Vor diesem Hintergrund hat jüngst ein Austausch zwischen dem DStGB sowie dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft e. V. (BDSW) zu den Anforderungen an die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen stattgefunden. Nach Auffassung des BDSW empfiehlt sich bei der Vergabe von Sicherheitsbeziehungsweise Bewachungsleistungen die entsprechende Anwendung der Leistungsstufe 2 gemäß Anhang Ader DIN 77200:2008-05 „Sicherheitsdienstleistungen – Anforderungen“. Im Bereich der Auftragsvergabe von Objektschutzdienstleistungen, etwa von Flüchtlingsunterkünften sowie Asylbewerberwohnheimen, können

los streichen. Das XENOS-Sonderprogramm zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollte über 2014 hinaus verlängert und deutlich ausgebaut statt zurückgefahren werden.  Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus: In Ballungszentren fehlt es generell für Menschen mit geringem Einkommen an bezahlbarem Wohnraum. Jährlich verlieren mindestens 100.000 Wohnungen ihren früheren Status als Sozialwohnungen. Die Altbestände des sozialen Wohnungsbaus wurden weitgehend privatisiert. PRO ASYL fordert ein Wohnungsbaupro-

gramm, das es Flüchtlingen und anderen Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Weiterführende Informationen sind zu finden in der Studie „Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Regelungen und Praxis der Bundesländer im Vergleich“ von Kay Wendel mit Stand vom August 2014 kann heruntergeladen werden unter: www.proasyl.de

nach Aussage des BDSW im Übrigen folgende unternehmensbezogene Eignungskriterien vom Auftraggeber verlangt werden: 1) Einsatz qualifizierten Personals; sinnvoll erscheint für das eingesetzte Personal der Nachweis der erforderlichen Sachkundeprüfung bei einer IHK. Beim Führungspersonal bzw. beim Objekt- und Wachleiterpersonal sollten qualifizierte Ausbildungen in Form der IHK-Geprüften Werkschutzfachkraft bzw. der IHK-Geprüften Schutz- und Sicherheitskraft vorliegen. 2) Im Hinblick auf das eingesetzte Personal ist ferner zu erwägen, eine verfassungsschutzmäßige Überprüfung gem. § 9 Absatz 2 BewachV vorzunehmen. 3) Spezielle Fortbildungen in Deeskalationstechniken. 4) Vorhandensein eines qualifizierten Qualitätsmanagement-Systems, tägliche, 24-Stunden dauernde ununterbrochene Besetzung der Einsatzleitung mit Führungspersonal. 5) Vorhandensein englischer Sprachkenntnisse, die eine sichere Kommunikation mit Asylbewerbern ermöglicht. 6) kurze Reaktionszeit der Einsatz-

leitung mit Führungspersonal sowie der Reserven zur Verstärkung vor Ort bzw. zur Ersatzstellung von maximal 2 Stunden. Zu Punkt 2) (§ 9 Abs. 2 BewachV) sollte es indes ausreichen, wenn der jeweilige Bieter eine entsprechende Eigenerklärung vorlegt. Der Prüfaufwand für den Auftraggeber/Kommune sollte so gering wie möglich gehalten werden. Einzelfallbezogen mag es zudem noch weitere Kriterien, wie zum Beispiel die Vorlage von Referenzen, geben, die ein Auftraggeber verlangen kann. Insoweit ist die vorstehende Aufzählung nicht abschließend.

PRO ASYL zu steigenden Flüchtlingszahlen und Unterbringungsdebatte Presseerklärung, 01.09.2014

Deutscher Städte- und Gemeindebund, 1. Oktober 2014 Quelle: www.dstgb-vis.de


Kommunal-Info 9/2014

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Förderung von Klimaschutzprojekten Was bietet die Kommunalrichtlinie 2015/2016? Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (kurz: Kommunalrichtlinie) des Bundesumweltministeriums (BMUB) bietet auch im Antragsjahr 2015 umfangreiche Fördermöglichkeiten für den kommunalen Klimaschutz. Die novellierte Richtlinie ist für zwei Jahre gültig und bietet somit mehr Planungssicherheit und Vorbereitungszeit. Das beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) angesiedelten Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz (SK:KK) informiert über Änderungen und Förderschwerpunkte der nächsten Antragsperiode. Jetzt schon Anträge für 2015 vorbereiten! Förderanträge können vom 1. Januar bis zum 31. März 2015 eingereicht werden. Die Förderschwerpunkte Klimaschutzmanagement, das Anschluss-

zung erstellen zu lassen. Um die Umsetzung der Konzepte zu unterstützen, bezuschusst die Kommunalrichtlinie die Einrichtung einer Personalstelle für das Klimaschutzmanagement. Klimaschutzmanager können auch 2015 eine ausgewählte Maßnahme – mit einem Zuschuss von bis zu 200 000 Euro – beantragen. Die für die Zuwendung vorausgesetzte Reduktion von Treibhausgasemissionen wurde auf 70 Prozent herabgesetzt. Förderfähig sind hierbei beispielsweise eine Umrüstung von Lichtsignalanlagen auf LED-Beleuchtung, Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung in Verbindung mit einer Gebäudeleittechnik oder die Umstellung des kommunalen Fuhrparks auf Elektromobilität. Ab 2015 sind im Rahmen von Energiesparmodellen in Schulen und Kindertagesstätten zusätzlich bis zu 1 000 Euro für die begleitende Öffentlichkeitsarbeit von Aktionstagen in den jeweiligen Einrichtungen förderfähig. Neben Zuschüssen für Konzeption und Umsetzung bietet die Kommunalrichtlinie auch finanzielle Unterstüt-

Seminare im Herbst 2014 Eure Rechte & Pflichten als Aufsichtsräte am 14. & 15. 11. 2014 im Hotel »Schwarzes Roß« Freiberger Straße 9 09603 Siebenlehn Freitag: 18 – 20 Uhr Sonnabend: 9 – 12 & 13 – 15 Uhr Referent: Alexander Thomas, Dipl.-Verwaltungswirt & parlamentarischwissenschaftlicher Berater Anmeldung bitte bis zum 10.11.2014

Grundlagen kommunaler Sozialpolitik am 29. 11. 2014 im »City Tagung«, Brühl 54 / Nikolaistraße 40 04109 Leipzig 10 – 12 Uhr: Seminar 13 – 15 Uhr: Seminar 15.30 – 16.30 Uhr: Diskussion & Abschlussrunde Referentin: Christine Pastor, ehemalige Stadträtin & sozialpolitische Sprecherin Anmeldung bitte bis zum 24.11.2014 Der Teilnahmebeitrag beträgt 10 Euro für eintätige Seminare und 20 Euro für zweitägige Seminare. Auszubildende sowie Hartz-IV- und Sozialhilfe-Empfänger zahlen einen ermäßigten Teilnahmebeitrag in Höhe von 2 Euro. Anmeldung & Nachfragen: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99, 01127 Dresden Fon: 0351 - 4 82 79 -44 / -45, Fax: 0351 - 7 95 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de

Keine Überlegenheit der Privaten

vorhaben zum Klimaschutzmanagement, die ausgewählte Maßnahme sowie ab 2015 auch Energiesparmodelle in Schulen und Kitas können ganzjährig beantragt werden. Die Kommunalrichtlinie richtet sich in erster Linie an Kommunen. Aber auch andere Institutionen wie Bildungseinrichtungen, kommunale Unternehmen oder Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sind unter bestimmten Voraussetzungen antragsberechtigt. Die Förderschwerpunkte 2015/2016 im Überblick Kommunen, die beim Klimaschutz noch am Anfang stehen, können eine Einstiegsberatung beantragen. Um möglichst vielen Kommunen einen strukturierten Einstieg in den langfristigen Klimaschutzprozess zu ermöglichen, sind auch Kommunen, die bereits ein Teilkonzept zum Thema Klimaschutz erarbeitet oder beantragt haben, für Beratungsleistungen durch fachkundige Dritte antragsberechtigt. Zudem sind die Ausgaben für begleitende Öffentlichkeitsarbeit förderfähig. Die Erstellung von umfassenden Klimaschutzkonzepten und thematisch fokussierten Teilkonzepten bildet auch im Jahr 2015 das Kernstück der Kommunalrichtlinie. Kommunale Unternehmen haben 2015 erstmalig die Möglichkeit, Klimaschutzteilkonzepte für die Bereiche Green-IT, Erneuerbare Energien und integrierte Wärmenut-

zung für investive Maßnahmen. Die Sanierung und Nachrüstung von Lüftungsanlagen, der Einbau hocheffizienter LED-Beleuchtungs-, Steuer- und Regelungstechnik bei der Sanierung von Innen- und Hallenbeleuchtungen sowie die Förderung von Klimaschutzmaßnahmen bei stillgelegten Siedlungsabfalldeponien sind weiterhin förderfähig. Im Bereich der nachhaltigen Mobilität stehen die Verbesserung des Radverkehrs sowie die Verknüpfung umweltfreundlicher Mobilitätsformen im Fokus der Förderung. Hierzu zählen die Einrichtung von Beschilderungssystemen für Fahrradwege, das Errichten verkehrsmittelübergreifender Mobilitätsstationen und Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur. Beratung und weiterführende Informationen Fragen rund um die Kommunalrichtlinie beantwortet das SK:KK. Um möglichst viele Interessierte über die Kommunalrichtlinie zu informieren und für den Klimaschutz zu aktivieren, führt das SK:KK eine bundesweite „Infotour“ durch. Informationen hierzu sowie Veranstaltungstipps und Projektbeispiele befinden sich auf der Internetseite des SK:KK: www.klimaschutz.de/kommunen Quelle: Difu-Berichte 3/2014

Mythen statt Fakten? Öffentliche Dienstleister kritisieren Gutachten der Monopolkommission Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesverbandes Öffentliche Dienstleistungen (BVÖD) hat sich ablehnend zu den ökonomisch-theoretischen und empirischen Grundlagen geäußert, die die Monopolkommission der Bundesregierung in ihrem insgesamt 284 Seiten umfassenden 20. Hauptgutachten für kommunale Wirtschaftstätigkeiten heranzieht. Deren ökonomische Auswirkungen sieht die Kommission kritisch und will daher der Frage nachgehen, inwieweit vor dem Hintergrund des Bestrebens von Kommunen, die eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten auszuweiten, ordnungspolitischer Handlungsbedarf besteht. Anlass für die Stellungnahme des BVÖD war die Verbändeanhörung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im September in Berlin. BVÖD-Beiratsvorsitzender Professor Dr. Holger Mühlenkamp von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer sieht in dem Gutachten wichtige Theoriebausteine der Ökonomik außer Acht gelassen. Er moniert zudem, dass insgesamt verengend argumentiert werde. „Die von der Monopolkommission gefolgerte Beschränkung der Tätigkeit öffentlicher Unternehmen auf natürliche Monopole bei Marktversagen greift zu kurz, da die Monopolkommission große Teile der modernen ökonomischen Theorie zu Privatisierungsfragen außer Acht lässt“, führt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler aus. Auch hält aus Sicht von Mühlenkamp der von der Monopolkommission behauptete grundsätzliche Effizienzvorteil

privater Unternehmen gegenüber öffentlichen Unternehmen einer empirischen Prüfung nicht stand. „Es finden sich in neueren Studien keine Hinweise auf systematische Effizienzunterschiede zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft“, betont der Beiratsvorsitzende. „Von einer grundsätzlichen Überlegenheit privater Unternehmen auszugehen, basiert auf einem Mythos, nicht auf einem Fakt.“ Das Gutachten der Monopolkommission erwecke so einen durch empirische Ergebnisse nicht gedeckten Eindruck. Auch zu den sektorbezogenen Vorschlägen der Monopolkommission zur Wasserwirtschaft und zur Telekommunikationswirtschaft bezieht der Beirat in seiner Stellungnahme Position und weist insbesondere die Forderung nach einer Anreizregulierung der Wasserwirtschaft zurück. Der BVÖD bündelt in Deutschland die politischen Interessen der Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse. Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates kann im Wortlaut heruntergeladen werden: www.weka.de/ kommunalverwaltung. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) weist den erhobenen Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung durch kommunale Unternehmen als nicht nachvollziehbar zurück. Aus Gründen des Gemeinwohls nehmen kommunale Querverbundunternehmen vielmehr Wettbewerbsnachteile gegenüber der Privatwirtschaft in Kauf, die durch die Möglichkeit der steuerlichen Verrechnung nur in geringem Umfang anteilig kompensiert werden. Die Stellungnahme des VKU ist zu finden unter: www.vku.de/service-navigation/recht


11/2014  Sachsens Linke!

