Es wird kalt an Europas Außengrenzen Um in der Notsituation der Flüchtlinge an den europäischen Grenzen einen humanitären Beitrag zu leisten, rief ich mit verschiedenen Vereinen zu einer Spendenaktion für warme Winterkleidung auf. Zwei Wochen lang konnten im Görlitzer Bürgerbüro Spenden abgegeben werden. Vom hohen Aufkommen wurden wir freudig überrascht. Unermüdlich sortierten Freiwillige die Kleidung nach Größen und Funktion. Dies stellte sich vor Ort als sehr hilfreich heraus. Durch unsere Kontakte erfuhren wir, dass es schwierig werden würde, mit Hilfsgütern über man-
nisation namens IHA help in Slavonski Brod, Kroatien aufzunehmen, der wir den zweiten Teil der Spenden übergeben konnten. Dank der IHA konnten zwei von uns einen Einblick in das Lager erhalten. In das mit damals sechs teilweise beheizten Großraumzelten ausgestattete Lager rollen täglich mehrere Züge mit Flüchtlingen. Die Refugees haben sich nach Ausstieg auf einem zentralen Platz zur Registratur zu sammeln. Danach können sie sich auf dem Gelände frei bewegen, erhalten Nahrung und auf Nachfrage einige Kleidungsstücke vom Roten Kreuz, bis ein weiterer,
che innereuropäische Grenze zu gelangen. Deshalb entschieden wir uns für eine vermeintlich sichere Route über Italien nach Albanien, um direkt nach Mazedonien zu gelangen. Innerhalb des Schengenraumes war es einfach. Bereits Sonntagnacht, am 8. November, gelangten unsere Transporter über Österreich nach Italien. Albanien begrüßte uns freundlich, doch die mazedonische Grenze stellte sich als Hürde heraus. Nur mit Transitpapieren mussten wir nach Serbien weiterreisen – um zu erfahren, dass die serbische Regierung ein neues Gesetz zur zentralen Hilfskoordination erlassen hatte, das den großen Transporter daran hinderte, den größeren Teil der Spenden den Bedürftigen zukommen zu lassen. Der zweite kam ungehindert ins Land. Vielleicht lag es daran, dass unsere privaten Sachen obenauf lagen und der Grenzer uns wohlgesonnen war. So konnten wir das erste Fahrzeug in Presovo (Serbien) entladen und einige Kisten Kleidung, Rettungsdecken, einen Rollstuhl, Schuhe und 1480 € in bar in die Hände eines dankbaren NGOMitarbeiters übergeben. Mit dem Geld kann die unabhängige Hilfsorganisation zwei Tage lang die Essensversorgung der Refugees sichern. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge schwankt und wird z. B. durch den Streik griechischer Fährschiffer beeinflusst. Höchstzahlen sprechen von bis zu 10.000 Menschen, die in den Lagern registriert werden, um an die nächste Grenze gebracht zu werden. Auch dank der Recherche und Vermittlung unserer Daheimgebliebenen gelang es uns, Kontakt zu einer unabhängigen Hilfsorga-
von außen verschlossener Zug sie an die nächstgelegene Grenze bringt. Einige von uns fühlten sich bei der Behandlung der Refugees durch die Polizei an düstere Zeiten erinnert. Auch wenn unsere Spenden sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind – für jede_n, der/ die nun eine warme Jacke oder eine Mütze erhält und somit ein bisschen weniger friert, war das es uns wert. Ein großer Dank geht an alle Spender*innen und an die vielen fleißigen Helfer*innen! Dies war eine großartige Gemeinschaftsleistung. Die aktuellen Ereignisse erschüttern uns. An den Grenzen zu Mazedonien und Serbien werden seit einigen Tagen lediglich Flüchtlinge mit syrischen, irakischen und afghanischen Pässen registriert. Alle anderen erhalten keine Chance auf Asyl in Westeuropa, ungeachtet ihrer Fluchtgründe. Laut einer Nichtregierungsorganisation stauen sich bereits ca. 2000 Menschen in Idomeni (griechisch-mazedonische Grenze) ohne ausreichende Grundversorgung. „Auf der mazedonischen Seite steht das Militär ausgerüstet mit Maschinengewehren und einem Schießbefehl im Fall einer ,illegalen‘ Grenzüberschreitung“. Das können wir nicht hinnehmen! Unsere Solidarität gilt allen Flüchtlingen und den Helfer*innen vor Ort. Wer sich für Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen engagieren möchte, kann das z. B. über die Facebook-Seite Dresden-Balkan-Konvoi II tun, oder unter: Spendenkonto Kulturbüro Dresden, IBAN: DE54 8502 0500 0003 6007 04, BIC: BFSWDE33DRE, Verwendungszweck: Spende Dresden-Balkan-Konvoi 2015.• Mirko Schultze
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2015
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern frohe Festtage und ein friedliches neues Jahr .
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Die schützende Hand Es ist bei mir geradezu zum Ritual geworden. Greife ich zu einem neu eingetroffenen Buch, dann fällt der Blick – genau in dieser Reihenfolge – zunächst auf das Inhaltsverzeichnis, dann auf die Liste der verwendeten Literatur und dann folgt ein kurzer Streifzug durch den Anmerkungsapparat. Meistens gibt das bereits Aufschluss darüber, ob eine intensive Lektüre lohnt oder nicht. Bei Kriminalromanen ist ein solches Vorgehen in der Regel natürlich nicht möglich. Anders bei „Denglers achtem Fall“ aus der Krimiserie von Wolfgang Schorlau, die inzwischen Kultstatus erreicht hat und riesige Auflagen verzeichnet. Gleich 73, teilweise sehr umfangreiche Anmerkungen finden sich am Ende des Bandes. Und ein Blick in das Nachwort verdeutlicht, dass nicht nur ein gründliches Literaturstudium zum Thema des Bandes stattgefunden hat, sondern dass auch intensiv recherchiert und mit Fachleuten geredet wurde. So ungewöhnlich all dies ist, so ungewöhnlich ist auch das Echo unmittelbar nach der Veröffentlichung des knapp 400 Seiten starken Buches. Über 800 Personen drängten sich zur Präsentation in Stuttgart. Und als noch ungewöhnlicher muss wohl gelten, dass ein noch nicht abgeschlossener Kriminalfall das Material für die literarische Aufbereitung dient. Als ab
November 2011 immer mehr Ungeheuerlichkeiten um die Verbrechen des NSU und die Rolle des Staates ans Tageslicht kamen, waren wir uns schnell mit Wissenschaftlern und Journalisten einig: Wenn ein Drehbuchautor einen solchen Plot als Vorlage für einen „Tatort“ vorgelegt hätte, wäre er vom Redakteur wohl zum Teufel gejagt und nie wieder gefragt worden, ob er für den Sender arbeiten wolle. Zu unwahrscheinlich war all das, was in der Wirklichkeit geschehen war und nicht mehr abzustreiten ist. Nein, Stoff für einen Krimi konnte dieser Kriminalfall nie und nimmer abgeben. Und doch liegt jetzt mit „Die schützende Hand“ ein solches Werk vor. Natürlich kennt Wolfgang Schorlau als erfahrener und mit mehreren Preisen ausgezeichneter Autor die Gefahren, die sich aus einem solchen Sujet ergeben. Zunächst die, dass jeder Zweifel an der offiziellen Lesart schnell als „Verschwörungstheorie“ abgetan wird. Doch legt die Unwahrscheinlichkeit der offiziellen Darstellungen es nicht nahe, nach alternativen Erklärungsansätzen zu suchen? Glaubt denn wirklich jemand ernsthaft, dass es sich beim NSU – wie von der Bundesanwaltschaft behauptet – um ein isoliertes Trio mit nur sehr wenigen Mitwissern gehandelt habe? Ist es wirklich plausi-
bel, dass all die V-Leute, die der Staat im Umfeld des NSU im Einsatz hatte, nichts an brauchbaren Hinweisen geliefert haben? Und nicht zuletzt: Passt es tatsächlich zur Psyche von kaltblütigen und brutalen Nazi-Terroristen, dass sie in den Suizid flüchten, nur weil sich ein paar Dorfpolizisten ihrem Unterschlupf nähern? Ob diese offizielle Lesart zutrifft, will ein anonymer Auftrag-
Und mit den Zweifeln kommen die Warnungen aus seinem Umfeld, keinen Verschwörungstheorien aufzusitzen. Dengler kennt diese Gefahr und er weiß den Vorwurf zu kontern: „Im Grunde genommen gibt es keine Verschwörungstheorien, es gibt nur valide und nicht valide Theorien“. Jemanden als Verschwörungstheoretiker zu diffamieren, sei eine gute Methode, einen Verdacht zu ersticken.
Wolfgang Schorlau.
Bild: Bild: Elke Wetzig / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
geber von dem Privatermittler Georg Dengler, einem ehemaligen BKA-Beamten, wissen. Natürlich ist dieser notorisch pleite und die beträchtliche Summe seines Honorars lässt ihn glauben, mit wenig Arbeit viel Geld verdienen zu können. Erst allmählich kommen ihm Zweifel.
Genau dieser Verdacht, dass nämlich der Staat seine „schützende Hand“ über den NSU gehalten habe, verstärkt sich bei Dengler im Laufe seiner Ermittlungen. Wolfgang Schorlau, geistiger Vater von Georg Dengler, ist inzwischen überzeugt, dass die Wahrheit über den NSU
wohl nie vollständig ans Licht kommen wird. Wer das Gerichtsverfahren in München aufmerksam verfolgt und die Arbeit der verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse betrachtet, wird diesem Eindruck nicht widersprechen. Die von Bundeskanzlerin Merkel versprochene Aufklärung wird es wohl nicht geben. Stattdessen wird man immer wieder an ein Zitat vom Ende der sechziger Jahre erinnert: „Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen. Wir können sie aber dazu bringen, immer dreister zu lügen“. Schorlaus eigentliches Thema ist die Frage, welche Chancen die Wahrheit in einem Staat hat, in dem die Unwahrheit zum Prinzip und teilweise zur Staatsräson geworden ist. Wäre man nicht schon an dieser real existierenden Demokratie verzweifelt, allein die vom Autor benannten Fakten würden dazu führen. Dass es sich um ein Werk aus dem Genre „Fiction“ handelt, macht es zu einem spannenden, gut geschriebenen Krimi. Dass es gleichzeitig dicht an den Fakten bleibt, macht es zu einem Stück politischer Aufklärungsliteratur. Volkmar Wölk Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Denglers achter Fall; Köln: Kiepenheur & Witsch, 2015, Tb., 381 S., 14,99 €
Helmut Schmidt: 23.12 1918 – 10.11.2015 Erst der Tod ließ ihn mit dem Rauchen aufhören. Mit 96 tat er seinen letzten Zug: Helmut Schmidt. Viel Rauch hat er gemacht, aber es war nie nichts dahinter. Wenn er auch nichts von Visionen hielt, Gestaltungswillen konnte man ihm nicht absprechen. Er hat Menschen bewegt und schuf Bewegendes, provozierte Widerspruch, regte zum Nachdenken an, sorgte für Bewunderung. Schmidt war Weltkriegsteilnehmer, wurde Politiker von Weltrang, als Weltökonom wurde er betitelt und zum Welterklärer sollte er auch werden. Aber der Reihe nach. Als Wehrmachtsoffizier hat er unbestritten Dinge erlebt, die ihn geprägt haben. Allerdings: Sein HerausgeberKollege bei der „ZEIT“, Giovanni Di Lorenzo, kam nicht umhin, im Nachruf zu fragen: „Wie soll man glauben, dass er die ganze Grausamkeit des Dritten Reiches erst als Zuschauer beim Prozess vor dem teuflischen Volksgerichtshof unter Roland Freisler 1944 bemerkt, von den Gräueln gegen die Juden erst nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands gehört haben will?“ Nach dem Krieg studierte er in
Hamburg Staatswissenschaften und Volkswirtschaft. Dem schloss sich der Gang in die Politik an: 1946 Eintritt in SPD, unter Karl Schiller Arbeit in der Senatsbehörde Wirtschaft und Verkehr, 1953 saß er erstmals im Bundestag. Legendär ist sein zupackendes Handeln als Innensenator bei der Hamburger Sturmflut (1962). Vielleicht wurde hier das Image des Machers geboren. Jedenfalls wurde er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion (1967-1969) und anschließend Bundesminister für Verteidigung und Wirtschaft/ Finanzen (1969-1972). Dann begann sein Kanzler-Dasein (19741982). Ein Momentem war die Ölkrise, die für wirtschaftliche Turbulenzen sorgte. Dass die Bundesrepublik die Wirtschaftskrise der siebziger Jahre besser überstand als andere Industrieländer, verdankte sie in erster Linie dem Volkswirt Helmut Schmidt – so der Historiker Heinrich August Winkler (ZEITExtra, 11.11. 2015). Vor allem mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing unternahm er Schritte zur Verbesserung der beiderseitigen Beziehungen, aber auch zur
europäischen Integration. Dass beide Staatsmänner eine persönliche Freundschaft verband, war dabei sicher vom Vorteil. Der vom RAF-Terror getragene „Deutsche Herbst“ 1977 mit der Entführung der LufthansaMaschine nach Mogadischu, der Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback und des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer setzte dem „Kanzler der Krisen“ (H. A. Winkler) allerdings zu. Einmal unbeobachtet in seinem Büro, musste er weinen. Schmidt führte Willy Brandts Ostpolitik fort. Nicht komplikationslos war dieser Prozess, hat man das Verhältnis zwischen Bonn und Moskau vor Augen. Hier saßen sich zwei Kriegsteilnehmer gegenüber: Der General der Roten Armee, Breschnew, und der Oberleutnant der Wehrmacht, Schmidt. In „Menschen und Mächte“ (Berlin, 1987) schildert er, wie sich die beiden über ihre Kriegserlebnisse austauschten. Möglicherweise hat das ein Stück persönliche Nähe ermöglicht und Schritte der politischen Entspannung erleichtert. In seiner in Buchform erschienenen Bilanz („Außer Dienst“,
2008) schrieb der Altkanzler über Breschnew, dieser sei sympathisch, aber von begrenztem Horizont. Auch Honecker bekam sein Fett weg. Er erregte beinahe mehrfach Mitleid, weil er in allem von Moskau abhängig war, aber nie wissen konnte, welche Meinung sich dort durchsetzen würde. Das merkte man auch seiner vorsichtigen Gesprächsführung an. Der DDR-Besuch von Kanzler Schmidt fand 1981 im Zeichen des NATO-Doppelbeschlusses und des über Polen verhängten Kriegsrechts statt. Für beide Seiten keine einfache Konstellation: Zum einen begannen die Totenglocken des Sozialismus sowjetischer Bauart zu läuten, zum anderen drohte neues Wettrüsten. Während ein damaliger Gesprächspartner noch bis 1989 im Amt blieb, danach aber alles verlor, warteten auf den anderen daheim Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluss auch in der eigenen Partei. So konnte er sich Schmidt im SPDParteipräsidium nicht mit seiner Forderung durchsetzen, Erhard Eppler den Auftritt auf einer Friedenskundgebung in Bonn zu verbieten. Eppler sprach am 10.
Oktober 1981 vor über 250.000 Nachrüstungsgegnern. Die Raketen kamen dennoch. In Ost und West. „Schmidt-Schnauze“ war nicht nur Politiker, auch Kunst- und Musikfreund. Das Schild „Bundeskanzler“ ließ er von seinem Büro abnehmen und durch „Nolde-Zimmer“ ersetzen. Für den Pianisten ging es auch mal nach London ins Tonstudio. Neben Büchern produzierte er mehrere Schallplatten. Seine zunehmende Schwerhörigkeit bereitete ihm Schmerzen. Im Spätsommer 1982 zerfiel die von Schmidt geführte Koalition. Ein konstruktives Misstrauensvotum erlaubte es, eine gewählte Regierung auszuwechseln. Nach seiner Kanzlerschaft wurde Schmidt Mitherausgeber der „ZEIT“. Zahllose Artikel, jeden Freitag in „ZEIT“- gemäßen Redaktionssitzungen inmitten von Keksdosen, eingehüllt von Zigarettenrauch, besprochen, bereicherten das Blatt. Als Schmidt 2010 von seiner Frau Loki Abschied nahm, verabredete er mit seinem Freund Siegfried Lenz: „Siggi, eine Runde drehen wir noch“! Nun ist sie zu Ende. René Lindenau
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Reihe Willkommensbündnisse:
„Arbeitskreis Ausländer und Asyl Freiberg e.V.“ Das Engagement für asylsuchende Menschen und ausländische Studierende hat in der Berg- und Universitätsstadt Freiberg eine lange Tradition. Die menschliche Zuwendung zu den ausländischen MitbürgerInnen feierte bereits im Jahr 1994 einen großen Erfolg. Damals gelang es einer kleinen Gruppe engagierter Freiberger BürgerInnen in einem spektakulären Fall, einer Mutter mit ihrer kleinen Tochter gegen den Widerstand der Behörden eine Wiedereinreise für eine Operation und anschließender Reha-Maßnahme in Deutschland zu ermöglichen. Dieser Erfolg schweißte zusammen! Von Anfang an dabei: Das Ehepaar Dr. Ruth Kretzer-Braun und Dr. Johannes Kretzer sowie Kornelia Metzing. Alle drei sind Mitglied der LINKEN. Die enge Zusammenarbeit der engagierten Gruppe verfestigte sich in den 90er Jahren immer mehr und führte schließlich zur offiziellen Gründung eines „Arbeitskreises Ausländer und Asyl Freiberg e.V.“. Seit 2002 ist Kornelia Metzing dessen Vorsitzende. Zurzeit hat der Arbeitskreis selbst 13 Mitglieder, wird aber durch viele weitere engagierte MitstreiterInnen unterstützt. Man sucht ständig weitere HelferInnen, wenn möglich mit Sprachkenntnissen, und findet sie auch. Denn mit den enorm angestiegenen Zahlen der in Freiberg untergebrachten Asylsuchenden und Flüchtlinge sind die Herausforderungen für
„Regeln müssen sein, sonst hätten wir Anarchie. Und das wollen wir nicht“, sagte mir einst ein Sportlehrer. Aber das gilt nicht nur für den Sport. Menschen regeln vieles, Deutsche angeblich alles. Was liegt also näher, als für all jene, die jetzt so ungeordnet zu uns kommen, einen Text zu verfassen mit dem Titel: „Hilfestellung und Leitfaden für Flüchtlinge“? Wohlan, dachte sich der Bürgermeister von Hardheim im beschaulichen Baden-Württemberg und ging zu Werke. Die Bitte zu Beginn des Leitfadens ist verständlich: „Lernen Sie so schnell wie möglich die deutsche Sprache“. Na
den Verein, auch für die vom Diakonischen Werk Freiberg e.V. und der Freiberger Agenda 21 getragene Initiative „Wir sind Freiberg“, enorm angewachsen. Kornelia Metzing geht aktuell von über 900 Männern, Frauen und Kindern an den Freiberger Standorten aus, hinzu kommen noch die unter Verantwortung des Freistaates untergebrachten Flüchtlinge in der Erstaufnahme-Notunterkunft in der Glückauf-Turnhalle der Bergakademie und einem daneben eilig aufgestellten beheizbaren Zelt. Natürlich ist der Verein auf finanzielle Unterstützung angewiesen. In diesem Jahr erhielt man eine Förderung im Rahmen der „Aktion Mensch“ und einen Preis, gestiftet vom Kin-
derschutzbund und vom Sächsischen Ausländerbeauftragten. Dadurch war es möglich, wie Kornelia Metzing mit Freude feststellt, die Aktivitäten des Arbeitskreises bei der Flüchtlingsbetreuung noch weiter zu intensivieren. Neben Deutschkursen für Erwachsene und junge Erwachsene, der Sozialberatung vor allem für Flüchtlingsfamilien und der Suche nach Patenschaften im Rahmen des Projektes „Patenschaften für Flüchtlinge“ ist – vor allem durch die Förderung von „Aktion Mensch“ – inzwischen viel Neues hinzugekommen: Man holt die Kinder aus den Heimen, um ihnen die Stadt Freiberg mit ihren vielfältigen Freizeitmöglichkeiten wie Museen, Sportstätten, Kinder-
und Jugendfreizeitstätten sowie die Bibliothek zu zeigen und sie so zum Mitmachen und zur Nutzung zu bewegen. Gemeinsam mit der Freiberger Außenstelle der Oederaner Volkskunstschule und der bedeutenden Freiberger Mineralienausstellung „terra mineralia“ wurde durch den Verein das Projekt „Steine der Welt – Welt der Steine“ für Flüchtlingskinder angeschoben. Dabei sahen die Kinder die verschiedenen Steine in Farben und Formen, redeten über Vulkane und die Entstehung der Steine und setzten ihre Erfahrungen mit verschiedenen Techniken auf Papier und in Ton um. Ein weiteres Projekt „natur Klang – welt Klang – einzel – Klang“ folgt derzeit. Hierbei ar-
beitet der Verein eng mit einem Blasmusik-Ensemble zusammen, das auf diesem Wege auch hofft, musizierfreudigen Nachwuchs zu finden. In der letzten Herbstferienwoche wurde – gemeinsam mit deutschen Kindern – ein Aufenthalt auf dem Kinderbauerngut Langenstriegis organisiert, sieben Flüchtlingskinder konnten das miterleben. Dabei wurde gemeinsam gespielt, gelernt, gebastelt, musiziert und Sport getrieben. In der Natur konnten die Kinder die Klangvielfalt erschließen und einfache Klanginstrumente aus Naturmaterialien bauen. In Fortsetzung dieser Projekte sind weitere Begegnungen deutscher und Flüchtlingskinder in Freiberg geplant, um gemeinsam zu basteln und zu musizieren. Höhepunkt sollte für die Kinder ihr Auftritt beim „Fest der Kulturen“ sein, das seit 2002 alljährlich im Herbst in Freiberg gefeiert wird, vielleicht gelingt es dem Verein. Das „Fest der Kulturen“ ist eine Initiative des Arbeitskreises „Eine Welt und Integration“, in dem Akteure aus vielen Freiberger Vereinen im Sinne der interkulturellen Arbeit zusammenwirken. In diesem Jahr wurde es am 8. November im Konzert- und Ballhaus Tivoli gefeiert. Für das kommende Jahr erhofft sich Kornelia Metzing Projekt-Fördermittel von der Sächsischen Aufbaubank und der Ausländerbeauftragten des Landkreises Mittelsachsen. Hans Weiske
klar, denken sich die Flüchtlinge, ob männlich oder weiblich, ob groß, ob klein. Nur, welche Sprache denn? Das wüssten selbst die Baden-Württemberger und Baden-Württembergerinnen nicht ganz genau. Ein schwäbisch vermurkstes Alemannisch, original Alemannisch oder vielleicht Fränkisch? Nun, zum Glück haben wir noch Hochdeutsch. Selbst wenn die baden-württembergische Staatsregierung mit der Losung hausiert, „Wir können alles, außer Hochdeutsch“, empfiehlt sich der hochdeutsche Versuch für die vielen Ausländer. Klappt nicht immer, geht aber doch leidlich. Ein gut gemeinter Rat, „Bitte dieses deshalb nicht tun“, ist sprachlich aber dann doch etwas daneben gegangen. Was soll’s? Der fremde Mensch merkt es nicht und er weiß die guten Ratschläge sicher, so wie es der Autor hofft, „wert zu schätzen“ – auch wieder kein gutes Deutsch, für Baden-Württemberg aber immer noch exzellent. Lassen wir das und kom-
men wir zu den Ratschlägen. Alle kann ich hier nicht abarbeiten, aber jeder zeigt für sich, was man so von den Dahergekommen denkt, wie sie sich unangeleitet verhalten könnten, wie sie zu Hause so leben, und wie es in Deutschland auf keinen Fall geht. „Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken
Flüchtlinge auch vor unseren Toiletten warnen. Das hat man in Hardheim verpasst. Giulia Enders, eine Medizinstudentin, hat nämlich herausbekommen und uns in einem Buch wissen lassen: „Wenn wir aufrecht auf der Toilette sitzen machen wir es uns … unnötig schwer … Unsere Vorfahren haben das unbewusst gut gemacht. Die gingen hinterm Busch in die Hocke … So kann alles besser flutschen“. Jetzt wissen die Fremden, dass Kultur nicht immer bequem und gesund ist, wohl aber fortschrittlich. Wer gegen sie verstößt, verhält sich altväterisch, zurückgeblieben. Aber sagt das bitte nicht den Autofahrern in Not und fern vom so penibel sauberen Dixi-Klo, wenn die eilig in den Wald gehen. „Mädchen und junge Frauen fühlen sich durch Ansprache und Erbitten von Handy-Nr. und facebook-Kontakt belästigt“. Wir wissen schon, „dieses deshalb nicht tun!“ Ihr Männer aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Kosovo, in Deutschland schließt
man Partnerschaften belästigungsfrei über Agenturen, wie z. B. „Parship“. Das klappt alle sieben Minuten. Dort übernimmt der Computer, was bei Ihnen meist noch der Vater macht. Er sucht für Sie Braut oder Bräutigam aus. Der Bürgermeister von Hardheim muss paradiesische Vorstellungen von der alten Heimat der Flüchtlinge haben. Im Paradies hat man nicht nur hinter die Hecke gepinkelt. Es gab dort auch kein Geld. „In Deutschland bezahlt man erst die Ware im Supermarkt, bevor man sie öffnet“. In Syrien oder anderswo wohl nicht? Also merken Sie sich, die wir Sie „bedingungslos aufgenommen haben“: „In Deutschland respektiert man das Eigentum der anderen“. Das konnten Sie freilich nicht wissen. Wenn Sie, lieber Asylbewerber, liebe Asylbewerberin, darüber nun laut lachen oder geräuschvoll, weil bitterlich weinen, dann beachten Sie dennoch: „In Deutschland gilt ab 22.00 Uhr die Nachtruhe“.
