Stromsperren weiter auf Rekordniveau
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2014
Alle Jahre wieder beschert uns der Dezember nicht nur festliche Dekoration und überfüllte Einkaufszentren, sondern auch die neuen Zahlen zu den Stromsperren. Dieses Ereignis ist bei weitem nicht so erfreulich. Fast 345.000 Haushalten wurde 2013 in Deutschland der Strom abgedreht. Das sind 24.000 Stromsperren mehr als im Jahr zuvor. Gegenüber 2011 sind es sogar 33.000 mehr. Die Zahlen sind abstrakt und viele können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, ohne Strom zu leben. In der Presse finden sich immer wieder einzelne Beispiele, die anschaulich diese Fälle von Betroffenen schildern. Der „Spiegel“ dokumentierte im Mai das Schicksal eines Mannes aus Dortmund, der nach einem Unfall nicht mehr arbeiten und unter anderem seine Stromrechnung nicht mehr bezahlen konnte. Es führte eins zum anderen und die Stromschulden häuften sich. Sein Handy muss er nach der Abklemmung in Obdachlosentreffs aufladen, um überhaupt noch etwas am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. „Report München“ berichtet Ende Juli von Julia S. aus München, Mutter einer zweijährigen Tochter. Auch sie hatte einen Unfall, ist dadurch unverschuldet arbeitslos geworden und konnte kurz darauf ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Auch ihr wurde der Strom abgestellt. Nun kann sie ihr Kind nicht mehr richtig versorgen. Der Kleinen abends eine Tasse Kakao zu machen ist nicht mehr möglich. Und eine Wohnung im Kerzenschein ist nur dann romantisch, wenn man nicht auf Kerzen angewiesen ist. Häufig hört man das Vorurteil, dass die Betroffenen ihr Geld stattdessen lieber anders ausgeben. Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungsstellen berichten von einer anderen Realität, die sich mit den Presseberichten deckt. Denn von Stromabsperrung betroffen sind vor allem die, die bisher gerade so über die Runden kommen und nicht im Luxus leben. Nur ein Schicksalsschlag wie eine Scheidung oder auch nur kurz-
zeitige Arbeitslosigkeit reicht aus, dass alles zusammenbricht. Stromsperren sind kein individuelles, sondern ein politisches Problem. Die Stromkosten für Haushaltskunden haben sich seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt und den Stromanbietern Milliardengewinne beschert. Aber wer wenig hat, ist selbstverständlich auch überproportional betroffen. Die Stromrechnung ist ja oft nicht der einzige problematische Posten am Monatsanfang. Steigende Mieten in den Großstädten oder eine hohe Nachzahlung für die Heizung können auch schnell zum Problem werden. Während die Lebenshaltungskosten steigen, sind immer mehr Menschen prekär beschäftigt. Diese Kluft wird unserer Gesellschaft immer stärker zum Verhängnis. Das wachsende Problem wird von der Bundesregierung nicht bekämpft. Im Gegenteil: Sie legt die Hände in den Schoß. Anstatt im Sommer die Chance zu nutzen und Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Stromrechnung zu entlasten, verteilte Minister Gabriel großzügig Geschenke an die Industrie. Privathaushalte dürfen froh sein, wenn die Strompreise zumindest nicht noch stärker steigen. Die Regierung hat nur die Stromkosten für die Industrie im Auge, die auch im kommenden Jahr wieder mit 5,1 Milliarden Euro bei der EEG-Umlage auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher und der kleinen Unternehmen entlastet werden. Eine EU-Richtlinie, die zumindest besonders schutzbedürftige Kunden vor der Abklemmung bewahren soll, setzt die Bundesregierung nicht um. Es ist doch absurd, dass ein Fernseher nicht gepfändet werden darf, aber eine Stromsperre schon ab 100 Euro Schulden beim Versorger durchgeführt werden darf. Stromsperren sind eine stille soziale Katastrophe. Sie müssen verboten und die EU-Richtlinie muss umgesetzt werden. Gleichzeitig muss daran gearbeitet werden, dass der Strompreis für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sinkt. Durch die Senkung der Stromsteuer, die Abschaffung ungerechtfertigter Industrierabatte, die Einführung von Energiewendefonds und die Wiedereinführung der Strompreisaufsicht könnte eine durchschnittliche Familie 185 Euro pro Jahr sparen. Keiner soll mehr im Dunkeln sitzen!
ist stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.
Aktuelles
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„Man sollte versuchen, bewusst zu kaufen“ Primark eröffnete am 20. November in Dresden eine neue Niederlassung. Mit über 7.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ist sie das größte Geschäft in der Centrum-Galerie auf der Prager Straße, Dresdens bekanntester Einkaufsstraße. Der irische Textilhändler ist berühmt-berüchtigt: Berühmt für seine große Auswahl an Kleidung für insbesondere junge Kundinnen und Kunden zum kleinen Preis, berüchtigt für die schlechten Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern. Einen Aufschrei gab es vor einem Jahr, als bekannt wurde, dass die 1.100 Näherinnen, die bei dem Einsturz eines Werksgebäudes in Bangladesch ums Leben kamen, auch für Primark gearbeitet hatten – unter katastrophalen Arbeitsbedingungen und zu einem Hungerlohn. Statt der erwarteten vierstelligen Besucherzahl zum Eröffnungstag kamen nur wenige KaufinteressentInnen, dagegen aber an die hundert AktivistInnen für kritischen Konsum und von Menschenrechtsgruppen. Sie protestierten ideenreich gegen die Eröffnung des neuen Billigladens. Unter anderen koordinierte das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen (ENS) diesen vielfach spontan selbstorganisierten Protest. Ralf Richter unterhielt sich mit dessen Mitarbeiterinnen Fabienne Winkler und Bettina Musiolek. Herzlichen Glückwunsch zu der Aktion! Was war da eigentlich los? Winkler: Wir vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen (ENS) wollten darauf aufmerksam machen, dass die hier so angepriesene Mode, die man auch als „Fast Fashion“ bezeichnet, aus vielerlei Gründen „untragbar“ ist – darüber hinaus wollten wir aber nicht nur auf die schlechte Bezahlung der Näherinnen hinweisen, sondern auch Alternativen für junge Leute aufzeigen, die nach Kleidung suchen. Musiolek: Im Vorfeld hatte es geradezu einen spontanen Aufschrei vieler Gruppen und Einzelpersonen in Dresden gegeben, die etwas zur PrimarkEröffnung machen wollten. Wir haben uns alle zu einem großen Bündnis zusammengefunden. Dafür haben wir vom ENS unsere seit langem erworbene Erfahrung im Bereich Menschenrechte in der globalen Modebranche eingebracht. Bei Primark sind nicht nur
die Arbeitsbedingungen für die Näherinnen schlecht, sondern von den über 500 Angestellten bei Primark in Dresden haben lediglich 25 Prozent eine Vollzeitfestanstellung – die Masse sind mithin prekär Beschäftigte. Aber noch eine andere Frage, Sie sprechen gerade von „Fast Fashion“. Was ist damit gemeint?
niges angeboten – einerseits gab es eine Kleidertauschbörse und Nähmaschinen zum Aufpeppen alter Kleider gleich vor Ort, andererseits haben wir an einem Informationsstand Broschüren und Flyer ausgegeben, wie z. B. eine Einladung zur „KleiderNachtsFeier“ …
Winkler: Fast Fashion ist schnell produzierte Kleidung, die schnell und in großer Stückzahl gekauft und ebenso schnell wieder weggeworfen wird. Denn es ist doch klar: Wer drei Euro für ein T-Shirt ausgibt, fühlt sich eher angesprochen, vier oder fünf zu kaufen, obwohl er vielleicht nur eines braucht. Der Rest wird dann oft schnell weggeworfen, und selbst die Ware, die gekauft wird, ersetzt man ja dann schnell durch neue – es ist ja so billig …
Winkler: Unter dem Motto „KleiderNachtsFeier“ – Klamottentausch statt Kauf-
Was ist das?
Wer aber die Kik-Story gesehen hat und über Primark unterrichtet ist, wird vielleicht woanders kaufen – nur: Helfen denn diese diversen Fairtrade-Siegel wirklich weiter? Musiolek: Fairtrade möchte sein Siegel auf Bekleidung ausweiten. Dies ist jedoch leider eine große Mogelpackung. Denn was passiert, wenn z. B. im sächsischen Fairtrade-zertifizierten Arbeitsbekleidungshersteller nicht annähernd
Winkler: Bei der Primark-Eröffnung mit dabei waren z. B. die TU Umweltinitiative, der BUND-Jugend, die christliche Micha-Initiative Dresden und die Samba-Gruppe „Rhythm of Resistance“. Also sind im ENS nicht 50 Einzelpersonen Mitglied, sondern Gruppen, die über ganz Sachsen verstreut sind – was war nun die Alternative, die ihr angeboten habt? Musiolek: Es wurde auf die vielfältigen Wege hingewiesen, auf denen sich Menschen für die Rechte der ArbeiterInnen einsetzen können – z. B. kann man beim Einkaufen kritisch nachfragen und die Postkarte der Kampagne für Saubere Kleidung abgeben, die von der jeweiligen Modemarke Antworten auf Fragen zu Arbeitsbedingungen fordert. Winkler: Im Bereich des kritischen Konsums haben wir ei-
Also doch nix kaufen, sondern ausschließlich tauschen? Winkler: Es wird sich nicht immer vermeiden lassen, aber man sollte versuchen, bewusst zu kaufen. Wenn, dann wenig, und das Wenige lange nutzen – das schont die Umwelt am besten. Wie sieht es aus bei den Herstellern – kann man sagen, dass die in Bangladesch oder Kambodscha hergestellte Ware generell unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen mit der miesesten Bezahlung hergestellt wurde, und importieren wir nicht sowieso fast alle Textilien von dort?
Dagegen haben Sie also demonstriert. Nicht alle werden das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen kennen … Musiolek: Das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen vereint in Sachsen die EineWelt-Läden, Eine-Welt-Partnerschaftsinitiativen oder Hilfsprojekte im Globalen Süden und Osten. Solche Netzwerke gibt es praktisch in jedem Bundesland. Wir haben so ca. 50 Mitglieder, dabei sind z. B. die AG Postkolonial aus Leipzig, die arche noVa e.V., die TU Umweltinitiative hier aus Dresden und viele andere mehr.
es jedoch gesetzliche Regelungen, die die Verantwortung von Staaten und Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte sicherstellen. Es kann nicht sein, dass kik oder Primark oder Hugo Boss straflos ausgehen für dramatische Rechtsverstöße und Menschenleben, die ihre Produktion kostet.
Winkler: Das ist ein Irrtum, dem viele unterliegen. Viele denken, „Made in Europe“ oder teurere Marken versprächen eine fairere Produktion.
Fabienne Winkler vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen (ENS) präsentiert gute und richtige Forderungen. Bild: Ralf Richter
rausch – haben wir eingeladen zu einer quasi entwicklungspolitischen Feier. Die InteressentInnen konnten Klamotten mitbringen und Klamotten mitnehmen, es gab eine alternative Modenschau, Filme über die Arbeit an der Mode, Leckereien, Kamingespräch, Tanzen mit den „Tagträumern“ und … Zuckerwatte! Die Fete war am 28. November im Bärenzwinger in Dresden, dem bekanntesten Studentenklub der Stadt. Über 100 meist junge Menschen waren gekommen. Großartig! Winkler: Das alles auch noch unmittelbar vor dem Kauf-NixTag, auf den wir bei der Veranstaltung hingewiesen haben. Und wir hoffen doch, dass einige Besucherinnen und Besucher diesen Tag ein wenig ernst genommen haben. So ganz ums Kaufen kommt man ja doch nicht herum.
der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird? Der Lieferant wird „ausgesondert“, „dezertifiziert“. Wir von der Kampagne für Saubere Kleidung fordern jedoch, dass sich in diesem Falle der Händler, der Abnehmer also, für bessere Arbeitsbedingungen mit besseren Einkaufspreisen engagiert. Das heißt, das Fairtrade-Siegel erhöht noch den Kosten- und Preisdruck, der ohnehin herrscht und der zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen weltweit führt. Siegel und Zertifikate sind der falsche Weg, um Menschenrechte sicherzustellen. Es ändert nichts an den Arbeitsbedingungen, irgendwo nicht mehr zu kaufen. Einsatz für Menschenrechte der NäherInnen fordert dagegen gemeinsame Aktion, z. B. wenn es um die Petition für einen Lohn zum Leben geht (lohnzumleben.de) oder um Protestaktionen in Fällen gravierender Rechtsverletzungen. Letztlich braucht
Musiolek: Jedes dritte Bekleidungsstück in Deutschland kommt aus Osteuropa und der Türkei. Wir haben in der internationalen Clean Clothes Campaign eine Studie mit dem Titel „Im Stich gelassen: Die Armutslöhne der Arbeiterinnen in Kleiderfabriken in Osteuropa und der Türkei“ vorgelegt. Darin wird aufgedeckt, dass bulgarische, rumänische, mazedonische oder moldawische NäherInnen bedeutend weniger verdienen als chinesische und dass die Kaufkraft ihres Lohnes mit der des NäherInnenlohnes in Bangladesch vergleichbar ist. Das ist sehr interessant. Wo kann man sich weiter informieren oder engagieren? Winkler: Das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen sitzt direkt an der Kreuzkirche in Dresden. Unsere Arbeit zu Menschenrechten in der Mode ist auch im Internet einsehbar auf www.lohnzumleben.de oder sauberkleidung.de. Bei „LohnzumLeben“ kann man auch „IM STICH GELASSEN“ oder den „FIRMENCHECK“ herunterladen. Unser Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen (ENS) findet man unter www.einewelt-sachsen.de.
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Agent wider Willen Im russischen Murmansk wurde eine NGO (Nichtregierungsorganisation) als „ausländischer Agent“ eingestuft. Damit droht ihrer Arbeit das Aus. „Ausländischer Agent“ – nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll die Humanistische Jugendbewegung (GDM) zur ersten Organisation im Gebiet Murmansk werden, die durch eine erzwungene „Registrierung“ beim Justizministerium stigmatisiert werden soll. Das zuständige Gericht gab der Staatsanwaltschaft in einem Urteil vom 12. November recht und setzte sich damit auch gegen das Justizministerium durch. Dieses ist die eigentlich zuständige Behörde für die Überprüfung von NGOs, es hatte bei einer Prüfung im Frühjahr keine Veranlassung gesehen, gegen GDM vorzugehen. Die Vorsitzende der Staatsanwaltschaft in Murmansk, Olga Prokina, beteuerte jedoch gegenüber Arktik-TV, die Organisation erfülle beide Voraussetzungen, um als „ausländischer Agent“ deklariert zu werden: „Sie erhalten Finanzierungen aus dem Ausland und sie sind in politische Aktivitäten involviert.“ Die Artikel, die die GDM in den Medien publizierte, wiesen deutlich auf den politischen Charakter ihrer Aktivitäten hin. Die Entscheidung des Gerichts basiert auf einem „psychologisch-linguistischen“ Gutachten“ eines „Experten“, der in den von GDM
Man weiß ja nicht, warum und mit welcher Absicht Väter und Mütter die Vornamen ihrer Kinder auswählen. Der Gründe gibt es sicher viele, von Familientraditionen über Wohlklang im Verein mit dem Nachnamen bis hin zur Hoffnung, der Name könnte ein Vorzeichen abgeben für das Leben, das Leben in seinem Verlauf prägen. „Nomen est omen“ meinten deshalb die alten Römer. Wollen wir uns aber nicht zu sehr versteigen. Solche Namenssymbolik ist sicher nicht weit weg von Astrologie. Sein kann aber doch, dass Eltern einen Namen wählen, um den Charakter des Sprösslings zu formen. Warum nennt einer z. B. seinen Sohn Wolf? Ein häufiger
herausgegebenen Zeitungen „heimliche Aufrufe für Aktionen gegen die regierende Partei“ zu entdecken meinte. Auch würden die Wörter „Rechte“ und „Freiheit“ häufig gebraucht. Die Organisation handle damit „politisch“. Die Konsequenzen einer entsprechenden Registrierung können die Arbeit betroffener Organisationen quasi stilllegen. Dazu gehören etwa eine intensive Kontrolle der Finanzen und der Zwang, sich in Publikationen als „ausländischer Agent“ ausweisen zu müssen. Auch das Mieten von Räumen wird erschwert, zudem laufen andere NGOs, die mit einer gebrandmarkten NGO kooperie-
ren, Gefahr, ebenso als „ausländischer Agent“ klassifiziert zu werden. Bisher ist kein Verfahren festgelegt, wi betroffene Organisationen davon wieder befreit werden können. Selbst dann nicht, wenn auf Geld aus dem Ausland verzichtet wird. Sollte das Urteil nicht erfolgreich angefochten werden, werde man die Organisation notgedrungen auflösen, sagt Tatiana Kulbakina, ein Mitglied der GDM. Allerdings werde man sich mit der Entscheidung nicht abfinden und in Revision gehen. Die Organisation insistiert, ihre Aktivitäten lägen in den Bereichen Kultur und Bildung. Worauf genau das Urteil beruhe, sei den
Mitgliedern bisher nicht mitgeteilt worden. Zudem habe das Gericht ein zusätzliches, zweites Gutachten nicht berücksichtigt. Auch andere NGO aus Murmansk wurden seit dem 2012 eingeführten Verfahren teilweise mehrfach überprüft; etwa die Umweltorganisation Nature and Youth und die LGBT-Organisation Maximum. Zu einem Gerichtsverfahren ist es bisher allerdings in keinem Fall gekommen. Zu den langjährigen Kooperationspartnern der GDM gehört die deutsche Rosa-LuxemburgStiftung (RLS), die internationale Weiterbildungsveranstaltungen organisiert. Tiina
Fahrni, Leiterin des Büros der RLS in Moskau, betonte, die begutachtete Menschenrechtszeitung sei nicht von der RLS gefördert worden, wie in Medienberichten behauptet. „Wir werden den Ausgang des Beschwerdeverfahrens abwarten und das weitere Vorgehen abwägen“, sagte Fahrni der Jungle World. Tatiana Kulbakina wehrt sich zudem gegen die Unterstellung, die GDM handle im Interesse ausländischer Organisationen: „Was wir tun, tun wir, weil wir es wollen. Wir versuchen, kritisches Denken zu fördern, die Regierung sieht dies jedoch als Bedrohung staatlicher Politik.“ Auch der Journalist Aleksandr Borisov aus Murmansk ist nicht mit der Entscheidung des Gerichts einverstanden: „Auf Grundlage der Meinung eines mysteriösen Experten wird GDM stigmatisiert – das ist eine Schande.“ Er selbst schätze die Arbeit der GDM, habe internationale Seminare besucht und auch selbst zahlreiche Veranstaltungen mitorganisiert. „GDM hat mir geholfen, meine Persönlichkeit zu entwickeln und letztlich auch dabei, ein Journalist zu werden“, so Borisov. Es wäre auch für ihn persönlich traurig, müsste die Organisation ihre Arbeit einstellen. Johannes Spohr Erstveröffentlichung: Jungle World Nr. 48, 27. November 2014, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
Name war das nie und ist es heute nicht. Ganz selten ist er aber auch nicht. Der Wolf bedeutet den Menschen etwas. Nicht immer Gutes. Doch er ist auch „Isegrimm“. Das kommt von „Eisen“ und „grimmig“ und ist etwas, worauf man sich verlassen kann. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“, könnte einer denken und kann es auch erfahren haben; erfahren, so wie es heute gemeint ist: dass nämlich die Wölfe des Kapitals einen Werftarbeiter kräftig beißen, wenn er nicht spurt, am Ende sogar den Juden zu Tode hetzen, weil 1936 der schlimmste dieser Wölfe schon „Adolf“ heißt, was zynischer Weise „edler Wolf“ bedeutet. In solcher Zeit kann man sich schon einen Wolf wünschen, der zurückbeißt. Mag sein? Ich weiß es nicht! Der Wolf war aber nun mal da. Und er wusste vom Vater, mit wem er zu heulen und wen er zu reißen hatte. Deshalb wechselte er schließlich sogar das Rudel und den Bau. Die Geschichte könnte jetzt zum guten Ende gekommen
sein – und wenn er nicht gestorben ist, dann heult und beißt er heute noch. Nun, gestorben ist er nicht, er heult noch und beißt und beißt um sich. Aber wie das so ist mit dem Wechsel des Rudels: Fremd bleibst Du dennoch. Das Rudel freut sich über Dich,
sal darf keine Niederlage sein oder wenn, dann eine für die andere Seite. Ist sie ja auch. Schon deshalb, weil plötzlich noch so mancher Wolf das Rudel der vorgeblich Guten verlässt. Deren Höhle und ihre Herrscher können jetzt nicht schrecklich genug besungen werden. Am Ende werden die Wölfe von dort immer größer und immer schlimmer. Schließlich sind sie Drachen und Drachenbrut und der verstoßene Wolf wird zum Drachentöter. Die ersehnte Prinzessin hat er dafür nicht gekriegt. Eigentlich, so erzählt man zumindest, sollte es eine Margot sein. Der Name ist eine Abwandlung von Margarethe und bedeutet „Perle“. Sie blieb die Perle des Alpha-Tiers im alten Bau ... In Karl Friedrich Wilhelm Wanders „Deutsches SprichwörterLexicon“ (erschienen in fünf Bänden in Leipzig von 1867 bis 1880) findet man 662 Sentenzen zum Wolf, freilich keine, in der der Wolf Drachen tötet. Seine Opfer sind die Schafe. „Der Wolf frisst das Schaf und die Zeit die Lüge“, finde ich bei
Wander. Und so muss der alte Wolf einen Ausweg suchen, um sich die Anerkennung als Drachentöter zu erhalten. Als einsamer Steppenwolf will er nicht sterben. Was ist denn aus den so gefährlichen, gefräßigen, grausamen Wölfen geworden? Die Menschen nahmen sich ihrer an und sie wurden ihre treuesten Begleiter. Sie beißen noch, sie bellen und heulen, dem menschlichen Herren jedoch unterwerfen sie sich, egal was und wie der ist. Den Wolf unserer Geschichte ereilte sein Schicksal. Er bellt gegen die Drachenbrut und ist das Hündchen seiner neuen Herren. Diese geben ersehnte Anerkennung und Streicheleinheiten. Den Nachkommen der „Drachen“ aber sage ich: Drachen waren einst sehr gefürchtet, und nur mit List zu bezwingen. Heute hält man sie für niedlich und lieb. Sie wollen wie der Drache Grisu Feuerwehrmann werden, statt Feuer zu speien. Alle Achtung! Aber auch – Achtung! Das könnte manchmal dem Weg vom Wolf zum Schoßhund gleichen.
Von Wölfen, Hündchen und Drachen zum Alpha-Tier taugst Du aber nicht. Im fremden Bau muss der übergelaufene Wolf feststellen, dass es eine sehr feste Ordnung gibt, die ihm gar nicht behagt, und dass Stolz und Eitelkeit und Ehrgeiz nicht erwünscht sind. Das Rudel ist alles – und Schluss! Wer das nicht kapiert und immer wieder dagegen löckt und heult, wird eines Tages rausgeschmissen aus der Wolfshöhle und findet sich – hast Du nicht gesehen – wieder im alten Bau und beim alten Geheul. Solches Schick-
Hintergrund
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„Keine Belastung, sondern eine Bereicherung“ Jens-Eberhard Jahn diskutierte für „Links!“ mit Juliane Nagel, Abgeordnete der LINKEN im Sächsischen Landtag, und mit Pater Frido Pflüger, Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, über die Themen Migration und Flucht.
auf über 11.000 wachsen. 2013 waren es 5.800. Bis zum 30.09. betrug die Auslastung in den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) in Chemnitz 94 % und in Schneeberg 105 %. Ein wesentliches Problem ist also die Überfüllung – insbesondere für die neu Ankommenden, die oft schwer traumatisiert sind. Es werden doch neue Unterkünfte geplant. Wir müssen die EAE des Freistaates und die kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte auseinanderhalten. Als temporäre EAE ist seit Anfang Oktober das ehemalige Bundeswehrkrankenhaus in Leipzig-Wiederitzsch im Gespräch.
Juliane Nagel, Sie sind als Mitglied der Linksfraktion auch für Flüchtlingspolitik zuständig. Wie sehen Sie das Flüchtlingsproblem? Nicht die Flüchtlinge sind das „Problem“, sondern diejenigen, die verfolgte, Schutz suchende Menschen als Bedrohung wahrnehmen und ihnen Sozialleistungsmissbrauch unterstellen. Welche Probleme haben Flüchtlinge derzeit in Sachsen? Bis zum Jahresende soll die Zahl der Asylanträge in Sachsen wohl
Wie ist die Stimmung in Wiederitzsch? Die Bevölkerung verhält sich eher ablehnend. Ich sehe aber Potential, die Stimmung zu drehen. Was derzeit aber z. B. in Dresden abgeht – die große Ablehnung von kleinen Unterkünften in den Stadtteilen und die wachsende Mobilisierung der so genannten PEGIDA, die montags mehrere tausend Menschen gegen eine vermeintliche Islamisierung und gegen Asylsuchende auf die Straße bekommt, macht mir mehr Sorge. Aber was kann die Politik machen?
Die steigenden Flüchtlingszahlen waren vorhersehbar. Es hätten längst Konzepte auf dem Tisch liegen können und es hätte intensiver kommuniziert werden müssen. Wir brauchen menschenwürdige EAE und eine schnelle dezentrale Unterbringung in den Kommunen. Völlig prekär sind auch Fragen der sozialen Betreuung, Gesundheitsversorgung und Rechtsberatung. Die evangelische Kirche hat jetzt 400.000 Euro für die Flüchtlingsarbeit bereit gestellt. Zum Glück kann die Zivilgesellschaft einige der staatlichen Versäumnisse auffangen. Die Umsetzung des Asylrechts, wie es im Grundgesetz steht, ist aber nun mal Aufgabe des Staates. Daran werde ich im Landtag immer wieder erinnern müssen.