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„Wie mobil sind Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum“? Unter diesem Thema trafen sich am 15. September die Sprecher der AG Seniorinnen und Senioren und die Sprecherinnen und Sprecher der BAG in Plauen. Grundlage war die Antwort zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag (Drucksache 5/11434). Sie umfasst acht Komplexe mit insgesamt 119 Fragen. Die Antworten zeichnen sich durch Unkenntnis und Unwillen aus. Legt man den Landesentwicklungsplan des Freistaates daneben, den die Staatsregierung verabschiedet hat, klaffen Lücken, die größer gar nicht sein können – aber Papier ist ja geduldig. Die Große Anfrage insgesamt zu behandeln, ist nicht möglich. Daher befassten wir uns zunächst mit den verkehrlichen und mobilen Bedingungen der Senioren im ländlichen Raum. An unserer Beratung nahmen neben den Landtagsabgeordneten Horst Wehner und Enrico Stange auch Ron Böhme, Fachbereichsleiter Verkehrsplanung des MDV, und Torsten Müller, Geschäftsführer der Verkehrsbetriebe Vogtlandkreis, teil. Beide Referate sind auf unserer Homepage nachzulesen. Enrico Stange stellte acht Thesen dar. Vier Vorüberlegungen wurden vorangestellt: In Sachsen leben etwa 4,1 Mio. Menschen, davon ungefähr 1,5 Mio. in den Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz. Deren Infrastruktur lässt sich nicht auf den ländlichen Raum übertragen. Erhebliche Unterschiede zwischen Ober-, Mittelzentren und ländlichem Raum. Der Landesentwicklungsplan von 2013

konzentriert sich auf die Oberzentren. Zu den Thesen: 1. Die Linienentwicklung so gestalten, dass Bedürfnisse der Pendler bis hin zu Freizeitgestaltung berücksichtigt werden. 2. Die Erreichbarkeit der Verwaltungen muss sichergestellt werden. 3. Das jeweils nächste Grundzentrum soll in 30 Minuten, Mittelzentrum in 45 Minuten, Oberzentrum in 90 Minuten erreichbar sein. 4. Folgende Taktfrequenzen in Hauptverkehrszeiten sind notwendig: werktags 60 Minuten, am Wochenende 120 – 140 Minuten. 5. Notwendig sind barrierefreie Fahrzeuge und Bahnsteige, ebenso Auskunftssysteme, Fahrkartenautomaten; in Mittelzentren sollten Haltestellen maximal 300 Meter auseinanderliegen. 6. Die Tarifgestaltung muss den Anforderungen der einfachen Strecke entsprechen. 7. Bei einer geringeren Nutzerzahl müssen kleinere Fahrzeuge oder alternative Formen eingesetzt werden. 8. Die Mitnahmemöglichkeit für den Rollator muss zum Regelangebot werden. Kurz ging Stange auf die Finanzierung ein. Die Bundesmittel müssen durch den Freistaat direkt an die Verkehrsverbünde/ Landkreise weitergereicht werden. Der Schülerverkehr muss generell für die Eltern kostenfrei sein, denn das Schulnetz wurde vom Freistaat entwickelt und nicht von den Eltern. Horst Wehner wandte sich den Bedingungen für Mobilität zu. Nicht immer werden diese Belange so deutlich angesprochen. Wie mobil sind sie nun die Seniorinnen und Senioren im länd-

lichen Raum? Das Spektrum reicht von „sehr mobil“ bis „stark eingeschränkt“. Alt sein bedeutet nicht, unfit zu sein. Aber im Alter können sich mehr und mehr gesundheitliche Probleme einstellen, die das Laufen, das Greifen, das Hören oder das Sehen beeinträchtigen. Deswegen sollten in der Seniorenarbeit aktive Menschen auch die Schaffung der umfassenden Barrierefreiheit als ständige Aufgabe im Arbeitsplan verankert haben. Es geht sowohl um die Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum (öffentliche Gebäude wie Behörden, Kulturstädten, gastronomische und Herbergseinrichtungen, Kleingartenanlagen, Begegnungsstätten, aber auch Verkehrsmittel und Verkehrsanlagen) als auch im mittelbaren und unmittelbaren Wohnumfeld. Im Freistaat Sachsen ist ein Viertel der Bevölkerung älter als 60 Jahre. Jeder Dritte darunter leidet an körperlichen, geistigen, seelischen oder/und Sinnesbeeinträchtigungen. Wohnen im Alter und mit Behinderung ist ein zentrales Zukunftsthema. Die alternde Gesellschaft ist eine Gestaltungsaufgabe für jeden Einzelnen, für Bund und Länder, für Dörfer und Städte. Wohnen im Alter und mit Behinderung ist vielschichtig und erfordert komplexe Interventionen: Es umfasst unter anderem den altersgerechten Umbau der eigenen Wohnung, ein entsprechendes Wohnumfeld, Mobilität, Pflege und Dienstleistungen, Beratung einschließlich Case- und Caremanagement sowie das zentrale Thema der Teilhabe am sozialen Leben. „Halbe Sachen“ funktio-

nieren in der Regel nicht. Zu fragen ist: Will man in einer Erdgeschosswohnung leben? Ältere Menschen fühlen sich in diesem Bereich nicht immer sicher. Obere Etagen kommen nur in Betracht, wenn ein Aufzug im Wohngebäude vorhanden ist, der auch ebenerdig erreichbar ist. Das ist leider in Sachsen nicht der Regelfall. Der Wohnraum sollte so beschaffen sein, dass man sich darin sicher mit dem Rollator oder dem Rollstuhl bewegen kann. Es braucht also Fläche. Vor allem im Bad. Manche Wohnungsvermieter haben zum Beispiel den Wohnraum für ihre älteren Mieter saniert. Da wird beispielsweise anstatt einer Wanne eine bodengleiche Dusche mit Halterung und Sitzmöglichkeit eingebaut. Alltagsunterstützende Assistenzlösungen sind ebenfalls ein wichtiger Baustein des altersgerechten Wohnens zu Hause. Wie eine Wohnung beschaffen sein soll, welche Unterstützungsleistungen für die Verrichtungen des täglichen Lebens in Frage kommen können, all das sollte in der Beratungsarbeit der Seniorinnen und Senioren eine Rolle spielen. Wohnraumberatungsstellen sind hier sinnvolle Einrichtungen. Sie sollten neutral und unabhängig von irgendwelchen Leistungserbringern oder Leistungsträgern entweder in den eigenen Reihen der LAG Senioren oder in Zusammenarbeit mit im Land bestehenden Beratungsstellen von Sozial- oder Behindertenverbänden agieren. Mein Verband, der Sozialverband VdK Sachsen e.V., wird über seine im Freistaat Sachsen

bestehenden Beratungsstellen vor Ort Informationsveranstaltungen zum Wohnen im Alter zu folgenden Fragestellungen durchführen: Altersgerecht umbauen – wie kann ich in meiner vertrauten Wohnung bleiben? Welche Unterstützung gibt es zu Hause? Welche Möglichkeiten stehen mir offen, wenn ich im Alter noch einmal umziehe? In den kommenden Wochen wollen wir, die LAG, die Fakten für die Kreise auswerten. Die Themen müssen auch in unseren kommunalen Vertretungen diskutiert werden. Veränderungen wird es für uns nur geben, wenn wir konkrete Analysen vor Ort durchführen und Forderungen formulieren. Heidemarie Lüth

Gesamtmitgliederversammlung der LAG Rote Reporter 19. November 2014, 10 Uhr Liebknechthaus Leipzig, Braustraße 15 Auf der Tagesordnung stehen u. a. die Wahlen zum SprecherInnenrat, Landesrat und der Delegierten sowie Diskussion zu den anstehenden Aufgaben. Alle Mitglieder der LAG sowie Interessierte sind herzlich eingeladen. Für einen Imbiss wird gesorgt.

Postkapitalistische Ökonomie Das „Ende des Wachstums“ beschäftigt uns seit dem gleichnamigen Bericht des Club of Rome von 1992. Alternativen gibt es sowohl theoretisch wie als Lebensgemeinschaften. Gemeinwirtschaft, sozial-ökologischer Umbau, „nachhaltige Entwicklung“, Permakultur sind Stichworte alternativer Ökonomie. Die AG Offene Kirche Chemnitz hatte am 25.10.2014 eine Konferenz zum obigen Thema ausgerichtet. Hauptreferent war Bernd Winkelmann, evangelischer Theologe aus Sachsen. Wer offene Augen und einen wachen Verstand hat, kann den neoliberalen ideologischen Formeln von Wohlstand durch Wachstum, dem inflationären Geschwätz über „Nachhaltigkeit“, sogar nun „nachhaltiges Wachstum“, ohnehin nichts mehr abgewinnen. Doch wo sind die Lösungen zu suchen? Winkelmann referierte eine Bestandsanalyse über Paradoxien unseres heutigen Wirtschaftslebens: einerseits hohe Produk-

tivität, wachsender Reichtum und technologische Möglichkeiten, andererseits wieder wachsende Armut, Hunger, Ausgrenzung aus Arbeit, Verarmung der öffentlichen Hand, wieder zunehmende, ökonomisch intendierte politische und militärische Konflikte etc. Was führt zur Reproduktion dieser Paradoxien? Ursache sind das „Kapitalisierungsprinzip“ und das „Privatisierungssprinzip“. Das eine bewirkt, dass aus Geld immer mehr Geld wird, auch ohne Wertschöpfung; das andere bewirkt eine sich weiter ausdehnende privatwirtschaftliche Verfügung über jegliche Wertschöpfungsprozesse, so dass auch öffentliche und gemeinschaftliche Aufgaben Privatinteressen, also dem Kapitalisierungsprinzip, geopfert werden. Diese beiden „Leitprinzipien“ stellen in ihrer Wirkung das ursprüngliche Anliegen jeglicher wirtschaftlichen Tätigkeit auf den Kopf: Existenzsicherung und Wohlstand. Sie konkretisieren sich

in Wirkungsprinzipien der Wirtschaft: Verwertungsprinzip – alle Aktivitäten müssen zur Geldvermehrung beitragen, sonst drohen Legitimationsschwierigkeiten. Konkurrenzprinzip – Wirtschaftspotentiale bekämpfen und vernichten, um zu wachsen, verdrängen die Konkurrenz oder schalten sie aus, auch mit unlauteren Mitteln. Wohltuend bleibt der Referent bei diesem Begriff und redet eben nicht von „Wettbewerb“, der ganz andere Voraussetzungen hätte, was schon in Sport-Regeln nachvollziehbar ist. Wachstumsprinzip – dem Drang zur Gewinn- und Geldmehrung folgt der Zwang zum unternehmerischen Wachsen aus Angst eben vor dem Konkurrenzprinzip. Externalisierungsprinzip – Abschieben aller Last- und Folgekosten auf die Allgemeinheit, und das nennt man dann betriebswirtschaftliche Effizienz. Und das in Verbindung mit dem Deregulierungsprinzip – Herausdrängen des Staates und seiner Regulierungen aus „der