Von den Regeln der „Leitkultur“ und hinter Büschen“. Auweia! Hallo Ihr Deutschen, die ihr vielleicht doch schon mal in Gärten und Parks oder an Hecken und Büschen … Ab mit Euch nach Afghanistan. Dort sind freilich die Büsche und Hecken rar. Aber ihr werdet von den Einheimischen schon lernen, wie man sie dennoch als Deckung für das große und kleine Geschäft nutzen kann. Übrigens muss man die
Hintergrund
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Odyssee zu den Quellen der Bucharin-Forschung Jour fixe, der Gesprächskreis am Leipziger Sitz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, ist zu einer angesagten Adresse geworden. So ereignete sich auch der November-Konvent wieder vor vollem Haus. Schließlich hatte sich Wladislaw Hedeler, einer der international namhaften Kommunismusforscher, auf das Podium begeben, um Auskunft über seine in jeder Weise „gewichtige“ Biographie zu geben: „Nikolai Bucharin – Stalins tragischer Opponent“ (Matthes & Seitz, Berlin 2015, 637 Seiten). Statt referierender Diskussionsgrundlage probierten die Veranstalter eine andere Form: Die Moderatoren Klaus Kinner und Hartmut Kästner befragten den Autor, und das Auditorium konnte sich dem Dialog unmittelbar mit eigenen Statements beigesellen. Das machte den Abend zu einem sehr lebendigen Forum, führte aber zwangsläufig auch dazu, dass der rote Biographie-Faden mitunter verloren zu gehen drohte. Denn Leben und Wirken Bucharins zu durchleuchten, heißt für gelernte historische Materialisten des Stammpublikums, die Gegebenheiten seiner Zeit in Politik, Ökonomie und Gesellschaft ganzheitlich in den Blick zu nehmen. Der Berichterstatter muss sich schon aus Platzgründen beschränken, zumal Bucharins Entwicklung vom beliebten Revolutionär und Theoretiker an Lenins Seite bis zum frühen Tod nach Stalins perfidem Schauprozess und Mord-
befehl im Grundsätzlichen bekannt ist. Er greift daher einige Informationen heraus, die des Autors spezielle Forschungsleistung aus dem Fundus Bucharinscher Biographik hervorheben. Waldislaw Hedeler ist der Sohn des deutschen Kommunisten Walter Hedeler, der von 1943 bis 1955 in Tomsk verbannt war. Er wurde 1953 in dieser sibirischen Großstadt geboren. 1955 zog er mit seinen Eltern in die DDR. Sein rehabilitierter Vater wirkte von 1957 bis 1959 als Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung. Wladislaw studierte von 1973 bis 1978 an der Humboldt-Universität zu Berlin Philosophie und promovierte 1985 über Nikolai Iwanowitsch Bucharin. Dass er in seinem Buch völlig unbekannte Erkenntnisse publik machen konnte, war zwei Umständen geschuldet. Zum einen forschte er während seiner Aspirantur von 1983 bis 1985 nicht am grünen Tisch in Berlin, sondern „vor Ort“ in Moskau. Und zum anderen trachtete er zielgerichtet danach, jene Blindflecken zu tilgen, die der Amerikaner Stephen F. Cohen und der Österreicher Adolf G. Lövig in ihren Bucharin-Biographien unbearbeitet lassen mussten. Weil sie keinen Zugang zu den Originalquellen hatten, kommt in ihren „Torso“-Lebensbildern weder der junge Bucharin noch die Zeit nach seiner Verhaftung 1937 vor. Auch für Hedeler standen die Tore zu den ungehobenen
Dokumentenschätzen nicht offen. Immerhin hat die sowjetische Historiographie selbst Bucharins Leben und Wirken nicht aufgearbeitet. So glich seine Erkundung jener Lebensphasen, die Bucharin als frühen Revolutionär, an der Seite Lenins
und Stalins, als Widerpart Stalins in theoretischen und praktisch-politischen Fragen des sozialistischen Aufbaus und in seiner Haftzeit zeigen, einer Odyssee. Etliche Originaldokumente standen auf dem Index, selbst in den öffentlichen Mos-
kauer Bibliotheken hatte er keine freie Hand, sondern musste sich über den Umweg bürokratischer Betreuer Zugang zu jeder interessierenden Karteikarte erkämpfen. Manche eigene Übersetzung hielt auf. Zwei Jahre bittere, vertane Forschungszeit, blickt Hedeler auf die Moskauer „Eiszeit“ 1983 bis 1985 zurück. Nach Öffnung der Archive habe sich die Situation teilweise gebessert, einmalige, unschätzbare persönliche Auskünfte aber habe er von inzwischen verstorbenen Familienangehörigen Bucharins erhalten. Hedeler wörtlich: „Nach ihrem Tod ist das Reservoir an noch Unbekanntem so gut wie ausgeschöpft“. Eine Lücke könne noch geschlossen werden, wenn es gelänge, die Materialien der Schauprozesses 1938 inklusive der letzten Briefkontakte zwischen Bucharin und Stalin auszuwerten. „Es gibt nur das russische Stenogramm der Prozesse, das ist für die Forschung aber bisher nicht zugänglich“. Hedelers Quellenkunde hebt die Bucharin-Forschung auf eine neue Stufe, wie Klaus Kinner in seiner Einführung betonte. Neue Erkenntnisse dürften in Zeiten russischer Stalin-Renaissance vorerst kaum zu erwarten sein. Das macht den unschätzbaren Wert von Hedelers wissenschaftlicher Kärrnerarbeit und seiner großartigen Biographie aus, die Hartmut Kästner als den einschlägigen Arbeiten Jörg Baberowskis ebenbürtig bezeichnete. Wulf Skaun
Flüchtlinge und die Deutsche Ideologie Wovon hängt ab, wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann? Konkrete Zahlen sind in dieser Debatte rar gesät, sie wären wohl auch unseriös. Allein die Frage nach einer Zahl erregt schon den Verdacht, der Fragende wolle das Grundrecht auf Asyl einschränken und sehe dann schließlich alle Menschenrechte unter Finanzierungsvorbehalt. Oft liest oder hört man: „Wir Deutschen können nicht der ganzen Welt helfen.“ Dass ein Staat allein nicht über die Mittel verfügt, alle Probleme auf der Welt zu lösen, ist keine Binsenweisheit, sondern Ideologie. Sie zementiert die bestehende Teilung der Welt in Staaten und Völker, die glauben, trotz weltumspannender Aktivitäten nach eigenem Wohlstand und eigener Sicherheit nur sich selbst Verantwortung schuldig zu sein. Die aus diesen Aktivitäten erwachsenden Probleme des kapitalistischen Wirtschaftens konkurrierender Staaten übersteigen schon seit Jahrhunderten die Lösungskompetenzen eines einzelnen Staates.
Kein Staat ist in dieser Hinsicht jemals souverän gewesen. Souveränität zu fordern, redet gerade jenen nach dem Munde, die sich als die Geprellten fühlen, geprellt um die Überlegenheit der germanischen Kultur, ihres eigenen „deutschen Fleißes“ und schließlich geprellt um die Volksherrschaft im eigenen Lande. Das Streben nach Souveränität kann dann nur durch Herrschaft und Ausgrenzung befriedigt werden. Hier lauert der deutsche Faschismus in allen Ecken der Gesellschaft. Die Namen sind zuweilen andere. Aus germanisch wird „westlich“, aus Fleiß wird „Leistung“, und die Volksherrschaft erscheint weniger völkisch, wenn man sie ins Altgriechische übersetzt. Die sich als die Geprellten sehen, haben viele Gesichter. Aber sie haben alle die Mimik eines Räubers, der auf den Hintern fällt, sich das Steißbein prellt und sich dann beschwert, dass die anderen dafür gar kein Verständnis haben. Geprellt fühlten sich z. B. Kritiker des Versailler Vertrages, der Bund der Vertrie-
benen, „Wendeverlierer“ oder einfach Steuerzahler. Gerade Steuern müssen im Rahmen des partikularen Interesses als Zwangsabgabe und Prellerei erscheinen, da die Steuerzahler in ihrer Wahrnehmung keinen direkten Gegenwert erhalten, wie es das Gebot des Äquivalententausches in der Marktwirtschaft verlangt. Das geht direkt einher mit dem Leistungsfetischismus, dass auf all jene mit Verachtung herabgeschaut wird, die keine Leistung erbringen, von der sie ohne Hilfe leben könnten. Die Konkurrenz zwischen den Menschen, die der Leistungsfetischismus nur bemäntelt, zieht sich auf die für Menschen absurde Frage zusammen: Bist du fähig, im Kampf gegen die anderen Menschen allein für dich zu sorgen? Jeder Mensch und jeder Staat, der dieser Konkurrenz nichts entgegensetzen kann, wird von dem System als überflüssig ausgeschieden, taugt beim Zahlungsausfall nicht einmal mehr als Konsument. Diese Gefahr ist omnipräsent und gerade die
Sieger des Konkurrenzkampfes sind energisch dabei, ihren Sieg zu verteidigen. Sie haben auch die meisten Mittel dafür. Sie leben aber wie die Verlierer am Limit, nur mit schönerem Balkon. Sie selbst haben zu tun, die vielen Konflikte einzudämmen und die Konkurrenz niederzuhalten. Die Menschen erleben Tag für Tag am eigenen Leib, dass auch in reichen Gesellschaften nicht für alle Platz ist, überall der Mangel verwaltet und Missstände kosmetisch behandelt werden. Jede Person, ob deutsch oder nicht-deutsch, wirkt als „eine zu viel“ und erinnert an dieses Leben am Limit. Nur wähnen sich „die Deutschen“ mit ihresgleichen von vornherein als nützliche Mitglieder der Gesellschaft. In der Flüchtlingskrise wiederholt sich dieses Denken. Es hatte sich schon in der Krise um Griechenland wiederholt. Die Sieger oder zumindest Favoriten der internationalen Konkurrenz um Rohstoffe, Absatzmärkte und geostrategische Positionen verteidigen ihre Privilegien. Zugleich wurde in
Deutschland immer mehr die Auffassung laut, große Stärke bringe große Verantwortung mit sich. Es ist wohl jene Verantwortung gemeint, die alle Machthaber sich zu Eigen machen: der Erhalt der Machtposition. Sie wird dadurch zum Hohn gegenüber jenen, an denen diese Verantwortung ausgeübt wird. Der Machterhalt erfordert und provoziert Gewalt bis hin zu barbarischen Ausmaßen – eben jeder nach seinen Möglichkeiten. Es ist nicht verwunderlich, dass jene mit Dreck werfen, die in ihn gestoßen worden sind. Statt nach Aufnahme-Limits zu fragen, sollten „wir“ damit anfangen, die Welt mit unserem Deutschsein und der Deutschen Ideologie in Ruhe zu lassen. Diese Tendenzen findet man auch in anderen Ländern. Doch die asymmetrische Geschichte erzeugt asymmetrische Verantwortungen. Die Beunruhigung, dass bei immer mehr Flüchtlingen die Stimmung kippen könnte, zeigt nur, welches Grauen im noch fruchtbaren Schoße lauert. Enrico Pfau
Geschichte
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Vor 90 Jahren: Der XIV. Parteitag der KPdSU(B)
Bundesarchiv, Bild 102-10691 / CC-BY-SA 3.0
Historische Prozesse aus der Sicht der Gegenwart zu betrachten, ist immer interessant und aufschlussreich. Das trifft insbesondere für die 83 Jahre dauernde Geschichte der UdSSR zu. Die auf dem Boden
Rykow des sogenannten MarxismusLeninismus stehenden Historiker – zu dem der Verfasser des Artikels auch gehörte – haben diese Geschichte als einen stetig aufsteigenden Prozess der Verwirklichung des freien Menschen interpretiert. So wie die Geschichte verlief, nur so konnte sie geschehen – die teleologische Geschichtsauf-
Lenin fassung war dominant. Alternativen wurden nicht gesucht bzw. a priori ausgeschlossen. Heute ist klar, dass es in der Geschichte der UdSSR und der KPdSU natürlich Momente gab, in denen eine Entscheidung so oder so getroffen werden konnte – mit weitreichenden und unterschiedlichen Auswirkungen auf den geschichtlichen Prozess. Als vor 90 Jahren der XIV. Parteitag der KPdSU(B) stattfand, war die Entwicklung Sowjetrusslands sowohl in ökonomischer und sozialer Hinsicht als auch bei ihrer theoretischen Durchdringung an einer Wegmarke angekommen. Seit vier Jahren zeitigte die Neue Ökonomische Politik für einen kleineren Teil der Bevölkerung positive Ergebnisse. Großbauern (Kulaken), kleine und mittlere Unternehmer (NÖP-Kapitalisten), Teile der Angestellten und der Intelligenz führten ein gutes „bürgerliches“ Leben. Für
die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung aber, für die Arbeiter und Bauern, für die, die die Lasten der Revolution und des Bürgerkrieges getragen hatten, waren die Veränderungen zum armseligen und elenden Leben der vorrevolutionären Zeit und zur Zeit des Kriegskommunismus nur marginal. Es musste eine Wende erzielt werden, eine Wende, die das weitere Voranschreiten der Revolution gewährleistete. Darüber hinaus war sich die Parteiführung auf der 14. Parteikonferenz (April 1925) darüber klar geworden, dass es möglich sei, den Sozialismus auch beim Ausbleiben der sozialistischen Revolution in anderen (hochentwickelten) Ländern aufzubauen.
Sinowjew
A. I. Rykow, direkter Nachfolger Lenins als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, eröffnete am 18. Dezember 1925 den Parteitag. „In den vergangenen eineinhalb Jahren veränderte sich wesentlich die ganze wirtschaftliche Lage des Landes … Man kann sie als eine Periode der schnellen Wiederherstellung der ge-
Kirow samten Wirtschaft bestimmen … Wir treten in eine neue Epoche – die Epoche des Aufbaus …“. Die Politik der NÖP schien nicht mehr den objektiven Anforderungen an die Richtung und die Geschwindigkeit der ökonomischen Entwicklung des Landes zu entsprechen. Auf XIV. Parteitag fand eine teilweise offene Diskussion statt. Neben dem Rechenschaftsbericht des ZK wurde ein Koreferat zugelassen, das G. K. Sinowjew (Parteise-
kretär von Leningrad) hielt. Im Rechenschaftsbericht betonte Stalin, dass die UdSSR durch harte Arbeit zu einem „wirtschaftlich selbständigen, unabhängigen, auf den inneren Markt basierenden Land (werden müsse), zu einem Land, das als ein Anziehungs-
Shdanov feld für alle anderen Länder dient, die nach und nach vom Kapitalismus abfallen und in die Bahnen der sozialistischen Wirtschaft einlenken werden“. Sinowjew machte auf drei grundlegende Schwierigkeiten aufmerksam, die den Aufbau des Sozialismus in Frage stellen könnten: Erstens die Verzögerung der Weltrevoluti-
schen Industrialisierung. Die Bauernschaft sei das Ausbeutungsobjekt für die industrielle Entwicklung. Kamenjew (Vorsitzender des Rates für Arbeit und Verteidigung) sprach von der „falschen Linie der Genossen Stalin und Bucharin“ und drückte seine Überzeugung aus, dass Stalin „nicht die Rolle eines Vereinigers des bolschewistischen Stabes spielen kann …“. Die Witwe Lenins, N. K. Krupskaja, wandte sich dagegen, den Parteitag als „letzte Instanz“ anzuerkennen. „Man darf sich nicht damit beruhigen, dass die Mehrheit immer recht hat“, bemerkte sie völlig richtig. In der Resolution des Parteitages – wesentlich von Stalin und Bucharin geschrieben Bundesarchiv, Bild 183-R15068 / CC-BY-SA 3.0
18.-31. Dezember 1925
siedeln und erst später mit der Schwerindustrie fortzufahren. Diese Möglichkeit bestand. Die Konsequenz wäre eine langanhaltende wirtschaftliche und letztlich politische Abhängigkeit von den kapitalistischen Ländern gewesen. Die UdSSR hätte den Krieg 1941-
Krupskaja 45 nicht erfolgreich führen können – das sozialistische Experiment wäre bald zu Ende gewesen. Die Mittel und Wege zur Durchsetzung des Industrialisierungskurses – Stichwort GULAG, Stichwort Entkulakisierung – sind, wie der Kurs selbst, mit den Namen Stalins verbunden. Bei der Festlegung der konkreten Maßnahmen
Trotzki
Sokolnikow on, zweitens die Rückständigkeit Russlands und das Übergewicht der Bauernschaft und drittens das Nichtvorhandensein einer kollektiven Parteiführung nach Lenins Tod. In der Diskussion – 45 Redner äußerten sich – fand nicht nur ein kontroverser Meinungsaustauch statt, sondern die zum Teil gegensätzlichen ideologischen Positionen prallten aufeinander. Die Mehrheit der Diskutanten, z. B. Rykow, Ordschonikidse, Kirow, Shdanow unterstützte die Politik des industriellen Aufbaus, neun Delegierte sprachen sich dagegen aus. Sokolnikow (Volkskommissar für Finanzen) meinte, dass die UdSSR noch lange Zeit ein Agrarland sein werde. Deshalb sei es richtig, den Export zu entfalten, „der in den nächsten Jahren nur ein landwirtschaftlicher Export sein kann“. Trotzki favorisierte für die Sowjetunion den klassischen Weg der kapitalisti-
– wurde die Orientierung auf die sozialistische Industrialisierung gegeben: „… dass die UdSSR sich aus einem Land, welches Maschinen und Ausrüstungen einführt, in ein Land verwandelt, welches Maschinen und Ausrüstungen produziert“. So werde sie „kein Anhängsel der kapitalistischen Weltwirtschaft bleiben sonKamenjew
dern eine selbständige ökonomische Einheit, die sozialistisch aufgebaut ist …“ Heute, mit dem Wissen der 90jährigen Entwicklung nach dem XIV. Parteitag, wird klar, dass es Mitte der 20er Jahre sehr wohl alternative Möglichkeiten in der Sowjetunion gab. Es gab einen Weg der langsameren, konfliktärmeren und die Bevölkerung stärker schonenden Entwicklung, einen Weg, industrielle Kerne vorrangig in der Leichtindustrie anzu-
Bucharin ließ er keine Diskussionen mehr zu. Der Parteiführer entartete zum Verbrecher: Hunderttausende Kommunisten, Arbeiter, Bauern und Wissenschaftler wie millionenfach Russen, Ukrainer und Angehörige vieler anderer Nationen und Nationalitäten versklavte er, ließ sie elend dahinvegetieren und ließ sie ermorden. Trotzdem bleibt aber auch eines: Die mit Nachdruck betriebene Durchsetzung der „sozialistischen“ Industrialisierung eröffnete die Möglichkeit, einen europäischen oder weltweiten Sieg der Barbarei über die Zivilisation zu verhindern. Die Industrialisierung der UdSSR war eine entscheidende Grundlage für den Sieg der Roten Armee im Großen Vaterländischen Krieg. Gemeinsam mit den Streitkräften der anderen Staaten der Anti-HitlerKoalition wurde 1945 der Faschismus verhindert. Hartmut Kästner
Links! 12/2015
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Termine Chemnitz, 9. Januar, Samstag, 10.00 Uhr Workshop: Einführung in das Versammlungsrecht***. Mit Tim Detzner (Politikwissenschaftler), Moderation: Mike Melzer. Die Teilnehmer*innenanzahl ist auf 10 begrenzt. Deshalb bitten wir um Anmeldung unter chemnitz@rosalux-sachsen.de. Veranstaltungssaal Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Chemnitz, 12. Januar bis 5. März Wanderausstellung „Es lebe die Freiheit! – Junge Menschen gegen den Nationalsozialismus“***. Eine Aktion des Runden Tisches für demokratisches Engagement im Stadtteil in Kooperation u.a. mit der Stadt Chemnitz, der AWO, dem DGB und der RLS Sachsen, mehr dazu unter www.sachsen.rosalux. de Dresden, 13. Januar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion, REIHE: Zukunft denken. Linke Perspektiven: Futuring. Über die Zukunft reden. Mit Prof. Dr. Rainer Rilling (Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Was verstehen wir unter „Zukunft“? Wie soll das Phänomen Zukunft behandelt werden? Gibt es eine Zukunft oder mehrere? Wie gehen wir im Alltag mit Zukunft um? Hat sich das Zukunftsdenken geändert? Warum wird Zukunft immer wieder als Katastrophe gedacht und was haben „wild cards“ oder „schwarze Schwäne“ mit dem Ende des Kapitalismus zu tun? Was ist Zukunftspolitik und warum hat ausgerechnet George W. Bush sie verändert? Zwischenbilanz: Zukunft nicht als Wunderkammer, sondern als Kerngeschäft – der Linken? Leipzig, 13. Januar, Mittwoch, 19.00 Uhr RELEVANZ DER KUNST. KUNST DER RELEVANZ***. Relevanzdiktat und das Spezifische der Kunst. Mit Beatrice von Bismarck, Christian Faulhaber, Johannes Paul Räther und Clemens von Wedemeyer. Ver-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V.,
anstaltet von R.d.K. (Gruppe von Student*innen an der HGB) in Kooperation mit der RLS Sachsen. HGB, Festsaal, Wächterstraße 11, 04107 Leipzig
Workshop: Wie weiter mit der DDR-Geschichte? REIHE: Junge Rosa. Mit Boris Krumnow (politischer Bildner). WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden
Warum studiert und produziert man Kunst? Wir unterstellen: Jeder künstlerischen Praxis wohnt das Begehren nach Relevanz inne. Abhängig von den Erwartungen kann mit Relevanz freilich Unterschiedliches gemeint sein. Für die einen ist Relevanz gleichbedeutend mit ökonomischem Erfolg. Andere hingegen bemessen die Relevanz von Kunstwerken danach, inwieweit sie kritisch die sozialen Verhältnisse reflektieren. Wieder andere behaupten: Sie lässt sich weder anhand ökonomischer, noch anhand politisch-ethischer Parameter messen, sondern artikuliert sich gemäß einer Kunstimmanenten Logik.
Leipzig, 19. Januar, Dienstag, 19.00 Uhr REIHE MARXEXPEDITION 2015: Krisen und soziale Bewegungen***. Der Umbruch 1989 – Revolution, Implosion oder Konterrevolution? Mit Dr. Renate Hürtgen. Eine Veranstaltung der Gruppe Marxexpedition in Kooperation mit der RLS Sachsen. Hörsaal 4, Hörsaalgebäude der Uni Leipzig, Universitätsstraße 3
Leipzig, 14. Januar, Donnerstag, 19.00 Uhr REIHE MARXEXPEDITION 2015: Krisen und soziale Bewegungen***. Soziale Revolte ohne Gewerkschaften – Die neue Klassenzusammensetzung in China. Mit Ralf Ruckus. Eine Veranstaltung der Gruppe Marxexpedition in Kooperation mit der RLS Sachsen. Hörsaal 4, Hörsaalgebäude der Uni Leipzig, Universitätsstraße 3 Die mit der rasanten Industrialisierung entstandene migrantische Arbeiter*innenklasse Chinas setzt mit ihren Kämpfen für ein besseres Leben das Regime der Kommunistischen Partei unter Druck. Ralf Ruckus schildert zunächst die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe der Veränderungen in China. Im Anschluss geht er den Fragen nach, in welcher Weise sich die selbstorganisierten Kämpfe gegen die Repression von Staat und Kapital entfalten können, wie das Fehlen gewerkschaftlicher Vermittlung die Kämpfe begünstigt und ob sich nun auch Perspektiven einer grundlegenden sozialen Umwälzung eröffnen. Dresden, 19. Januar, Dienstag, 18.00 Uhr Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
Leipzig, 26. Januar, Dienstag, 18.00 Uhr REIHE: Philosophische Dienstagsgesellschaft. Walter Benjamins geschichtspolitische Kritik der Gewalt. Mit PD Dr. Peter Fischer (Philosoph). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Chemnitz, 26. Januar, Dienstag, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Todesmärsche und Todestransporte des KZ Groß-Rosen und die Nebenlager***. Mit Dr. Hans Brenner (Autor). Eine Veranstaltung des VVN-BdA Chemnitz, der Volkshochschule Chemnitz und der RLS Sachsen. Veranstaltungssaal, DAStietz, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz Frankenberg, 27. Januar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion: Verfolgt – Bejubelt – Vergessen – Bruno Apitz***. Mit Dr. Lars Förster (Historiker). Eine Veranstaltung der RLS Sachsen in Kooperation mit der LAG Sachsenburg. Haus der Vereine, Bahnhofstraße 1, 09669 Frankenberg Leipzig, 28. Januar, Donnerstag, 18.30 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Luxemburgseminar. Mit Dr. Holger Politt (Forschungsstelle Rosa Luxemburg der RLS in Warschau). RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Zwar ist Rosa Luxemburg in PoRedaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 30.11.2015 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.02.2016.
len nicht minder bekannt als in Deutschland, doch scheint ansonsten alles anders zu sein. Einen Schlüssel zum Verständnis dafür bietet die Rezeptionsgeschichte ihres Werkes, die in ihrem Heimatland genauso turbulent und widersprüchlich verlaufen ist wie in Deutschland. Neben vielen Parallelen gibt es insbesondere für die Zeit nach 1956 auffallende Unterschiede. Und ohne die Leistungen der Arbeitergeschichtsforschung in der VR Polen stünde die weltweite Rosa-Luxemburg-Forschung tatsächlich noch in den Kinderschuhen. TERMINE ZUM VORMERKEN Samstag, 30. Januar 2016, ab 14 Uhr Neujahrsempfang und Verleihung des Wissenschaftspreises der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Im Januar wird alljährlich der von Günter Reimann gestiftete Wissenschaftspreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen an eine junge Wissenschaftlerin/ einen jungen Wissenschaftler verliehen. Im Anschluss bietet der Neujahrsempfang die Möglichkeit für Gespräche. Musikalisch umrahmen die Dresdner Musiker Gabriel Krappmann und Christoph Eulenhaupt den Nachmittag. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V., Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Samstag, 12. März 2016, ab 11 Uhr Mitgliederversammlung; 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Ab 16 Uhr Empfang, Diskussion, szenischer Vortrag, Gespräche, Musik und Tanz. Haus des Buches, Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig Wir schauen in einer szenischen Darbietung zurück auf 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und anschließend in einer Diskussionsrunde mit Partner*innen auf Herausforderungen und Ansprüche an politische Bildung. Wir laden ein, bei Essen, Trinken und Musik ins Gespräch zu kommen und einen anregenden Nachmittag und Abend zu verbringen. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:
Seite 6 IN MEMORIAM Prof. Dr. Ernstgert Kalbe Nach schwerer Krankheit ist unser Vereinsfreund Prof. Dr. sc. phil. Ernstgert Kalbe am 7. November 2015 im Alter von 84 Jahren verstorben. Ernstgert Kalbe gehörte zu jenen Gelehrten, die das wissenschaftliche Leben und die politische Bildungsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen viele Jahre außerordentlich geprägt und bereichert haben. Mit dem Arbeitskreis Osteuropa und den Leipziger Jahrbüchern „Osteuropa in Tradition und Wandel“ hatten er und seine gelehrten Freunde wichtige Diskussionsforen geschaffen, die weit über Sachsen hinaus Aufmerksamkeit und Interesse fanden. Die Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen hat einen langjährigen und verdienstvollen Mitstreiter verloren. Wir bezeugen seinen Angehörigen unser tiefempfundenes Beileid und werden unserem verstorbenen Freund ein ehrendes Angedenken bewahren. Prof. Dr. sc. oec. Joachim Tesch Am 1. November ist unser Vereinsfreund Prof. Dr. sc. oec. Joachim Tesch im Alter von 82 Jahre verstorben. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen verliert einen ihrer langjährigsten und verdienstvollsten Mitstreiter. Als stellvertretender Vorstandsvorsitzender hat sich Joachim Tesch viele Jahre mit Erfolg für die Geschicke unserer Stiftung engagiert. Seiner Moderation des irtschaftswissenschaftlichen Arbeitskreises verdanken wir gewichtige Wortmeldungen im sozialpolitischen und globalisierungskritischen Diskurs der Linken. Veröffentlichungen zur politischen Bildung und Leipziger Baugeschichte tragen seine redaktionelle Handschrift und künden von enormer Kompetenz und erstrebenswerter verlegerischer Sorgfalt. Wir werden Joachim Tesch ein ehrendes Angedenken bewahren und bezeugen seinen Angehörigen unser tiefempfundenes Beileid. Prof. Dr. Peter Porsch, Vorsitzender der Stiftung; Stefanie Götze, Geschäftsführerin; Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates. Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773
Rezensionen
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12/2015 Links!