Foto: Angelika Mendes, jrs
Pater Pflüger, Sie sind Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, des Jesuit Refugee Service (JRS) in Deutschland. Was tut der JRS? In Deutschland beraten wir Flüchtlinge, erarbeiten politische Stellungnahmen und leisten Seelsorge und rechtliche Beratung in der Abschiebungshaft. In Sachsen gibt es keine Abschiebehaft. Flüchtlinge aus Sachsen, die abgeschoben werden sollen, kommen nach Berlin. Genau. In Berlin sitzen derzeit ca. 20 bis 30 Menschen aus verschiedenen Bundesländern in Abschiebungshaft. Der Unterhalt dieser Anstalt kostet 1 Mio. Euro im Monat. Auch deshalb sollte sich die Bundesregierung von diesem Instrument verabschieden. Hinzu kommt: Abschiebungshaft stempelt unschuldige Flüchtlinge als Verbrecher ab. Und dieses Bild nimmt die Öffentlichkeit wahr. In Sachsen wurde vor einigen Tagen eine Polizei-Sondereinheit für straffällige AsylbewerberInnen gegründet.... ... sachlich völlig ungerechtfertigt. Selbst die Polizei in Sachsen warnt vor Stigmatisierung. Genau das aber passiert durch solche Maßnahmen und schürt unbegründete Ängste der Bevöl-
kerung. Das ist gesellschaftlich brandgefährlich. Im November hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt, dass fast die Hälfte aller Deutschen eine abfällige Meinung von Asylsuchenden hat. Was kann man diesen Menschen sagen? Zum Beispiel, dass es ein Irrtum ist, dass die Flüchtlingszahlen hierzulande dramatisch wären. Weltweit sind derzeit 51 Mio. Menschen auf der Flucht. Von denen hat die EU im Jahr 2013 weniger als ein Prozent, etwa 400.000 aufgenommen. Allein im kleinen Libanon sind es 1,5 Mio. Was müsste sich in der EU-Politik sofort ändern? Flüchtlinge müssen sicher nach Europa kommen und hier Asyl beantragen können. Das fordert auch der Papst. Welche Rolle spielt Papst Franziskus in der Debatte? Er sagt, dass die selbstbezogene Abgrenzung Europas biblischen Geboten widerspricht. Aufbruch, Flucht und Befreiung sind Kernthemen der Bibel. Und immer wieder werden wir aufgefordert, vermeintlich „Fremde“ als unseresgleichen aufzunehmen. Diese Menschen sind keine Belastung, sondern eine Bereicherung!
Ukraine-Wahlen und das Tauziehen zwischen Ost und West Es gab Wahlen in der Ukraine. Dieses Mal im Osten. Der Westen und Kiew tobten: Unrechtmäßíg und nicht akzeptabel! Die russische Minderheit, die im Gebiet um Donezk und Lugansk die Mehrheit der Wahlbevölkerung stellt, hält mit ihren „Volksrepubliken“ dagegen: „Entscheidend ist, dass Russland die Wahlen anerkennt.“ Psychologische Kriegsführung beginnt mit Worten. Am beliebtesten sind derzeit in westlichen Medien die Worte „Terrorist“ und „Separatist“. Beide Bezeichnungen implizieren, dass die so Titulierten Böses im Schilde führen. Hat „der Westen“ (auch das eine Selbstbezeichnung, ebenso wie „westliche Werte“ – als gäbe es keine universellen Werte wie Humanismus und Toleranz), insbesondere Deutschland, damals nicht die „kroatischen Separatisten“ mit Geld und Waffen beliefert? War es nicht Deutschland, das durch seine schnelle Anerkennung des „Separatisten-Staates“ tatkräftig an der Zerschlagung Jugoslawiens mitwirkte? Wurden die Kroaten seinerzeit als „Separatisten“ bezeichnet? Keinesfalls, die gezielt betriebene Abspaltung wurde in Bonn als „Befreiung von der Bevormundung durch Belgrad“ ge-
feiert. Wir lernen daraus: Wenn zwei scheinbar das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Nur: Stimmt es denn wirklich, dass die Russen in der OstUkraine das Gleiche wollen wie seinerzeit ein Teil der Kroaten? Es gab damals in Belgrad keinen Putsch, bei dem eine rechtmäßig gewählte Regierung – es sei dahin gestellt, wie gut oder schlecht sie war – gestürzt wurde. Wenn also in Berlin die Merkel-Regierung gestürzt würde, durch Kräfte, die Geld aus Moskau oder Peking erhalten, müsste man dann in München oder Dresden diesen Putsch anerkennen und die Kräfte, die sich danach durch Wahlen im durch sie kontrollierten Gebiet „legitimieren“ lassen? Wohl kaum. Die Ukraine ist ein politisch tief gespaltenes Land. Bei den letzten Wahlen, die von der Kiewer „Regierung“ veranstaltet wurden, nahmen vermutlich ca. 60 Prozent der Wahlberechtigten teil. 27 Parteien standen zur Wahl. Auf der Homepage der von einem Dresdner heraus gegebenen Ukraine-Nachrichten gibt es die Aufschlüsselung der Wahlergebnisse nach Regionen. Generell fällt auf, dass die Wahlbeteiligung im Süden und Osten wesentlich niedriger liegt als in
den Westgebieten: Oblast Charkow/Charkiw 45,32 Prozent, Transkarpaten – hier lebt eine starke rumänische Minderheit, die keinesfalls von den Geschehnissen in Kiew begeistert ist, auch weil man sie gezielt in den Gefechten der Ost-Ukraine verheizt hat – 44,68 Prozent, Oblast Odessa 39,52 Prozent, Oblast Lugansk/Lushansk 32,87 Prozent. Spitzenreiter bei der Wahlbeteiligung im Westen ist der Oblast Lwiw/Lwow mit 70 Prozent, es folgt der Oblast Ternopil mit 68,28 Prozent und im Oblast Wolhynien – wo es eine größere polnische Minderheit gibt – 64,85 Prozent. In der Stadt des Maidan übrigens hat sich inzwischen längst Ernüchterung breit gemacht: Dort wählten noch 55,86 Prozent. Man erkennt: In den westlichen ukrainischen Nationalistenhochburgen ist die Wahlbeteiligung deutlich am höchsten, aber selbst dort übersteigt sie kaum die 60-Prozent-Marke. Die Kiewer sind längst enttäuscht, und im Osten und Süden versprach man sich kaum etwas von diesen Wahlen. Umso heftiger schlägt man nun propagandistisch von Berlin, Washington, Warschau und Kiew aus auf die „Separatisten“ ein. Anders als seinerzeit in Ju-
goslawien gibt es in der Tat ein Nachbarland mit gleicher Sprache und gleicher Kultur, wo sich die russische Minderheit besser verstanden fühlt als von „ihrer“ Hauptstadt – die Verbindungen von Donezk, Lugansk und Odessa nach Moskau sind besser als die nach Kiew – und das nicht erst seit gestern. Zwar gibt es in der russischen Minderheit durchaus eine starke Strömung, die für die Ostukraine eine „Krim-Lösung“ favorisieren würde, doch gibt es dafür kein Lob aus Moskau. Russland hat immer wieder klar gemacht, dass es die Ukraine als Gesamtstaat erhalten sehen möchte und eine Eingliederung der ukrainischen Ostgebiete nicht beabsichtigt. Andererseits hat Russland aber auch klar gestellt, dass es, sollten die Putschisten von Kiew einen Westkurs durchpeitschen wollen mit dem Ziel, Teil der NATO und EU zu werden, nicht tatenlos zusehen wird. Die Wahlen in der Ost-Ukraine werden also von Moskau begrüßt und vom Westen verdammt – statt eine Eigenstaatlichkeit zu erreichen, wie die Separatisten in Kroatien, wird die Ost-Ukraine aber eher „auf schottisch-katalanischem Autonomiekurs” wandeln und auf eine garantierte weitgehen-
de Unabhängigkeit von Kiew pochen. Eine ausgezeichnete Analyse zur russischen Politik schrieb der US-Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer unter der Überschrift „Putin reagiert“ für Foreign Affairs. Auf sieben Seiten analysiert er westliche Politik und die russische Reaktion darauf. Sein Fazit: Der Westen täte gut daran, zu akzeptieren, dass die Ukraine ein Staat wird, der weder in Russlands eurasische Union noch in die EU aufgenommen wird, und der außerdem in militärischer Hinsicht ein neutrales Land wird. Nur so und mit gemeinsamer Unterstützung durch die EU und Russland kann ein stabiler Pufferstaat geschaffen werden, der im Interesse der EU und Russland ist. Instabilität schadet allen – eine stabile Ukraine aber kann auf einen guten Weg gelangen. In Kroatien ist das übrigens nicht gelungen. Inzwischen leben vier Millionen Kroaten außerhalb Kroatiens – und ebensoviele Kroaten leben (noch) in Kroatien, wobei viele auswandern wollen. Will man im Westen wirklich zusätzlich zum Flüchtlingsdruck aus Syrien, Irak und Nordafrika Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine haben? Ralf Richter
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Dezember 2014
Sachsens Linke
Das Thema Flüchtlingspolitik bewegt Sachsen: In dieser Ausgabe liefert Silvio Lang eine Einschätzung zu „Pegida“, Simone Hock berichtet von einem erfolgreichen Straßenfest für Flüchtlinge in Zwickau. Tilman Loos war am katalanischen Unabhän-
gigkeitstag in Barcelona und wirft einen Blick auf die katalanische Separationsbewegung und regio-nationalistische Tendenzen.
Enrico Pfau empfiehlt ein lesenswertes Büchlein von Arthur Schopenhauer, das für die Debattenkultur sehr bedeutsam sein kann.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d
Geflüchtete willkommen!
„Das muss drin sein: Gute Arbeit, gutes Leben!“ DIE LINKE will das Thema „prekäre Lebensverhältnisse“ in den gesellschaftlichen Diskurs zurückbringen Rund ein Viertel der Beschäftigten und ein Drittel der Bevölkerung werden heute von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgegrenzt: Infolge der Agenda 2010 sind Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen an der Tagesordnung, insbesondere junge Menschen kommen nach der Ausbildung in unsichere Beschäftigungsverhältnissen mit fehlender Zukunftsperspektive. In einigen Branchen sind Mini- und Midijobs, erzwungene Teilzeit, Arbeit auf Abruf, unbezahlte Überstunden, Solo- und Scheinselbstständigkeit zur Regel geworden. Diese Mechanismen dienen der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“. Oder ganz einfach übersetzt: Lohndrückerei und verstärkter Ausbeutung der Beschäftigten. Abgedrängt in prekäre Arbeitsund Lebensverhältnisse bietet sich den Betroffenen keine mittel- oder gar langfristige Perspektive. Ihre Lebensplanung, ihre gesellschaftliche Teilhabe ist durch den Druck eingeschränkt. Daneben sind weiterhin fast vier Millionen Menschen erwerbslos, viele davon dau-
erhaft dem Hartz-IV-Regime unterworfen, Sanktionen ausgesetzt, in 1-Euro-Jobs, ohne Perspektive zur Rückkehr auf den regulären Arbeitsmarkt. Die Angst, selbst Teil dieses Regimes zu werden, drängt Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse, übt wiederum Druck auf Stammbelegschaften aus, bildet Drohpotential für all jene, die in Lohn und Brot stehen. Der Stress – ob am Arbeitsplatz oder in der Arbeitslosigkeit – nimmt zu. Das alles wird als gesellschaftliche Realität akzeptiert, bleibt im politischen wie gesellschaftlichen Mainstream unwidersprochen. Und genau hier soll eine Kampagne ansetzen, die die Partei DIE LINKE bis ins Bundestagswahljahr 2017 begleiten soll. Mit einem Zukunftskongress im April 2015 in Berlin plant die Bundespartei den Aufschlag, um das Thema „prekäre Lebensverhältnisse“ und darüber hinausweisende Konzepte ins gesellschaftliche Bewusstsein zu bringen. Dabei geht es um nicht weniger als um das Ringen um gesellschaftliche Hegemonie: Das Thema prekäre Lebensverhältnisse soll durch diese Kampagne in das gesellschaftliche Bewusstsein zurückkehren und problematisiert werden. Es geht um die Überwindung von Akzeptanz.
Der Zukunftskongress in Berlin als Startpunkt dieser Kampagne soll dabei verschiedene thematische Achsen haben: So soll die Zukunft der gesellschaftlichen Arbeit ebenso thematisiert werden wie die Möglichkeit, Zeit für ein erfülltes Leben zu haben, die als Alternative zum prekären Leben notwendig ist. Daneben wird auch das Thema „Gleichheit als Chance“ über die Umverteilung von Privat zu Öffentlich, Oben nach Unten, von den Gewinnen zu den Löhnen diskutiert. Die Zukunft der Daseinsvorsorge, des Öffentlichen und der Commons bilden die dritte Diskussionssäule. Als vierte Säule ist das Thema „Produktion der Zukunft“ zum Plan B, dem Spannungsverhältnis zwischen Wachstum und Lebensqualität, sowie Wirtschaftsdemokratie und Konversion statt Finanzkapitalismus und Austerität gesetzt. Und schließlich soll auch die „Aneignung der Demokratie“ u.a. durch Bildung im Zeichen von Mündigkeit behandelt werden. Der Kongress soll auch einen Beitrag zur politischen Kultur in der Partei leisten. Er ist eine Einladung zum Mitdenken und Mitarbeiten. Das wird sich auch darin zeigen, wie die Diskussionen organisiert werden. So sollen Podiumsdiskussio-
nen veranstaltet werden, auf denen Analysen und Konzepte vorgestellt werden, die die Diskussion bereichern sollen. Aber auch in „Laboren“ soll gearbeitet werden, in denen die Fragen von Strategie und Hegemonie im Mittelpunkt stehen: Konzepte, Projekte und Politikerfahrungen werden eingebracht. In Foren sollen alle die Möglichkeiten haben, ihre Erfahrungen auszutauschen und sich mit anderen zu vernetzen. Auch in Sachsen wird die Kampagne Widerhall finden. So wird im Mai – im Anschluss z bundesweiten Zukunftskongress – ein eigener sächsischer stattfinden, auf dem gerade auch im Hinblick auf die Landtagswahlen 2014 Schlussfolgerungen für die politische Arbeit in Sachsen entwickelt werden sollen. Dieser Zukunftskongress ist ein Baustein zur Übersetzung der Kampagne für die sächsische Partei und gleichzeitig Startpunkt für den Landesverband. Das Thema prekäre Lebensverhältnisse oder vielmehr deren Überwindung liegt also vor uns. Es wird uns in den nächsten Jahren begleiten. Es ist unsere Aufgabe, unsere Herausforderung, aus diesem Thema einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu machen. Thomas Dudzak
Was derzeit in Dresden passiert, kann einen an die frühen 90er Jahre erinnern. Damals richtete sich die Wut gegen Asylsuchende. Sie wurden verfolgt, ihre Heime brannten. Die Politik reagierte nicht etwa mit Schutz für Asylsuchende, sondern mit der faktischen Abschaffung des Asylrechtes. Die Politik einer übergroßen Koalition kapitulierte damals vor dem Mob auf der Straße. Dass nun in Dresden wie andernorts Tausende auf die Straße gehen – vorgeblich zum „Schutz des Abendlandes“ und gegen eine „Islamisierung Deutschlands“ –, ihre Forderungen jedoch nur das Feindbild Flüchtende kennen, muss aufrütteln. Sie richten ihre Wut gegen Menschen, die gerade aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und dem Irak zu uns kommen, weil sie vor Gewalt und Krieg, vor den Gräueltaten des sogenannten „Islamischen Staates“ flüchten. Sie sind Opfer eines sich vorgeblich auf den Islam berufenden Terrors. Sie sind oft Christen. Hier werden sie erneut zu Opfern: Bundesweit gab es seit Januar fast 90 Übergriffe auf Asylunterkünfte – doppelt so viele wie 2012 und 2013 zusammen. Fremdenfeindlichkeit ist wieder populär. Deshalb müssen wir mit klaren Botschaften reagieren: Wer vor Terror und Gewalt flüchtet und unsere Hilfe braucht, dem wollen wir helfen. Gleichwohl dürfen Kommunen bei dieser Hilfeleistung nicht allein gelassen werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtspopulisten das Wohl der Menschen in diesem Lande und das Schicksal Asylsuchender gegeneinander ausspielen. Deshalb muss es gerade von unserer Seite heißen: Geflüchtete willkommen!
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Meinungen Zur Rot-Rot-Grün in Thüringen Zur Bewertung einer möglichen rot-rot-grünen Koalition wird die Vergangenheit herangezogen. In der jüngeren Vergangenheit ab 1989 hat die PDS und später DIE LINKE ihre Vergangenheit aufgearbeitet wie keine andere Partei. Begonnen hatte dies mit der Rede „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“ von Michael Schumann auf dem SED-PDS-Sonderparteitag im Dezember 1989. Es folgten zahlreiche Kommissionen, Konsequenzen, Beschlüsse. Es ist unredlich, dies zu ignorieren, insbesondere wenn die Vorwürfe von den Nachfolgerorganisationen der früheren Blockparteien CDU, LDPD und Bauernpartei kommen. Wie haben diese Parteien ihre Vergangenheit aufgearbeitet? Fühlen sich die ehemaligen Blockparteien entmachtet und verraten, weil nun Bündnisgrüne und Sozialdemokraten als Nachfolger der DDR-Bürgerbewegungen in eine Landesregierung unter dem westdeutschen Gewerkschafter Ramelow eintreten? Eine Partei wie die CDU, die zudem nach 1949 kein Problem damit hatte, zahllose Führungspositionen in der Bundesrepublik Deutschland mit überzeugten Nationalsozialisten zu besetzen, sollte sich in Zurückhaltung üben, wenn es um Kritik an dem Zustandekommen einer demokratischen und legitimierten Mitte-Links-Regierung geht. Wer in der DDR gelebt habe, müsse sich anstrengen, um eine solche Regierung zu akzeptieren, äußerte unlängst ein bis Mitte 1989 völlig angepasster nordostdeutscher Pfarrer. Heißt das, alle Links-, SPD- und Grünwähler in Thüringen seien zugewanderte Westdeutsche? Sollten geschichts-
Glosse 25 Jahre Zeit hatten die christlichen Großkirchen in Dresden, um die Stadt zu christianisieren. Enorme finanzielle Mittel, Medien und sogar eine durchregierende, sich christlich nennende Staatspartei standen ihnen dafür zur Verfügung. Das hat bislang keinen Erfolg gehabt: Die Kirchenaustritte steigen auch hier, 70 % der Bevölkerung sind schlicht Ungläubige geblieben.
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung
bewusste Ostdeutsche nur CDU wählen? Apropos Geschichte und CDU: Worüber waren sich 1945-1949 CDU, KPD und SPD in ihren Parteiprogrammen einig? Richtig: In der Forderung nach einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Jens-Eberhard Jahn, Leipzig Zu „Unrechts ist nicht Links“ (Sachsens Linke! 11/2014, S. 3) Vielen Dank an Jens Matthis für die Klarstellung, dass es bei der Unrechtsstaatsdebatte nicht um das auch von Linken kritisierte Unrecht in der DDR geht. Dieses gibt es in ähnlicher Weise auch in der BRD, teilweise sogar in noch stärkerem Maße (z. B. Militarisierung, Privilegien). Kritisiert wird der Versuch, ein alternatives Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aufzubauen. Deshalb unterstütze ich die Forderung, aus der Kritik an der DDR eine Kritik am gegenwärtigen System abzuleiten und gleichzeitig nachzuweisen, dass die gegenwärtig Herrschenden mit der Unrechtsstaatsdebatte nur von eigenem Unrecht ablenken und eine bessere Gesellschaft verhindern wollen. Ich würde mir wünschen, wenn in der LINKEN allgemein in dieser Richtung argumentiert wird, statt den neuen Vorgaben von oben zu folgen. Auch der Widerstand gegen solche verordneten Meinungsäußerungen ist eine Erfahrung aus der DDR. Rita Kring, Dresden Militäreinsätze – Eine notwendige Debatte! Aber wie? Wir sind eine Friedenspartei. Jedenfalls steht das so in unserem Parteiprogramm. Wenn ich jedoch die Debatte verfolge, so verläuft diese alles andere als friedfertig. Gegenseitige Vorwür-
Seite 2 fe und Unterstellungen sind an der Tagesordnung; werden die einen als Kriegstreiber, Verräter am Parteiprogramm bezeichnet und den anderen wird vorgeworfen, die Menschen in Kubane im Stich zu lassen, ihre Ermordung zu dulden. Oder man kann lesen: „Pazifismus ist die Arroganz der Unbeteiligten!“ Ich halte das weder für kulturvoll noch für hilfreich. Eine Debatte, die mit gegenseitigen persönlichen Angriffen, Beleidigungen und Herabsetzungen geführt wird, hinterlässt Kränkungen und Verletzungen und führt nicht zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung in der Sache. Doch genau diese inhaltliche Auseinandersetzung brauchen wir, um Antworten auf die globalen Probleme geben zu können. Wie wollen wir als Partei uns positionieren, wenn Terrormilizen Völker bedrohen und abschlachten? Wie wollen wir mit den weltweiten politischen Veränderungen, die zu einer neuen globalen Ordnung führen werden, umgehen und welche Vorschläge haben wir als Friedenspartei, um die vielen weltweiten Konflikte friedlich zu lösen? Wir alle kennen die aktuellen Bilder aus Kubane und den Gräueltaten der IS-Terrormiliz. Und jedem ist klar, dort muss was getan werden, hat die Weltgemeinschaft die Verantwortung das Morden zu beenden. Während die Welt und gerade der UN-Sicherheitsrat tatenlos zuschauen, ist auch in der LINKEN die Diskussion um Militäreinsätze neu entbrannt. Die einen lehnen Militäreinsätze kategorisch ab, die anderen wollen eine Einzelfallprüfung und fordern unter dem Eindruck der Bilder aus Kubane ein robustes UN-Mandat. Ich selbst mag keiner Position uneingeschränkt zustimmen. Die Ablehnung aller Militäreinsätze als Kernaussage als einzige Friedenspartei ist in meinen Augen richtig. Das ist ein Alleinstel-
Forschungsstandort Dresden
lungsmerkmal, das wir als Partei nicht so einfach aufgeben sollten. Dennoch ist auch mir klar, dass militärisches Eingreifen in besonderen Situationen notwendig sein kann, wenn alle anderen politischen Möglichkeiten ergriffen wurden aber erfolglos blieben und nur so größeres Leid verhindert werden kann. Die für mich entscheidende Frage ist jedoch, nach welchen Kriterien wir entscheiden wollen, wann ein militärisches Eingreifen notwendig ist. Und wer soll diese Entscheidung treffen? Sollten wirklich Parteien oder Staaten entscheiden, wann militärisches Eingreifen gerechtfertigt ist? Ich denke nein, zumal es dafür die UNO gibt. Diese muss jedoch grundlegend reformiert und gestärkt werden, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Hier sehe ich durchaus auch Möglichkeiten für uns als LINKE, zu formulieren, wie aus unserer Sicht die UNO von heute aufgestellt sein muss, um den veränderten weltweiten Gegebenheiten gerecht zu werden, um rechtzeitig und effektiv bei entstehenden Konflikten eingreifen zu können. Dabei gilt, dass militärisches Eingreifen tatsächlich nur das allerletzte Mittel sein kann und darf. Wie dann im Falle eines robusten UN-Mandates im Bundestag über die Beteiligung der Bundeswehr abgestimmt wird, muss jede/r Abgeordnete/r für sich selbst entscheiden. Keine Entscheidung wird dabei vom Einzelnen leichtfertig getroffen, davon bin ich überzeugt. Als LINKE, als Friedenspartei jedoch ein robustes UN-Mandat zu fordern, halte ich für gefährlich. Denn kommt es, so dürfte es schwierig sein, gegen einen solchen Einsatz im Bundestag zu stimmen. Warum ein UN-Mandat fordern und dann im Bundestag dagegen stimmen? Uneingeschränkt befürworten würde ich hingegen einen humanitären Auslandseinsatz, um Beispielsweise die Flüchtlin-
ge in den Grenzregionen zu unterstützen. Darüber hinaus sehe ich als Aufgabe einer Friedenspartei an, Konzepte zu entwickeln und Wege aufzuzeigen, wie man zukünftig mit nichtmilitärischen Mitteln entstehende Konflikte auflösen und Eskalationen verhindern kann. Damit könnte DIE LINKE den Begriff „Friedenspartei“ mit neuen Inhalten füllen und ihrem eigenen Anspruch ein Stück näher kommen. Simone Hock, Zwickau Zu Betrieben, die von den Russland-Sanktionen der EU betroffen sind Wäre es auch im Interesse des sächsischen Mittelstandes nicht besser, lieber ein Ende der EUSanktionen gegen Russland statt Untersuchungen der EmbargoFolgen oder Ausgleichszahlungen aus unseren Steuergeldern zu fordern? Bis auf die an Konfrontation und der Unterwerfung Russlands unter westliches Diktat Interessierten würden davon alle Vorteile haben. Das gilt auch, weil so die Verständigungsangebote Russlands für eine friedliche Zusammenarbeit genutzt werden könnten. Uwe Schnabel, Coswig Meinung zur Glosse von Uwe Schaarschmidt, SachsensLinke! 11/2014, S. 2 Entweder bin ich zu blöd und habe die Glosse nicht richtig verstanden oder Uwe Schaarschmidt hat noch nicht mitgekriegt, dass DIE LINKE eine pluralistische Partei ist und dass es, anders als in der SED, kein sich ausschießender Gegensatz mehr ist, Christ und Sozialist zu sein. So kann man mit den religiösen Gefühlen unserer Genossen nicht umspringen. Das ist beleidigend und nimmt der ansonsten richtigen Aussage ihren Wert. Ich muss mich wundern, dass Ihr so etwas abdruckt. Das hat mit freier Meinungsäußerung nichts zu tun. Jürgen Eibicht
von Uwe Schaarschmidt
Daran wird deutlich, wie durchgeknallt die Behauptung ist, mit ein paar tausend Flüchtlingen, arm wie die Kirchmäuse – viele davon selbst verfolgte Christen – drohe eine „Islamisierung des Abendlandes“. Dass es dennoch wiederum gerade Dresden ist, in dem eine solche, absurde Behauptung tausendfachen Zuspruch findet, lässt den Betrachter fast
ratlos am Rande stehen. Was ist nur los mit dieser Stadt, dass sich noch der abenteuerlichste Unfug in Massen unter die Leute bringen lässt? Zwar haben Politik und Medien seit Jahren mit ihrem dummen Gequatsche von der Leitkultur und einem beispiellosen Islam-Bashing ganze Vorarbeit dazu geleistet, dass bei Thilo Sarrazins Leserschaft nun auch noch die
letzte Schraube locker wurde – aber der hat seine dümmliche Schwarte ja nun bundesweit 1,5 Millionen Mal verkauft. Warum also Dresden? Ich habe da meine ganz eigene Meinung, tief aus meinem Bauch heraus, als 1985 Zugezogener. Aber die hat in einer politischen Debatte nichts zu suchen. Herauszufinden, warum gerade die Dresdner offensicht-
lich für jeden Schwachsinn zu begeistern sind, wäre eine Forschungsaufgabe für ein interdisziplinäres Team aus Soziologen und Psychologen. Ich habe zwar den Verdacht, sie kämen dabei zu keinem anderen Ergebnis, als jenem, das mein Bauch mir sagt. Aber auf mich hört ja keiner. Deshalb sollten die größten Kapazitäten umgehend die Arbeit aufnehmen.
und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 15.150 Exp. gedruckt.