Wirtschaft“, so dass für sozialisierte Folgekosten kein Geld da ist. Aber auch die so verstandene „Wirtschaft“ ist nicht reproduktionsfähig, denn wesentliche Bereiche werden auf diese Art nicht erledigt, weil nicht finanziert. Und so kommt Winkelmann zu dem Schluss, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise eine „ausgesprochene Abschöpfungs-, Bereicherungs- und Ausgrenzungsökonomie zu Gunsten weniger und zu Lasten vieler“ ist. Sie ist eine Sackgasse, die keine humane, solidarische, ökologisch und gemeinschaftlich orientierte Zukunft sichern kann. Winkelmann räumt auch mit der ideologischen Schimäre von der Leistung, die sich lohne, auf: Ohne ethische Prämissen und auf nachhaltige Zukunft orientierte Ziele gibt es keine legitime Leistung, es ist vielmehr das Recht der (ökonomisch) Starken – mit einem Wort: Sozialdarwinismus. Wen wundert es, dass seine Lösung folgende Bausteine hat: 1. radikal neue Eigentumsord-

nung, 2. radikal neue Finanzordnung, 3. partizipatorische Unternehmensverfassung, 4. neue Arbeitskultur, 5. neues Leistungsentgeltsystem mit direkter Abhängigkeit der geringsten und höchsten Einkommen, 6. Ökologisierung, 7. Solidarisches Steuersystem, 8. ökosoziale Globalisierung und Regionalisierung? Die Nähe zu Positionen der LINKEN ist unverkennbar. Und wer noch Rudimente einer 150 Jahre alten ökonomischen Theorie im Kopf hat, die einst ein neues Gesellschaftsmodell begründete, kann sich mit Recht daran erinnert fühlen. Winkelmann nimmt direkt Bezug auf die Marx‘sche Lehre zur Begründung seines Ansatzes! Winkelmann ist in der wissenschaftlichen Fundierung konsequenter als jedes wirtschaftspolitische Standpunktpapier der parlamentarischen LINKEN! Winkelmann ist linke ökonomische Weiterbildung, wie sie mancher (Sommer-)Akademie der LINKEN fehlt. Ralf Becker


Sachsens Linke! 11/2014

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Jugend

„Es geht los. Und, das kann ich versprechen: Termine Ich gebe mein Bestes.“ Ich lasse den Blick schweifen. Um mich herum: Bücher, Studien, Stapel von Kleinen Anfragen und – wo habe ich noch gleich meine Kaffeetasse abgestellt? Ja, ich bin angekommen. Angekommen in einem Beruf, der mich die nächsten fünf Jahre herausfordern, prägen und wohl auch einige Male an den Rand der Erschöpfung treiben wird. Angekommen inmitten fremder und Neugier weckender Persönlichkeiten, angekommen inmitten von Erwartungen und neuen Herausforderungen, die nun alle auf mich einstürmen. Ich bin das jüngste Mitglied des 6. Sächsischen Landtages. Und momentan kann ich noch nicht sagen, ob mein Alter eher ein Privileg oder ein Stigma darstellt. Ich genieße sehr viele Freiheiten, sehr viel Verständnis und Unterstützung. Ich stelle Fragen über Fragen. Mir wird zugestanden, vieles noch nicht zu kennen und zu wissen. Ich werde nicht schief angesehen, wenn ich mich in den strukturellen Abläufen des Parlamentsalltages noch nicht immer zurechtfinde. Ich kann und werde Fehler machen, mich provokanter ausdrücken als manch andere/-r oder auch mal mit einer Laufmasche in der Strumpfhose auf den Landtagsfluren anzutreffen sein. Trotzdem ist es für mich auch eine Herausforderung, mich mit meinen 19 Jahren in den Kreisen der institutionellen Politik zu behaupten. Ich habe in den letzten Wochen ei-

ne Vielzahl von Interviews gegeben. Sei es für Zeitungen, Radios oder auch für den MDR Sachsenspiegel. An inhaltliche Fragen kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, mehr darum kämpfen zu müssen als andere, ernst genommen zu werden. Sei es, wenn ich im kollektiven Händeschütteln übersehen werde oder meine Ansicht mit einem „Ach, als ich so jung war wie du, hatte ich auch noch Ideale“ abgetan wird. Ich muss mich beweisen. Ich muss beweisen, dass ich trotz meines Alters den Erwartungen an Politiker_innen gerecht werden kann, und das s i n d nicht wenige. „ A n ja, du bist doch jetzt in der Politik. Kannst du m i r

erklären, wie sich Menschen auf ihre preußische Staatsbürgerschaft berufen können und warum sie für sich nicht das Grundgesetz sondern die preußische Verfassung von 1848 geltend machen wollen? Was für eine Position hat DIE LINKE dazu?“ ist nur eine Frage, die ich zunächst nur mit einem Schulterzucken zu beantworten wusste. Es ist vermessen zu glauben, dass Politiker und Politikerinnen zu allen Themen einen Standpunkt beziehen könnten. Natürlich bemühe ich mich, meinen Horizont stetig zu erweitern, alle Anliegen weiter zu tragen und mich nicht nur auf meine Themen und Ansichten zu versteifen. Aber für die sächsische Karpfenpopulation und die Gefahr, der die sächsische Bevölkerung durch Chemtrails ausge setzt i s t , sind ande re zuständ i g . U n d das ist auch g u t so. Ich

bin für die Themen der Jugendund Bildungspolitik angetreten und habe mich dazu bereiterklärt, in den kommenden fünf Jahren auch Fragen der Europapolitik zu bearbeiten. In diese Themenfelder stecke ich derzeit all meine Zeit und Energie, diese Bereiche werde ich mit Herz und Kopf vertreten. Und ja, das kann ich auch mit meinen 19 Jahren. Das Parlament begreift sich als ein repräsentatives Gremium. Demnach ist es nur richtig, dass auch junge Menschen mit zugegebenermaßen weniger Lebenserfahrung und einem noch nicht abgeschlossenem Studium dort stellvertretend ihre Interessen und Bedürfnisse einbringen können. Ich kenne den Schulalltag der Schülerinnen und Schüler in Sachsen und ich bin es, die tatsächliche Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen nicht aus den Augen verlieren wird. Heute grüßen mich die Menschen mit meinem Namen und einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Mit manchen bin ich schon beim „Du“, denn irgendwie ist diese Förmlichkeit manchmal auch fehl am Platz. Noch bin ich beschäftigt, mich in Beschlusslagen und aktuelle Arbeitsstände einzulesen, mir die Grundzüge des EU-Rechts anzueignen, mich auf allen Ebenen zu vernetzen und viel, zu viel Kaffee zu trinken. Aber es geht los. Und, das kann ich versprechen, ich gebe mein Bestes. Anja Klotzbücher

Was im Landtag so abgeht – oder auch nicht Knapp drei Monate ist die Landtagswahl nun her, und noch immer geht es nicht so richtig los. Stress gibt es genug, keine Frage, aber so lange die neue Regierung noch nicht in Gang gekommen ist, passiert im parlamentarischen Ablauf nur das, was man draus macht. Und das war schon eine Menge. Fraktionssitzungen, Arbeitskreistreffen, Presseanfragen, thematische Besprechungen und Podiumsdiskussionen stehen auf der persönlichen Tagesordnung. Man steht plötzlich in einer Reihe von Prozessen, in denen man geschickt agieren muss und dabei die eigenen politischen Ziele nicht verlieren darf. Als Klimaschutz-, Energieund Verkehrspolitischer Sprecher arbeite ich mich gerade in die Materie der sächsischen Verwaltungs- und Planungs-

landschaft ein. Das braucht Zeit, und es gibt da viel zu erstreiten. Es macht Spaß, ist spannend und auch belebend. Auch wenn ich schon so manche Anfeindung von verschiedenen Leuten erfahren musste. So gab es heftige Attacken von CDU’lern, weil ich mich geweigert habe, beim Abspielen und Mitsingen der Nationalhymne im Landtags plenum auf zu stehen u n d mitzu singen. Es gibt viel zu t u n . D i e C D U

ist da das eine Problem. E i n größeres die AfD. Auch wenn diese noch nicht arbeits fähig ist, zeigt sie

schon ihr hässliches Gesicht. Die erste parlamentarische Initiative war eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung über die „Aktivitäten der extremen linken/Antifa im Monat September“, womit sie in die Fußstapfen der NPD tritt. Naja, passt ja auch. Schließlich sitzt die AfD im Landtag auch auf der gleichen Seite, auf der die NPD saß (auch wenn sie gerne in der Reihe der FDP sitzen wollte). Mal schauen, was uns da erwartet. Ich möchte euch jedenfalls einladen, zusammen mit mir und anderen die sächsische Politiklandschaft zu rocken. Anja und ich haben ein nettes Büro im Landtag, wo es auch eine Chill-Out Ecke mit viel Glitzer geben wird. Soweit, liebe Grüße und ein großes Dankeschön für die bisherige Unterstützung! Marco Böhme

07. bis 09. November 2014: Landesjugendtag und Landesjugendplenum in der Jugendherberge Sayda, Infos und Anmeldung unter http://www.linksjugend-sachsen.de 07. bis 08. November 2014: 3. Initiativenkonferenz „Asyl in Sachsen“ in der EHS Dresden, mehr unter www.kulturbuero-sachsen.de

08. November 2014, ab 20:00 Uhr: Ausstellungseröffnung und Vortrag „Hoyerswerda 1991 – Möglichkeiten und Grenzen linker Erinnerungspolitik“ im AZ Conni, Rudolf-Leonhard-Straße 39, Dresden, mehr unter http://pogrom91.tumblr.com 09. November 2014: sachsenweite Gedenkaktion „Mahnwache und Stolpersteine putzen“ 14. November 2014: Ausstellungseröffnung „Die verschwiegenen Toten - Opfer rechter Gewalt in Leipzig seit 1990“ im Neuen Rathaus Leipzig, Untere Wandelhalle, mehr Infos unter http://initiativkreis.blogsport. de 15. November 2014: „No Dancing With Nazis“ in Delitzsch, mehr Infos unter http://nodancingwithnazis. noblogs.org 15. bis 16. November 2014: Auftaktveranstaltung zum Frauen*kampftag 2015 in Berlin, mehr Infos unter http ://w w w.frauenkampftag2015.de 22. November 2014: „Lange Nacht der Prekarität“ in Leipzig, mehr unter http://www.linksjugend-leipzig.de 23. November 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung im Büro der linksjugend Chemnitz, Rosenplatz 4, Chemnitz 29. November 2014: Stadtjugendtag der linksjugend Chemnitz, mehr Infos unter http:// chemnitz.linksjugend-sachsen. de 05. bis 07. Dezember 2014: Herbstakademie – Seminarwochenende III in Bad Lausick, Infos und Anmeldung unter http://www.linksjugend-sachsen.de 13. Dezember 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung in der WahlFabrik, Kleiststraße 10 a, Dresden Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

11/2014  Sachsens Linke!