Gerhard Schöne feiert 50jähriges Bühnenjubiläum
aber nicht nur eine gehörige Portion Selbstvertrauen gefunden, sondern zugleich seine Berufung: Musik-Clown wollte er fortan sein. Während des Jubiläums-Konzerts nun streifte er durch seine langjährige eigene Liedermachergeschichte, unterbrochen durch Lesungen aus seinem Buch „Mein Kinderland“, in dem Anekdoten und Geschichten versammelt sind. Es war eine Kindheit geprägt vom Gefühl des Geliebt-Werdens, der Geborgenheit und den Erfahrungen christlicher Nächstenliebe, wobei immer wieder seine Selbstironie zum Tragen kommt. In Liedern wird später liebenswürdig die Plaudertasche Tante Hanna auf die Schippe genommen, aber auch seine langjährige Zeit als Briefträger verarbeitet er. Ohne Zweifel war das 1987 gemeinsam mit der Gruppe „‚L‘art
de passage“ erarbeitete Programm „Du hast es nur noch nicht probiert“ ein Höhepunkt
seines Schaffens. Daraus entstand, wie sich manch einer wohl erinnert, seine legendäre Doppel-LP. Auch daraus singt Schöne Lieder wie „Vielleicht wird’s nie wieder so schön“. Im Liedtext werden u.a. zufällig polnische Studenten aufgegabelt, nach Hause eingeladen, und man singt dort gemeinsam „Give Peace a chance“ und „Penny Lane“. Es ist ein tiefer Humanismus gepaart mit einem sanften Blick auf einen nicht einfachen Alltag der kleinen Leute, der Gerhard Schönes Liedgut durchzieht. Immer wieder nimmt er sich der Benachteiligten und Ausgegrenzten an – das fehlte dann in Meißen auch nicht: „Als mein gelber Wellensittich aus dem Fenster flog, hackte eine Schar von Spatzen auf ihn ein – denn er sang wohl etwas anders und war nicht so grau wie sie, und
wird Pirat, der nächste flüchtet. Wen interessieren die Fluchtursachen? Meist wird nur nach den Flüchtlingen an sich, ihrer Zahl und den Kosten gefragt. Was sie schon seit Gründung der Bundesrepublik zum wirtschaftlichen Aufbau, zum Steueraufkommen, für die Sozial- und Pflegekassen beitrugen, kümmert stammtischdominierte Kleinhirne nicht. Geschweige denn die Frage, welche kulturelle Bereicherung es sein kann, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen zu uns kommen. Kulturexport ist immer noch besser als Waffenexport. Noch immer ist Deutschland drittgrößter Waffenexporteur. Wie viel Deutschkurse und Wohnungen könnte man mit Rüstungsausgaben finanzieren? Kultur ist das Stichwort. Es führt zu Lessings „Nathan der Weise“. Darin entwarf der Autor sein Humanitätsideal von
der Utopie einer toleranten Gesellschaft. Im Verlauf des Stückes rief Sultan Saladin Nathan zu sich und fragte ihn, was denn für ihn die wahre Religion sei. Weise wie Nathan war, antwortete er mit der Ringparabel. Ein Mann besitzt dabei ein Familienerbstück, einen Ring, der seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm macht, wenn der Besitzer ihn in dieser Zuversicht trägt. Als es dazu kommt, dass er den Ring zu vererben hat, kann er sich nicht für einen seiner Söhne entscheiden, da er alle drei gleichermaßen liebt. So lässt er den Ring nachfertigen, und das gelingt so gut, dass die Kopien nicht erkennbar sind. Nach dem Tod des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um feststellen zu lassen, welcher Ring der echte sei. Das aber ist dem Richter unmöglich – und er rät dazu, die Tyrannei des einen Ringes zu beenden. Entschei-
den solle vielmehr das sittliche Verhalten, und gegenüber anderen solle Toleranz geübt werden. Alle Ringträger sollten sich also bemühen, der Wirkung ihres Schmuckstücks durch ihr Verhalten nahezukommen. „Nathan der Weise“ zeichnet so ein Gleichnis zum Verhältnis der drei großen Weltreligionen. Lessing zufolge kann man die Frage nach dem rechten Glauben nicht dogmatisch beantworten. An seine Stelle tritt die Idee einer Vernunftreligion. Andersgläubigen sei mit Respekt zu begegnen, Unterschiede können dabei gewahrt bleiben. So gesehen geht es diesem Werk um die Erziehung zur Toleranz und einer friedlichen Koexistenz verschiedener Religionen. Kurzum, es geht um ein kulturvolles Miteinander. Doch in Deutschland und Europa brennen beinahe tagtäglich Asylheime, „besorgte“ Bürger lärmen mit Nazi-Parolen durch
Er ist ein Meister der leisen Töne: Gerhard Schöne. Es war der Anregung der Intendantin des Meißner Stadttheaters Renate Fiedler zu verdanken, so der Künstler, dass er sein 50. Bühnenjubiläums mit dem Sonderkonzert „Junge Talente und noch kein Ende“ am 3. Oktober in Meißen feierte. Eindrucksvoll schildert er die Atmosphäre, wie er als 12jähriger mit einer kleinen Mandoline um den Bauch und einem knalligen Hemd an gleicher Stelle auf Empfehlung seiner Musiklehrerin als letzter und beim „Kreisausscheid der Jungen Talente“ auftrat. Als das junge Publikum nach mehreren Stunden und einem Vortrag von „John Scheer und Genossen“ langsam wegzudämmern droht, rockt der kleine Pastorensohn die Bude: Nach der Melodie von „Weine nicht wenn der Regen fällt“ singt er: „Weine nicht wenn der Vater ruft: Ins Bett, ins Bett!“ – schlagartig waren die Pioniere munter und sangen lauthals den Refrain mit: „Ins Bett, ins Bett!“ Gerhard Schönes Muntermacher trug ihn bis in den Bezirksausscheid, wo man ihm aber die Teilnahme am Republikausscheid verwehrte: Seine Parodie basierte leider auf der Melodie eines Liedes, das im kapitalistischen Ausland entstanden war … So reichte es dann „nur“ zum Publikumsliebling in Dresden, aber nicht zu einer Delegierung nach Berlin. Der junge Sachse hatte damit
Lessing fair Seit Monaten erleben Deutschland und Europa die Flucht von Millionen. Sie kommen vornehmlich aus Kriegsgebieten und Konfliktregionen, wo ihnen ein menschenwürdiges Leben unmöglich gemacht wurde. Zur Ironie gehört: Ihre Flucht führt sie in Länder, in denen sie vielfach nicht willkommen sind, oder die sie erst zum Verlassen ihrer Heimat genötigt haben. Denn deren Waffen morden, rauben ihnen die Lebensgrundlagen, die Regierungen der sogenannten westlichen Demokratien paktieren mit ihren Regimes, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen und ihre geopolitischen Interessen zu befriedigen. Da wird für RAMA Regenwald abgeholzt, werden Meere überfischt, da wird unter miserablen Bedingungen in KiK-Textilfabriken (Karatschi) geschuftet – bis es brennt: 200 Tote. Was bleibt? Einer verbrennt gleich, der andere
das passt in Spatzenhirne nicht hinein“. Seit einem halben Jahrhundert erschafft er Lieder, die Erwachsene zum Nachdenken und Kinder zum Lachen bringen. Zum Abschluss schaffte er es auf äußerst charmante Weise, am Ende seines mit viel Applaus bedachten Programms das Publikum mit einem musikalischen Einschlaf-Rausschmeißerlied aus dem Saal zu komplementieren: Fünf Kinder liegen im Bett, als das Kleinste sagt: „Rutsch mal rüber!“ – rutsch, zack, autsch und wieder fällt ein Kind aus dem Bett. Die zahlreichen Kinder im Saal singen begeistert den Refrain mit. Es ist ein bisschen wie vor 50 Jahren – nur ist Gerhard Schöne heute, wie er von sich sagt, inzwischen ein altes Talent ... Ralf Richter
die Städte, Grenzen werden geschlossen. Das kann man nicht gerade ein demokratisches und tolerantes Klima nennen, für das so viele Generationen gekämpft haben. Das ist nicht die Luft, die wir atmen wollen. Brandsätze und Steine sind billiger als Integrationskurse. Der Verlust an Rüstungsprofiten tut den Schaltstellen der Macht offensichtlich mehr weh als das Zermalmen Aufständischer durch einen deutschen Qualitätspanzer Leopard 2 in Bahrain. Die Bekämpfung von Flüchtlingen ist einfacher zu bewerkstelligen als die Bekämpfung von Fluchtursachen. Mag sein. Aber das ist alles sehr weit von dem entfernt, wofür Lessing warb: Aufklärung, Humanität, Toleranz. Die Welt darf keinem Unaufgeklärten, Inhumanen und Intoleranten gehören. Dieses Motto darf man nie „vernach-lessingen“! René Lindenau
Bundesarchiv, Bild 183-1988-0216-033 / CC-BY-SA 3.0
Im Meißner Stadttheater begann Gerhard Schöne 1965 als „Junges Talent“
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Poetische Tiefe, bissiger Spott: Georges Brassens Einer der beliebtesten Vertreter zeitgenössischer französischer Chansons bleibt bis über seinen Tod hinaus der Poet und Liedermacher Georges Brassens. Seine ersten Gedichte verfasste er bereits als zwölfjähriger Junge in seiner Heimatstadt Séte. Im Alter von achtzehn Jahren zog er nach Paris zu einer Tante und bekam eine Lehrstelle in der Automobilbranche. Seine Freizeit verbachte er meist in den Bibliotheken der Hauptstadt, weil er sich leidenschaftlich für die Geschichte der französischen Poesie und die Entstehung des Chansons interessierte, für die Entwicklung des Minnesangs der altfranzösischen Troubadoure im zwölften Jahrhundert, für die Meister des polyphonen Gesangs des fünfzehnten Jahrhunderts und die eher heiter daher gesungenen Sauf- und Liebeslieder im siebzehnten Jahrhundert – ebenso für die ersten politischen Chansons der französischen Revolution, die agitatorischen Kampflieder aus der Zeit der Pariser Commune bis zu den Couplets der Pariser Cabarets der zwanziger Jahre. Die so erworbenen Kenntnisse trugen maßgeblich dazu bei, seine persönliche Handschrift und Interpretation zu kreieren. Schon 1942 kam es zur Veröffentlichung von 13 Gedichten in einem Pariser Verlag. Doch während der Besetzung Frankreichs durch die die deutsche Wehrmacht wurde seine künstlerische Laufbahn unterbrochen.
Man deportierte ihn zwangsweise nach Deutschland, wo er in der Waffenindustrie arbeiten musste. Als die deutschen Behörden ihm die Erlaubnis gaben, für kurze Zeit in seine Heimat zu fahren, nutzte er die Gelegenheit zur Flucht und blieb bis zur Befreiung 1944 im Pariser Untergrund.
Es spricht vieles dafür, dass diese unangenehmen Erfahrungen und die damit verbundenen Ängste die Quelle seines stetigen Drangs nach Freiheit waren, der seinen von ungehemmter Anarchie geprägten, doch sehr anspruchsvollen Liedern zugutekommen sollte. Das erste Couplet, das er erstmals
selbst auf der Bühne interpretierte, trägt den Titel „Le Gorille“ (Der Gorilla) und wurde ein großer Erfolg. Jahre später nahm kein Geringerer als Deutschlands Chansonnier Nr. 1, Franz Josef Degenhardt, den Song in sein Repertoire auf: „Vorsicht, Gorilla!“. Es handelt von einem dem Zirkus entlaufenden Menschenaffen, der die betuchten Bürger einer Kleinstadt in Angst und Schrecken versetzt und zu guter Letzt selbst die Staatsgewalt foppt. Ab 1952 bestritt Georges Brassens seine ersten größeren Konzerte, die beim Publikum große Resonanz fanden. Im Gegensatz zu seinen Chanson-Kollegen, die überwiegend mit riesigen Orchestern arbeiteten, bevorzugte er die minimalistische Form: Gitarre und Gesang, unterstützt vom Kontrabass seines Freundes Pierre Nicolas. Brassens‘ eigenwillige anarchistische Lebensphilosophie spiegelt sich besonders in seinen Liedern, die auch in den damals noch zwei deutschen Staaten Künstler wie Reinhard Mey, Konstantin Wecker, Dieter Kalka, Wolf Biermann oder Hannes Wader stark beeinflussten, zu deren Vorbild er wurde. Insbesondere Walter Mossmann, der Brassens sehr verehrte, widmete eine Strophe seines Liedes „für meine radikalen Freunde“ nach einer Komposition des Meisters ebendiesem: „Dieses Lied ist für Georges Brassens, den Liedermacher aus der Pro-
vence. Der liebt die Leut‘ und ‘s Katzenvieh, und bisschen die Anarchie … Der hat mich gelehrt, mich umzusehen, statt aufzuschau’n zu lichten Höhen, wo über uns sitzen Gesäße aus Stein, Ärsche mit Heiligenschein.“ Brassens‘ Texte selbst sind durchflutet von poetischer Tiefe, anspruchsvoller Sensibilität, durchwachsen von ironisch-humoristischer Satire und bissigem Spott, oft scharf gewürzt mit einer Prise Sozialkritik – kurz und gut: mit allen Merkmalen, die ein gutes Chansons auszeichnen. Einer seiner Titel, „La ronde de jurons“, der nur Fluchund Schimpfworte beinhaltet, wurde zur heimlichen Hymne der anarchistischen Vereinigung „Féderation Anarchiste“. Insgesamt erschienen zwanzig Alben von Georges Brassens, die auch später als CD auf den Markt kamen und ausschließlich eigene Lieder enthielten – bis auf eine LP, auf der er klassische alte Lyrik von Francois Villon, Lamartine, Luis Aragon, Paul Verlaine und anderer vertonte. Georges Brassens starb viel zu früh, 1981 an einem Nierenleiden, im Alter von nur sechzig Jahren. Im Rathaus von Séte, in der Nähe seiner Grabstätte, am Mittelmeer gelegen, wurde ein „Erinnerungsraum“ für ihn eingeweiht, zu dem jährlich zehntausende Verehrer pilgern. Möge auch mein Weg eines Tages dorthin führen! Jens-Paul Wollenberg
Zur Märtyrerin der Novemberrevolution gestutzt
Im April 2015 hatte der Historiker Klaus Kinner im Leipziger Domizil der Rosa-LuxemburgStiftung eine Seminarreihe begründet, die den Namen der Revolutionärin trägt. Kinner hatte schon länger beabsichtigt, Leben und Werk der demokratischen Sozialistin auf produktive Erkenntnisse für heutige Linke abzuklopfen. Sein Ansatz: Die bisherige Luxemburg-Forschung habe bei allen – auch von der Stiftung erreichten – Erfolgen die Wirkungsgeschichte ihrer Ideen noch unzureichend erkundet und vermittelt. Dieser Aufgabe solle sich das Seminar annehmen. Zustimmend hatte der Philosoph Volker Caysa erklärt, das heiße für ihn, zunächst das unabgegoltene Potenzial Luxemburgischer Ideen zu definieren, es zu reformulieren und auf aktuelle Erfordernisse hin zu bewerten. Dabei gelte es, das Vorwissen, insbesondere der Jugend, zu berücksichtigen. Um es vorwegzunehmen: Caysas Gebot dürfte generationenübergreifend gelten. Die nunmehr dritte Veranstaltung vor wiederum aktivem Interessentenkreis wäre Beleg genug. Sie
beschäftigte sich mit dem zu SED-Zeiten lange als „geheime Verschlusssache“ gehandelten Thema: Luxemburg oder Stalin. Klaus Kinner nahm die bewegten Jahre zwischen 1923/24 und 1945 in den Blick. Ob er dabei über die „radikale Realpolitik“ Luxemburgs gegen die beginnende Stalinisierung sprach, über den Absturz der KPD in den Stalinismus 1929 bis 1933 oder über das „schwarze Loch“ 1933 bis 1945 – die fundierten Darlegungen des Historikers machten deutlich: Auch für ältere Geschichtsinteressierte boten sie vielfach Neuwissen. Zu sehr hatte auch die stalinistische SED die Theoretikerin der marxistischen deutschen und internationalen Arbeiterbewegung auf die Rolle einer revolutionären Märtyrerin reduziert. Zwar ließ die offizielle DDR-Geschichtsschreibung Luxemburg die Petrograder Oktoberrevolution begrüßen. Ihre weitsichtige, kühne Kritik an der Leninschen Diktatur der Bolschewiki, deren theoretischer und praktischer Negation jeglicher Demokratie in Politik, Ökonomie und Gesellschaft aber beschwieg
sie nach Kräften. In dem Maße, wie Lenins Ideen als „geniale Weiterentwicklung“ des Marxismus kanonisiert wurden, hat dessen vermeintlicher Willensvollstrecker Stalin die davon abweichenden Auffassungen Rosa Luxemburgs als „Fehler“ stigmatisiert. Sinowjews 1924 geprägter Begriff vom „Luxemburgismus“ habe in der KPdSU und in den Parteien der Kommunistischen Internationale (KI) wie ein ideologisches Fallbeil gewirkt. Parteinahme für Luxemburgs Ideen interpretierte die herrschende bolschewistische Fraktion in der internationalen Arbeiterbewegung als Angriff auf den „Führer des Weltproletariats“. Es ist unmöglich, an dieser Stelle die nur kurz erwähnten, äußerst widersprüchlichen und oft geradezu erschütternden Vorgänge und historischen Ereignisse in ihrer Komplexität darzustellen und den involvierten Personen historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auch werden in den Seminardebatten die jeweiligen Themen theoretisch so tiefgründig ausgelotet, dass eine kongruente journalistische Reflexion undenkbar wä-
re. Schließlich erheben sie den Forschungsanspruch, der Wirkungsgeschichte der Namenspatronin bisher unbekannte Kapitel hinzuzufügen. Dem Rezensenten geht es deshalb vor allem darum, weitere TeilnehmerInnen für die Diskurse zu interessieren. Sie auch auf früher indizierte Details neugierig zu machen, die als parteifeindlich, abweichlerisch, revisionistisch, reformistisch oder ähnlich verketzert waren. Klaus Kinner hatte auch dieses Mal eine Reihe brisanter Belege aus dieser „Schublade“ gezogen, Dokumente, wie sie erst jetzt, nach Öffnung der Archive, ans Tageslicht gelangen. So erfuhren die TeilnehmerInnen des Seminars, welche (von der SED-Führung geleugnete) Rolle Ernst Thälmann als Sachwalter Stalins in der KPD gespielt hat, wie er und seine GesinnungsgenossInnen die auf Luxemburg gegründete Traditionslinie als Trotzkismus denunziert haben. Und sie hörten über Clara Zetkin, dass die furchtlose Verteidigerin von Rosas Erbe gegen die wachsende Zahl der VerfälscherInnen am Ende ihres kämpferischen Le-
bens verstummte, weil sie, in Moskau lebend, rein existenziell von Stalins Gnaden abhängig war. Noch 1927 hatte sie dem Vorsitzenden der KI, Nikolai Bucharin, geschrieben, Thälmann könne wegen seiner wankelmütigen Haltung gegenüber Linken, Rechten, Versöhnlern kein Parteiführer sein. Der auch an das ZK der KPD adressierte Brief sei dort nicht angekommen. Thälmann hielt ihn selbstherrlich zurück und verfälschte seinen Inhalt, indem er das Schreiben als einen „Drecksbrief“ verunglimpfte, der sich gegen das ganze Zentralkomitee richte. Als Thälmann den von Stalin entworfenen Text des „Schaltjahresbeschlusses“ vom 29. Februar 1928 über den „Sozialfaschismus“ der SPD durchsetzte, war Rosa Luxemburgs theoretisches Erbe bereits zur historischen Fußnote verdammt. Einen Lichtblick gab es aber doch. Mit warmen Worten würdigte Klaus Kinner die Luxemburg-Biographie ihres Mitstreiters Paul Frölich von 1939. In „Gedanke und Tat“ werden Rosa und ihr Werk weitsichtig und gerecht beurteilt. Wulf Skaun
12/2015 Sachsens Linke!
Seite 1
Dezember 2015
Sachsens Linke
Wir setzen unsere Reihe zu den Zuständen beim Versanddienstleister Amazon fort. Dr. Kristin Kaufmann beantwortet, wie in der letzten Ausgabe Annekatrin Klepsch, von ihrer Sicht auf ihren Job als Dresdner Beigeordnete.
Dr. Axel Troost erklärt, weshalb er die Schriften von John Maynard Keynes als Grundpfeiler linker Wirtschaftspolitik ansieht.
Dazu gibt es Informationen von den LAGs und einen Gastbeitrag von der nordirischen Linkspartei Sinn Féin.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d
Rückblick und Ausblick
Deutscher Jagdbomber „Tornado“ - bald als Aufklärer über Syrien?
Mit Krieg wird man Terror nicht besiegen Der Kampf gegen den Terror hat in Europa einen neuen Code. Er lautet „42-7“ und aufgerufen hat ihn Frankreichs Staatspräsident François Hollande während einer gemeinsamen Sitzung der französischen Nationalversammlung und des Senats. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Artikel 42, Absatz 7 der Lissaboner EU-Verträge. Es ist ein bislang wenig beachteter Vertragsbestandteil und seine überraschende Inanspruchnahme durch Frankreich ist Teil der Reaktionen auf die mörderischen Terroranschläge mit über 130 Toten in Paris. Es ist das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedsstaat den Artikel einfordert, in dem es wörtlich heißt: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“. Ganz neu ist eine solche Formulierung allerdings nicht. Bereits in der 2011 dahingeschiedenen Westeuropäischen Union (WEU), einem 1954 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gegründeten Militärpakt zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien, den Beneluxstaaten sowie der Bundesrepublik Deutschland, gab es eine entsprechende Verabredung. Was der Artikel konkret für ein EU-Land bedeutet, ob Gremien der Europäischen Union nun
darüber befinden müssen und wenn ja, welche, und ob bzw. wie man der Bitte Frankreichs folgt, darüber tun sich derzeit mehrheitlich Fragezeichen auf. In der Bundesregierung geht man offenbar davon aus, dass die EU als Institution schon gar nicht mehr im Spiel sei, denn die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, beschied gegenüber den EU-Verteidigungsministern, dass schon mit der Bezugnahme auf 42-7 durch Präsident Hollande der Bündnisfall ohne weitere Abstimmungen eingetreten sei. Eine fragwürdige Interpretation. Selbst bei der bislang einzigen Inanspruchnahme des NATOBündnisfalls nach den Attentaten auf das World-Trade-Center und das Pentagon in den USA 2001 gab es keinen Automatismus, sondern prüfte zunächst der NATO-Rat das Vorliegen der Bündnisverpflichtungen und fasste dann einen Beschluss. Die PDS kritisierte damals die völkerrechtliche Interpretation, dass der Terrorangriff ein bewaffneter Angriff von außen auf die USA sei. Dies ist auch beim Pariser Terrorangriff zu hinterfragen. Insofern ist die von Mogherini geplante Vorgehensweise bei einer so wichtigen Entscheidung nicht zu akzeptieren. Nach den Aussagen der Bundesregierung folgt aus der Fest-
stellung des Bündnisfalles unmittelbar erst einmal gar nichts. Die Regierung Frankreichs müsste gegenüber den Mitgliedsstaaten nun bilateral aktiv werden und ihre konkreten Unterstützungsbitten formulieren. Diese können militärische Maßnahmen sein, aber eben auch andere. Und dann muss die Bundesregierung entscheiden, wie sie auf die entsprechenden Bitten reagiert. Sollten militärische Maßnahmen erwogen werden, müsste dann in jedem Fall der Bundestag beteiligt werden, ohne dessen Zustimmung kein Soldat der Bundeswehr im Ausland kämpfen darf. Über die Frage, warum Frankreich nicht den NATO-Bündnisfall, sondern den besagten EUParagrafen in Anspruch nahm, lässt sich derzeit nur spekulieren. Gut möglich, dass der Präsident, der die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats mit einem eigenen Antrag für eine gemeinsame Resolution zur Verurteilung des Terrors und den gemeinsamen Kampf dagegen gewinnen will und zu diesem Zweck nach Moskau und Washington reist, der Meinung ist, dass die Ausrufung des NATO-Bündnisfalles angesichts des schlechten Verhältnisses zwischen Russland und der NATO in eine Sackgasse führen würde. Ich würde es begrüßen, wenn statt der selbst mandatierten
„Koalitionen der Willigen“, die seit 15 Monaten unkoordiniert in Syrien und dem Irak Bomben abwerfen, unter dem Dach der UNO ein gemeinsames nachhaltiges Vorgehen gegenüber den Terroristen des IS verabredet wird. Die intensiven Gespräche zwischen Obama und Putin machen da ebenso Hoffnung wie die anhaltenden Verhandlungen in Wien zur Zukunft Syriens. Kurzfristig müssen die Finanzströme, die dem IS sein mörderisches Treiben erst ermöglichen, konsequent ausgetrocknet und ein weiterer Zustrom von Kämpfern unterbunden werden. Hierzu gibt es bereits einstimmige Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats. Die Hoffnung, mit einem gemeinsamen Bombenkrieg oder gar Bodentruppen in Syrien und dem Irak den IS nachhaltig zu vernichten, teile ich nicht, denn etliche Terrormörder sind Bürger von EU-Staaten. Nun auch noch ungefragt einen Bundeswehreinsatz anzubieten, wie es Bundestagsabgeordnete der Koalition taten, ist ein großer Fehler. Die zentrale Lehre besteht weiterhin darin, die Ursachen des Terrors und seine befördernden Elemente zu bekämpfen. Ein Krieg dagegen – so viel sollten wir aus dem letzten Jahrzehnt gelernt haben – führt nicht zum Erfolg. Stefan Liebich
Das Jahr 2015 neigt sich dem Ende. Es war ein hartes Jahr, insbesondere für jene, die für Mitmenschlichkeit, Toleranz und Frieden den Rücken gerade machen. Für Menschen wie uns. Hunderttausende kamen, weil sie vor Krieg und Terror, vor Armut und Hunger flohen. Rechtspopulisten, Rassisten und Nazis machen Stimmung gegen sie. Der Terror ist zurück in Europa und äußert sich nicht nur in islamistisch begründeten Anschlägen, sondern auch in brennenden Asylunterkünften, in Übergriffen auf Geflüchtete. Und: Deutschland ist dabei, in den nächsten Krieg zu ziehen, den man nicht so nennen dürfen soll. Es bleiben schwere Zeiten. Wir werden nicht einknicken, sondern den Rücken gerade halten. Dafür gibt es gute Gründe: Unsere Überzeugungen als SozialistInnen! Anfang November schrieb Jochen Reeh-Schall auf Facebook: „In den nächsten Wochen feiert das christliche Abendland einen ungarisch-römischen Soldaten, einen türkischen Bischof, einen aramäischen Wanderprediger, ein paar jüdische Hirten und drei persisch-arabische Sterndeuter. Man stelle sich vor, die würden als Gruppe versuchen, montags in Dresden über den Weihnachtsmarkt zu laufen“. Ich denke, dass es unsere Aufgabe bleibt, wieder dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse eines solchen Weihnachtsmarktbesuches „nur“ schöne Erinnerungen und vielleicht ein, zwei Glühwein zu viel sein würden. Ich wünsche uns allen eine erholsame Weihnachtszeit im Kreise unserer Liebsten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Sachsens Linke! 12/2015
Meinungen
Alles Kohl(e) oder was? Auf seinem Landestreffen im Oktober hat sich ADELE mit drei inhaltlichen Schwerpunkten und einem weiteren strukturellen befasst. Zuvor begrüßten wir den Chemnitzer Bürgermeister für Recht, Sicherheit und Umweltschutz, Miko Runkel. Dann ging es um Kohle und Energiewende, wozu Angela Müller die Einführung gab. Schnell waren wir uns einig, dass wir eine Neufassung der energiepolitischen Leitlinien brauchen. Deshalb wurden Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit den Fragen Energieeffizienz, Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, stoffliche Nutzung der Braunkohle und Schaffung von politischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende befassen. Bis Februar sollen erste Diskussionspapiere vorliegen, die in Workshops mit Sachverständigen und interessierten Bürgern qualifiziert werden. Dann wollen wir versuchen, unsere Vorstellungen in Partei und Gesellschaft zu diskutieren. Schon längere Zeit diskutierten wir agrarpolitische Positionen, die von Katrin Kagelmann und Sabine Kunze aus erarbeitet wurden. Auf diesem Treffen verabschiedeten wir sie und werden sie dem Landesvorstand zur Beschlussfassung und Veröffentlichung empfehlen. Ein Kernproblem, das behandelt wird, und das unterscheidet uns von den GRÜNEN, ist: Ökologische Agrarproduktion ist nicht nur in kleinbäuerlichen Strukturen möglich, sondern auch in größeren Agrarbetrieben. Deshalb setzen wir uns für die Möglichkeit von Teilumstellungen ein, dafür, dass konventionelles und ökologisches Wirtschaften in einem juristischen Betrieb möglich sein kann. In allen Agrarbetrieben muss umweltgerecht produziert werden, Tiere sind artgerecht zu halten. Auf genmanipulierte Pflanzen und Tiere ist zu verzichten. Einen breiten Raum nahm die Verkehrspolitik ein. Marco Böhme gab eine Einführung, bevor wir verschiedene Aspekte und den fahrscheinlosen ÖPNV diskutierten. Unterschiede zwischen Ballungsgebieten und dem „flachen Land“ wurden deutlich artikuliert. Wir müssen daran arbeiten, Defizite auf ver-
kehrspolitischen Gebiet abzubauen. Auch hier werden wir die Diskussion mit Wissenschaftlern und Verkehrsexperten außerhalb der Partei suchen. Eine intensive Diskussion entbrannte zum Problem, wie ehrenamtliche mit hauptamtlicher Arbeit verbunden werden können. Beklagt wurde in allen sächsischen Regionen die Tendenz einer Entkopplung. Aber gerade die Verbindung des Ehrenamts mit der Abgeordnetentätigkeit war einer der großen Vorzüge. Es wurde beschlossen, dass sich der Sprecher von ADELE an den Landesvorstand wendet, um im Landesverband die Debatte zu führen. Michael-A. Lauter, Sprecher von ADELE, der „LAG Ökologie“ der sächsischen LINKEN
Impressum
Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.
Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,
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Zu „Wir und die Flüchtlinge“ von Dr. Andreas Willnow, Links 11/2015, S. 4
Bei mir ist Andreas der „Herr Konjunktiv“, denn sowohl seine Reden als auch seine Texte enthalten die Worte „sollte, könnte, müsste“ in großer Zahl, aber nicht „ich werde“. So ist seinem Beitrag „Wir und die Flüchtlinge“ keine Handlungsempfehlung zu entnehmen, schon gar nicht sein eigener Anteil an der Lösung der Probleme. Vielmehr redet er denen das Wort, die nach Obergrenzen rufen und Integration verlangen. Nun soll er doch mal zeigen, wie ernst es ihm ist, den Flüchtlingen zu helfen und wie er das konkret macht. Ich selbst betreue eine Familie aus Indien (zwei Erwachsene, drei Kinder), die in Schkeuditz wohnt. Das heißt, dass ich die Eltern bei Behördengän-
gen begleite, den Kindern bei den Schulaufgaben helfe, allen fünf beim Erlernen der deutschen Sprache behilflich bin und mit ihnen verschiedenes unternehme. Das heißt auch, Lampen und Gardinenstangen anzubringen und der Mutter zu zeigen, wie man eine Waschmaschine bedient. Darüber hinaus bemühe ich mich, in Schkeuditz Netzwerke zu knüpfen, damit alle dort lebenden Migranten die nötige Hilfe erhalten. Einen Genossen habe ich schon gewonnen, der ebenfalls eine Familie aus Indien betreut. Unnötig zu sagen, dass das alles ehrenamtlich geschieht und viel Zeit in Anspruch nimmt. Wie sieht der Beitrag von Andreas aus? Horst Pawlitzky, Leipzig
Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus gedruckt.
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Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 04.02.2016.
Der Redaktion gehören an:
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Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias.
kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 30.11.2015
(z.B. Hetze gegen Geflüchtete und Muslime). Gleichzeitig werden AntirassistInnen im Protest gebunden und können weniger gegen institutionellen und strukturellen Rassismus in der BRD und gegen die von der BRD-Politik und -Wirtschaft erzeugten Fluchtursachen protestieren. Wir können das nur bekämpfen, wenn wir BRD und EU nicht zu positiv darstellen, berechtigte Kritik daran unterstützen, auch staatlichen Rassismus bekämpfen und die Protestierenden davon abbringen, nützliche Idioten der Herrschenden zu sein. Uwe Schnabel, Coswig
Zum Kommentar von Rico Gebhardt (Parlamentsreport 10/2015, S. 1) und zu „Bedenkliche Unwucht in der Gesellschaft“ (Sachsens Linke! 11/2015, S. 1) Auch Angela Merkel will Frontex ausbauen, Geflüchtete möglichst in Lagern in ihren Herkunfts- oder Transitländern festhalten und abgelehnte Geflüchtete schnell abschieben. Sie verfolgt somit die gleiche rassistische Politik. Dafür sollte sie nicht gelobt werden. Allerdings vertritt sie auch die Interessen der wirtschaftlich Mächtigen. Ruhe und Ordnung sollen nicht durch Übergriffe gefährdet werden. Mauern oder ähnliche Absperrungen wären sehr teuer und würden wenig bringen. Und sie muss auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Solange wir für eine positive Stimmung gegenüber Geflüchteten sorgen, übt das Druck aus. Regierung und die Mainstreammedien sind ganz froh über PEGIDA usw. So wird der berechtigte Frust der Bevölkerung über Demokratieund Sozialabbau, über Aggressionspolitik (z. B. gegenüber Russland, Auslandseinsätze), über interessengeleitete Mainstreammedien usw. in eine für die Herrschenden gewünschte Richtung gelenkt. Gefördert wird dies dadurch, dass ausführlich darüber berichtet wird, sie als regierungskritisch dargestellt werden und ihnen weitestgehend Recht gegeben wird
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Hier spricht die Belegschaft
Amazon und die Methoden des Union Busting teilungsmeetings behauptet, dass technische Störungen und Ähnliches eine rechtzeitige Auslieferung aller Pakete verhindert hätten. Das Thema Gewerkschaft und Streik zu ignorieren, ist während des Weihnachtsgeschäftes natürlich nicht möglich, da Journalisten schon mit Aktionen seitens der Gewerkschaft rechnen. Hier wird dann versucht, den Medien ein positives Bild von sich selbst zu vermitteln, und auch das Versprechen, alle KundInnen rechtzeitig zu beliefern wird Mantra-artig wiederholt. Es wird darauf hingewiesen, dass man genügend Saisonkräfte eingestellt habe, um mit
einem hohen Bestellvolumen umgehen zu können. Diese Aussage trifft aber nur bedingt zu. Sicher, die vielen Saisonkräfte verrichten gute Arbeit und können das sogenannte Standardvolumen rechtzeitig verschicken. Standardvolumen meint die Bestellungen von KundInnen, die keinen Premium- bzw. Prime-Account besitzen. Hierfür gibt Amazon auf seiner Internetseite auch eine größere Lieferspanne an. Das kritische Bestellvolumen ist aber das der Prime-Kunden. Dieses wiederum wird vornehmlich von festangestellten MitarbeiterInnen bearbeitet, eben jenen MitarbeiterInnen, die sich an den Streiks beteili-
gen. Prime-Bestellungen können bis zu anderthalb Stunden, bevor der LKW das Betriebsgelände verlässt, aufgegeben werden. Ein knapper Zeitraum also, bei dem jeder Handgriff sitzen muss. Daher werden auch hauptsächlich Festangestellte mit der Bearbeitung dieser Artikel betraut. Sind allerdings Streiks angesetzt, so konnte schon beobachtet werden, dass die Verfügbarkeit eines Artikels plötzlich eingeschränkt war und das Lieferversprechen auf der Seite von vornherein verlängert wurde, nur um später zu behaupten, man habe sich an das eigene Versprechen gehalten. Die interne Kommunikation hat
Bild: Don-kun/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0
Der Weltmarktführer im Onlinehandel Amazon ist bekannt für sein aggressives Verhalten gegenüber Gewerkschaften in Allgemeinen und aktiven GewerkschafterInnen im Betrieb. Dieses Phänomen wird als Union-Busting (engl. Gewerkschaftszerschlagung) bezeichnet. Hierfür hat der Konzern eigene Strategien, für die er große Mühen und viel Geld aufwendet. Dabei unterscheidet er nach innen und nach außen gerichtete Maßnahmen. Erstere zielen auf Amazon-MitarbeiterInnen ab, die nach außen gerichteten Maßnahmen betreffen hingegen Medien und Werbung. Dabei gibt es durchaus Schnittmengen. Letztere ist immer dann zu beobachten, wenn gestreikt wird. Hierbei muss wiederum zwischen Streiks innerhalb und außerhalb des 4. Quartals unterschieden werden. Je nachdem ändern sich Sprache und Verhalten Amazons. Bei Arbeitsniederlegungen während der ersten drei Quartale versuchte Amazon, diese den Medien gegenüber komplett zu ignorieren. Ähnliches gilt für die interne Kommunikation. Innerhalb des Streikzeitraumes wird versucht, auf das Thema nicht einzugehen. Hierbei hat Amazon gelernt. Bei den ersten Streiks wurde bei Ab-
sich aber auch für das Weihnachtsgeschäft geändert. Während in den vergangenen Jahren immer betont wurde, dass man sich von den Störungen außerhalb der Hallen nicht beeinflussen lasse, versucht man jetzt, die streikenden MitarbeiterInnen dazu zu bewegen, sich nicht an weiteren Aktionen zu beteiligen. Daher wird an vielen Standorten eine „Anwesenheitsprämie“ von maximal 200 € in den beiden Wochen vor Weihnachten ausgelobt. Diese bekommt aber nur, wer in diesem Zeitraum weder krank ist noch Urlaub hat. Letzteres ist ohnehin nicht möglich, da eine Urlaubssperre für den Monat Dezember verhängt wurde. Daher ist diese Prämie als Streikbrecher-Zahlung zu werten. Denn wäre es das nicht, könnte man diese Summe auch gleich mit dem Lohn überweisen. Diese Zahlung beweist einerseits, dass die Streiks Wirkung zeigen, ansonsten müsste das Unternehmen nicht zu solchen Mitteln greifen. Andererseits zeigt die angekündigte Prämie auch, dass die Streikenden wichtig für das operative Geschäft sind. Schade ist dabei nur, dass man sie nicht als gleichberechtigte Verhandlungspartner ansieht. Christian Rother • @CrissyLibertas • on.fb.me/1PQfCl7
Begegnungen in der Ukraine Vom 5. bis 15. November bereiste eine kleine Delegation, bestehend aus zwei Mitgliedern des Teams um die Landtagsabgeordnete Anja Klotzbücher (Björn Reichel, Jakob Lenk) und Boris Krumnow als Vertreter der Rosa Luxemburg Stiftung, die Ukraine. Ziel war es, mit verschiedenen linken Organisationen in der Ukraine in den Austausch zu treten und Möglichkeiten einer weiteren Vernetzung auszuloten. Wir wollten wissen, wie die Situation für linke Aktivistinnen und Aktivisten im zweitgrößten Land Europas ist, was ihre Positionen sind, wofür und wogegen sie aktiv sind. Der bereits bestehende Kontakt zu der Parteieninitiative „Sozialnij Ruch“ bildete dabei die Basis. Dieser Initiative galt unser ganz besonderes Interesse, denn ihr vorläufiges Parteiprogramm mit erklärten Zielen wie der Entflechtung von Wirtschaftsvertreter*innen und Politik, Entmachtung von Oligarchen oder der radikalen Stärkung von Arbeitnehmer*innenrechten liest sich zukunftsgewandt und modern. Auch die Gleichstellung aller Menschen unabhängig ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Herkunft
ist ein wichtiger Punkt in dem Programm. Schon allein damit hebt sich die Initiative von allen bestehenden Parteien der Ukraine ab. Bereits das Treffen mit einem Vertreter der Initiative am Abend des ersten Tages verlief angeregt und freundschaftlich. Der 6. November markierte dann den wirklichen Beginn unserer Zeit in der Ukraine. Die hielt eine Menge interessanter Treffen, Gespräche und Ereignisse bereit. In den folgenden acht Tagen konnten wir einen breiten Einblick in das Spektrum linker und emanzipatorischer Bewegungen innerhalb der Ukraine gewinnen. Wir durften an der nationalen Konferenz fast aller LGBT-Organisationen der Ukraine teilnehmen, trafen Vertreter*innen freier Gewerkschaften in Dnepropetrovsk und Krivoj Rig oder Aktivist*innen linker Kultur in Zhitomir. Alle Treffen und Eindrücke im Einzelnen wiederzugeben, ist angesichts ihrer Dichte schlicht unmöglich. Allen gemein war jedoch stets ein äußerst interessierter und häufig herzlicher Austausch. Wir trafen überall auf Menschen, die trotz schwieriger Verhältnisse ein beeindru-
ckendes Maß an Engagement beweisen. Unabhängig davon, mit wem wir uns trafen, wurde in jedem Gespräch deutlich, dass spätestens seit der Maidan-Revolution ein rechter Konsens innerhalb der ukrainischen Bevölkerung herrscht. Linke, emanzipatorische Ideen sind momentan alles andere als beliebt. Besonders Aktivist*innen aus der Queer-Bewegung sind davon stark betroffen und handeln in eher kleinen, teilweise versteckten Kreisen. Sowohl auf der LGBT-Konferenz als auch in den beiden Queerhomes, die wir besuchten, wurde uns von gewalttätigen Übergriffen auf Aktivist*innen berichtet. Die Vorurteile gegenüber allen von der heteronormativen Sexualität abweichenden Orientierungen oder Neigungen in der Ukraine sind gravierend. Insofern könnte die tatsächliche Parteigründung von Sozialnij Ruch einen entscheidenden Beitrag zum Abbau der Stigmatisierung von LGBTMenschen leisten, wäre es doch die erste Partei, die Menschen mit queeren Identitäten Platz bieten würde. Besonders interessant für uns waren auch die Treffen mit den Vertreter*innen freier Ge-
werkschaften in Krivoj Rig und Dnepropetrovsk, die von monatelangen Kämpfen darum zu berichten wussten, dass überhaupt Lohn gezahlt wird oder seit Jahren gültige Gesetze zum Arbeitsschutz in Bergwerken umgesetzt werden. Beeindruckt hat uns unter anderem ihr Mut, inmitten der fortgeschrittenen Maidan-Proteste mit offenkundig linken Forderungen aufzutreten. Auch hier wurde einmal mehr deutlich, wie dringend notwendig eine soziale, linke Partei in der Ukraine ist. Bisher sind alle Versprechen aus den etablierten Parteien, die Lebensbedingungen Arbeitender zu verbessern oder
die Macht von Oligarchen einzudämmen, nur Versprechen geblieben. Keine/r unserer Gesprächspartner*innen äußerte großes Vertrauen oder Sympathie für sie. Zurückgekommen sind wir mit vielen positiven Eindrücken und aussichtsreichen Kontakten. Wir bedanken uns bei allen Menschen, die uns eingeladen und empfangen oder uns auf unserer Reise begleitet haben und wünschen ihnen viel Durchhaltevermögen und Erfolg in ihren Kämpfen. Es gibt sie, die linken Strukturen in der Ukraine, wünschen wir ihnen eine gute Genese und uns einen Ausbau der Zusammenarbeit. Jakob Lenk
Jahrestreffen der LAG Frieden und Internationale Politik 19. Dezember 2015, Restaurant „Aufgehende Sonne“, Ossietzkystraße 1, 04347 Leipzig (erreichbar mit Straßenbahn-Linie 1, Haltestelle Gorkistraße/Ossietzkystraße) 12:00 Uhr Auftaktreferat Tobias Pflüger, stellvertretender Parteivorsitzender: „Die Linke und die friedenspolitischen Herausforderungen 2016“ mit Debatte 18:00 Uhr Filmvorführung „Ich war Neunzehn“ (DEFA 1968), anschließend Diskussion „Deutschland, Russland und der Frieden, 1945-2015“ mit Wolfgang Gehrcke, Leiter des Arbeitskreises Internationale Politik der Bundestagsfraktion, und Irina Liebmann (Schriftstellerin, Berlin/Moskau)
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Auf zu neuen Ufern (II) – Dr. Kristin Kaufmann Kevin Reißig sprach für „SachsensLinke!“ mit der Geografin und Dresdner Stadträtin Dr. Kris Kaufmann, die nun Beigeordnete für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wohnen der Landeshauptstadt Dresden ist. Welche Gefühle beherrschen Dich gerade, wo doch Dein neuer Lebensabschnitt startet? Worauf freust Du Dich, was wirst Du möglicherweise vermissen? Ich bin euphorisch und voller Tatendrang. Die unglaubliche Bandbreite der Aufgaben und Herausforderungen ist überwältigend. Dabei reizt mich am meisten, dass ich nun direkt gestalten, sprich Probleme unmittelbar anpacken kann. Manchmal vermisse ich die Zeit, in der ich nur einfache Akteurin war und beispielweise in Sitzungen problemlos eine SMS absenden konnte. Die Zeiten sind vorbei. Was nimmst Du Dir vor, um im Rahmen Deiner Zuständigkeit gegen das aktuelle Chaos bei der Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen ankämpfen zu können? Alle meine KollegInnen sind Lernende. Wir geben unser Bestes, in einem ersten Schritt Menschen ein Dach über den Kopf zu geben. Strukturen der
Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung, aber auch in und mit der Zivilgesellschaft funktionieren glücklicherweise immer besser. Das Denken in Prozessen, in Lösungsoptionen und wechselseitiges Vertrauen sind hier ganz wichtig. Gleichzeitig bin ich aber auch dabei, das Thema sozial-gesellschaftliche und berufliche Integration anzudenken, und dem Thema „Sozialer Wohnungsbau“ ein neues Gesicht zu geben. Nicht zuletzt durch „Pegida“ hat der Ruf Dresdens nachhaltigen Schaden erlitten. Welchen Handlungsauftrag leitest Du für Dich aus dieser Tatsache ab? Wie geht man mit Menschen um, die in einer Art Röhrenlogik denken und außer mit wilden Parolen und Schimpftirade auch nach einem Jahr nicht genau sagen können, was ihr legaler Lösungsansatz ist – mal abgesehen von „Wir sind das Volk“, „Die anderen sind schuld“ und „Ausländer raus“? Mein Handlungsansatz ist ziemlich schlicht: Handeln, und damit auch indirekt den Gegenbeweis zu vielen Behauptungen erbringen. Natürlich ist eine soziale Integration von heute noch Fremden machbar – es gibt tau-
send gute Beispiele. Natürlich kann sozialer Ungleichheit begegnet werden. Natürlich habe ich vor, sozialen Mietwohnraum zu schaffen. Und natürlich gibt es nicht überall eitel Sonnenschein. Mein Ziel ist damit auch der ko l l e k t i ve Beweis, dass Dresden viel sozialer ist und sein kann als sein aktueller Ruf.
Was willst Du am Ende Deiner Amtszeit auf jeden Fall erreicht haben? Und wie willst Du diese Ziele verfolgen? Ich will an einer Stadt Dresden mitwirken, die nicht zu allererst stolz ist auf ihre Vergangenheit und die wieder richteten Gebäude des Absolutismus, sondern auf ihre Stärke, die durch Vielfalt, Kreativität und Offenheit geprägt ist. Das hießt
Strukturen und Netzwerke der Unterstützung und Selbsthilfe stärken, präventive und integrative Angebote zum nachhaltigen Gegensteuern von Fehlentwicklungen erarbeiten. In sieben Jahren haben wir zwei starke kommunale Krankenhäuser und den öffentlichen Gesundheitssektor gestärkt, verfügen wieder über sozialen Wohnungsbau, über viele fröhliche und gut betreute Babys, Kinder und Jugendliche samt ihren Eltern und Großeltern. Haben generationen- und kulturenübergreifende Begegnungsmöglichkeiten in allen Quartieren und denken anders über das Altern und sogenannte Behinderungen nach als heute. Auch wenn ich diese Ziele zwar allein definieren kann, werde ich sie definitiv nicht allein erreichen. Selbst der kleinste Erfolg ist teilbar. Selbst das größte Problem ist lösbar. Was erwartest Du in Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister? Mit dem Stadtrat erwarte ich mir eine konstruktivkritische und lösungsorientierte Zusammenarbeit, vom Oberbürgermeister eine überparteiliche Amtsführung, die sich durch Transparenz und Weitsicht auszeichnet.
Der alte Neue, sächsische Eierschecke und ein linkes Wahlprogramm „Rückkehrergedanken“ MdL Heiko Kosel
von
Rückkehrer sind in Sachsen gegenwärtig ziemlich angesagt. Jeder will sie haben und wirbt um sie: Die IHK, die Gewerkschaften, die Landkreise und auch die Staatsregierung – letztere sogar mit Eierschecke für sächsische Westpendler. Dabei geht es aber nicht nur um das Füllen demografischer Lücken, sondern vor allem um den Nutzen aus den Kompetenzen, die sich Rückkehrer jenseits des „sächsischen Tellerrands“ zusätzlich zugelegt haben. Mit der Annahme des freigewordenen Landtagsmandats am 13. November bin auch ich in gewissem Sinne ein „Rückkehrer“. Sind politische Rückkehrer ebenfalls gewollt und umworben? Gibt es Eierschecke? Oder gilt im politischen Raum gar das Prinzip: „Nachzügler – hinten anstellen und
nehmen, was übrig ist?“ Und wenn ja, ist das auch bei den LINKEN so? So interessant diese Fragen auch seien mögen; produktiv sind sie eher nicht. Produktiv ist allerdings die Frage: Was können Fraktion, Partei und vor allem Wählerinnen und Wähler von mir als alt-neuem Landtagsabgeordneten mit Recht erwarten? Die erste Antwort fällt zunächst kurz aus – den maximalen und effektivsten Einsatz für die Verwirklichung unseres Landeswahlprogramms von 2014. Konkret heißt das für mich, dass ich auf den Politikfeldern arbeite, bei denen ich mit meinen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten am nachhaltigsten innerhalb unserer Fraktion für die Umsetzung des Wahlprogramms wirken kann. Da fallen zwei Themen besonders ins Auge: Die Europapolitik und die Minderheitenpolitik.
Die zentrale minderheitenpolitische Herausforderung bezieht sich in Sachsen auf die „Ureinwohner“ dieses Landes – die Sorben. Hier kann ich als sorbischer Abgeordneter in und für unsere Fraktion das Prinzip der authentischen Selbstvertretung und der Mitund Selbstbestimmung für das sorbische Volk – beides Grundprinzipien, zu denen wir uns nicht nur im Wahlprogramm 2014, sondern auch in unserer Landes- und Bundessatzung und im Erfurter Programm bekannt haben – glaubhaft vertreten. Aktuelle Aufgabenstellungen aus unserem Wahlprogramm sind u.a. der Schutz vor sorbenfeindlichen Straftaten, der Teuerungsausgleich für die „Stiftung für das sorbische Volk“ und Verbesserungsbedarf im sorbischen Schulwesen, z. B. bei der Schülerbeförderung. Außerdem enthält unser Wahlprogramm das Versprechen,
uns im Landtag für eine Novellierung des Sorbengesetzes einzusetzen. Hierzu habe ich im Frühjahr 2014 bereits fraktionsübergreifende Vorarbeit geleistet, an die angeknüpft werden kann. Die Europapolitik hat in unserm Wahlprogramm 2014 ein erhebliches Gewicht. Die Kernaussagen lauten: „Sachsen in Europa – ein weltoffenes Sachsen“, „Europäische Fördermittel sinnvoll, nachhaltig und unbürokratisch nutzen“, „Für lebendige Grenzregionen mit Polen und Tschechien“, und „Verstärkung der Kooperation der Linken in Europa“. Zur Umsetzung sind interkulturelle Kompetenz und die Kenntnis der verschiedenen europapolitischen Ebenen und Perspektiven nötig. Neben Kenntnissen aus fünfzehn Jahren Europapolitik im Sächsischen Landtag – unter Einschluss der Kooperation mit polnischen
und tschechischen Partnerfraktionen – kann ich die aktuellen Erfahrungen als ehrenamtlicher Berater des Landeshauptmanns der Region Ústí, aus fast einjähriger europapolitischer „Regierungserfahrung“ als Referent der Brandenburger Linksfraktion für Europapolitik, EUFörderung und Entwicklungspolitik und als Mitglied der Delegiertenversammlung sowie des Lenkungsausschusses für Kleinprojekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Euroregion Neiße in eine linke Europapolitik einbringen, die die Staatregierung auf neue Weise herausfordern könnte. Auch die Alltagsperspektive aus meiner grenzüberschreitenden Anwaltskanzlei im Dreiländereck halte ich hierzu für hilfreich. Damit möchte ich meine „Rückkehrergedanken“ – zunächst – beenden.