Ralf Richter, Stathis Soudias.
Redaktionsschluss 29.11.2014
Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.
Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 05.02.2015.
Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-
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Das Problem heißt: Rassismus! Seit einigen Wochen findet montags unter dem Kürzel PEGIDA eine stetig wachsende Demonstration in Dresden statt (PEGIDA = „Patriotische Europäer Gegen Islamisierung Des Abendlandes“). Der Ursprung war die Beobachtung einer pro-kurdischen Demonstration als Unterstützung für die Kämpfenden in Kobane Anfang Oktober. Daraus zogen der Hauptinitiator Lutz Bachmann und eine ihm langjährig nahestehende Gruppe von etwa zwölf Personen die abstruse Schlussfolgerung, dass die „Glaubenskriege“ des Nahen Ostens nun auf Dresdens Straßen ausgetragen würden.
eine Aktionsform und einen Kristallisationspunkt gefunden, der ganz offensichtlich für die mit rassistischen Einstellungen hochgradig durchsetzte sogenannte „bürgerliche Mitte“ anschlussfähig ist. Obwohl klassische Nazis von NPD und Kameradschaf-
schwingen sich zum Verteidiger der Meinungsfreiheit gegen Salafist_innen und die Islamisierung im Allgemeinen auf. Hochgehalten wird ebenfalls ein vermeintlich christlich-jüdisches Wertekonstrukt „unserer“ Gesellschaft. Schaut man aber hinter die
Sind PEGIDA nun Nazis?
ten durchaus vertreten sind, speist sich mittlerweile das Hauptklientel aus der wohl mehrheitlich BILD-Lesenden „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Bevölkerungsschicht. Bei der bei Redaktionsschluss aktuellsten Demonstration zogen mehr als 5.000 Menschen durch Dresden, schweigend bis auf „Wir sind das Volk!“-Rufe und ausgestattet mit allerlei nationalen Winkelementen. Nach außen betonen die Akteur_innen zwar stets Friedfertigkeit und
Fassade, erkennt man ein großes Portfolio der Ideologien der Ungleichwertigkeit: Rassismus, Nationalismus, Chauvinismus, Islamophobie bis hin zu offen neonazistischen Äußerungen. Sie sprechen daher immer vom „Vaterland“, „unsere Großväter und Großmütter“, „unsere Kinder“, einer „deutschen Kultur“ und von einer „deutschen Rasse/ deutsches Volk“. Das Wort „Europäisch“ wird nur als Vorwand benutzt, um nicht sofort als „Nationalisten“ öffentlich aufzutreten.
schung“ der „deutschen Kultur“. Geht man in der Analyse tiefer, stellt man aber fest, dass dieser vorgetragene Anti-Islamismus nur Mittel zum Zweck ist, um ein in weiten Teilen der Bevölkerung offensichtlich verbreitetes diffuses Angstgefühl vor zu starker Zuwanderung und ihren Folgen zu steigern. Eine Islamisierung ist in Dresden weder beleg- noch greifbar. Tatsächlich wird dieses Thema durch PEGIDA ausgenutzt, um Stimmung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu machen und
Diese Frage stellt sich unweigerlich. Das selbst formulierte Gruppenziel ist (zunächst) die offene Bekämpfung der „schleichenden“ Islamisierung von Deutschland und die Verhinderung der „Durchmi-
Von facebook auf die Straße Schnell nach der Pro-Kobane-Demo wurde auf facebook eine geheime Gruppe gegründet, ursprünglich unter „Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Später folgte noch eine offene Seite unter „PEGIDA“. Die spätere Ersetzung von „Friedlich“ durch „Patriotisch“ ist bereits ein erstes Indiz für die tatsächliche, völkisch-nationalistische und rassistische Ausrichtung. Alle Organisator_innen sind über die Hooliganszene, Rockerszene oder die extrem rechte Szene vernetzt. Auch lassen sich Bezüge zur bundesweiten HoGeSa-Bewegung herstellen. Dennoch kann man nicht von einer Bewegung mit dem Anspruch tatsächlicher Veränderungen sprechen. Denn dort, wo konkret über Asylsuchendeneinrichtungen diskutiert wird, ist PEGIDA nicht anwesend. Vielmehr hat der rechtsaffine Stammtisch hier
eine Kultur der Vorurteile und der Ablehnung gegenüber allen „nicht Deutschen“ zu erzeugen. Es gibt also einen Unterschied zwischen PEGIDA und zum Beispiel den Nazidemonstrationen der NPD, wie wir sie in Dresden zuletzt am 7. Juni beobachten konnten. Die Teilnehmer_innenschaft ist nicht homogen aus offen zuordenbaren Nazis zusammengesetzt. Die Gemeinsamkeit der ideologischen Ausrichtung steht aber im Vordergrund, sowie die zumindest von Teilen der PEGIDA-Gruppierung ausgehende Gefahr für Menschen, die eben nicht in ein „patriotisch deutsches“ Weltbild passen. Die vorgetragene Gewaltfreiheit ist schon längst nur noch Fassade, beobachtet man die Demonstrationen und die Reaktionen auf Gegenproteste oder die bereits vorgefallenen gewalttätigen Angriffen auf Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen im Umfeld der PEGIDA. Es ist nur eine Frage der Zeit und des nötigen Funkens, bis der gewaltaffine Teil der Gruppe sein wahres Gesicht auch in größerem Rahmen zeigt. Dann wird es den Organisator_innen hinter PEGIDA nicht mehr gelingen, die Geister zu kontrollieren, deren Ideologie sie so laut rufen. Deswegen muss PEGIDA entschieden entgegengetreten und ihnen die Hoheit auf der Straße und im Diskurs genommen werden! Gegen jeden Rassismus und jeglichen religiösen Fanatismus! No PEGIDA! Silvio Lang Grundlage dieses Artikels ist ein Text zur Analyse von PEGIDA, der auf www.dresden-nazifrei.com veröffentlicht wurde.
Familienwahlrecht – Chance für mehr Beteiligung oder Bullshit? Vor kurzem eröffnete die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig erneut die Diskussion um das Familienwahlrecht. „Kinder sollten eine stärkere Stimme in der Politik haben“, sagte die SPDPolitikerin der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Deshalb stehe sie einem Familienwahlrecht positiv gegenüber. Doch was bedeutet Familienwahlrecht? Bei diesem Modell bekäme ein Elternteil pro Kind eine zusätzliche Stimme. Ab 18 oder auch ab 16 Jahren könnte der Nachwuchs dann wie bisher sein Wahlrecht selbst ausüben. Auf den ersten Blick ist das eine gute Sache. Eine stärkere Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in politischen Prozessen und bei
Wahlen ist schon lange eine Forderung von vielen LINKEN Politiker_innen. Und es ist auch gut, dass diese Diskussion – die lange Zeit eingeschlafen war – wieder angestoßen wird und vielleicht diesmal zu Ergebnissen führt. Doch das Modell „Familienwahlrecht“ ist nach meiner Meinung der falsche Weg. Zum einen gibt es juristische Probleme: In Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“. Ein Familienwahlrecht, bei dem die Eltern bzw. ein Elternteil für jemand anderes wählen, ist weder unmittelbar noch gleich. Der Grundsatz der Unmittelbar-
keit der Wahl fordert beispielsweise, „dass die Wähler die Abgeordneten selbst auswählen: Zwischen sie und die Bestimmung der Abgeordneten darf kein fremder Wille (z. B. Bestimmung durch Wahlmänner oder durch Volksvertretungen nachgeordneter Gebietskörperschaften) treten“. Im Sinne des Familienwahlrechts würden die Eltern aber genau dies tun. Ihr Wille würde den des Kindes ersetzen. Und auch der Gleichheitsgrundsatz würde verletzt werden, könnten doch Wähler_innen mit Kindern mehr Stimmen abgeben als kinderlose. Somit wäre dieses Modell verfassungswidrig. Ein anderes Problem ist die Durchführung: Nach der Aus-
sage von Ministerin Schwesig „bekäme ein Elternteil pro Kind eine zusätzliche Stimme“. Doch welcher Elternteil bekommt dann die Stimme – Mutter oder Vater? Und was ist mit den Kindern, die bei Adoptiv- oder Pflegeeltern aufwachsen? Was ist bei geteiltem Sorgerecht? Fragen über Fragen, die noch nirgendwo befriedigend beantwortet wurden. Und zum Schluss stellt sich noch die moralische Frage: Was passiert eigentlich, wenn ein 15jähriges und damit beschränkt geschäftsfähiges Kind sagen würde, es wolle die Partei A wählen, die Eltern aber Partei B besser finden? Wie kann man sicherstellen, dass der Wille des Kindes auch wahrgenommen wird?
Wir sollten auch Kinder und Jugendliche an den Wahlen zum Bundes- und Landtag sowie den Kommunalparlamenten beteiligen und plädiere für das Wahlalter Null. Das heißt aber nicht, dass ich fordere, dass zukünftig auch Babys wählen sollen. Aber jedes Kind und jeder Jugendliche, der sich reif dafür fühlt, sollte die Möglichkeit haben, seine Stimme abzugeben. Vor rund 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht eingeführt, auch Migrant_innen haben inzwischen (wenn auch leider noch beschränkt) ein Stimmrecht. Nur bei der Altersgrenze herrscht immer noch eine Altersdiskriminierung. Eine vernünftige Erklärung dafür habe ich leider noch nicht gehört. Sabine Pester
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Die Kunst, Recht zu behalten – Über die Vereinbarkeit von Ethik und Rhetorik „Neulich haben Sie doch etwas behauptet, was am Ende nichts als Sozialismus ist. Wenn wir das umsetzen, was sie vorschlagen, geht hier alles kaputt. Das wird jeder hier im Publikum, der bei Verstand ist, einsehen. Sowieso ist die Mehrheit der Bevölkerung dagegen und ihre Parteichefin warnt öffentlich vor einer Spaltung der Partei. Das kann doch nicht in ihrem Interesse sein? Gehen Sie erstmal richtig arbeiten, bevor sie jedem erzählen wollen, wie die Welt funktioniert“. Wer hat so etwas nicht schon einmal in einer beliebigen Reihenfolge gehört? Alle diese Argumente sind unsachlich, können aber je nach Thema, Streitpartner und Publikum effektiv sein. Denn geht es in einer Debatte nicht darum, Recht zu bekommen? Recht zu haben ist da nebensächlich. Was nützt die Diskussion an der Sache, wenn es darum geht, Wählerstimmen oder die Unterstützung von Parteikollegen zu gewinnen? Kein Argument scheint zu schade, um als Waffe verwendet zu werden – gerade wenn es gar nicht darum geht, den Gegner zu überzeugen, sondern nur darum, den Zuhörern glaubwürdiger zu erscheinen. Es wird die Wenigsten überraschen, dass im politischen Geschäft aus diesem Problem eine Profession gemacht worden ist. Diese Fähigkeit, unredlich zu argumentieren, scheint sogar jedem Menschen innezuwohnen und wird in vielen Fällen ganz intuitiv angewendet. Deshalb liegt es nahe, gegenüber allen Argumenten, auch den eigenen,
misstrauisch zu sein. Ein dafür nützliches Buch ist das Werk des Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1869) über die „Eristische Dialektik oder Die Kunst Recht, zu behalten“. Es ist eine kurzgehaltene Sammlung von Kunstgriffen, die seit der Antike im Gebrauch sind. Autoritätsbeweis oder suggestive Wortwahl gehören dabei zu den bekannteren Tricks. Aber beispielsweise auch deren Anwendung lässt sich verschleiern. Wenn sich ein luxemburgischer Minister zum Thema europäische Steueroasen mit dem Satz äußert, dass das alles legal
er meint, jeder Rechtsstreit sei am Ende ein Streit um Autoritäten. Auch Mehrheiten werden oft als Autoritätsargument bemüht, obwohl das den Meinungen kein Körnchen Wahrheit hinzufügt. Um mit Schopenhauer zu sprechen: „Denken können nur wenige, aber Meinungen wollen alle haben“. Sicherlich ist daraus nicht zu schließen, dass nur wenige privilegiert sind, wahre Überzeugungen zu besitzen. Prinzipiell geht es aber darum, von welchen Argumenten wir uns überzeugen lassen. Allerdings wissen wir oft genug selbst nicht, ob wir Recht haben.
sei, bedient er sich nur der Autorität des Gesetzes. Wenn sich Menschen in Asylfragen damit herausreden, dass der aktuelle Umgang mit Asylsuchenden den Gesetzen entspreche, ist das allein aber noch kein Anhaltspunkt für die Frage, ob der Umgang gut oder schlecht ist. Schopenhau-
Dennoch verteidigen wir unsere Überzeugungen weit über die Sachlichkeit hinaus und verwenden sogar Argumente, an die wir selbst nicht glauben oder die unserem Ziel abträglich sind. Wer sich bestimmter Argumentationsformen bedient, macht sich schnell mit denjenigen Leuten
Runterschalten gemein, von denen man sich eigentlich argumentativ abgrenzen wollte. Die Darlegung der ökonomischen Nützlichkeit von Asylsuchenden ist ein aktuelles Beispiel für eine solche Anbiederung an die Meinung anderer. Dieses Thema hätte auch in die Standard-Debatte über die Frage münden können, ob der Zweck die Mittel heiligt oder ob eher der Spieler oder das Spiel zu kritisieren sei. In der Tat macht es wenig Sinn, dieses Problem nur zu moralisieren und gebetsmühlenartig Appelle an jene zu richten, die sich absichtlich nicht so verhalten, wie es wünschenswert ist. Stattdessen müssen wir uns selbst befähigen, diese rhetorischen Kunstgriffe zu erkennen und sie aus dem eigenen intuitiven Argumentationsstil verbannen. Das eine macht uns resistenter gegenüber Manipulation, das andere ehrlicher zu anderen und zu uns selbst. Gerade in einem linken Politikverständnis, das Selbstbestimmung und Teilhabe vereinen will, hat die Kunst, Recht zu behalten, nichts zu suchen. Alle Manipulation führt nur zu kurzfristigen, trügerischen Siegen. Schopenhauer teilte, inspiriert durch seinen Pessimismus und Zynismus, eine machiavellistische Auffassung von Debattenkultur. Nahezu jeder suche nur seinen eigenen Vorteil, jede Aktion sei ein Puzzleteil im Spiel um die Macht. Daher ist überall Misstrauen angebracht. Aber eigentlich wünschte er sich etwas anderes. Sein Buch über die Kunst, Recht zu behalten, ist nicht als Anleitung zum Manipulieren gedacht. Im Gegenteil. Enrico Pfau
Wer bin ich, Herr Biermann? Es ist der 7. November und im Deutschen Bundestag wurde zum Thema 25 Jahre Mauerfall Wolf Biermann eingeladen. Die Medien sind schon ganz voll von Biermanns Auftritt im Bundestag und ich will mich den Be(Wertungen) weder anschließen oder gar eine eigene abgeben, nur meine Gefühle beschreiben, die ich dabei hatte. Ich kenne Herrn Biermann nicht persönlich. Ich habe mich bislang kaum mit ihm und seiner Biografie beschäftigt. Ich weiß um seine Ausbürgerung aus der DDR, da war ich noch nicht geboren. Die Musik, die er macht und machte, ist nicht die meine, aber so genau kann ich das gar nicht sagen, da ich kaum Lieder von ihm kenne. Vielleicht ist das ein guter Anlass, um das nachzuholen. Ich war als Schriftführerin eingeteilt und saß neben dem Bundestagspräsidenten, der zum
Thema Mauerfall seine Rede hielt, bevor die Musikeinlage kam. Während man so vorne sitzt, sieht man in die Gesichter der Abgeordneten, die aufmerksam und nachdenklich schauen. Oder man sieht nur ihre Scheitel und Glatzenansätze, wenn über die sozialen Netzwerke zum Thema noch getwittert und gefacebookt wird. Eine interessante Perspektive, schaut man doch sonst aus der Fraktionsperspektive auf die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen. Dann kommt Biermann und singt. Na gut, er singt nicht, er redet erst. Herr Lammert ist charmant und hat sogleich einen passenden Spruch parat, demonstriert, dass er der Hausherr ist und hier laut Tagesordnung gesungen werden sollte. Und dann kann der Barde doch nicht aus seiner Haut und muss schimpfen. Das klingt nach Ver-
achtung gegenüber mir, den LINKEN und natürlich meinen Fraktionskollegen, die an ihren Plätzen sitzen. Dann sagt er, dass sein Beruf Drachentöter ist und der Rest ist oder wird wohl bald legendär sein. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Herr Biermann auch eitel ist, und ich fühle mich für einen kurzen Moment unverschuldet gedemütigt. Denn ich bin ja in der DDR aufgewachsen und fand meine Kindheit absolut schön. Linke Ideen erschöpfen sich doch nicht in der Existenz der DDR oder ihrer Fehlleistungen. „…ein Drachentöter kann nicht mit großer Gebärde die Reste der Drachenbrut tapfer niederschlagen …“ Was bin ich nun? Eine gewählte Abgeordnete der LINKEN. Ein Drache, der Feuer speien kann? Ich sehe in den Gesichtern anderer Abgeordnete das Lächeln ob einer gerade noch amüsan-
ten Situation und Bemerkung verebben. Ist es nun verwerflich, links zu sein? Ich kapiere das nicht. Komisches Gefühl hier. Herr Biermann ist mit seinem Beitrag fertig und bedankt sich beim Bundestagspräsidenten – schüttelt ihm die Hand, nachdem dieser ihm zum silbernen Hochzeitstag gratulierte. Und dann dreht sich Biermann noch einmal um und sagt: „Sind Sie bei den Linken?“ Ich nicke. „Am Gesicht, am Gesicht kann man das Erkennen.“ Was soll das heißen? Sehe ich aus wie ein schäbiger Rest? Ist auf meiner Stirn ein roter Stern aufgeflammt? Schaut aus meinen Augen das Unrecht? Sehe ich gestraft aus? Was soll das heißen, Herr Biermann? Ich wurde 1980 in Leipzig geboren. Susanna Karawanskij
Zweierlei Situationen konnten wir jüngst oft beobachten: Entnervte Bahnreisende warten an leeren Gleisen, entnervte Autofahrer warten auf verstopften Autobahnen. Der Frust wuchs täglich. Was fehlte? Die Antwort liefert der zweite „Aufreger“ der letzten Wochen: Der Drache, der den Zusatz „-töter“ nicht (mehr) verdient, jener also, den seine Lieder heute so herrlich demaskieren. In seinem starken Titel „Streikposten vor Euro-Kai“ (1978) heißt es: „Was, oft nur als Phrase hingeschmiert, mit roter Farbe auf Mauern steht – jetzt wissen wir wieder, was das ist: Solidarität. Und das ist vielleicht noch wichtiger als die paar Prozente und die paar Mark“. Sie kann freilich unbequem sein, im Großen wie im Kleinen – besonders für jene unter uns, die sich in den Verhältnissen wohlig einrichten konnten. Opfer, über die uns vorgegangene Generationen keine Silbe verloren hätten – etwa das, einige Stunden warten zu müssen –, treiben uns zu wüsten Elegien. Manchmal sogar so weit, dass wir uns aufwiegeln lassen, von Blättern, die einen unkorrumpierten Gewerkschafter einen „Bahnsinnigen“ nennen. Die fragen, ob er ein „Held“ sei oder ein „Halunke“. Die seine Durchwahl angeben und den „Volkszorn“ zum Auswurf anstacheln. Die sein Wohnhaus abbilden. Dabei könnten wir alle ein wenig zur Deeskalation beitragen. Das Entgleiten von Stimmungen lässt sich schließlich auch auf Wohnzimmersofas und in sozialen Netzwerken bekämpfen. Es spricht vieles dafür, dem Aufbegehren von Beschäftigten, gleichgültig wo, nicht per se mit Wut, sondern mindestens mit Gelassenheit zu begegnen. Jakob Augstein schrieb, der Bahnstreik sei „kein Skandal“, „sondern ein Geschenk. Er erinnert uns an die Macht der Arbeitnehmer“. Dieser Hinweis lässt aufhorchen. Denn er deutet auf die offenbar verbreitete, vorrausetzungslose Geringschätzung von Arbeitskämpfen, die mit allem Recht die Leistungserbringung von Unternehmen beeinträchtigen. In seiner Zuspitzung wurde dieser Streik zum Spiegelbild unserer Allgemeinheit: „Der Wind der öffentlichen Meinung bläst Weselsky auch deshalb so hart ins Gesicht, weil nicht wenig Leute inzwischen meinen, die Beschäftigten sollen gefälligst nehmen, was der Chef zahlt, und ansonsten das Maul halten“, schreibt Augstein. Ist das die (Medien)Gesellschaft, die wir wollen können? Einigen mag es Freude und Respekt einflößen, andere mit den Zähnen knirschen lassen: Gemeinsam täten wir jedoch gut daran, Streik gern und geduldig zu ertragen. Auch wenn er uns gelegentlich etwas Zeit kostet. Kevin Reißig
Kommunal-Info 10-2014 4. Dezember 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Thema Flüchtlinge Zum sächsischen „Asylgipfel“ aus kommunaler Sicht Seite 3
Vergaberecht EU-Vergaberecht wird reformiert
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Ratsarbeit SSG hat neues Taschenbuch zur Ratsarbeit herausgebracht Seite 4
Bürgerbegehren Der Bürgerbegehrensbericht 2014 liegt vor Seite 4
2015 wieder ein Wahljahr: Bürgermeister und Landräte Der 7. Juni 2015 gilt als allgemeiner Termin für die regulären Bürgermeister- und Landratswahlen in Sachsen. Nach der Sächsischen Gemeinde- bzw. Landkreisordnung beträgt die Amtszeit für Bürgermeister und Landräte 7 Jahre. Die letzten regulären Bürgermeisterund Landratswahlen fanden in Sachsen am 8. Juni 2008 statt. Von den Bewerber/innen zum Bürgermeister bzw. zum Landrat sind bestimmte Wählbarkeitsvoraussetzungen zu erfüllen.
Allgemeine Voraussetzungen
Zum Bürgermeister wählbar sind deutsche Staatsbürger und nunmehr auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und die allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfüllen. Ein bestimmter Berufsabschluss oder eine fachliche Qualifikation wird formal vom Gesetz her jedoch nicht verlangt. Wer Bürgermeister werden will, muss nicht seinen Wohnsitz in der Gemeinde haben. Nicht wählbar für das Amt eines hauptamtlichen Bürgermeisters ist, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat. Für Landräte gelten im Grundsatz die gleichen Bestimmungen, jedoch müssen Wahlbewerber/innen hier das 27. Lebensjahr vollendet haben. Nicht vorausgesetzt wird, dass sie im Landkreis ihren Wohnsitz haben.
Verfassungstreue
Da Bürgermeister nach § 51 Absatz 2 SächsGemO hauptamtliche Beamte auf Zeit bzw. Ehrenbeamte auf Zeit sind sowie Landräte nach § 47 Absatz 2 SächsLKrO hauptamtliche Beamte auf Zeit sind, gilt für sie § 7 Absatz 1 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten, wonach sie die Gewähr dafür zu bieten haben, „jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten“. Dieses jederzeitige Eintreten bezieht sich auf die Grundlagen der Verfassungsordnung, auf Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Bundesstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit und das republikanische Prinzip, „nicht aber auf jede einzelne verfassungsrechtliche oder einfachrechtliche Ausprägung dieser Ordnung. Eintreten für diese Grundlagen kann auch, wer Rechtsveränderungen und selbst wer Verfassungsänderungen erstrebt, solange er sich nicht gegen die Grundpfeiler der Verfassung wendet.“1
Rechtliche Stellung
Nach der in Sachsen wie auch in anderen Bundesländern geltenden süddeutschen Ratsverfassung wird der Bürgermeister direkt von den Gemeindebürgern für 7 Jahre gewählt und ist neben dem Gemeinderat das zweite Organ der Gemeinde. Er nimmt in der Gemeinde eine relativ starke, eigenständige Stellung ein, er ist Vorsitzender des Gemeinderats, Leiter der Gemeindeverwaltung und vertritt die Gemeinde nach außen.
Der Bürgermeister hat faktisch keinen Dienstvorgesetzten, wenngleich er die Beschlüsse des Gemeinderats auszuführen hat. Jedoch muss er Beschlüssen des Gemeinderats widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Er kann ihnen widersprechen, wenn er meint, dass sie für die Gemeinde von Nachteil sind. Auch die Rechtsaufsicht kann dem Bürgermeister keine Weisungen in Gemeindeangelegenheiten erteilen, sofern er nicht rechtswidrig handelt. In Gemeinden ab 5000 Einwohnern ist der Bürgermeister hauptamtlicher Beamter auf Zeit, in Gemeinden unter 5000 Einwohnern ist er Ehrenbeamter auf Zeit. Unter besonderen Voraussetzungen kann in Gemeinden ab 2000 Einwohnern durch die Hauptsatzung bestimmt werden, dass auch hier der Bürgermeister hauptamtlicher Beamter auf Zeit ist. Die rechtliche Stellung der Landräte entspricht vom Grundsatz zunächst her dem, was auf die Bürgermeister zutrifft. Jedoch sind die Landkreise nicht nur Träger der kommunalen Selbstverwaltung, sondern gleichzeitig untere staatliche Verwaltungsbehörde und üben die Kommunalaufsicht über die kreisangehörigen Städte und Gemeinden aus. Deshalb haben die Landräte durch die Stellung und Aufgaben der Landkreise ein ungleich größeres Maß an Verantwortung zu tragen. Durch die Kreisgebiets- und Verwaltungsreform von 2008 sind Machtfülle und Verantwortung noch größer geworden. Von ehedem 22 Landkreisen konzentriert sich jetzt alles auf jetzt 10 Landkrei-
se. Außerdem wurden den Landkreisen weitere Aufgaben zugeordnet, die bisher in der Verantwortung staatlicher Behörden lagen.
Zuständigkeiten
Gemeinderat und Bürgermeister sind die beiden Organe der Gemeinde, wobei der Gemeinderat nach § 27 Absatz 1 SächsGemO als „die Vertretung der Bürger und das Hauptorgan der Gemeinde“ der Gemeinde bestimmt wird. Als Hauptorgan der Gemeinde kommt ihm eine kommunalpolitische Vorrangstellung zu, er ist das zentrale Entscheidungsgremium der Gemeinde und bestimmt die „Richtlinien der Gemeindepolitik“, insbesondere durch die Festlegung der Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde; die Zuständigkeitsvermutung für alle Aufgaben, soweit dafür nicht der Bürgermeister zuständig ist; allgemeine Überwachungs- und Kontrollrechte gegenüber Bürgermeister und Verwaltung; die Mitwirkungsrechte bei Personalentscheidungen des Bürgermeisters. Während Entscheidungen von grundlegender Bedeutung und die allgemeine Bestimmung des Verwaltungskurses in der Kompetenz des Gemeinderats liegen und durch ihn demokratische Legitimierung erfahren, obliegen dem Bürgermeister folgende Zuständigkeiten: die Leitung der Gemeindeverwaltung; der Vollzug der Beschlüsse des Gemeinderats; Fortsetzung: folgende Seite
Kommunal-Info 10/2014
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die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung; die Erledigung von Weisungsaufgaben. In diesen Zuständigkeitsbereich des Bürgermeisters darf der Gemeinderat nicht durch Einzelentscheidungen eingreifen. Der Gemeinderat besitzt keine innere Organisationsbefugnis und kann nicht etwa die Gliederung der Gemeindeverwaltung oder den Geschäftsverteilungsplan bestimmen.2 In Landkreisen erfolgt die Zuständigkeitsverteilung zwischen Kreistag
ren ferner die die Beaufsichtigung und Kontrolle des Verwaltungsapparats sowie die Verantwortung für einen richtigen Einsatz der vorhandenen Sachmittel.
und Landrat nach den gleichen Grundsätzen.