„Gestorben für die Hoffnung“ – Lampedusa, Oktober 2014 Als ich im Mai 2011 auf der Insel Lampedusa war, war ich da die erste Europaabgeordnete nach dem „Arabischen Frühling“. Noch im März 2011 hatte Berlusconi verboten, die Erstaufnahmelager in Lampedusa wieder zu eröffnen. Hunderte Flüchtlinge kamen in bitterkalter Nacht am italienischen Ufer an und hatten nichts. Damals waren es Leute aus Lampedusa, die zum Ufer gingen, Wasser und Decken verteilten und Flüchtlingskinder mit nach Hause nahmen, damit diese die kalte Nacht überstehen. Zwei Monate später hatte der internationale Druck von NGOs bewirkt, dass sich die italienischen Behörden um die Ankömmlinge kümmerten. Ich besuchte damals beide Lager und konnte mit Flüchtlingen reden. An dem Wochenende, als ich in Lampedusa war, kamen ca. 1.200 Menschen aus ungefähr zehn Ländern Afrikas und Asiens in Booten an. Mit großen Hoffnungen. Als wir nun vor wenigen Wochen Anfang Oktober 2014 wieder Lampedusa besuchten, fanden wir auf dem Friedhof zahlreiche Gräber von afrikanischen Flüchtlingen, die nach unserem Besuch im Meer gestorben waren. Ein Grab war mit einem Holzkreuz versehen, überschrieben mit „Gestorben für die Hoffnung“. Wir waren als Delegation der Vereinigten Linksfraktion GUENGL in Lampedusa zum Jahrestag der Katastrophe, als damals an einem eiskalten frühen Morgen 366 Menschen vor dem Kaninchenfelsen Lampedusa ertranken. Fischer sammelten die Leichen auf. Die damalige Bürgermeisterin der kleinen Mit-

telmeerinsel wandte sich an die EU, um Hilfe zu bekommen. Diese Hilfe waren ein paar Tränen von Kommissarin Malmström, die vor den Kindersärgen in Lampedusa gestanden hatte. Die Antworten auf die humanitäre Katastrophe an den EU-Außengrenzen blieben jedoch leeres Gewäsch, ein paar Kröten mehr

das Flüchtlingen auf dem Mittelmeer jemals zugutegekommen war. Statt „Mare Nostrum“ unter Einbeziehung aller Mitgliedsstaaten aufzustocken, wird „Mare Nostrum“ nun aber eingestellt. Stattdessen erfolgt ein neuer Einsatz der „Europäischen Grenzschutzagentur“ Frontex im Mittelmeer, der al-

im Oktober 2014. Alljährlich tragen Flüchtlingsorganisationen das „Sabir Festival“ auf Lampedusa aus. Sabir – das ist eine Seemannssprache der Menschen der Mittelmeerstaaten, gespeist aus den verschiedenen Sprachen der Mittelmeerländer. Hunderte Vertreter/innen europäischer Flüchtlingsorganisationen wa-

für die Anrainerstaaten. Dennoch hatten die Italiener nach der Katastrophe eine Suchund Rettungsaktion begonnen, unter dem Namen „Mare Nostrum“. Etwa 100.000 Menschen wurden aufgefunden und gerettet, dem gilt mein großer Respekt. „Mare Nostrum“ fischte die Flüchtlinge bis zur libyschen Küstengrenze auf. Dennoch starben seit der Zeit etwa 3.000 Menschen im Meer. Trotzdem war „Mare Nostrum“ das bisher Beste,

lerdings das Suchen und Retten von Flüchtlingen nicht zum ersten Ziel hat, sondern vielmehr der Abwehr vom „illegalen“ Migranten dienen soll. Die Italiener werden eine abgespeckte Variante zum Suchen und Retten im Umfeld ihrer Küstengewässer vornehmen. In Konsequenz heißt das, dass wieder mehr Menschen auf hoher See sterben werden. In diesem Umfeld verliefen die Diskussionen in Lampedusa

ren da, besuchten sizilianische Asylunterkünfte, sprachen mit Flüchtlingen. Wir waren dabei. Zeitgleich traf sich das Establishment um den EP-Präsidenten Martin Schulz, der auf dem Flughafen Lampedusa eine schnelle Rede hielt, sich auf ein Schiff begab, um medienwirksame Fotos vor dem Kaninchenfelsen schießen zu lassen. Wir waren als Europaabgeordnete von der Gedenkveranstaltung übrigens ausgeladen worden. Wir beteiligten

uns an einer Gegendemonstration mit zahlreichen Flüchtlingen in Lampedusa, die sich für eine humane Asylpolitik und gegen die Instrumentalisierung der Gedenkfeier aussprach. Was sich bei mir am meisten verwurzelt hat, war eine Gesprächsrunde mit Angehörigen von vermissten Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern. Die italienische Regierung weigert sich beharrlich, Auskunft über Flüchtlinge zu geben, die in Italien nachweislich angekommen sind. Eltern sprachen davon, dass ihnen jede Information verweigert wird. Wir wollen nun Druck machen über das Europaparlament, damit Informationen über Angehörige weitergegeben werden. Was sich an den Grenzen zur EU abspielt, ist teilweise unfassbar. Der Blick auf Italien genügt nicht. Schlimmste Menschenrechtsverletzungen erfolgen in Griechenland, wo Beispiele von Folter an die Öffentlichkeit kamen, Malta, wo die Küstenwache die Rettung von Flüchtlingen verweigerte. Das jüngste Beispiel betrifft die marokkanisch-spanische Grenze, wo die spanische Grenzpolizei einen Flüchtling bewusstlos geprügelt und in diesem Zustand durch den Grenzzaun nach Marokko zurück geworfen hat. Ob dieser Flüchtling noch lebt, ließ sich auf dem Video, das im Internet verbreitet wurde, nicht erkennen. Der skandalöse Umgang der EU und der Mitgliedsstaaten mit der größten Flüchtlingswelle seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist durch nichts zu rechtfertigen. Wenn in diesen Tagen im Zuge der italienischen Ratspräsidentschaft anstelle von Rettungsmaßnahmen eine millionenschwere großangelegte Polizeiaktion in 25 Mitgliedsstaaten durchgeführt wird, um „illegale Migranten“ aufzuspüren, dann muss das unsere schärfste Kritik und unseren Widerstand potenzieren. Nein, eine solche EU wollen wir nicht. Dr. Cornelia Ernst (MdEP), Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.


Sachsens Linke! 11/2014

DIE LINKE im Bundestag

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Afrika – erschreckende Armut und Mut machendes Engagement Wenn es in Deutschland kalt wird, zieht es die Politiker in den Süden – so bewertete ein Berliner Journalist den Besuch einer kleinen Delegation des Sportausschusses in Afrika, konkret in Sambia, Südafrika und Namibia. Für mich war es nach einem Jahr im Bundestag die erste Ausschussreise, und ich denke, es war wichtig, dass wir uns vor Ort ein Bild darüber gemacht haben, wie Fördermittel des Außen- und des Entwicklungshilfeministerium für Sporteinrichtungen, Projekte und Trainerausbildung im südlichen Afrika eingesetzt werden und welche Wirkung sie erzielen. In Sambia besuchten wir das Olympic Youth Development Centre, wo täglich zwischen 1200 und 1500 Jugendliche aus den ärmsten Vierteln der Hauptstadt Lusaka in den Sportarten Leichtathletik, Hockey, Schwimmen, Judo und Boxen trainieren können. Zudem übergaben wir eine Sportgeräte-Spende aus Mitteln des Auswärtigen Amtes an die St.-Pauls-School. Natürlich gab es auch diverse Gespräche in Parlamenten, Ministerien und Verbänden über Sportförderung sowie DopingBekämpfung, und ich habe mich sehr gefreut, mit Frankie Fredericks einen der besten Sprinter der 90er Jahre kennenzulernen. Am beeindruckendsten aber waren die Begegnungen an

der Basis, mit deutschen Entwicklungshelfern, Trainern, Betreuern und Projektleitern, die sich unter extrem schwierigen Umfeldbedingungen und oft bei eher symbolischer Bezahlung zum Teil über viele Jahre hinweg in Afrika engagieren. Das tun sie zum Beispiel im Projekt AMANDLA Edufootball in Südafrika. Dort werden jede

verbessern, sondern auch AntiAgressions-Training betreiben und die Kids bei der Erledigung schulischer Hausaufgaben unterstützen. Die Erfolge sind unübersehbar: Bei fast 50 Prozent der Betreuten haben sich die schulischen Leistungen insbesondere in Mathematik und Englisch deutlich verbessert und die Gewalt- und Kriminali-

spräch danach fragte, wie groß denn dieser Einzugsbereich sei, war ich über die Antwort (ein Radius von rund 800 Meter um den Sportplatz) zunächst erstaunt, aber dann noch mehr verblüfft, als ich erfuhr, dass in diesem Umkreis in den kleinen Wellblechhütten sage und schreibe 60.000 Menschen leben.

Woche ca. 4000 junge Menschen von Trainer und Sozialarbeitern betreut, die nicht nur die fußballerischen Fähigkeiten

tätsrate im Einzugsbereich von AMANDLA ist innerhalb von zwei Jahren um 44 Prozent zurückgegangen. Als ich beim Ge-

Kapstadt hat etwa soviel Einwohner wie Berlin – mehr als die Hälfte davon leben in den so genannten Townships, den

Armenvierteln, und nur ein ganz kleiner Teil hat die Chance, solche Angebote wie von AMANDLA zu nutzen. In Namibias Hauptstadt Windhoek besuchten wir ein speziell für Mädchen eingerichtetes Fußballzentrum, wo auch die AIDS-Prävention eine wichtige Rolle spielt, nahmen an der Einweihung des neuen Gebäudes einer Basketball-Schule teil und trafen uns mit Funktionären und Athleten des Paralympischen Komitees, die unter wirklich abenteuerlichen Bedingungen arbeiten sowie trainieren müssen und dringender Hilfe bedürfen. Bei allen sonstigen politischen Differenzen bestand parteiübergreifend große Einigkeit darüber, dass es nicht nur notwendig ist, solche Projekte mit Finanzmitteln des Bundes weiter zu unterstützen, sondern die Förderung möglichst auch noch zu verstärken. Ich wünschte, der eingangs erwähnte Journalist wäre mitgekommen. Für touristische Ziele blieb auf der Reise nämlich keine Zeit. Aber es ist wichtig, E auch hierzulande einmal über das positive Agieren der Helfer im Süden Afrikas zu berichten. Ihnen gilt ebenso meine Hochachtung wie all jenen, die im Westen des Kontinents gegen die Ebola-Epidemie ankämpfen. André Hahn