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Aus Antifa wird Antifra LAG Antifaschistische Politik benennt sich um Eigentlich war es schon lange überfällig. Doch manchmal brauchen Dinge eben ihre Zeit. Bereits die Ereignisse um das Terrornetzwerk NSU hatten deutlich gemacht, dass die zu Beginn der neunziger Jahre ein-
setzende Aufspaltung einer bisher einheitlichen Bewegung in „Antifaschismus“ einerseits und „Antirassismus“ andererseits dazu geführt hatte, dass Zusammenhänge aus dem Blick gerieten. Die einen unterstützten die angegriffenen und Terror ausgesetzten Flüchtlinge, die anderen betrieben weiterhin ihre Recherchearbeit in der extremen Rechten und versuchten, die Dominanz der Neonazis auf der Straße und das Entstehen „national befreiter Zonen“ zu verhindern. Die eine Seite verlor ihre Fachkenntnis über die Net z werke am rechten Rand, die andere weitgehend ihren Kontakt zu migrantischen Gruppen. In Zeiten von PEGIDA und Co., einer explosionsarti-
gen Zunahme von Angriffen auf Geflüchtete, deren Unterkünfte und Unterstützer, der neuerlichen Aktivität vieler Nazis von damals gibt es also Grund genug, den Fehler zu revidieren. Eigentlich, so die einhellige Meinung beim Jahrestreffen der bisherigen LAG Antifaschistische Politik, wäre es auch notwendig, eine enge Verbindung zum Arbeitsbereich „Bürgerrechte und Demokratie“ herzustellen. Denn: wohl nirgends in Deutschland werden die Rassisten bei ihren öffentlichen Auftritten von der Polizei so zuvorkommend behandelt wie in Sachsen. Gleichzeitig schreitet der Grundrechteabbau durch den Staat voran. Zunächst ist es nicht mehr als ein Zeichen, wenn die Landesarbeitsgemeinschaft der LINKENSachsen sich künftig „Antifaschistische und antirassistische Politik“ nennt. Ein überfälliges Zeichen. Eines, das auch in der konkreten Arbeit der LAG seinen Niederschlag finden soll. Mitstreiter*innen sind natürlich willkommen. Wer mitmachen will, kann sogar gewinnen – natürlich etwas zum Thema. Interessierten stehen insgesamt fünf Karten für Max Frischs Stück „Graf Oederland“ zur Verfügung, das unter der Regie von Volker Lösch im Staatsschauspiel Dresden gegen PEGIDA aufgeführt wird. Anfragen an: juliane. nagel@slt.sachsen.de
Decken und Brennholz für Roma im Kosovo Jedes Jahr werden weit über 500 Roma aus Deutschland in den Kosovo abgeschoben. Dort warten auf diese Menschen häufig Obdachlosigkeit, Diskriminierung auf allen Ebenen und ein kaum vorstellbares Massenelend. Die meisten leben durchschnittlich mit 0,60 € pro Tag. Es gibt keine Krankenversicherung, die Lebenshaltungskosten sind mit denen in Deutschland vergleichbar. Der größte RomaSlum im Kosovo befindet sich in Fushe Kosove nahe der Hauptstadt Prishtina. Viele Bewohner haben kein Dach über dem Kopf, andere wiederum in ihren Häusern keinen Wasser- und Stromzugang sowie keine Möglichkeit zum Heizen. Die Winter im Kosovo sind jedoch sehr kalt, weshalb die abgeschobenen Roma und ihre Familien vor Ort auf Decken und Brennholz angewiesen sind. Der Verein „Verantwortung für Flüchtlinge e.V.“ und Genoss*Innen von DIE LINKE engagieren sich bereits seit vielen Jahren in Fushe Kosove, um den Menschen vor Ort konkret zu helfen (z.B. Ergin Alija: www.youtube.com/ watch?v=UQ2Qyj8LBxc). Im Rahmen einer Balkantour über Weihnachten, bei der unser Verein einige Projekte auf dem gesamten Westbalkan besucht und weiter vorantreibt, möchten wir in Fushe Kosove Brenn-
holz für den Winter ausgeben. Deshalb kann man für 95,00 € eine Patenschaft für eine Romafamilie übernehmen. Das reicht einer Familie in Fushe Kosove aus, um Brennholz für den kalten Winter zu kommen. Wer eine solche Patenschaft übernehmen möchte, kann den Betrag bis zum 15. Dezember auf das folgende Konto überweisen: Verantwortung für Flüchtlinge e.V., Sparkasse Leipzig. Kontonummer: 1090088457; BLZ: 86055592; IBAN: DE26860555921090088457, Verwendungszweck: Brennholz Das Brennholz werden wir im Kosovo kaufen und in Fushe Kosove den Familien überreichen. Ebenso verteilen wir Decken und Winterkleidung für die Roma. Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr den Kontakt zu Eurer Patenschaftsfamilie bekommen, um diese eventuell auch weiter unterstützen zu können. Vielen Dank! Verein „Verantwortung für Flüchtlinge“
Einladung Am 8. Januar 2016 lädt Horst Wehner, MdL, um 15 Uhr zur Eröffnung seines neuen Bürgerbüros nach Kirchberg, Bahnhofstraße 5, ein.
Seniorinnen & Senioren: a. D. = außer Dienst? Alt und doof? Im Frühjahr 2013 trafen sich in Borna etwa 20 Genossen mit der Absicht, die Arbeitsgruppe „Senioren Westsachsen“ zu gründen. Anlass waren die anstehenden Wahlkämpfe der Jahre 2013 und 2014. Wir nahmen uns vor, dafür und besonders für die Wahl des Landtages Material für Themen zu erarbeiten, die im Leben unseres Landkreises, besonders für Seniorinnen und Senioren, eine herausragende Bedeutung haben. Wir wollten dazu auch im gesamten Landkreis Veranstaltungen organisieren. Wir einigten uns auf die Bereiche Demografischer Wandel – Lebenssituation, Einkommen, Gesundheit (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheke), Pflege (Behinderung, Pflegestufe, Art der Pflege), Mobilität und Teilhabe (eigenes Fahrzeug, Nutzung des ÖPNV, Mitfahrgelegenheiten, Beförderungsmöglichkeiten durch Gemeinde), Infrastruktur (Behördengänge, Einkaufsmöglichkeiten, Geld, Vereine), Beteiligung am Gemeindeleben/ Kultur (Vereine, sportliche/kulturelle Veranstaltungen, Kommunalvertretung). Um die tatsächlichen Proble-
me zu erfassen, organisierten wir gemeinsam mit den Ortsverbänden zunächst eine Fragebogenaktion. Etwa 200 Menschen nahmen daran teil. Leider gelang es uns kaum, in die kleinen Strukturen vorzudringen. Die meisten Teilnehmer kamen aus den Städten wie Borna, Grimma, Wurzen, Markleeberg, Markranstädt. Die kleinen Ortsteile und Gemeinden wurden fast nicht erfasst. Dies hing auch mit der Mitgliederstruktur unsere Partei zusammen, die kaum noch in diesen Gliederungen vertreten ist. Trotzdem kamen wir zu sehr interessanten Erkenntnissen und beschlossen nun, Veranstaltungen zu den aufgeworfenen Fragen zu organisieren. Unser Ziel war es, aus den Vorträgen und Diskussionen konkrete Problemfelder aufzugreifen, um die Arbeit der Kreistagsfraktion und unserer kommunalen Abgeordneten zu unterstützen. Bei der Organisation und vor allem bei der Durchführung halfen uns viele GenossInnen aus dem Kreis und dem Landtag. Folgende Veranstaltungen haben wir durchgeführt: Die Auftaktveranstaltung fand am
17.06.2013 in Borna zum Thema „Leben von Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum“ statt. Dr. Dietmar Pellmann hielt das Referat. Er stellte die Große Anfrage der Landtagsfraktion und die Antwort der Landesregierung zu diesem Thema vor. Im Juli führten wir die gleiche Veranstaltung nochmals in Wurzen durch, um auch den GenossInnen und SympathisantInnen des nördlichen Teils unseres Landkreises die Möglichkeit zu geben, die Thematik kennenzulernen. Die zweite Veranstaltung führten wir am August 2013 zum Thema „Arbeit – Einkommen – Rente“ in Wurzen durch. Hier sprach unser Bundestagsabgeordneter Dr. Axel Troost. Die dritte Veranstaltung fand im Oktober 2013 in Grimma zum Thema „Gesundheit – Medizinische Vorsorge – Pflege“ unter Mitwirkung der Landtagsabgeordneten Kerstin Lauterbach und Dr. Dietmar Pellmann statt. Im Januar 2014 trafen wir uns mit Mitgliedern und Sympathisanten in Neukieritzsch zum Thema „Seniorengerechtes Wohnen“. Enrico Stange sowie
der Geschäftsführer und die Managerin der Bornaer Wohnungsund Siedlungsgenossenschaft gaben eine solide Grundlage für die Diskussion. Ende Januar holten wir die verlegte Veranstaltung zum Thema „Infrastruktur und Mobilität“ in Geithain nach. Die Mitglieder des Landtages Enrico Stange und Horst Wehner referierten und der Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verkehrsverbundes und gaben einen fundierten Überblick zum Stand und der geplanten Entwicklung des ÖPNV in unserer Region. Im Februar 2014 diskutierten wir in Naunhof gemeinsam mit Prof. Peter Porsch, Dr. Volker Külow und der Böhlener Bürgermeisterin Maria Gangloff (DIE LINKE) zum Thema „Kultur ist Pflichtaufgabe im Land Sachsen – auch für Seniorinnen und Senioren?“. Die nächste Veranstaltung fand im März 2014 im Mehrgenerationshaus in Markranstädt zum Thema „Wie kommen Seniorinnen und Senioren an ihr Geld und wie können sie es ausgeben?“ statt. Die angekündigten Referenten der Landtagsfraktion Enrico Stange und
Klaus Tischendorf sowie Katharina Landgraf CDU/MdB waren dienstlich verhindert, so dass wir mit Prof. Peter Porsch und dem Geschäftsführer der Volksbank im Landkreis eine rege Diskussion führten. Die Abschlusskonferenz, in der wir versuchten, die Erkenntnisse unserer Veranstaltungen zusammenzufassen, fand am 23.04.2014 in Borna statt. Heidemarie Lüth und Dr. Dietmar Pellmann stellten unsere Erkenntnisse vor. Anschließend kam es zu einer regen Diskussion. Zu den einzelnen Themen hat unsere Arbeitsgruppe Zusammenfassungen nach folgendem Schema erarbeitet: Schlussfolgerungen für die Arbeit im Bund, im Land, im Kreis, in der Kommune. Wir sehen unsere Aufgabe vor allem darin, die Arbeit unserer Abgeordneten auf kommunaler Ebene zu unterstützen. Dafür treffen wir uns zweimal jährlich mit der Kreistagsfraktion und beraten z. B. gemeinsam, welche konkreten Anfragen an den Landrat und die Kreisverwaltung gestellt werden. Karin Brummer, AG Senioren Westsachsen
Sachsens Linke! 12/2015
Jugend
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Vollversammlung der Linksjugend [´solid] Sachsen Ende Oktober fand das Landesjugendplenum (LJP) der Linksjugend in Oschatz statt. Neben Debatten über innerverbandliche Streitthemen standen unter anderem eine Nachwahl sowie zahlreiche Gremienneubesetzungen an, wie beispielsweise des Beauftragtenrates (oberstes Koordinationsgremium). Das Wochenende endete in einer phänomenalen Wahlkampfdankeschönparty der jungen Mitglieder des Landtages Anja und Marco. Noch am Freitag, nach Konstituierung und Wahl der Kommissionen, bestand die Möglichkeit für die Ortsgruppen, sich und die eigene Arbeit vorzustellen. Auffallend und von Jahr zu Jahr verstärkt ist ein Wegfall von Teilnehmer*innen ländlicher Ortsgruppen zu vermerken. Immer mehr Linksjugendliche ziehen aufgrund der unangenehmen und oft rassistisch geprägten Landbevölkerung, wie auch besserer Verkehrsanbindung und Altersgruppen-bezogenen Angeboten in Großstädte, wo sie viel mehr auf Gleichgesinnte stoßen. Wie vernetzen wir uns also zukünftig mit dem ländlichen Raum? Noch am gleichen Abend wurde die neue Landeskassenprüfung mit Marlen und Rico besetzt, sowie die Landesschiedskommission mit Cori, Nele, Max und Tilman. Herzlichen Glückwunsch, und möge der Jugendverband nicht allzu sehr auf den Putz hauen, sowie euch Arbeit verursachen. Am Abend stand noch eine Überraschung auf dem Plan: Es
wurde „1, 2, oder 3“ gespielt. Peinlich, aber wahr: Offensichtlich wussten nur wenige Teilnehmer*innen tatsächlich auf die Frage, wofür der Name [´solid] steht, zu antworten (zur Auflösung: sozialistisch, links, demokratisch), präferiert wurde die Antwort: solidarisch, links, demokratisch. Am darauffolgenden Tag stand die Wahl zur Schatzmeister*in an. Hierbei wurde Marie mit 81,6 % gewählt. Der neue Beauftragtenrat (Foto) setzt sich für die kommende Legislatur von zwei Jahren wie folgt zusammen:
satzdelegierten zum Länderrat. Gewählt wurde William. Herzlichen Glückwunsch! Ein weiterer Tagesordnungspunkt war unsere erste Workshopphase mit innerverbandlichen Themen, die schon immer Diskussionspotential mit sich brachten. Beispiele: Awareness, Schwangerschaftsabbruch, wie auch Gendern; mit einem Pro- und Kontra-Input ging es ins Gespräch. Haben einige doch hier hitzige Debatten erwartet, so blieb es überraschend ruhig, wenngleich konträre Meinungen gegeben
führung in das Versammlungsrecht gewidmet. Als Anträge gingen zwei fristgerecht ein. Es wurde eine Handreichung als Leitfaden für kommende BuKo(Bundeskongress-)Delegierte verabschiedet. Ein weiterer Antrag stellte die Gründung des Regionalverbandes Sächsische Schweiz/Osterzgebirge dar, er konnte aber aufgrund formaler Fehler nicht abgestimmt werden. Eine Ermutigung jener Ortsgruppen, die den Antrag einbrachten: Nehmt das auf dem kommenden LJP im Frühjahr erneut in Angriff.
Kein Begriff scheint dieses Jahr so omnipräsent zu sein wie Prekarität. Egal ob die Rede ist von Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Empfänger_innen, von Streiks bei Amazon oder von Stadtentwicklung und Verdrängung: In all diesen Bereichen spielt der Begriff eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig meint er noch viel mehr: Er transportiert im Gegensatz zum „Proletariat“ vor allem eine subjektiv empfundene Lage der Unsicherheit und völligen Abwesenheit von Planungssicherheit. Er bezeichnet damit einen Alltag, die gesamte Lebenserfahrung jener, die prekarisiert werden. Vom 12. bis 15. November fanden Workshops, Seminare, Konzerte und Lesungen statt, die sich dem Thema prekärer Lebensverhältnisse nähern
Termine 04.12, 19:00 Uhr: Vorgeschichte und Geschichte der LGBTIQ*-Bewegung in Russland. Wo? linXXnet, Bornaische Straße 3d, Leipzig. Für weitere Informationen schau unter http://gleft.de/15H! 05.12., 20:00 Uhr: Benefizkonzert für Flüchtlinge in Freiberg und Umgebung. Wo? TeeEi, Untermarkt 5, Freiberg. Für weitere Informationen schau unter http://gleft.de/15L! 05.12., 14:00 Uhr: Aktionstag gegen Antisemitismus ... gute und interessante Vorträge und am Abend wird getanzt! Wo? D5 Wurzen, Domplatz 5, Wurzen. Für weitere Informationen schau unter http://gleft. de/15M!
Franzi (Dresden), Josi (Pirna), Lisa (Dresden), Mona (Dresden), Anton (Dresden), Daniel (Naunhof), Florian (Dresden), Marius (Chemnitz), Paul (Plauen) und wie bereits erwähnt Marie (Dresden) als Schatzmeisterin. Des Weiteren erfolgte ein Wahlgang zur Benennung eines Er-
waren. Das gute Diskussionsklima bot Raum für weitere Ideen zur künftigen gemeinsamen Arbeit und zur Entwicklung von Gedanken. In der zweiten Workshopphase wurde sich den Themen Schwangerschaftsabbruch, Hochschulpolitik sowie Ein-
Am Abend fand die Verabschiedung unseres langjährigen Jugendpolitischen Sprechers (JuPo) Tilman statt. Mit der Übergabe eines hollywoodreifen linksjugend-exclusive Filmplakats werden wir Tille künftig in seiner Karriere als Filmstar begrüßen. Und am Abend? Am
Prekarität & Alltag Mehrtägiger Kongress zu prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen im Leipziger Westen
Abend brachten wir die Verhältnisse zum Tanzen! Trotz Feiertag, so muss das sein! Lisa Becker und Marius Neubert
wollten. Die 18 Veranstaltungen reichten vom „satirischen Abend mit Konzert“ zu Thomas Ebermanns „Firmenhymnen“ im Institut für Zukunft bis zu Diskussionen zur Rolle der Gewerkschaften und den Ansätzen zur Selbstorganisation Prekarisierter wie im Berliner Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ oder dem Leipziger Streiksoli-Bündnis. Insgesamt diskutierten etwa 50 junge Menschen die Thesen und Ansätze. Zwei vertiefende Workshops folgten am Wochenende vom 27. bis 29. November im INTERIM, in denen die Themen weiter aufgegriffen wurden. Wie sind Arbeitskämpfe in Zeiten wegfallender Bindung an Arbeitsorte oder -gerätschaften für das Heer der prekären Freelancer überhaupt noch möglich? Wie kann der ganz alltäglichen Prekarität begegnet werden, die die übergroße Mehrheit Jugendlicher und junger Erwach-
sener bereits heute ganz selbstverständlich betrifft? Vom Kongress bleiben wenig Antworten und Gewissheiten, vielmehr stellen sich Fragen und Aufgaben, auch für die konkrete Vernetzungsarbeit linker Akteur_innen in Sachsen und Leipzig. Wir als Akteur_innen der linksjugend Sachsen haben – gemeinsam mit den Genoss_innen aus außerparlamentarischen linken Gruppen
– vor allem Hausaufgaben mitgenommen, die jedoch auch unsere Möglichkeiten als Jugendverband allein weit übersteigen. Allein deshalb wird der Umgang mit prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen in der linksjugend Sachsen ein wichtiges Thema für das Jahr 2016 bleiben. Steffen Juhran Zeitnah finden sich Mitschnitte auf www.prekaritätundalltag.de
05.12 – 06.12, 11:00 Uhr: Veganer Wintermarkt. Wo? AZ Conni, Rudolf-Leonhard Straße 39, Dresden. Für weitere Informationen schau unter http:// gleft.de/15N! 10.12., 18:00 Uhr: Podiumsdiskussion „Prekäre Beschäftigung – gute Pflege?“ mit Sabine Zimmermann. Wo? Jugendherberge „Alte Feuerwache Plauen“, Neundorfer Straße 3, Plauen. Für weitere Informationen schau unter http://gleft.de/15O! 12.12., 19:00 Uhr: QUEER? Eine Einführung. Wo? Pöge-Haus, Hedwigstrasse 20, Leipzig. Für weitere Informationen schau unter http://gleft.de/15F! 13.12., 11:00-20:00 Uhr: Bastelsonntag – Gestalte Deine eigene Wonderwoman. Wo? Interim, Demmeringstraße 32, Leipzig Für weitere Informationen schau unter http://gleft. de/15G! Achtung! Diese Veranstaltung richtet sich ausschließlich an Frauen*/ Trans* oder Inter*Personen 19.12, 18:00 Uhr: Von Bier und Hanf zum Klassenkampf. Wo? Roter Baum, Großenhainer Str. 93, Dresden. Für weitere Informationen schau unter http:// gleft.de/15J! 20.12., 19:00 Uhr: Wahlparty / Fiesta electoral. Wo? Interim, Demmeringstraße 32, Leipzig. Für weitere Informationen schau unter http://gleft. de/15I!
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
12/2015 Sachsens Linke!