Satzung noch durch Beschluss geändert werden. Auch können durch Gemeinderat bzw. Kreistag keine anderen Vertretungsberechtigungen erteilt werden, die Vertretungsmacht nach außen ist unbeschränkt und unbeschränkbar. Allerdings können sich Bürgermeister und Landrat in der Außenvertretung nicht über Beschlüsse ihrer Vertretungskörperschaften hinwegsetzen und so ihre Vertretungsbefugnis überschreiten. Die Vertretung nach außen muss jedoch nicht immer durch den Bürgermeister bzw. Landrat selbst wahrgenommen werden. Vielmehr ist es zulässig, die Vertretungsmacht im Wege der Beauftragung und der Bevollmächtigung zu delegieren. Zur Vertretung gehört es, für die Gemeinde bzw. für den Landkreis Willenserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Die Vertretungsmacht gilt für Verträge wie für einseitige Willenserklärungen (etwa Kündigungen), ganz egal, ob sie privat- oder öffentlichrechtlicher Natur sind. Als Vorsitzender des Gemeinderats vertritt der Bürgermeister auch den Gemeinderat und der Landrat den Kreistag nach außen.4
Leitung der Verwaltung
Für den Bürgermeister wie für den Landrat erstreckt sich die Leitung der Gemeinde- bzw. Kreisverwaltung auf den aus Personal, Sachmittel und Organisationseinheiten bestehenden Verwaltungsapparat mit allen dafür erforderlichen Befugnissen zu dessen Steuerung. Zur inneren Organisationsbefugnis gehört es insbesondere, die Verwaltung in Abteilungen, Ämter und Sachgebiete zu unterteilen und im einzelnen zu bestimmen, welche Aufgaben oder Aufgabengruppen von den einzelnen Verwaltungseinheiten wahrzunehmen sind. Als Dienstvorgesetzte sind Bürgermeister bzw. Landrat für den Einsatz der Bediensteten ihrer Verwaltung zuständig. Insbesondere sind sie berechtigt, aus ihrer Vorgesetztenstellung heraus allgemeine und besondere Anordnungen an die Bediensteten hinsichtlich der Art der Sachbearbeitung zu stellen. Selbst Beigeordneten können allgemein oder im Einzelfall Weisungen erteilt werden (§ 55 Absatz 3 SächsGemO; § 50 Absatz 2 SächsLKrO). Jedoch darf das Weisungsrecht nicht derart ausgeübt werden, dass den Beigeordneten praktisch ihr Geschäftskreis ganz oder teilweise entzogen wird.3 Zur Leitung der Verwaltung gehö-
Vertretung nach außen
Allein der Bürgermeister vertritt die Gemeinde nach außen, gleiches gilt für den Landrat bezüglich des Landkreises. Diese Vertretung steht ihnen kraft Gesetzes zu und kann durch den Gemeinderat bzw. Kreistag weder allgemein noch im Einzelfall, weder durch
Stellung in der Vertretung
Als Vorsitzender des Gemeinderats ist der Bürgermeister auch selbst Mitglied des Gemeinderats und hat dort das gleiche Stimmrecht, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.
Entsprechend gilt das für den Landrat als Vorsitzendem des Kreistags. Zum Vorsitz gehören zunächst die Aufstellung der Tagesordnung und die Vorbereitung der Sitzungen des Gemeinderats bzw. Kreistags und der Ausschüsse. Zur Aufgabe des Vorsitzenden gehört selbstverständlich die Leitung der Sitzungen des Gemeinderats bzw. Kreistags und der beschließenden Ausschüsse. In den Sitzungen übt er die Ordnungsgewalt und das Hausrecht aus.
In dringenden Angelegenheiten, deren Erledigung auch nicht bis zu einer ohne Frist und formlos einberufenen Gemeinderats- bzw. Kreistagssitzung aufgeschoben werden kann, entscheidet der Bürgermeister bzw. Landrat anstelle des Gemeinderats/Kreistags. Die Gründe für die Eilentscheidung und die Art der Erledigung sind dem Gemeinderat/Kreistags unverzüglich mitzuteilen. Der Bürgermeister hat den Gemeinderat über alle wichtigen, die Gemeinde und ihre Verwaltung betreffenden Angelegenheiten zu informieren; bei wichtigen Planungen und Vorhaben ist der Gemeinderat möglichst frühzeitig über die Absichten und Vorstellungen der Gemeindeverwaltung und laufend über den Stand und den Inhalt der Planungsarbeiten zu informieren. Gleiches gilt für den Landrat gegenüber dem Kreistag.
Anforderungsprofil
Wenn eingangs festgestellt wurde, dass vom Bürgermeister wie vom Landrat durch das Gesetz formal keine bestimmten Berufsabschlüsse oder fachlichen Qualifikationen abverlangt werden, heißt das aber noch lange nicht, dass dieses Amt ohne das nötige Wissen und ohne jegliche Erfahrung ausgeübt werden könnte. Aufgrund der Verantwortung und der Zuständigkeiten werden vom Bürgermeister und mehr noch vom Landrat täglich Entscheidungsfreude, Füh-
rungsstärke, Fachkompetenz, Integrität und Bürgernähe erwartet.
Wahlen
Wahlvorschläge für Bürgermeister und Landräte können von Parteien und Wählervereinigungen, aber im Unterschied zu Gemeinderats- und Kreistagswahlen auch von Einzelbewerbern eingereicht werden. Unterstützungsunterschriften sind nicht erforderlich: bei Wahlvorschlägen von Parteien, die im Sächsischen Landtag vertreten sind; bei Wahlvorschlägen von Parteien und Wählervereinigungen, die im jeweiligen Gemeinderat bzw. Kreistag vertreten sind; beim amtierenden Amtsinhaber (Bürgermeister, Landrat); bei Amtsverweser/innen des Bürgermeisters bzw. Landrats; bei Bewerber/innen zur Bürgermeisterwahl in neugebildeten Gemeinden, die bis zum Zeitpunkt der Gebietsänderung amtierende Bürgermeister in den an der Gemeindevereinigung beteiligten bisherigen Gemeinden waren. Entfällt beim ersten Wahlgang auf keinen der Bewerber/innen mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen, findet frühestens am zweiten und spätestens am vierten Sonntag nach der ersten Wahl ein zweiter Wahlgang statt. In diesem zweiten Wahlgang findet wie bisher keine Stichwahl zwischen den beiden Favorit/innen der ersten Wahl statt, sondern eine sogenannte Neuwahl, bei der wiederum alle Bewerber/innen der ersten Wahl noch einmal antreten können. Als gewält gilt dann, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Ausgeschlossen ist künftig aber, dass im zweiten Wahlgang ganz neue Bewerber/innen aufgestellt werden können, die beim ersten Wahlgang noch nicht dabei waren. AG
1 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 49, Rn. 9. 2 Siehe hierzu auch „Gemeinderat und Bürgermeister“, in: Kommunal-Info, Nr. 6/2012. 3 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 51, Rn. 33. 4 Vgl. ebenda, Rn. 66 f.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
November 2014
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
PARLAMENTSREPORT Tillichs Fünfjahrplan: Für Dynamik sorgen wir! Liebe Leserinnen und Leser, seit dem 13. November hat Sachsen eine teilweise neue Regierung. Die Regierungsfraktionen stehen nicht vollständig hinter dem Ministerpräsidenten – drei Stimmen aus seinem Lager fehlten ihm letztlich. Dennoch sind die Fronten zunächst geklärt, auch wenn noch Hoffnung besteht, dass eine „neue politische Kultur“ im Landtag verhindern könnte, dass sie verhärten. Das wäre in der Tat ein Fortschritt. Das Parlament hat seine volle Arbeitsfähigkeit inzwischen fast erreicht. Ich freue mich sehr, dass Horst Wehner auf Vorschlag der Linksfraktion erneut zum Vizepräsidenten des Landtages gewählt wurde. Übrigens hat ihn vor kurzem auch der Paritätische Wohlfahrtsverband Sachsen zu seinem Präsidenten bestimmt. Zu beiden Ämtern gratuliere ich ihm herzlich! Überschattet wurde die Landtagssitzung von der missglückten Vereidigung des neuen alten Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich – eine Petitesse zwar, aber eine peinliche, zumal Sachsens CDU gern mit reibungslosen Abläufen glänzt und sich als Kraft darstellt, bei der alles wie ein Uhrwerk funktioniert. Im Eid gemäß Art. 61 der Landesverfassung fehlte nun ausgerechnet der Schwur, „Schaden von ihm (dem Volk) zu wenden“. Hoffen wir, dass das kein Omen ist! Zur innerparteilichen Beliebtheit des Landtagspräsidenten Matthias Rößler dürfte dieser Schnitzer jedenfalls nicht beigetragen haben. Schaden vom Volk abzuwenden ist allerdings auch eine Aufgabe der Opposition. Wir nehmen sie weiter gern wahr, ob wir nun einen Eid darauf geschworen haben oder nicht. Dazu gehört, dass wir sehr genau aufpassen werden, ob das Handeln der neuen Regierung das Leben in Sachsen besser macht oder nicht.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Planwirtschaftliche Strukturen gelten als starr und ineffizient. Allerdings können weder Marktwirtschaft noch die Politik selbst auf das „Prinzip Planung“ verzichten: Wenigstens im Jahresrhythmus wird selbst in privaten Unternehmen geplant, und jede neue Regierung stellt zum Beginn ihrer Amtszeit einen Arbeitsplan auf. Jenen von CDU und SPD, den Koalitionsvertrag, hat der Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung verteidigt. Ihr Titel: „Sachsen ist unser Auftrag: mit Kontinuität und Dynamik im Herzen Europas“. Interessant sind ihre Umstände, auf die Oppositionsführer Rico Gebhardt in seiner Reaktion verwies: Erstens verletzten CDU und SPD schon am ersten Tag ihre Vereinbarung. Die sieht vor, dass Regierungserklärungen im Kabinett abzustimmen und zu besprechen sind – kurioserweise war die Minister-Riege aber zum Zeitpunkt der Regierungserklärung erst seit einer Stunde im Amt. Zweitens konnte die Rede nach Tillichs erster Regierungserklärung (2009) nur eine Bankrotterklärung werden. Damals hatte er schließlich eine schwarz-gelbe ZehnJahresplanung angekündigt. „Dieser Plan fand am 31. August dieses Jahres ein jähes Ende. Die sächsische Bevölkerung hat Ihnen, Herr Ministerpräsident, die Chance eingeräumt, sich von Ihren selbst geschaffenen Irrtümern zu befreien“. Das Motiv der „Reparaturbrigade Tillich“ dränge sich auf, so Rico Gebhardt. Der Ministerpräsident verspricht „Kontinuität, wo sie richtig ist“ und „Dynamik, wo wir sie brauchen“. So sollen die im Bundesvergleich recht kleinteiligen sächsischen Unternehmen „noch mehr aus sich heraus wachsen können“; Sachsen verfügt nur über wenige Firmensitze, die Betriebsgrößen sind eher gering. Helfen soll ein „revolvierender Fusions
fonds für den sächsischen Mittelstand“. Die Idee: Geförderte Betriebe sollen nach ihrer Vergrößerung die genutzten Mittel wieder in den Fonds einzahlen, wodurch diese für das nächste Unternehmen bereitstehen. Warum kam die CDU nicht früher auf diesen Gedanken? Vielleicht, weil sie das Wahlprogramm der LINKEN von 2014 noch nicht kannte. Dort wird ein solcher Fusionsfonds gefordert. „Ein Dank, Herr Ministerpräsident, wäre schon angebracht gewesen, da wir Sie nun zumindest in einigen Bereichen auf einen richtigeren Kurs gebracht haben“, so Gebhardt. In der Haushaltspolitik sieht sich die Opposition ebenfalls bestätigt. In den letzten Jahren hatte sie stets kritisiert, dass sich der Freistaat künstlich arm rechnet und wichtige Investitionen unterbleiben. „Die neue Koalition stellt nun fest, dass doch Geld da ist, was sich mit unseren Berechnungen zu Sachsens Staatsfinanzen und insbesondere den erheblichen Rücklagen deckt. Also, willkommen in der Realität!“, freut sich der Oppositionsführer. Während diese Reparaturen also offensiv erfolgen, sollen andere eher klammheimlich stattfinden. Die einzige konkrete Ankündigung, die Tillich 2009 vorgenommen hatte, war folgende: Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Freistaates werde von knapp 87.000 auf 70.000 reduziert. Dieses Ziel war zu keinem Zeitpunkt durch belastbare Planungen untersetzt, wie der Sächsische Rechnungshof kritisierte. Im Koalitionsvertrag wird nun eine Kommission angekündigt, die bis 2016 eine aufgabenorientierte Personalbedarfsplanung erstellen soll – dazu sagte Tillich kein Wort. Ein solches Gremium ist aber nicht notwendig, um zu erkennen, dass in wichtigen Bereichen auch 2019 zu wenig Personal vorhanden sein wird. So ersetzen die schwarz-
roten Planungen zur unbefristeten Einstellung neuer Lehrerinnen und Lehrer mit Glück die Altersabgänge, mehr aber nicht. Notwendige Reformen – längeres gemeinsames Lernen in kleineren Klassen, schulische Inklusion, jahrgangsübergreifender Unterricht und anderes mehr – sind offenbar nicht vorgesehen. Bei der Kindergartenbetreuung ist Brandenburg dem Freistaat Sachsen selbst dann noch voraus, wenn eine Erzieherin nur noch 12 und nicht mehr 13 Kinder betreut. Und bei der Polizei wird die geplante Einstellung von mindestens 400 Polizeianwärtern „in den nächsten Jahren“ unzureichend sein. „Was feiern Sie da eigentlich? Im nächsten Jahr scheiden 444, im Jahre 2018 476 und 2019 sogar 509 Polizisten planmäßig aus dem aktiven Dienst aus“, mahnte Rico Gebhardt. Es ist also höchst fraglich, ob manche Reparaturmaßnahmen ausreichen werden. Andere wurden von der Koalition komplett vergessen: etwa die Evaluation des Standorte-Gesetzes, also des Behörden-Umzugszirkus. Kein Wort findet sich im Vertrag auch zur weiteren Modernisierung der Landesverfassung, obwohl sich die Fraktionsvorsitzenden am Ende der Legislaturperiode darüber einig waren, dass weitere Verfassungsänderungen notwendig sind. Gebhardts Fazit: „Bisher steht Ihr kopfloser Umgang mit dem angekündigten Abschied von Vattenfall stellvertretend für den ganzen Start dieser Regierung: Viel Kontinuität, wenig Dynamik. Ich verspreche Ihnen, dass wir Ihnen ordentlich einheizen werden, damit es noch was wird mit der Dynamik!“ Denn Pläne können beweglich sein – wenn man die Planer dazu bringt, sich zu bewegen. An Denkanstößen und alternativen Gestaltungsvorschlägen wird es die größte Oppositionsfraktion nicht mangeln lassen.
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PARLAMENTSREPORT
November 2014
Von Engeln am sauberen Himmel der Lausitz Gerhard Gundermann, Liedermacher und zudem Maschinist im Tagebau Spreetal, besang die Schutzengel über dem Revier – und auch deren Weggang beim Ende des Abbaus. „Seht, wie die Engel/sich am sauberen Himmel drängeln,/über dem Revier./Sie müssen fort, in‘ne andere Welt, einen anderen Ort,/ so wie viele hier./So wie wir“. Der Text entstand 1996. Heute ist Gundermanns Grube längst geschlossen und geflutet, und es sieht so aus, als könnte der schwedische Staatskonzern Vattenfall das Ende der verbliebenen Tagebaue beschleunigen. Da die Braunkohlevorkommen endlich sind, stellt sich ohnehin seit jeher die Frage, wann und vor allem wie sich der Ausstieg aus der Kohleverstromung vollziehen soll. Was also tun in einer Region wie der Lausitz, die von der Kohle lebt und ein Ausstiegsszenario braucht? Gundermanns Anmerkung „So wie wir“ soll jedenfalls nicht noch mehr Braunkohle-Beschäftigte treffen. Sie sollen nicht weggehen müssen. Die Technologie-Expertin der Linksfraktion, Dr. Jana Pinka, erlebte nach eigener Aussage ein Déjà-vu, als der Landtag im November auf Antrag der LINKEN das Thema „Lausitz nicht verkohlen – Ja zum Strukturwandel, mit oder ohne Vattenfall!“ debattierte. Schon im Juli hatte sie vor dem Hohen Haus einen Antrag vertreten, der ein „Forschungsprogramm für einen
Strukturwandel in der Lausitz“ forderte. Mittels wissenschaftlicher Expertise, so der Vorschlag, sollen Entwicklungswege für die Zeit nach dem Braunkohleabbau entwickelt werden, um die wirtschaftliche Grundlage der Lausitz langfristig zu sichern. Da hatten die Pläne von Vattenfall, sich selbst ökologisch nachhaltig und kosteneffizient auszurichten, den Handlungsdruck wohl noch nicht merklich erhöht; die Regierenden schoben das Thema weiter auf. Absehbar, so Pinka, sei die jetzige Entwicklung dennoch gewesen: „Bereits im Jahre 2011 gab sich Schweden eine neue Energiestrategie. Investitionen sollen nur noch in Erneuerbare Energien getätigt werden. 2014 haben sich die Lenker des Staatskonzerns zum Verkauf der
Tagebaue und Kraftwerke in Sachsen entschieden“. Das sei nachvollziehbar, denn der Braunkohle-Abbau ist mittlerweile trotz der großzügigen Subventionspolitik – die Betreiber müssen zum Beispiel keine Wasserentnahmeabgabe zahlen – ein millionenschweres Verlustgeschäft. Mit knapp 550 Millionen Euro standen die Vattenfall-Sparten Generation (Kraftwerke) und Mining (Tagebaue) allein 2013 im Minus. Ministerpräsident Tillich hat in seiner Regierungserklärung „eine sichere, umweltverträgliche und bezahlbare Energieversorgung“ angekündigt. Er wirkt in der Vattenfall-Angelegenheit längst wie ein Getriebener: Bitt-Prozessionen nach Schweden, von ihm selbst und vom seinerzeitigen Wirtschaftsminister in spe Martin Dulig
durchgeführt, kamen ebenso zu spät wie Briefe an die schwedische Regierung, so Pinka. Auch ihr Fraktionskollege und Sprecher für Energiepolitik, Marco Böhme, kritisierte die neue Staatsregierung: „Ich musste ziemlich schmunzeln, als der Ministerpräsident sagte, dass diese Regierung etwas für den Klimaschutz tun wird. Die einzigen, die aktuell etwas für den Klimaschutz tun, sind der Großkonzern Vattenfall und der schwedische Staat. Allein die drei Kraftwerke in der Lausitz haben einen höheren CO2-Ausstoß als ganz Schweden zusammen!“ Sachsen brauche einen Plan für einen geregelten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2040. Diese Zeit wird auch benötigt, um den 2.900 sächsischen Vattenfall-Beschäftigten neue berufliche Chancen zu geben. „Denn das sind hochqualifizierte Menschen, die wir für die Energiewende brauchen“, so Böhme. Allein in Sachsens Windenergiebranche arbeiten derzeit mehr als 5.000 Sächsinnen und Sachsen. „Also, lassen Sie uns endlich von einem Ausstiegsplan sprechen und nicht weiter an der Technologie von vorgestern arbeiten!“ Beispielsweise könne der Freistaat die jetzt zu veräußernden Kohlekraftwerke erwerben und in einen geregelten Ausstiegsplan integrieren. Inzwischen drängt die Zeit. Für die Beschäftigten wie auch für die Landschaft der Lausitz muss nun endlich die Politik den Schutzengel spielen.
Künftig „mehr Leben“ im Landtag? Über Plenardebatten gibt es manche Vorurteile, die mehr oder weniger berechtigt sind. Dass eine mögliche Arbeitsverweigerung mancher Abgeordneter schuld daran sein könnte, dass der Sitzungssaal oft leer erscheint, ist beispielsweise unwahrscheinlich. Schließlich müssen die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger viele weitere Aufgaben erfüllen, die eigentliche Sacharbeit findet überdies in den Ausschüssen statt. Schon eher trifft die Annahme zu, dass Plenardebatten langweilig sein können. Wenn die Sitzungsregeln neu ausgehandelt werden, gibt es aber Spielraum für Innovationen, die „etwas mehr Leben“ ins Geschäft bringen. Die waren ein Verhandlungsziel der Linksfraktion, als es um die neue Geschäftsordnung des Landtages ging.
„Selbstverständlich sagt eine Geschäftsordnung viel über das Verständnis aus, das Fraktionen in der Frage mitbringen, wie wir im Parlament miteinander umgehen wollen“, gab Sebastian Scheel, Parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN, zu bedenken, als das Grundsatzdokument zur Abstimmung stand. Es seien einige Erfolge erreicht worden. So bleibe die Fragestunde erhalten, in der sich die Staatsregierung den kritischen Nachfragen der Abgeordneten stellen muss. Zusätzlich ist ab sofort eine Ministerbefragung möglich, die vormittags und damit an prominenter Stelle stattfinden wird. Dabei werden die Ressortchefs zu Themen, die die Fraktionen abwechselnd benennen, ins Fragefeuer geschickt. Freudig stimmt auch, dass eine
bizarre Regelung verhindert wurde: Ursprünglich sollte über Änderungsanträge zu Drucksachen nur abgestimmt werden können, wenn der Urheber des Ausgangsdokuments das genehmigt. Damit wären vor allem die Rechte der Opposition empfindlich geschwächt worden. „Aber natürlich ist eine Mehrheit immer auch geneigt, diese Macht zu nutzen, um Entscheidungen in ihrem Sinne durchzusetzen“. Deshalb, so Scheel, gebe es auch eine Reihe von Punkten, bei denen Änderungen nötig gewesen wären. LINKE und GRÜNE brachten deshalb Änderungsanträge ein. Sie wollten so erreichen (Drucksache 6/240), dass bei der Besetzung des Präsidiums sowie der Ausschüsse ein alternatives Zählverfahren angewendet wird, um das Stärkeverhältnis der Fraktionen zu ermitteln. Das bisherige Verfahren führt dazu, dass kleinere Fraktionen besonders benachteiligt werden. Der Bundestag ist da schon weiter. In einem weiteren Antrag (Drucksache 6/241) strebten LINKE und GRÜNE an, dass Ausschusssitzungen ab sofort grundsätzlich öffentlich sein sollen. In vielen anderen Bundesländern ist das die Regel. „Ich denke nicht, dass das zu Schaufensterdebatten führen würde. Ich
habe in den letzten Jahren eher die Erfahrung gemacht, dass erst dann überhaupt Debatten geführt werden“, begründete Scheel diesen Vorstoß. Auch die sächsischen Parlamentarier sollten den Mut aufbringen, „sich mit dem Gesicht zum Volke in öffentlichen Ausschusssitzungen Debatten zu liefern“. Im Alleingang begehrte die Linksfraktion (Drucksache 6/242), dass externe Sachverständige in sogenannten Enquete-Kommissionen künftig wieder ein volles Stimmrecht erhalten. Diese Gremien beraten über einen längeren Zeitraum hinweg über „große Themen“ – zuletzt den demografischen Wandel und die Innovations- und Technologiepolitik –, und sprechen Empfehlungen aus. Daher ist es geboten, die Expertise von außerhalb des Hohen Hauses mit denselben Rechten zu versehen, wie sie den Abgeordneten zukommen. Für Scheel wäre das die Rückkehr zum „Vorrang der Sachdebatte vor der Mehrheitsmeinung“. All diese Anträge wurden von der CDU/SPD-Mehrheit abgelehnt. Somit fallen Licht und Schatten auf die neue Geschäftsordnung des Hohen Hauses. Sachsens Abgeordnete müssen nun beweisen, dass sich Vorurteile mit diesem Regelwerk dennoch korrigieren lassen.
November 2014
PARLAMENTSREPORT
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„Ich nenne das Erpressung“ Annekatrin Klepsch ist eine viel beschäftigte Abgeordnete: Nach den Bereichen Kinder- und Jugendpolitik, frühkindlicher Bildung und Kultur, um die sich die Dresdnerin seit 2009 kümmerte, wird sie künftig die Wissenschafts- und Hochschulpolitik betreuen. Warum sie diese Aufgabe übernahm und was sie sich vorgenommen hat, erklärt Annekatrin Klepsch im Interview mit „Parlamentsreport“.
dürfte Ihnen nicht vollkommen neu sein. Wie stark müssen Sie sich einarbeiten? Die sächsische Hochschullandschaft ist mir vertraut, vor allem hinsichtlich der Fragen unzureichender Grundfinanzierung, befristeter Beschäftigung von NachwuchswissenschaftlerInnen und der drohenden Schließung von Studiengängen wie Pharmazie und Theaterwissenschaft an der Uni Leipzig, an der ich selbst studiert habe. Als Dresdnerin bewegt mich natürlich auch die TU als Exzellenz-Uni und die Folgen für die Hochschulen in Sachsen. Tiefer einarbeiten möchte ich mich in Fragen der Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Nachdem der Koalitionsvertrag von CDU und SPD veröffentlicht worden war, schätzten manche Medien ein, der drohende Abbau von 1.042 Hochschul-Stellen bis 2020 sei abgewendet. Ist das so?