Menschenwürdige, selbstbestimmte Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft Zum Pflegestärkungsgesetz der Bundesregierung Mitte Oktober verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von SPD und CDU das Pflegestärkungsgesetz. Dieses schwarz-rote Gesetz sieht vor, dass von dem Geld der Beitragszahlenden ein kapitalgedeckter Vorsorgefonds angelegt werden soll. Kapitalgedeckter Vorsorgefonds – dieser etwas sperrige Begriff meint letztlich Folgendes: Geld der Beitragszahlenden soll abgezweigt werden, um es auf die Finanzmärkte zu werfen. Wir als LINKE kritisieren die schwarz-roten Pläne für einen Kapitalstock, und zwar aus drei Gründen. Erstens: Die Beitragszahlenden müssen jetzt dreifach zahlen: für den Aufbau des Fonds, für die bestehende Pflegeversicherung und, da hier das Teilkaskoprinzip gilt, auch noch für die hohen Eigenleistungen. Zweitens: Damit werden Gelder der Beitragszahlenden ins globale Finanzkasino gespeist. Wir als LINKE aber meinen: Mit dem Geld der Beitragszahlenden darf nicht spekuliert werden. Das ist finanzpoli-

tisches Harakiri. Drittens: Jeder Euro, der in den Kapitalstock fließen soll, fehlt heute für eine menschenwürdige Pflege. Menschenwürdiges Leben bedeutet mehr, als satt und sauber im Bett zu liegen. Menschenwürdige Pflege heißt, dass auch Pflegebedürftige weiterhin soziale Kontakte pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Menschenwürdige Pflege heißt für uns auch, dass die Betroffenen selbst bestimmen können, wie sie ihren Alltag regeln. Das gilt sowohl für Menschen mit demenziellen Erkrankungen wie für Menschen mit Assistenzbedarf. Deshalb setzen wir uns voller Energie für einen neuen Pflegebegriff ein. Im vorliegenden Gesetzentwurf der großen Koalition fehlt aber jegliche Aussage zu einem neuen Pflegebegriff. Ich selbst habe verschiedene Pflegeeinrichtungen besucht. Ich bin in den Arbeitsalltag eingetaucht, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Ich muss sagen: Ich habe höchsten Respekt vor den Menschen, die dort einer schwierigen und wichtigen Arbeit nachgehen, und das zu viel zu niedrigen Gehältern und

unter wirklich schwierigen Arbeitsbedingungen. Pflegekräfte gehen leer aus Arbeit in der Pflege bedeutet nur zu oft Arbeit im Akkord sowie Personalbemessung am Limit. Sobald es einen Krankheitsfall gibt, wird der Schichtplan zur Makulatur. Insofern ist es kein Wunder, dass Burn-out und stressbedingte Krankheiten inzwischen zum Alltag in Pflegeberufen gehören. Wenn Pflegekräfte ständig am Limit arbeiten und im Minutentakt rackern müssen, dann kommt der Mensch unter die Räder, und zwar auf beiden Seiten. Deshalb braucht es deutlich mehr Personal im Pflege- und Assistenzbereich. Menschenwürdige Pflege heißt auch, dass Menschen selbst entscheiden können, wie lange sie in ihrer gewohnten Umgebung leben wollen. Wir haben aber leider eine Situation, in der immer noch der Geldbeutel entscheidet – denn nur, wer sich überhaupt eine Pflegeeinrichtung leisten kann, hat wirklich Wahlmöglichkeiten. Noch ein weiterer Aspekt muss angesprochen werden, wenn wir über die Entscheidung für

das Zuhausebleiben reden: In einer Gesellschaft, in der Barrierefreiheit weitgehend verwirklicht ist, fällt die Entscheidung für die Pflege zu Hause leichter. Barrierefreiheit sollte also bei jedem Neubau und bei jeder Wohnungssanierung gleich mitgeplant werden, denn Barrierefreiheit bedeutet mehr Freiheit für alle. Neuer Pflegebegriff ist eine ethische Frage Ein weiterer Punkt ist wichtig, hier sollte man ganz persönlich in sich gehen: Es gibt Fälle, in denen die Zweibettlösung eine akzeptable oder sogar angenehme Lösung ist. Fakt ist aber auch, dass es für viele eine Horrorvorstellung ist, für unbestimmte Zeit mit einer unbekannten Person Tag für Tag, Nacht für Nacht das Zimmer teilen zu müssen, womöglich mit einer Person, die nachts vor Schmerzen schreit oder von Albträumen geplagt aufschreckt. Deswegen glaube ich, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass wirklich jeder, der ein Einbettzimmer will, die Möglichkeit bekommt, auch in einer Pflegeeinrichtung einen letzten privaten Rück-

zugsraum zu haben. Die häusliche Pflegearbeit wird vor allem von Töchtern, Ehefrauen, Schwiegertöchtern – kurzum: von Frauen – verrichtet, von Frauen, die dafür viel in Kauf nehmen: Gehaltseinbußen, Verluste bei den Rentenanwartschaften, Verzicht auf Freizeit. Sie haben mehr verdient als tätschelnde Lobesworte in Sonntagsreden. Um pflegende Angehörige wirklich zu entlasten und um gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, brauchen wir eine gute Finanzierung der Pflege. Auch deswegen setzen wir uns als LINKE für eine solidarische Bürgerversicherung ein, für eine Gesundheits- und Pflegeversicherung, in die alle einzahlen und von der alle gleichermaßen profitieren, die Pflegerin ebenso wie die Millionärin. Katja Kipping


Geschichte

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11/2014 Links!

„Die Geschichte hat sich auf wenigen Metern entschieden“ Die Leipziger Sechs und der Altrektor der Alma Mater erinnern an den dramatischen 9. Oktober 1989 Der 9. Oktober 1989. Die dramatische Montags-Demo in Leipzig sichert ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern. Als Auftakt des gesellschaftlichen Aufbruchs, der, anders als von Egon Krenz gemeint, die „Wende“ einleitet. 70.000 skandieren auf dem KarlMarx-Platz: „Keine Gewalt! Wir sind das Volk!“ Die konfrontative Atmosphäre von emotional aufgeladener Masse und aufmunitionierter Staatsgewalt lässt Schlimmes befürchten. Dass ein nicht auszuschließendes Blutver-

die Zeitzeugen ein Gesamtbild des Geschehenen zusammen. Nicht mit aufgesetztem Pathos, nicht mit bedeutungsschwangerem Heldenbibbern in der Stimme (der Terminus „Revolution“ fällt übrigens nicht), sondern, ganz in Augenhöhe mit dem Auditorium, sympathisch ereignisbezogen, in heiter-pointiertem, nicht selten selbstironischem Erzählmodus. Die Moderatoren der Rückschau, die Zeithistoriker Dr. Detlef Nakath und Gerd-Rüdiger Stephan, durch etliche einschlägige Publikationen als Kenner der Materie ausgewiesen, haben leichtes Amtieren. Die Fünf laufen zur Hochform auf und werfen sich die Erinnerungsbälle

rung verstanden. Empört habe er Protestbriefe an Honecker, die SED-Bezirksleitung, den UniRektor verfasst und eine gerade erhaltene staatliche Auszeichnung persönlich in der Bezirksleitung zurückgegeben. Roland Wötzel sei es aber gelungen, ihn für die Aufruf-Aktion zu gewinnen, da sie seinen eigenen Intentionen entsprach. Für Erheiterung im Publikum sorgt, typisch Kabarettist, Bernd-Lutz Langes Schilderung, wie er den handschriftlichen Text mit sieben Durchschlägen auf der Schreibmaschine abschrieb. „Da hab‘ ich mich vertippt. Statt ,Besonnenheit‘ stand ,Besonnenhit‘ da. Na, dachte ich,

Dr. Peter Zimmermann, Prof. Dr. Cornelius Weiss, Dr. Detlef Nakath, Bernd-Lutz Lange, Dr. Roland Wötzel (v. l. n. r. ) Bild: Susann Scholz-Karas

gießen ausbleibt, ist auch einem inzwischen legendären Aufruf zu danken. Sechs mutige Männer mahnen zu Besonnenheit und Dialogbereitschaft. 25 Jahre später lebt das Ereignis auf. Am 8. Oktober 2014 strömen Scharen Interessierter in die Alte Nikolaischule, sich die Besonderheit des 9. Oktober 1989 bei einer Podiumsdiskussion aus erster Hand interpretieren zu lassen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen mit ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Peter Porsch hat dafür vier der „Leipziger Sechs“ gewinnen können. Kurt Masur und Jochen Pommert sind verhindert. So bekunden der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, die SEDBezirkssekretäre von einst, Dr. Kurt Meyer und Dr. Roland Wötzel, der Theologe Dr. Peter Zimmermann und mit ihnen Altmagnifizenz Prof. Dr. Cornelius Weiss einem erwartungsvollen Publikum in der überfüllten Aula ihre An- und Einsichten. Einig sind sie sich in ihrer Retrospektive, eine friedliche und damit vorentscheidende Protestaktion für alles Nachfolgende erlebt zu haben. Aber was jeder für sich im Einzelnen gedacht und getan hat, trägt zwangsläufig individuelle Züge. Geschichte löst sich in Geschichten auf. Mosaiksteinartig fügen

ohne Kunstpausen zu. So gerät dieser Abend selbst zum historischen Ereignis, das sich angesichts der nicht mehr ganz jungen Akteure auf dem Podium so kaum wiederholen wird. Dessen eingedenk verzichtet dieser Report sowohl auf Rekapitulation des allbekannten Aktionsverlaufs am 9. Oktober als auch auf Betrachtungen von Ursache und Wirkung, wie sie in der unüberschaubar gewordenen „Wendeliteratur“ dokumentiert und selbstverständlich auch an diesem Abend zur Sprache gekommen sind. Er greift, schon aus Platzgründen, stattdessen aus den Reflexionen der Zeitzeugen einige Details heraus, Petitessen inklusive, die für eine interessierte Nachwelt nur von ihnen enthüllt werden konnten.

hoffentlich wird’s auch ein Hit.“ Roland Wötzel offenbart seine bisweilen einsame Position im Sekretariat der SED-Bezirksleitung weit vor dem 9. Oktober. Seine Umweltschutz-Konzeption kommt nicht durch. Seine Rede im Sommer 1989 vor Verantwortlichen an der Karl-MarxUniversität wird mit Distanz betrachtet. Hat er doch die Frage

zwischen Partei und anderen gesellschaftlichen Kräften, durften im Sekretariat nicht ruchbar werden. Das Verbot des Neuen Forums habe das Geheimvorhaben vereitelt. Dass er am 7. Oktober vor dem Gewandhaus erleben musste, wie hart und unsensibel Dutzende Sicherheitskräfte gegen eine Handvoll Demonstranten vorgingen, beunruhigte Kurt Meyer sehr. Im Sekretariat, berichtet er jetzt, stellte er dem amtierenden 1. Sekretär und Chef der Bezirkseinsatzleitung, Helmut Hackenberg, die Frage, wer dafür verantwortlich sei. „Als Hackenberg antwortete: ,Für die Sicherheit ist das Sekretariat verantwortlich‘, erklärte ich: ,Dann stimme ich solchen Einsätzen nicht zu.‘ Roland Wötzel schloss sich mir an, und wir ließen unseren Einspruch erstmals zu Protokoll nehmen.“ Er gehöre nicht in die Reihe der mutigen Sechs, erklärt Cornelius Weiss. Der erste NachwendeRektor der Leipziger Universität bekennt, dass er als Chemieprofessor am 9. Oktober wohl die Anordnung der Uni-Leitung unterlaufen habe, die Studenten von der Demo abzuhalten, selbst aber kein Held gewesen sei. „Als ich sie aber nachmittags dem Karl-Marx-Platz zustreben sah, habe ich meine Ängste vergessen und mich ihnen angeschlossen. Die Sechs waren die Helden.“ Deshalb empöre ihn, dass die Medien, wenn von den „Leipziger Sechs“ die Rede sei, die Namen der drei SED-Funktionäre meist unterschlügen. „Sie waren mutiger als wir anderen drei“ Bernd-Lutz Lange nimmt diese Vorlage auf: Er werde als Ehrengast den offiziellen Feierlichkeiten zur 25-jährigen Wiederkehr des 9. Oktober ‘89 fernbleiben, weil die Parteisekretäre keine