Das Gefängnis als Universität des Kampfes Ich kann nicht beginnen ohne Bezug auf die kürzliche Hundertjahrfeier der Cumann na mBann (eine 1914 gegründete irisch-republikanische Frauenorganisation, d. Red.), deren Ziel es war, die irische Freiheit zu fördern, irische Frauen zu gewinnen und bei der Ausrüstung irischer Männer für die Verteidigung Irlands zu helfen. Trotzdem wurde die Cumann na mBan in die „Armee der Republik Irland“ integriert. Eine Reihe von Mitgliedern starb in der Easter Rising Revolution von 1916, einschließlich der Freiwilligen Margaretta Keogh, die außerhalb der South Dublin Union erschossen wurde. Im Anschluss an die Übergabe wurden mehr als 70 Cumann na mBan-Freiwillige festgenommen und ins Gefängnis Kilmainham Gaol gebracht. Mitglieder wie Markievicz, Mary MacSwiney, Dr. Ada Englisch und Kathleen Clarke wurden dennoch später als TDs (Mitglieder des irischen Parlaments) gewählt. Der Friedensvertrag mit den Briten wurde von den TDs unterstützt, die Aufteilung Irlands mit einer Mehrheit von nur sieben 7 Stimmen durchgeführt. Die Briten teilten Irland, setzten eine Art Garnison zum Schutz des konservativen Establishments ein. Im Norden wurde ein „Protestantisches Parlament für protestantische Menschen“ gegründet. Es verfolgte die finanziellen, sozialen und politischen Interessen Englands, unterstand der Kontrolle der Polizei und der Besatzungstruppen. Das Stormont-Parlament betrieb eine aggressive, sektiererische und diskriminierende Politik, die auf die Erhaltung der unionistischen Herrschaft zielte. Sie hatten Staats- und Privatarmeen zur Verfügung, die Nationalisten, Republikaner und linke Teile der Bevölkerung terrorisierten. Wir reagierten auf die Unterdrückung dieses Staates, seine Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Aber wir kämpften weder einen Religionskrieg oder einen sektiererischen Krieg, noch haben wir für ein katholisches Irland gekämpft. In Derry, der Stadt, in der wir lebten und ich aufwuchs, wurden Wahlkreisgrenzen manipuliert („Gerrymandering“), um einen britisch-unionistisch dominierten Rat zu erschaffen, in einer überwiegend irisch-republikanischen Stadt. Dies beraubte die republikanische Gemeinschaft ihres Mitspracherechts bei der Vergabe von Sozialwohnungen, schränkte Stimmrechte ein. Wir
konnten nicht mit dieser Unterdrückung leben und protestierten. Als die britische Herrschaft in Frage gestellt wurde, versuchte sie den Mythos zu verbreiten, dass sie es sei, die die Konfliktparteien auseinanderhalte. Das Establishment, das für eine Minderheit Macht akkumuliert hatte, hegte kein Interesse an einem Austausch. Aber die Bürgerrechtler, die Demonstranten wichen nicht mehr. So begann 1969 die Schlacht von Bogside. Unsere Rolle, die der Kinder, war es, den Eimer mit Essig vor der Haustür gefüllt zu halten und für die Lieferung von Tüchern zu sorgen, um die schlimmsten Symptome der CS-Gas-Exposition aufzuhalten. Sowohl die britische Armee als auch der RUC (britische Polizei in Nordirland, d. Red.) verwendeten es. Ich war sieben, als Sammy Devenney von der RUC erschlagen wurde. Er war 43 Jahre alt und Vater von neun Kindern. Seamus Cusack und Dessie Beattie wurden erschossen, als ich acht Jahre alt war. Es folgten der Blutsonntag 1972. Ich bekam meinen Sinn für Recht und Unrecht von der Straße, in der ich lebte, der Lecky Road. Auf einer Giebelwand steht in stolzer Schrift: „Sie betreten jetzt Free Derry“! Mein Vater war Protestant und konvertierte, als er meine Mutter heiratete. Er starb, als ich zehn war. Während dieser Zeit wurden dutzende Unschuldige getötet, hunderte in Dublin und Monaghan durch die von der britischen Regierung unterstützten Loyalisten verletzt. Als ich zwölf war, wurde das Long KeshGefangenenlager für Republikaner niedergebrannt. Wir gingen auf die Straße, hielten Fotos der zerschlagenen Gefangenen hoch. Erst jetzt gibt es in der Öffentlichkeit keinen Zweifel mehr an dem, was wir längst wussten. Jüngst wurde ein Brief des ehemaligen Labour-Abgeordneten Merlyn Rees entdeckt. Darin bestätigt der britische Staatssekretär für Nordirland, dass der britische Staatssekretär für Verteidigung, Lord Carrington, die Verwendung von „Folter“ für irisch-republikanische Gefangene sanktionierte. Mit 16 hatte ich genug Unrecht erlebt, um zu wissen, dass es gutgemacht werden musste. So trat ich, wie Tausende, in den republikanischen Kampf ein und wurde während des zweiten Hungerstreiks von 1981 verhaftet. Ich befand mich in Armagh im Gefängnis, als ich Jennifer McCann traf, heute Ministerin der nordirischen Regierung. Vor meiner Verhaftung hatte ich dagegen protestiert, was Gefangenen in den H-Blöcken von Long Kesh und Armagh passiert war. Aber ich hatte keine Ahnung von
der Realität, vor allem für die Frauen. So wurde ihnen angemessener Schutz während ihrer Menstruationszyklen verweigert. Mit 23 war ich in Schottland inhaftiert, dann in England, verbrachte 13 Monate in Untersuchungshaft zusammen mit 600 Männern und nur zwei Frauen. Mehrmals täglich gab es Leibesvisitationen. Ella O Dwyer, eine Kameradin, und ich wur-
die Verhandlungen einbezogen worden war, war fortschrittlich und ein Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Demilitarisierung wurde gesichert, indem wir versuchten, Waffen aus der irischen Politik zu verdrängen; Diskriminierung und Sektierertum wurden abgewehrt, Gleichheit und Menschenrechte wurden zentral für eine neue Ordnung. So gab es einen gemeinsamen
Foto: GUE/NGL, flickr.com/ CC BY-NC-ND 2.0
Martina Anderson, MdEP GUE/ NGL (Sinn Féin), Abgeordnete für die sechs Grafschaften Nordirlands, schreibt über ihre Sozialisation und die Prioritäten der republikanischen Linken in Irland
den zu lebenslanger Haft verurteilt und zogen in den H-Flügel von Durham. Wir waren oft hungrig, wurden auf WeißkohlDiät gesetzt. Bis heute kann ich so etwas nicht essen. Wir ertrugen ein archaisches Kanalisationssystem, das im Winter nicht funktionierte. Wer protestierte, wie Ella und ich, wurde wochenlang eingesperrt. Aber wir sprachen mit jedem, den wir trafen und sehen konnten, über die Bedingungen. Das führte immerhin dazu, dass es Renovierungen gab. Für viele Republikaner waren Gefängnisse die Universitäten des Kampfes. Ich ging ohne Qualifikation, mit einem 1. Klasse-Abschluss. Ich war eine der Glücklichen. Freunde und Kameraden gaben ihr Leben für unseren Kampf. Ich kenne die Schrecken des Krieges. Wir haben ihn nicht begonnen. Als er kam, haben wir festgestellt, dass wir die Generation sind, die ihn beenden muss. So suchten wir nach einer Lösung – ein Friedensmodell, das als Folie für Friedenserhaltung und -schaffung wirkt. Konflikte werden nur gelöst durch Verhandlungen und Kompromissbereitschaft. Das Karfreitagsabkommen war kein republikanisches Dokument. Aber die Tatsache, dass Sinn Féin in
Weg zu einer neuen, demokratischen, sozialistischen, vereinten Republik. Das Karfreitagsabkommen nimmt einundzwanzigmal Bezug auf Gleichheit, die im Abkommen von Sunningdale nicht ein einziges Mal erwähnt worden war. Das war ein gescheitertes Abkommen, von dem die Republikaner ausgeschlossen worden waren. Das alles war wichtig für uns Gefangene. Denn wir waren nicht ins Gefängnis gegangen, damit unsere Führung über unsere Freilassung in dieselben Zustände verhandelt, die uns gezwungen hatten, zu handeln. Seit meiner Entlassung bin ich aktiv in unserem politischen Kampf. Wenn ich ein Motto meines Erwachsenenlebens benennen sollte, dann wäre es: „Wenn es sein soll, hängt es von mir ab“. Ich bitte niemals jemanden, etwas zu tun, auf das ich nicht auch vorbereitet wäre. Deshalb landete ich erst in englischer Haft und nun im Europaparlament. Unser Kampf geht weiter – in den europäischen Institutionen, im Dáil Eireann (Irisches Parlament), in dem wir die stärkte Oppositionsstimme sind, auch in Stormont, wo wir Regierungspartei sind, zudem in Ratsversammlungen und auf
den Straßen. Wir wollen eine progressive, linke, republikanische Stimme für unsere Wähler sein, eine Stimme für Irland im See neoliberaler Kräfte. In Nord- und Südirland wird 2016 gewählt. Sinn Féin wird als einzige Partei sein zu beiden Wahlen antreten. Es ist möglich, dass Sinn Féin auf beiden Seiten der Insel Regierungsverantwortung übernimmt. Im Europaparlament sehen wir uns Herausforderungen gegenüber, aber auch vielen Möglichkeiten. Sinn Féin stellt die größte irische Delegation. Unsere Abgeordneten sind entschlossen, für die Bevölkerung positive Veränderungen zu erreichen. Vor uns liegen unzählige Aufgaben. Eine davon ist die Möglichkeit des britischen Ausstiegs aus der EU – genannt BREXIT. Ich verfolge das genau. Die sechs nordirischen Grafschaften der Inseln, mein Wahlkreis, stehen noch immer unter britischer Herrschaft. Wir haben zwar eine Regionalregierung, die aber der britischen Regierung dienstbar ist. Ein BREXIT hätte schädliche Auswirkungen auf Irland. Unser Hauptaugenmerk gilt dem Verhältnis Britanniens zum europäischen Rechtssystem und zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Irland kommt aus einem Konflikt, in dem die britische Regierung einen Akteur darstellte. Friedensbildung ist notwendig. Ein Teil davon ist Vergebung. Die ist nur möglich, wenn Konfliktparteien einander vertrauen und ein Austausch von Informationen gesichert ist, wie auch Rechtschaffenheit. Britannien vernachlässigt bis heute seine Verantwortung auf diesem Gebiet, kümmert sich nicht um Opferfamilien. Das britische Establishment nutzt das „Feigenblatt“ nationale Sicherheit, um den Zugang zu wichtigen Informationen zu versperren. Die europäischen Rechtsinstitutionen bieten dem irischen Volk ein Forum für Entschädigungsdebatten. Irlands Platz ist in Europa – einem progressiven, sozialen Europa, mit Gerechtigkeit und Menschenrechten im Zentrum, einem Europa, das nationale Souveränität anerkennt und auf Zusammenarbeit hinarbeitet. Wir werden denen widersprechen, die den BREXIT betreiben, uns gegen all jene wenden, die Europa nach rechts ziehen und von sozialem Ausgleich entfernen wollen. Aus dem Englischen von Anja Eichhorn und Kevin Reißig
Sachsens Linke! 12/2015
DIE LINKE im Bundestag
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Theorie-Fundament für linke Wirtschaftspolitik Die meisten Mitglieder der LINKEN in Sachsen haben, sei es in Auszügen oder als ganze Bände, Texte von Marx und Engels gelesen oder studiert. Die von Marx begründete historisch-kritische Analyse der kapitalistischen Verhältnisse hat auch heute noch große Aktualität und bietet viele Erkenntnisse. Für viele Fragen der Ökonomie im 21. Jahrhundert konnte Marx im 19. Jahrhundert natürlich noch keine hinreichenden Antworten liefern. Für konkrete wirtschaftspolitische Handlungsstrategien müssen die Erkenntnisse von Marx daher um jüngere volkswirtschaftliche Analysen erweitert werden. In vielen Fragen ist die Stoßrichtung für eine linke Wirtschaftspolitik relativ klar: Für soziale Gerechtigkeit und eine starke Daseinsfürsorge ist eine progressive Besteuerung von Einkommen, Gewinnen und Vermögen offensichtlich sinnvoll. Genauso unstrittig ist, dass wir uns mit verschiedenen Maßnahmen für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen einsetzen wollen (wie aktuell mit der Kampagne „Das muss drin sein“). Die Eindeutigkeit stößt jedoch an Grenzen, ab denen man ohne eine klare, theoretisch fundierte gesamtwirtschaftliche Wirtschaftstheorie nicht mehr weiterkommt: Die LINKE muss nicht nur gegen eine Übermacht von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden anrennen, sondern auch gegen die Mehrheitsmeinung der Ökonomen an deutschen Universitäten und Forschungsinstituten. Ohne ein eigenes wirtschaftstheoretisches Fundament, das empirisch abgesichert ist, kann DIE LINKE diese Auseinandersetzung nicht gewinnen. Schließlich entsprechen die Erkenntnisse des Denkens in volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhängen leider nicht immer den Meinungen, die sich aus Intuition und Alltagsverstand ableiten lassen. Eine konsistente und praktisch umsetzbare Wirtschaftspolitik erfordert teilweise Maßnahmen, die auch für Menschen links der Mitte (als Nicht-Ökonomen) nicht unmittelbar naheliegend oder intuitiv einsichtig sind. Nur eine klare theoretische Orientierung schützt hier vor Aktionismus und kurzsichtigen Entscheidungen, die Kräfte rauben und uns auf lange Sicht unglaubwürdig machen. Der Keynesianismus als bewährtes Fundament einer pragmatischen und anschlussfähigen linken Wirtschaftspolitik Seit Anfang der 1970er Jahre gibt es in der gesellschaftlichen Linken eine links-keynesi-
anische Strömung, zu der auch ich mich u.a. mit der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ zähle – seit 1981 bin ich Geschäftsführer dieser ehrenamtlich arbeitenden WissenschaftlerInnengruppe. Dieser Zusammenschluss von LinksKeynesianern und Marxisten war besonders auf die progressiven Teile der Gewerkschaften orientiert. 2005 wurde ich mit einem klar keynesianischen Profil in den Bundestag und in den Parteivorstand gewählt. Seitdem setze ich mich nachdrücklich für diese grundsätzlich bewährte und laufend weiterentwickelte linke Politik ein. Keynes‘ Erkenntnis: Märkte sind instabil und brauchen gezielte Staatseingriffe Die ältere neoklassische Ökonomie ging (und geht) von einem einzigen, quasi natürlichen Marktgleichgewicht aus. Dieses stelle sich automatisch ein durch die rationalen, nutzenmaximierenden Individuen in Zusammenspiel mit der unsichtbaren Hand des Marktes, sofern der Staat sich nicht einmischt. Dagegen betonte Keynes die den Märkten eigene Instabilität. Die ergibt sich aus der prinzipiellen Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen und dem stets nur teilweise informierten und oft irrationalen Herdenverhalten der Menschen. Aber selbst bei einer Einhegung des Marktes durch staatliche Regulierung und gezielte Eingriffe sieht die keynesianische Theorie mehrere potentielle Gleichgewichtszustände (auch z.B. einen mit dauerhaft hoher Arbeitslosigkeit). Es gibt keinen eindeutigen „Naturzustand“, sondern es ist am Staat, zu entscheiden, welches dieser Marktgleichgewichte wünschenswert ist und entsprechend durch regulatorische Rahmensetzung und politische Einmischung herbeigeführt werden soll. Beispiele für keynesianische Analysen und Schlussfolgerungen Der Mehrwert des Keynesianismus liegt vor allem in der Betrachtung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge (Makroökonomie), wo er zeigt, dass der Alltagsverstand oder eine einzelwirtschaftliche Herangehensweise oft auf die falsche Fährte führen: • Kreditaufnahme für öffentliche Investitionen erhöht die Produktivität und damit das Steueraufkommen: Natürlich leuchtet intuitiv die Daumenregel ein, dass man (auch als Staat) nicht mehr ausgeben sollte, als man einnimmt. Aber der Staat ist kein schwäbischer Haushalt,
dessen Ausgaben durch seine Einnahmen begrenzt werden. Hier verhält es sich wie bei Unternehmen, die über Kredite Investitionen finanzieren, welche ihre Produktivität erhöhen und damit zukünftig höhere Gewinne ermöglichen. Der Staat muss also erst mehr ausgeben (Investitionen in öffentliche Infrastruktur), damit er danach mehr einnehmen kann (höhere Steuereinnahmen durch Wirtschafswachstum). • Höheres Sparen in Krisenzeiten führt zu weniger Einkommen: Während der aktuellen Krise in Europa ist zusätzliches Sparen für einzelne Menschen oder Unternehmen rational, für
Staat sich zu Zinsen von Null verschulden kann, unterbleiben im volkswirtschaftlichen Sinne rentierliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung aus ideologischen Gründen. Diese Unterlassung trifft vor allem den Bevölkerungsanteil, der besonders auf eine gute öffentliche Infrastruktur und Daseinsfürsorge angewiesen ist. • Schuldenbremse kritisieren und realpolitische Handlungsspielräume nutzen: Trotz allem ist die Schuldenbremse inzwischen Fakt. Den Kommunen hilft es nicht, wenn nur auf unsre Forderung einer Abschaffung der Schuldenbremse oder einer Umsetzung unseres Steuerkonzepts verwiesen wird. Deswegen muss die Schuldenbremse selbst weiterhin hart kritisiert werden, aber auch im Rahmen der Schuldenbremse praktische Handlungsalternativen für Kommunen, Länder und Bund entwickelt werden. Beispiele für keynesianische Krisenanalyse und Stabilisierungsmaßnahmen
die Gesamtwirtschaft aber fatal: Wenn alle sparen, können die Unternehmen weniger Güter absetzen, Menschen verlieren ihre Anstellung, können von weniger Einkommen noch weniger kaufen („Autos kaufen keine Autos“), folglich entlassen die Unternehmen weitere Menschen, und so weiter. Die individuelle Rationalität kann also eine Spirale des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs auslösen. • Die „Schwarze Null“ ist eine Selbstbeschneidung des Staates zulasten abhängiger Bevölkerungsschichten: Ein Haushaltsdefizit (mehr Ausgabe als Einnahmen) ist finanziell völlig unproblematisch, solange dadurch die Gesamtwirtschaft (und damit auch die Steuereinnahmen und der Staatshaushalt) schneller wachsen als die Schulden. Während allerorten zurecht über die verfallende Infrastruktur geklagt wird und der
Aus keynesianischer Sicht ergeben sich nicht nur generelle wirtschaftspolitische Empfehlungen, sondern auch wichtige Orientierung für Maßnahmen bei Wirtschaftskrisen: • Die Bankenrettung war nötig, der „Blankoscheck“ unverantwortlich: 1929 löste ein Börsencrash den weltweiten Kollaps des Finanzsystems aus, der in eine langanhaltende Depression mit Massenarbeitslosigkeit mündete und den Nährboden bildete für Faschismus und den Zweiten Weltkrieg. Aus dieser leidvollen Erfahrung heraus war es auch 2009 leider notwendig, solche Banken zu retten, deren Kollaps andere Teile des Finanzsystems mit in den Abgrund gerissen hätte. Nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ der BankenRettung ist zu kritisieren. Vor allem hätte die Rettung mit einer Verstaatlichung der Banken und entsprechender Einflussnahme auf ihre Geschäftspolitik einhergehen müssen. Banken erst unreguliert zu lassen und dann dadurch zu „bestrafen“, dass man sie pleitegehen lässt, ist kontraproduktiv. • Staatspleiten und Schuldenschnitte wären teuer gekommen: Unkontrollierte Staatspleiten oder Schuldenschnitte hätten – gerade wegen der Zusammenhänge in der Währungsunion – unkalkulierbare Dominoeffekte zur Folge gehabt und dem ohnehin schon fragilen Finanzsystem vielleicht den Rest gegeben. Mindestens aber hätten Pleiten europaweit die staatlichen Finanzierungskosten dramatisch erhöht. Wenn ein Staat die Hälfte seiner Schulden nicht
mehr bedient, für die verbliebene Hälfte aber aufgrund der gestiegenen Zinssätze das Dreifache zahlen muss, ist nichts gewonnen. Ein solcher Zahlungsausfall ist kein positives und beliebig einsetzbares Instrument, sondern muss stets der letzte Ausweg bleiben. • Deshalb war der Eurorettungsschirm notwendig: Um Verwerfungen durch Staatspleiten zu verhindern, war es grundsätzlich richtig, Rettungsschirme für andere Eurostaaten aufzuspannen, auch wenn dadurch deutsche und andere Banken mitgerettet wurden. Die Staatsfinanzen bzw. Schulden mussten so weit wie möglich von den privaten Kapitalmärkten abgeschirmt werden, um das Druckpotential der privaten Kapitalbesitzer zu mindern. • Der Skandal ist das an die Rettung geknüpfte Austeritäts-Diktat: Wieder ist nicht das „Ob“, sondern das „Wie“ zu kritisieren. Die Auflagen einer neoliberalen „Strukturanpassung“ haben großes Leid über weite Teile der europäischen, speziell der griechischen Bevölkerung gebracht und den Wirtschaftseinbruch zusätzlich vergrößert. • Die Niedrigzinspolitik ist richtig, es gibt kein Recht auf leistungslose Einkommen: Angesichts von Zinsen nahe Null hört man aus verschiedenen Richtungen Klagen über die „Enteignung der Sparer“. Aber warum sollte es überhaupt einen Anspruch auf positive Verzinsungen, also „leistungsloses“ Einkommen, geben? Weiter ist aus Sicht der Sparer ohnehin nicht der ausgewiesene Zins entscheidend, sondern der Realzins (Nominalzinsen auf Sparguthaben minus Inflationsrate). Dieser war bereits während der letzten 50 Jahre oft negativ und mit einem Kaufkraftverlust der Ersparnisse verbunden. Nur ist das früher – bei höheren Nominalzinsen und höherer Inflation – nicht so aufgefallen. Festzuhalten ist, dass eine Enteignung nicht stattfindet, aber auch schon früher mit Sparanlagen zumeist keine hohe Realverzinsung zu holen war. Fazit: Die keynesianischen Analysen und Vorschläge, die alle Bestandteil der LINKEN Programmatik sind, stehen für eine kohärente, glaubwürdige und pragmatische Wirtschaftspolitik. Linkskeynesianische Wirtschaftspolitik ist nicht der allein selig machende Weg, aber die unabdingbare Basis einer Politik links der Mitte. Dr. Axel Troost
Kommunal-Info 10-2015 2. Dezember 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Asylgesetzgebung Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz aus kommunaler Perspektive im Überblick Seite 2
Mindestlohn EuGH: Vergabe öffentlicher Aufträge darf an Mindestlohn gekoppelt werden Seite 4
Konferenz Asylpolitik am 12. und 13. Dezember in Chemnitz
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Seminar „Kommunen und Kreativwirtschaft“ am 12. Dezember in Dresden Seite 4
Weihnachtsmärkte – Kommerz oder Kultur? Weihnachtsmärkte können in Deutschland auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken. Allererste Erwähnungen finden ein „Nikolausmarkt“ von München 1310 und der Dresdner „Striezelmarkt“ 1434. Die mittelalterlichen Städte hatten sich zu Zentren des Handwerks und des Handels entwickelt.
Historisches
Vornehmlich zu Gottesdiensten, besonders zu den großen Messen, wo Gläubige von weither zusammenkamen, wurde das von Kaufleuten für das Abhalten von Jahrmärkten genutzt, um ihre Waren feilzubieten. Und so entstanden die Weihnachtsmärkte aus den Jahrmärkten und spätmittelalterlichen Verkaufsmessen heraus. Während bei den gewöhnlichen Märkten zu Beginn der kalten Jahreszeit die Möglichkeit bestand, sich mit Fleisch und winterlichem Bedarf einzudecken, kam im 14. Jahrhundert in der Vorweihnachtszeit der Brauch auf, es auch Korbflechtern, Spielzeugmachern oder Zuckerbäckern zu gestatten, auf dem Marktplatz mit ihren Verkaufsständen aufzuschlagen, um dort Erzeugnisse für das Weihnachtsfest zu verkaufen. Aber zu diesen Märkten gehörte auch der Auftritt von Gauklern und Schaustellern, die zur Unterhaltung der Marktbesucher ihre Kunststücke vorführten. So waren gewissermaßen schon damals Kommerz (vom lat. commercium =Handel) und Kultur auf den Weihnachtsmärkten zusammen vertreten.
Weihnachtsmärkte heute
Heute ist das ganz ähnlich. Da werden weihnachtstypische Backwaren und Süßigkeiten angeboten wie Lebkuchen, Stollen, Schokoladenfiguren, Zuckerwatte, gebrannte Mandeln, heiße Maronen und anderes mehr. Übli-
cherweise gibt es auch Stände, an denen Accessoires für den Winter wie Mützen, Hüte, Handschuhe und Schals gekauft werden können. Regelmäßig gehören dazu ebenfalls Verkaufsstände mit Artikeln oder Schmuck für den Weihnachtsbaum wie Glaskugeln, Adventssterne, Lametta, oder kunsthandwerkliche Weihnachtsartikel wie erzgebirgische Schwibbögen, Weihnachtspyramiden oder Räucherfiguren. Nicht fehlen dürfen selbstverständlich die jahreszeitlich typischen warmen Getränke wie Glühwein, Feuerzangenbowle oder Punsch. Auf den meisten Weihnachtsmärkten werden Kleinkunstprogramme aufgeführt, zur kulturellen Umrahmung treten kleine Ensembles oder Chöre auf. Zudem finden die Weihnachtsmärkte in der Regel auf zentralen Straßen und Plätzen (meistens dem Marktplatz) mit historischem Ambiente statt; in manchen Städten gibt es gar einen teilweise mittelalterlich gestalteten Weihnachtsmarkt. Auf diese Weise verbindet sich auch heute auf den allermeisten Weihnachtsmärkten das Kommerzielle mit dem Kulturellen. Im Verlaufe der letzten Jahrzehnte haben sich die Freizeit- und Konsumgewohnheiten der Menschen verändert. Während früher der Weihnachtsmarkt mehr als Einkaufsgelegenheit für das Fest und den Winter diente, wird er heute wohl eher als ein Treffpunkt von Begegnung und gemütlichem Beisammensein gesehen. Weihnachtsmärkte sind heute auch Orte gelebter Stadtkultur und ein lokaler Identitätsfaktor. Mitunter sind attraktive und historisch trächtige Weihnachtsmärkte auch zunehmend zu einem Anziehungspunkt für Touristen geworden. Da Weihnachtsmärkte von Kommunen, dem Einzelhandel und den Inhabern der Marktstände auch als ein Wirtschaftsfaktor angesehen werden,
gab es in zurückliegenden Jahren immer mal Versuche, den Beginn der städtischen Weihnachtsmärkte zeitlich bis in den November vorzuverlegen. Da der Sonntag vor dem ersten Advent jedoch als Totensonntag begangen wird, stieß das bei Teilen der kritischen Öffentlichkeit, insbesondere den Kirchen, als ein kommerzielles Gebaren auf Ablehnung.
Privatisierung?
Da Outsourcing im Trend lag, hatte die Stadt Offenbach am Main entschieden, den seit Ende der siebziger Jahre von ihr veranstalteten Weihnachtsmarkt vollständig von einem privaten Betreiber durchführen zu lassen. Das war ein Verein, dessen ca. 100 Mitglieder hauptsächlich aus dem Kreise des örtlichen Einzelhandels stammten, die zum Teil selbst als Händler auf dem Weihnachtsmarkt tätig waren. Nun wurde von diesem privaten Betreiber dem Inhaber eines Würstchen-Standes für die Jahre 2004 und 2005 die Teilnahme am Weihnachtsmarkt verweigert. Hiergegen klagte er durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) auf Feststellung, dass die Stadt nicht berechtigt sei, die Entscheidung über die Vergabe von Standplätzen durch private Dritte treffen zu lassen, sondern hierüber selbst entscheiden müsse. Das BVerwG entschied dazu in einem Urteil gegen die vollständige Übertragung der Ausrichtung des Weihnachtsmarkts durch einen Privaten (BVerwG, Urteil vom 27.05.2009 - 8 C 10.08). Zunächst ging das BVerwG davon aus, dass es sich beim Weihnachtsmarkt nicht um eine wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde handelt, sondern um eine öffentliche Einrichtung mit kulturellem, sozialen und traditionsbildenden Hintergrund, die schon lange Zeit in der bisherigen kommunalen
Alleinverantwortung lag. Daraus wurde gefolgert: „Aus dem Gebot der Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes der Gemeinden ergibt sich, dass eine vollständige Übertragung von Aufgaben besonderer sozialer, kultureller und traditioneller Prägung wie ein Weihnachtsmarkt, an Dritte nicht zulässig ist.“ Eine Privatisierung mit der Absicht einer erhöhten Gewinnerzielung der privaten Veranstalter und in der Folge davon erhöhter Standgebühren würde gerade sozialschwächere Einwohner benachteiligen, die gesellschaftliche Kommunikation im örtlichen Bereich erschweren und darüber hinaus zur Kommerzialisierung des kommunalen Lebens mit beitragen. Jedoch habe die Gemeinde die Möglichkeit, durch eine „formelle Privatisierung“ bei der Veranstaltung etwa von Märkten, Messen, aber auch von Weihnachtsmärkten, die unmittelbare Veranstaltungszuständigkeit der Gemeinde einer kommunalen Eigengesellschaft zu übertragen oder aber durch „funktionelle Privatisierung“ die Aufgabe, jedoch nicht die volle Verantwortung, an einen privaten Dritten zu übertragen. Die Rechtspflichten der Gemeinde gegenüber Beschickern, Besuchern und Dritten beim Markt müssen fortbestehen. Ein Weihnachtsmarkt mit kulturellem, sozialem und traditionsbildendem Charakter gehöre aber zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft durch eine Gemeinde. Bei der Veranstaltung eines Weihnachtsmarktes mit kommunalpolitischer Relevanz, der zur Förderung der Kontakte der Gemeindebürger untereinander beiträgt, bei dem damit soziale und kulturelle Gesichtspunkte Fortsetzung auf Seite 3
Kommunal-Info 10/2015
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Das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ aus kommunaler Perspektive – ein Überblick Von Konrad Heinze, Chemnitz Ende September 2015 in den Bundestag eingebracht, wurde das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ binnen eines Monats verabschiedet und trat mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt vom 23.10.2015 zum 24.10.2015 in Kraft. Es wurde vom ersten Entwurf bis zur Verabschiedung von scharfer Kritik von Trägern der Wohlfahrtspflege, von Gewerkschaften, Kirchen, Fachverbänden und Vereinen sowie der Migrationsforschung begleitet.1 Mit dem „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“2 wurden eine Reihe von Änderungen im Asylrecht vorgenommen, welche hier im Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgestellt werden, so sie die kommunale Ebene berühren. Das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) trägt nun den Titel Asylgesetz (AsylG), die Nummerierung der einzelnen Paragraphen bleibt unberührt. Die Anlage zu § 29a AsylG über die sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ wurde um Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert. Damit werden Asylanträge von Menschen aus diesen Staaten zukünftig und in der Regel als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.
säumt hat, die aufenthalts- und sozialrechtlichen Konsequenzen als auch deren Auswirkungen auf Fristen wie dem Zugang zum Arbeitsmarkt zu regeln, da sich die Fristberechnungen nach dem Erhalt der Aufenthaltsgestattung richtet. Hier ist mit Klarstellungen mittels gerichtlicher Entscheidungen zu rechnen.6
Erstaufnahmeeinrichtungen
Ein weiterer Punkt ist die Verlängerung des verpflichtenden Aufenthaltes in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) von drei auf sechs Monate, für AntragstellerInnen aus den sogenannten „sicheren Herkunftstaaten“ gilt die
Kita und Schule
weiter erschwert. Allgemein soll die Abschiebung von abgelehnten Asylsuchenden beschleunigt werden. Zu diesem Zweck wird die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) auf jeweils maximal drei Monate reduziert, weiterhin soll ein Abschiebungstermin nicht mehr angekündigt werden. Überdies ermöglicht das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ drastische Leistungskürzungen, wenn betreffende Person aus selbst zu vertretenden Gründen nicht ausgereist ist oder die Abschiebung aus ebenfalls selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann. Für diese Personen sollen allein die Leistungen des
treten des „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ bedeutet dies, dass der Zugang zu Schulbildung erst nach frühestens sechs Monaten erfolgen kann. Kindern von AntragstellerInnen aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ wird der Zugang faktisch völlig versagt, was der gesetzlichen Schulpflicht zuwiderläuft.
„notwendigen Bedarfes“ gewährt werden.