Frau Klepsch, Sie waren schon in der vergangenen Wahlperiode Mitglied des Wissenschaftsausschusses. Die Hochschulpolitik
Die sächsischen Hochschulen sollen von der neuen Landesregierung gelockt werden mit einem Stopp des Stellenabbaus ab 2017, wenn sie die neuen Zielvereinbarungen
bis 2025 unterschreiben. Ich nenne das Erpressung. Die SPD-Politikerin Eva-Maria Stange hat erneut das Wissenschaftsministerium übernommen. Sie tritt damit in die Fußstapfen von Sabine Freifrau von Schorlemer, die sich als Parteilose nicht recht gegen die CDU durchsetzen konnte – obwohl sie auf deren Ticket ins Ministerium eingezogen war. Setzen Sie diesbezüglich mehr Hoffnungen in die neue Ressortchefin? Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass Eva-Maria Stange versucht, sich für die Hochschulen und auch für bessere Arbeitsbedingungen von Nachwuchswissenschaftlern stark zu machen. Angesichts der Tatsache, dass der Finanzminister und Sparkommissar der Regierung immer noch Georg Unland ist, kann ich Frau Stange nur viel Kraft und Durchsetzungsvermögen im Kabinett für die Haushaltsdebatten wünschen. Welche hochschulpolitischen Schwerpunktprojekte können Sie sich für die kommenden fünf Jahre vorstellen?
Die Herausforderungen sind vielfältig. Im Interesse der Studierenden müssen wir die Studentenwerke stärken, damit sie ihre Aufgaben wie die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnen, MensaEssen und bedarfsgerechter Beratung gut erfüllen können. Ich hoffe, es gelingt uns, Wissenschaftsministerium und Universität Leipzig zu überzeugen, die Studiengänge für Pharmazie, Archäologie und Theaterwissenschaft nicht zu schließen, weil sie einmalig in Sachsen angeboten werden. Der Ausbau der TU Dresden als Exzellenz-Uni darf nicht zulasten der anderen Hochschulen gehen. Wir werden außerdem darauf achten, dass die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Hochschulen und Studiengängen, zwischen Beruf und Studium sowie die Vereinbarkeit von Studium und Familie verbessert wird. Es muss gelingen, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu erhöhen. Befristete Arbeitsverträge sollen nicht nur für Monate, sondern über mehrere Jahre abgeschlossen werden – so lang, wie Forschungsprojekte laufen.
Horst Wehner ist erneut Landtags-Vizepräsident
Erwachsen ist, wer für Kinderrechte kämpft Kinderrechte brauchen Schutz – als Menschenrechte sollten sie Teil der Verfassungen sein, am besten in allen Staaten. Die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 fordert genau das von den unterzeichnenden Staaten. Zu letzteren gehört die Bundesrepublik seit dem 26. Januar 1990, mithin seit fast 25 Jahren. Obwohl der Bundestag schon 1992 das Abkommen bestätigte, sind die Kinderrechte aber noch immer nicht Teil des Grundgesetzes. Das bundesweite Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“ weist zu Recht darauf hin, dass das nachgeholt werden muss – das Kindeswohl müsse Vorrang haben, und Kinder sollen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden. Da sich auf Bundesebene nichts bewegt, ist offenbar Druck aus den Bundesländern nötig. Deshalb for-
dert die Fraktion DIE LINKE von der sächsischen Staatsregierung (Antrag Drucksache 6/168), dass sie über den Bundesrat eine Gesetzesinitiative starten soll. Ihr Ziel soll darin bestehen, dass die Kinderrechte ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen werden. Außerdem soll sie einen Bericht darüber vorlegen, wie die UN-Kinderrechtskonvention in Sachsen bislang umgesetzt wurde und wo noch nachgebessert werden muss. Um letzteres zu gewährleisten, soll die Regierung ein Maßnahmenpaket entwickeln. Ministerpräsident Tillich sprach in seiner Regierungserklärung davon, dass er Sachsen zu einem „erwachsenen“ Bundesland entwickeln wolle. Nun wird ihm eine schöne Möglichkeit serviert, damit anzufangen – beim Einsatz für die Rechte unserer Jüngsten.
Der inklusionspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Horst Wehner, ist als einer der Vizepräsidenten des Sächsischen Landtages wiedergewählt worden. Für ihn stimmten 87 von 125 anwesenden Abgeordneten und damit deutlich mehr Mandatsträger, als die Fraktion DIE LINKE Mitglieder hat. Wehner freut sich über diese hohe Zustimmung: „Ich bin dankbar für das Vertrauen der Abgeordneten und darüber, dass ich diese Aufgabe eine weitere Legis-
laturperiode im Dienste des Allgemeinwohls ausüben darf. Es bleibt weiter mein Anliegen, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass auch in verantwortlichen Positionen volle Teilhabe im Rollstuhl möglich und machbar ist“. Er hoffe nun, dass es zu Fortschritten auf dem Weg zum barrierefreien Sachsen kommt, obgleich der Inklusions-Gesetzentwurf von LINKEN und SPD in der letzten Legislaturperiode auch von der CDU abgelehnt worden war.
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PARLAMENTSREPORT
November 2014
Vielfalt statt Einfalt auch in der Bildung In Baden-Württemberg gab es zu Beginn dieses Jahres wütende Proteste gegen den Bildungsplan der grün-roten Landesregierung. Kern war die Frage, ob sexuelle Vielfalt, insbesondere die Thematisierung von Homosexualität und Transidentität, als Teil des Unterrichtsstoffes vermittelt werden soll. In diesem Zusammenhang gründete sich die „Initiative Besorgte Eltern“. Unter dem Vorwand, gegen eine zu frühe Sexualisierung von Kindern einzutreten, wurde zu Demonstrationen aufgerufen. Hinter der vorgebrachten Sorge verbergen sich allerdings ein reaktionäres Frauen- und Familienbild, Homophobie und die Abwertung von Vielfalt. Das bedeutet faktisch nichts anderes, als die Vater-Mutter-Kind-Familie zur Norm zu erheben und alle anderen Lebensentwürfe und Familienmodelle als Abweichung abzuwerten und zu diskriminieren. Die Wirklichkeit hat die Norm, dass nur ein einziges Familienmodell wünschenswert ist, allerdings längst überholt. Das zeigt die hohe Anzahl von Alleinerziehenden und Patchworkfamilien – daran ist auch nichts auszusetzen. Den selbsternannten RetterInnen der klassischen Familie kann man nur sagen: Willkommen in der Realität. Und zu der gehören auch Regenbogenfamilien.
Obwohl momentan eine vergleichbare Novellierung des Bildungsplans in Sachsen gar nicht im Gespräch ist, meldete diese Initiative für den 15. November 2014 eine Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz an, um gegen die „frühkindliche Sexualisierung“ zu demonstrieren. Dies lässt sich auch hier wieder leicht als Instrumentalisierung entlarven. Denn das, wovor gewarnt wird, findet definitiv nicht im Schulunterricht statt. Vielmehr wird notwendige Aufklärungsarbeit dämonisiert, die es jungen Menschen ermöglicht, einen gesunden Umgang mit der eigenen Sexualität zu finden. Wenn überhaupt eine (frühkindliche) Sexualisierung stattfindet, dann nicht in der Schule, sondern in der Gesellschaft, befeuert durch die Werbeindustrie. So könnte man sich zum Beispiel fragen, ob die vermeintlich besorgten Eltern sich schon einmal in Sachen sexistischer Werbung an den Werberat gewandt haben? Unter dem Motto „Vielfalt statt Einfalt“ fand sich hinter dem Aufruf des CSD Dresden e. V. und des Gerede e.V. ein Bündnis für eine Gegendemonstration, dem sich auch die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Sarah Buddeberg und Marco Böhme, anschlossen. Ziel war es, vor allem der Abwertung von vielfältigen Lebens- und Liebensformen
Sarah Buddeberg (li.) und Barbara Höll
ein deutliches Zeichen entgegenzusetzen. Die Forderung nach Vielfalt bedeutet eben nicht die Abschaffung der sogenannten klassischen Familie. Es geht darum, Kindern und Jugendlichen in der Schule ein offenes und tolerantes Miteinander vorzuleben und es ihnen zu ermöglichen, ohne Angst vor Ausgrenzung oder Diskriminierung zu entscheiden, wie sie leben und wen sie lieben möch-
Daten schützen – Schnüffel-Maut kippen Im „Autoland“ Deutschland ist sie ein heikles Thema: die von der CSU zu Wahlkampfzwecken ins Gespräch gebrachte PKW-Maut. Ihre Rechtsfestigkeit ist umstritten. Inzwischen hat der Bundesverkehrsminister seinen Gesetzesentwurf vorgelegt, und es werden massive Datenschutzbedenken laut. Denn der Entwurf sieht vor, die Maut mittels einer elektronischen PKW-Datenerfassung zu erheben. Das Kraftfahrtbundesamt soll ein Zentrales Infrastrukturregister anlegen, in dem zum Beispiel alle inländischen Kennzeichen, Fahrzeughalterdaten und Bankverbindungen gespeichert werden. Als Betreiber dieser Datenbank wird ein „privater Dritter“ benannt. Mittels flächendeckend eingesetzter Überwachungstechnik würden dann Fahrzeuge aufgespürt, deren Kennzeichen sich nicht im Datenbestand befindet. Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig schlug deshalb Alarm und wies darauf hin, dass eine „Totalüberwachung des Verkehrs“ drohe. Die angekündigte
Erhebungsmethode wertet Sachsens oberster Datenschützer als „völlig unverhältnismäßiges Projekt“. Hinzu komme, dass diese Datensammlung aus Steuermitteln finanziert werden müsste. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben eine Resolution verabschiedet, in der sie die Bundesregierung „eindringlich zur Einhaltung der verfassungsrechtlich gebotenen Prinzipien der Datenvermeidung und Datensparsamkeit“ auffordern. Die Fraktion DIE LINKE teilt diese Kritik und hat deshalb einen Antrag in den Landtag eingebracht (Drucksache 6/272). Darin fordern wir die Staatsregierung auf, sich auf der Bundesebene dafür einzusetzen, dass auf die Überwachung des gesamten Autobahnverkehrs per Kfz-Kennzeichenerkennungstechnik verzichtet wird. Schließlich sind weitaus weniger problematische Erhebungsverfahren denkbar: Eine Vignette an der Windschutzscheibe nach dem Vorbild anderer Staaten könnte den angestrebten Zweck genauso erfüllen,
allerdings ohne datenschutzpolitischen Flurschaden. Der Bundesverkehrsminister erwartet durch die PKW-Maut jährliche Einnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro. Doch selbst wenn die Kosten des Bürokratie-Monsters Maut diesen Optimismus rechtfertigen sollten, ist der Preis, den die Autofahrerinnen und Autofahrer zahlen müssten, hoch. Allein schon der millionenfache Eingriff in ihre Grundrechte, die Verletzung des Datenschutzes käme sie teuer zu stehen. Denn der Staat könnte bis zu dreizehn Monate lang nachverfolgen, wo sie sich wann bewegt haben. Die Sächsinnen und Sachsen würden dreifach zahlen: in Form der Mautgebühren, mit ihrem Steuergeld für die Erhebung der Daten und mit einem permanenten Eingriff in ihre Privatsphäre. Grundrechtswidrige Vorratsdatenspeicherung ist mit der Linksfraktion auch im Verkehrsbereich nicht zu machen. Wenn die PKW-Maut also schon kommen muss, dann wenigstens in einer Form, bei der die Bürgerinnen und Bürger nicht über fortdauernd drohenden Datenmissbrauch besorgt sein müssen. Andernfalls griffe auch bei der PKW-Maut eine perfide „Logik“: Einige schwarze Schafe gelten als Maßstab der Politik und animieren den Gesetzgeber, wichtige Bürgerrechte freiwillig zu beschneiden. Das sollte nicht geschehen. Denn Deutschland ist nicht nur eine Autofahrer-Nation, sondern vor allem ein Rechtsstaat.
ten. Definitionen von „normal“ und „anders“ führen immer zu einer (Ab-)Wertung und zu Ausgrenzung. Hier liegt die Chance, im Bildungsbereich gegenzusteuern, damit Vorurteile nicht in der Schule an Kinder weitergegeben werden. Kinder, denen wir in der Schule vermitteln können, dass Vielfalt etwas Positives ist, werden selbst zu offenen und toleranten Menschen. Sarah Buddeberg
Bei der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag soll frühestmöglich, zum 1. Februar 2015, eine Teilzeitstelle (30-StundenWochenarbeitszeit) als
Parlamentarischwissenschaftliche/r Berater/in für die Fachbereiche Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Energie befristet bis zum Ende der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages besetzt werden. Detaillierte Auskünfte zu den Anforderungen und Aufgaben finden Sie im Internet unter: www.linksfraktion-sachsen.de Bewerbungsschluss: 29. Dezember 2014
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig
Kommunal-Info 10/2014
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Thema: Flüchtlinge unterbringen
Zu den Ergebnissen des „Sächsischen Asyl-Gipfels“ aus kommunaler Perspektive Im vergangenen September korrigierte das für die Durchführung der Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flucht die Prognose für das laufende Jahr auf 216.000 zu erwartende Erstanträge. Da die einzelnen Bundesländer nach dem „Königssteiner Schlüssel“ zur Aufnahme von geflüchteten Menschen verpflichtet sind1, passte auch die Landesdirektion Sachsen die zu erwartende Zahl an Asylsuchenden an. Demnach werden bis zum Jahresende etwa 11000 Menschen in Sachsen Asyl beantragen, gegenüber 5800 im Vorjahr. Vor diesem Hintergrund fand am 24.11.2014 unter Beteiligung der Landräte, der Oberbürgermeister_innen der Kreisfreien Städte, der Landesdirektion Sachsen, den Minister_innen der Landesregierung, des BAMF und des Malteser Hilfsdienstes ein Spitzengespräch zum Zweck eines koordinierten Vorgehens statt. Mit dem Ausgang des Gesprächs zeigen sich die Vertreter_innen des Sächsischen Städte- und Gemeindetages sowie des Sächsischen Landkreistages zufrieden.2 Ein Ergebnis ist die Etablierung des „Lenkungsausschuss Asyl“ unter der Leitung des Staatsministeriums des Innern (SMI) und der Ministerin für Integration und Gleichstellung, in welchem die Vertreter_innen der angeführten
Institutionen monatlich zusammentreffen sollen. Hierin findet sich tatsächlich eine wichtige Forderung seitens der Kommunen einstweilig realisiert: die Schaffung einer zentralen Koordinierungsstelle. Gleichzeitig sollen relevante Organisationen wie Kirchen, Kammern, Verbände, Wohlfahrtsorganisationen und Vereine in einem „Verbändegespräch Asyl“ enger vernetzt werden. Aus kommunaler Perspektive ist diese Trennung in parallele Strukturen aber als wenig sinnvoll zu bewerten. Sind es doch gerade diese Institutionen, welche vor Ort in den Kommunen verankert sind und teilweise bereits die Betreuung und Begleitung geflüchteter Menschen leisten. Deutlich wird dies am beabsichtigten Pilotprojekt „Sport“: die Einbeziehung und Öffnung der Sportvereine für geflüchtete Menschen soll sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen, allerdings wäre die Dachorganisation Landessportbund Sachsen e.V. nicht Teil des entscheidenden „Lenkungsausschusses“. Weiterhin wurde auf dem Gipfel die Einigung erzielt, die Beförderung interkultureller Kompetenzen in der Verwaltung sowie den Ausbau der Möglichkeiten zum Spracherwerb weiter voranzubringen. Geflüchteten Menschen sollen dem-
Reform des EU-Vergaberechts Der europäische Gesetzgeber reformiert das Vergaberecht. Schon wieder gibt es komplett neue Regeln. Die rasante Entwicklung können vor allem kleine Kommunen kaum mehr „nebenbei“ bewältigen. Kaum ein Bereich ist von den neuen Richtlinien des Vergaberechts so betroffen wie die kommunale Leistungserbringung. Die am 28. März 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union (L 94) veröffentlichten Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabe-, Sektoren- und Konzessionsrichtlinie) weiten den Anwendungsbereich des Rechtsregimes weiter aus. Nur wenige der neuen Regeln entlasten die kommunalen Anwender. Eine der größten Herausforderungen für Kommunen wie auch für Rechtsberater bildet die fortschreitende Verrechtlichung. Die gesetzlichen Vorgaben werden komplexer, der Geltungsbereich größer. Dienstleistungskonzessionen waren bislang vergaberechtsfrei. Die neue Konzessionsrichtlinie ändert dies. Sie bildet erstmals einen Rechtsrahmen zur Vergabe von Konzessionen, der „zu größerer Rechtssicherheit für die Wirtschaftsteilnehmer“ führen soll. Die Bestimmungen selbst sollen „eindeutig und einfach“ sein. Die Richtlinie zählt 64 Seiten. Sinnvoll sind hingegen die Aufnahme von Inhouse-Geschäften und interkommunaler Zusammenarbeit in die Vergaberichtlinie (Artikel 12 RiLi 2014/24/EU). Beide Betätigungsformen bleiben vergaberechtsfrei, erhal-
ten jedoch eine gesetzliche Grundlage. Die Richtlinie setzt insoweit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um, jedoch mit Besonderheiten. Bei Inhouse-Vergaben ist das Kontrollkriterium erst erfüllt, wenn der Auftraggeber auch in den beschlussfassenden Organen der von ihm kontrollierten juristischen Person vertreten ist. Großzügiger handhabt der europäische Gesetzgeber das Wesentlichkeitskriterium. Statt bisher zehn Prozent Drittumsatz darf das kontrollierte Unternehmen in Zukunft bis zu 20 Prozent Fremdumsätze erwirtschaften. Auch weiterhin darf kein Privater an dem kontrollierten Unternehmen beteiligt sein.
Interkommunale Zusammenarbeit
Eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit setzt voraus,
nach kostenlose Deutschkurse über die Volkshochschulen angeboten werden. Hierfür will das SMI 450.000 über die kommenden drei Jahre bereitstellen. Wenn auch in der Sache zu begrüßen, steht und fällt diese Maßnahme mit der Art der Umsetzung. Für Asylsuchende würden sich gerade im ländlichen Raum die Fragen nach den teils sehr weiten Anreisewegen und den entstehenden Fahrtkosten stellen. Weiterhin wäre es wiederum in kleineren Einrichtungen schwierig, die nötige Mindestanzahl an Teilnehmer_innen zu erreichen, welche in der Regel bei acht liegt.3 Dies stellt auch die einzig konkrete Aussage zu dem wohl aus kommunaler Perspektive wichtigsten Komplex dar: der finanziellen Entlastung der Kommunen durch den Freistaat Sachsen. Die bereits vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossene Erhöhung der Kostenerstattung4 von 6000 auf 7600 EUR jährlich, wird nach einem von Staatsregierung und Landkreisen in Auftrag gegebenem Gutachten nicht ausreichen, um alle für die Kommunen anfallenden Kosten abzudecken. Diese Kostendeckung ist hierbei aber stets im Kontext dessen zu betrachten, dass die damit verbundenen Leistungen noch unterhalb des gesetzlich definierten Existenzminimums liegen.
Zusammenfassend sind die Ergebnisse des „Asylgipfels“ aus kommunaler Sicht differenziert zu betrachten, die weitere Entwicklung des „Lenkungsausschusses“ bleibt abzuwarten. Abschließend ist zu betonen, dass die Einrichtung des „Lenkungsausschusses“ unterstützend wirken kann, aber die Kommunen auch von sich aus handeln können. Es sind ja gerade die kommunalen Mandatsträger_innen, welche mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut sind. Im Zusammenspiel mit den lokalen Akteur_innen der Zivilgesellschaft lassen sich dann kreative Lösungsansätze für komplexe gesellschaftliche Fragen finden. Als Beispiel sei hier das vom Stadtrat Leipzig 2012 beschlossene Konzept „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Leipzig“5 (RBV-1293/12) genannt. KONRAD HEINZE, CHEMNITZ
dass die beteiligten Kommunen eine „gemeinsame Gemeinwohlaufgabe“ erbringen. Umfasst sind sowohl gesetzliche als auch freiwillige Aufgaben der Gebietskörperschaft. Zu beachten ist, dass der beauftragte Dienstleister durch die interkommunale Zusammenarbeit keinen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern erhalten darf. Dies gilt auch für das beauftragte Unternehmen. Die EU-Richtlinien sind innerhalb der nächsten zwei Jahre nach ihrer Veröffentlichung ins deutsche Recht umzusetzen. Ziel des Gesetzgebers war es, mehr Qualität und Langlebigkeit einzuführen. Lebenszyklusmodelle, die auch den Energieverbrauch während der Vertragslaufzeit berücksichtigen, sollen in den Vordergrund rücken. Der Duktus „Preis über alles“ hat ausgedient. Die neue Vergaberichtlinie führt das Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ ein. Gemeint ist das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, sodass auch Umwelt- und Sozialaspekte berücksichtigt werden.
anschließender Erwerb durch die Kommune. Die Innovationspartnerschaft bietet insoweit noch mehr Spielräume als ein Verhandlungsverfahren. Auch unterhalb der Schwellenwerte nehmen vergaberechtlich geprägte Vorschriften zu. Das Verneinen eines öffentlichen Auftrags oberhalb der EU-Schwellenwerte reicht nicht mehr aus, um dem Vergaberecht den Rücken kehren zu können. Neben dem Bundesgesetzgeber mischen auch die Länder kräftig mit. Abschreckende Beispiele sind die von immer mehr Ländern erlassenen Landestariftreuegesetze. Zu komplizierte Regeln und ein nicht klar definierter Anwendungsbereich, das Ganze garniert mit handwerklichen Fehlern, verursachen auf Auftraggeber- wie auch auf Bieterseite einen hohen Aufwand und schließen eine praxisnahe Anwendung der Regeln nahezu aus. Die genannten Entwicklungen zwingen Kommunen, in Zukunft immer mehr auf Fachleute zurückzugreifen, um ihre öffentlichen Aufgaben rechtssicher zu erfüllen. Die rasante Entwicklung der vergaberechtlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung lässt sich „nebenbei“ nicht mehr bewältigen. Gerade kleinere Kommunen sind faktisch auf externe Berater angewiesen.
Neue Vergabeart: Innovationspartnerschaft
Für eine weitere Förderung von Innovationen sieht die neue Vergaberichtlinie sogar eine neue Vergabeart vor. Kommunen können bislang nicht auf dem Markt verfügbare Leistungen im Wege sogenannter Innovationspartnerschaften beschaffen. Dazu adressieren sie in ihrer Ausschreibung ein bestimmtes Problem und geben Mindestanforderungen vor – eine erschöpfende Leistungsbeschreibung entfällt. Ziel der Vergabeart ist die Entwicklung innovativer Leistungen und deren
1
Vgl. §44 u. §45 Asylverfahrensgesetz. Vgl. Presseerklärung Nr. 15 vom 25.11.2014, Kommunale Landesverbände mit dem Spitzengespräch Asyl am 24. November 2014 zufrieden. 3 Vgl. Klinger/Yilmaz-Günay: Realität Einwanderung, Hamburg 2014, S. 59. 4 Vgl. §10 SächsFlüAG 5 Vgl. Stadt Leipzig: Konzept: „Wohnen für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, Leipzig 2012. 2
(www.gemeinderat-online.de 7/2014)
Kommunal-Info 10/2014
Literaturempfehlung
Taschenbuch für die Ratsarbeit Hrsg.: Sächsischer Städte- und Gemeindetag (SSG) ; Rechtsstand: Mai 2014; 373 S.; 9,60 EUR. Bereits mit dem von Karl Geisselbrecht verfassten Taschenbuch für Stadt- und Gemeinderäte in Sachsen stand bisher den Räten ein nützliches Handwerkzeug für die Ratsarbeit zur Verfügung. Das nun ganz neu erarbeitete Taschenbuch für die Ratsarbeit geht in Inhalt und Umfang über die frühere Ausgabe weit hinaus, verfolgt aber ebenso das Ziel, für Kommunalpolitiker/innen in Sachsen ein fachlich fundiertes Rüstzeug zu liefern. Abgerundet wird das Ganze mit der aktuellen Fassung der Sächsischen Gemeindeordnung und einem Stichwortverzeichnis am Ende. Im Vorwort meint der Präsident des SSG und Oberbürgermeister von Baut-
Seite 4 zen Christian Schramm wohl aus eigener Erfahrung: Die Mitglieder der Gemeinderäte und Stadträte, die Bürgermeister und Ober¬bürgermeister haben durch ihre Wahl bereits gezeigt, dass sie Überzeugungs¬kraft, Durchsetzungsvermögen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger besitzen. Das alles sind wichtige Voraussetzungen für eine gute Ratsarbeit. Zugleich reift nach der Wahl aber auch schnell die Erkenntnis, dass gute Rats¬arbeit nicht nur gesunden Menschenverstand und politisches Gespür, sondern auch solides Fachwissen verlangt. In welchem Rahmen funktioniert kommunale Selbstverwaltung? Was sind die Aufgaben eines Gemeinderates und eines Bürgermeisters? Welche Rechte und Pflichten haben Gemeinderatsmitglieder und Bürgermeister? Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Bürgerschaft, Gemeinderat, Bürgermeister und Verwaltung? Nach welchen Spielregeln werden die Entscheidungen im Gemeinderat getroffen? Welche finanziellen Spielräume haben die Kommunen? Wie funktionieren Doppik, Kommunalabgaben, kommunale Unternehmen oder Vergaben? ... Dieses Taschenbuch will dazu Hilfestellung geben. Es ist als Einführung, Ratgeber und Nachschlagewerk gedacht, damit allen Beteiligten das »Drumherum« der Ratsarbeit gut von der Hand geht. Das Taschenbuch richtet sich an die Mitglieder der Gemeinde- und Stadträte, es ist aber auch für jene geeignet, die mit den Gemeindeund Stadträten naturgemäß eng zusammen arbeiten. Also für die (Ober-) Bürgermeister und die Mitarbeiter der Verwaltungen, die Ratssitzungen vorbereiten oder Ratsbeschlüsse zu vollziehen haben.“
Bürgerbegehrensbericht 2014:
Direkte Demokratie in den Kommunen Die direkte Demokratie ist etablierter Bestandteil kommunaler Politik: Zu diesem Ergebnis kommt der Bürgerbegehrensbericht 2014, den der Verein Mehr Demokratie zusammen mit Wissenschaftler/innen der Bergischen Universität Wuppertal und der Universität Marburg vorgelegt hat. Seit 1956 gab es demnach 6447 Verfahren, 3177 mal kam es zum Bürgerentscheid. Mehr als die Hälfte aller Verfahren fand zwischen 2003 und 2013 statt. Die direktdemokratischen Aktivitäten in den einzelnen Bundesländern variieren nach Angaben des Berichts stark: 40 Prozent aller Verfahren fanden in Bayern statt, gefolgt von BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen. Berücksichtigt man die Gemeindezahl, kommt es besonders häufig in den Gemeinden der Stadtstaaten Hamburg (jedes Jahr) und Berlin (alle drei Jahre) zu einem Verfahren. Bei den Flächenländern liegen die Gemeinden in NRW und Bayern vorn. Schlusslichter sind diejenigen Bundesländer, in denen viele Themen von Bürgerbegehren ausgeschlossen sind: In Rheinland-Pfalz erlebt eine Gemeinde nur alle 278 Jahre ein Bürgerbegehren, in Mecklenburg-Vorpommern kommt es durchschnittlich alle 161 Jahre zu einem Verfahren. Der Bürgerbegehrensbericht 2014 listet weitere Statistiken auf: so wurden 28 Prozent aller von unten initiierten Bürgerbegehren bislang für unzulässig erklärt, in fünf Ländern (Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland) lag der
Anteil von unzulässigen Bürgerbegehren bei mehr als 40 Prozent. 37,7 Prozent aller abgeschlossenen und ermittelbaren Verfahren waren erfolgreich im Sinne der Initiatoren (bei Ratsreferenden im Sinne des Gemeinderats, bei Bürgerbegehren im Sinne der Initiative). Dafür musste nicht zwingend ein Bürgerentscheid stattfinden. In 715 Fällen etwa wurde ein entsprechender Beschluss des Gemeinderats ohne Bürgerentscheid erreicht. Betrachtet man nur die Abstimmungen, waren von den durch Bürgerbegehren ausgelösten Bürgerentscheiden 49 Prozent erfolgreich im Sinne der Initiatoren. Von oben angestoßene Ratsreferenden hatten eine Erfolgsquote von 59 Prozent. Eine weitere interessante Zahl: An Bürgerentscheiden, die durch Bürgerbegehren ausgelöst wurden, beteiligten sich durchschnittlich 47,3 Prozent der Abstimmungsberechtigten. An vom Gemeinderat initiierten Abstimmungen (Referenden) nahmen durchschnittlich 57,3 Prozent teil. Die häufigsten Abstimmungen gab es zu kommunalen Wirtschaftsprojekten, gefolgt von Bürgerbegehren zu öffentlich finanzierten Sozial- und Bildungseinrichtungen. Auch kommunale Verkehrsprojekte und Infrastrukturvorhaben waren Themen, die die Menschen vor Ort bewegt haben. Der vollständige Bürgerbegehrensbericht 2014 sowie weitere Informationen stehen online zum Download (PDF) bereit: www.buergergesellschaft.de
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr 2015 !