Gerd-Rüdiger Stephan, Dr. Kurt Meyer (v. l. n. r. ) Bild: Susann Scholz-Karas

Besonnenheit als „Hit“ Peter Zimmermann erzählt von der ihn befriedigenden Übereinstimmung zwischen Regierung und Kirche, alles für gewaltfreie Demos zu tun. Den Leserbrief eines Kampfgruppenkommandeurs in der LVZ, den Sozialismus auch mit Waffengewalt zu schützen, habe er als Aufkündigung dieses GewaltlosigkeitsKonsenses durch die Parteifüh-

aufgeworfen, ob Bolschewiki die Macht behaupten können. „Angesichts der angespannten Situation in der DDR habe ich meine Bedenken vorgetragen.“ Gemeinsame Pläne mit BerndLutz Lange, ein persönliches Signal zu setzen für den Dialog

Einladung erhalten hätten. „Wir waren sechs. Und die drei trugen das größte Risiko, weil niemand wusste, wie die Aktion ausgeht. Sie waren mutiger als wir anderen drei. In Masurs Wohnung habe ich zu ihnen gesagt, Ihr müsst dafür sorgen, dass die Polizei-

kräfte abgezogen werden. Auch das wird oft vergessen, dass sie es taten.“ Die Blicke richten sich auf Roland Wötzel. Wie hatten er, Meyer und Pommert das erreicht? „Nach unserer Rückkehr in die Bezirksleitung gab es zunächst eine handfeste Auseinandersetzung mit dem amtierenden 1. Sekretär. Endlich fragte Hackenberg, was er nun angesichts ausgebliebener Weisungen von oben unternehmen solle. ,Das Militär zurückziehen‘, sagten wir. Es folgten Telefonate mit Krenz, dessen bekanntes Zögern, Hackenbergs Entscheidung in unserem Sinne. Das war der politische Knallpunkt! Wenn Hackenberg die Polizeikräfte nicht in letzter Minute gestoppt hätte, wäre der Abend schlimm ausgegangen. Am Bahnhof sollte die Demo mit allen Mitteln zum Stehen gebracht werden. Nur einige Schritte davor drehte die Polizei ab. Die Geschichte hat sich auf wenigen Metern entschieden.“ Das wäre nicht ohne die Kirchen möglich gewesen, betont Peter Zimmermann. Er vermisse in der öffentlichen Rückschau auf den 9. Oktober 1989 die Anerkennung für ihren Anteil daran, „dass sich 70.000 friedlich verhielten“. Für seine Podiumspartner eine unbestrittene Tatsache. Folgen und Erfolg Es gab doch in der Bezirksleitung ein „Danach“, wird Kurt Meyer aus der Reserve gelockt. Der redet bisher ungehörten Klartext. Der 1. Sekretär, der Chef des Protokolls und der Verantwortliche für Sicherheitsfragen hätten die Drei mit Vorwürfen überzogen: „Ihr habt die Partei gespalten und verraten. Ihr hättet Euch heraushalten müssen!“ Am nächsten Morgen, 5.30 Uhr, waren sie in die Bezirksleitung einbestellt, erinnert sich Kurt Meyer genau. Während Hackenberg nach Berlin musste, hätten sie, nach außen abgeschottet, jeder für sich eine Stellungnahme an Honecker schreiben sollen, was sie aber nicht taten. Auf Roland Wötzels Frage, ob sie unter Hausarrest stünden, habe Hackenberg aus Berlin gesagt: „Ja, wenn du so willst.“ Am Nachmittag seien sie aber wieder auf einem Parteiaktiv aufgetreten. „Da kannten uns schon einige Genossen nicht mehr.“ Gegen Abend, so Meyer weiter, habe ihn das sowjetische Generalkonsulat wissen lassen, der Außenminister böte ihm Asyl an, weil man ihn für den Rädelsführer hielt. „Damit es aber zu keiner Legendenbildung kommt: Ich bin von niemandem aus der Bezirksleitung befreit worden. Am 21. Oktober haben wir, alle sechs, unseren ersten Dialog im Gewandhaus geführt.“ Wulf Skaun


Links! 11/2014

Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Chemnitz, 8. November, Samstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Kritik der Popkultur II: „Die Revolte im Spektakel - Punx not dead – er riecht nur wie abgehangener Situationismus“***. Mit Zwi Negator. AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz

Dresden, 18. November, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: JUNGE ROSA. Der Letzte lässt das Licht an – Die Exzellenzinitiative im Rahmen bisheriger Hochschulpolitik. Mit Enrico Pfau, MA Philosophie, Dresden. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Chemnitz, 12. November, Mittwoch, 19:00 Uhr Vortrag und Diskussion. Die „neuen“ Rechten***. Mit Volkmar Wölk, Publizist (Grimma). Soziokulturelles Zentrum “querbeet”, Rosenplatz 4, 09120 Chemnitz

Über die Exzellenzinitiative wurde in der Öffentlichkeit viel geschwärmt, aber wenig gewusst, viel versprochen, aber wenig gehalten. Die Methode war eindeutig: Desinformation und Verklärung haben bedenkliche Entwicklungen der Hochschullandschaft verschleiert.

In Europa und Deutschland sind hohe Wahlergebnisse für „neue“ Rechte zur verzeichnen. Es scheint, dass im Zeitalter der Globalisierung faschistische, am Nationalstaat orientierte Kräfte keine Chance haben werden, neuerlich an die Macht zu kommen. Gilt dies aber auch für einen modernisierten Faschismus, der erneuert und als europäische Bewegung agieren würde? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass Bewegungen der extremen Rechten auf nationaler Ebene Erfolge verbuchen können? Welche Rolle spielen Ideologie, Kultur und neue Medien dabei? Leipzig, 13. November, Donnerstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion. Das Freihandelsabkommen TTIP - Chance für Europa oder Trojanisches Pferd?*** Mit Prof. Dr. Christa Luft, Wirtschaftswissenschaftlerin (Berlin). Moderation: Dr. Dieter Janke. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Der Vortrag setzt sich mit den Wohlstandsverheißungen einer neuen Stufe der Liberalisierung von Außenhandel und Investitionen auseinander, zeigt, dass transnationale Konzerne die Profiteure wären und wie Rechte der nationalen Parlamente ausgehebelt werden sollen. Aufklärung über die Geheimverhandlungen soll zum Nachfragen und zur Gegenwehr ermutigen.

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Leipzig, 18. November, Dienstag 18.00 Uhr Buchvorstellung: „Deutsche und Russen, Russen und Deutsche. Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten“ Mit den AutorInnen: Prof. Dr. Wolfgang Geier, Dr. Antonia Opitz, Dr. Volker Hölzer, Prof. Dr. Erhard Hexelschneider, Prof. Dr. Roland Opitz und Prof. Dr. Willi Beitz. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig In diesem Sammelband werden anhand geschichtlicher Quellen, auf der Grundlage von Veröffentlichungen und persönlichen Erfahrungen der Vortragenden historio- und biografische wechselseitige Wahrnehmungen zwischen Deutschen und Russen, Russen und Deutschen aus fünf Jahrhunderten behandelt. Leipzig, 25. November, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: „NIETZSCHE unter Röcken“ Zum Nachleben eines schwierigen Denkers in der sozialistischen Provinz*** Mit Prof. Dr. Matthias Steinbach, Historiker, TU Braunschweig. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Ausgehend vom innerwissenschaftlich-akademischen Nietzsche(Harich)-Diskurs der 1970/80er Jahre geht es im Vortrag um den öffentlichen, veröffentlichten, ja populären NietzVerleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-

sche in der DDR. Insbesondere mit Blick auf Weimar und Röcken lassen sich unterhalb der Debatten um eine „Revision des marxistischen Nietzschebildes“ noch andere, eigensinnige Aneignungen des ‚Donnerers‘ und seiner Philosophie ausmachen. Dresden, 26. November, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: TTIP Transatlantisches Freihandelsabkommen - Hintergründe, Gefahren, Widerstandsoptionen. Mit Ralph Lenkert, MdB WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Seit dem Sommer 2013 verhandeln die EU und die USA hinter verschlossenen Türen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Der Name des Projekts: Transatlantische Handelsund Investment-Partnerschaft (TTIP). Finanzmarktregeln, das Gesundheitssystem, Arbeitnehmerrechte sowie Umwelt- und Verbraucherstandards drohen im Interesse transnationaler Konzerne ausgehöhlt zu werden. Schiedsgerichte sollen die demokratisch legitimierte Gerichtsbarkeit ersetzen. Leipzig, 27. November, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: ROSA L. IN GRÜNAU. Die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Mit Tilman Loos (Leipzig). Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig Vor kurzem wurden in Sachsen, Brandenburg und Thüringen neue Landtage gewählt. Erschrocken sind viele wegen einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung in Sachsen und Brandenburg. Durch den Wahlerfolg der AfD in allen drei Landtagen kann man von einem weiteren Rechtsruck in der Gesellschaft sprechen, selbst wenn die NPD es in keinen Landtag mehr geschafft hat. Wir fragen: Wie sind die Ergebnisse einzuschätzen? Ist die geringe Wahlbeteiligung demokratiegefährdend? Wie entwickeln sich Millieus und Parteienbindungen? mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

Dresden, 27. November, Donnerstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Selbstverwirklichung oder Selbstausbeutung? - Das kreative Prekariat*** Mit Dr. Alexandra Manske, Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin, Vertretungsprofessorin für Soziologie an der Universität Hamburg; Annekatrin Klepsch, MdL der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag; Frank Eckhardt, Geschäftsführer des riesa efau. Kultur Forum Dresden, Künstler. Moderation: Magnus Hecht, 2. Vorsitzender der LiveKomm. Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, des BürgerInnenbüro der MdL Annekatrin Klepsch und des riesa efau Dresden Motorenhalle. Projektzentrum für zeitgenössische Kunst, Wachsbleichstraße 4a, 01067 Dresden Seit einigen Jahren wird mit dem Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft hantiert, ohne neue Zugänge zum Thema zu suchen. Größere Unternehmen befinden sich „auf dem Schirm“ der Verwaltungen. Viele Freiberufliche leben jedoch auch mit neuem Label unterhalb der Armutsgrenze. Es scheint, dass es eine größer werdende Anzahl Leute gibt, die für wenig Geld, rund um die Uhr, mit großem Enthusiasmus kreativ arbeiten und dabei von Selbstverwirklichung reden. Kurz: kreativ zu sein, ist eine besonders charmante Art, arm zu sein. Doch muss das so sein und gibt es einen Weg aus der Misere? Cunnersdorf, 28.11., 20 Uhr Vortrag und Diskussion. Philosophinnen in Cunnersdorf***. Mit Wolfgang Giese. Eine gemeinsame Veranstaltung des Alte Schule Cunnersdorf e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. Alte Schule e.V., Schulweg 0, 01929 Schönteichen/OT Cunnersdorf