Zum zweiten verlängern sich die Wartefristen des Zugangs zu Schulbildung und Kita-Besuch. Für Kinder von Asylsuchenden als auch für unbegleitete minderjährige Geflüchtete/unbegleitete minderjährige AusländerInnen besteht die allgemeine Schulpflicht gemäß §§ 26 bis 28 des sächsischen Schulgesetzes.9 Ebenso haben die Kinder von Asylsuchenden Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte. In beiden Fällen sind aber in der Regel Vorbedingungen zu erfüllen: Erteilung einer Aufenthaltsgestattung, Verlassen der EAE und Unterbringung in der zugewiesenen Kommune. Mit Inkraft-
„Sichere Herkunftsstaaten“
Dieser Punkt ist kritisch zu betrachten. Zum einen ist die Menschenrechtslage in den genannten Staaten als auch in den übrigen Staaten des Balkans in Bezug auf die Minderheit der Roma und Sinti als verheerend zu bezeichnen. Des Weiteren werden wiederholt Fälle von Bedrohungen und Angriffen auf JournalistInnen sowie der Einflussnahme auf und der Korruption durch die Justiz gemeldet. Zum anderen sind bereits im Juli 2015 die Zugangszahlen aus diesen Staaten im EASY-System signifikant zurückgegangen3 – noch vor der vom Bundesministerium des Innern initiierten „Aufklärungskampagne“, welche das Ziel hatte, die Zugangszahlen aus diesen Staaten zu vermindern. Im Oktober 2015 findet sich kein Balkanstaat mehr in der Top-5-Liste des EASY-Systems.4 „Die Diskussion um ‚sichere Herkunftsstaaten’ ist eine Scheindebatte: Die Fokussierung des Gesetzesentwurfs auf diese Gruppe von Flüchtlingen wird sich insgesamt nur in geringem Maße auf eine Beschleunigung der Verfahren auswirken.“5 Darüber hinaus verschlechtert sich mit der neuen Gesetzeslage die Rechtsstellung von Asylsuchenden aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ teils erheblich. Über den neugeschaffenen § 63a AsylG wird die Ausstellung der „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“ (BÜMA) als Regelverfahren verstetigt. Demnach soll sie für den Zeitraum zwischen dem Asylbegehren und der förmlichen Asylantragstellung auf einen Monat befristet ausgestellt werden, samt der Option, sie mehrfach um jeweils einen weiteren Monat zu verlängern. Dies ist insofern von Bedeutung für die kommunale Ebene, als dass der Gesetzgeber es ver-
Verpflichtung über die gesamte Dauer des Asylverfahrens bis zur Entscheidung des BAMF. Das hat einige Auswirkungen: Zum ersten bezüglich der Auflagen zur räumlichen Beschränkung (Residenzpflicht). Diese gilt über die Dauer des Aufenthalts in einer EAE, demnach über sechs Monate, für AntragstellerInnen aus den sogenannten „sicheren Herkunftstaaten“ faktisch bis Verfahrensende.7 Weiterhin ist nicht ersichtlich wie ein verlängerter Aufenthalt in einer EAE die Asylverfahren verkürzen soll. Vielmehr ist mit darauf hinzuweisen, dass diese Maßnahme vorrangig die Integration und Teilhabe an der Gesellschaft in den besonders sensiblen, ersten Monaten des Aufenthalts behindert. Überdies müsste, um konfliktträchtige Ballungen von Menschen auf engem Raum zu vermeiden, die Erstaufnahmekapazität gleichsam der Aufenthaltsdauer verdoppelt werden. Insofern ist eine Erweiterung der bislang insgesamt 40 Erstaufnahmeobjekte (EAE Chemnitz, Dresden, Leipzig, zzgl. 37 zeitweiliger Einrichtungen8) als auch eine Anpassung der Kapazitätsplanung im Rahmen des Drei-Standorte-Konzeptes wahrscheinlich. Für die kommunale Ebene bedeutet das: die Errichtung weiterer zeitweiliger Einrichtungen der EAE ist durchaus im Bereich des Möglichen.
Wartefrist für Arbeitsmarkt
Zum dritten wird mit der Verlängerung des Aufenthalts in einer EAE die erst 2014 herabgesetzte Wartefrist für den Zugang zum Arbeitsmarkt folglich wieder angehoben. Während der ersten sechs Monate der Unterbringung in einer EAE gilt ein generelles Arbeitsverbot. Eine noch darüber hinausgehende Einschränkung gilt für Asylanträge aus den sogenannten „sicheren Herkunftstaaten“, die nach dem 31.08.2015 gestellt wurden. Den betreffenden AntragstellerInnen soll im Falle einer Ablehnung und der etwaigen Erteilung einer Duldung ein zwingendes Arbeitsverbot auferlegt werden, dass „auch die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung, eines Freiwilligendienstes oder eines Praktikums“10 ausschließt. Insofern werden durchaus vorhandene Initiativen klein- und mittelständiger Unternehmen, über das Angebot eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes an der Aufenthaltsverfestigung eines geflüchteten Menschen mitzuwirken,
Sachleistungen
Einer der umstrittensten Punkte ist die Rücknahme des erst im März 2015 gefassten Vorranges von Geld- vor Sachleistungen. Mit dem Inkrafttreten des „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ werden die Leistungen für den „notwendigen persönlichen Bedarf“ als auch für den „notwendigen Bedarf“ wieder generell in Form von Sachleistungen erbracht. Dies gilt für Fortsetzung auf Seite 3
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
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die vollständige Dauer der Unterbringung in einer EAE von sechs Monaten und kann ebenfalls in Teilen für die kommunale Anschlussunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gelten. Sachleistungen in Form von Gutscheinen oder Essens- und Kleidungspaketen sind als enormes Hindernis hinsichtlich der Integration und Teilhabe von Geflüchteten einzuschätzen. „Erstens ist nicht belegbar, dass sie auf potenzielle Asylsuchende abschreckend wirken. Zweitens verursachen sie erhebliche Bürokratiekosten (...)“11 Der auf kommunaler Ebene entstehende Verwaltungsaufwand ist nicht genug zu betonen. Weiterhin nehmen Sachleistungspakete keine Rücksicht auf individuelle/religiös bedingte Essgewohnheiten oder gar medizinisch notwendige Diäten. Jedoch sieht die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes durch das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ für die Unterbringung in Unterkünften nach § 53 AsylG (kommunale Gemeinschaftsunterkünfte) eine Kann-Bestimmung vor. Insofern sei auf kommunaler Ebene im Interesse einer humanen und auf Teilhabe ausgerichteten Unterbringungspolitik dringend von der Wiedereinsetzung des Sachleistungsprinzips abzuraten. Hinsichtlich der Möglichkeit der kommunalen Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylsuchende und Geduldete ist festzuhalten, dass auch unter der Berücksichtigung des „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ die Initiative bei den Kommunen verbleibt. Die Neufassung des § 264 Abs. 1 SGB V sieht ausdrücklich kein Vorbehalt oder Vetorecht der Länder gegen ein entsprechendes kommunales Handeln vor. Des Weiteren verpflichtet sich der Bund, beginnend mit dem 01.01.2016, die Länder bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Geflüchteten finanziell zu unterstützen. Hierfür wird eine Pro-Kopf-Pauschale von 670 EUR pro untergebrachter Person/Monat veranschlagt. Diese wird für 2016 als Abschlagszahlung geleistet und En-
de 2016 personenscharf abgerechnet. Dennoch ist zu beachten, dass in der Berechnung der Pauschale eine fünfmonatige Verfahrensdauer unterstellt wird (aktuell 7,1 Monate, nicht eingerechnet die Wartezeit zwischen Registrierung als asylsuchend und der förmlichen Asylantragstellung). Außerdem soll die Pauschale für Asylsuchende, denen keine Asylberechtigung nach Art. 16a GG oder ein Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG zugesprochen wird, nur für jeweils einen Monat erstattet werden.
Bau- und Vergabevorschriften
Ebenfalls die kommunale Ebene betreffend, sieht das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ eine Reihe von Änderungen hinsichtlich der Bau- und Vergabevorschriften von Unterkünften zur Unterbringung von Asylsuchenden vor. Bezugnehmend auf die BauGB-Novelle 2014 II ist nun hinsichtlich der Umnutzung von Gebäuden nicht mehr von „Geschäfts-, Büround Verwaltungsgebäuden“ die Rede, sondern allgemein von „baulichen Anlagen“.12 Ferner wurde § 246 BauGB um die Absätze 11 bis 17 erweitert. Diese sollen vor allem die Errichtung mobiler Unterkünfte sowie die Umnutzung bestehender baulicher Anlagen erleichtern, im begrenzten Umfang das Abweichen von gegebenen Vorschriften ermöglichen13 als auch Genehmigungsverfahren beschleunigen14. Über diesen Überblick aus kommunaler Perspektive hinaus die sozial- und aufenthaltsrechtlichen Änderungen erschließend darzustellen, würde den Umfang des Artikels sprengen. Von daher wird auf eine kleine Sammlung diesbezüglicher Artikel verwiesen (s.u. „Lesehinweise“). Abschließend ist noch festzuhalten, dass das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ nicht die letzte Asylrechtsänderung des Jahres 2015 bleiben wird. So wurde am 18.11.2015 ein neuerlicher Gesetzesentwurf zur „Einführung beschleunigter Asylverfahren“ öffentlich, mit dessen Verabschiedung noch vor Jahreswechsel zu rechnen
ist. Das darin beinhaltete „Asylpaket II“ sieht eine Reihe von rigiden Maßnahmen vor. Darunter die Schaffung von „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“, in denen ein beschleunigtes Asylverfahren mit deutlich eingeschränktem Widerspruchs- und Klagerecht sowie ein nochmals verschärftes Residenzpflicht-Regime zur Anwendung kommen sollen, einen stark eingeschränkten Anspruch auf Familiennachzug als auch eine erhebliche Beschränkung, gesundheitliche Gründe als Abschiebehindernis geltend zu machen.15
Lesehinweise:
GGUA Münster e.V. (Hrsg.): Entrechtung per Gesetz. Bundesregierung plant umfassendes Desintegrationsprogramm für Flüchtlinge, vom 23.09.2015, Rat für Migration (Hrsg.): Stellungnahme des „Rats für Migration“ (RfM) zur geplanten Asylrechts-Reform der Bundesregierung, vom 29.09.2015, Kalkmann, Michael: Wichtige Neuerungen durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, in: ASYLMAGAZIN 11/2015, S.365-366. — 1 Eine Sammlung von Stellungnahmen zum Asylverfahrens-beschleunigungsgesetz, erarbeitet von: Pro Asyl (Hrsg.): Asylrechtsverschärfung. Scharfer Widerspruch aus der Zivilgesellschaft, vom 25.09.2015. 2 Der Maßnahmenkatalog des „Asylverfahrens-beschleunigungsgesetz“ wird auch als „Asylpaket I“ bezeichnet. 3 Vgl. Pro Asyl (Hrsg.): Unveröffentlichte Zahlen zeigen: Immer weniger Balkan-Flüchtlinge, vom 31.08.2015. 4 Vgl. BAMF (Hrsg.): Weiter hoher Asyl-Zugang im Oktober 2015, vom 06.11.2015. 5 Vgl. Rat für Migration (Hrsg.): Stellungnahme des „Rates für Migration“ (RfM) zur geplanten Asylrechts-Reform der Bundesregierung, vom 29.09.2015., S. 3. 6 Vgl. Kalkmann, Michael: Wichtige Neuerungen durch das Asylverfahrens-beschleunigungsgesetz, in: ASYL-
Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr 2016 !
MAGAZIN 11/2015, S. 365. 7 Vgl. §§ 56 und 59a AsylG. 8 Vgl. Landesdirektion Sachsen (Hrsg.): Zeitweilige Unterkünfte im Rahmen der Erstaufnahme von Asylsuchenden in Sachsen, Stand: 17.11.2015. 9 „Das Kultusministerium aus Sachsen sicherte im März 2005 zu, dass trotz des Bestehens einer noch alten Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 1992 mit gegenteiligem Inhalt, von der Schulpflicht von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus ausgegangen wird.“ Vgl. dazu: Harmening, Björn: Aktuelle Entwicklungen Oktober 2005. Schulpflicht vs. Schulrecht von Flüchtlingskindern in Deutschland, S. 1. 10 Vgl. Voigt, Claudius: Entrechtung per Gesetz. Bundesregierung plant umfassendes Desintegrationsprogramm für Flüchtlinge, vom 23.09.2015, S. 2. 11 Vgl. Rat für Migration (Hrsg.): Stellungnahme des „Rates für Migration“ (RfM) zur geplanten Asylrechts-Reform der Bundesregierung, vom 29.09.2015., S. 2. 12 Vgl. § 246 Abs. 8 BauGB. 13 Vgl. § 246 Abs. 14 BauGB. 14 Vgl. § 246 Abs. 15 BauGB. 15 Vgl. Bundesministerium des Innern: Referentenentwurf über das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, Bearbeitungsstand 16.11.2015; und Pro Asyl (Hrsg.): Asylpaket II. Frontalangriff auf das individuelle Asylrecht, vom 18.11.2015.
Fortsetzung von Seite 1:
Weihnachtsmärkte ... prägend sind, sei es der Gemeinde verwehrt, sich der Verantwortung endgültig zu entledigen. „Sie muss sich Steuerungs- und Einwirkungsmöglichkeiten zu einer dem Wohl der Gemeindeeinwohner verpflichteten Durchführung von traditionellen Weihnachtsmärkten vorbehalten.“
Positionspapier
In einem gemeinsamen Positionspapier der kommunalen Spitzenverbände und dem Deutschen Schaustellerbund „Volksfeste als Teil gelebter traditioneller Kultur“ vom November 2014 wird unterstrichen, dass die deutschen Volksfeste und Weihnachtsmärkte u.a. ein schützenwertes Kulturgut, Orte der Integration und Identifikation und Aushängeschilder und Visitenkarten der Kommunen sind. „Volksfeste mit ihrer z.T. über 1.200jährigen Geschichte, ihren überlieferten Ritualen, Traditionsumzügen und lebendigen Bräuchen sind vielerorts ein fester Bestandteil des Stadtund Gemeindelebens. Diese Volksfeste sind kulturell verankert und halten Traditionen lebendig; sie haben eine besondere Bedeutung für die kulturelle Identität von Kommunen. Sie unterscheiden sich damit von beliebigen Stadt- und Straßenfesten.“ AG
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Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen EuGH: Vergabe öffentlicher Aufträge darf an Mindestlohn gekoppelt werden
Es verstößt nicht gegen das Unionsrecht, wenn ein Bieter, der es ablehnt, sich zur Zahlung des Mindestlohns an seine Beschäftigten zu verpflichten, vom Verfahren zur Vergabe eines Auftrags ausgeschlossen wird. Eine solche Verpflichtung stelle eine grundsätzlich zulässige zusätzliche Bedingung dar, da sie sich auf die Ausführung des Auftrags beziehe, soziale Aspekte betreffe und durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sei, erläuterte der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 17.11.2015 (Az.: C115/14).
Sachverhalt
Im Juli 2013 schloss die Stadt Landau das Unternehmen RegioPost von der Beteiligung an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Postdienstleistungen der Stadt aus, weil sich dieses Unternehmen entgegen den Vorgaben der Vergabebekanntmachung nicht verpflichtete, den Beschäftigten, die im Fall des Zuschlags zur Ausführung der Leistungen eingesetzt würden, den Mindestlohn zu zahlen. Die Vergabebekanntmachung und die Vergabeunterlagen nahmen auf § 3 des Landestariftreuegesetzes (LTTG) Rheinland Pfalz Bezug. Danach dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe verpflichten, den zur Ausführung der Leistungen eingesetzten Beschäftigten ein Mindestentgelt von 8,70 Euro brutto pro Stunde zu zahlen.
Richtlinie erlaubt zusätzliche Bedingungen
Das von RegioPost angerufene Oberlandesgericht fragte den Gerichtshof, ob diese Rechtsvorgaben mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge vereinbar sind. Nach der Richtlinie können Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorgeben, sofern sie mit dem Unionsrecht vereinbar sind und in der Vergabebekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angegeben werden. Diese Bedingungen können auch soziale Aspekte betreffen.
EuGH: Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots mit Mindestlohn richtlinienkonform
Der EuGH hat die Regelung als rechtmäßig erachtet, nach der sich Bieter und deren Nachunternehmer in einer schriftlichen, ihrem Angebot beizufügenden Erklärung verpflichten müssen, den Beschäftigten, die zur Ausführung der Leistungen eingesetzt werden sollen, einen im Vorhinein festgelegten Mindestlohn zu zahlen. Die Richtlinie 2004/18 stehe dem nicht entgegen. Es liege eine nach der Richtlinie grundsätzlich zulässige zusätzliche Bedingung vor, da sich die Verpflichtung auf die Ausführung des Auftrags beziehe und soziale Aspekte betreffe. Auch sei die Verpflichtung transparent und nichtdiskriminierend und mit der Uni-
onsrichtlinie 96/71 über die Entsendung von Arbeitnehmern vereinbar, da sie sich aus einer Rechtsvorschrift ergebe, die einen Mindestlohnsatz im Sinne dieser Richtlinie vorsehe.
Mindestlohn durch Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt
Der Mindestlohn gehöre zum Schutzniveau, das den von Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten zur Ausführung des öffentlichen Auftrags entsandten Arbeitnehmern garantiert werden müsse. Zwar gelte der Mindestlohn nur für öffentliche Aufträge und nicht für private Aufträge: Doch sei diese Beschränkung die bloße Folge davon, dass es für diesen Bereich spezielle Regeln des Unionsrechts gebe (konkret die Richtlinie 2004/18). Auch wenn der Mindestlohn geeignet sei, den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken, könne er grundsätzlich durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt sein.
Bieter dürfen bei Weigerung ausgeschlossen werden Die Richtlinie 2004/18 erlaube auch auf der Grundlage ihres Art. 26 Bieter auszuschließen, die sich weigern, eine Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns bzw. zur Vorlage einer entsprechenden Erklärung einzugehen.
Anmerkung*
Die Entscheidung des EuGH war mit Spannung erwartet worden. Sie hat Auswirkungen über die konkrete Mindestlohnregelung in Rheinland Pfalz auf andere Landesvergabesowie Tariftreuegesetze in den Bundesländern. Der EuGH hat in seiner jetzigen Entscheidung den Mindestlohn – anders als in der Rechtssache „Rüffert“ (C346/06 vom 03.04.2008) für rechtmäßig erklärt. Dabei hat er u. a. als Begründung angegeben, dass in dem jetzt entschiedenen Fall „RegioPost“ der Mindestlohn in dem Gesetz selber geregelt sei und nicht nur eine einzelne Branche betreffe. Auch hat der EuGH – anders als es noch in seiner Entscheidung vom 18.09.2014 „Bundesdruckerei“ anklingt (C549/13) – entschieden, dass auch ein Mindestlohn, der „nur“ für öffentliche Auftraggeber gelte und damit nicht für Aufträge von privaten Auftraggebern, dennoch aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt ist. Bund, Länder und Kommunen als Auftraggeber werden jedoch auch in Zukunft jeweils im Einzelfall beurteilen müssen, ob die Koppelung eines konkreten Mindestlohns an die öffentliche Auftragsvergabe rechtmäßig ist. Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 27.08.20 15 dem Verfassungsgerichtshof NRW die Frage vorgelegt hat, ob das dortige Landestariftreuegesetz (TVgG) verfassungsgemäß ist oder nicht wegen eines Verstoßes gegen die Tarifautonomie gegen die Verfassung verstößt. — *Anmerkung des Dt. Städte- und Gemeindebunds (www.dstgb-vis.de/, 23. November 2015)
Konferenz
Herausforderungen kommunaler Asylpolitik am 12. und 13. Dezember 2015 Penta-Hotel Chemnitz Salzstraße 56, 09113 Chemnitz Samstag 12. Dezember
11:00 Eröffnung 11:05 – 13:30 Themenblock I – Asylpolitik im Kontext von Land und Bund Flucht und Asyl als Schwerpunktthema gegenwärtiger Gesellschaftspolitik Referent: Prof. Dr. Martin Gillo Neue Wege sind gefragt - Unterstützung der Kommunen durch den Bund Referent: Michael Leutert, Mitglied des Dt. Bundestages 13:30 Mittagspause 15:00 – 17:30 Themenblock II – Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen in der Kommune Das „Clearinghaus“ der Arbeiterwohlfahrt Chemnitz Referent: Jürgen Tautz, Geschäftsführer AWO Chemnitz Die Wohngruppen des Kinder-, Jugend- und Familienhilfe e.V. Chemnitz Referent: Andreas Zschau, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Chemnitz e.V. Sonntag 13. Dezember 11:00 Unterbringungskonzepte für Flüchtlinge im ländlichen Raum Referentin: Kati Hille, Beigeordnete, Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 12:30 Mittagspause 14:00 Selbstorganisation und Interessenvertretung von Flüchtlingen Referent: Nabil Yacoub, Sächsischer Migrantenbeirat 15:00 – 17:30 Soziale Betreuung von Flüchtlingen Referent: Andreas Naumann, Sächsischer Flüchtlingsrat, Stadtrat Dresden Unkostenbeitrag: 10,- Euro / ermäßigt 5,- Euro Für die Teilnehmer/innen der Veranstaltung besteht vom Samstag auf Sonntag die Möglichkeit der Übernachtung im Konferenzhotel. Die Kosten hierfür werden vom Veranstalter übernommen. Bei der Anmeldung bitte den Übernachtungswunsch mit angeben, damit entsprechende Zimmer reserviert werden können.
Seminar
Kreative Kommunen - Gegenseitiges Verhältnis und Handlungsoptionen für Kommunen und ihre Kreativwirtschaft am 12. Dezember 2015, 10.30 bis 16.00 Uhr in der „Projektschmiede“, Bautzner Straße 22 HH 01099 Dresden
10.30 — 12.00 Uhr Impusreterate und Diskussion Einordnung des Seminars Was wissen wir aktuell über die Sächsische Kreativwirtschaft? Mit Magnus Hecht, 2. Vorsitzender der LiveKomm (Dresden) Einführung in Kultur- und Kreativwirtschaft und ihre Besonderheiten auf sächsischer Landes- und kommunaler Ebene Mit Christian Rost, Experte für Kultur- und Kreativwirtschaft (Leipzig) Diskussion zu den Inputreferaten, Moderation: Sasann Scholz-Karas, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen (Dresden) Workshop 1: Kommunale Handlungsoptionen - Chancen und Grenzen Im Rahmen dieses Workshops sollen folgende Aspekte besprochen werden: Warum sollten Kommunen Kreative in ihrer Tätigkeit unterstützen? Welche Möglichkeiten haben Kommunen und Kommunalpolitikerinnen im urbanen und ländlichen Raum, die in ihrer Kommune Tätigen zu unterstützen? Möglichkeiten entsprechender Förderprogramme wie EFRE und LEADER sowie Tipps in Bezug auf die kleinteilige Förderkulisse Mit Christian Rost Experte für Kultur- und Kreativwirtschaft, Ko-Autor Kulturwirtschaftsbericht des Freistaates Sachsen 2008 (Leipzig) Workshop 2: Ich bin Kreativer und was nun? Im Mittelpunkt dieses Workshops stehen ganz praktische Fragen wie z.B.: Was will ich als kreativer eigentlich erreichen? Was kann ich und wo liegen meine Grenzen? Wo kann ich mir im Notfall Hilfe in der Kommune holen? Mit Thomas Richter, Freiberuflicher Kulturmanager und Coach (Sub Culture Office Dresden) 15.00-16.00 Uhr Diskussionsrunde „Und was bedeutet das nun?“ (Zusammenfassung der Ergebnisse des Tages, Ausblick, wie es weitergehen kann) Mit Annekatrin Klepsch, Kulturbürgermeisterin der Stadt Dresden, Magnus Hecht, Christian Rost und Thomas Richter Teilnahmebeitrag: 5 Euro / ermäßigt 2 Euro (im Beitrag sind alkoholfreie Seminargetränke enthalten). Anmeldung zu den Veranstaltungen bitte unter: Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. auf Seite 2 in dieser Ausgabe
November 2015
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport „ … auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen …“
Terrorismus ist eine Kommunikationsstrategie, eine Falle. Gewalt gegen unseren Alltag soll uns in permanente Angst versetzen. Angst ist nützlich, treibt zur Vorsorge. Sie darf aber nicht unser Leben dominieren. Es wäre falsch, unsere Gesellschaft unfreier zu machen, Bürgerrechte einzuschränken. Der „Spiegel“ schrieb: „Es gehört zu den Zielen des IS, dass sich Muslime in Europa ausgegrenzt und stigmatisiert fühlen, weil es so wahrscheinlicher wird, sie eines Tages zu rekrutieren“. Wollen wir dem Terror die Existenzgrundlage entziehen, müssen wir tun, was der IS fürchtet: unsere Menschlichkeit, Grundrechte, Toleranz verteidigen. Viele sorgen sich um unsere Sicherheit. Diese Ängste dürfen sich nicht gegen Menschen richten, die vor Terror zu uns fliehen! Solidarität ist die wirksamste Antwort auf Terrorismus – auf den von Fanatikern, die religiöse Motive missbrauchen, wie auf den von Fremdenfeinden, die Asylunterkünfte anzünden. Wer Terror aber mit Krieg bekämpfen will, wird nur mehr Terror ernten. Jens Stoltenberg, Norwegens Ex-Ministerpräsident, sagte 2011 zum Massaker auf Utøya: „Wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit“. Handeln wir souverän. Eine CharlieHebdo-Zeichnerin twitterte nach den Anschlägen: „Lasst uns unsere Freiheit nicht einschränken. Trinkt, lacht, spielt, esst, liebt euch, lebt!“
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Ärzte, die als Flüchtlinge nach Sachsen kommen, könnten einen Beitrag zur Linderung des Mangels leisten. Das
Dritter Punkt ist eine „Feuerwehrlösung“ für Gebiete, in denen die Versorgung besonders gefährdet ist. Hier sollen zusätzliche sektorenübergreifende Strukturen helfen. Finanzielle Anreize könnten nach dem Modell des Innovationsfonds auf Bundesebene geschaffen werden. Aus ihm könnten Beitrags- und Steuermittel in zusätzliche medizinische Leistungen und in Forschung zur Versorgung fließen.
wird aber nicht reichen. Die Linksfraktion fordert außerdem eine „Landesoffensive für eine bedarfsgerechte, flächendeckende und gut erreichbare medizinische Versorgung“ (Drucksache 6/1858). Sie soll aus vier Teilen bestehen. Erstens soll die Staatsregierung in Berlin dafür kämpfen, dass die Versorgungsplanung umgebaut wird. Bisher wird strikt zwischen ambulantem und stationärem Sektor unterschieden – stattdessen sollen beide gemeinsam betrachtet und die gesundheitliche, medizinische und pflegerische Versorgung komplett erfasst werden. Vor Ort genau hinschauen, heißt die Devise: Dann lässt sich die bisherige Planung, die für fast alle Bereiche eine Überversorgung ausweist, an die Erfahrungen der Patientinnen und Patienten anpassen. Denn stundenlange Wartezeiten und monatelange Vorbestellzeiten, insbesondere bei Fachärzten, sind schon heute nicht selten. In Sachsen gibt es ein „Gemeinsames Landesgremium“ von Krankenkassen, Staatsregierung, Landesärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenhausgesellschaft und Patientenvertretung. Es soll Empfehlungen für eine bessere Versorgung aussprechen. Zweiter Teil unserer Versorgungsoffensive wäre eine Prüfung, ob
Viertes und letztes Begehr wäre eine Studie zur Krankenhausplanung. Im Allgemeinen sollte sie Aussagen zur Quantitäts- und Qualitätsentwicklung enthalten, im speziellen auf Pflegeleistungen und die Notfallversorgung eingehen. Weil Fachkräftemangel zu Arbeitsüberlastung führt, und diese wiederum zu schlechterer Versorgung, plädieren wir für realistische Pflegeaufwanderfassungssysteme. Auch dafür schüfe die Studie die Voraussetzungen. Sachsen soll insgesamt einen bedarfsgerechten Krankenhausplan bekommen.