12/2014 Sachsens Linke!
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Welcome refugees – Flüchtlinge willkommen! Vorurteile Vor einigen Monaten wurden die ersten 100 Flüchtlinge, vorwiegend Familien, in Wohnungen in Zwickau-Neuplanitz untergebracht. In einer ersten BürgerInnenversammlung eskalierten der Zorn über die Informationspolitik der Verantwortlichen und die Angst vor den Fremden. In den folgenden Wochen zeigte sich jedoch, dass es in der Zwickauer Bevölkerung auch großes Mitgefühl und Solidarität mit den Geflüchteten gibt, die, aus Kriegs- und Krisengebieten kommend, hier Schutz und Hilfe suchen. Ein
Spendenaufruf von „Zwickaus Gute Geister“ wurde von rund 750 Privatpersonen unterstützt mit allem, was man in einem
gen dauerte es nicht lang, und am 15. November war es dann so weit. Beim Straßen- und Familienfest in Zwickau, Dort-
wurde es ein gelungenes Fest. Die unvermeidbaren Kosten konnten dank der Spendenbereitschaft der LINKEN und der
Neuer Sprecherrat Für die Gesamtmitgliederversammlung hatten wir uns den Feiertag am 19. November ausgesucht, doch Büßen und Beten standen nicht auf der Tagesordnung. Stattdessen ging es darum, einen neuen Sprecherrat, die Delegierten für den Landesparteitag sowie die Vertretung der LAG im Landesrat zu wählen. Als Sprecher wurden Michaela Vogel und Ralf Fiebelkorn bestätigt. Des Weiteren gehören Simone Hock, Ralf Becker und Kevin Reißig dem Sprecherrat an. Auf den Landesparteitagen 2015/16 werden Simone Hock und Ralf Fiebelkorn die LAG vertreten, in den Landesrat wurde Simone Hock gewählt. Allen Gewählten herzlichen Glückwunsch! Neben den notwendigen Wahlen galt das Augenmerk aber auch den anstehenden Aufgaben. So wollen wir das Portal „Kleine Zeitungen“ der Tageszeitung neues deutschland unterstützen, was dem Austausch von Informationen und Erfahrungen gerade aus dem kommunalen und regionalen Bereich förderlich ist. In der Diskussion wurde deutlich, dass eine bessere Vernetzung zwischen den einzelnen Redaktionen der kleinen Zeitungen wünschenswert ist. Die Anwesenden verständigten sich darauf, dass hierzu in den nächsten Wochen die Redaktionen angeschrieben werden. Ziel sollen regionale Treffen der Zeitungsmacher sein, auf denen Erfahrungen ausgetauscht und Vorschläge für eine zukünftige Zusammenarbeit gesammelt werden sollen. Einigkeit bestand auch darüber, dass sich die LAG intensiver in die Arbeit der Landeszeitung einbringen will und wird. Michaela Vogel
Haushalt so braucht – vom Sofa bis zum Spiegelschrank im Bad, von der einfachen Plasteschüssel bis hin zu Töpfen, Tellern, Tassen sowie warmer Winterbekleidung. Schnell entstand die Idee, eine Gelegenheit zu
schaffen, wo sich Anwohner und die Neuankömmlinge ganz ungezwungen kennenlernen können. Von dieser ersten Idee bis zu den konkreten Planun-
munder Straße, konnten sich Anwohner und Neuankömmlinge ganz ungezwungen „beschnuppern“. Dank der großen Unterstützung zahlreicher Privatpersonen, die beispielsweise ein unbeschreibliches in-
ternationales Mitbring-Buffet zauberten, des Theaters Zwickau-Plauen, des DRK, der Diakonie, der Evangelischen Kirchgemeinden und vieler anderer
SPD gedeckt werden. Für gute Stimmung gab es Live-Musik und zum Abschluss noch eine Feuershow von Tobias Stiller und seinen Töchtern. Bei strahlendem Sonnenschein und fast 20 Grad war es ein gelungenes Fest, getragen vom Engagement vieler Einzelpersonen, Institutionen und Firmen und mit mehreren 100 Gästen und toller Stimmung. Vielfach wurde der Wunsch geäußert, so etwas zu wiederholen. Das wird von den Organisatoren, zu denen auch der Rote Baum e. V. gehört, gern aufgegriffen. Wir dürfen gespannt sein. Für das nächste Bürgerforum hoffen wir, dass die Stimmung etwas weniger aufgeladen ist und unser Fest einen kleinen Beitrag zu etwas mehr Verständnis leisten konnte. Herzlichen Dank auch an die Mitarbeiter des Ordnungsamtes und vom Polizeirevier, die auf diskrete Weise regelmäßig vorbeischauten und so ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit gaben. Simone Hock, Rote Reporter
Bilder: Simone Hock
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Zum Straßen- und Familienfest waren zahlreiche Gäste erschienen, darunter Alt-OB Rainer Eichhorn (CDU), MdB Jörn Wunderlich, die Fraktionsvorsitzende im Zwickauer Stadtrat Ute Brückner (beide DIE LINKE) und Wolfgang Steinforth, Ex-Stadtrat (SPD). Doch nicht nur aus Zwickau, auch aus dem Osten Sachsens war Besuch gekommen. Mit Sven Scheidemantel, Mitglied im Bautzener Kreistag, sprach Simone Hock, LAG Rote Reporter. Sven, was treibt einen Bautzener Kreisrat zu unserem Fest nach Zwickau? Und wie gefällt es Dir? Nun, Deiner Einladung zur Soljanka konnte ich kaum widerstehen. Aber im Ernst. Asyl- und Flüchtlingspolitik sind in ganz Sachsen ein Thema. Alle Initiativen, die helfen, eine Willkommenskultur zu etablieren, sind wichtig und zu unterstützen. Da sind auch gerade wir LINKE gefordert. Das Fest ist sehr gelungen. Dass es nicht in geschlossenen Räumen, sondern mitten im Wohngebiet stattfindet, finde ich richtig toll. Das hilft, Berührungsängste zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Wie ist die Situation mit Flüchtlingen bei Euch? Dies ist bei uns in der Oberlausitz sehr unterschiedlich. Während die Heime in Kamenz (ca. 500 Menschen), Hoyerswerda und Bischofswerda relativ geräuschlos arbeiten, gibt es in Ottendorf, Neukirch und Bautzen massive Diskussionen und Hetze durch die NPD. Zunehmend arbeitet der Landkreis als zentrale Unterbringungsbehörde mit den Bündnissen für Asyl zusammen. So gibt es „Runde Tische Asyl“ und Asylkonferenzen. Aber das ist noch ausbaufähig. Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Ortsansässigen und Flüchtlingen bei Euch? Welche Unterstützungsangebote für Flüchtlinge gibt es? Als Aktive im Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ – zu denen auch Josef Jung gehört, der mich heute hierher begleitet hat –, haben wir schon viele positive Erfahrungen gemacht. So haben wir in der Flüchtlings-Asylbewerberunterkunft „Spreehotel Bautzen“ Feste und Konzerte organisiert, es gibt Patenschaften für Familien, Fahrdienste und Begleitungen zu Behörden, Ärzten, zum Einkaufen und Schulbeginn und vieles mehr. Ebenso notwendig ist aber auch der vielfältige und kreative Protest gegen NPD-Hetze. Auch hier ist das Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ aktiv und federführend.
Sachsens Linke! 12/2014
Vor Madrid auf Barrikaden Obgleich die Dinge im Spanischen Bürgerkrieg in Katalonien doch etwas anders lagen als im Rest des republikanischen Teils Spaniens, kämpften auch die katalanischen Anarchisten für eine gemeinsame Republik. Die spanisch-republikanische Sache hat jedoch derzeit nicht mehr viele Freunde in der nordöstlich gelegenen „Autonomen Gemeinschaft“ Spaniens, in der immerhin etwa 16 % der Spanier leben. Auch die konstitutionelle Monarchie, die aktuelle Staatsform, stößt nicht auf viel Gegenliebe. Doch es ist vielmehr die Zugehörigkeit zum spanischen Staat, die viele Katalanen umtreibt. Am 9. November fand in Katalonien eine „Befragung“ der Bevölkerung über eine mögliche Unabhängigkeit statt. Dabei wurde gefragt, ob Katalonien ein eigener Staat sein, und auch, ob dieser Staat von Spanien unabhängig sein soll. Die verantwortliche zivilgesellschaftliche Institution, die Assemblea Nacional Catalana (ANC, Katalanische Nationalversammlung) feiert die 80 % für das „Doppel-Ja“ als großen Erfolg, wohingegen die Gegner der Unabhängigkeit, die sich in der Societat Civil Catalana (SCC, Katalanische Zivilgesellschaft) organisieren, auf die aus ihrer Sicht niedrige Beteiligung verweisen. Insgesamt haben etwa 2,3 Millionen Menschen teilgenommen. Berechtigt waren auch Katalanen im Ausland sowie in Katalonien lebende EU-Bürger* innen, sofern sie mindestens 16 Jahre alt waren. Das macht es schwierig, die Zahl der Abstimmungsberechtigten zu bestimmen. Die Zeitung El País geht unter Berufung auf das Nationale Statistikinstitut von 6,23 Millionen Stimmberechtigten aus,
was einer Beteiligung von etwa 37 % entspricht. Dies bedeutet, dass sich gemessen an allen Abstimmungsberechtigten nur knapp 30 % für einen unabhängigen Staat Katalonien ausgesprochen haben. Das führen die Gegner der Unabhängigkeit, die in Teilen selbst dazu aufgerufen hatten, sich nicht an der Befragung zu beteiligen, nun ins Feld. Warum hat es sich überhaupt um eine juristisch folgenlose Befragung gehandelt und nicht um
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Jugend
Am Freitag nach dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum verabschiedete die katalanische Regionalregierung unter Führung der Liberal-Konservativen CiU mit dem Ministerpräsidenten Artus Mas und in Koalition mit der links-separatistischen Republikanischen Linken Kataloniens das Gesetz über ein Referendum. Bereits zuvor hatte jedoch die spanische Regierung unter Führung des erzkonservativen Premierministers
maßgeblich von der ANC getragen. Wie von der spanischen Regierung gefordert, wurden dafür auch nicht die offiziellen Meldedaten der Ämter verwendet. Die Katalanen mussten sich vor der Befragung im Internet registrieren, und über 40.000 Freiwillige zogen durch die entlegenen Dörfer, um auch ältere Menschen zu erfassen. Während sich viele Katalanen in ihrem Recht auf Meinungsäußerung und „kollektive Selbstbestimmung“ von Madrid gegängelt fühlen, geißeln konservative Hardliner in Rajoys Partei PP gezielte Verfassungsbrüche der Katalanischen Regie-
Bild: Tilman Loos
ein bindendes Referendum wie beispielsweise in Schottland? Die Antwort liefert ein Blick auf die Vorgeschichte. Am Katalanischen Nationalfeiertag, der „Díada“ am 11. September, demonstrierten 1,8 Millionen Menschen in Barcelona für die Unabhängigkeit. Sie bildeten auf elf Kilometern Länge ein „V“ (für Abstimmung, Wille oder auch Sieg) in den katalanischen Nationalfarben Rot und Gelb. Dieser Tag „11/9“ (11.09.) sollte der Auftakt für ein zweimonatiges Werben für den großen Tag des Referendums sein: „9/11“ (09.11.).
Mariano Rajoy angekündigt, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Dieses hat das Referendum erwartungsgemäß für verfassungswidrig erklärt. Die Katalanische Nationalregierung hat das Referendum daraufhin abgesetzt, was zu Auseinandersetzungen innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung geführt hat, dann aber akzeptiert worden ist. Die Zentralregierung in Madrid wollte auch keine Befragung zulassen, jedenfalls nicht, wenn sie durch die staatlichen Stellen in Katalonien organisiert sei. Letztlich wurde die Befragung
rung und forderten zum Teil sogar den Einsatz der Guardia Civil oder der Armee, um ein Referendum zu verhindern. Darauf hat sich der sonst wenig zimperliche Rajoy glücklicherweise nicht eingelassen. Nicht nur die Menschen in Spanien, Katalonien konsequenterweise eingeschlossen, debattieren nun über das Referendum, einmal mehr verstärkt aber auch über die separatistische Bewegung. In vielen Teilen der politischen Linken schlägt solchen Bewegungen Sympathie entgegen. Deren Zahl ist in Euro-
Landesjugendplenum und Landesjugendtag in Sayda Vom 7. bis zum 9. November 2014 fand das zweite Landesjugendplenum der linksjugend [´solid] Sachsen, gekoppelt mit dem Landesjugendtag, statt. Im beschaulichen Sayda tagten wir, wählten Delegierte, eine neue Schatzmeisterin und die Mitglieder des Beauftragtenrates. Daneben diskutierten wir in diversen Workshops zu Awareness-Arbeit, politischer Praxis im ländlichen Raum und darüber, wie es mit dem Jugendverband weiter gehen soll. Die Anreise in das 2.000-Seelen-Dorf war für viele beschwerlich, weshalb man sich entschied, den Abend ruhig ausklingen zu lassen und lediglich einen Film zu schauen. Am Morgen darauf wählten wir zuerst Werner Kujat als unseren neuen Vertreter im Landesrat für 2015 und 2016. Anschließend folgten die Wahlen für den Länderrat, aus denen Anna Gorskih
und Sinah Al-Mousawi erfolgreich hervorgingen. Während die Wahlkommission tagte, fanden die ersten Workshops statt. Auch die nie enden wollende Debatte über die Struktur des Koordinierungsrates (KooRa) wurde fortgesetzt. Außerdem befassten wir uns mit dem Pfingstcamp und dem Rückblick auf den Jugendwahlkampf. Dann ging man zur Debatte der Satzungsänderungsanträge über. Abermals scheiterte ein Antrag zur Auflösung des KooRa an der 2/3-Mehrheit, da sich einige für eine Beibehaltung des KooRas in der Satzung einsetzten, obwohl auch sie sahen, dass er mit starken Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die linksjugend [´solid] Sachsen wählte außerdem Marie Wendland als neue Schatzmeisterin. Aus der Nachwahl des Beauftragtenrates gingen Marlene Schiewer, Mona Sabha und
Mathias Fröck erfolgreich hervor. Damit hat die linksjugend [´solid] Sachsen bis zur nächsten Wahl einen überquotierten Beauftragtenrat. Danach diskutierten wir, wie wir unsere mediale Präsenz verbessern könnten, und über politisches Engagement im ländlichen Raum. Für den Abend war eine Party im Forsthaus Sayda geplant, auf der uns DJ Tschüss EY! mit seiner Musik erfreute. Der Morgen kam recht schnell, für einige zu schnell. Am Sonntag wurde im Awareness-Workshop darüber gestritten, wie eine eigene Awarenessstruktur der linksjugend [´solid] Sachsen aussehen könnte und nach welchen Prinzipien sie handeln sollte. Da der Workshop zu politischer Arbeit im ländlichen Raum auf große Resonanz gestoßen war, wurde er fortgeführt. Dabei ging es vor allem um die mas-
sive Fremdenfeindlichkeit, mit der man sich konfrontiert sieht. Im Workshop zum Thema „Was kommt als nächstes – wie weiter mit dem Jugendverband?“ haben sich viele Pläne für die Zukunft aufgetan. Insbesondere die Debattenkultur und die Vernetzung sollen dabei im Vordergrund stehen. Zu allerletzt entschied das Plenum über zwei Anträge. Einer bezweckte genauere Wahlsysteme, in denen die Wähler_innen Präferenzen zum Ausdruck bringen können; ein zweiter hatte das Ziel, die Schaffung einer verbandsinternen Awarenessstruktur auf größeren Veranstaltungen wie dem Pfingstcamp zu fordern. Beide wurden mit großer Mehrheit angenommen. Wir danken allen, die sich mit uns nach Sayda verirrt haben, und freuen uns auf das nächste Landesjugendplenum im Frühling! Martin Bretschneider
pa mittlerweile sehr groß. Man denke dabei auch an das Baskenland, Flandern, Schottland, Norditalien, die Bretagne, Elsass-Lothringen oder den Balkan. Häufig werden die separatistischen Bewegungen auch deshalb mit Wohlwollen betrachtet, weil die vermeintliche Dezentralisierung ein Stück weit mehr „Demokratie von unten“ bedeuten könnte. Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass es zwei ganz wesentliche Argumentationsmuster der Separatist*innen gibt, die linken und egalitären Ansprüchen diametral entgegenstehen. Da ist zum einen das Faktum, dass es in ihren jeweiligen Ländern mehrheitlich eher reiche Regionen sind, die sich lossagen wollen. In vielen separatistischen Bewegungen spielen außerdem klassisch ethnizistische oder kulturalistische Argumentationsmuster, wie sie aus dem Nationalismus bekannt sind, eine wesentliche Rolle. Deswegen ist für nicht wenige separatistische Bewegungen wohl auch der Begriff (Regio-)Nationalismus durchaus angemessen. So reden erhebliche Teile der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien auch immer wieder von der „langen Geschichte“ Kataloniens, von kultureller Gemeinschaft und natürlich der eigenen Sprache. Ganz grundlegend ist das Sprechen von „uns“ und den „anderen“ immer problembehaftet, gerade dort, wo es um die politkulturelle Konstitution „neuer Gemeinschaften“ geht. Daher ist die politische Linke also gut beraten, den regio-nationalistischen Bewegungen nicht begeistert hinterherzulaufen. Ein fortschrittlicher und egalitärer Politikansatz kennt Menschen, aber keine Nationen. Tilman Loos war am katalanischen Unabhängigkeitstag in Barcelona.
Termine 5. bis 7. Dezember 2014: Herbstakademie – Seminarwochenende III in Bad Lausick, Infos und Anmeldung unter http:// www.linksjugend-sachsen.de 13. Dezember 2014, ab 12:00 Uhr: BR-Sitzung in der WahlFabrik, Kleiststraße 10 a, Dresden 24. Januar 2015, 14:00-18:00 Uhr: Workshop „Der Drops ist gelutscht?! – Oder wie steht‘s mit dem Sexismus?“ mit Korinna Linkerhand (Pädagogin in der lesbischen Mädchenarbeit, Hamburg), Sabrina Zachanassian (Studentin Erziehungswissenschaften/Gender Studies, Berlin) in der WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, Dresden 6. bis 8. Februar 2015: Save the date: Winterakademie der linksjugend [‘solid], weitere Infos folgen.
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
Neustart fehlgeschlagen! Die neue EU-Kommission unter Jean Claude Juncker hat am 1. November 2014 offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Vorangegangen war der Abstimmung im Europaparlament ein Marathon von Anhörungen der designierten Kandidaten. In mehreren Fällen galt deren fachliche und politische Kompetenz den Abgeordneten in den zuständigen Fachausschüssen als fraglich. So wird der Spanier Miguel Arias Canete künftig die Verantwortung für Energie und Umweltschutz tragen – obwohl er geschäftliche Interessen in der Ölindustrie verfolgt hat und als Anhänger von Atomkraft und Fracking gilt. Der Brite Jonathan Hill wird als Kommissar für Finanz- und Kapitalmarktregulierung zuständig sein – obwohl seine Erfahrung als Finanzmarktlobbyist erhebliche Zweifel an strenger Regulierungsabsicht zulässt. Der Deutsche Günther Oettinger hat als Kommissar für „digitalen Binnenmarkt und digitale Gesellschaft“ beim Thema kulturelle und gesellschaftspolitische Bedeutung einer freien und allen zugänglichen digitalen Welt – Stichwort Netzneutralität – in der Befragung nur wenig überzeugt. Und wenn der ehemalige Justizminister in der Regierung Orban, die in Ungarn für die Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit sowie von Minderheitenrechten verantwortlich ist, künftig für die EU-Politik in den Bereichen Kultur, Bildung, Jugend und Sport verantwortlich sein wird, ist das eine glatte Fehlbesetzung. Bei etlichen Kommissaren und den wenigen Kommissarinnen (nur neun von 28) wurden solche Probleme sichtbar.
Nach der Veröffentlichung geheimer Steuer-Deals zwischen dem Großherzogtum Luxemburg mit Konzernen aus der ganzen Welt steht nun der Kommissionpräsident als ehemaliger Staatschef Luxemburgs zu Recht unter Beschuss. Wir LINKEN. im Europaparlament hatten weder der Wahl Junckers noch der neuen Kommission zugstimmt. Denn diese steht eben nicht für einen notwendigen „Neustart“ der EU-Politik. Dabei sind die drängenden Herausforderungen, vor denen die Menschen in der EU stehen, offensichtlich: Massive (Jugend-)Arbeitslosigkeit, lahmende Konjunktur und alle damit verbundenen sozialen Probleme, Lohndumping und Ressentiments gegenüber Menschen, die ihre Freizügigkeitsrechte nutzen wollen, Tote und Hilfsbedürftige an den EU-Außengrenzen, gewalttätige Konflikte in unserer Nachbarschaft. Ein Abrücken von der drastischen Sparpolitik der letzten Jahre oder dem Privatisierungsstreben bei Gemeingütern und in der öffentlichen Daseinsvorsorge ist kaum zu erwarten. Bei den Verhandlungen über internationale Handelsverträge wie das geplante EUUSA-Abkommen (TTIP) ist keine Abkehr von der Prioritätensetzung auf Freihandel und Investorenschutz, kein Umdenken in Richtung besserer Sozial-, Umwelt- und Transparenzstandards erkennbar. Angesichts größerer Erwartungen an die EU und des Unwillens von Mitgliedstaaten, Zusagen zu erfüllen, bleiben die Probleme der in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegenen Lücken im EU-Haushalt ungelöst. Das hat potentiell
Auswirkungen auf Zahlungen für wichtige Strukturfonds-Projekte in den Regionen. Bei aller grundsätzlichen Kritik an diesen und anderen Problemen neoliberaler EU-Politik bleibt es ein Schwerpunkt der LINKEN im Europaparlament und von mir ganz persönlich, die Regionen und Kommunen bei der sinnvollen Anwendung der Chancen, die die EU durchaus eröffnet, zu unterstützen. Dabei geht es natürlich zunächst um die Anwendung der neuen Förderregeln. Zu diesem Zweck gibt es bereits einen regen Austausch zwischen Landtags- und Europaabgeordneten, aber auch den Kommunalpolitiker*innen der LINKEN. Wir bauen unser Informationsangebot in diesem Bereich aus, indem wir EU-Fördertipps auf Anfrage und in Zukunft auch online zur Verfügung stellen. In kürzlich bekannt gewordenen Fällen von Misswirtschaft durch einige Landesregierungen hat DIE LINKE in den Landesparlamenten in Zusammenarbeit mit der Delegation im EU-Parlament erste Schritte zur Aufklärung unternommen. Ein weiterer Themenschwerpunkt in der Zusammenarbeit der Politikebene vor Ort werden in den kommenden Jahren die zum Teil von der EU vorgegebenen Bedingungen für soziales Wohnen und Leben in Stadt und Land sein, also alles, was mit Wohnungsbau, Energieversorgung und anderen Daseinsvorsorgeleistungen zu tun hat. Dabei können wir auf 15 Jahre Erfahrung von PDS/LINKEN im Europaparlament aufbauen, aber natürlich vor allem auch auf 25 Jahre politische Arbeit vor Ort. Martina Michels, MdEP
12/2014 Sachsens Linke!
GUE/NGL-Studientage in Florenz Die Linksfraktion im Europäischen Parlament, GUE/NGL, hielt vom 18.-20. November ihre Studientage in Florenz ab. Dabei war die Jugendarbeitslosigkeit in der EU aufgrund der Kürzungspolitik der vergangenen Jahre Schwerpunkt der Beratungen. Interessant waren die Ausführungen zur Kürzungspolitik der einzelnen Staaten im Bereich der Kultur. Aktuell wurden die OrchestermusikerInnen und OpernchorsängerInnen der Oper Rom gekündigt, Griechenland gibt auf Druck der Troika nur noch 0,25 Prozent des Staatshaushalts für Kultur aus. Aber auch das geplante Freihandelsabkommen der USA mit der EU (TTIP) sowie die Asyl- und Migrationspolitik der EU waren Themenschwerpunkte. Hierzu sprach ein Flüchtling aus Eritrea über die Lebens-
rio Pianti die Auffassung, dass an der Krise in der EU zu großen Teilen die Niedriglohnpolitik Deutschlands schuld sei. Als eine mögliche Problemlösung sah er die Abschaffung des Euro. Am Mittwochabend gab es die Gelegenheit zu Gesprächen mit italienischen AktivistInnen. Den Abschluss des Abends bildete ein Konzert der italienischen Ska-Punk-Band Banda Bassotti. Zum Abschluss der Studientage fand eine Fraktionssitzung statt. Dabei wurde insbesondere die Haltung zum Besuch des Papstes im Europäischen Parlament sehr kontrovers diskutiert. Die Vertreter der französischen Front de gauche riefen dabei zu einem Protest vor dem Parlament auf. Aber auch die deutsche Delegation war in ihrer Haltung gespalten.
verhältnisse in seinem Land und über seine Flucht über das Mittelmeer. Er hatte das „Glück“, von einem italienischen Kriegsschiff gerettet worden zu sein. Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA sowie eine neue Architektur des internationalen Handels wurden kontrovers diskutiert. So vertrat der Professor der Ökonomie Ma-
Zum Abschluss gab es noch einen kulturellen Höhepunkt. Die Fraktion besuchte die weltbekannte Galerie in den Uffizien und den quer durch die Altstadt von Florenz führenden geheimen Gang der Medici vom Palazzo Vecchio, dem Rathaus, zum Palazzo Pitti, dem Wohnsitz der Fürstenfamilie. Jan-Robert Karas
überall dieselben Dinge besteuert werden, aber keine Mindeststeuern vereinbart werden, kann dies Steuerwettbewerb sogar anheizen. Die Unternehmen können dann Steuersätze noch besser vergleichen. Unterdessen ermittelt die EUKommission, ob Luxemburg mit Steuervorteilen für Amazon und Fiat den „Wettbewerb“ verzerrt und somit illegale Staatsbeihilfen (Beihilfeverfahren) gewährt habe. Sollte Luxemburg diese Vorteile allen Unternehmen gewähren, wären diese Steuervermeidungstricks übrigens kein Problem. SPD und Grüne stört es offenbar nicht, dass Juncker als Kommissionspräsident über die Einleitung eines Verfahrens gegen Luxemburg mitentscheidet. Die Grünen haben zwar wie wir gegen den Finanzlobbyisten Hill als Kommissar für Finanzmärkte protestiert und den Öl-Tycoon
Cañete als Energiekommissar abgelehnt, aber der Chef der Steuerhehler soll nun nach ihrem Willen mit der Steuermafia aufräumen. Völlig unglaubwürdig. Auch ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments, den wir unterstützen, ändert hieran nichts. Erstens kann ein Ausschuss nichts ausrichten, wenn Steuerdumping in Europa legal ist. Zweitens entscheidet die gesamte Kommission über das Beihilfeverfahren gegen Luxemburg und somit auch Juncker selbst. DIE LINKE fordert auch deswegen den Rücktritt Junckers – sofort. Fabio di Masi, MdEP
Steueroasen austrocknen! Was alle wussten, ist seit „Lux Leaks“ nicht mehr zu leugnen: Luxemburg ist die Drehscheibe eines internationalen Kartells von Konzernen, die systematisch ihre Steuern fast auf Null drücken. Der Pate dieses Systems war der ehemalige Luxemburger Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker. Im Sommer 2014 wurde er, gegen die Stimmen der Linken, aber mit Unterstützung von Sozialdemokratie und Grünen, zum EUKommissionspräsidenten gewählt. Allein Deutschland entgehen durch Luxemburg etwa 10 Milliarden Euro Steuern jährlich. EUStaaten verlieren jedes Jahr etwa eine Billion Euro durch (illegale) Steuerhinterziehung und (legale) Steuervermeidung. Gleichzeitig wird Europa immer tiefer in die Depression gekürzt – bis es kracht. Ein internationales Konsortium von Journalisten hat
offengelegt, wie das Großherzogtum mit der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC) einen Steuer-Basar schuf. PWC verhandelte für Konzerne mit Luxemburg vorab über Steuerbescheide. Dabei schlug PWC Modelle vor, mit denen sich die Steuerlast der Deutschen Bank, IKEA, Amazon und Co kleinrechnen ließen – beispielsweise indem Konzerne innerhalb des Unternehmens einen Kredit vergeben. Die Zinsausgaben werden dann in Ländern mit höheren Unternehmenssteuern geltend gemacht. Die Erträge werden in Ländern mit geringer Steuerlast verbucht. Ähnliches gilt für Forschungsaufgaben und Lizenzgebühren. Pikant: Luxemburg verfügt über keine wichtigen Forschungseinrichtungen. Und ebenso absurd ist, dass sich Reedereien über Briefkastenfirmen in Luxemburg ansiedeln, obwohl das Land noch nicht einmal
über einen Meereszugang verfügt. Laut Herrn Juncker ist all dies legal und gängige Praxis in den EU-Staaten. Das stimmt. Und genau das ist der Skandal. Auch Deutschland befindet sich laut dem Netzwerk Steuergerechtigkeit unter den Top Ten der Steueroasen, weil die Bundesrepublik ein Paradies für Geldwäsche ist. Deshalb müssen wir die Spielregeln in der EU dringend ändern. Auf EU-Ebene brauchen wir Mindeststeuern, um Steuerdumping zu stoppen. Die EU-Verträge lassen dies aber nicht zu. Auch dies ist ein Grund, warum wir LINKE sie zu Recht abgelehnt haben. Die EUKommission möchte zwar die sogenannten Bemessungsgrundlagen der Körperschaftssteuern harmonisieren – auf Deutsch: Was auf der Ebene von Unternehmen besteuert wird – aber das reicht nicht. Denn wenn
Sachsens Linke! 12/2014
DIE LINKE im Bundestag
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Projekte gegen Rechts endlich dauerhaft sichern! Als Manuela Schwesig (SPD) ihre Funktion als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernahm, wurde in einer ihrer ersten Amtshandlungen schnell ein wichtiger Unterschied zu ihrer CDU-Amtsvorgängerin Kristina Schröder deutlich. Schwesig hob die „Extremismusklausel“ auf, die Projekte gegen Rechts unter Generalverdacht linksradikaler Umtriebe gestellt hatte. Sie kündigte bald darauf an, die Förderung über die bisherige, für langfristiges Arbeiten viel zu kurze Zeitdauer von einem Jahr
rium – kein schlechter Start. Doch das neue Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“, das Schwesig Anfang Juli vorgestellt hatte und dessen Finanzierung für 2015 mit dem Bundeshaushalt Ende November beschlossen wurde, setzt die Ankündigungen der Ministerin nur teilweise um. Lediglich 30,5 Millionen jährlich sollten für die „Extremismusprävention“ – also noch nicht einmal ausschließlich für die Bekämpfung des Rechtsextremismus – zur Verfügung
einen zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass die mobilen Beratungsteams ebenso wie die Opferberatungsstellen in Ostdeutschland chronisch unterfinanziert sind. Zum anderen befinden sich die Strukturen in den westlichen Bundesländern noch weitgehend im Aufbau. Daneben hat auch die auf bis zu fünf Jahre verlängerte Fördermöglichkeit von Projekten einen Haken. Aufgrund der Co-Finanzierung durch die Länder bleiben die Initiativen abhängig von deren Förderzeiträumen. Eine Festbetragsfinanzierung ist bislang
© Michael Leutert
verstetigen und mehr Geld für den Kampf gegen Rechts zur Verfügung stellen zu wollen. Damit nahm sie Forderungen ihrer SPD im Bundestagswahlkampf 2013 auf: eine „dauerhafte und langfristige Förderung der Arbeit gegen Rechtsextremismus“ und eine Aufstockung des Bundesetats auf 70 Millionen Euro jährlich. Für die Umsetzung holte Schwesig mit dem langjährigen Direktor des Anne Frank Zentrums, Thomas Heppener, einen ausgewiesenen Experten aus der Zivilgesellschaft ins Ministe-
gestellt werden. Das war nicht mehr als zuvor. Am Ende der Haushaltsverhandlungen bewilligte die CDU/CSU-SPD-Mehrheit im Haushaltsausschuss zwar zusätzliche 10 Millionen, doch weist die Begründung, damit sollten Projekte gegen „Islamismus, Salafismus und Antisemitismus“ gefördert werden, auf eine ergänzende Schwerpunktsetzung hin. Für den auch vom NSU-Untersuchungsausschuss geforderten Auf- und Ausbau von Strukturprojekten gegen Rechts reicht das nicht aus. Zum
nicht vorgesehen. Gerade die letzten Wochen zeigen uns, wie stark rassistische und rechtsextreme Einstellungen in Teilen der Bevölkerung verankert sind und wie schnell sie in ebensolches Handeln umschlagen können. Gegen die dauerhafte Gefahr von Rechts helfen nur dauerhaft und ausreichend finanzierte zivilgesellschaftliche Strukturen. Geld, das man rechtzeitig in die Prävention investiert, kann man bei der Strafverfolgung wieder einsparen. DIE LINKE im Bundestag fordert deshalb eine
deutliche Erhöhung der Mittel für den Kampf gegen Rechts. Unser Antrag in den abgeschlossenen Haushaltsverhandlungen, sie in einem ersten Schritt 2015 um 19,5 Millionen Euro zu erhöhen, wurde jedoch abgelehnt. Daneben muss die Förderung
durch ein Bundesgesetz auf institutionelle Basis gestellt werden. Damit wäre die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechts endlich dauerhaft gesichert und erführe die Aufwertung, die ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entspricht. Michael Leutert
Strafverschärfungs-Gesetz mit Mängeln Am 14. November 2014 stand in abschließender Beratung das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Der Gesetzentwurf wurde von der Bundesregierung bzw. den Regierungskoalitionen anlässlich der „Edathy-Affäre“ erarbeitet. Gegen Herrn Edathy läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes und des Erwerbs von Kinderpornographie, wobei er angab, dass es sich nur um legales Bildmaterial handele. In der Öffentlichkeit entbrannte eine Diskussion um Strafrechtslücken bei Nacktfotos von Kindern. Bisher sind nur solche Bilder strafbewehrt, die einen sexuellen Missbrauch an Kindern dokumentieren. Erforderlich ist eine sexuelle Handlung des Kindes, worunter nach BGH-Rechtsprechung auch das sogenannte Posing fällt, aber beispielsweise nicht das Fotografieren nackter schlafender Kinder. Die Debatte war emotional aufgeladen, es kam zu verstärkten Rufen nach Strafrechtsverschärfungen. Jetzt werden auch Fotos unter Strafe gestellt, die geeignet sind, den Persönlichkeitsbereich des Abgebildeten zu verletzen. Und jeder kann es anzeigen. Wessen Persönlichkeitsrecht wird zum Beispiel auf einem Foto möglicherweise verletzt, das eine Ansammlung von Menschen in Badekleidung an einem Strand zeigt?
In der Form, wie das Gesetz vorliegt, kann die LINKE nicht zustimmen. Denn es ist unsere Überzeugung: Er missachtet die Maßgabe des Strafrechts als Ultima Ratio, indem er Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die moralisch verwerflich sein mögen, aber keine Kriminalstrafe rechtfertigen. Nicht jedes moralisch verwerfliche Verhalten muss unter Strafe gestellt werden. Der Gesetzentwurf trägt darüber hinaus den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht ausreichend Rechnung, formuliert also geplante Eingriffe in Grundrechte nicht ausreichend konkret. Und er sieht Strafrahmenerhöhungen vor, obwohl durch verschiedene kriminologische E Studien immer wieder belegt worden ist, dass das Strafmaß als solches keine abschreckende Wirkung hat. Das Entdeckungsrisiko schreckt potenzielle Täter ab, aber kein wie auch immer gearteter Strafrahmen. Der Schutz unserer Kinder hat für die LINKE immer oberste Priorität und bewegt emotional, dennoch schießt das Gesetz über das Ziel hinaus. Seine vermeintlichen Lücken wurden nicht geschlossen und können eine Flut von Anzeigen nach sich ziehen. Eine ausgewogene Debatte zu diesem Thema sieht anders aus und selbst die Expertenanhörung erbrachte Zweifel am vorliegenden Gesetz. Jörn Wunderlich
Um gute Arbeit muss gekämpft werden, ganz besonders in Sachsen! In den letzten 25 Jahren sind viele größere und kleinere Betriebe in Sachsen für immer von der Bildfläche verschwunden. Einher ging damit der Verlust von zigtausenden Arbeitsplätzen, vor allem im industriellen Bereich. Ein aktuelles Beispiel beschäftigt derzeit die Menschen in Zwickau. Dort soll der Standort der Deutschen Bahn zur Fahrzeuginstandhaltung Ende 2015 geschlossen werden. Damit wird eine über hundertjährige Zwickauer Tradition eines Eisenbahninstandsetzungswerkes beendet. Zu DDR-Zeiten waren hier einmal über 3.000 Menschen beschäftigt. 2001 gab es einen Kampf um den Erhalt von rund 300 verbliebenen Arbeitsplätzen, nun sollen die letzten 80 wegfallen. Diese Standortschließung fügt
sich ein in einen größeren Stellenabbau bei der Deutschen Bahn. Unter anderem soll auch das Werk in Eberswalde geschlossen werden. Es ist offensichtlich, dass bei diesen Standortschließungen einmal mehr ausschließlich Kostengesichtspunkte eine Rolle spielen und die Beschäftigten dem Profitdenken untergeordnet werden. Die Bahn verlagert nämlich zunehmend Aufträge an andere Dienstleister oder ins Ausland in ein polnisches Werk. Dort werden die Leistungen aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus kostengünstiger erbracht. Die Deutsche Bahn hat die Werke in Zwickau und Eberswalde mit immer weniger Aufträgen versorgt und behauptet nun, dass es nicht mehr genügend Arbeit gibt. Man hat die Beschäftigten dort gewisser-
maßen künstlich ausgetrocknet. Von einem Unternehmen, dessen Anteilseigner noch immer der Bund ist, ist diese Vorgehensweise verantwortungslos. Hier wird der weiteren Prekarisierung des Arbeitsmarktes Vorschub geleistet. Der Verlust dieser Arbeitsplätze schmerzt natürlich in strukturschwachen Regionen besonders, zudem gehen die Sparte Bahntechnik und das Know-How der Beschäftigten verloren. Für letztere ist es eine schwierige Zeit. Auch wenn ihnen andere Arbeitsplätze angeboten werden sollen, werden diese im Regelfall weit entfernt, im Westen, sein. Doch nicht jeder kann einfach so seinen Lebensmittelpunkt verlegen. Da gibt es Verpflichtungen, wie pflegebedürftige Angehörige usw. Da der Großteil der Zwickauer
Beschäftigten über 50 Jahre alt ist, kann es sich auch niemand leisten, arbeitslos zu werden. Ministerpräsident Tillich muss endlich seine Verantwortung für Arbeitsplätze im Freistaat wahrnehmen. Was haben er und seine Regierungen in all den Jahren getan, um Standortschließungen zu verhindern? Die schwarzgelbe Koalition war überwiegend damit beschäftigt, einen gesetzlichen Mindestlohn zu bekämpfen anstatt sich für gute Arbeit einzusetzen. Auch wenn der Freistaat nicht der Arbeitgeber ist, die Menschen dürfen zumindest erwarten, dass die sächsische Regierung für sie um den Erhalt von Arbeitsplätzen und ganzen Standorten kämpft. Dazu gehört es im Fall der Deutschen Bahn, kritisch an den Vorstand heranzutreten und deutlich zu
machen, dass die Schließung der Zwickauer Fahrzeuginstandhaltung absolut inakzeptabel ist und Sachsen diese Arbeitsplätze braucht. Dem Bund als Anteilseigner muss man signalisieren, dass es so nicht geht und es eine besondere Verantwortung gibt, insbesondere für strukturschwache Regionen. CDU und SPD müssen sich daran messen lassen, inwiefern es gelingt, gute Arbeit in Sachsen zu halten und neu zu schaffen. Noch sind die 80 guten Arbeitsplätze in Zwickau nicht verloren. Sabine Zimmermann
Geschichte
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12/2014 Links!
Meine Katze und das Unrechtsregime Gegenwärtig hat der Terminus Unrechtsregime in seiner Anwendung auf die DDR Karriere. Die Argumentation ist genauso schlicht wie falsch. Richtig wird festgestellt, dass die DDR kein liberaler Rechtsstaat war. Sie war eine Parteidiktatur, die Andersdenkende systematisch verfolgt hat. Dies ist unstrittig. Aber daraus kann nicht auf ein „Unrechtsregime“ geschlossen werden. Zwei Begründungen dazu. Erstens: Ein Nicht-Rechtsstaat ist nicht zwangsläufig ein Unrechtsstaat, sondern eben erst einmal nur ein Nicht-Rechtsstaat. Um meine liebe Katze zu bemühen: Sie ist zweifelsohne ein Nicht-Mensch, das macht sie keineswegs zum Unmenschen. Wären alle NichtRechtsstaaten automatisch Unrechtsstaaten, dann wären fast alle Staaten in der Geschichte der Menschheit Unrechtsstaaten. Das ist einfach Unsinn. Unrechtsregime sind nur und wirklich nur solche Staaten, in denen Unrecht das eigentliche Staatsziel ist und den Charakter staatlichen Handelns in seiner Gesamtheit bestimmt. Das traf auf Hitlerdeutschland spätestens ab 1939 und noch mehr ab 1941 zu, als die faschistische Diktatur zum milli-
onenfachen Völkermord überging. Aber dies traf nicht auf die DDR zu. Die DDR gehört nicht ins Reich des Bösen. Zweitens schützt der Umstand, dass Staaten Rechtsstaaten sind, diese nicht davor, systematisch Unrecht zu tun. Dies will ich erklären. Der heutige Rechtsstaat schützt die eigenen Staatsbürger vor politi-
dass die westlichen Industrieländer heute durch ihre Produktions- und Lebensweise die Entwicklungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen systematisch beschneiden, damit wissentlich den Tod oder das beschädigte Leben von noch ungeborenen Generationen in Kauf nehmen, ist Unrecht. Die Austeritätspolitik seitens der
mit Todesfolgen dar. Ein Schutz der Außengrenzen der EU, bei dem der Tod Tausender hingenommen wird, ist natürlich Unrecht, aber mit Rechtsstaatlichkeit vereinbar. Es ist völlig legitim, wenn ein Teil der Bürgerinnen und Bürger auf die DDR nur als Unrechtsregime zurückblickt; es ist falsch, wenn dies zur offiziellen Staats-
Bundesarchiv, Bild 183-Z1007-001 / CC-BY-SA
scher Willkür und Verfolgung. Aber er schützt nicht gegen anderes Unrecht: Altersarmut ist Unrecht. Die Tatsache,
Troika verwehrt griechischen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu elementaren Dienstleistungen und stellt Unrecht
politik gemacht wird, und es widerspricht dem programmatischen Selbstverständnis der Partei DIE LINKE, wenn dies zur
das man ihn nicht nur nach Volksentscheiden und Schokolade befragte, sondern auch frühere und heutige außenpolitische Konfliktherde zur Sprache brachte. Spannend zu hören war zum Beispiel, was Herr Guldimann über seinen Dienst im Iran zu sagen hatte. Dort nahm er zur Zeit des Geiseldramas in der US-Botschaft deren Interessen wahr, da die USA selbst ihre diplomatischen Beziehungen zum
fenstillstand erreicht. Seine Schilderungen hierüber machten deutlich, wie sehr es doch auf Gesten, Sitzordnungen, oder schlicht auf die Fähigkeit, aufein ander zugehen zu können, ankommt, um Streitigkeiten friedlich beizulegen. Wer denkt jetzt nicht an die Ukraine? Beinahe zwangsläufig ging es dann um das Besondere am politischen System der Schweiz. Gemeint sind die zahlreichen
lässt man entscheiden, was man in Deutschland bestenfalls durch einige Bürgerhaushalte kennt, allerdings mit wohl weniger Bindekraft für die gewählten Abgeordneten und die Verwaltungen. Es kann aber in der Schweiz passieren, dass eine Gemeinde pleitegeht und niemand hilft, wie es der Botschafter an einem Beispiel erklärte. Auf eine Frage hin meinte er antwortend, dass wegen der breiten Möglichkeiten
Iran abgebrochen hatte. Vielleicht weil er Russisch gelernt hatte, wurde er zum Chef der OSZE-Unterstützergruppe im Tschetschenien-Konflikt berufen. In diesem diplomatischen Auslandseinsatz wurde ein Waf-
Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und Volksentscheide, die man hierzulande nur auf Länderebene kennt. Im Bund besteht man bislang auf „Alleinregierung“. Sogar über die Vergabe von Haushaltsmitteln
der Bürgerbeteiligung bestimmte Fragen in Gesetzentwürfen gar nicht mehr auftauchen, weil man den Einspruch und die Ablehnung befürchtet. Eine These: Werden so im Grunde sinnvolle und notwendige Reformvorha-
anerkannten Position dieser Partei werden würde. Neben dem Festhalten am „Bruch mit dem Stalinismus als System“ gehört auch der folgende Satz aus dem von Michael Schumann vor 25 Jahren vorgetragenen Referat in den Gründungskonsens der PDS und sollte in der Partei DIE LINKE aufbewahrt sein, auch dann, wenn er wie aus einer anderen Zeit klingt: „die Bürger unseres Landes und die Mitglieder unserer Partei, die sich (...) guten Glaubens (...) für den Sozialismus auf deutschem Boden eingesetzt haben, brauchen die Gewissheit, dass sie eine gute Spur in der Geschichte gezogen haben.“ Es gehört zur Souveränität einer sich ständig erneuernden Linken, dass sie diese Widersprüchlichkeit realer Geschichte der DDR zwischen „Stalinismus“ und „guter Spur in der Geschichte“ aushält und deutlich macht. Das versöhnt nicht mit dem Unrecht, aber es schafft den Raum, über eigene Verantwortung und Schuld damals wie heute ernsthaft nachzudenken und es sich nicht schon wieder viel zu leicht zu machen. Michael Brie Dieser Text erschien am 01.12. ungekürzt in der Tageszeitung „neues deutschland“.
„Mehr Schweiz wagen“ Wenn über soziale Netzwerke zu einer Veranstaltung mit dem Botschafter der Schweiz eingeladen wird, dann ist das schon ein Antrieb, zu kommen, zumal Dagmar Enkelmann einlud. Die Hoffnung auf einen interessanten und lehrreichen Dialog der beiden an diesem 11. November 2014 fand ich bestätigt. Manches hatten sie einander zu sagen, dennoch war es kurzweilig, im Rosa-Luxemburg-Salon der gleichnamigen Stiftung in Berlin. Die Gastrolle spielte der seit 2010 in Deutschland amtierende Botschafter der Schweiz, Dr. Tim Guldimann. Ein Volkswirtschaftsstudium in mehreren Ländern, Forschungstätigkeit bei Jürgen Habermas, ein Forschungsstipendium in der früheren UdSSR und die Promotion skizzieren nur einen Teil seiner akademischen Laufbahn. Ab 1982 erfolgte sein Einstieg ins Diplomaten-Leben. Stationen führten ihn als Wirtschaftsattaché nach Kairo, als Botschafter in den Iran, er leitete die OSZEMission im TschetschenienKonflikt, und er fungierte als Botschafter in der Vertretung Kroatiens. Bei dieser Biografie eines Schweizers lag es auf der Hand,
ben verhindert? Von diesen, wie der Sozialdemokrat meinte, zuletzt mehr fremdenfeindlichen Plakaten, im Zusammenhang mit den letzten Befragungen (Minarettverbot, Ausländerpolitik), hätten die Bürger nun genug. Erstaunlich allerdings, das die Einführung eines Mindestlohnes per Volksentscheid abgelehnt wurde. Wenn die Spekulationen Realität werden sollten, dann verlässt Tim Guldimann im kommenden Jahr sein Botschafter-Büro in Berlin und bewirbt sich um ein Parlamentsmandat. Das Abgeordnetenleben in der Schweiz ist übrigens die (soziale) Härte – verglichen mit Deutschland. Man wird schlechter bezahlt, bekommt kein eigenes Büro, verfügt dort nicht über eine Fahrbereitschaft. Deshalb sprach der (mögliche) „Aussteiger“ von einem „MilizParlament“. Als Dankeschön für diesen Abend überreichte die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung dem Schweizer Botschafter das „KAPITAL“. Nun, der kannte es aus dem Studium und erinnerte sich, dass er sich auch einmal als Marxist verstand. Wie das eben mit den Sozialdemokraten so ist ... René Lindenau
Links! 12/2014
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Termine Leipzig, 8. Dezember, Montag, 18.00 Uhr Lesung und Jahresausklang: „Und Frieden auf Erden“. Weihnachten in kriegerischen Zeiten Mit Prof. Dr. Klaus Schuhmann, es lesen Susann Scholz-Karas und Stefanie Götze. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 10. Dezember, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: 1989 – 2014. Was ist aus der Idee vom „gemeinsamen europäischen Haus“ geworden? Mit Dr. Erhard Crome, Referent Friedens- und Sicherheitspolitik beim Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 13. Dezember, Sonnabend, 10.00-13.00 Uhr Ständiges Seminar: Analyse politischer Kommunikation. Mit Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Ruth Geier. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 16. Dezember, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Schwierigkeiten um die Nation – ein linkes Dauerthema. Mit Dr. Wilfried Trompelt, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, AK Dresden. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 17./18. Januar, Sonnabend/Sonntag, 10.00-13.00 Uhr Workshop: Lieder in „Minderheitensprachen” aus mündlicher Überlieferung. Mit Lorenzo Valera und Silvia Rusignuolo vom Mailänder Chorprojekt „Le Voci di Mezzo“. Eine Veranstaltung vom „theater rote rübe leipzig” mit Unterstützung der RLS Sachsen. Anmeldung unter: theaterroteruebe@gmail.com (Teilnahmebeitrag 15 €) Neues Schauspiel Leipzig, Lützner Straße 29, 04177 Leipzig Leipzig, 17. Januar, Sonnabend, 11.00 Uhr Matinee: „Ich bemühe mich, ein guter Mensch zu sein …”. Ge-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert
denkmatinee zum 100. Geburtstag von Hans Lauter***. Mit Dr. Ilse Lauter, Dr. Kurt Meyer, Michael-Alexander Lauter und Dr. Gustav Peinel. In Kooperation mit dem VVN-BdA Leipzig. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
Leipzig, 21. Januar, Mittwoch, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Drohneneinsatz – Auftakt zum Roboterkrieg der Zukunft***. Mit Norbert Schepers. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
Zum 100. Geburtstag von Hans Lauter wollen wir an den Antifaschisten und Kommunisten, Moorsoldaten und Widerstandkämpfer, Hochschullehrer und Politiker erinnern. Es werden Texte von Hans Lauter gelesen, um somit auch seine politische Aufforderung „Für Humanismus und Antifaschismus zu kämpfen lohnt sich” ein Stück Wirklichkeit werden zu lassen. Der Weggefährte Dr. Kurt Meyer wird in einem kleinen Betrag an Hans Lauters Leben erinnern.
Dresden, 21. Januar, Mittwoch, 20.00 Uhr Film: „Paris is burning” (1990). Eine Veranstaltung von Irène Mélix und Theresa Schnell, in Zusammenarbeit mit Weiterdenken Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. kosmotique, Martin-Luther-Straße 13, 01099 Dresden
Chemnitz, 17. Januar, Sonnabend, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Kritik der Popkultur IV: Antisemitische und (ethno)nationalistische Tendenzen im deutschen Rap. Mit Marius Mocker, freier Referent (Leipzig). Eine Veranstaltung des Bildungskollektivs in Kooperation mit dem Studentenrat der TU Chemnitz und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. AJZ Chemnitz, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz Leipzig, 18. Januar, Sonntag, 10.30 Uhr Lesung und Gespräch: Mit Heine in der Manteltasche. DEUTSCHLANDREISE. Versdichtungen von Wolf Biermann, Bernd Rump und Norbert Arzberger. Mit den Autoren Bernd Rump und Norbert Arzberger. Programm und Moderation: Dr. Christel Hartinger. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Dresden, 20. Januar, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Drohneneinsatz – Auftakt zum Roboterkrieg der Zukunft ***. Mit Norbert Schepers, Politikwissenschaftler, Politik- und Organisationsberater, Büroleiter der RosaLuxemburg-Stiftung Bremen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-
Leipzig, 22. Januar, Donnerstag, 18.00 Uhr Offener Gesprächskreis: Jour Fix ein unkonventioneller Gesprächskreis. Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Hier werden künftig frei variierend übergreifende Themen debattiert, Publikationen und Projekte vorgestellt. Erste Themenschwerpunkte bilden zwei französische Autoren – der Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano und Thomas Piketty, Autor des vieldiskutierten Werkes „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Chemnitz, 22. Januar, Donnerstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion: Drohneneinsatz – Auftakt zum Roboterkrieg der Zukunft. Mit Norbert Schepers. Soziokulturelles Zentrum querbeet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz Leipzig, 24. Januar, Sonnabend, 14.00 Uhr Verleihung des Wissenschaftspreises der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen mit anschließendem Neujahrsempfang und musikalischer Begleitung. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter
Im Januar wird alljährlich der von Günter Reimann gestiftete Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen an eine junge Wissenschaftlerin/ einen jungen Wissenschaftler verliehen. Im Anschluss an die Preisverleihung bietet der Neujahrsempfang die Möglichkeit für anregende Gespräche. Musikalisch umrahmen die Dresdner Musiker Gabriel Krappmann (Viola) und Christoph Eulenhaupt (Kontrabass) den Nachmittag. Dresden, 24. Januar, Sonnabend, 14.00 Uhr - 18.00 Uhr Workshop JUNGE ROSA: Der Drops ist gelutscht?! – Oder wie stehts mit dem Sexismus? Mit Korinna Linkerhand (Pädagogin in der lesbischen Mädchenarbeit, Hamburg), Sabrina Zachanassian (Studentin Erziehungswissenschaften/Gender Studies, Berlin). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 27. Januar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Angewandte Ethik als Politikum. Mit PD Dr. Peter Fischer, Dozent für Philosophie (Leipzig). Moderation: Prof. Dr. Karl-Heinz Schwabe. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Kann man moralische Probleme lösen? Welche Resonanz im politischen Raum erreicht angewandte Ethik im Spektrum der von klinischen und nationalen Ethikkommissionen bis hin zu wirtschaftsethischen Unternehmensverfassungen, von Institutionen der Technikfolgenbewertung bis hin zu internationalen Konventionen, in denen Bioethik und Biorecht sich verbinden? Chemnitz, 27. Januar, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Was Deutschland zusammenhält. Der unverstandene Nationalsozialismus. Mit Lothar Galow-Bergemann, (Stuttgart). Weltecho, Annaberger Straße 24, 09111 Chemnitz „Unser Lernen aus der Geschichte“, die Verlegung von StolperKontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 29.11.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 05.02.2015.
steinen, „Nie wieder“ – Schwüre sind zum festen Ritual geworden, ein Holocaust-Mahnmal wurde errichtet. Doch im Gewande der Demut komme alte Überheblichkeit daher. Wie wenig der Nationalsozialismus tatsächlich aufgearbeitet ist, zeige sich im Unverständnis des Antisemitismus. Hätte man ihn begriffen, müsste ein regressiver Antikapitalismus auf entschiedenen Widerstand stoßen. Doch im Gegenteil: Seit Beginn der Krise 2008 grassiert er. In obszöner Selbstgerechtigkeit meine man in Deutschland, aus der Shoah mehr gelernt zu haben als die Juden. Nur wenig vom Mainstream unterscheide sich eine Linke, die sich besonders kritisch dünkt, weil sie erst gar nicht vom Nationalsozialismus, sondern lediglich vom „Faschismus“ redet. Dresden, 28. Januar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Vom Leben danach. Lebensrealitäten von NS-Verfolgten und ihren Kindern und Enkeln in der Nachrkriegszeit. Mit Patrick Pritscha, Kulturwissenschaftler (Chemnitz). Eine gemeinsame Veranstaltung des VVN BdA Region Dresden e. V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Leipzig, 29. Januar, Donnerstag, 18.30 Uhr ROSA L. IN GRÜNAU Der neue Kalte Krieg in Osteuropa*** Mit Boris Krumnow, Religionswissenschaftler und politischer Bildner (Leipzig). Klub Gshelka, An der Kotsche 51, Leipzig Chemnitz, 29. Januar, Donnerstag, 19.30 Uhr Filmvorführung und Diskussion: „Silent Revolution“. Eine Veranstaltung des Lesecafé Odradek mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Lesecafé Odradek, Leipziger Straße 3, 09113 Chemnitz *** in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V. Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank
Rezensionen
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Kommt die Wiederauferstehung der Volkseigenen Betriebe? In der Unterzeile des bei Campus erschienenen, etwa 500 Seiten starken Buches heißt es „Das Internet der Dinge, Kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus“. Bei manchen Büchern macht der Titel neugierig, bei anderen sind es die Untertitel, die einen „ins Boot holen“. Für mich waren es die letzten drei Wörter des Untertitels, der „Rückzug des Kapitalismus“ also. Wir leben ja in einer Welt, die scheinbar die letzten Bereiche des Lebens der Privatisierung überantwortet. Waren bis 1990 noch Bahn, Post und die Fluggesellschaft heilige Staatsgüter, konnten wir seither erleben, wie alles dem Profitinteresse geopfert wurde – inzwischen ist die Privatisierungsorgie längst bei Kultur, Bildung und Gesundheit angekommen. Und bei dieser selbst beobachteten Ausweitung des Kapitalismus – die auf die Staatsdoktrinen von Reagan und Thatcher zurückgeht und später von Labour und SPD nur abgekupfert wurde – soll es also doch noch Licht am Ende des Tunnels geben, einen Rückzug des Kapitalismus gar? Scheint das nicht völlig unglaublich? Ja und nein. Der Autor ist Amerikaner. Man muss das Buch nur umdrehen, um zu sehen, was er meint: „Teilen statt Besitzen – das neue Gesicht der Wirtschaft. Der Kapitalismus geht seinem Ende entgegen. Nicht von heute auf morgen, aber dennoch unaufhaltsam. Die Zeichen dafür sind unübersehbar: sinkende Produktionskosten, Share Economy, das Internet der Dinge … Aus dem Kapitalismus entsteht eine globale, gemeinwirtschaftlich orientierte Gesellschaft“. Aus Rifkins Sicht tobt eine Schlacht,
in der es um drei unterschiedliche Besitzverhältnisse geht: Privateigentum, Staatseigentum und – Gemeinschaftseigentum. Meint er damit gar die Wiederauferstehung der VEB, der Volkseigenen Betriebe? Er greift noch viel weiter zurück, in das Feudalzeitalter und dort auf die Allmende – Land, das von allen genutzt wurde. Das ist zugegebenermaßen etwas verwirrend, denn der Autor vermischt offensichtlich Feudal- und Urgesellschaft, wenn er die Ausrottung der Indianer in den USA darauf zurückführt, dass sie sich eben nicht versklaven ließen, nicht bereit waren, Geld zu verdienen und es für Dinge auszugeben, die sie nicht brauchten. Weil die Indianer einfach alles selbst herstellten, was sie benötigten, den Rest tauschten und dabei unverschämterweise auch noch glücklich und zufrieden waren, mussten sie weg. Sie standen dem sich nach Westen ausbreitenden Kapitalismus im Wege. Weil es mit der Ausbeutung der Indianer nicht klappte, mussten eben richtige Sklaven her. So beruhte letztlich der Reichtum vieler Weißer insbesondere in den Südstaaten auf der Ausbeutung der Schwarzen, während man die Indianer in Reservate verdrängte und mit allen Mitteln zu marginalisieren versuchte. Mit der Allmende und dem Gemeingut, das viel länger für die Menschheitsgeschichte entscheidend war, ist weniger der Rückgriff auf die Feudal- als auf die Urgesellschaft gemeint, denn im Feudalismus waren eben nicht Wälder und Seen für alle da. Vielmehr wurde das Recht des Volkes auf freien Zugang zu Seen und Wäldern, Fischerei und Jagd beseitigt, was bis zum „Halsgericht“ des Feudalher-
ren ging: Der Feudalherr durfte auf seinem Grund und Boden mit den Leibeigenen umspringen, wie er wollte, und bei Vergehen auch Sanktionen bis hin zur Todesstrafe verhängen. Tatsächlich sieht der Autor uns heute mitten in der Dritten In-
so trat die Menschheit später in das Zeitalter der Dampfkraft ein. Segel- wurden durch Dampfboote ersetzt, die Kohle lieferte über 300 Jahre lang Energie, und kommuniziert wurde bald per Telefon und Fernschreiber. Rifkin erläutert,
dustriellen Revolution, wobei er jede industrielle Revolution über eine Energie/Kommunikationsmatrix definiert. Wurde zuerst die Energie über Windund Wasserkraft gewonnen und der Buchdruck erfunden,
welche ökonomischen Strukturen in der Zweiten Industriellen Revolution notwendig waren, um effektiv zu sein – der Konzern mit seinen hierarchischen Strukturen war das Modell dieser Zeit. Der Autor spricht
ihm die Zukunftstauglichkeit ab und verweist auf die neuen Möglichkeiten, die mit dem Internet und den regenerativen Energien verbunden sind. Wir werden alle wieder Indianer – der Konsument wird zum Produzenten. Bei Rifkin heißt es: Prosument. Egal ob wir freie Software erarbeiten, bei youtube-Videotutorials einstellen, wo man lernen kann, etwas zu reparieren, oder das Internet nutzen, um Mitfahrgelegenheiten anzubieten – der neue Trend heißt: Ich muss nicht mehr alles haben, aber deshalb muss ich noch lange nicht verzichten, ich kann es mir ja auch teilen. Die Fahrt mit anderen zur Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin im Januar zum Beispiel. Wichtig wird, dass die Menschen parallel ihre Energie selbst erzeugen – etwa mit Solarzellen oder genossenschaftlich organisierten Windparks. Selbst Häuser und Autos entstehen schon aus dem 3-DDrucker, und es spricht nichts dagegen, die Bauanleitungen und Programme für jedermann kostenlos zur Verfügung zu stellen. Alle drei Eigentumsformen existieren bereits heute parallel. Rifkin sieht die Bedeutung des Privateigentums schwinden, während es für immer mehr Menschen wichtig wird, Musik, Autos, Wohnungen, Lebensmittel und anderes zu teilen. Linkssein bekommt also bald eine neue Bedeutung, die sich wieder – und das kann nur ein Fortschritt sein – an der Stellung zum Eigentum definiert: Sharecommunisten gegen Pro-Kapitalisten. Das werden spannende Zeiten! Das Buch gibt für die, die dem Teilen mehr als dem Besitz zugewandt sind, einen optimistischen Ausblick. Es kostet 27 Euro. Ralf Richter
zungen russischer Literatur hat er schon zahlreiche Preise gewonnen. Und auch diese Übersetzung ist zunächst geleitet von der Poesie und der Klangqualität der Sprache Bulgakows. Die Sprache flirrt, funkelt und sprüht und macht allein schon deswegen das Lesen des Romans zu einem überaus vergnüglichen Erlebnis. In seinen sorgsamen Anmerkungen gibt Nitzberg dem Leser an ausgewählten Beispielen einen interessanten Eindruck vom Transformationsprozess der Sprache. Leider wurden die Originalstellen hierzu transliteriert, was den des Russischen etwas mächtigen Leser stört. Dabei hat die Erzählung bei aller Meisterschaft der Übersetzung auch Schwächen. So begegnen dem Leser einige dramaturgi-
sche Durchhänger, Sprünge und Unwahrscheinlichkeiten, die aber das Lesevergnügen kaum trüben. In seinem vorzüglich einordnenden Nachwort nennt Nitzberg den Kurzroman ‚Eine höllische Ostergeschichte‘ und gibt damit eine andere, weitere Interpretation zu bedenken. So findet er, dass Bulgakow weit weniger von politischen oder philosophischen Vorstellungen geleitet wurde als von Poesie und Klang. Sie seien „die Träger der Handlung, ihr eigentliches Fleisch“, heißt es im Nachwort zu den „Verfluchten Eiern“. Andreas Haupt Michail Bulgakow: Die verfluchten Eier. Roman. Aus dem Russischen übertragen, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Alexander Nitzberg. Galiani Verlag Berlin, 16,99 Euro.
Angriff der Reptilien auf Moskau Mit der Neuübersetzung des erstmals vor bereits 90 Jahren erschienen Kurzromans „Die verfluchten Eier“ des russischen Jahrhundertautors Michail Bulgakow leistet der Galiani Verlag einen weiteren bemerkenswerten Beitrag zum Jahr der russischen Sprache und Literatur in Deutschland. Und wieder ist es dem Übersetzer Alexander Nitzberg hervorragend gelungen, den gesamten Reichtum der Sprache Bulgakows zur Geltung zu bringen. Die Geschichte nimmt ihren Ausgang am Ostermontag des Jahres 1928, gegen Abend. Die entbehrungsreichen Jahre des Kriegskommunismus sind vorüber und die Neue Ökonomie beginnt zu fruchten, als Professor Wladimir Ipatjewitsch Pfirsichow, an der Moskauer Uni-
versität im Bereich Tierkunde lehrend, mit Hilfe einer Apparatur aus künstlichem Licht und diversen Spiegeln den Strahl des neuen Lebens findet. Dieses neue, beschleunigte Leben ist wild, kämpferisch und bösartig. Unter dem Mikroskop bekriegen sich Riesenamöben und im Labor „krakeelen kräftige kehlige Chöre“ aus Riesenfröschen. „Die Besten und Fittesten obsiegten. Und jene Besten waren zum Fürchten.“ Zeitgleich bricht in einer entlegenen Region Russlands eine Seuche aus und rafft alle Hühner des Landes dahin. Zur Wiederbelebung des Bestandes und Abwendung der Hungerskatastrophe wird die Apparatur durch den Funktionär Alexander Semjonowitsch Vluch requiriert. Mithilfe der Apparatur sollen in einer Sowcho-
se bei Smolensk aus Deutschland importierte Eier bestrahlt werden, um möglichst schnell möglichst große Hühner zu produzieren. Doch anstatt der vorgesehenen Hühnereier werden versehentlich Amphibien- und Reptilieneier geliefert, so dass das ahnungslose kommunistische Faktotum riesenhafte Schlangen, Frösche und Krokodile heranzüchtet, die alsbald hungrig auf Moskau vorrücken und alles Leben auszulöschen drohen. Es bedarf schon eines geschichtsträchtigen Deus ex Machina, um Moskau vor der drohenden Vernichtung zu retten. Alexander Nitzberg ist ein ausgezeichneter Übersetzer – und das ist wörtlich zu verstehen. Für seine von Kritikern als „kongenial“ bezeichneten Überset-
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Muddy „Mississippi“ Waters, ungekrönter „King“ des Chicago-Blues weile als Hauptstadt des Blues bezeichnet wurde. Dort fand er einen Job als LKW-Fahrer und Gelegenheitsarbeiter, denn von der Musik konnte er noch nicht leben. Abends musizierte er in den Clubs, wo er auf Empfehlung des damals schon berühmten Gitarristen Big Bill Broony den Sänger und Pianisten Eddie Floyd kennenlernte, der schon mit Bluesgiganten Sonny Boy Williamson, Tampa Red und an anderen die Bühne teilte. Mit diesem ebenfalls aus Clarksdale stammenden Musiker begann seine erste Zusammenarbeit in Chicago, auch Auftritte mit Sonny Boy Williamson, dem bekanntesten Mundharmonikaspieler der Bluesgeschichte, blieben nicht aus. Es soll und darf nicht unerwähnt bleiben, dass die damalige Situation der schwarzen Bevölkerung alles andere als rosig war. Die Lebensbedingungen der Afroamerikaner waren schrecklich. Durch die Rassentrennung entstanden unzählige Ghettos, und als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wuchs die Arbeitslosigkeit enorm, zumal die Zuwanderung aus dem Süden drastisch anstieg. Soziales Elend, inhumane Wohnsituationen und auch wachsende Kriminalität, Alkohol- und Drogenexzesse, Prostitution waren die katastrophalen Folgen. In diesem Umfeld entstanden unzählige Clubs und Bars, in denen der Blues zum Sprachrohr dieser extremen Realität wurde. Der sogenannte Chicago-Blues war geboren, sehr hart, exzessiv, voller Seele, Leid, Wut, Weltschmerz und Galgenhumor.
Das 1947 von zwei polnischstämmigen Brüdern gegründete Schallplattenlabel „Aristocrat“, dessen Repertoire sich dieser neuen Stilrichtung widmete, ermöglichte es Muddy Waters, gemeinsam mit dem Pianisten Sunnykind Slim und dem Bassisten Big Cromford eine Sing-
te Muddy Waters auch mit einer eigenen neugegründeten Band: Jimmy Rogers an der Gitarre, Marion Walter Jacobs mit der Mundharmonika, Leroy „Baby Face“ am Schlagzeug. Mit dem Song „Rolling Stone“ feierte er einen weiteren großen Erfolg. Der wurde ein riesiger Hit,
Bild: Jean-Luc / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
Im Jahr 1941 bereisten die beiden Musikethnologen Alan Lomax und John Work, die sich hauptsächlich für die Erforschung des nordamerikanischen Folk-Blues interessierten, das Mississippi-Delta, um Tonbandaufnahmen identischer Bluesmusiker für die Archive der „Library of Congress“ in Washington zu machen. Dabei fiel ihnen ein junger Sänger auf, der sich auf einer selbstgebastelten Gitarre begleitete. Sie überredeten ihn, zwei Lieder auf Band zu singen. Der Junge hieß McKinley Morgenfield. Der am 4. April 1915 in Rolling Fork unter ärmsten Umständen geborene Sohn einer Farmerfamilie bekam bereits während seiner Kindheit den Spitznamen „Muddy Waters“, da er gern am Ufer des stark verschmutzten Mississippi spielte. Für Unterricht an einer Schule in Clarksdale blieb ihm wenig Zeit, weil er seinen Eltern schon sehr früh auf den Baumwollfeldern helfen musste. Bevor er zur Gitarre griff, erlernte er das Spielen auf der Mundharmonika. Der legendäre Bluesmusiker Robert Johnson wurde sein musikalisches Vorbild. Sein persönlicher Lehrer jedoch war der BottleneckGitarrist Eddie „Son House“, ein typischer Vertreter jener Region, in der der Deltablues entstand. Nachdem Alan Lomax und John Work den jungen „Muddy“ aufstöberten, kam es zu ersten Aufnahmen für das Archiv in Washington. Die Titel hießen „I Be‘ Troubled“ und „Country Blues“. Sie ließen die Bluesliebhaber aufhorchen. 1943 holte man ihn nach Chicago, das mittler-
le zu produzieren. Seite A: „Gipsy Woman“, Seite B: „Little Anna Mac“. 1948 erschien Waters‘ erste Hitscheibe mit den Titeln „I Can’t Be Satisfied“ und „I Feel Like Going Home“, die seine Sehnsucht zum alten Delta schilderte. Inzwischen arbei-
nach dem sich übrigens später eine nicht gerade unbekannte Rhythm&Blues-Band benennen sollte. Die Plattenfirma „Aristocrat“ produzierte von nun an mit dem Markenzeichen „Chess“, benannt nach dem Familiennamen ihrer Begründer. Mit dem
Aufkommen des etwas leichtfüßigeren Rock’n’Roll, kreiert von Stars wie Chuck Berry oder Bo Diddley, verschwand das Interesse am Blues für kurze Zeit. Erst Anfang der Sechziger Jahre, durch Waters‘ Auftritte beim Newport Folk Festival und beim American Folk Blues Festival, wurden die Medien wieder aufmerksam: „Blues Revival“ hieß das neue Zauberwort. 1969 erschien das bejubelte Doppelalbum „Fathers and Sons“, das maßgeblich zur internationalen Popularität Muddy Waters‘ beitrug. Auf dieser Schallplatte wirkten erstmalig zwei junge weiße Musiker mit, der aus Chicago stammende Mundharmonikavirtuose Paul Butterfield sowie der Gitarrist Mike Bloomfield. Muddy Waters war es erstmals gelungen, den Delta-CountryBlues mit dem der Großstadtmetropole zu verschmelzen. Bis 1975 produzierte er mit wechselnden Besetzungen noch zahlreiche Alben, mit denen er sich nun auch in der Welt der Popmusik einen Namen machte. So produzierte Johnny Winter seit 1977 beim Unterlabel „Blue Sky“ von Columbia vier Langspielplatten, die aus der Rockgeschichte nicht mehr wegzudenken sind: „Hard Again“, „I’m Ready“, Muddy „Mississippi“ Waters Live sowie „King Bee“. Muddy Waters, der ungekrönte King des Chicago Blues, verließ seine Mission am 30. April 1983 infolge einer Herzattacke. Einst spielte er als Kind am schmutzigen Fluss, heute trägt eine Straße in Chicago seinen Namen. Das ist sein Blues! Jens-Paul Wollenberg
Wohin mit der Sächsischen Landesausstellung? Landesausstellungen haben in Sachsen eine gute Tradition. Die bisherigen drei in PanschwitzKuckau, Torgau und Görlitz fanden überregionale Beachtung. Nach den Präsentationen zu den Themen Glaube, Reformation und Via regia bestand Einigkeit darüber, dass die vierte Landesausstellung 2018 sich der Industriekultur in Sachsen widmen solle. Der passende Ort schien gefunden: Chemnitz, das sächsische Manchester. Hier stand die Wiege der sächsischen Industrie. Auf Initiative der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP fasste der Landtag im April 2011 einen entsprechenden Beschluss. Darin wurde die Staatsregierung aufgefordert, die Region Chemnitz zu einem Schwerpunkt der 4. Landesausstellung zu machen. Sächsische Fachleute für die Industriekultur hatten daraufhin ein dezentrales Konzept für die Präsentation des industriellen Erbes erarbeitet. Doch es kam anders als gedacht. Zu Jahresbeginn wurden in der Presse Vermutungen darüber
angestellt, die Landesausstellung könne an die Stadt Zwickau und nicht an Chemnitz vergeben werden. Ende Januar kam die offizielle Bestätigung von der Staatsregierung. Am 28. Januar hatte das Regierungskabinett aus CDU und FDP beschlossen, Zwickau mit der Ausrichtung zu betrauen. Als „zentraler Ausstellungsort“, so die damalige Kunstministerin Sabine von Schorlemer, sei die ehemalige Automobilfabrik im denkmalgeschützten Horch-Hochbau ausgewählt worden. Der Kabinettsbeschluss überraschte alle, Politik wie Fachleute. Mit ihrem Votum für Zwickau hatte sich die Staatsregierung über den Landtagsbeschluss hinweggesetzt und das dezentrale Ausstellungskonzept der Fachleute zur Makulatur erklärt. Das verärgerte selbst Abgeordnete von CDU und FDP. DIE LINKE brachte noch vor der Kabinettsbefassung mit der Landesausstellung einen Antrag ins Parlament ein, in dem sie die Staatsregierung aufforderte, den Beschluss des
Landtages vom April 2011 zu respektieren. Die Staatsregierung dachte jedoch nicht daran, ihre Auffassung zu revidieren. Sie begründete die Auswahl Zwickaus so: „Die Rahmenbedingungen in Zwickau (hätten) bei allen Kriterien am deutlichsten überzeugt“. Das betreffe sowohl die „Nutzungsfragen des infrage kommenden Gebäudes und umliegenden Geländes“, die „Rechtsträgerschaft und Eigenbeteiligung der Kommune“ als auch „eine sinnvolle Nachnutzung im Sinne von Nachhaltigkeit“. Vom SMWK seien die Kriterien „mit Vertretern des Sächsischen Kultursenats, der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, dem Landesamt für Denkmalpflege und einem externen Berater, dem Direktor und Vorsitzenden des Vorstandes der Stiftung Deutsches Hygiene Museum“ beraten worden. „Eine Arbeitsgruppe des SMWK hat(te) alle Orte besucht und mehrere Arbeitsgespräche geführt sowie abschließend externe internationale Experten um
eine gutachterliche Stellungnahme gebeten“. Die Gutachter waren laut Staatsregierung „einstimmig zu der Auffassung gelangt, dass der Horch-Hochbau in Zwickau am besten geeignet ist, die baulichen, ästhetischen und museologischen Anforderungen zu erfüllen“. Ein Dreivierteljahr später stellt sich heraus, dass die Landesregierung der Opposition ein Märchen aufgetischt hat. Anders lässt sich nicht erklären, was sich in den letzten Monaten in Zwickau abgespielt hat. Schon im Mai waren Befürchtungen laut geworden, die Stadt könne den Ausstellungstermin nicht einhalten. Grund sei der HorchHochbau: Das Gebäude könne weder termingerecht fertiggestellt noch der Kostenrahmen für dessen Umbau in Höhe von bis zu 15 Mio. € eingehalten werden. Ende Oktober berichtete dann die Zwickauer Zeitung unter Berufung auf einzelne Stadtverordnete, die Landesausstellung sei insgesamt gefährdet. Aufgrund von Bedenken des Eigentümers,
die die öffentliche Nutzung des Gebäudes nach der Landesausstellung betreffen, stehe der Horch-Hochbau als zentraler Ausstellungsort zur Disposition. Einen Monat später, am 21. November, verabschiedeten sich die Stadtoberen offiziell von ihrem zentralen Ausstellungsort, dem Horch-Hochbau, und warteten mit einem ganz neuen Vorschlag auf. Der sieht vor, einen Neubau zu errichten, der anschließend als Stadtarchiv und Depot genutzt werden könne. Am 18. Dezember will der Zwickauer Stadtrat über den Vorschlag der Stadtverwaltung abstimmen. Wie auch immer das Ergebnis lauten wird, auf die Vorbereitungen für die Landesausstellung 2018 werfen die Vorgänge kein gutes Licht. Die Rolle der Stadt Zwickau kann aus der Ferne nicht beurteilt werden. Das völlige Versagen der schwarzgelben Landesregierung steht jedoch fest. Es schadet dem Ansehen des Landes und kostet den Steuerzahler viel Geld. Jochen Mattern