Luxemburg-Stiftung Sachsen. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 2. Dezember, Dienstag, 18:30 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Junge akademische Reihe. Weltbühne und Linkskurve - zwei linke Zeitschriften in der späten Weimarer Republik (1929 - 1932)*** Mit Nico Zimmermann, Politikwissenschaftler (Chemnitz). Soziokulturelles Zentrum “querbeet”, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz „Es gibt eine kommunistische Scholastik hierzulande, (…) die auch die nötigen Marxzitate parat hätte, wenn es Stalin plötzlich gefiele, katholisch zu werden“, spottete der „Weltbühnen“- Herausgeber Carl von Ossietzky 1930 über die deutschen Kommunisten. Der kommunistischen „Linkskurve“ hingegen galt die „Weltbühne“ als ein „Blättchen verschrullter intellektueller Außenseiter“. Im Vortrag werden beide Zeitschriften im Kontext der von ihnen repräsentierten Milieus vorgestellt und ihr Verhältnis zueinander, ihre Wahrnehmung voneinander in der Spätphase der Weimarer Republik, angesichts Wirtschaftskrise, repressiver Austeritätspolitik und des aufsteigenden Nationalsozialismus, beleuchtet. Dresden, 3. Dezember, Mittwoch, 19.00 Uhr Film: Frohes Schaffen – Ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral. Ein Film von Konstantin Faigle Deutschland 2012, 98 Minuten WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Der Film, eine Mischung aus Satire, Dokumentarfilm und Erzählung zeigt, fragt, ob der moderne und aufgeklärte Mensch frei ist. Er stellt die Frage, ob es gute Arbeit überhaupt gibt und ob der Sinn des Lebens in der Arbeit überhaupt zu suchen ist.

Leipzig, 28.11., 18 Uhr Lesungen: Literaturtee bei Rosa L. Eine Veranstaltung des Dialog e. V. in Kooperation mit der Rosa-

*** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.

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Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 29.10.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 04.12.2014.

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Rezensionen

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Lebenswerk eines Aufbau-Verlegers Wir alle hatten oder haben Großmütter und Großväter, und wenn wir sie nicht selbst erlebt haben, dann gab es Geschichten über sie. Doch das Allerspannendste waren immer Geschichten von ihnen selbst. Später erkennt man, dass zwar die meisten von uns alt, leider aber die wenigsten weise werden. Gerade die weisen Großväter spielen in der Literatur eine große Rolle. Ich habe in meinem Leben kaum jemandem zugehört, der so nach einem weisen Großvater klang wie Elmar Faber, Verleger von Christoph Hein, Heiner Müller, Christa Wolf und vielen anderen. Selbstbewusstsein und Bescheidenheit zeichnen diesen Mann aus, der noch immer Verleger ist. Er wurde im Jahre 1934 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Thüringen auf. Seine Freunde waren und sind nicht nur die Autoren im Osten, sondern auch die großen Verleger im Westen, wie Siegfried Unseld vom Suhrkamp-Verlag. Mit dem Buch „Verloren im Paradies“ legt er uns nun einen Teil seiner langen – 80-jährigen – Lebensgeschichte vor. Sie beginnt mit dem kleinen Jungen und endet mit der Wende. Elmar Faber war – wie so viele – der DDR gegenüber nicht unkritisch. Aber er ging seinen Weg, überwand Widerstände, kultivierte seine Zweifel, schlug Haken, wenn es galt, der Zensur ein Schnippchen zu schlagen. Was sein Buch so besonders macht: Elmar Faber war kein „kleiner DDR-Bürger“, sondern steuerte als zeitweiliger Verleger des Aufbau-Verla-

ges von 1983 bis 1992 über zehn Jahre ein Flaggschiff der literarischen ostdeutschen Kulturproduktion – und dies waren keine einfachen Jahre. Es waren aber gerade auch literarisch äußerst spannende Zeiten, man konnte sich etwas trauen. Seit 1986, mit dem frischen Wind aus Moskau, bewegte sich auch in Berlin und in der gesamten DDR etwas. Perestroika und Glasnost, das Haus Europa – es kam Licht aus dem Osten, eine Hoffnung darauf, dass es einen besseren

stattengehen möge, dass sich die Vorzüge des Ostens mit denen des Westens verbinden mögen. Diese Vorstellung hat sich als naiv erwiesen. Bei Elmar Faber klingt das so: „Im Westen – die Freiheit des Wortes, im Osten – die Kraft der Literatur. Im Westen – die Heiligkeit des Marktes, im Osten der vormundschaftliche Staat. Im Westen das Geld, im Osten – die Phantasie. Im Westen – die großen Buchkonzerne, im Osten – die kleinen Literaturwerkstätten.

dungsbürgertum wieder zur treibenden Kraft der Gesellschaft zu machen, nicht die gestylten Bank- und Wirtschaftsbosse, deren Interessen sich mehr auf ihre Boote und Yachten, ihre Immobilien und Liebschaften richteten statt auf die Gefilde der humanistischen Bildung,

auf die Aufklärung der Nation. Die Chance der Wende, den Aufeinanderprall unterschiedlicher Gewohnheiten, zu nutzen für eine neue Gesellschaftsmoral, für eine neue deutsche Republik, blieb ungenutzt.“ So zu denken, das mag nicht weise klingen, sondern eher nach einer leisen Stimme der Vernunft. Was dann kam, war das Diktat des Turbokapitalismus mit dem bis heute ungeschriebenen Krimi der Vernichtung der Wirtschaft des Ostens und des Aufkaufs der Reste durch die Großen aus dem Westen. Inzwischen hat sich Faber von den Irrtümern erholt. Unerschütterlich ist sein Glaube – und darin ist er weise, , dass sich die Qualität durchsetzen wird. Faber glaubt, dass großen Autoren wie Andersen Nexö (obzwar Däne, so wohnte er doch bis zu seinem Tod in Dresden) oder Ludwig Renn, der so großartige Bestseller geschrieben hat wie „Adel im Untergang“ oder „Krieg“, in ihrem Wert wieder erkannt werden. In Dresden wurde das Andersen-Nexö-Museum beseitigt, in Dänemark wurde Nexö in der Phase der Wiederentdeckung ein neues Museum gewidmet. Es bleiben ja der Menschheit nur zwei Wege: Entweder mit großer Kultur weiterleben oder in der Barbarei untergehen. Elmar Faber ist da wesentlich optimistischer als viele 20- oder 30-Jährige. Ein mit interessanten Geschichten gefülltes Buch eines großen Verlegers und weisen alten Mannes verdient es, von uns gelesen zu werden! Ralf Richter

Während im Ruhrpott relativ erfolgreich ein Strukturwandel vollzogen wurde, der zumindest notdürftig den Wegfall der industriellen Arbeitsplätze kompensieren konnte, ist Lothringen – betroffen von haargenau den gleichen Problemen – zu einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen mit der niedrigsten Kaufkraft geworden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund 20 Prozent, Tendenz weiter steigend. Auch die einst machtvolle Gewerkschaft CGT verkam zu einem Schatten früherer Größe, als ab den siebziger Jahren nur noch die Krise im Bergbau der Region boomte. 1997 wurde die letzte Mine geschlossen. Im März 2014 wurde in Hayange, einem ehemaligen Zentrum der Arbeiterbewegung, der Kandidat des Front National zum Bürgermeister gewählt. Das Ende der Arbeiterklasse? Zumindest das gefühlte Ende. Als die Krise und deren Auswirkungen nicht mehr zu übersehen waren, machte ein anderes Buch aus Frankreich von sich reden. Kein Roman. Der Philosoph An-

dré Gorz nahm „Abschied vom Proletariat“. Gorz diagnostizierte das Entstehen einer postindustriellen Gesellschaft, sah als Resultat unserer Produktionsweise neben der sozialen auch eine ökologische Katastrophe, plädierte – nach heutigen Worten – für einen sozialökologischen Umbau. Die Arbeiterklasse habe als revolutionäres Subjekt ausgedient. Er blieb ein Rufer in der Wüste. Die Anfeindungen aus kommunistischen und Gewerkschaftskreisen folgten umgehend. Sein Diskussionsangebot wurde ausgeschlagen. Nach dem „Abschied vom Proletariat“ nun also „Das Ende der Arbeiterklasse“. Das eine theoretisch aufrüttelnd, das andere emotional stark berührend. Beide lohnen die (Re-)Lektüre. Als politische Denkanstöße für das heutige Ruhrgebiet, das aktuelle Lothringen. Den Osten Deutschlands. Volkmar Wölk Aurélie Filipetti: Das Ende der Arbeiterklasse. Ein Familienroman. Frankfurt/Main: S. Fischer, 2014, 180 S.

tionen Vorzüge und Verzerrungen beider System ausgleichen und umverwandeln in neue Nachdenklichkeit und leise Vernunft – als Rückgriff auf eine große buchhändlerische Vergangenheit. Man wollte aber nicht hinter sich blicken. Es blieb, wie es war. Aus dem Westen nicht Neues. Aus dem Osten jeder Gedanke ein Anschlag des Teufels. Man dachte gar nicht daran, die Beliebigkeitsgeneration wieder zurückzuholen in die Sänften des gebildeten Bürgers, das Bil-

Elmar Faber (vorn rechts, mit Einstecktuch) erläutert dem Politbüromitglied Kurt Hager das Angebot des AufbauVerlages, Leipziger Buchmesse 1987. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0315-118 / Grubitzsch (geb. Raphael), Waltraud / CC-BY-SA

Sozialismus geben könnte, dass dieser erreichbar wäre durch inneren Wandel. Als es dann doch in Richtung „Einheit“ ging, war da bei einigen Leuten im Osten, wie bei Elmar Faber, aber auch im Westen, wie bei Siegfried Unseld, kurzzeitig eine Hoffnung, dass die Fusion dergestalt von-

Im Westen – die Trivialisierung des Geschmacks –, im Osten – seine Verfeinerung. Im Westen – die wirtschaftliche Zensur, im Osten – die politische. Als das – zur Wende – alles übereinander stürzte, hatte man einen Moment lang das Gefühl, als könnte die Begegnung beider Sozialisa-

Das Ende der Arbeiterklasse Was bewegt einen renommierten deutschen Verlag, elf Jahre nach der französischen Erstveröffentlichung den Roman einer Autorin auf den Markt zu bringen, die zuvor noch kein einziges Buch veröffentlicht hatte und die diesem Band bisher auch lediglich einen weiteren Roman folgen ließ? Da wir im Kapitalismus leben, liegt es nahe, anzunehmen, dass mögliche Auflagenzahlen eine wichtige Rolle bei den Überlegungen gespielt haben. Aurélie Filipetti, unsere Autorin, war zum Zeitpunkt der Planung dieser Veröffentlichung Kulturministerin in Frankreich, seit 2007 Abgeordnete der Sozialisten – die in unserem Nachbarland noch immer stärker Sozialdemokraten sind, als es unsere SPD seit Jahrzehnten ist – im Département Moselle, auf gut deutsch: in Lothringen also. Im August 2014 allerdings hatte sie die Nase voll. Dem zweiten Kabinett von Ministerpräsident Manuel Valls, einer Art hellrot gefärbtem Nicolas Sarkozy light, mit dem nach etlichen Wahlnie-

derlagen ein weiterer Rechtsruck der französischen Regierungspolitik eingeläutet wurde, mochte sie nicht mehr angehören. Sie zählt zum linken Parteiflügel der Sozialisten um den ehemaligen Minister Arnaud Montebourg. Der Name Filipetti klingt nicht originär französisch. Ist er auch nicht. Er stammt aus Italien. Und damit sind wir eigentlich schon mittendrin in der Thematik dieses, so der Untertitel, Familienromans. Die Filipettis sind Einwanderer. Sie gehören zu den zahllosen Bergarbeitern, die es aus Italien zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Lothringen gezogen hatte; in jene Gegend, die wohl am ehesten mit dem deutschen Ruhrgebiet verglichen werden kann. Waren es im Revier vorwiegend Polen, die als Einwanderer in das aufstrebende industrielle Zentrum dafür sorgten, dass Krupp, Thyssen, Mannesmann und all die anderen zu Weltfirmen werden konnten, die die dreckigste, schwerste und gefährlichste Arbeit verrichteten, so waren es

in Lothringen besonders Italiener mit ihren Familien. Nach der Machtübernahme durch die Faschisten Mussolinis verstärkte sich dieser Zustrom nochmals. Die Familie, von der Filipetti schreibt und von der man annehmen darf, dass die eigene Familie durchaus als Vorlage gedient hat, steht stellvertretend. Sie steht für jene, so der Klappentext, die für Loyalität und ihre Würde gekämpft haben, sie steht für jene, die Zusammenhalt, Freundschaft und Brüderlichkeit gelebt haben, die gemeinsam den Traum von Freiheit und Gleichheit geträumt haben. Kurz: Sie steht für die kommunistische Bewegung in einer ihrer Hochburgen, in einer Gegend, in der der PCF traditionell die stärkste Partei war und die Sozialisten auf dem zweiten folgten. Sie steht für den Kampf gegen den Faschismus, den Widerstand gegen die Nazi-Besatzer. Der Traum von Freiheit und Gleichheit ist ausgeträumt. Die kommunistische Partei ist nur noch ein Schatten vergangener Tage.


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„La Negra“ – Lateinamerikas große Stimme der Opposition: In Gedenken an Mercedes Sosa Am 9. Juli 1935 wurde sie in San Miguel de Tucuman in Argentinien geboren. Die Volkslieder ihrer Heimat, die von dem Schicksal der einfachen Bevölkerung erzählen, prägten sie bereits in ihrer Kindheit. Ihre sehr junge Karriere begann, nachdem sie im Alter von fünfzehn Jahren bei einem Folklorewettbewerb den ersten Preis erhielt. In den frühen 60ern zog es sie nach Mendoza, wo sie mit den Musikern Armando Tejada Gomez und Oscar Manuel Matis die „Movimiento del Nuevo Cancionero“, die „Vereinigung neuer Liedermacher“, gründete. In ihrem Liedrepertoire tauchten auch erstmalig Texte vom großartigen Poeten Pablo Neruda auf, auch Songs vom chilenischen Sänger Victor Jara und von Silvio Rodriguez. 1962 erschien ihre erste Langspielplatte mit dem Titel „La voz de la zafra“ (etwa: „Die Rufe der Zuckerrohrernte“). Diese Platte beinhaltete ausschließlich argentinische Folksongs. Richtig bekannt im Land jedoch wurde Mercedes Sosa dank ihres Auftritts beim „Festival Nacional de Folklore de Cosquin“ im Jahre 1965. Inzwischen sang sie auch Volkslieder aus anderen südamerikanischen Ländern. Aufgrund ihrer wachsenden Popularität auch außerhalb ihres Kontinents lud man sie nach Portugal, Italien und in die UdSSR sowie die USA ein. Im Laufe ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung wurden ihre Liedinhalte politischer und enthielten immer öfter sozialkritische The-

men. Sie sang für die Rechte der eingeborenen Indios und gegen die aufgrund des Putsches am 24. März 1976 an die Macht gelangte Militärjunta. Dadurch galt sie jahrzehntelang als die Stimme der Opposition. Wie zu erwarten war, drohten ihr Auftrittsbeschränkungen in den Medien, und es dauerte nicht lange, bis ihre Schallplatten nicht mehr verkauft werden durften. Während eines Konzerts in Mar del Plata 1979, bei dem tausende Fans zugegen waren, kam es zu einem brutalen Übergriff der Militärpolizei, die die Veranstaltung beenden ließ und sämtliche Künstler sowie Teile des Publikums verhaftete. 1980 beschloss sie schließlich mit großer Trauer im Herzen, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Sie ging nach Europa und fand in Madrid einstweilig ein neues Zuhause. Sie gab mehrere Konzerte in Spanien und Frankreich und trat bei bedeutenden Festivals auf, so auch beim Berliner „Horizonte Festival der Weltkulturen 1982“. Im selben Jahr wagte sie sich nach Argentinien zurück, wo sie vom Opernhaus in Buenos Aires ein Angebot bekam. Von der bis dahin herrschenden Militärregierung schien keine Gefahr mehr auszugehen, da diese sich aufgrund des verlorenen Falkland-Krieges aufzulösen begann und einer demokratischen Bewegung Platz machen musste. 1983 zog es Mercedes Sosa endgültig in ihre Heimat zurück. „La Negra“ („Die Schwarze“, wie ihre Fans sie gern nannten) wurde be-

geistert empfangen und konnte endlich wieder ungehemmt auf ihrem Kontinent arbeiten. Das Album „Sosa En Argentina“, aufgenommen 1982 und bei Polygram (Universal) erschienen, gilt als Meilenstein in der lateinamerikanischen Musikgeschich-

Weltruhm. 1995 verlieh man ihr den „CAMU-UNESCO-Preis“. In Deutschland kam es zu einem gemeinsamen Auftritt mit Konstantin Wecker; auch andere Kollegen jener Zunft legten Wert darauf, mit „La Negra“ ein Duett zu singen: Nana Mouskouri,

Mercedes Sosa mit der argentinischen Regierungschefin Cristina Fernández de Kirchner. Bild: Presidencia de la Nación Argentina / CC BY 2.0

te. Weitere Plattenproduktionen folgten, und die Sosa erlangte

Maria Farantouri aus Griechenland, die wunderbare Nordame-

rikanerin Joan Baez, zudem Shakira, Luciano Pavarotti, sogar der Rockstar Sting. 2003 musste die Sängerin eine ungewollte Schaffenspause einlegen. Sie erkrankte sehr schwer, litt unter tiefsten Depressionen und war kaum noch in der Lage, sich ihrer Musik zu widmen. Zwei Jahre lang musste sie ausharren, bis sie sich nach erfolgreichen Therapien wieder auf die Bühne wagte – am 23. September 2005 im Weißen Salon des argentinischen Regierungspalastes vor Prominenz aus Kultur und Politik. So wurde sie an jenem Ort gefeiert und umjubelt, von dem aus sie einst verpönt und ins Exil gezwungen wurde. In Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen und ihres Einsatzes für Menschenrechte erhielt sie vom argentinischen Senat den Sarmiento-Preis. Die CD „Corazon Libre“ (Freies Herz) mit hochmotivierten Mitstreitern wie Chango Farias Gomez, Alberto Rojo, Luis Salinas, Eduardo Falu, Jorge Giuliano, Javier Casalla und Oscar Puebla kam 2005 auf den Markt, und auch Carlos Santana gab sich die Ehre, daran mitzuwirken. 2008 wurde Mercedes Sosa zur UNICEF-Botschafterin für Lateinamerika und die Karibik ernannt. Ihre letzte CD „Cantora“ erschien 2009. Am 4. Oktober des gleichen Jahres verstarb sie in Buenos Aires im Alter von 74 Jahren an Herzversagen. Sie schenkte ihre Stimme den Vergessenen und Verlorenen dieser Welt. Jens-Paul Wollenberg

9. Oktober 2014: Ich war auf dem Ring! Mit meinen 24 Jahren habe ich die DDR nicht erlebt, wurde also nur dort geboren und bin quasi ein „Wossi“. Wenn man es positiver formulieren möchte: Ich bin ich zu einer Zeit geboren, als die Mauer offen, die Wahlen frei und die Ideale sozialistische waren. Die Geschehnisse vor 25 Jahren bewegen Leipzig auch heute noch. Beeindruckend finde ich, dass damals die Menschen auf die Straße gegangen sind, um Reformen zu fordern – Reformen, die die Rechte der Bürger_ innen in der DDR stärken sollten. Meinungsfreiheit. Reisefreiheit. Freie Wahlen. Freiheit von staatlichen Repressionen. Leipzig ist friedlich geblieben. Das lag auch an den berühmten Sechs: Kurt Masur (Gewandhauskapellmeister), Peter Zimmermann (Theologiedozent), Bernd-Lutz Lange (Kabarettist) und den drei Sekretären der SED-Bezirksleitung Dr. Kurt Meyer, Dr. Roland Wötzel und Jochen Pommert, die über den

Stadtfunk folgendes verkündeten: „[...] Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird [...]“ Anders, als es bei den Feierlichkeiten und in den Medien überwiegend gesagt wurde, sind die Menschen am 9. Oktober 1989 auch auf die Straße gegangen, um dieses System, in dem sie lebten, zu verbessern. Ein Beitritt zur BRD stand nicht auf der Tagesordnung. Doch heute leben wir in diesem Staat und in diesem System. Auch da gibt es eine Unmenge zu kritisieren und genügend Gründe, um auf die Straße zu gehen.

Leider taten das viele Menschen in den 90er Jahren auch, um gegen Flüchtlinge zu hetzen oder die Demokratie in Frage zu stellen. Wie leider auch heute noch. Die Künstler_innen des Lichtfestes haben diese Parallelen gezeigt und auf Missstände (Überwachung, Rassismus, Demokratiedefizite, etc.) im Hier und Jetzt hingewiesen. Das war

für mich ein Grund, diese Kunstinstallation anzuschauen. Wir LINKEN sollten uns nicht vor unserer Vergangenheit verstecken, nichts schönreden. Wir sollten auch an solchen Veranstaltungen teilnehmen und auf die gravierenden Probleme im Hier und Jetzt hinweisen. Auch DIE LINKE ist Teil dieser Geschichte. Auch wir müssen

sagen, was in der DDR unrechtmäßig war und nicht wiederholt werden darf. Nichts anderes ist in Thüringen passiert. Zugegeben, mit einem sehr einseitigen Begriff, der medial ohne die Begründungen und Erklärungen dahinter verbreitet wurde. „Unrechtsstaat“ allein ist eine falsche Bezeichnung für die DDR. Es ist aber richtig, dass es staatliches Unrecht gab – und das nicht zu knapp. DIE LINKE hat nach ihrer Gründung der PDS unwiderruflich mit dem Stalinismus als System gebrochen und arbeitet ihre Geschichte bis heute auf. Das finde ich gut und muss auch weiter geführt werden. Es ist DIE LINKE, die als eine der wenigen Parteien heute gegen die Missstände in diesem System aufsteht und dagegen spricht. Das ist auch meine Partei – und ich kämpfe mit ihr für einen demokratischen Sozialismus. Trotz, oder gerade wegen ihrer Geschichte. Marco Böhme


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