Die Gesundheitspolitikerin der Fraktion DIE LINKE, Susanne Schaper, zitierte in der Debatte ein Bibelwort: „Im Buch Markus Kapitel 4 Vers 12 steht geschrieben: ,... auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen ...‘ Das scheint das allgemeine Motto der Staatsregierung zu sein“. Zu diesem Schluss gelange sie, weil die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme zum Antrag mitgeteilt hatte, dass „eine allumfassende Bedarfsermittlung und vorausschauende Gesamtplanung keinen zusätzlichen Nutzen für die Durchführung der Versorgung bringt“. Das solle verstehen, wer will. Die Regierung habe zudem formuliert, dass „in den strukturschwachen Regionen sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen notwendig sind“. Weshalb sie dann den LINKEN Antrag ablehnte, der genau das fordere, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Schapers Erklärung: „Sie sprechen sich gegen unseren Antrag aus, nicht, weil er inhaltlich und sachlich schlecht wäre, sondern schlichtweg, weil ihnen das Parteilogo auf dem Titelblatt nicht passt“. Eigene Initiativen der Staatsregierung gegen Ärztemangel seien bisher wirkungslos geblieben. Die Folgen einer verfehlten Gesundheitspolitik können letzten Endes Menschenleben kosten. Schaper kritisierte, dass besonders auf dem Land Rettungswagen inzwischen oft zu spät eintreffen. Herzinfarkte seien die häufigste Todesursache in Sachsen, enden hier häufiger tödlich als im Bundesdurchschnitt. „Bei einem Herzinfarkt zählt, wie bei jedem medizinischen Notfall, ganz besonders jede Minute. Dass die Staatsregierung untätig zuschaut, wenn Hilfsfristen nicht eingehalten werden, ist grob fahrlässig“. Die Koalitionsfraktionen lehnten dennoch alle vier Punkte ab. So dürften sich die Defizite schon bald weiter verstärken.
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wieder haben Terroristen das zivilisierte Zusammenleben angegriffen, diesmal in Paris. Nach dem, was wir wissen, waren die meisten Täter französische Staatsbürger. Dennoch schlugen manche den Bogen zur Asylpolitik. Sollen wir nun alle Touristen abweisen, weil vielleicht Terroristen unter ihnen sein könnten?
das Gremium erweitert werden kann, damit etwa Kommunen mit am Tisch sitzen.
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Liebe Leserinnen und Leser,
Sachsen altert. Das fordert unser Gesundheitssystem heraus – anstelle eines Ausbaus herrscht aber vielerorts Ärztemangel. Nach Angaben der AOK Plus droht Unterversorgung insbesondere im ländlichen Raum – mehr als ein Viertel der Hausärzte sei älter als 60 Jahre, Nachwuchs schwer zu finden. Krankenhäuser deckten schon heute notgedrungen einen Teil der ambulanten Versorgung ab.
PARLAMENTSREPORT
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Steuerflüchtlinge sind die einzigen Flüchtlinge, die der Wirtschaft schaden Besorgniserregende Bürger vertreten auch bei der Frage, ob und wie Geflüchtete in Arbeit zu bringen sind, widersprüchliche und oft abwertende Auffassungen. Dabei ist klar: Kommen die mehrheitlich jungen Geflüchteten zügig in Arbeit, profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch die Wirtschaft. Denn die Erwerbsbevölkerung schrumpft, in vielen Branchen werden Fach- und Hilfskräfte gesucht. In Sachsen sind 30.000 Stellen offen, es gibt zu wenige hiesige Bewerber für die 7.500 unbesetzten Lehrstellen – vor allem im Bäcker- und Fleischerhandwerk, in Handel, Hotellerie und Gastronomie, manchen Elektroberufen sowie in der Gebäudereinigung. Mit einer Aktuellen Debatte hat die Linksfraktion die Staatsregierung aufgefordert, Geflüchteten den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern. Die für Wirtschaftspolitik zuständigen Abgeordneten der Linksfraktion, Nico Brünler und Luise NeuhausWartenberg, verwiesen auf die Bereitschaft der Wirtschaft, Geflüchtete in Arbeit zu bringen. Laut einer Befragung der sächsischen Industrie- und Handelskammer sind knapp zwei Drittel der 2.600 befragten Unternehmen dazu bereit. Die Voraussetzungen für Integration durch Bildung, Ausbildung und Arbeit seien „so gut wie selten“, befand Neuhaus-Wartenberg: „Der Arbeitsmarkt präsentiert sich in guter Verfassung. Die Arbeitslosenquote ist so nied-
rig wie seit 1990 nicht mehr“. Deshalb müssten Angebote der Handwerkskammern – etwa der zu Leipzig –, Ausbildungszentren zu füllen, schnell genutzt werden. „Das Konzept beinhaltet neben der Berufsausbildung den Spracherwerb, eine Unterkunft und sogar die Mitgliedschaft in einem Sportverein. Bis dato hat kein Flüchtling seinen Ausbildungsplatz in Leipzig angetreten. Wie
Die Handwerkskammern könnten ihre Angebote endlich in die Tat umsetzen“. Ihr Fraktionskollege Nico Brünler pflichtete ihr bei: „Arbeiten zu können, ist oft die Basis für soziale Anerkennung und die Basis für soziale Integration“. Angebote zum Spracherwerb müssten ausgebaut, Ehrenamtliche entlastet und die Asylverfahren endlich beschleunigt werden. „Bereits Anfang dieses Jah-
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„Die sollen endlich arbeiten!“ – „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“
kann das sein?“ Stattdessen weite die Bundesregierung die Arbeitsverbote für Geflüchtete aus, mit Zustimmung auch der sächsischen Staatsregierung. „Wie wäre es gewesen, mit der Unterzeichnung eines Ausbildungsvertrages ein Bleiberecht für die Dauer der Ausbildung und mindestens zwei Jahre danach im Job zu beschließen?
res war Deutschland Spitzenreiter in der Anzahl unbearbeiteter Asylanträge und in der Verfahrensdauer von Asylanträgen“. Der Freistaat solle Geflüchteten zudem ein Willkommenspaket mit arbeitsmarktrelevanten Informationen anbieten und als Schnittstelle zu den Kammern fungieren. „Vor allem muss es eine Koordination zwischen einer
Arbeitsvermittlung und der örtlichen Wohnortverteilung geben“. BadenWürttemberg habe bereits ein solches Programm aufgelegt. Zuwanderung belastet die Sozialsysteme weniger stark, als sie davon profitieren. Solange Flüchtlinge aber nicht arbeiten (dürfen), können sie auch keine Steuern und Sozialabgaben zahlen. Die Prüfung vorhandener Qualifikationen, das Erlernen der deutschen Sprache und nötigenfalls die Alphabetisierung müssen früher beginnen. Dafür sind mehr Kurse und eine stärkere Kooperation von Aufnahmeeinrichtungen, Arbeitsagentur, Handwerkskammern, Wirtschafts- und Branchenverbänden notwendig. Auch wenn Geflüchtete keine unseren Standards entsprechende formale Qualifikation nachweisen können, haben sie oft Berufserfahrung – dann sind Praktika und Probearbeiten vonnöten. Außerdem müssen bürokratische Hindernisse fallen, etwa die langwierige und sinnlose europaweite Vorrangprüfung. Teilweise produziert der Amtsschimmel Absurdes: So wurde einem syrischen Arzt die Approbation verweigert, weil er kein Führungszeugnis vorlegen konnte. Oh Wunder – die syrische Geheimpolizei, die ihn zuvor verfolgt hatte, wird ihm freilich keines ausstellen. Geflüchtete sollen zum Gemeinwesen beitragen, was sie im Gegensatz zu Steuertricksern aus der ortsansässigen Oberschicht gern tun würden. Das sollte auch denen einleuchten, deren Geschäft die Panikmache ist.
„Die eine Lösung für Fragen der Wohnungspolitik gibt es nicht“ Am 21. November 2015 fand im Volkshaus Dresden die Wohnungspolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag statt. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, dass ein Austausch zwischen Vertreter_ innen der Wohnungswirtschaft, der Wissenschaft, der Regierung und Opposition sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen zustande kommt. Dieser fand in regen, zum Teil kontroversen Debatten statt. Um den Diskussionsfluss nicht zu durchbrechen, haben wir kurzerhand die Workshops nicht parallel, sondern in großer Runde und aufeinanderfolgend durchgeführt. Für die Bereitschaft der Diskutant_innen und der Moderation, auf die Dynamiken des Gesprächsprozesses einzugehen, sei noch einmal mein Dank ausgesprochen. So unterschiedlich die eingeladenen Gäste der Podiumsdiskussion und der Workshops waren, so differenziert waren auch die Positionen und Vorschläge. Das Hauptproblem bleibt: Wie kann es uns gelingen, die Differenz zwischen steigenden Mieten und unzureichenden Einkommen (1.000 Euro Differenz zu westdeutschen Durchschnittsarbeitseinkommen im Monat)
zu schließen? Trotz differenzierter Wohnungsmärkte mit ihren Besonderheiten ist das ein sachsenweites Problem, auch wenn der Vertreter der Staatsregierung im gewohnten Zweckoptimismus bis auf einzelne Ausnahmen in Sachsen keine steigenden Kaltmieten sieht. Die unterschiedlichen Blickwinkel ermöglichten verschiedene Schwerpunkte der Diskussion: die zu geringen
Einkommen, ein Anstieg der Altersarmut, die gestiegen Baukosten und Anforderungen bei Sanierungen und Neubau sowie der Mangel an Wohnraum in den Großstädten. Weil es dafür nicht nur eine Ursache gibt, schälte sich eine Reihe von Lösungsansätzen für die wohnungspolitischen Problemlagen heraus. Neben der Verbesserung der Einkommenssituation muss es einen Ausbau der diversen Förderprogramme geben.
Das beinhaltet auch die von allen Mitdiskutant_innen angeregte Wiederaufnahme der sozialen Wohnraumförderung in Sachsen. In die Diskussion sind unterschiedliche Förderinstrumente eingebracht worden. Entsprechend dem Bedarf der verschiedenen Regionen sollten sowohl Subjektförderung (Wohngeld) als auch Objektförderung (Baukostenzuschüsse) nebeneinander stehen. Zudem sind vor allem alternative Kleinprojekte auf eine Anpassung von Förderungen und Darlehensfinanzierungen an ihre Bedürfnisse angewiesen. Die Linksfraktion befindet sich mit einer an den Sachfragen orientierten Diskussion auf dem richtigen Weg, gemeinsam mit verschiedenen Akteuren in einem Gesprächsprozess Positionen und Forderungen für eine bedarfsgerechte Wohnungspolitik zu entwickeln. Als Ergebnis der Wohnungspolitischen Konferenz wird in Kürze ein Reader entstehen, der die Argumente nachvollziehbar macht und die Ergebnisse der Konferenz festhält. Danach sollen diese in ein Wohnungspolitisches Konzept münden. Auf die Diskussion dazu freue ich mich. Enrico Stange, MdL
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Ohne Ausgleich scheitert die europäische Einigung Es gilt in Familien wie in Staatenbünden: Ungerechtigkeit ist Gift für das zivilisierte Zusammenleben. Die wohl größte Errungenschaft des Kriegsjahrhunderts, das hinter uns liegt, ist der Beginn der europäischen Einigung. Nach 45 Jahren des wankenden und 25 Jahren des sicheren Friedens wandelt sich Europa weiter, auch die EU. Fluchtbewegungen und (Binnen-)Migration belegen, dass es sich auch nach Jahrzehnten noch nicht überall gleich gut leben lässt. Europa driftet auseinander.
2015 unter 2 Euro. „Besonders deutlich wird diese Diskrepanz auch zwischen Sachsen und den angrenzenden Staaten, in denen die Mindestlöhne aktuell 2 Euro (Tschechien) und 2,42 Euro (Polen) betragen“. Laut einer Eurostat-
hingegen die Missstände. „Solange wirtschaftliche Aspekte als wichtiger gelten als die sozialen Folgeentwicklungen, müssen wir sogar noch mit einer vehementen Verstärkung der innereuropäischen Migration rech-
„abgeriegelte reiche Wohnsiedlungen, wie in Warschau“. Vor allem Frauen und junge Menschen seien Opfer von Armut, die Jugendarbeitslosigkeit liege bei 19,3 %. In Griechenland und Spanien betrage sie indes fast 50 %, in
SozialpartnerInnen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sollten in ihrer Zusammenarbeit unterstützt werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der krisenhaften sozialen Entwicklungen in der EU müssen sie am sozialen Dialog um Wachstum und Beschäftigung beteiligt werden. Nötig sind europäische Mindeststandards für die einzelnen Sozialstaaten sowie mehr betriebliche Mitbestimmung durch europäische Betriebsräte. So könnte sich der Europäische Gewerkschaftsbund für einen europaweiten Mindestlohn und eine europaweite Arbeitslosenversicherung einsetzen. Ein europäisches Investitionspaket könnte helfen, Arbeitsbedingungen zu verbessern, Langzeitarbeitslose und MigrantInnen einzugliedern.
Studie von 2014 sind 122 Millionen Menschen in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, das ist jeder vierte Europäer oder jede vierte Europäerin. Sachsen komme, so Klotzbücher, auch eine soziale Verantwortung für seine Nachbarn zu, „solange auch sächsische Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern, um Lohnkosten und Sozialabgaben zu sparen“.
nen“. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung sprechen sich 77 % der deutschen Bevölkerung für verbindliche soziale Mindeststandards in Europa aus.
Italien und Kroatien mehr als 40 %, im Kosovo und in Serbien über 50 %. Schaper: „Diese Verhältnisse wirken sich direkt auch auf Sachsen aus. Unser Antrag zielt darauf ab, dass sich die Staatsregierung auf Bundes- und EUEbene dafür einsetzt, Fluchtursachen zu bekämpfen“.
Anja Klotzbücher, Sprecherin für Europapolitik der Fraktion DIE LINKE, kritisierte das immense Wohlstandsgefälle innerhalb der EU. Die Mindestlöhne in Bulgarien, Rumänien, Litauen und Ungarn lagen im Januar
Die Europäische Union müsse nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Sozialunion sein, forderte Klotzbücher. Davon hänge das Gelingen der Integration ab. Austeritätspolitik wie gegenüber Griechenland verschärfe
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Per Antrag forderte die Linksfraktion die „Stärkung der Sozialen Dimension der Europäischen Union für mehr soziale Gerechtigkeit, Abbau von Arbeitslosigkeit, Beseitigung von Armut und Desintegration“. Das wäre gleichzeitig „ein Beitrag zur Aufhebung von Migrationsursachen“ (Drucksache 6/3058). Die Staatsregierung soll sich auf Bundes- und europäischer Ebene für die soziale Dimension der EU einsetzen. Was heißt das?
Die Sozialexpertin der Linksfraktion, Susanne Schaper, zeigte am Beispiel unseres Nachbarlandes Polen, welche Folgen es hat, wenn die soziale Dimension der europäischen Einigung vernachlässigt wird. Dort wachse wie in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich. Es gebe „heruntergekommene Stadtteile mit Wohnverhältnissen, die heutigen Wohnstandards nicht mehr entsprechen“ und andererseits
Im Vertrag über die Europäische Union heißt es, dass sie soziale Ausgrenzung und Diskriminierung bekämpfen soll. Auch Sachsen ist aufgefordert, mitzuhelfen. Die CDU-SPD-Koalition sieht offenbar keinen Bedarf – und lehnte ab. Ein Beitrag zur Friedenssicherung ist das sicher nicht.
Sachsens CDU-Fraktion widerspricht der brandenburgischen Frisch- und Abwassergebühren, Straßenausbaubeiträge – Hausbesitzer wissen: Kommunalabgaben sind streitanfällig. Wenn Kommunen Satzungen erlassen, die solche Abgaben regeln, kommt es oft zu vielen ähnlich gelagerten Widersprüchen. Geht es vor Gericht, ist das für Anwohner oft mit hohen Kosten verbunden. Denn jeder muss für sich zahlen, auch wenn mehrere Einwohner wegen des gleichen Anliegens den Rechtsweg beschreiten – etwa weil sie in einer Straße wohnen, für deren Ausbau die Kommune Straßenausbaubeiträge erheben will. Auch für das Rechtssystem haben solche Dopplungen schlimme Folgen. Die Häufung von Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten bindet Personal und Zeit. Das belastet die Steuerkassen. Die juristische Datenbank „juris“ verzeichnet
allein 233 Oberverwaltungsgerichtsentscheidungen, die sich mittelbar oder unmittelbar mit dem Sächsischen Kommunalabgabengesetz (KAG) beschäftigen. Hinzu kommen unzählige Verfahren vor Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten.
geführt, was Verwaltungen, Gerichte und Anwohner entlastet. Um Rechtsstreit vorzubeugen, sollen betroffene Anwohner künftig einbezogen werden, wenn Abgabesatzungen erarbeitet werden. Sie sollen ein umfassendes Einsichtsrecht erhalten.
Die Linksfraktion schlägt ein „Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen“ vor (Drucksache 6/1695). Kernpunkt: Künftig sollen Anwohner, die von einem ähnlichen oder gleichen Streitgegenstand betroffen sind, nicht mehr einzeln den Rechtsweg beschreiten müssen. Stattdessen sollen diese Sachverhalte in Musterverfahren nach § 363 Absatz 2 der Abgabenordnung geklärt werden, alle anderen Verfahren zu dieser Problematik ruhen solange. So werden Verwaltungsverfahren zusammen-
André Schollbach, Sprecher für Kommunalpolitik der Fraktion DIE LINKE, zitierte aus einem Gesetzentwurf, den die Landtagsfraktion der CDU in Brandenburg eingebracht hat: „Die Durchführung von Musterverfahren dient der Schaffung von Rechtssicherheit für die Beteiligten. Sie führt nicht nur zur Kostenersparnis für alle Bürger und Gemeinden, sie kann auch dazu beitragen, die Akzeptanz der Satzungen bei den Betroffenen zu erhöhen. Schließlich entlastet sie auch die Verwaltungsgerichte“. Schollbach
befand: „Wir sollten uns den hervorragenden Argumenten der Brandenburger CDU anschließen und heute den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE auf den Weg bringen“. In MecklenburgVorpommern sei schon 2005 und mit gutem Erfolg eine ähnliche Regelung eingeführt worden. Auch in Sachsen könnten so eine einheitliche Rechtsanwendung erreicht, Verfahrenskosten reduziert, Behörden und Gerichte entlastet, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gefördert werden. Die sächsische CDU ließ sich allerdings von ihrer Nachbarfraktion nicht überzeugen und lehnte den Vorstoß ab. Das ist ein weiteres Puzzleteil im finsteren Bild eines Freistaates, dessen Gerichte überlastet und dessen Einwohner zu wenig an der Regelung ihrer Angelegenheiten beteiligt werden.
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Sachsen zu Gast in China:
Umwelt schützen, Ressourcen nutzen!
Plenarspiegel November 2015 Die 23. und 24. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 19. und 20. November 2015 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Stunde „Geflüchtete über Sprache, Ausbildung und Beschäftigung integrieren – Jetzt Angebote der Wirtschaft und des Handwerks nutzen!“ Anträge „Stärkung der Sozialen Dimension der Europäischen Union für mehr soziale Gerechtigkeit, Abbau von Arbeitslosigkeit, Beseitigung von Armut und Desintegration – gleichzeitig ein Beitrag zur Aufhebung von Migrationsursachen“ (Drs 6/3058) „Landesoffensive für eine bedarfsgerechte, flächendeckende und gut erreichbare medizinische Versorgung in Sachsen“ (Drs 6/1858) Gesetzentwürfe „Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1695) Sammeldrucksache 6/3248 mit den Anträgen der Linksfraktion „Zukunft der Ausbildung und des Berufsbilds von Erzieherinnen und Erziehern im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1767) „Soziale Arbeit an den Schulen im Freistaat Sachsen in den kommenden Schuljahren sichern!“ (Drs 6/2134) Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
Im Oktober nahm ich an einer siebentägigen Reise nach China teil. Weitere Mitglieder der Delegation unter Leitung von Thomas Schmidt (CDU), Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, waren die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Lang, VertreterInnen sächsischer Unternehmen und Wirtschaftsverbände, WissenschaftlerInnen sowie PolitikerInnen des Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft. Im Mittelpunkt der Gespräche in Peking, der Provinz Wuhan und in Chongqing stand die Verbesserung der sächsisch-chinesischen Zusammenarbeit bei Umweltschutz, Land- und Ressourcenwirtschaft. Vor allem während der Technologieforen in Wuhan und Chongqing kam es zu fruchtbringenden Unternehmenskontaktgesprächen zwischen den Mitgliedern der Delegation und möglichen PartnerInnen. Während eines Gespräches im Ministerium für Landwirtschaft der VR China ging es um die Verbesserung der Außenhandelsbeziehungen mit Sachsen bei der Vermarktung von Milch und Fleisch. So bot die sächsische Seite beispielsweise Hilfe bei der Veredlung von Käse und anderen Milchprodukten sowie bei der Forschung und Entwicklung landwirtschaftlicher Technik an. Ich interessierte mich als Sprecherin für Umwelt und Ressourcenwirtschaft sowie als Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft hauptsächlich für die neue Qualität des Umweltschutzes sowie des Wasser- und Ökosystemmanagements. In Peking empfing uns Vizeministerin Cai Qihua im Ministerium für Wasserressourcen. Diskutiert wurden mögliche Hilfen Sachsens bei der Wasserversorgung, dem Gewässerschutz sowie
der Wasser- und Abwasserbehandlung. Eines der größten Probleme Chinas ist die Luftverschmutzung in den Ballungsgebieten der Millionenstädte im Osten, hauptsächlich verursacht durch Großkraftwerke, Chemieindustrie, metallerzeugende Betriebe und den Autoverkehr. Dessen Anteil wächst proportional zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). China plant deshalb für 2016 bis 2018 die Einführung eines nationalen
Emissionshandelssystems. Doch nicht nur die Luftverschmutzung stellt ein großes Umweltproblem dar. Auch die Versorgung mit sauberem Trinkwasser sowie die nachhaltige und effiziente Abwasserentsorgung sind eine große Herausforderung. Diesen Problemen wird nun mehr und mehr Beachtung geschenkt. So werden in den ländlichen Gegenden zunehmend zentrale biologische Kläranlagen gebaut. Davon überzeugten wir uns in einem Dorf, in dem das Abwasser von 150 Familien gesammelt und in Pflanzenkläranlagen aufbereitet wird. Sonnenkollektoren produzieren die benötigte Energie. In Ezhou besichtigten wir einen Aquakulturbetrieb, für den man das Wasser des Jangtse nutzt. Dessen Wasserqualität wird mit modernster Technik überwacht und gesteuert. Auf 35 Hektar gedeihen so nicht nur hochwertiges Gemüse, Wein und Lotos, es werden auch Krebse gezüchtet – ein Beispiel,
Heiko Kosel ist zurück Nachdem die Dresdner Abgeordnete Annekatrin Klepsch in das Amt der Beigeordneten für Kultur und Tourismus der Landeshauptstadt gewählt wurde, hat sie mit Wirkung zum 31. Oktober ihr Landtagsman-
dat niedergelegt. Mithin bekommt die Fraktion DIE LINKE – nach einem Jahr Unterbrechung – wieder einen sorbischen Abgeordneten: Heiko Kosel (49), Historiker und Jurist, kehrt zurück. Von 1999 bis 2014 saß er schon einmal im Hohen Hause. Zwischenzeitlich sammelte er Regierungserfahrung – als parlamentarisch-wissenschaftlicher Berater für Europapolitik, EU-Förderung und Entwicklungspolitik der Linksfraktion im Landtag Brandenburg. „Selbstverständlich wird die Vertretung der Belange des sorbischen Volkes im Sächsischen Landtag wie schon in der Vergangenheit im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen“, sagt er, und listet eine Reihe von Themen auf: Übernahme der Kosten der Schülerbeförderung für Kinder aus sorbischen Familien, die Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk, daneben europapolitische und andere länderübergreifende Aspekte. Willkommen zurück!
wie nachhaltiges Wassermanagement auch in China bereits praktiziert wird. In Hankou besichtigten wir ein ehemaliges Fabrikgelände, auf dem bis 1990 Textilfarben produziert wurden. Bis Mitte Mai 2016 müssen nun auf dem 20 Hektar großen Gelände 300.000 Kubikmeter Boden saniert werden. Die Erde ist bis in 13 Meter Tiefe mit Schwermetallen und anderen organischen Schadstoffen kontaminiert. Vor diesem Hintergrund bekamen unsere mitgereisten Experten auf dem Gebiet der Bodensanierung die Möglichkeit, ihre 25-jährige Erfahrung bei der Reinigung konterminierter Böden einzubringen und Alternativverfahren vorstellen. Während der Reise fanden wir in den chinesischen PolitikerInnen und WirtschaftvertreterInnen offene GesprächspartnerInnen. Auch deshalb konnten konkrete Anfragen gestellt und Kontakte entwickelt werden. So wurde eine neue Qualität der sächsisch-chinesischen Beziehungen erreicht, die für die Zukunft beste Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit schafft, von der beide Seiten profitieren können. Dr. Jana Pinka, MdL
Termine Regionaltour für „Ein besseres Schulgesetz in Sachsen“ Mittwoch, 9. Dezember 2015 – Röhrsdorf/Dohna „Willkommen in Sachsen?“ Perspektiven für eine menschenwürdige Aufnahme und Teilhabe Geflüchteter. Podiumsdiskussion zur Auswertung der Willkommenstour. Freitag, 11. Dezember 2015, 14 Uhr, Sächsischer Landtag, Raum A300 Infos unter www.linksfraktionsachsen.de/index. php?section=calendar
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig